Dem Komponisten Carl Loewe ist hier bereits ein eigener Thread gewidmet. Anders als jener ist dieser, und daraus leitet sich sein Anspruch auf Eigenständigkeit her, nicht auf eine aspekthafte Betrachtung des allgemeinen kompositorischen Schaffens von Loewe ausgerichtet, vielmehr will er, und dies auf systematische Weise, einer speziellen Frage nachgehen. Carl Loewe gilt ganz allgemein, aber auch aus der Sicht der Musikwissenschaft, als der Größte und der Bedeutendste unter den deutschen Balladenkomponisten. Dieser Sachverhalt wirft die Frage nach den Gründen auf, und um diese soll es hier gehen.
Konkret beinhaltet das eine analytische Betrachtung seines Balladenschaffens mit dem Ziel, die spezifische Eigenart seiner musikalischen Balladensprache zu erfassen und ihre Singularität herauszufinden. Methodisch dürfte das am ergiebigsten sein, wenn man sich dabei nicht auf ausgewählte Loewe-Balladen beschränkt, sondern nach dem Prinzip der komparativen Analyse andere Vertonungen eines Balladentextes in die Betrachtung einbezieht.
Auf diese Weise dürfte die spezifische Eigenart von Loewes Balladenkomposition besonders sinnfällig werden. Der Schwerpunkt meiner Beiträge zu diesem Thread wird also auf solchen Loewe-Balladen liegen, zu denen Vertonungen anderer Komponisten vorliegen, aber natürlich werde ich mich auch auf solche einlassen, die zu jenen zählen, die besonders beeindruckend sind und das musikhistorischen Überleben Loewes bewirkt haben. Denn mit seinem sonstigen vielgestaltigen kompositorischen Schaffen ist ihm das - und wohl auch aus sachlich guten Gründen - nicht gelungen.
Anders als ich bislang üblicherweise beim Start von liedmusikalischen Threads verfuhr, verzichte ich hier auf allgemein gehaltenen Vorab-Ausführungen zum liedmusikalischen Werk des Komponisten, den kompositorischen Intentionen, die er darin verfolgte und die Entwicklung, die er darin genommen hat. Dieser Thread ist angelegt auf eine Teilnahme an dem Weg, den einer einschlägt, eine Antwort auf all die Fragen zu finden, die sich ihm bei der Beschäftigung und Auseinandersetzung mit dem Werk eines Komponisten, hier also den Balladen Loewes, gestellt und aufgedrängt haben.
Der Begriff „Teilnahme“ beinhaltet dabei zunächst einmal die erhoffte und erwünschte, über das Lesen stattfindende Rezeption, aber auch die - und in noch höherem Maße erwünschte - aktive Beteiligung an diesem Weg der analytischen Betrachtung von Loewes Balladenkompositionen in der Absicht, deren spezifische Eigenart und die daraus sich ergebende musikhistorische Singularität von Loewes Balladen-Werk zu erfassen.
Was die methodische Verfahrensweise anbelangt, so erscheint es mir sinnvoll, den hier zu beschreitenden Weg in einzelne Kapitel zu untergliedern, mit einer Loewe-Ballade als Zentrum und den jeweils zum Vergleich herangezogenen Vertonungen von deren Text durch andere Komponisten in der Peripherie. Erst bei jenen Balladen, bei denen solche nicht mehr vorliegen oder irrelevant sind und deren Vorstellung und Besprechung anschließend erfolgen soll, ist eine solche Kapitel-Gliederung nicht mehr erforderlich.
Carl Loewe. Seine Balladen, vorgestellt und betrachtet im Vergleich mit Vertonungen des Textes durch andere Komponisten
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Kap.1: „Edward“
Dein Schwert, wie ist’s von Blut so rot, Edward, Edward!
dein Schwert, wie ist’s von Blut so rot
und gehst so traurig da? O!
Ich hab’ geschlagen meinen Geier tot, Mutter, Mutter!
ich hab’ geschlagen meinen Geier tot
und das, das geht mir nah’. O!
Deines Geiers Blut ist nicht so rot, Edward, Edward!
deines Geiers Blut ist nicht so rot,
mein Sohn, bekenn’ mir frei. O!
Ich hab’ geschlagen mein Rotroß tot, Mutter, Mutter!
ich hab’ geschlagen mein Rotroß tot
und ‘s war so stolz und treu. O!
Dein Ross war alt und hast’s nicht not, Edward, Edward!
dein Ross war alt und hast’s nicht not,
dich druckt ein andrer Schmerz.
O! Ich hab’ geschlagen meinen Vater tot, Mutter, Mutter!
ich hab’ geschlagen meinen Vater tot,
und das, das quält mein Herz’! O!
Und was wirst du nun an dir tun? Edward, Edward!
und was wirst du nun an dir tun?
mein Sohn, das sage mir! O!
Auf Erden soll mein Fuß nicht ruh’n, Mutter, Mutter!
auf Erden soll mein Fuß nicht ruh’n,
will wandern über’s Meer! O!
Und was soll werden dein Hof und Hall? Edward, Edward!
und was soll werden dein Hof und Hall?
so herrlich sonst, so schön. O!
Ach, immer steh’s und sink’ und fall’! Mutter, Mutter!
Ach, immer steh’s und sink’ und fall’,
ich werd’ es nimmer seh’n! O!
Und was soll werden aus Weib und Kind? Edward, Edward!
Und was soll werden aus Weib und Kind,
wenn du gehst über’s Meer? O!
Die Welt ist groß, lass’ sie betteln drin, Mutter, Mutter!
Die Welt ist groß, lass’ sie betteln drin,
ich, ich seh’ sie nimmer mehr! O! O!
Und was soll deine Mutter tun? Edward, Edward!
Und was soll deine Mutter tun?
mein Sohn, mein Sohn, das sage mir. O! O!
Der Fluch der Hölle soll auf euch ruh’n, Mutter Mutter!
Der Fluch der Hölle soll auf euch ruh’n,
denn ihr, ihr rietet’s mir! O!
Diese Ballade veröffentlichte Herder 1773 in seiner Sammlung „Von deutscher Art und Kunst“. Sie stellt eine Übersetzung einer schottischen Ballade dar, die er in Thomas Percy´s „Reliquies of Ancient English Poetry“ von 1765 vorfand. Goethe präsentierte er sie brieflich mit den Worten „Noch lege ich ein altes, recht schauderhaftes schottisches Lied bei, das ich unmittelbar aus der Ursprache habe. Es ist ein Gespräch zwischen Mutter und Sohn, und soll im Schottischen mit der rührendsten Landmelodie begleitet seyn“.
Eine eigenartige Faszination muss von diesem in der Tat ja „schauderhaften schottischen Lied“ auf Komponisten ausgegangen sein, denn es wurde vielfach (acht Mal) vertont, neben Loewe und anderen, weniger bekannten Komponisten auch von Schubert und Johannes Brahms. Dieser wurde, nach eigenem Bekenntnis, von dieser Ballade auch zu seiner Klavierballade op.10 inspiriert, einer Art musikalischer Nachdichtung.
In ihrer Anlage aus sieben prosodisch gleich angelegten Strophen weicht diese Ballade von den für die Gattung „Ballade“ typischen Strukturmerkmalen ab. Der Inhalt entfaltet sich nicht wie ansonsten üblich auf narrative, im Tempus Perfekt oder Imperfekt erfolgende Art und Weise, vielmehr in Gestalt eines Gesprächs zwischen dem Protagonisten Edward und seiner Mutter, und dies als Vergegenwärtigung vergangenen Geschehens. Gegenwart verkörpern die Worte der Mutter. Die für die Ballade typische Narration, das Sich-Konstituieren vergangenen Geschehens ereignet sich in den Worten des Sohnes Edward, aber diese sind als dialogische Rede angelegte ebenfalls solche temporale Gegenwart, und ihr dialogischer Charakter erfährt in jeder Strophe eine markante Intensivierung durch die sich gleichförmig formelhaft wiederholende Anrede „Mutter“ und die schmerzerfüllten, seine Befindlichkeit offenbarenden Ausrufe „O“ am Ende jeder Strophe.
