Kennt jemand Robert Simpson?

  • Ich wage es mal, einen neuen Thread aufzumachen und zwar bezüglich eines englischen Komponisten: Robert Simpson. Er dürfte so ungefähr eines Jahrgangs mit Malcolm Arnold sein, also so 1921 geboren und wie ich mich erinnere vor einigen Jahren gestorben.


    Ich kenne Robert Simpson, da er ein ausgezeichnetes Buch über die Musik von Anton Bruckner geschrieben hat ( er soll auch sehr gute Bücher über Beethoven und Carl Nielsen geschrieben haben). Natürlich war das Buch in Englisch und hat einen inkompetenten Menschen wie mich dann streckenweise doch überfordert. Kennt jemand von euch diese Musik, vor allem seine Sinfonien und kann dazu offen, ehrlich und - vor allem - respektlos Stellung nehmen? Die Engländer halten ja wohl große Stücke auf ihn. Oliver Knussen würde mich auch mal interessieren, das ist einer von den jüngeren englischen Hoffnungen, ich glaube in den 50 ern geboren.


    Wiegesagt, leider habe ich von Robert Simpson noch nichts gehört, würde mich aber sehr interessieren. Die Sinfonien und einiges anderes sind eingespielt, aber leider hochpreisig. Während Malcolm Arnold auch bei Naxos erschienen ist, ist das bei Robert Simpson leider nicht der Fall. Schade, eine Naxos CD würde ich mir auch mal auf blauen Dunst kaufen.


    Gruß Martin

  • Hallo Martin


    Robert Simpson


    wurde im Jahre 1921 in Leamington (Warwickshire) geboren. Schon in frühen Jahren ging er nach London, um dort die Schule zu besuchen. Zwei Jahre lang studierte er Medizin, um die besorgten Eltern zufrieden zu stellen. Er beschloss aber doch dieses Studium aufzugeben, um sich der Musik zuzuwenden, so wie er es immer vorhatte. Einige Zeit studierte er mit Herbert Howells und erwarb mit 30 Jahren seinen akademischen Titel. Im Jahre 1951 wurde er beim BBC angestellt, wo er einige Zeit verblieb. Er starb im Jahre 1997


    Er schrieb elf Sinfonien, die Nielsen-Variationen, etwa fünfzehn Streichquartette und eine Menge weiterer Kammermusik. Vieles ist erst in den achtziger und 90er Jahren entstanden.


    Nielsen ist der Autor von wichtigen Büchern zu Nielsen und Bruckner. Er erhielt mehrere Preise, so die Carl-Nielsen-Goldmedaille (Dänemark) und „The medal of Honour of the Bruckner Society of America“


    Meine persönliche Diskografie:


    Symphony Nr. 3
    Entstanden 1962
    Einspielung LSO, Jascha Horenstein
    Dauer 31 Minuten


    Klarinettenquintett
    Entstanden 1968
    Einspielung mit dem Aeolian String Quartet
    Klarinette Bernard Walton
    Dauer 34 Minuten



    Inzwischen gibt es eine reichhaltige Auswahl an CDS von ihm, die leicht zu ergoogeln sind.


    Gruß Engelbert

  • Hallo Martin,
    Simpson hat als Musikdirektor der BBC vor allem zwei Komponisten gefördert: Anton Bruckner und Havergal Brian, einen britischen Sonderling, der an die 30 sehr merkwürdige Symphonien komponierte - und zwar als er bereits über 70 war!


    Simpsons eigene Musik ist in seinen frühen Werken relativ wenig Bruckner-beeinflusst. Er schreibt eine Musik, die für britische Verhältnisse relativ mden ist. Sie ist dabei nicht einmal extrem dissonant, aber ziemlich herb und lässt jeden sinnlichen Klangzauber vermissen.
    Etwa ab der Fünften arbeitet Simpson dann Einflüsse Bruckners auf, ohne in Kopien zu verfallen. Die Harmonik bleibt herb, basiert meist auf übereinander gestapelten Quinten und Quarten, die Strukturen werden aber weiträumiger.
    In seinen letzten Symphonien ist Simpson dann wirklich Bruckner nahe, man spürt eindeutig, woher sie kommen; aber auch hier vermeidet Simpson die Stilkopie; er komponiert im Geist, nicht im Stil Bruckners - obwohl Bruckners Vorliebe für kantige Themen bei Simpson klare Spuren hinterlassen haben.
    Ich empfehle zwei Symphonien: Die in Großbritannien sehr geschätzte (nicht brucknerische) Dritte, die Simpson Reputation begründete und die Neunte, die ein herrlicher, großdimensionierter Gruß an Bruckner ist.


    Oliver Knussen hat mit Bruckner nichts zu tun: Er war ein echter Avantgardist, dessen Klangvorstellungen von Messiaen und auch etwas von Boulez geprägt sind. Die zweite und die dritte Symphonie überzeugen durch intensive Farben, die Musik ist gelöst von allen Tonartenbeziehungen, Reihentechniken finden Verwendung, ohne zum Gesetz erhoben zu werden.
    In dieser Sprache ist auch die brillante Kinderoper "Die wilden Kerle" nach Sendak geschrieben: Die Brillanz dieses funkelnden Klanges kann fast süchtig machen, die Musik ist rasant und griffig - aber nicht leicht fasslich! (Die Kinder haben vor allem an der Geschichte ihr Vergnügen.)
    Dann kam Knussen, der immer langsam komponierte, leider drauf, auch ein ziemlich guter irigent zu sein. Und so "nebenbei" managte er das Aldeburgh-Festival. Vielleicht kam er dadurch in den Dunstkreis der Britten-Nachfolge - und vorbei war's mit der brillanten modernen Sprache!
    Was Knussen jetzt von sich gibt, sind glänzend instrumentierte Orchester-Miniaturen ohne viel Substanz, sehr hübsch im Klang, dem Kitsch nicht immer abgeneigt.
    Man vergleiche die frühe Zweite Symphonie mit "Fireworks" - und man wird den Niedergang eines brillant begabten Komponisten betrauern!

    ...

  • Lieber Edwin,


    vielen Dank für Dein Posting. Damit läßt sich doch schon etwas anfangen. Ja, ich weiß nicht, vielleicht ist der Simpson für meinen Geschmack ja auch zu modern, aber ich werde ihn mir mal anhören. Die Hamburger Bücherhalle hat immerhin die 11. ( sonst nichts) und die von Dir so in die Nähe Bruckners gesetzte 9. ( was mich als alten Brucknerianer natürlich schon interessiert) gibt es als "limitierte Edition" oder so für 10 Euro und vielleicht hole ich mir die mal, wenn mir die 11. gefallen hat. Oliver Knussen klingt auch nicht uninteressant. "Echter Avantgardist" klingt für mich natürlich wieder abschreckend, Messiaeneinfluß klingt aber nicht schlecht. Ich werde mal sehen.


    Und wie ich schon mal an einem anderen Ort sagte, macht das Radio ( jedenfalls hier im hohen Norden) für Musik nach dem 2. Weltkrieg wirklich gar nichts mehr ( "Dudelfunk" nannte NDR Kultur jemand in einem anderen Thread, der auch aus dieser Ecke kommt). Leider leider, und so kommt man mit dieser Musik dann auch irgendwann gar nicht mehr in Kontakt, es sei denn, man hat Geld wie Heu und kauft sich einfach mal so interessehalber dieses oder jenes, ohne einen großen Schimmer davon, was einen erwartet.


    Gruß Martin

  • Hallo Martin,
    wenn Du auf der Suche nach Musik im Geist Bruckners bist: Schau mal, ob Du an die Dritte Symphonie von Martin Scherber (1907-1974) kommst. Scherber war ein rechter Eigenbrötler, hat sich nicht um das gekümmert, was gerade modern war, und hat eben im Geist Bruckners komponiert. Die erwähnte Dritte, die es bei col legno gibt, steht sozusagen zwischen Bruckner und Simpson - ist aber auch keine reine Bruckner-Kopie.
    Noch ein Tipp: Einojuhani Rautavaara hat mehrere Stile durchlaufen: Seine dritte Symphonie arbeitet mit Zwölftonreihen - damit ist's gesagt, bitte sofort vergessen. Klingen tut sie nämlich wie Bruckners Zehnte. Verblüffend - und unglaublich gut komponiert.


    Knussen dürfte, wenn Du Probleme mit Neuer Musik hast, meiner Einschätzung nach eher nichts für Dich sein. Wenn Du es dennoch versuchen willst: Die Dritte Symphonie ist nicht sehr lang (meiner Erinnerung nach unter 20 Minuten) und bietet die gesamte Bandbreite von Knussens Stil.

