Threads für die 6. und 8. Sinfonie fehlen noch bei den Raff-Sinfonien.
Joachim Raffs 6. Sinfonie Op. 189 in d-Moll entsteht 1873, ein Jahr nach der erfolgreichen 5. Sinfonie. Wie alle Sinfonien Raffs - auper Nr. 2 & 4 - erhält sie einen programmatischen Beinamen: "Gelebt - Gestrebt, Gelitten - Gestritten, Gestorben - Umworben". Dieser sperrige Name beinhaltet drei Wortpaare, die auf einen Brief Raffs an Bülow zurückgehen. In diesem referiert Raff recht resigniert über die Vergänglichkeit des Künstlers bzw. seines Werkes. "Dieses Streben selbst ist nicht anderes als der fortwährende Kampf gegen die Negation". Das 'Programm' dieser Sinfonie bleibt damit recht wage, das Werk nahe an der absoluten Musik. Der dreiteilige Titel der Sinfonie korrespondiert nicht direkt mit den traditionellen vier Sätzen des Werkes; ein weiterer Hinweis, dass die außermusikalische Anregung sich im musikalischen Gehalt des Werkes nicht substantiell wiederfindet.
Der Kopfsatz (Allegro non troppo) gehört zu den optimistisch-ernsten Sinfoniesätzen Raffs und insgesamt wohl auch zu den harmloseren Sätzen des Komponisten. Auffällig ist - wiedereinmal - die farbige Instrumentation. Da die Melodielinie häufig durch sämtliche Orchestergruppen geführt wird, fällt dieses Farbspiel besonders auf. Darin und auch in der Melodik erinnert die Musik gelegentlich an die Sinfonik Dvoraks, dessen Sinfonien zu jener Zeit parallel zu Raff entstehen. Die schnelle Coda bringt noch einmal richtig 'Drive' in den Satz.
Im an zweiter Stelle stehenden Vivace geschieht der im Programm erwähnte Kampf gegen die Negation auf humorige und forsche Weise. Musikalisch stellt das schöne Trio einen effektvollen Gegensatz zum Wirbel des Scherzos dar. Die hymnische Melodik erinnert sogar ein wenig an anglikanische Carols. Es wäre IMO zu kurz gegriffen, wenn man bei diesen Satz wieder nur auf Mendelssohn verweist, wie es das Booklet tut. Zwar lassen die dahinrasenden Streicher- und Holzbläserfiguren sicher auch an Mendelssohnsche Scherzi denken, aber diese Musik hier ist äußerst individuell.
Es folgt ein Larghetto welches dem Programm nach im übertragenen Sinne die Totenklage auf den Künstler anstimmt. Erneut wartet Raff mit einem eindrucksvollen Marsch auf, der für einen Trauermarsch recht zügig daher kommt. Die Melodik antizipiert im schnelleren zweiten Teil IMO sogar Bruckner. Kurz darauf lässt Raff eine mitreißende Fuge entstehen, deren Wirkung hier für meine Begriffe immens ist.
Das Finale (Allegro con spirito) beginnt zögernd, bevor es zu einem freudigen und nahezu jubelnden Hauptthema findet. Immer wieder wird es durch auch unerwartete harmonische Wendungen fortgesponnen. Programmatisch soll sich hierin die Freude über in der Nachwelt bleibenden Ruhm des Künstlers ausdrücken. In der Aussage ein zweischneidiges Schwert: Einerseits ist Raff und sein sinfonisches Werk heute nicht vergessen, es liegen verschiedene Einspielungen vor. Andererseits sähe echter (und mit Lebzeiten Raffs vergleichbarer) Ruhm anders aus. Eine gehörige Portion Optimus, die sich klanglich in diesem Finale niederschlägt, wäre also nötig, um Raff auch weiterhin in der Nachwelt zu Ruhm kommen zu lassen.
Raffs 6. Sinfonie gehört nach meiner Beobachtung weder zu den bekanntesten, noch zu den unter Kennern beliebtesten seiner Sinfonien. Gründe lassen sich dafür für meine Begriffe schwer aufzählen. In dieser Sinfonie überzeugen mich persönlich besonders die Binnensätze. Zusammen mit den ebenfalls nicht zu unterschätzenden Außensätzen liegt hier erneut eine großartige Sinfonie der deutschen Romantik vor. Das Werk wird absehbar nicht groß auf Konzertprogrammen erscheinen (schon bekanntere Raff-Sinfonien sind ja eine absolute Seltenheit), aber es sollte noch mehr Klassikliebhabern bekannt sein, denn hier liegt interessante und hervorragend Musik vor.
Hier die Einzelaufnahme der auch als Box erschienen Raff-Sinfonien der Bamberger unter Stadlmair.