Diese, die Anlage betreffenden Sachverhalte sind von großer Bedeutung, denn daraus erklärt sich die so große Wirkung, die von dieser Ballade ausgeht. So kommt nämlich auf ungewöhnlich ausgeprägte Weise der Faktor Dramatik in das Geschehen. Das sich normalerweise in einer Ballade narrativ konstituierende Geschehen liegt hier als vergangenes, also abgeschlossenes vor, wird aber im Gespräch situativ in die Gegenwart geholt, von Strophe zu Strophe schrittweise rekonstruiert, durch die dialogische Bipolarität von Sohn und Mutter dramatisch aufgeladen und mittels der anwachsenden Grausamkeit des in die Gegenwart tretenden, im Vatermord aufgipfelnden vergangenen Geschehens in dieser Dramatik auf die Spitze getrieben, um dann in einer Art Knall-Effekt zu enden. Denn die bislang als Abwieglerin des schuldbewusst auftretenden und zu dieser Schuld sich bekennenden Sohne auftretende Mutter erweist sich auf höchst effektvolle Weise erst im allerletzten Vers als Anstifterin zu diesem Vatermord, womit der Fluch verständlich wird, den der Sohn in den beiden Versen davor über sie niedergehen ließ.
Auf die strukturellen Merkmale der Ballade wurde deshalb in dieser detaillierten Weise eingegangen, weil sie sich als relevant für die Frage erweisen, wie der Text auf adäquate Weise in Liedmusik umzusetzen ist, also auch die Frage, wie diesbezüglich die vorliegenden Vertonungen von Schubert, Loewe und Brahms zu beurteilen sind. Dieser soll nun nachgegangen werden, und das zunächst anhand der Schubert-Komposition, obwohl diese zeitlich später als die Loewes entstanden ist. Dies deshalb, weil sich deren spezifische Eigenart auf dem Hintergrund der Schubert-Version umso markanter abzeichnen dürfte. Es gibt übrigens keinen historischen Quellenbeleg dafür, dass Schubert Loewes Ballade kannte, obwohl diese 1824 bei Schlesinger im Druck erschienen war. Wohl aber kannte Brahms sie, orientierte sich an ihr sogar, Bewunderer von Loewe, als der er sich bekannte.
Franz Schubert, „Eine altschottische Ballade“, op. post. 165, 5 (D 923)
Im September 1827 komponierte Schubert diese Ballade. Sie ist, und das ist eigentlich erstaunlich, nach dem Modell der Berliner Schule als reines Strophenlied für eine „weibliche“ und eine „männliche Stimme“ angelegt. Das heißt: Die der Mutter zugehörigen Verse und die Edwards weisen durchweg die gleiche Melodik und einen identischen Klaviersatz auf. Damit begibt Schubert sich der Möglichkeit, die affektive Dimension des Balladentextes in ihrer prozessualen Entwicklung und die damit einhergehende Dramatik, musikalisch zu erfassen. Und nicht nur das ist bemerkenswert. Auch die Struktur von Melodik und Klaviersatz sind von einer für den Schubert des Jahres 1827 geradezu verwunderlichen Simplizität. Dieser besteht durchweg aus schlichten Akkordfolgen. Nur zwei Mal ereignet sich darin eine Verbindung in Gestalt eines zweischrittigen Achtel-Sekundfalls.
Dabei scheint Schubert sich mit dieser Ballade durchaus intensiv kompositorisch beschäftigt zu haben, denn es liegen drei Fassungen davon vor. Sie unterscheiden sich allerdings nur wenig. Irgendwie scheint er damit nicht so recht zurande gekommen zu sein. Ich vermute mal, dass dem Wiener, der überdies als Liedkomponist wesenhaft ein Lyriker war, dieser Balladentext in seiner nordisch-finsteren Blutrünstigkeit ganz und gar unzugänglich und fremd geblieben ist. -
Franz Schubert, „Edward“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage
Ein Sechsachteltakt liegt der Musik zugrunde, zwei „Bs“ sind als Grundtonart vorgeben, B-Dur und seine Moll-Parallele also, und die Vortragsanweisung lautet „Agitato“. Ein fünftaktiges Vorspiel geht dem Einsatz der Melodik voraus. Es ist, wie der ganze Satz der Ballade, schlicht angelegt: Drei Takte lang erklingt eine im Grundtakt rhythmisierte D-Oktave, dann ein taktlang gehaltener D-Dur-Akkord, der im fünften Takt in einen lang gehaltenen, mit einer Fermate versehenen sechsstimmigen g-Moll-Akkord übergeht.
Das sagt musikalisch nicht viel, vielleicht nur, dass sich nachfolgend ein Einbruch von schmerzlichem Geschehen in eine wesenhaft einfache Lebenswelt ereignet. Im übrigen nimmt die Tonrepetition des Vorspiels die Melodik voraus, in der die „weibliche Stimme“ auf den Worten „Dein Schwert, wie ist’s von Blut so rot“ einsetzt. Sie stellt bis zum dem Wort „vom“ eine exakte Wiederholung derselben dar, ist also ebenfalls auf der tonalen Ebene eines „D“ in tiefer Lage angesiedelt und in g-Moll harmonisiert. Erst bei „Blut so rot“ geht die melodische Linie silbengetreu zunächst in einen Sekundschritt aufwärts über, und danach beschreibt sie nach einem Terzfall einen Quintsprung, der auf „rot“ in eine kleine Dehnung mündet, die diesem Wort eine Akzentuierung verleiht.
Das Klavier begleitet diese Melodiezeile mit einer Folge von dreistimmigen Terzenakkorden im Diskant und synchronen Quinten im Bass, die aber bei den Worten „Blut so“ zu Oktaven werden, was dem Klaviersatz kurz eine größere klangliche Fülle verleiht. Gleichwohl liefert er, und das gilt für die ganze Liedmusik, keinen eigenen textinterpretatorischen Beitrag, sondern erschöpft sich funktional darin, der melodischen Linie ein klangliches Bett zu bereiten. Das ist in der Tat beste Berliner Schule nach dem liedmusikalischen Grundmodell von Johann Friedrich Reichardt.
Den Ausrufen kommt in dieser Ballade eine große Bedeutung zu, hat man sie doch wohl so zu verstehen, dass sich in ihnen bei Mutter und Sohn eine Steigerung der dialogisch-extrovertierten Grundhaltung ins Extrem ereignet und sich dabei der seelische Innenraum ganz und gar nach außen öffnet. Als Leser der Ballade vernimmt man im Verlauf des Dialogs zwischen den Beiden unterschiedliche und wachsende Grade der Erregung in diesen Ausrufen, vor allem in den „Mutter“-Anrufen Edwards, aber auch in dessen schmerzerfülltem Klageruf „O“, zumal dieser mehrfach repetiert.
Alle diese Sachverhalte finden in Schuberts Liedmusik keine angemessene Berücksichtigung. Letzteres allein schon dadurch nicht, dass er sich bei der Vertonung für das Strophenlied-Konzept entschieden hat. Aber auch in zweifachen „Edward“-Ausruf legt er keine sonderliche Expressivität. Bei ersten Mal liegt darauf ein leicht gedehnter Quintfall, der vom Klavier mit einem lang gehaltenen fünfstimmigen D-Dur-Akkord begleitet wird, beim zweiten Mal wiederholt sich diese melodische Fall-Figur, nur dass sie nun auf einer um eine Sekunde angehobenen tonalen Ebene ansetzt, sich nur noch über das kleinere Intervall einer Terz erstreckt und von einem wiederum taktlang gehaltenen fünfstimmigen g-Moll begleitet wird.
Bemerkenswert dabei ist, dass sich hier im Notentext keinerlei Crescendo findet. Die Melodik verbleibt im Piano, mit dem sie einsetzte, und das ist auch weiterhin so, die ganze Frauen-Strophe über, ebenso im Klaviersatz. Das kann man so verstehen, dass die Mutter den Anrede-Ausruf „Edward“ beim zweiten Mal aus seiner ohnehin nur geringfügigen Extrovertiertheit leicht zurücknimmt, dafür aber mit der Komponente Schmerzlichkeit versieht. Bei der Wiederholung der Worte „dein Schwert, wie ist’s von“ bleibt die melodische Linie bei ihrem repetitiven Gestus, nur dass sie nun zur Steigerung ihrer Expressivität auf einer um eine Sexte angehobenen tonalen Ebene angesiedelt ist, der eines „B“ in mittlerer Lage also, und auch bei den Worten „vom Blut so rot“ (es heißt bei Schubert „vom“, nicht „von“) ereignet sich eine solche Steigerung, indem die melodische Linie dieses Mal einen zweischrittigen Achtel- Anstieg “ in Gestalt einer großen und einer kleinen Sekunde
von der Ebene des „B“ zu der eines „Des“ vollzieht und zu „rot“ in einen ausdrucksstarken verminderten Sextfall übergeht. Schließlich modifiziert Schubert auch die Harmonisierung der in dieser Weise variierten Melodik. Die sechs sie in Diskant und Bass begleitenden vierstimmigen Viertel-, bzw. Achtelakkorde erklingen in verminderter E-Harmonik. -
Schubert, „Edward“ (II)
Die tonale Ebene des „F“ in unterer Mittellage, auf dem die melodische Linie bei ihrem verminderten Sextfall auf „so rot“ ankommt, behält sie bei den Worten „und gehst so traurig da?“ bei, um hier in einer sechsmaligen Repetition zu verharren, in der sich nur einmal, nämlich bei dem Wort „traurig“, ein Legato-Sekundsprung mit nachfolgender Rückkehr ereignet, - eine behutsame Akzentuierung dieses Wortes also. Erst b-Moll- dann F-Dur-Akkorde begleiten nun diese repetitiven melodischen Schritte, nur beim letzten, jenem auf dem Wort „da“ ereignet sich eine harmonische Rückung nach g-Moll. Und dann, nach einer Achtelpause erklingt auf dem Ausruf „O!“ eine lang gehaltene, sich über eineinhalb Takte erstreckende melodische Dehnung auf der Ebene eines „B“ in mittlerer Lage. Das Klavier trägt dazu einen taktlang gehaltenen sechsstimmigen es-Moll-Akkord bei, der allerdings erst nach einer Dreiachtelpause nach dem Einsatz der melodischen Linie einsetzt und am Ende legato in einen B-Dur-Akkord übergeht.