    ...

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  • Lieber Edwin,


    der Tip mit dem Rautavaara kommt für mich zu spät, weil ich den schon kenne. Mir gefällt diese Sinfonie auch sehr gut. Hätte ich gewußt, daß das 12 Tonmusik ist, hätte ich sie mir vermutlich gar nicht gekauft. Ich hatte auch keinen blassen Schimmer, wer Rautavaara ist, aber es war halt eine Naxosscheibe und die habe ich mir dann einfach mal so aus Neugier zugelegt ( so kam ich auch zu Malcolm Arnold, daß so etwas mal im Radio gesendet wird, wird ja wohl ein frommer Wunsch bleiben).


    Ich weiß auch gar nicht ( eigentlich gehört es in den 20. Jahrhundertmusikthread, aber hier paßt es auch), ob ich von Hause aus so antimodernistisch eingestellt bin. Ich mag die Lulusuite von Berg ganz gerne, und wenn ich in der Stimmung bin, lege ich mir auch die "kakophonische" 4. von Charles Ives zum Beispiel auf. Charles Ives gehörte für mich in meiner Jugend zu meinen absoluten Lieblingskomponisten ( kenne auch seine Kammermusik zum Beispiel recht gut) und habe dann selbst Vierteltonmusik und dergleichen gehört.


    Aber wie ich schon im meinem Eingangsposting sagte, möchte ich, daß man über moderne Musik "offen, ehrlich und -vor allem - respektlos" spricht. Ich denke, viele moderne Musik kenne ich allein deshalb schon nicht, weil ich irgendwie keiner Meinung, die geäußert wird, überhaupt noch irgendwie traue. Es ist traurig, das zu sagen, aber es ist so.


    Vielleicht darf ich, zur Erläuterung, mal Adorno zitieren:


    "Zahllose Menschen hören wahrscheinlich nach den Kategorien, die ihnen von der öffentlichen Meinung an die Hand gegeben sind. ( ...) Theoretisch wäre das Skelett ihrer Meinung zu konstruieren und dann von der Forschung in charakteristische Thesen zu übersetzen, die den Kreis der Versuchspersonen zur Entscheidung reizte. Modelle für solche Sätze wären etwa: (...)bei Berg komme ich noch mit aber Schönberg, das ist doch zu intellektuell.(...) Viele dieser Invarianten der öffentlichen Meinung basieren auf einer undurchsichtigen, aber äußerst unduldsamen Vorstellung des Normalen."


    Nun ist Adorno wohl im Bereich moderner Musik immer noch sehr einflußreich, er begegnet Dir da überall und Du hörst, selbst wenn er nicht im Spiel ist, bei Anhängern moderner Musik sehr schnell "his masters voice".


    Das Zitat habe ich hier nur rein gestellt, um hier einmal zu demonstrieren, mit welchen argumentativen Methoden nach dem 2. Weltkrieg der Modernismus "durchgesetzt" wurde. Da ist also ein Anhänger der Musik von Berg ( und ein Nichtanhänger der von Schönberg) also eine "Versuchsperson", die sich nach der "öffentlichen Meinung" richtet ( wahrscheinlich weil die Bildzeitung "Reklame" ( Adorno durchaus verhaßt) für die Musik von Alban Berg gemacht hatte und da fand er sie dann gut). Dieser Modernismus ist eine solche unverfrorene Unverschämtheit dem normalen Klassikliebhaber gegenüber, daß man sich dann schon von daher nicht wundern darf, wenn dieser dann seinerseits moderne Musik einfach "nicht ernst" nimmt und sie links liegen läßt.


    Und daß er auch - wie ich - geäußerten Meinungen über moderne Musik schlicht und ergreifend einfach nicht traut. Allerhöchstens dann bei Äußerungen wie "zu dieser Musik finde ich keinen Zugang" hellhörig wird und sie dann in etwa so liest wie ein Arbeitgeber das Arbeitszeugnis eines Stellenbewerbers nach verschlüsselten Botschaften durchsucht.


    Danke für den Tip mit dem Scherber. Diesen Namen habe ich ehrlich gesagt noch nie gehört. Ich werde mal in meiner 5 bändigen Propylen "Welt der Musik" nachsehen, ob da etwas über ihn zu finden ist.


    Gruß Martin

  • Zitat

    Original von Martin_2
    Aber wie ich schon im meinem Eingangsposting sagte, möchte ich, daß man über moderne Musik "offen, ehrlich und -vor allem - respektlos" spricht.


    Warum eigentlich respektlos? Warum fühlt sich so mancher auf den Schlips getreten, wenn man von Mozart respektlos spricht (oder ihn, wie vielleicht in "Amadeus" geschehen) respektlos darstellt, bei anderer Musik wird man dagegen zur Respektlosigkeit aufgefordert? Man ist geneigt, eine gewisse Unverschämtheit zu vermuten...



    Verstehst Du das Zitat wirklich so falsch, oder willst Du es mißverstehen? Anders kann ich mir nicht erklären, was Dich daran stört oder als "unverschämt" aufgefaßt werden könnte...
    Adornos Analyse scheint mir, wenn ich recht verstehe, völlig nachvollziehbar: Sehr viele Menschen hören nach den ihnen von der Gesellschaft vorgegebenen Kategorien. Das ist verständlich, weil es zum einem extrem schwierig ist über etwas komplexes nichtsprachliches wie Musik-Erleben verständlich zu sprechen und die meisten Menschen keine Musikexperten sind, ihnen also kein technisches Vokabular zur Verfügung steht. Daher liegt es nahe, wenn sie über "gefällt mir/gefällt mir nicht" hinausgehen wollen, zu solchen Sätzen wie Adornos Beispielsatz Zuflucht zu nehmen. (Um diese Meinungen der Menschen empirisch zu erforschen müßte man mit Fragebögen aus solchen Sätzen vorgehen).
    Dieser Beispielsatz ist aber offenbar ein ziemlich plattes Klischee und könnte wohl kaum von einem derjenigen, der ihn bejahen würde, begründet werden. Denn sowohl ist "zu intellektuell" ein vages und obendrein tendenziöses (und über Tendenzen von Gesellschaften in denen "intellektuell" schon fast ein Schimpfwort ist, will ich lieber schweigen) Kriterium, als auch dürfte es (insbesondere dem Laien) sehr schwer fallen, zwischen Bergs und Schönbergs Musik Differenzen aufzuweisen, die sich mit dieser Eigenschaft erfassen ließen.
    (Man könnte einen analogen Satz mit einem mittleren und einem späten Beethovenquartett bilden)


    Dem Normalhörer wird also die Unbefangenheit durch die gesellschaftlich vorgegebenen Kategorien genommen, ohne dass er sich dessen bewußt ist und daher sieht er auch gar nicht die Notwendigkeit der kritischen Reflexion solcher Kategorien und der in ihnen gefällten Urteile. Für Adorno und auch da hat er vermutlich recht, ist es naiv zu glauben, man könne solche Unbefangenheit jemals erreichen. Aber ein erster Schritt ist die Bewußtwerdung dieser (impliziten, die stehen meistens nicht ausdrücklich im Feuilleton) Vorgaben der "öffentlichen Meinung".


    Ganz im Gegenteil zu der von dir befürchteten Bevormundung handelt es sich also um ein aufklärerisches Projekt (wie letzlich das meiste bei Adorno, es ist nur so schwer zu fassen und oft verwirrend, weil es immer "negativ" formuliert wird), vulgär ausgedrückt meint er vermutlich ganz Ähnliches wie Teilnehmer hier im Forum, die für Offenheit und Aufgeschlossenheit plädieren.
    Ich habe den Kontext, aus dem Du zitierst, nicht vorliegen. Vielleicht ist meine Interpretation auch nicht richtig. Aber ich kann beim besten Willen nicht erkennen, wie Du Dich durch das Zitat unverschämt behandelt fühlst.
    Ein bißchen mehr Mühe beim Umgang mit solchen zugegeben nicht besonders klaren Texten scheint mir aber aus einem Minimum an Respekt gegenüber dem Autor angebracht zu sein.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Lieber Johannes,


    sicher kann man auch intelligentere Sätze sagen wie: "Arnold Schönberg ist mir zu intellektuell". Darum geht es aber gar nicht. Mir geht es ganz grundsätzlich einmal darum, Menschen und ihre Vorlieben und Meinungen nicht zu bloßen "Objekten der Forschung" zu machen. Schon von daher ist mir die Position des Soziologen zutiefst unsympathisch, weil er sich selber auf den Standpunkt des "Wissenschaftlers" stellt, der andere zu Objekten macht. Ich weiß nicht, ob wir Soziologie nötig haben, aber wenn sie denn noch genießbar sein soll, dann nicht ohne eine gewisse Gebrochenheit und Selbstironisierung der eigenen Position. Aber Adorno geht eine solche Selbstreflexivität jedenfalls völlig ab, wie ihm auch zum Beispiel jeder Humor abgeht. Dafür hätte er dann vermutlich wieder höchst kluge, tiefgründige und humorlose Sachen über die soziologische Rolle des Humors zu sagen gewußt.


