Kunst wird ja gerne definiert als die Schaffung von etwas, das ästhetisch ansprechend ist oder Emotionen oder Ideen ausdrückt. Eine Idee mag der Temporitt sein - welche und ob gut oder schlecht mag dahingestellt sein. Emotionen drückt und vor allem löst sie wohl reichlich aus. Ästhetik ist letztlich schon wieder Geschmackssache, denn als schön empfinden wir mitunter alle etwas anderes. So oder so sollte damit der Haken beim Kunstanspruch der Pianistin gesetzt sein.
Der Künstler und sein Publikum
-
-
Beifall kriegt auch Sokolov (und meiner Meinung sehr zu recht) und der braucht fast 4 Minuten ... Damit kommt er in bestimmten Internetzirkeln nicht mehr in die Qualifikation

Sokolov ist auch insofern ein gutes Beispiel für Deine Fragestellung in diesem Thread: Wie alle anderen spielt auch er vor dem Publikum aber im eigentlichen Sinne nicht für das Publikum und schon gar nicht mit dem Publikum. Sein Auftreten signalisiert vollständige Fokussierung bei gleichzeitiger Distanzierung nach außen, und zwar bis an die Grenze der Höflichkeit: Er verbeugt sich genau einmal, ohne die Spur eines Lächelns, reagiert weder auf Bravo-Rufe noch auf stehende Ovationen, unterbindet häufig zwischen Stücken den Applaus, gibt so gut wie keine Interviews und keine Erklärungen. Er kommt rein, spielt Klavier und geht nach einer kurzen Verbeugung wieder, das ist alles. Er duldet gewissermaßen, dass man an seiner Kunst teilnimmt, aber man hat nie das Gefühl, von ihm überhaupt wahrgenommen zu werden, im Grunde nicht einmal beim Auf- und Abritt, weil er da schon bzw. noch in seiner eigenen Welt ist. Auf der anderen Seite des möglichen Spektrums stand Horowitz, der vor allem im Alter dem Publikum zuzwinkerte, winkte, irgendwelche Faxen machte, aber auch bei seinem Spiel immer die Wirkung beim Publikum kalkulierte (der aber natürlich trotzdem ein ernster und großer Künstler war). Das wären aus meiner Sicht die beiden möglichen Pole, zwischen denen sich alle anderen irgendwo einordnen...
-
Auf der anderen Seite des möglichen Spektrums stand Horowitz, der vor allem im Alter dem Publikum zuzwinkerte, winkte, irgendwelche Faxen machte, aber auch bei seinem Spiel immer die Wirkung beim Publikum kalkulierte (der aber natürlich trotzdem ein ernster und großer Künstler war).
Solche Faxen hat Horowitz aber auch im Alter immer nur NACH dem Vortrag gemacht, niemals während des Spiels! Da war seine Mine nahezu unbewegt. Es gibt ein Video, in dem er sich dahingehend äußert, dass er beim Spielen nichts nach Außen trage. Insofern finde ich nicht, dass er hier auf der „anderen Seite“ Deines Spektrum richtig verortet ist. Da gibt es andere wie Lang Lang.
-
Solche Faxen hat Horowitz aber auch im Alter immer nur NACH dem Vortrag gemacht, niemals während des Spiels! Da war seine Mine nahezu unbewegt. Es gibt ein Video, in dem er sich dahingehend äußert, dass er beim Spielen nichts nach Außen trage. Insofern finde ich nicht, dass er hier auf der „anderen Seite“ Deines Spektrum richtig verortet ist. Da gibt es andere wie Lang Lang.