Das alles ist, vom vorwiegend repetitiven deklamatorischen Gestus der Melodik, ihren geringfügigen Abweichungen davon bis hin zum Verharren in der langen Dehnung auf dem „O!“ von bemerkenswerter liedkompositorischer Schlichtheit. Allein die Harmonisierung mutet ein wenig komplexer an und steigert die eigenartig verhaltene, jeglichen Ausbruch daraus scheuende Expressivität der Melodik. Bei Schubert ist diese „Mutter“ der weibliche Teil eines Dialogs, in dem sich seelisch wenig ereignet, schon gleich gar keine Wandlung im Sinne eines Beschwichtigens oder gar Widersprechens und Beschwörens. Dialogisch verharrt sie in einer nur wenig von den Äußerungen des Sohnes seelisch berührten Haltung des Konstatierens und wagt sich nur auf eigenartig behutsame Weise in die einer eindringlichen Ansprache vor. Vielsagend ist in diesem Zusammenhang, dass Schubert den lang gehaltenen und Schmerzlichkeit ausdrückenden es-Moll-Akkord auf dem „O!“-Ausruf dieser Mutter legato in einen B-Dur-Akkord übergehen lässt. In seinen Augen ist sie wirklich in keiner Weise seelisch tangiert von dem, was sie von ihrem Sohn Edward an Schrecklichem zu hören bekommt.
Bevor dieser mit seiner Melodik auf den Worten des vierten Verses der Strophen einsetzt, erklingt nach einer Dreiachtelpause als kurzes Zwischenspiel im Pianissimo ein taktlang gehaltener sechsstimmiger F-Dur-Akkord, der in einen b-Moll-Akkord übergeht und damit zur Harmonisierung der nachfolgenden Melodik überleitet. Auch diese ist, wie die der Mutter, stark von repetitiver Deklamation geprägt. Bei den Worten „Ich hab’ geschlagen meinen“ verharrt sie, in b-Moll harmonisiert, in syllabisch exakter Deklamation auf der Ebene eines „F“ in unterer Mittellage. „Ritenuto“ lautet die Vortragsanweisung, und das Piano gilt als dynamische Vorgabe weiterhin.
Bei den Worten „Geier tot“ beschreibt sie strukturell die gleiche Figur wie die „Mutter“-Melodik auf den Worten „Blut so rot“, nur setzt der anfängliche Terzfall nun auf einem „Ges“ in tiefer Lage ein, und er ist als ein verminderter in es-Moll harmonisiert. Der nachfolgende Sprung erfolgt, wie bei der Mutter, über das Intervall einer Quinte. Auch bei dem Anrede-Ausruf „Mutter, Mutter“ verfährt Schubert im Prinzip so wie in der Mutter-Strophe: Der erste gedehnte Fall erfolgt über das Intervall einer Quinte, setzt aber eine Terz höher an und wird mit einem taktlang gehaltenen F-Dur-Akkord begleitet. Der zweite Fall beginnt höher, dieses Mal auf der Ebene eines hohen „Des“, das Fall-Intervall ist aber wieder eine Terz. Der zugeordnete fünfstimmige Akkord ist nun einer in b-Moll.
In der Melodik auf den Worten „ich hab’ geschlagen meinen Geier tot“ weicht Schubert nun aber deutlich von dem entsprechenden Vers der Mutter-Strophe ab. Sie ist in der Struktur komplexer und dieses Mal fallend angelegt. Insofern reflektiert sie den schrecklichen Gehalt des Geständnisses im zweiten Vers aller Balladenstrophen. Zwar setzt die melodische Linie wieder mit einer silbengetreuen deklamatorischen Repetition auf der Ebene eines „B“ in mittlerer Lage ein, aber sie ist nun in dissonante Harmonik gebettet, wird von siebenstimmig verminderten E-Akkorden begleitet. Bei dem Wort „geschlagen“ geht sie in einen Sekundfall über, den das Klavier in Diskant und Bass in Gestalt eines die Akkorde verbindenden Achtel-Falls mitvollzieht, wobei die Harmonik auf der nachfolgenden, eine weitere Sekunde tiefer sich ereignenden Tonrepetition bei dem Wort „meinen“ eine Rückung nach C-Dur vollzieht. Bei den Worten „Geier tot“ beschreibt die melodische Linie diese Sekundfall-Figur in identischer Weise und Harmonisierung mitsamt dem Klaviersatz noch einmal, nur ist der Fall bei dem Wort „tot“ am Ende keiner mehr über eine Sekunde, sondern ein ausdrucksstarker und in die Tiefe eines „D“ führender über das Intervall einer Quarte. Die Harmonik beschreibt dabei eine Rückung vom vorangehenden C-Dur nach g-Moll. -
Schubert, „Edward“ (III)
Das ist nun ganz gewiss eine den Maßstäben und Ansprüchen Schuberts entsprechende, weil die lyrische Aussage in ihrem semantischen und ihrem affektiven Gehalt voll erfassende Liedmusik. Bei der Melodik auf den Worten „und das, das geht mir nah’ stutzt man - ich jedenfalls - aber wieder. Sie mutet in ihrer Struktur, und vor allem in ihrer Harmonisierung auf verwunderliche Weise arglos an. Auf den Worten „und das“ verharrt die melodische Linie auf der Ebene eines „D“ in hoher Lage, in Gestalt einer kleinen Dehnung am Ende auf „das“. Bei der Wiederholung dieses Wortes setzt sie eine ganze Oktave tiefer an, um auf dieser tiefen Lage bei den Worten „das geht mir“ wieder in ihren Gestus der Tonrepetition überzugehen. Dabei ist sie, und das ist bemerkenswert, nicht, wie man eigentlich erwarten würde, in Moll, sondern in Dur harmonisiert, einer Rückung von D7 nach D-Dur nämlich. Zu dem Wort „nah“ hin beschreibt sie einen Quartsprung zur Ebene eines „G“ in mittlerer Lage, wobei die Harmonik eine Rückung nach G-Dur vollzieht.
Und auf dieser Ebene erklingt dann auch der lang gedehnte, wieder wie in der Mutterstrophe eineinhalb Takte einnehmende Klageruf „O!“. Anfänglich wie dort drei Achtel lang a-capella. Dann setzt im Pianissimo ein taktlang gehaltener sechststimmiger c-Moll-Akkord ein, dieser geht aber, wie auch am Ende der Mutterstrophe, legato in einen Dur-Akkord über, einen sechsstimmigen in G-Dur.
Nach einer weiteren Dreiachtelpause erklingt ein taktlanger fünfstimmiger D-Dur-Akkord, danach einer in g-Moll, und das Lied ist zu Ende.
Wenn ich im Zusammenhang mit der Liedmusik auf den Worten des letzten Verses meine Verwunderung zum Ausdruck brachte, so deshalb, weil ich eigentlich erwartet hatte, dass Schubert die melodische Linie auf den Worten „das geht mir nah“ doch wenigstens in Moll-Harmonik gebettet hätte. Dabei habe ich aber nicht bedacht, dass er bei seinem Strophenlied-Konzept den letzten Vers aller Strophen im Auge haben musste. Und hier offenbart sich die Fragwürdigkeit desselben, - angesichts der Vielfalt der Aussagen von Mutter und Sohn, was ihren semantischen und affektiven Gehalt anbelangt, und insbesondere der Tatsache, dass sich diese im Dialog ereignen.
Die darin sich aufbauende Dramatik, ein Wesensmerkmal dieser Ballade, kann mit einem reinen Strophenlied in keiner Weise liedmusikalisch erfasst werden. Allenfalls mit einem variierten wäre das ansatzweise möglich.