    Die Zitate sind übrigens aus der Musiksoziologie, "Öffentliche Meinung, Kritik".


    Ich kann aber zum Beispiel schon mit einem Satz wie "Zahlreiche Menschen hören wahrscheinlich nach den Kategorien, die ihnen von der öffentlichen Meinung an die Hand gegeben sind" ehrlich gesagt nichts anfangen. Ich weiß nicht, Menschen hören Musik und sie gefällt ihnen eben oder sie gefällt ihnen eben nicht. Öffentliche Meinung gibt es, ganz sicher, und natürlich gibt es auch die Prägung des Musikgeschmacks durch öffentliche Meinung, aber es hört doch niemand, außer vielleicht irgendwelchen Dummbeuteln, Musik nur auf Grund einer öffentlichen Meinung. Und gegenüber Klassikliebhabern, mögen sie nun Schönberg mögen oder nicht, ist eine solche Unterstellung einfach nur peinlich.


    Ich empfinde jedenfalls das, was Adorno zu sagen hat, als arrogant, überheblich, verächtlich und vor allem als äußerst undifferenziert. Der Gegner moderner Musik, oder vielleicht auch nur einer bestimmten modernen Musik soll mundtot gemacht werden, er ist intellektuell sozusagen nicht existent, da nur dem Menschen als soziologisch analysierbaren Massenwesen zugehörig. Das ist dann halt so ein Mensch, der auch Jean Sibelius gehört, der sich - nach Meinung von Adorno - zu Mahler verhält wie Beethoven zu einem leichten Poutpourri, da Sibelius ein "Stümper" ist, den offensichtlich nur die verblödeten Massen hören ( im selben Aufsatz). Da kannst Du wieder, wie schon einmal sagen, daß Adorno manchmal ein wenig "überspitze" oder dergleichen. Ach ich weiß nicht, die Gedankenwelt von Adorno ist unantastbar, alles andere ist halt "Überspitzung"? Gott sei Dank übrigens, daß der Mahler nicht nur den Adorno als Fürsprecher hatte, sonst würde ihn vermutlich noch heute kaum jemand kennen.


    Inwiefern Adorno nun "aufklärerisch" sein soll, ist mir ehrlich gesagt nicht klar. Er macht auch in diesem Aufsatz nichts anderes als das, was er immer gemacht hat, den "konditionierten Massengeschmack" und das "Massenurteil" zu kritisieren ( was nun weiß Gott nicht schwierig ist, er schießt da einfach nur mit Kanonen auf Spatzen, und - hurra - er trifft sogar), um dann von einer solchen "Analyse" aus den musikalischen Gegner oder auch nur den, der anderer Meinung ist als er ( zum Beispiel bezüglich Schönberg und Sibelius), gleich mitzuvereinnahmen.


    Das ist keine Analyse, das ist für mich einfach nur die hohe oder besser niedrige Kunst intellektueller Denunziation.


    Gruß Martin

  • Hallo Johannes,
    wenn ich mich nicht ganz täusche, kämpfen wir beide auf der Modernisten-Seite, also lege ich die Vorsicht ab.


    Meiner Meinung nach hat Adorno, was das Propagieren moderner Musik anlangt, Mist gebaut. Er ist ein Schönberg-Apologet, der forderte, dass nach 1945 keine tonale Musik mehr möglich sei, weil Bomben nicht tonal fallen. (Gegenfrage: Fallen sie in Form Schönberg'scher Zwölftonreihen?)


    Adorno also propagierte die Wiener Schule als Allheilmittel, nur war er leider "Partei". Doch statt sich als "Partei" auszugeben, suchte er nach Möglichkeiten, seine Meinung als Wahrheit darzustellen. Und danach auch beim Publikum die Spreu vom Weizen zu trennen: "Bekennst Du Dich zu Wiener Schule und ihren Folgen, bist Du ein musikalischer Mensch, bekennst Du Dich lieber zur 'tonalen' Gegenwartsmusik, hast Du von Musik keine Ahnung."


    Ich selbst erinnere mich an eine heftige Diskussion mit einem Adornianer, der in einem Vortrag sagte, man erkenne die Richtigkeit von Adornos Thesen daran, dass nach 1945 kein einziges tonarten-gebundenes Werk von überzeitlicher Bedeutung geschrieben worden sei.
    Darauf wagte ich den Einwand, dass Schostakowitsch 1945 nicht verstummt sei. Der Adornianer: "Schostakowitsch ist ein Propaganda-Phänomen der Sowjetunion, der zählt nicht". Darauf ich: "Und was ist mit Brittens 'War Requiem'?" Der Adornianer: "Aber sie wollen mir jetzt nicht erklären, dass sie Britten für einen ernsthaften Komponisten halten?" Etwas später folgte der Satz: "Was sich von der Musik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts halten wird, sind vor allem die Werke von Luigi Nono, György Ligeti, Bo Nilsson und Karlheinz Stockhausen." Ich hielt entgegen, meiner Meinung nach würden aus dieser Zeit überleben: Britten, Messiaen mit der "Turangalila" und Schostakowitsch. Er: "Das glauben sie wohl selbst nicht, dass diese Unterhaltungsmusik Überlebenschancen hat!"
    Nun ja, ich glaube es - er, der in österreichischen Neue-Musik-Kreisen ziemlich einflussreich ist, glaubt es noch immer nicht und wartet auf die Wiederkehr Bo Nilssons...
    Wobei mir schon klar ist, dass Adorno selbst weniger schlimm ist als die Adornianer. Aber ganz unschuldig ist er nicht an ihnen.
    So viel dazu.


    Zu Martins Posting: Was wieder einmal, auch bei Martin, ein wenig durcheinander geht: Wenn einem ein Werk nicht gefällt, weil es - subjektiv empfunden - "zu dissonant" ist, bemäntelt man dieses eben nicht fachmännische Vokabular mit "zu intellektuell", soll heißen: "Ich verstehe nicht, warum der Kerl so grausliche Dissonanzen schreibt".


    Wenn man diese kleine sprachliche Unschärfe einmal akzeptiert hat, ist es sonnenklar, was für den "Normalhörer" (damit meine ich jene Hörer, die mit der Neuen Musik durch Sandwich-Programme in Berührung kommen und nicht gezielt nach ihr suchen) der Unterschied zwischen Schönberg und Berg ist: Schönberg ist dissonant, kurzatmig, Melodien können wegen der extremen Intervalle kaum mitverfolgt werden. Berg klingt hingegen wie gesteigerter Mahler, es gibt immer etwas, woran man sich als Zuhörer anhalten kann, und selbst die Zwölftonwerke vermitteln immer noch den Eindruck eines romantischen Schönklangs.


    Ich sehe keinen Sinn darin, jemanden an den Pranger zu stellen, weil er sagt, wie es ihm bei Neuer Musik geht. Wenn sich Martin für Ives und Messiaen erwärmen kann - dann ist er doch sicher nicht einer jener Normalkonsumenten, die bei jedem tonal nicht fasslichen Akkord die Finger in die Ohren stecken, sondern jemand, der bereit ist, sich auf Abenteuer einzulassen.
    Aber diese Abenteuer müssen mit Klugheit unternommen werden. Es bringt nichts, wenn er aufgrund von Stockhausens "Gruppen" beschließt, nie wieder Neue Musik hören zu wollen, wenn er über Messiaen vielleicht zu Murail oder Boulez finden kann.
    Ich bin immer ein Anhänger der sanften Hinführung gewesen. Nur, weil ich selbst über eine Radikalkur zur Musik fand (meine Mutter verordnete mir gegen meine Pop-Orgien als meine ersten Opern "Götterdämmerung", "Elektra" und "Wozzeck", im Konzert war's Mahlers Achte und und Messiaens "Et exspecto" - danach war ich für die Pop-Musik endgültig verloren), glaube ich noch lange nicht, dass sie immer wirken und habe mit meiner homöopathischen Methode (Ähnlichkeitsbehandlung!!!) eigentlich immer ausgezeichnete Erfolge gehabt.

    ...

