Haben wollen oder nicht haben wollen? - das ist hier die Frage. Angebote und Neuaufnahmen kurz kommentiert

  • Wie verlockend sind die zahlreichen Angebote und Neuaufnahmen wirklich, die den Klassik-Musikmarkt heutzutage überschwemmen? Lohnt sich eine Anschaffung - wenn ich doch so viele Aufnahmen bereits habe? Das fragt sich der Musikliebhaber oft. Hier sollen kurze Kritiken und Empfehlungen gegeben werden - aus meiner sehr persönlichen Sicht.


    Beginnen möchte ich mit Franz Schreker. Unvergessen ist mir der Opernabend in der Düsseldorfer Rheinoper vor sehr vielen Jahren mit einer Aufführung von Die Gezeichneten. Nachdem Corona mir all zu lange den Opernbesuch verwehrt hatte, war mein erster Opernabend kürzlich wiederum eine Begegnung mit Schreker: In der Oper Münster gibt es derzeit Der Schmied von Gent zu sehen und zu hören. Leider ist das doch Erschreckende zu berichten, dass die Aufführung an einem Mittwoch Abend vor fast leerem Haus stattfand. So etwas habe ich bisher im Therater noch nie lerlebt. Nachgefragt bekam ich die Antwort, dass die Theater seit Corona mit einem erheblichen Zuschauerschwund zu rechnen haben. Sich dieses sehr selten zu hörende Stück im Opernhaus anzuhören lohnt auf jeden Fall. Die Musik ist ganz anders als die Werke Schrekers aus seiner von Wagner geprägten spätromantischen Phase. Passend zu diesem ironisch-satirischen Werk würde ich den Stil als neusachlich-expressionistisch bezeichnen. Man merkt hier, dass Schreker der Lehrer von Kurt Weill war. Die Aufführung war musikalisch sehr gut, die Inszenierung fand ich ein bisschen bieder und die Gestaltung des Bühnenbildes eher einfallslos - mit einigen ganz netten Einfällen freilich. Es fehlte mir der gewisse "Pfiff". Da habe ich in Münster schon Aufregenderes gesehen, was Bühnenbild und Inszenierung angeht.


    Gerne will ich mir diese Oper noch einmal zu Hause zu Gemüte führen Fündig wurde ich bei jpc - es gibt eine Aufnahme des verdienstvollen Labels cpo aus Chemnitz, die derzeit auch noch zum halben Preis für nur 14.99 Euro angeboten wird. Die Hörschnipsel haben mir sehr gefallen - und die Doppel-CD sofort bestellt:



    Dazu auf meinen Einkaufszettel gesellte sich - gleichfalls ein Sonderangebot für 7,99 Euro - die ebenfalls bei cpo erschienene Einspielung von Schrekers unvollendeter 1. Symphonie mit einigen Zugaben. Auch das klingt den Hörschnipseln zufolge sehr überzeugend:



    Kaufempfehlung Schreker - eindeutig in beiden Fällen: :thumbup:


    Kommen wir nun zu Helene Grimaud. Die französische Pianistin ist unzweifelhaft eine Persönlichkeit in der Klassik-Szene, die nicht nur einfach Klavier spielt, sondern über die Musik und das Leben philosophisch nachdenkt. Das ist inzwischen auch ihr Markenzeichen geworden. Sie gehört auch zu denjenigen, welche die derzeitige Mode in der sogenannten "klassischen Musik", im Stile des Pop "Alben" zu veröffentlichen, mit geprägt hat. Da war in der Vergangenheit zumindest Interessantes dabei - wobei man allerdings auch konstatieren musste, dass der hohe programmatische Anspruch und die musikalische Wirklichkeit nie wirklich koinzidierten. Ihr aktuelles "Album" ...