Dass Schubert ein solcher liedkompositorischer Fehlgriff widerfuhr, kann ich mir nur so erklären, dass ihn der Gehalt dieser Ballade ganz einfach nicht ansprach. Das war nicht die für ihn relevante existenzielle Thematik, mit der er sich im Jahr 1827 kompositorisch auseinandersetzte. Damals entstand die „Winterreise“. -
Carl Loewe, „Edward“, op.1, Nr.1
Es gibt keine bessere Einführung in das Wesen dieser Loewe-Ballade als der Bericht des Sängers Eugen Gura von einem Besuch bei Richard Wagner im Sommer 1875. Man kam damals auch auf Carl Loewe und seinen Balladen zu sprechen. Und dazu heißt es:
„…Wagner stellte sogleich den Band aufs Clavierpult und sprach mit Eifer eingehend über einzelne Balladen. In seinem Feuereifer schob er als bald den Clavierspieler zur Seite und setzte sich selber an den Flügel, obzwar Clavierspiel nicht seine starke Seite war, und begleitete selber den Edward mit der Bemerkung: >Dieses Stück kann mir kein Clavierspieler der Welt zu Dank spielen; so wie ich diese Ballade lebe, das können mir nur wenige nachfühlen<.
Ich begann also meinen Vortrag. Als ich in der Mitte des Stückes zwei der bekannten Oh-Ausrufe unterdrückte, hielt Wagner inne mit der Frage: >Warum übergehen sie diese Ausrufe? Darauf kommts mir gerade an! Diese Ausrufe müssen alle kommen, nicht ein einziger darf unterdrückt werden<.
Ich ließ mir diese Mahnung für alle Zeit gesagt sein und sang den Edward mit allen Ohs zu Wagners Zufriedenheit zu Ende. Wagner sprach hierauf noch eingehend und liebevoll über Loewe und schloß mit den Worten: >Ja das ist auch einer von den Meistern deutsch und echt!<.“
Die Ausrufe sind punktuelle Verdichtung der in affektiv hoch aufgeladenem Dialog sich entfaltenden dramatischen Expressivität dieser Ballade, Verdichtung ihres Wesens also. Wagner hatte das erfasst. Er war ein „Loewe-Fan“, würde man heutzutage sagen. Der Grund liegt in der prinzipiellen Wortorientiertheit seiner eigenen Musik, die er in Loewes Balladen auf kompositorisch meisterhafte Weise gestaltet vorfand.
Und so ist das auch hier, in diesem 1818 entstandenen Erstlingswerk Opus 1. Das ist bereits der ganze Loewe. Das Verwunderliche und nicht Begreifliche ist ja doch, dass Loewe als Balladenkomponist keinerlei kompositorischen Entwicklungsprozess durchlaufen hat. Er war am Anfang der, der er auch am Ende war. Es gibt, anders als bei allen anderen großen Liedkomponisten, bei ihm kein „Spätwerk“, im Sinne einer Vollendung eines Entwicklungsprozesses oder, wie etwa bei Schumann, eines Zerfalls desselben.
Die Ballade ist durchkomponiert. Es finden sich darin zwar auch Wiederholungen in der Melodik, diese dienen aber dem Ausdruck der augenblicklichen Grundhaltung im dialogischen Prozess und treten deshalb nur kurzfristig und zumeist auch in variierter Gestalt auf. Als Grundtonart ist es-Moll vorgegeben, die Harmonik ist aber, wie überhaupt die kompositorische Faktur der Ballade, hochkomplex angelegt, und sie durchläuft eine Fülle von Modulationen in beiderlei Tongeschlechtern. Loewe hat die Musik, die durchweg „Agitato“ vorzutragen ist, vom ersten bis zum letzten Takt darauf angelegt, den dialogischen Prozess in allen Stufen der sich steigernden Dramatik zu erfassen und vor allem auch die situative Haltung der beiden Dialogpartner zum Ausdruck zu bringen. Sie vermag ihre Hörer wie keine andere Vertonung sonst unmittelbar anzusprechen, zu ergreifen, ja zu fesseln. Mit welchen kompositorischen Mitteln Loewe dies zustande bringt, dieser Frage soll im Folgenden nachgegangen werden. -
Carl Loewe, „Edward“, op.1, Nr.1. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage
Schon die Melodik auf der ersten Frauen-Versgruppe lässt die strikte Wortorientiertheit von Loewes Balladenmusik vernehmen und erkennen: Sie bringt die Eindringlichkeit der Ansprache zum Ausdruck, wie sie der inhaltliche Sachverhalt erfordert, und dies in Gestalt einer Steigerung der Intensität.
In repetitivem Gestus beschreibt die melodische Linie, in es-Moll harmonisiert und vom Klavier synchron zu den deklamatorischen Schritten mit vier- und fünfstimmigen Akkorden begleitet, zunächst einen Anstieg in unterer Mittellage, der bei „roth“ in einen Sekundfall mündet. Auf dem ersten „Edward“ liegt ein leicht gedehnter verminderter Sekundfall in tiefer Lage, der in einer Rückung von Ces-Dur nach es-Moll harmonisiert ist und darin eine Anmutung von Schmerzlichkeit aufweist. Beim zweiten „Edward“ setzt die melodische Linie aber mit einem Legato-Vorschlag über das Intervall einer Sexte ein, und dann erfolgt der verminderte Sekundfall auf einer um eben diese Sexte angehobenen tonalen Ebene und erfährt auf diese Weise, auch weil die begleitenden Akkorde diesem Anstieg teilweise folgen, eine deutliche Steigerung seiner Eindringlichkeit.
Diese Methode der Steigerung von Eindringlichkeit und Intensität der Ansprache durch Anhebung der tonalen Ebene einer sich wiederholenden, dabei aber partiell variierten melodisch-deklamatorischen Figur und einer damit einhergehenden harmonischen Rückung ist eines der Grundprinzipien, nach denen Loewe in dieser Ballade kompositorisch verfährt, und das ist einer der Faktoren, der ihre so große Kraft der unmittelbaren Ansprache bedingt. So beschreibt die melodische Linie bei der Wiederholung der Worte „dein Schwert, wie ist’s von Blut so rot“ die gleiche melodische Bewegung wie beim ersten Mal, nun aber nicht auf der Ebene eines „Es“ in tiefer Lage, sondern auf der eines „B“ in mittlerer ansetzend und in Rückungen von Ges- über F-, As-, nach B-Dur harmonisiert. Und diese zeigen den nächsten, die starke Aussagekraft der Balladenmusik konstituierenden Faktor: Die auf hochdifferenzierte Weise eingesetzte Harmonisierung der melodischen Linie.
Bei den Worten „und gehst so traurig da?“ wird ein weiterer, die Expressivität der melodischen Linie maßgeblich bedingender Faktor ersichtlich: Der über ein relativ großes Intervall sich ereignende melodische Sprung, bzw. Fall. Bei „und gehst“ beschreibt die melodische Linie einen Sekundanstieg in oberer Mittellage. An sich würde man jetzt vom Erfordernis ihrer gebundenen Entfaltung her erwarten, dass sie ihre weitere Entfaltung auf dieser Ebene fortsetzt, angesichts des die poetische Aussage hier regierenden Wortes „traurig“ in Gestalt eines Sekundfalls etwa. Aber den balladenhaft denkenden Loewe interessiert der Aspekt „gebundene Entfaltung“ nicht.
Dieses Wort „traurig“ erfordert für ihn einen regelrechten Bruch in der melodischen Linie. Und dies, und das ist nun bemerkenswert, nicht auf dem Wort selbst, sondern schon davor, bei dem semantisch so unbedeutenden Wörtchen „so“ nämlich. Und warum?
Weil er in seiner narrativen Grundausrichtung situativ denkt, vom Ansprache-Gestus ausgeht. Also lässt der die melodische Linie bei „so“ eine ganze Oktave tiefer einsetzen und legt überdies auch noch einen Sechzehntel-Sekundanstieg auf dieses ja doch einsilbige Wort.
Er will es als Verweis auf das für ihn so hochrelevante Wort „traurig“ mit einer angemessenen Akzentuierung versehen. Und das geschieht dann auch bei „traurig da“ in Gestalt eines gewichtigen, weil im Wert von Viertelnoten erfolgenden Anstiegs der melodischen Linie über eine in es-Moll harmonisierte Sekunde. Auf dem nach einer Achtelpause erfolgenden Ausruf „O!“ liegt ein mit einem Vorschlag versehenes „Ces“. Er mutet, obgleich er in dissonante Harmonik gebettet ist und damit einen Anflug von Schmerzlichkeit aufweist, flüchtig an, da dieses „Ces“ nur den Wert eines Viertels aufweist, also keine Dehnung darstellt. Loewe will die Mutter hier am Anfang als noch nicht seelisch tief betroffen darstellen.