Ich habe absichtlich keinen Schaumschläger für die "andere Seite" genommen, weil es mir nicht um eine Bewertung geht. Die Wirkung auf das Publikum war bei Horowitz immer Bestandteil seiner Kunst, sogar bei seinen Schallplatteneinspielungen, aber vor allem natürlich im Konzert. Wenn er z.B. Stimmen hervorgehoben hat, tat er das nicht nur so, dass sie deutlich hörbar waren, sondern dass man darüber staunen sollte und musste. Seine zahlreichen Manierismen und Übertreibungen waren für ein Gegenüber kalkuliert, und sei es bei seinen Einspielungen nur ein imaginiertes. Seine unvergleichliche Präsenz im Konzertsaal bestand darin, dass er das Publikum gewissermaßen gewaltsam an sich band und führte. Im Piano war sein unvergleichlicher Klang zugleich intim und präsent, so als spräche er direkt zum einzelnen Zuhörer. Das alles ist bei Sokolov ganz anders: Der spielt wie für sich, wie unter einer Glocke, aber trotzdem extrem ausdrucksvoll. Man muss ihm aber zuhören wollen, während man bei Horowitz gar nicht anders konnte. Ich kann nicht sagen, was größer ist, aber der Unterschied war bzw. ist eklatant.
-
Wie gesagt war Horowitz beim Spielen ganz in sich versunken und hat keine emotionalen Reaktionen gezeigt. Ich kann das Video leider nicht finden, aber er hat sich dazu mal geäußert. Dass sein Spiel eine besondere Wirkung auf das Publikum hatte, steht außer Frage. Aber ob er mit seinem Spiel beim Publikum eine bestimmte Wirkung erzielen wollte oder ob er so gespielt hat, weil es eben seine Deutung und Umsetzung eines Werkes war, ist für mich nicht zu entscheiden. Sicherlich war er sich der Wirkung seines Spiels bewusst, aber ich würde nie sagen, dass er etwas nur der Wirkung wegen gemacht hat - von den Bravournummern in seinen frühen Jahren abgesehen. Später ist er immer mehr davon abgerückt. Und in seiner letzten Aufnahme (Sony) spielt er eigentlich nur noch für sich selbst, traumverloren, unendlich filigran und weltabgewandt.
-
Wie gesagt war Horowitz beim Spielen ganz in sich versunken und hat keine emotionalen Reaktionen gezeigt. Ich kann das Video leider nicht finden, aber er hat sich dazu mal geäußert.
Ich kenne von ihm negative Äußerungen, über Bemerkungen aus dem Publikum während seines Spiels. Ich habe nicht zuletzt seine häufigen Rückzüge aus dem Konzertleben als Reaktion darauf verstanden.
-
Ich kenne von ihm Äußerungen, wo er sich zum Teil negativ über Äußerungen aus dem Publikum während seines Spiels geäußert hat. Ich habe nicht zuletzt seine häufigen Rückzüge aus dem Konzertleben als Reaktion darauf verstanden.
Ich bin wahrlich kein Experte für Horowitz' Biographie, aber litt er nicht an Depressionen, die ihn zu diesen Rückzügen veranlasst haben?
LG

-
Ich bin wahrlich kein Experte für Horowitz' Biographie, aber litt er nicht an Depressionen, die ihn zu diesen Rückzügen veranlasst haben?
LG

Da brauchen wir einen Spezialisten.
Ich kenne nur einige Bemerkungen über das Publikum. Das scheint hin und wieder genau solche sportlichen Leistungen erwartet zu haben. Dazu war er dann nicht bereit.
-
Sicherlich war er sich der Wirkung seines Spiels bewusst, aber ich würde nie sagen, dass er etwas nur der Wirkung wegen gemacht hat
Das habe ich auch nicht behauptet. Trotzdem hatte sein Spiel so gut wie immer etwas Artistisches, das ohne den Zuhörer nicht denkbar wäre. Ich habe selbst im Konzert erlebt, wie er die Zuhörer bei Liszts "Soirées der Vienne" Nr. 6 in irrsinnige Spannung versetzte, die sich im Applaus entladen musste, er dann aber sogar über Liszts Notentext hinaus noch eine eigene Passage im pp dranhängte und den Schluss solange verzögerte, bis die ersten im Saal es buchstäblich nicht mehr aushielten. Das war nicht nur extrem gut gespielt sondern phänomenal kalkuliert. Diese Art Kommunikation mit dem Publikum war typisch für ihn und machte einen guten Teil seiner Faszination im Saal aus.