    ... verrät schon vom eher peinlichen Titel her "Helene Grimaud - For Clara" eine in Richtung Kitsch tendierende Selbstinszenierung. Sie selbst posiert glückstrahlend auf dem Cover in romantischer Gebirgslandschaft mit allerdings ganz unromantisch abgeschmolzenen Gletschern und gelb verdorrten Almwiesen, ihr sonniges Gesicht die wärmenden Sonnenstrahlen aufsaugend. Was soll es bedeuten? - kann man da nur fragen. Werke von Clara Schumann werden nämlich - das wäre eine falsche Erwartung - mitnichten gespielt, sondern nur die ihres Mannes Robert Schumann wie seines Freundes Johannes Brahms. Warum also "For Clara"? Wohnt man hier etwa der Geburtsstunde eines "neuen Feminismus" in der Klassik-Szene bei mit der Botschaft: Die Werke der Männer werden nun endlich ihren missachteten begabten Frauen gewidmet? Ist es etwa männlicher Chauvinismus gewesen, dass Schumann seine Kreisleriana einem Mann, nämlich seinem Freund Chopin, gewidmet hat? Die Pianistin Grimaud widmet also "ihre" Kreisleriana schlicht und einfach um und schreibt sie Clara Schumann zu. Warum sie das letztlich tut, bleibt ihr Geheimnis. Marketing-strategisch ist das sicher nicht ungeschickt. Aber wie steht es letztlich mit dem Musikalischen? Helene Grimaud hat den Ruf, mit ihrer unkonventionellen Art den Hörer aufzurütteln und frischen Wind in die langweiligen, sich scheinbar ewig wiederholenden Rituale der Interpretation klassischer Werke zu blasen. Erfrischend neu und unverbraucht wirkt ihr Schumann allerdings nicht, sondern eher krampfhaft bemüht, es irgendwie "anders" machen zu wollen. Pianistisch ist das zudem alles andere als sattelfest. Der aufgewühlte Auftakt ist virtuoses Wischi-Waschi, ertrinkt im Pedalschwall. Unhöflich gesagt könnte man zumindest meinen, dass so pianistisch-handwerkliche Hudelei verklärend in romantischen Nebel eingehüllt wird. Und wenn Schumann zu singen beginnt, in den romantisch-lyrischen Teilen, wirkt Grimauds Artikulation manieriert gewollt und verkrampft. Die Wahl der Tempi gerät dazu noch unorganisch und erscheint wenig schlüssig. Bei den Brahms-Intermezzi rhetorisiert sie .- was gerade hier nun wirklich unangebracht ist. Fazit: Muss ich mich damit näher beschäftigen? Meine Antwort lautet: Nein, darauf kann ich gut verzichten!


    Helene Grimaud - For Clara - eindeutiges Urteil: keine Kaufempfehlung :thumbdown:


    Rafal Blechacz gehört zu den Pianisten, wo ich jede Platte kaufe. Sein neues - ach Gott schon wieder - "Album" heißt "Chopin".



    Ein halbes Jahr nach seinem Erscheinen wird es bereits zum Sonderangebotspreis von 9,99 Euro verschleudert. Steht diese letzte Blechacz-Aufnahme also unter keinem guten Stern? Vielleicht liegt es aber auch daran, dass kaum jemand den Album-Titel versteht, denn Blechacz hat bereits drei Chopin-CDs veröffentlicht. Warum heißt diese vierte Chopin-CD dann nicht folgerichtig "Chopin Sonaten"? Offenbar meinen die Marketing-Strategen bei der DGG, dass sich der Blechacz-Chopin als Album besser verkauft, was womöglich eine Fehlkalkulation war und nun mit dem Dumpingpreis bestraft wird. Ich muss bei aller Hochachtung für Blechacz gestehen: Meine Begeisterung hielt sich schon beim Reinhören in Grenzen: Ohne irgendeine Nachdenklichkeit werden die Anfangsakkorde der Trauermarschsonate Forte ziemlich unbedarft in den Flügel gehauen. Und die Exposition fällt nicht gerade durch ein besonders pointiertes, artikuliertes Spiel auf, sondern beschränkt sich darauf, Eindruck zu machen - den von Aufgewühltheit, was Blechacz freilich auch gelingt. Die B-moll-Sonate habe ich inzwischen durchgehört - die Sonate h-moll dagegen wartet noch darauf. Meine Eindrücke sind bisher eher zwiespältig - eine ausführliche Rezeption wird in meinen "Kopfhörer-Klausuren" demnächst folgen. In meiner Sammlung befinden sich weit über 100 Aufnahmen der Sonate b-moll. Angesichts dessen reicht es für mich auch vorläufig nicht, eine eindeutige Kaufempfehlung zu geben.