Die Melodik der Antwort Edwards hebt sich deklamatorisch auf markante Weise von der der Mutter ab. Während diese, weil mit der Vortragsanweisung „agitato“ versehen, eilig-drängend wirkt, tritt diese gewichtig auf. „Ritenuto“ lautet nun die Vortragsanweisung, aber auch die Struktur der Melodik selbst trägt zu ihrer deklamatorischen Gewichtigkeit bei. Sie ist stark von Tonrepetitionen geprägt. Auf den Worten „Ich hab’ geschlagen meinen Geier tot“ setzt sie mit einem in tiefer „B“-Lage ansetzenden Quartsprung ein, beschreibt dann einen zweischrittigen Sekundanstieg, geht auf der zweiten und dritten Silbe von „geschlagen“ in eine Tonrepetition über, senkt sich danach auch zu dem Wort „Geier“ in repetitivem Sekundschritt-Gestus zur tonalen Ebene eines tiefen „Es“ ab, um schließlich bei „tot“ wieder einen Sekundanstieg zu vollziehen. All diese melodischen Schritte erfolgen in silbengetreuer Deklamation, und das Klavier unterstützt diesen Gestus, indem es die melodischen Schritte in Gestalt von drei- bis vierstimmigen Akkorden mitvollzieht. Die Harmonik beschreibt dabei eine Rückung von es-Moll nach as-Moll.
Silbengetreue Deklamation ist zwar die Regel in dieser Ballade, und das gilt auch für die synchrone Anlage des Klaviersatzes. Aber ein Loewe behält eine solche Regel nicht stur bei. Er nutzt, und das ereignet sich auf vielfältige Weise, Abweichungen davon zum Zweck der Akzentuierung der musikalischen Aussage.
Hier, in der ersten Edward-Balladenmusik ereignet sich das gleich zwei Mal, in der Melodik und im Klaviersatz. Auf dem zweisilbigen Ausruf „Mutter“ liegt ein dreischrittiger Sekundanstieg in mittlerer tonaler Lage. Auf der Silbe „Mut-“ vollzieht die melodische Linie einen Sekundanstieg in einem Achtel-Schritt, um den Ausruf mit einem Nachdruck zu versehen. Und das Klavier vollzieht zwar auch hier diese melodische Bewegung mit, dies aber nur mit dreistimmigen Akkorden. Über diesen liegt, und das setzt sich auch bei der Wiederholung der Worte des zweiten Verses bis zu „Geier tot“ fort, ein kontinuierliches Tremolo, das sich in der tonalen Ebene in Sekundschritten anhebt und am Ende sogar zweistimmig wird. -
Carl Loewe, „Edward“ (II)
Bei der Wiederholung der Aussage verfährt Loewe hier so, wie das auch bei den Mutter-Versen geschah. Er behält die Struktur der Melodik bei, hebt aber zum Zweck der Steigerung der Eindringlichkeit der Aussage die tonale Ebene um eine Sekunde an, - ein Verfahren, das er nachfolgend noch mehrfach anwendet. Bei den Worten „und das, das geht mir nah“ beschreibt die melodische Linie zunächst einen Sekundanstieg, geht dann aber, und dies verbunden mit einem Übergang vom Piano ins Forte, in einen Terzfall mit nachfolgender Repetition über, um schließlich nach einem weiteren Sekundschritt in tiefe Lage bei „nah“ wieder einen Sekundanstieg vollziehen. Dabei ereignet sich eine harmonische Rückung von B-Dur nach es-Moll, und das stellt eine durchaus eindrückliche Umsetzung dieser Worte in Musik dar. Mehr noch als bei der Mutter ist Edwards „O!“ ein flüchtiges. Es erklingt in Gestalt eines mit Legato-Vorschlag versehenen Achtels auf der Ebene eines „Ces“ in tiefer Lage.
In der zweiten Strophe sind Melodik und Klaviersatz der Mutter-Verse mit den entsprechenden der ersten identisch, die Melodik der Edward-Verse ist das in ihrer Struktur auch, aber nicht ganz bis zum Ende, und überdies entfaltet sie sich in ihren bis dahin identischen Bewegungen auf einer um eine Terz angehobenen tonalen Ebene. Die Variation tritt bei den Worten „mein Rotroß tot / und ‘s war so stolz und treu“ ein. Für Loewe weisen sie, in seiner Rezeption der Ballade, als Geständnis höheres Gewicht auf, weil das „Rotroß“ für Edward von höherem Wert war als der „Geier“, und so legt er denn in die Melodik eine gesteigerte Expressivität. Sie beschreibt nun, und dies in einem Ritardando vorgetragen, einen wellenartigen Anstieg in hohe Lage und geht von dort in einen Sturz über eine Oktave über, um sich von der Ebene eines „Es“ in tiefer Lage über einen Terzsprung wieder zu erheben, aber nur, um nun bei den Worten „stolz und treu“ einen anfänglich gedehnten Fall in Sekundschritten zu beschreiben. Der Klageruf „O!“ erklingt nun erst nach einer fallend angelegten Achtel-Figur im Diskant und besteht jetzt aus einem piano ohne Vorschlag vorgetragenen schlichten Viertel-„Es“ in tiefer Lage, dem das Klavier einen fünfstimmigen es-Moll-Akkord hinzufügt.
Entfaltete sich die Balladenmusik in den ersten beiden Strophen noch in verhaltener Expressivität, weil Loewe diese offensichtlich als Auftakt des dialogisch-narrativen Geschehens aufgefasst hat, so ändert sich das mit der dritten auf geradezu drastische Weise. Die Mutter beginnt in stockender, heftiger und in der Eindringlichkeit mächtig sich steigernder Weise auf Edward einzureden. „A tempo“ geschieht das nun wieder, das heißt also „agitato“ und dergestalt, dass sich die melodische Linie durchweg bis zum „O!“ am Ende in deklamatorischen Tonrepetitionen entfaltet und dabei in der tonalen Ebene einen Anstieg von der eines „B“ in mittlerer zur der eines „Es“ in oberer Lage beschreibt.
Das stellt sich so dar: Dreimalige Tonrepetition mit Sekundsprung von „B nach „Ces“ auf „Dein Ross war alt“, Vierachtelpause, dreimalige Repetition mit vermindertem Sekundanstieg von „Ces nach „C“ auf „und hast’s nicht not“, Dreiachtelpause, zweimalige, von einer Zweiachtelpause unterbrochene Repetition auf der „C“-Ebene bei Edward, Edward!, dreimalige auf der gleichen tonalen Ebene bei den Worten „dein Roß war“, viermalige auf der tonalen Ebene mit vermindertem Sekundanstieg bei „alt und hast’s nicht not“, und schließlich, nach einer weiteren Pause eine dreimalige Repetition erst auf der Ebene eines „Des“ mit kleinem Anstieg zum „D“ bei „dich druckt ein“ und ein weiterer eine kleine Sekunde höher bei den Worten „andrer Schmerz“.
Das nach einer Vierachtelpause nachfolgende „O!“ ist nun ein deutlich expressiverer, mit einem Vorschlag in hoher „Ges“-Lage erklingender, gedehnter und in verminderte Ges-Harmonik gebetteter Klageruf. Das Klavier begleitet hier durchweg mit einer die melodischen Pausen ignorierenden rhythmisierten Folge von fünf- und vierstimmigen Viertel-, bzw. Achtelakkorden, und die Harmonik vollzieht eine Rückung von einem anfänglichen Ces-Dur in die Verminderung der Tonalitäten „C“, „D“, „Es“ und „Ges“ bei dem „O!“-Ruf.
Im Bekenntnis des Vatermords steigert sich die Liedmusik in einen Höhepunkt an dramatischer Expressivität. Bei den Worten „Ich hab’ geschlagen meinen“ verharrt die melodische Linie in silbengetreuer Deklamation und in es-Moll harmonisiert auf der Ebene eines „B“ in mittlerer Lage. Das Klavier begleitet sie ebenfalls forte mit Oktaven in Diskant und Bass. Auf den Worten „Vater tot“ ereignet sich ein ausdrucksstarker, weil auf dem Vokal „a“ lang gedehnter und fortissimo ausgeführter, den ganzen Takt einnehmender Quintfall. Das Klavier begleitet nun mit Fortissimo-Tremoli in es-Moll, und es behält das bei bis zu dem Wort „tot“ am Ende des fünften Verses. Der zweimalige Ausruf „Mutter“ erfolgt erst nach einer Pause und dies in Gestalt eines wiederum auf der ersten Silbe lang gedehnten Terzfalls.