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  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner


    Zu Martins Posting: Was wieder einmal, auch bei Martin, ein wenig durcheinander geht: Wenn einem ein Werk nicht gefällt, weil es - subjektiv empfunden - "zu dissonant" ist, bemäntelt man dieses eben nicht fachmännische Vokabular mit "zu intellektuell", soll heißen: "Ich verstehe nicht, warum der Kerl so grausliche Dissonanzen schreibt".


    Lieber Edwin,


    danke für Deinen interessanten Beitrag. Allerdings, daß Schönberg "zu intellektuell" ist, habe ich überhaupt nicht gesagt. Das war ein Zitat von Adorno, der wiederum selber sagen wir mal allerlei "Gerede" zitiert. Ich persönlich mag es überhaupt nicht, Dinge zu bemänteln. Ich versuche immer eigentlich ganz einfach zu sagen, was ich von Dingen halte und wie sie bei mir angekommen sind und begründe dies nur, soweit mir hier die sprachlichen und vor allem musikalisch-analytischen Mittel zur Verfügung stehen. Mir ist allerdings - zugegeben - die 12 Tonmusik reichlich suspekt, aber ich werde mich hüten, über den Schönberg der 12 Tonphase irgendwelche Urteile abzugeben. Dazu kenne ich die viel zu wenig. Was allerdings auch wahr ist, ist die Tatsache, daß gerade die Propaganda solcher "Adornianer", wie Du sie nennst, eigentlich immer schon ein Grund war, mich mit dieser Musik erst gar nicht zu beschäftigen. Also wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr. Einem Komponisten, dem es reicht, in solchen Zirkeln goutiert zu werden, mag das zwar genügen, aber für jeden, der außerhalb dieser wahrgenommen werden will, ist Lob von dieser Seite katastrophal. Mag auch sein, daß ich mich allein schon deshalb zum Beispiel für Boulez nie interessiert habe.


    Sicher habe ich die Orchestervariationen Schönbergs mal irgendwann gehört. Von Webern sogar mal das Gesamtwerk ( aber das ist ja auch nicht gerade groß). Hängen geblieben ist da eigentlich auch nur dieses frühe Stück im Sommerwind und "Entflieht auf leichten Kähnen".


    Jedenfalls habe ich - und das ist das entscheidende - gerade auch die deutsche Musik ( welche Unterschiede jetzt zur österreichischen Musikentwicklung bestehen, ist mir nicht bekannt) nie als eine besonders pluralistische empfunden. Selbst wenn ich einem Karl Amadeus Hartmann meinetwegen noch einigermaßen aufgeschlossen gegenüber stehe, den ich auch schon als reichlich modern empfinde, hätte mich jedenfalls eine tonale, selbst konservative Musik nach dem 2. Weltkrieg schon interessiert. Das gehört für mich zum Pluralismus dazu. Wahrscheinlich hat es sie gegeben, aber sie hat es halt nie in die Konzertsäle geschafft. Ob sie gut war oder schlecht ( wie der von der angeführte Scherber), kann ich nicht beurteilen, aber wenn ich die eine Musik nicht hören darf, interessiert mich die andere auch nicht.


    Und übrigens, noch eine Sache, die mir beim Adorno heute übel aufgestoßen ist, ist dieses Klischee vom Bürger, der alle neue Musik leidenschaftlich ablehnt und davon abgeleitet dann historische Parallelen zur neuen Musik. Dabei denke ich dann an eine Schreiberin hier im Forum, die sinngemäß so ungefähr schrieb, sie höre sich so manche moderne Sachen an, obwohl sie sie grauslich finde "wegen Bruckner". Dazu muß ich sagen, daß die historischen Fehleinschätzungen der "bürgerlichen Kultur", die es zweifellos gab, immer viel zu sehr aufgebauscht werden. Es hat Fehleinschätzungen gegeben, wir alle kennen sie, Johann Sebastian Bach wurde maßlos unterschätzt, Bruckner hatte es schwer ( begann sich aber durchaus dann doch schon zu Lebzeiten Bruckners durchzusetzen, das sollte man nicht vergessen!). Und nun ja, Schubert war halt noch sehr jung als er starb( hatte aber durchaus seine Anhänger). Aber im allgemeinen finde ich es ziemlich kurz gegegriffen, auf historischen Fehleinschätzungen herumzuhacken, denn ob unsere Zeit in diesem Punkt genauso gut abschneiden wird wie die vormoderne Zeit halte ich persönlich für sehr zweifelhaft. Sehr gut möglich, daß man die vormoderne Zeit in dieser Hinsicht einmal als durchaus bewundernswert ansehen wird - trotz ihrer Fehler. Das moderne fehlerlose "Übermenschentum" in dieser Hinsicht empfinde ich jedenfalls als äußerst albern. Fehlerlosigkeit ist etwas, was den Streit letztendlich ausschließt, wo keine Fehler mehr gemacht werden, braucht es auch keinen Streit mehr. Eine "Streitkultur" über Musik nach dem 2. Weltkrieg habe ich nie entdecken können. Und gerade vorsichtig in seinen Urteilen zu sein, womöglich noch "wegen Bruckner", man will ja historische Fehler nicht wiederholen, empfinde ich als zu kurz gegriffen. Wer den einen Komponisten, den er nicht gut findet, nicht kritisiert, akzpetiert, daß der dem anderen, der vielleicht besser wäre, "in der Sonne steht". Dieses Urteil mag falsch sein, aber dann ist es eben falsch, dann müssen wir halt akzeptieren, Fehler zu machen.


    Und Rautavaaras 3. ist wirklich nicht schlecht, aber sie "Bruckners 10." zu nennen, wie Du es getan hast, ist mir dann doch entschieden zu hoch gegriffen.


    Gruß Martin

  • Zitat

    Original von Martin_2
    sicher kann man auch intelligentere Sätze sagen wie: "Arnold Schönberg ist mir zu intellektuell". Darum geht es aber gar nicht. Mir geht es ganz grundsätzlich einmal darum, Menschen und ihre Vorlieben und Meinungen nicht zu bloßen "Objekten der Forschung" zu machen. Schon von daher ist mir die Position des Soziologen zutiefst unsympathisch, weil er sich selber auf den Standpunkt des "Wissenschaftlers" stellt, der andere zu Objekten macht. Ich weiß nicht, ob wir Soziologie nötig haben, aber wenn sie denn noch genießbar sein soll, dann nicht ohne eine gewisse Gebrochenheit und Selbstironisierung der eigenen Position.


    Dass Du ganze Wissenschaftszweige im Nebensatz mal so als überflüssig einordnest, findest Du nicht mindestens ebenso arrogant, wie das, was Du Adorno vorwirfst? Entschuldige, aber mir kommt es ganz so vor (erinnert mich etwas an die Lehrer, die nur ihr eigenes Fach für wichtig hielten und gar nicht verstehen konnten, warum manch anders überhaupt auf dem Curriculum steht). Findest Du medizinische Forschung ebenfalls verdächtig oder überflüssig, weil hier Menschen in (meist sehr viel einschneidender Weise als in den Gesellschaftswissenschaften) zu Forschungsobjekten gemacht werden? Wenn ein wissenschaftlicher Text humorvoll ist, mag das nett sein, ist aber nichts, was man gewöhnlich erwarten sollte. Adorno zeigt bestenfalls einen resigniert-grimmigen Humor, man kann die relative Humorlosigkeit indes angesichts der Lebensgeschichte inklusive Emigration und dem Eindruck des kompletten Versagens westlicher Kultur gegenüber der Nazibarbarei etc. durchaus verstehen.


    Übrigens ist Adorno (daher meine zunehmende Verwirrung deiner Interpretation) einer der vehementesten Gegner davon gewesen, Menschen (oder auch Musikstücke) zu bloßen Dingen zu machen (Vgl. das bekannte Zitat, in dem er sagt, er woll doch nichts anderes, als dass die Welt so eingerichtet werde, dass die Dinge um der Menschen willen da sein, nicht die Menschen um der Dinge willen, die sie auch noch zuvor selbst gemacht hätten.)
    Die empirische Soziologie stand ihm u.a. deshalb sehr ferne, er mußte sich zwangsläufig in der Emigration in den USA mit solchen Dingen befassen, um dort akademisch zu überleben; später im sog. "Positivismusstreit" waren die Frankfurter ja gerade die Gegner der "mainstream"-Sozialwissenschaften.


    Zitat


    Ich kann aber zum Beispiel schon mit einem Satz wie "Zahlreiche Menschen hören wahrscheinlich nach den Kategorien, die ihnen von der öffentlichen Meinung an die Hand gegeben sind" ehrlich gesagt nichts anfangen. Ich weiß nicht, Menschen hören Musik und sie gefällt ihnen eben oder sie gefällt ihnen eben nicht.