Ich bin wahrlich kein Experte für Horowitz' Biographie, aber litt er nicht an Depressionen, die ihn zu diesen Rückzügen veranlasst haben?
Ja, so war das.
-
Ich habe selbst im Konzert erlebt, wie er die Zuhörer bei Liszts "Soirées der Vienne" Nr. 6 in irrsinnige Spannung versetzte, die sich im Applaus entladen musste, er dann aber sogar über Liszts Notentext hinaus noch eine eigene Passage im pp dranhängte und den Schluss solange verzögerte, bis die ersten im Saal es buchstäblich nicht mehr aushielten. Das war nicht nur extrem gut gespielt sondern phänomenal kalkuliert. Diese Art Kommunikation mit dem Publikum war typisch für ihn und machte einen guten Teil seiner Faszination im Saal aus.
Hast Du ihn in Hamburg oder in Berlin gehört? Da wäre ich gerne dabei gewesen, aber Diese Orte waren damals für mich nicht ohne weiteres erreichbar.
-
Hast Du ihn in Hamburg oder in Berlin gehört? Da wäre ich gerne dabei gewesen, aber Diese Orte waren damals für mich nicht ohne weiteres erreichbar.
Das war in Hamburg, bei seinem letzten Konzert überhaupt. Ich habe damals noch studiert, und ein Kommilitone ist ein paar Wochen vorher nach Hamburg gefahren und hat sich eine Nacht lang für Tickets angestellt (er durfte dann doch jeweils für zwei Stunden weg, musste sich aber immer wieder rechtzeitig zurückmelden, um seinen Platz in der Schlange nicht zu verlieren). Das Ticket habe ich leider nicht mehr, aber das Programmheft. Es war eine schöne Überraschung, als dieses Konzert vor einigen Jahren plötzlich auf CD erschien. In Erinnerung habe ich vor allem den einzigartigen, schwerelosen Klang und das, was man heute die "Performance" nennen würde
. -
Ich bin wahrlich kein Experte für Horowitz' Biographie, aber litt er nicht an Depressionen, die ihn zu diesen Rückzügen veranlasst haben?
Ja, so war das.
Danke für den Hinweis. Ich war nur absolut perplex, als er erzählte, dass er, während er Liszt spielte, mitbekam, was in der ersten Reihe eine Frau zu ihrem Mann über sein Spiel sagte ...
Was für eine Kommunikation zwischen Publikum und Künstler!
Es war eine schöne Überraschung, als dieses Konzert vor einigen Jahren plötzlich auf CD erschien. In Erinnerung habe ich vor allem den einzigartigen, schwerelosen Klang und das, was man heute die "Performance" nennen würde
.Ich war nicht beim Konzert, aber die schöne Überraschung habe ich auch erlebt.

Leider finde ich das Hamburger Konzert nicht im Web. Er gab aber eines im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins aus demselben Jahr mit etwa demselben Programm. Hier kann man diesen großen Künstler noch einmal erleben. Auf der einen Seite seine unglaublich gekonnte Interaktion mit dem Publikum, aber auch sein unvergleichlicher Ton! Man schwärmt schon alleine, wenn er einfach nur die Saiten probeweise anschlägt ...

PS: Mit Bezug auf den Titel des Threads. Horowitz mag sein Publikum und sein Publikum gibt ihm etwas zurück. Und ganz selbstverständlich kann man das auch seinem immer wieder faszinierendem Spiel entnehmen!
-
Meiner Meinung nach wird das Wort "Künstler" heutzutage verklärt, ebenso wie "Kunst"
Da werden Werke zu "Kunst" hochstilisiert, denen man in der Vergangenheit nicht mal das Wort "Schund" zugebilligt hätte, weil man sie als "Abfall" oder "nicht erwähnenswert deklariert hätte.