Die Wiederholung der Worte „ich hab’ geschlagen meinen“ ist in gleicher Weise repetitiv angelegt wie beim ersten Mal, bei „Vater“ ereignet sich aber eine Steigerung der Expressivität dadurch, dass die melodische Dehnung nun eine Quarte höher ansetzt, sich über das große Intervall einer Oktave erstreckt und das Tremolo eine klangliche Intensivierung durch Pedalisierung erfährt. Auf dem Wort „tot“ liegt wieder die lange Dehnung auf der tonalen Ebene des „G“ in mittlerer Lage, auf der der vorangehende Oktavfall ankommt, aber nun tritt zum Tremolo im Diskant auch noch ein taktlang gehaltener vierstimmiger Akkord im Bass. Dies alles im Fortissimo.
Auch beim letzten Vers, den Worten „und das, das quält mein Herz’!“ nutzt Loewe die extreme melodische Dehnung, das Tremolo und das dynamische Fortissimo, um ein Höchstmaß an musikalischer Expressivität zu erreichen. Hinzu kommt noch die harmonische Rückung, die in diesem Fall eine von d-Moll über cis-Moll nach c-Moll ist. Das Tremolo ist nun ausschließlich im Klavierbass angesiedelt, während im Bass lang gehaltene drei- und vierstimmige Akkorde erklingen. Auf dem Wort „das“ liegt eine sehr lange, den ganzen Takt einnehmende Dehnung auf der tonalen Ebene eines „Es“ in oberer Lage. Auf der Wiederholung liegt erneut eine, nun aber nur im Wert einer halben Note. -
Carl Loewe, „Edward“ (III)
Loewe hat, und das zeigt, wie er mit dichterischem Text verfährt, keinerlei Bedenken, ein einfaches Pronomen auf diese Weise mit einer Akzentuierung zu versehen. Bei „quält mein Herz“ vollzieht die melodische Linie nach einer Tonrepetition auf der Ebene eines „Cis“ einen Sekundanstieg, um dann nach einer Achtelpause eine extrem lange, wieder einen ganzen Takt einnehmende Dehnung auf dem „O!“ zu vollziehen. Sie bringt, da in c-Moll-Harmonik gebettet und fortissimo ausgeführt, extremen Schmerz zum Ausdruck. Loewe hat, und das wird in der dritten Strophe der Ballade nun vollends deutlich, die Ballladenfigur Edward keineswegs als einen gedankenlos handelnden Rabauken aufgefasst, vielmehr als einen unter seinem vergangenen gewaltsamen Handeln tief leidenden Menschen.
Die Liedmusik dieser Strophe wurde deshalb so genau beschrieben (und das kann natürlich nicht in dieser Weise fortgesetzt werden), weil sich hier auf exemplarische Weise kompositorische Intentionalität zeigt, in der, der Loewes Rezeption des Textes entsprechend, die Ballade musikalisch angelegt ist. Es ist eine geradezu in Bann schlagende, weil sich steigernde Dramatik, wie man ihr nur bei ihm begegnen kann und wie sie Richard Wagner in helle Begeisterung versetzte.
Dem langen „O!“ Edwards am Ende der dritten Strophe lässt Loewe lässt Loewe ein langes, über sieben Takte sich erstreckendes Nachspiel folgen, in dem die dreistimmigen Akkorde decrescendo im Diskant langsam in die Tiefe sinken dort mit den Tremoli verschmelzen und „morendo“ in zwei „D“-Oktaven münden. Die Harmonik geht dabei von c-Moll und g-Moll nach D-Dur über. Ganz offensichtlich sieht er in diesem Geständnis des Vatermords einen Einschnitt im Geschehen der Ballade. Diese Ungeheuerlichkeit muss von beiden Protagonisten erst einmal innerlich aufgenommen werden, um anschließend im Dialog reflektiert und verarbeitet zu werden. Hier zeigt sich, wie tief Loewe den Geist dieser Ballade und ihre innere Anlage erfasst und in Musik gesetzt hat.
Besondere Beachtung verdient in diesem Reflexions- und Verarbeitungsprozess das Verhalten Edwards, wie es sich in Loewes Melodik niederschlägt, denn die Mutter-Verse sind ja allesamt als Fragen angelegt, die, formal betrachtet, als provokative Impulse zur reflexiven Auseinandersetzung damit beim Adressaten dienen. Deshalb hat Loewe sie nun durchweg in allen Strophen in ihrer Melodik strukturell gleich angelegt: Als Folge von sich auf unterschiedlichen tonalen Ebenen ereignenden gegen Ende in einen Anstieg übergehenden und schließlich in den „O!“-Ausruf mündenden deklamatorischen Tonrepetitionen. Diese strukturelle Grundstruktur schließt allerdings keineswegs aus, dass die Liedmusik in ihren Variationen nicht die Seelenlage der Mutter reflektiert und die Eindringlichkeit wiedergibt, mit der sie die Frage an den Sohn richtet. Gleichwohl soll, damit diese analytischen Betrachtungen nicht das gebotene Maß überschreiten, das Augenmerk nun vorwiegend - und auch dies nur punktuell - auf die Reaktionen Edwards gerichtet werden.
Auf die Frage „Und was wirst du nun an dir tun?“, bei der die in Repetitionen stark ansteigende melodische Linie nun im Diskant von lebhaften, fallend angelegten Sechzehntel-Figuren begleitet wird und damit signalisiert, dass sie von der Mutter in gesteigerter innerer Erregung geäußert wird, reagiert Edward bei den Worten „Auf Erden soll mein Fuß nicht ruh’n“ mit einer im Fortissimo vorgebrachten, in tiefer „Cis“-Lage ansetzenden und lebhaft über das große Intervall einer None bis zur Ebene eines „D“ in oberer Lage ansteigenden und dort in eine Dehnung übergehenden melodischen Linie. Beim zweiten Mal setzt diese melodische Bewegung, nun in d-Moll statt wie zuvor in g-Moll harmonisiert, eine Quarte höher an, so dass sich die Dehnung am Ende nicht auf einem „D“ in oberer, sondern auf einem „G“ in hoher ereignet.
Der heftig-stürmische Geist, der ihr innewohnt, wird vom Klavier mit Fortissimo-Figuren aus in einen Einzelton übergehenden Sechzehntel-Akkorden unterstützt, denen erst steigend angelegte Oktaven nachfolgen. Entsprechend expressiv ist nun der „Mutter“-Ausruf angelegt: In Gestalt eines zweimaligen, dabei aber um eine Sekunde ansteigenden Oktavfalls, der sogar mit einem Legato-Vorschlag versehen ist. Zu den akkordischen Sechzehntel-Figuren im Diskant treten nun fallend angelegte Sechzehntel-Ketten hinzu. Die Harmonik beschreibt eine Rückung von g-Moll nach es-Moll. Auf den Worten „will wandern über’s Meer! Liegt eine relativ gewichtige, weil nun in Schritten im Wert von Viertelnoten ausgeführte, in oberer Es-Lage ansetzende melodische Fallbewegung, die am Ende bei „Meer“ über einen Quartsprung in eine Dehnung auf der Ebene eines „D“ in oberer Lage übergeht. Der Klageruf „O!“ erklingt in Gestalt einer Dehnung auf der Ebene eines „G“ in unterer Lage, ist in g-Moll-Harmonik gebettet und wird vom Klavier im Diskant mit einer langen, fallend angelegten und aus extrem hoher bis in mittlere Lage sich erstreckenden Folge von Sechzehnten begleitet. Klangliche Schmerzlichkeit wohnt ihm inne. -
Carl Loewe, „Edward“ (IV)
Auf die Frage „Und was soll werden dein Hof und Hall?“ lässt Loewe Edward in einer Melodik antworten, die auf ergreifende Weise abgrundtiefe Hoffnungslosigkeit und Selbstpreisgabe zum Ausdruck bringt. Bei den Worten „Ach, immer steh’s“ beschreibt die melodische Linie forte einen in g-Moll gebetteten Fall über das Intervall einer Quinte, hält auf der Ebene eines „G“ in unterer Lage in Gestalt eines Dehnung inne, und dann vollzieht sie, jeweils nach einer Achtelpause auf „und sink’“ und „ und fall’!““ einen in eine Dehnung mündende Sekundfall, wobei sich die tonale Ebene in tiefe Ces-Lage absenkt. Er ist deshalb so ausdrucksstark, weil sich nach dem ersten in es-Moll harmonisierten Sekundfall beim zweiten eine harmonische Rückung nach ces-Moll ereignet, was dessen klangliche Tiefe noch stärker hervortreten lässt. Überdies intensiviert das Klavier diesen Eindruck auch noch durch in tiefe Lage absinkende Oktaven im Bass. Diesen in vom Versinken in der Tiefe geprägten Gestus behält die Melodik bei dem zweimaligen „Mutter“-Ruf bei. Der erste ereignet sich als in eine Dehnung mündender Terzfall von einem „D“ zu einem „H“ in tiefer Lage, der zweite setzt zwar eine kleine Terz höher auf einem „Fis“ an, endet aber auf dem gleichen tiefen „H“, was einen Fall über eine verminderte Quinte beinhaltet und gesteigerten Seelenschmerz zum Ausdruck bringt.