    Ich habe versucht, diesen, m.E. nicht sehr schwierigen Sachverhalt weiter oben zu erläutern. Wenn Du darauf mit Sätzen reagierst wie
    "Ich weiß nicht, Menschen hören Musik und sie gefällt ihnen eben oder sie gefällt ihnen eben nicht" kommen wir keinen Schritt weiter. Du behauptest einfach kategorisch, ohne Angabe irgendwelcher Gründe, dass das, was Adorno analysieren oder aufklären will, analyseresistent ist. Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum Du, wenn Du dieser Ansicht bist, überhaupt Adorno liest. Das wäre so ähnlich wie wenn ich der Meinung wäre, dass die Planeten eben ihre Bahnen so ziehen, wie es ihnen gefällt, und mir dann ein Buch über Astrophysik anschaue, in dem Kepler, Newton, die Entstehung des Sonnensystems usw. erklärt werden, das aber alles schlicht für unnötig oder unsinnig halte.
    Mit solcher einer Haltung einem Autor wie Adorno Mangel an Reflexionsvermögen vorzuwerfen, grenzt an Dreistigkeit, sorry, aber da fehlen mir wirklich langsam mildere Worte


    Zitat


    Öffentliche Meinung gibt es, ganz sicher, und natürlich gibt es auch die Prägung des Musikgeschmacks durch öffentliche Meinung, aber es hört doch niemand, außer vielleicht irgendwelchen Dummbeuteln, Musik nur auf Grund einer öffentlichen Meinung. Und gegenüber Klassikliebhabern, mögen sie nun Schönberg mögen oder nicht, ist eine solche Unterstellung einfach nur peinlich.


    Im Gegenteil. Es ist vermutllich sogar fast trivial wahr. Schaue Dir mal Beschreibungen von Musik und Interpretationen hier im Forum oder in einem Feullieton an; sie strotzen i.d.R. vor Klischees, nicht weil wir alle so blöd wären, sondern weil man sich diesen kaum entziehen kann. Wenn man es ganz überspitzt sehen will, ist bereits der Versuch etwas sowohl Einzigartiges als auch Augenblickliches wie das ästhetische Erlebnis eines Musikstücks in Begriffe zu zwingen, eine Vergewaltigung.
    So etwas ähnliches meint Adorno, nicht den relativ simplen und leicht durchschaubaren Einfluß z.B. eines prominenten Kritikers auf die Meinung des Publikums. Ein Beispiel, das auch noch ziemlich offensichtlich ist, wäre z.B die Bezeichnung eines Komponisten als "Neutöner" oder "Klassiker". Beide sind klarerweise allles andere als harmlos, sondern auf vielfache Art wertend, oder sogar pejorativ, und sogar "intellektuell" ist ja schmähend verwendbar.


    Zitat


    Ich empfinde jedenfalls das, was Adorno zu sagen hat, als arrogant, überheblich, verächtlich und vor allem als äußerst undifferenziert. Der Gegner moderner Musik, oder vielleicht auch nur einer bestimmten modernen Musik soll mundtot gemacht werden, er ist intellektuell sozusagen nicht existent, da nur dem Menschen als soziologisch analysierbaren Massenwesen zugehörig. Das ist dann halt so ein Mensch, der auch Jean Sibelius gehört, der sich - nach Meinung von Adorno - zu Mahler verhält wie Beethoven zu einem leichten Poutpourri, da Sibelius ein "Stümper" ist, den offensichtlich nur die verblödeten Massen hören ( im selben Aufsatz). Da kannst Du wieder, wie schon einmal sagen, daß Adorno manchmal ein wenig "überspitze" oder dergleichen. Ach ich weiß nicht, die Gedankenwelt von Adorno ist unantastbar, alles andere ist halt "Überspitzung"? Gott sei Dank übrigens, daß der Mahler nicht nur den Adorno als Fürsprecher hatte, sonst würde ihn vermutlich noch heute kaum jemand kennen.


    Man sollte unterscheiden zwischen einzelnen konketen Urteilen Adornos über bestimmte Künstler, die aus heutiger Sicht Fehlurteile sein mögen, oder jedenfalls sehr einseitig und allgemeinen gesellschaftlichen Analysen, die natürlich aus heutiger Perspektive ebenfalls einseitig, dabei aber nicht weniger erhellend und scharfsinnig sein können. Adornos Kritik der Massenmedien in einer Zeit, in der diese noch Waisenknaben waren, hätte man vielleicht mal besser beachten sollte, wenn heute Stefan Raab legal und zum Jodeln der Zuschauer Menschen sozial ruinieren kann, die das Pech hatten, seinen Weg zu kreuzen.
    Man könnte versuchen, zu verstehen, warum Adorno so über Sibelius herfällt (in der Tat muß man das, um dieses Aburteilen überhaupt kritisieren zu können).
    Der Gegner, der auf Adornos Kritik an etwa Sibelius nicht differenzierter zu reagieren vermag als mit "Gefällt mir und vielen anderen eben" und "Musik gefällt halt oder eben nicht" muß nicht mundtot gemacht werden, der ist offensichtlich intellektuell bereits nichtexistent!
    Niemand behauptet, Kant, Hegel, Adorno oder wer auch immer seien unfehlbar. Aber wenn man sie liest wie ein mittelmäßiges Feuilleton und meint, sie mit ein paar lockeren Sprüchen abquailfizieren zu können ohne verstanden zu haben, worum es den Autoren überhaupt geht, hat man sich übel verhoben, bevor man überhaupt mit ernstzunehmender Kritik angefangen hat.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Lieber Johannes,


    ich möchte gar nicht für mich in Anspruch nehmen, Adorno adäquat zu verstehen. Das sind schwierige Texte. Ob allerdings alle Anhänger von Adorno Adorno richtig verstehen, ist eine andere Frage. Wenn man dann allerdings Adorno ins Feld führt, argumentiert man immer "mit einer Autorität im Hintergrund". Und dies gefällt mir nicht.


    Ich habe nicht von mangelndem Reflexionsvermögen von Adorno gesprochen, das wäre ja völlig albern. Ich habe nur von mangelnder Selbstreflexion gesprochen. Und damit meine ich schlicht nichts anderes, daß er überhaupt nicht darauf reflektiert, daß er sozusagen "als Wissenschaftler" "Partei nimmt" und daß dieses Partei nehmen als Wissenschaftler höchst problematisch ist, weil Du dann schnell zum Guru wirst für die, die sich auf Dich berufen. Daß aber Adorno dann für viele zum Guru wurde, ist ja überhaupt nicht zu bestreiten. Ich will im übrigen auch gar nicht Adorno mangelndes Vermögen zur Selbstreflexion unterstellen, ich habe eher den Verdacht, daß ihm daran gar nichts gelegen war und daß er ganz bewußt seine Autorität als Wissenschaftler ( und Alban Berg Schüler) ins Feld geführt hat und zwar in einem Maße, die einem Wissenschaftler völlig unangemessen ist.


    Dein Vergleich von Medizin und Soziologie ( und dann auch noch der Astronomie) stimmt hinten und vorne nicht. Ich will der Soziologie nicht die Daseinsberechtigung absprechen, finde sie aber höchst problematisch. Die Medizin jedenfalls macht den Körper der Menschen allerdings zum Objekt, jedoch nicht den Geist, nicht die Person. Und diesen fundamentalen Unterschied zwischen den sogenannten "harten Wissenschaften" und den Geisteswissenschaften muß man einfach erst mal ziehen. Du ebnest ihn aber mit diesem Vergleich gleich von vorneherein völlig ein. Und damit wird für Dich Adorno zum unangreifbaren Wissenschaftler, während ich doch glaube, daß Aussagen in den Geisteswissenschaften nie in dem Maße absicherbar sind und es auch stets bleiben werden. Und ob wir dann eine solche Geisteswissenschaft tatsächlich brauchen, ist für mich tatsächlich die Frage. Als Guru für verwirrte junge Leute brauchen wir den Geisteswissenschaftler jedenfalls nicht.


    Damit will ich wiegesagt die Soziologie nicht in Frage stellen, vielleicht aber dann doch die Rolle eines arroganten Wissenschaftsgehabes in den Geisteswissenschaften, daß die Wissenschaftlichkeit der eigenen Position gar nicht mehr in Frage stellt. Und wenn dann die Soziologie sich noch anmaßt, Wissenschaft im engeren Sinne zu sein und zum Beispiel wissenschaftliche Aussagen über klassische Musik zu machen, dann lehne ich sie in der Tat ab. Und Herr Adorno durfte durchaus seine Meinung über Sibelius ( und manches andere) haben, allerdings hatte diese in einer sich wissenschaftlich gebenden Vorlesung überhaupt nichts zu suchen.