    Keine eindeutige Kaufempfehlung also: :thumbup::thumbdown:


    Unbedingt empfehlenswert dagegen ist diese wirklich wunderbare letzte Veröffentlichung von Hillary Hahn:



    Ysayes schon geigentechnisch ungemein schwierige Sonaten gelten auch musikalisch als eher sperrig und schwerer verdauliche Kost. Hillary Hahn versteht es mit ihrer geigerischen Souveränität, die über alle Höchstschwierigkeiten mit Leichtigkeit gebietet, ihrer interpretatorischen Intelligenz und ihrem großen Einfühlungsvbermögen, aus diesen originellen und beziehungsreichen Stücken in jedem Moment spannende musikalische Erzählungen zu machen, denen man gebannt zuhört. Wer die Solo-Sonaten Ysayes noch nicht gekannt oder einen großen Bogen um sie gemacht hat - mit dieser wunderbaren Aufnahme wird er sie ganz bestimmt entdecken! Dazu kommt ein ungemein sympathischer, persönlicher Klappentext von Hillary Hahn in typisch amerikanisch offener, aufgeschlossener Art. Ganz ungeniert erzählt sie über ihre Schwierigkeiten, sich in diese Musik hineinzufinden und wie sie schließlich den Schlüssel zu ihr fand. Man erfährt über den familiären Anlass dieser Aufnahme, die sich dem Halloween verdankt. Ihr Kind brachte sie gleich mit zu den Aufnahmesitzungen. Hier spricht sehr naturlich und authentisch eine selbstbewusste Künstlerin und Mutter. Vorbildlich! :)


    Die Kaufempfehlung hat diese auch klangtechnisch sehr gut eingefangene Aufnahme (die ich am liebsten mit dem Kopfhörer genieße) wahrlich verdient: :thumbup:


    Und damit sind wir für heute ans Ende gelangt! Ich hoffe, es war für den einen oder anderen Leser etwas Attraktives dabei! :) :hello:

  • Das hat mich doch sehr gefreut :) :


    Ich unterbreche den Beethoven kurz für diese tolle CD: Franz Schreker - 1. Sinfonie Op. 1 in a-Moll. Vielen Dank Dr. Holger Kaletha für Hinweis und Rezension dieser CD, auf die ich sonst nicht so schnell gekommen wäre! Ein tolles Frühwerk, das den Klangmeister im Frühstadium zeigt und IMO höcht kennenswertes Repertoire ist!


    Heute noch auf youtube gehört, CD aber schon bestellt:

    Bei mir waren die beiden bestellten Schreker-CDs gestern im Briefkasten! :)


    Als Ergänzung noch ein Angebot des jpc-Labels cpo, das ebenfalls zu mir unterwegs ist zum Angebotspreis von 7,99 Euro:



    Berufsbedingt sammle ich Aufnahmen von Philosophen, die auch Komponisten waren. Hier gibt es - den Hörschnipseln zufolge hervorragend gespielt und auch sehr gut aufgenommen - die Streichquartette von Theodor W. Adorno zu hören. Adorno war Kompositionsschüler von Alban Berg und schreibt hier wie nicht anders zu erwarten ganz im Stil der 2. Wiener Schule - wie die kurzen Hörproben verraten sehr kompetent und mit musikalischer Aussagekraft. Ich werde noch darüber berichten.


    Meine Empfehlung selbstverständlich: :thumbup:


    Schöne Grüße

    Holger