Beide Ausrufe werden im Bass von Oktaven begleitet und sind in klanglich schmerzliches ces-Moll gebettet. Während der erste noch im Piano vorgetragen wird, erklingt der zweite im Pianissimo. Die Kraftlosigkeit in der Selbstpreisgabe schlägt sich auch in den an die Mutter sich richtenden Anrufen nieder. Auch auf den Worten „ich werd’ es nimmer seh’n!“ liegt eine melodische Fallbewegung. Aber Loewe versteht diese Aussage so, dass sie ein Sich-Bekennen Edwards zu seiner existenziellen Situation beinhaltet. So geht die melodische Linie nach einer Dehnung auf dem Wort „ich“ in einen Sekundfall über, hält aber in einer repetitiven Dehnung auf inne, um bei dem Wort „nimmer“ dann, in as-Moll harmonisiert, einen Sturz über eine Sexte in tiefe Lage zu vollziehen. Auf dem Wort „sehn“ erhebt sie sich aber wieder in Gestalt eines Terzschritts, bei dem sich eine harmonische Rückung nach D-Dur ereignet. Der im Pianissimo erklingende und überdies auch noch mit einem Decrescendo versehene Sekundfall in tiefer Lage, der auf dem Klageruf „O!“ liegt, setzt zwar auch in Dur-Harmonisierung ein, endet aber im Moll. Die trotzige Aufwallung bei Edward scheint nur von kurzer Dauer zu sein.
Die an ihren Sohn sich richtenden und im Grunde ja provokativen Fragen weisen, und das macht ja die Größe dieser Ballade aus, einen ansteigenden Grad an existenzieller Relevanz auf. In der sechsten Strophe erreicht diese mit den Worten „Und was soll werden aus Weib und Kind?“ die Ebene, wo es nicht mehr um Hab und Gut, sondern ums Leben geht.
Und nun ereignet sich in der Balladenmusik etwas Bemerkenswertes. Wenn man denkt, dass Edward nun in noch größere Zerknirschung und weiteren Ausdruck der Hoffnungslosigkeit verfällt, so stimmt man im Verständnis dieser Balladen-Gestalt nicht mit Loewe überein. Seine Liedmusik stellt ihn in seiner Reaktion auf die Frage der Mutter anders dar.
Bei den Worten „Die Welt ist groß“ setzt die melodische Linie mit einem markanten, aus einer Tonrepetition in mittlerer Lage hervorgehenden und in eine Dehnung mündenden Sekundanstieg ein, der forsch konstatierend anmutet, nicht in Moll-, sondern in Dur-Harmonik gebettet ist und vom Klavier mit einem taktlang gehaltenen siebenstimmigen Es-Dur-Akkord begleitet wird. Bei „lass’ sie betteln drin“ beschreibt sie einen Sekundfall hin zur tonalen Ebene eines „C“ in tiefer Lage, um dort eine trotzig wirkende dreifache Tonrepetition zu vollziehen, bei der die Harmonik eine Rückung nach As-Dur vollzieht.
Auf dem zweimaligen Ausruf „Mutter“ liegt ein schlichter Sekundfall in mittlerer Lage, der bei der Wiederholung eine Terz höher erfolgt und dem, auch weil er in As-Dur harmonisiert ist, jede Anmutung von Schmerzlichkeit abgeht. So verfährt Loewe auch bei der zweiten Deklamation der Worte des vierten Verses der sechsten Strophe: Sie erfolgt auf identischer, aber um eine ganze Quarte angehobener tonaler Ebene, nun in Es-Dur mit Rückung nach B-Dur harmonisiert. Dem Ausruf „ich, ich seh’ sie nimmer mehr!“ verleiht Loewe starke Expressivität. Auf dem „ich“ liegt zweimal eine, von einer halbtaktigen Pause unterbrochene und im Fortissimo ausgestoßene lange Dehnung auf der Ebene eines „Es“ in hoher Lage. Sie mutet wie ein Schrei an und wird vom Klavier mit Es-Dur-Achtelpaaren akzentuiert. Umso wirkungsvoller dann der gegensätzliche, weil piano erfolgende Sekundfall in tiefe Es-Lage und Repetition dort.
Der ist zwar immer noch in Dur-Harmonik gebettet, aber der nachfolgende „O!“-Klageruf macht deutlich, wes Geistes Kind dieser trotzige Auftritt Edwards hier war. Das erste „O!“ erklingt pianissimo in tiefer Ces-Lage und in ces-Moll gebettet. Das zweite eine Oktave höher und in gleicher Weise harmonisiert. Ein einziger, aus tiefer Hoffnungslosigkeit kommender Schrei tiefer Verzweiflung war dieser so trotzig anmutende Auftritt Edwards in der Reaktion auf die provokative Frage der Mutter nach „Frau und Kind“.
Und nun setzt die Mutter sich selbst als affektiv stärksten provokativen Faktor im Dialog mit dem Sohn ein, und dies in expressiver Weise auf repetitiv in der tonalen Ebene in partiell verminderten Sekundschritten ansteigender tonaler Ebene. Wie Aufforderung „das sage mir“ erfolgt repetitiv im Forte auf der tonalen Ebene eines „D“ in hoher Lage, und das „O!“ erklingt einen Halbton höher erst piano, dann nach einer Dreiachtelpause, nur noch pianissimo. Loewe verleiht dieser letzten Frage große Eindringlichkeit.
Dieser ihn tief treffenden Provokation entsprechend verläuft die Reaktion Edwards. In ihr erreicht die Ballade nicht nur den Höhepunkt ihrer musikalischen Expressivität, dieser bringt auch einen überraschenden, gerade verblüffenden, weil die Hintergründe im Handeln des Sohnes schlagartig eröffnenden Aussage-Effekt mit sich. Anders als in den vorangehenden Strophen ereignet sich die Wiederholung der Worte des vierten Verses im fünften nicht auf einer strukturell identischen melodischen Linie, - indirekter Verweis darauf, dass der letzte dieses Mal Außergewöhnliches zum Ausdruck bringt. Aber schon die erste Melodik auf den Worten „Der Fluch der Hölle soll auf euch ruh’n“ ist in ihrer Struktur herausragend. -
Carl Loewe, „Edward“ (V)
Mit einer dreimaligen Tonrepetition auf der Ebene eines „D“ in hoher Lage setzt sie ein, und dies im Fortissimo. Auf dem Wort „Hölle“ beschreibt sie einen hochexpressiven, stark gedehnten Fall über das extreme Intervall einer None. Das ist ein melodischer Sturz hinab zur tonalen Ebene eines „Es“ in tiefer Lage, und dort verharrt die melodische Linie nun in silbengetreuer Repetition bei den Worten „soll auf euch ruh´n“. Das Klavier begleitet das, und diesen Gestus behält es nun bis zum fünften Vers einschließlich bei mit ebenfalls expressiven, weil in Diskant und Bass gegenläufig angelegten Sechzehntelfiguren, - im Diskant als in hoher Lage ansetzender Fall, im Bass aus tiefer Lage ansteigend, wobei sich diese Ansätze nach oben und unten im weiteren Verlauf noch steigern und die Harmonik vom anfänglichen es-Moll nach Ces-, und Fes-Dur rückt.
Auf dem Ausruf „Mutter“ liegt beim ersten Mal ein in es-Moll harmonisierter gedehnter Terzfall in unterer Mittellage, beim zweiten Mal wird daraus ein nun in Ces-Dur gebetteter, eine Terz höher ansetzender aber auf der gleichen Ebene eines tiefen „Es“ endender Quintfall. Bei der Wiederholung liegt auf den Worten „der Fluch der“ wieder eine Tonrepetition, nun aber auf um einer um eine Sekunde angehobenen tonalen Ebene, der eines „Es“ in hoher Lage also. Auch auf der Silbe „Hö-„ liegt wieder eine lange Dehnung, nun auf der Ebene eines „Fes“, einen Halbton höher angesiedelt. Das Wort „Hölle“ erfährt auf diese Weise eine starke Akzentuierung.
Dann aber ereignet sich nicht wie beim ersten Mal ein Anstieg, sondern die melodische Linie verharrt, in Fes-Dur harmonisiert, in gedehnter Form auf dieser Ebene und senkt sich bei „soll auf euch „ruh´n“ nur um eine kleine Sekunde zur tonalen Ebene eines hohen „D“ ab, um daselbst in eine wiederum wortgetreue Repetition überzugehen. Und diese ist in Dominantseptharmonik der Tonart „G“ gebettet, wird vom Klavier in Diskant und Bass mit der tonalen Extremversion der Sechzehntel-Figuren begleitet, - und das deutet an, dass nun noch etwas höchst Bedeutsames kommen wird.