    Gruß Martin

  • Zitat

    Original von Martin_2
    ich möchte gar nicht für mich in Anspruch nehmen, Adorno adäquat zu verstehen. Das sind schwierige Texte. Ob allerdings alle Anhänger von Adorno Adorno richtig verstehen, ist eine andere Frage. Wenn man dann allerdings Adorno ins Feld führt, argumentiert man immer "mit einer Autoriät im Hintergrund". Und dies gefällt mir nicht.


    Das ist selbstverständlich richtig. Aber auch ohne autoritätshörig zu sein, kann und wird man feststellen, dass genausowenig wie ein berühmter Komponist ohne Substanz berühmt geworden ist, dies auch für berühmte Philosophen u.ä. gilt. Indes bleibt der latente Vorwurf, Adornos Anhänger würden ihn mißverstehen (auch durchaus möglich) eine Unterstellung, solange man nicht zeigt, was sie miß- und man selbst richtig versteht (und das ist eben sehr aufwendig und kaum unterhalb einer Dissertation u.ä. Monographie zu leisten).


    Zitat


    Dein Vergleich von Medizin und Soziologie ( und dann auch noch der Astronomie) stimmt hinten und vorne nicht. Ich will der Soziologie nicht die Daseinsberechtigung absprechen, finde sie aber höchst problematisch. Die


    Der Meinung kann man ja sein, aber warum? Wie ich schrieb fand Adorno selsbt die Soziologie wie sie sich inzwischen als Wissenschaft etabliert hat höchst problematisch. Wenn Du einen Unterschied zwischen Körper und "Geist" aufrechterhalten willst (was die moderne Medizin u.ä. natürlich keineswegs tut) nimm meinetwegen die Psychologie. Findest Du die auch problematisch? Darf "harte Wissenschaft" Menschen zu Objekten erniedrigen? Das ist eine moralische Frage, die höchstens indirekt von der "Härte" der Wissenschaft, die das tun möchte, abhängig sein wird.


    Zitat


    Medizin jedenfalls macht den Körper der Menschen allerdings zum Objekt, jedoch nicht den Geist, nicht die Person. Und diesen fundamentalen Unterschied zwischen den sogenannten "harten Wissenschaften" und den Geisteswissenschaften muß man einfach erst mal ziehen. Du ebnest ihn aber mit diesem Vergleich gleich von vorneherein völlig ein.


    Ja klar. Der Unterschied ist keineswegs selbstverständlich (es gibt ihn wohl, aber nicht in der klaren Schärfe und mit natürlicher Notwendigkeit). Jemand wie Adorno oder jeder ernstzunehmende Philosoph befaßt sich u.a. mit der Kritik oder Rechtfertigung solcher scheinbarer Selbstverständlichkeiten, die ja nicht vom Himmel gefallen sind und die normative und gesellschaftliche Implikationen haben. Die Abgrenzeungskriterien sind keineswegs leicht zu benennen. Die empirische Soziologie (mit der Adorno wie gesagt nicht viel am Hut hatte) ist genauso empirisch wie die Physik. Natürlich befaßt sie sich mit viel komplexeren Systemen und Problemen, daher ist sie in der Tat sehr schwierig und es sind nur selten so klare Ergebnisse zu erwarten wie in der Astronomie. (das spricht aber nicht gegen ihre Wissenschaftlichkeit, auch in der Biologie geht man anderes vor als in der Physik).
    Dien pauschale Abkanzelung der Geisteswissenschaften (zu denen die eher empirische Soziologie nicht gehört) als softes Geschwätz ist zwar populär (gehört heutzutage fast zur "öffentlichen Meinung), aber nicht ohne weiteres haltbar. Ich will das nicht weiter vertiefen.
    Bleibt man einfach bei den Gegenstandsbereichen, so hat natürlich die Msuikwissenschaft Relevantes zur Musik und die Soziologie zu gesellschaftlichen Strukturen zu sagen, auch wenn diese Ergebnisse nicht als mathematische Formeln darstellbar und vielleicht härter umstritten sind.
    Der Ansatz Adornos u.ä. in den 30ern spätestens aber nach dem Naziregime ging gerade davon aus, dass es in die Katastrophe führt, wenn man nur "instrumentelle Vernunft" (überspitzt: die Entwicklung der Technologie, die zur Massenvernichtung notwendig ist) gelten läßt und wie in einer Zeit, in der keine allgemeinverbindlichen religiösen oder moralischen Systeme (also eine allgemein akzeptierte "praktische" oder zielsetzende Vernunft") übergreifend gelten, weiter solche Katastrophen vermeidbar sein könnten, was die gesellschaftlichen Vorbedingungen dafür sind usw.


    Zitat


    Und damit wird für Dich Adorno zum unangreifbaren Wissenschaftler, während ich doch glaube, daß Aussagen in den Geisteswissenschaften nie in dem Maße absicherbar sind und es auch stets bleiben werden. Und ob wir dann eine solche Geisteswissenschaft tatsächlich brauchen, ist für mich tatsächlich die Frage. Als Guru für verwirrte junge Leute brauchen wir den Geisteswissenschaftler jedenfalls nicht.


    Wissenschaflter sind natürlich nicht unangreifbar, das wäre ja ein grobes Mißverständnis jeglicher Wissenschaft.
    Mir scheint der gewisse Einfluß, den Adorno vor 40 Jahren auf "verwirrte junge Leute" hatte wurde schon damals massiv überschätzt, läßt sich aber gewiß auf keinen Fall auf heutige Verhältnisse übertragen (als Guru taugte er bekanntlich schon damals nicht).
    Es kann wohl niemand ernsthaft glauben, der Einfluß von ein paar Professoren wäre heute mit der milliardenschweren Kultur-, Medien und Werbendustrie zu vergleichen. Adornos Texte sind viel zu schwierig, als dass sie zur erfolgreichen Gehirnwäsche taugten. Er mag in den sehr begrenzten Kreisen der Musik und Musikkritik der 50er Jahre einen gewissen Einfluß gehabt haben, der zur Einseitigkeit führte, was aber z.B. Hindemith u.a. gar nicht daran hinderte, damals angesehen und erfolgreich zu sein.


    Ich bin keinesfalls ein Adornianer (habe mich auch nicht ausführlich mit ihm befaßt), aber die tatsächliche Gehinwäsche unserer Zeit (z.B. den Bewohnern der drittstärksten Volkswirtschaft der Welt einzureden, sie müßten endlich mit dem Faulenzen aufhören, um wieder "nach vorne" zu kommen) finde ich derartig erschreckend, da sie zumindest teilweise funktioniert, dass ich wünschte, einiges von Adorno u.ä. würde zu Pflichtlektüre an Schulen (gewiß nicht dei Polemik gegen Sibelius, dass die überzogen oder sogar einfach falsch ist, da bin ich völiig eurer Meinung).


    Zitat


    Damit will ich wiegesagt die Soziologie nicht in Frage stellen, vielleicht aber dann doch die Rolle eines arroganten Wissenschaftsgehabes in den Geisteswissenschaften, daß die Wissenschaftlichkeit der eigenen Position gar nicht mehr in Frage stellt. Und wenn dann die Soziologie sich noch anmaßt, Wissenschaft im engeren Sinne zu sein und zum Beispiel wissenschaftliche Aussagen über klassische Musik zu machen, dann lehne ich sie in der Tat ab. Und Herr Adorno durfte durchaus seine Meinung über Sibelius ( und manches andere) haben, allerdings hatte diese in einer sich wissenschaftlich gebenden Vorlesung überhaupt nichts zu suchen.


    Die Soziologie macht zunächst keine Aussagen über Musik, sondern es ging um das Hörverhalten von Menschen und deren Rezeption von Musik. Das ist schlicht etwas Gesellschaftliches. Nichts, was wir tun, geschieht im luftleeren Raum, sondern in einer Gesellschaft. Daher kann jeder Lebensbereich auch soziologisch erforscht werden (ob das immer fruchtbar ist, ist eine andere Frage, wie in den meisten Forschungsgebieten).


    Nochmal: Du bist wirklich der Ansicht, dass sich über Kunst und Musik nur labern ließe, im Sinne von "gefällt mir/gefällt mir nicht"? Alle die meinen, sich als Kritiker oder Wissenschaftler mit Musik, Ästhetik u.ä. befassen zu müssen, sind auf dem Holzweg, denn sie sagen nicht mehr und nicht weniger als wenn Du oder ich sagen, "Geil, das fetzt aber rein!", nur eben in anmaßendem Jargon??? Das ist nicht dein Ernst!
    Und das arrogante Wissenschaftsgehabe in den Naturwissenschaften ist o.k.? Sch...egal, was dabei herauskommt (Rassentheorie, Bomben, Umweltverschmutzung, Embryonenforschung, was wieß ich)?