Ich sehe Kunst als "überfeinertes Handwerk" an - und das wurde in der Geschichte der Kunst oft so gesehen, So lehner der Doge von Venedig dereinst eine Klage der Witwe, die sich darüber beschwert hatte, daß es minderwertige Kopien von Dürers Stichen gäbe, die verkauft würden (Das erinnert mich fatal an gegenwärtige Situationen) Der Doge ließ die Klage prüfen und wies sie dann ab, Fachleute hätten festgestellt daß diese mit gleicher Kunstfertigkeit hergestellt seine, wie das Original..
Kommen wir zurück zur Wiedergabe eines klassischen Stücks. Das Rezept ist der Notentext - bei Oper zusätzö
lich das Libretto. Diese nöglichst unverfälscht wiederzugeben war ursprünglich die Intention. Mit der Zeit begann man die individuellen Abweichungen zu goutieren und den Interpreten einen übertriebenen "Künstlerstatus" zuzuerkennen, wovon dann eine gesamte Branche gut lebte.
DEr Künstler ist vor allem dem Notentext verpflichtet - und bei anderen Genres dem Bauplan, oder der natürlichen - eventuell idealisierenden oder aber dramatisierenden Wiedergabe. Nicht aber "der Kunst" Rembrandt - als Beispiel malte Portraits in Auftrag - Die Auftraggeber der sogenannten "Nachtwache" beschwerten sich, daß nicht alle der zahlenden Dargestellten dieses Gruppenportraits zu sehen seien.... Er überliess auch Bilder telweise seiner Werkstatt, handelte (ungeschickt) mit Gemälden anderer Meister - und fertigte auch Zweitkopien seine Bilder an um sie gewinnbringen zu verkaufen.
Alles durchaus nachvollziehbar - und ein erstklassiger Maler - Der Nimbus kam aber erst nach seinem Tod. Denn er starb hoch verschuldet.
Im späteren Jahrhunderten stige der Wert seiner Gemälde gradezu ins Uferlose.
Und jetzt kommt der Knackpunkt. Im 20. Jahrhundert wurden Zahlreiche Bilder, die zuvor noch als "echter Rembrandt" galten wurden nun als "Zuschreibungen", "Kopien", "Werktsattbildnisse" und "Stilkopien" identifiziert (vermutlich nicht immer zu Recht) Sofort sank der Marktwer dieser Bilder gigantisch - Ein Beweis dafür, daß hier nicht die Kunst, Perfektion, Schönheit etc des Bildes im Vordergrund steht - sondern die damit verbunde Legen , bzw Personenkult.
Ich erinnere mich - und jetzt sind wir wieder bei der Musik angelangt, ein Konzert mit Stefan Askenase, vermutlich eines seiner letzten. Ich saß im Publikum. Er spielte einfach schrecklich und mit viele Verspielern Der Verfall des Körpers hatte über den Geist gesiegt: ABER
Am Ende des Konzerts erhob sich - wie auf Kommando - das gesamte Publikum - und wir spendet Standing Ovations. Wir waren uns alle bewusst, daß wir hier einen "Enkelschüler" von Franz Liszt am Ende seiner Karriere gehört hatten - ein historisches Ereignis (Franz Liszt -> Emil von Sauer-> Stefan Askenase) - auch wenn ihn Joachim Kaiser in seinem Buch nicht erwähnet -weil er ja schon bei Erscheinen der ersten Auflage nicht mehr zu den Pianisten "unserer"(1964) Zeit zählte. Es wurde der Künstler, die Persönlichkeit, gefeiert nicht die Leistung bei diesem Konzert...
mfg aus Wien
Alfred
-
Lassen wir einmal ganz junge Leute sprechen. Der 2001 geborene Pianist Robert Neumann, den der Kollege Christian B. vorgestellt und dem Alfred_Schmidt jetzt einen Thread gewidmet hat, kommt hier sehr aufgeschlossen und sehr sympathisch herüber.
Bei der Verleihung des OPUS Klassik nicht minder.