    Wie gesagt, ich stimme gern zu, dass die Urteile Adornos über die meisten Nicht-12-Ton-Musiker einseitig (wenngleich vielleicht nachvollziehbar., sofern man seine Sicht der Musikgeschichte teilt) oder auch unfair sind. Den Rest müssen und können wir hier wohl nicht ausdiskutieren. Damit will ich aber nichts abwürgen, sondern bin gerne bereit auch noch weiter zu diskutieren.


    viele Grüße


    JR

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  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Nochmal: Du bist wirklich der Ansicht, dass sich über Kunst und Musik nur labern ließe, im Sinne von "gefällt mir/gefällt mir nicht"? Alle die meinen, sich als Kritiker oder Wissenschaftler mit Musik, Ästhetik u.ä. befassen zu müssen, sind auf dem Holzweg, denn sie sagen nicht mehr und nicht weniger als wenn Du oder ich sagen, "Geil, das fetzt aber rein!", nur eben in anmaßendem Jargon??? Das ist nicht dein Ernst!


    Lieber Johannes,


    ich bin davon überzeugt davon, daß sowohl ich als auch Du sich etwas differenzierter ausdrücken können als "Geil, das fetzt aber rein." Im übrigen achte ich durchaus den ausgebildeten Fachmann in der Musik, der in der Lage ist, Musik in einer Weise zu analysieren, wie ich es nicht könnte. Das mal zu lesen, kann auch durchaus interessant sein.


    Das wichtigste bei der Beurteilung von Musik ist jedoch das Urteilsvermögen. Dies ist nun allerdings mit "fachlicher Kompetenz" durchaus noch nicht abgedeckt. In dieser Hinsicht mag nun trotzdem ein Fachmann dem Nichtfachmann wieder einiges voraus haben. Nur kann gerade die "musikalische Kompetenz" dann in mancherlei Hinsicht auch wieder ein Nachteil sein.


    Mal ganz abgesehen davon, daß auch Fachleute in der Musik oft genug auch "Parteigänger" waren, ist es doch oft genug in der Kunst das "Fachmännische", das dem Fachmann den objektiven Blick verbaut.


    Also da sieht sich meinetwegen ein Fachmann des 19. Jahrhunderts die Musik von Anton Bruckner an und beginnt sie dann mit seinem fachmännischen Instrumentarium zu analysieren und findet dann meinetwegen schlechte Übergänge, plumpe Generalpausen, schlechte Instrumentation, unfaßliche Themen, archaische Wiederholung simpler Motive, unverständliche Weitschweifigkeit uws. usw. Das ist doch nicht nur das plumpe Parteigängertum für Brahms alleine gewesen, warum manche "Fachleute" die Musik Bruckners abgelehnt haben, nein, die haben einfach mit ihrer "Fachkompetenz" eine Musik beurteilt, für die sie sich eigentlich das entsprechende Fachinstrumentarium, die entsprechende Ästhetik erst einmal hätten erarbeiten müssen. Und auch die "Freunde" Bruckners waren durchaus Fachleute und haben dann wieder seine Musik in Wagnerscher oder sonst einer Weise verstümmelt und entstellt. Und noch in einem englischen Buch über klassische Musik von 1934 wurde die Musik von Bruckner und Mahler vollkommen heruntergemacht, weil "Fachleute" die absolute Nichtswürdigkeit dieser Musik längst festgestellt hätten.


    Insofern nun traue ich Fachleuten gerade da, wo man am lautesten nach ihnen schreit, nämlich bei der Beurteilung einer neuen Musik, eigentlich am wenigsten zu.


    Gruß Martin

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  • Hallo Johannes,
    Zitat von Dir:

    Zitat

    Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum Du, wenn Du dieser Ansicht bist, überhaupt Adorno liest.


    Vorsicht! Utendum est et altera pars - man muss auch die Gegenseite hören. Es ist keinesfalls abwegig, Texte zu lesen, deren Inhalte man ablehnt.


    Nun also nochmals Adorno.
    Ich schätze seinen brillanten Verstand, ich bewundere sein präzises Deutsch. Und was seinen subjektiven musikalischen Geschmack betrifft, kann ich - subjektiv - sein ablehnendes Urteil über Karajan verstehen.
    Wenn Adorno über Neue Musik schreibt, habe ich mit ihm ein Problem.
    Warum?
    Normaler Weise geht man in der Philosophie so vor, dass man von zwei oder mehr Thesen zu einer Conclusio kommt.
    Also: These 1 + These 2 -> Conclusio.
    Adorno dreht das geradezu um zu: Conclusio -> These 1, These 2 etc.


    Adornos Conclusio lautet: Zwölftonsystem.
    Und von dieser Conclusio leitet er unerbittlich seine Thesen ab.
    Nun ist es so, dass Adorno selbst komponiert hat, ich glaube, er war Schüler Weberns, und dementsprechend klingen seine Werke. Und ganz zwangsläufig propagiert Adorno nach dem Krieg dann die Seriellen. Diese Seriellen haben zweifellos auf die Strukturierung des musikalischen Denkens großen Einfluss, man kommt aber um die Tatsache nicht herum, dass die ganze Serielle Musik ein einziges überzeitlich bedeutendes Werk hervorgebracht hat, nämlich den "Marteau sans maître" von Pierre Boulez.


    (Boulez selbst hat unmittelbar nachher begonnen, die Serialität aufzuweichen, ein Werk wie "Sur incises" aus jüngerer Zeit hat nicht einmal mehr mit Zwölftontechnik so wahnsinnig viel zu tun, sondern folgt eher eigenen Gesetzen von Akkordtranspositionen und Additionen dieser Transpositionen.)


    Dennoch hat Adorno nie akzeptiert, dass die Serielle Musik nicht der Ausweg aus der Sackgasse, sondern die Sackgasse war.
    All das wäre von untergeordneter Bedeutung und bestenfalls ein Nebenaspekt in einem Expertengespräch, wenn nicht...


    ...wenn nicht dieser Theodor W. Adorno eine Stellung im Musikleben eingenommen hätte, wie in den 80er- und 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts Marcel Reich-Ranicki in der Literatur. Was Adorno sagte, galt für die meisten Verlage (wie UE und Schott), für Kritiker, für Musiker (die sich mit der Kritik nicht überwerfen wollten) etc. Was Adorno sagte, war das Evangelium der Musikästhetik. Adorno war der Musik-Papst der Nachkriegszeit.


    Und seitdem haben wir das Problem mit der Neuen Musik.
    Adorno und das Feuilleton wollten nämlich Komponisten gegen den Geschmack des Publikums durchsetzen und entfremdeten damit das Publikum der Neuen Musik. Die Propaganda zugunsten jener Richtung, die in der direkten Nachfolge Schönbergs und noch eher Weberns stand, entbehrte jeder Relation zur Resonanz.
    Als einige Komponisten, die nicht der Schönberg-Nachfolge angehörten, dann aber doch zu Erfolgen kamen, wurden sie in der Presse regelrecht abgeschlachtet: Man lese, was in den 50er- und 60er-Jahren in deutschsprachigen Medien über Menotti, Poulenc und, als er die Wendung zur Serialität nicht vollzog, sondern wieder tonale Elemente miteinbezog, Hans Werner Henze geschrieben wurde.


    Im gleichen Zeitraum wurde exilierten Komponisten die Wiedergutmachung verweigert, wenn sie zur "konservativen" Richtung gehörten: Korngold, Gal, Toch, Rathaus werden sogar noch bis heute ignoriert, Schreker und Zemlinsky wurden erst Ende der 70er-Jahre wieder entdeckt, Wellesz ganz zaghaft überhaupt erst jetzt.
    Jede Musik, die sinnlich ist, die das Zeug zur Breitenwirkung hat, wurde von Adorno und seinen Anhängern verdammt.
    Nur, dass sich auf der Ebene der Schönberg/Webern-Nachfolge der Erfolg nicht einstellte. Wenn man sich spezialisierte Musikgeschichten dieser Zeit ansieht, kennt man kaum noch die Namen der dort als ukunftshoffnungen gepriesenen Komponisten: Niccolo Castiglioni, Bo Nilsson, Earl Brown, Cornelius Cardew.
    Ergebnis ist eine weitere Zäsur in der Entwicklung: Haben die Nationalsozialisten in ihrem verbrecherischen Wahn die logische Entwicklung aus rassischen und stilistischen Gründen unterbrochen, wurde sie nun aus ästhetisch-ideologischen Überlegungen gestört.
    Und bis zum heutigen Tag klafft seitdem ein tiefer Graben zwischen der Avantgarde und dem Publikum, das sich immer mehr auf die Zeit der Klassik und Romantik bis Richard Strauss zurückzieht.
    Natürlich ist diese Entwicklung nicht die Schuld Adornos. Aber er legte den Grundstein zu dieser Entwicklung.
    Und in Wirklichkeit ging es nicht einmal um ein großes musikphilosophisches Konzept, sondern nur um die ästhetisch-philosophische Untermauerung der eigenen Kompositionen und ihrer stilistischen Sphäre.

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Zitat von Dir:


    Vorsicht! Utendum est et altera pars - man muss auch die Gegenseite hören. Es ist keinesfalls abwegig, Texte zu lesen, deren Inhalte man ablehnt.


    Das meinte ich selbstverständlich auch nicht. Martin gab aber einem sehr weitreichenden Skeptizismus bezüglich der Möglichkeit oder des Sinns von Soziologie, Musikkritik usw. Ausdruck. Wenn man meint, dass Geschmacksäußerungen, Musikvorlieben usw. und ihre gesellschaftliche Bedingtheit und Relevanz nicht analysierbar sind, ist es eigenartig, sich mit einer schwierigen und eigenwilligen Analyse genau solcher Fragen zu befassen.



    So einfach ist es nicht. Adornos Hegelianisch-Marxistisches Geschichtsbild (das vielleicht einseitig, aber gewiß nicht völlig blöd ist) bringt ihn dazu, dass man hinter gewisse Entwicklungen nicht zurückgehen kann, in diesem Fall eben die von der Tonalität über freie Atonalität zur 12-Ton-Methode.
    Die Verknüpfung von Kunst und gesellschaftlichen Entwicklungen führt dann zu der Vehemenz mit der angeblich "Reaktionäres" abgelehnt wird; bei einem jüdischen Emigranten zumindest aus biographischen Gründen nachvollziehbar, wenn auch aus heutiger Perspektive gewiß stark übertrieben.



    Ich kann das nicht beurteilen (weil ich damals nicht auf der Welt war und mich auch nicht ausführlich mit der Zeit befaßt habe), es scheint mir aber übertrieben. Der Einfluß mag in den Kreisen der Avantgarde stark gewesen sein, aber soweit ich weiß war z.B. Hindemith, der ja nun nicht gerade seriell schrieb, in den 50ern/60ern ein hochangesehener und präsenter Komponist. Der große politische Skandal fand bei der (dann gescheiterten) Aufführung von Henzes (höchsten mäßig avantgardistischen) Floß der Medusa statt usw. Wie ich schon sagte, der Einfluß eines Professors ist gewiß da, aber kein Vergleich zur einer millionschweren Musikindustrie.
    Natürlich ist es pervers, wenn ein Vertreter der "Kritischen Theorie" mit ihrer extremem Skepsis und Ablehnung von Autoritäten papstähnlichen Einfluß genießt. Ich weiß auch nicht, woran so etwas liegt.


    Zitat


    Natürlich ist diese Entwicklung nicht die Schuld Adornos. Aber er legte den Grundstein zu dieser Entwicklung.
    Und in Wirklichkeit ging es nicht einmal um ein großes musikphilosophisches Konzept, sondern nur um die ästhetisch-philosophische Untermauerung der eigenen Kompositionen und ihrer stilistischen Sphäre.


    Wie gesagt, das halte ich für falsch (denn dass seine eigenen Kompositionen nicht wirklich außerordentlich waren, muß TWA klar gewesen sein). Das geschichts und gesellschaftsphilosophische Konzept (ein "großes Konzept" ist es auch nicht, denn "das Ganze ist das Unwahre" :D ) führt mit einer gewissen Konsequenz zu dieser musikästhetischen Position (soweit ich das verstehe, ich kenne wirklich nur die grobe Linie seiner Philosophie, nicht die Details der Ästhetik)
    Dass diese extrem einseitige Verteidigung der Schönberg-Webern-Richtung verfehlt war, würde ich nie bestreiten. Es ging mir gar nicht um die inhaltliche Kritik Adornos an bestimmten anderen Richtungen neuer Musik, sondenr hauptsächlich um Martins Kritik (m.E. auf Mißverständnissen beruhend) an einigen sehr allgemeinen Aussagen zum Verhältnis von Musik und Gesellschaft.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
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  • Lieber Johannes,
    offenbar ist das eines der wenigen Foren, in dem man Leute trifft, die über den Foren-Tellerrand hinaus gebildet sind!
    Also:

    Zitat

    So einfach ist es nicht. Adornos Hegelianisch-Marxistisches Geschichtsbild (das vielleicht einseitig, aber gewiß nicht völlig blöd ist) bringt ihn dazu, dass man hinter gewisse Entwicklungen nicht zurückgehen kann, in diesem Fall eben die von der Tonalität über freie Atonalität zur 12-Ton-Methode.


    Stimmt völlig! Aber Du argumentierst INNERHALB von TWAs Thesen. D.h., wenn Du das sagst, akzeptierst Du TWAs Postulat, dass die Zwölftontechnik ein Fortschritt ist.


    Betrachtet man die Entwicklung von AUSSEN, dann stellt sich die prinzipielle Frage, ob die Zwölftontechnik ein Fortschritt ist. Es gibt noch andere Denkmöglichkeiten, ohne sie als Rückschritt zu bezeichnen. Es könnte eine Parallelerscheinung sein, eine Alternative etc. Aber dieses Denken der vielen gleichberechtigten Möglichkeiten, also den Pluralismus, hat erst die Postmoderne als ästhetische Möglichkeit zugelassen.
    Das Bekenntnis zu einem System, das sich weder systemimmanent legitimiert (siehe die Konflikte über das System innerhalb der seriellen Gemeinde, etwa der Konflikt zwischen Boulez und Stockhausen) noch durch die Akzeptanz seitens der mit dem System konfrontierten Masse (im konkreten Fall: Zuhörer), halte ich für bedenklich; und vor allem nicht für fortschrittlich, sondern für konservativ, wenn man konservativ als "festhaltend an Bestehendem" definiert. Also war TWA im Grunde konservativ.


    Der große kulturelle Skandal war nicht Henzes "Floß" (das war ein politischer Skandal, weil Henze auf dem Podium einen Gruß an Che Guevara anbringen ließ und im Schlussteil das Schlagzeug skandieren lässt "Ho-Ho-Ho-Chi-Minh"). Der große Skandal war die Uraufführung von "König Hirsch". Der Dirigent (Scherchen!) hatte die Arien herausgestrichen mit dem Argument "Heute schreibt man keine Arien mehr", und einige Anhänger der Seriellen Musik auf der einen und ein paar Ultrakonservative auf der anderen Seite verwandelten die Oper in ein Schlachthaus mit dem armen "Hirsch" als Opfer.


    Andererseits: Was für eine Zeit, als den Menschen eine ästhetische Frage noch die Aufregung wert war!

    ...

  • Zurück zu Simpson:


    Weder Brockhaus, Noch "Das groß Musiklexikon" von Bärenreiter, noch der Harenberg Konzerführer findet ihn einer Erwähnung für würdig, weder als Komponist, noch als Buchautor - der er auch war.


    Ich besitze seit einiger Zeit die hyperioon Aufnahme der 3. und 5. Sinfonie.
    Heute habe ich mich dazu aufgerafft erstmal die 3. zu hören. Der Eindruck ist zwiespältig. Ich kann nur wenig Bruckner drin erkennen, mir persönlich kommt das Werk eher wie ein Verschnitt von Shostakowitsch und Holst vor -weniger formal als stimmungsmäßig.Eine Mischung aus tonal und atonal, spröde aber nicht uninteressant.


    [jpx=7231741]200[/jpx][jpx=7231741]120[/jpx][jpx=7231741]90[/jpx]
    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • und Mahlzeit.


    Wer noch keine Simpson-Symphonie besitzt, aber doch Interesse hat sich intensiv mit ihm zu beschäftigen, dem sei folgende Box mit sämtlichen Symphonien empfohlen :



    Das sind 7 CD's für 50 Euro, im Schnitt also mal ... äähh ... wo ist mein Taschenrechner ... gar nicht mal so viel - ich besitze diese Box, und sie war für mich (neben Ferdinand Ries) die Entdeckung in 2006. Besonders haben es mir die Symphonien Nr 5 - 10 angetan, schroff, abwechslungsreich, hochinteressant. Wobei ich allerdings zugeben muss, dass ich dabei nicht einmal an Bruckner gedacht habe. Aber das macht nichts, die Musik spricht für sich.

    Es wird immer weitergehn, Musik als Träger von Ideen.

    Kraftwerk

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