Und es kommt. Auch in der Ballade entfaltet der letzte Vers mit seiner Aussage die Wirkung eines Knalleffekts, Loewe vermag diesen aber noch zu steigern. Nach einer Viertelpause, in der die Sechzehntelfiguren ausklingen, setzt die melodische Linie im Fortissimo auf den Worten „denn ihr“ mit einem in eine Dehnung mündenden Sekundanstieg in hoher Lage ein, der in Ces-Dur gebettet ist und vom Klavier mit einen taktlang gehaltenen arpeggierten Ces-Dur-Akkord im Fortissimo begleitet wird. Nach einer Achtelpause setzt die melodische Linie auf den Worten „ihr rietet´s mir“ ihre Bewegungen fort, und dies in Gestalt einer zweimaligen, einen ausdrucksstarken Quartfall beschreibenden Tonrepetition, die nun in ges-Moll harmonisiert ist und vom Klavier mit einem entsprechend harmonisierten arpeggierten Akkord begleitet wird.
Ein Anflug von Schmerzlichkeit kommt in die Liedmusik. Aber es ist keiner, der eine Abkehr von dem harten und bitteren Ton der Anklage andeutete. Der Schluss der Ballade lässt das auf eindeutige Weise vernehmen. Er besteht aus einem lakonischen, nach einer Achtelpause a cappella und fortissimo ausgestoßenen „O!“-Ausruf. Ein dissonanter siebenstimmiger Viertel-Akkord geht ihm voraus, ein nur kurz aufklingender arpeggierter es-Moll-Akkord folgt ihm, - und die Ballade ist zu Ende.
Die Lakonie dieses Endes macht, nach all der vorangehenden, so hoch expressiven Dramatik, abschließend noch einmal Loewes große Balladen-Kompositionskunst bewusst. -
Johannes Brahms, „Edward“, op.75, Nr.1
Diese Ballade gehört als Nummer 1 zu den „Vier Balladen und Romanzen für zwei Singstimmen mit Pianoforte“. Die ersten drei entstanden 1877, die letzte Komposition wurde im Februar 1878 fertig, und alle wurden dann als Opus 75 publiziert. Brahms kannte Loewes Vertonung der „Schottischen Ballade“ „Aus Herder´s Volkliedern“, wie es unter dem Titel im Notentext heißt, und er orientierte sich sogar an ihr, indem er deren Grundrhythmus übernahm. Er schätzte den Balladenkomponisten Loewe, bewunderte ihn sogar und war ein regelrechter Kenner seines kompositorischen Werks, worüber sich dieser sehr freute, als beide bei einem Konzert in Kiel am 13. März 1868 einander vorgestellt wurden.
Was Brahms dazu bewogen haben mag, eine eigene Vertonung der Ballade vorzunehmen, ist vielleicht aus seiner Betroffenheit in der Rezeption derselben zu erklären. In einem Brief an Otto Dessoff vom Juli 1877 heißt es:
„Ich brauche gar nicht viel zu sagen, wie einem das schöne Gedicht gar nie aus dem Sinne geht, wie man es einmal in gewissem Sinne loswerden muß“. Er dachte sogar daran, daraus eine Komposition für Chor und Orchester zu machen, wovon dieser ihm allerdings abriet. Aber wenigstens eine Ballade für Singstimme und Klavier musste es wohl sein, um die Ballade „loszuwerden“.
Damit bewusst in eine Konkurrenz zu Loewe zu treten, mag dabei gar nicht einmal das ausschlaggebende Motiv für seine Vertonung gewesen sein, gleichwohl war das faktisch die Folge, so dass sich eine vergleichende Betrachtung geradezu aufdrängt. Sie soll nachfolgend vorgenommen werden, ohne dabei allerdings eine umfassende und ins Detail gehende Analyse vorzunehmen. Denn es geht hier ja um Carl Loewe, und so sind nur die kompositorischen Merkmale seiner Vertonung von Interesse und Relevanz, in denen sich die spezifische Eigenart der Balladenmusik konstituiert und sich darin von der Loewes abhebt.
Zweifellos begegnet einem - ich muss hier aber „mir“ sagen, weil viel Subjektivität ins Spiel kommt - in der Edward-Ballade von Brahms ein bedeutendes und beeindruckendes liedkompositorisches Werk, aber an das, was Loewe kompositorisch aus dem schottischen Balladentext gemacht hat, reicht es, so wie ich das sehe, nicht heran. Dietrich Fischer-Dieskau sieht das genauso, wenn er, ohne das allerdings näher zu begründen, feststellt: „Die deklamatorisch und dramatisch maßstäbliche Fassung des Älteren erreichte er nicht ganz“.
Zwar zielt Brahms auch auf Dramatik ab, indem er die dialogische Struktur der Ballade dadurch hervorhebt, dass er die Mutter-Verse einem Mezzosopran, die Edward-Verse einem Tenor anvertraute und die Balladenmusik einen kontinuierlichen Anstieg in der Dynamik und der tonalen Ebene beschreiben ließ. Aber im Vergleich zu Loewe mutet seine Komposition im Erfassen der Sprache des Balladentextes, seiner dramatisch-dialogischen Anlage und seiner Semantik gerade arglos an. Das erschreckend Furchtbare darin, vermag Brahms musikalisch nicht wirklich voll und ganz zu erfassen, weil er, anders als Loewe, nicht als Dramatiker, sondern als Melodiker, der er als Liedkomponist in seinem Wesen ja ist, an diesen Text herangeht.
Aber dieses Urteil ist nun doch mit analytisch fundierten Argumenten hinreichend zu begründen. -
Johannes Brahms, „Edward“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage
Anders als Loewe lässt Brahms dem Einsatz der Melodik ein zweitaktiges Vorspiel vorausgehen, in dem diese auftaktig einsetzt. Vier „Bs“ sind als Grundtonart vorgegeben, ein As-Dur, bzw. seine Moll-Parallele also, ein Viervierteltakt liegt zugrunde, und die Tempo-Vorgabe lautet „Allegro“. Die Melodik ist zweistimmig als „Alt“ und „Tenor“ angelegt, wobei beide Stimmen in ihrem Bezug auf die Mutter- und die Edward-Verse aufeinanderfolgen. Zwar ist die Ballade durchkomponiert, gleichwohl atmet sie Strophenlied-Geist, weil die Melodik in der Abfolge der Balladenstrophe als Wiederholung und Variation einer strukturellen Grundfigur auftritt. Es ist die, der man in der ersten Balladenstrophe begegnet und dies sowohl in den Mutter-, wie auch den Edward-Versen auf unveränderte Weise gleich wieder. Zuvor erklingt im Klaviersatz pianissimo eine repetierend angelegte Folge von Sechzehntel-„C“-Oktavsprüngen im Diskant und „C“-Vierteln über einem taktlang gehalten tiefen „C“ im Bass. Lebhaftes, von starker Erregung geprägtes Geschehen, das kann man in ihm vernehmen, wenn man das als Einführung in das nachfolgende Balladengeschehen versteht.
Und in der Tat weist der Klaviersatz in der Begleitung der melodischen Linie die gleiche Grundstruktur auf. Bis zum Ende besteht er von der zweiten Strophe an vorwiegend aus Sechzehntel-Figuren in Diskant und Bass, die allerdings in einer Vielfalt von Varianten erklingen und bei den Klagerufen als steigend und fallend angelegte Ketten auftreten. Bei der ersten Strophe erklingen im Bass noch die repetierenden Viertel des Vorspiels. Diese Struktur herrscht jedoch nicht durchgehend vor. Phasenweise treten an die Stelle dieser Sechzehntelfiguren steigend und fallend angelegte Ketten von Sechzehnteln oder Folgen von Akkorden in Diskant und Bass.
Gleichwohl ist festzustellen: Der Klaviersatz weist, weil ihm eine andere kompositorische Intention zugrunde liegt, eine andere Grundstruktur als bei Loewe auf. Dieser setzt dessen Figuren, wenn es sich nicht um arpeggierte Akkorde handelt, in ihrer Bindung an die deklamatorischen Schritte zur Akzentuierung derselben ein, bei Brahms aber dient die legato ausgeführte Folge der Sechzehntelfiguren primär dazu, der melodischen Linie eine klangliche Grundlage zu schaffen, sie darin gleichsam voranzutreiben und in ihren Aussagen nur in der Weise zu akzentuieren, als die Sechzehntelfiguren in ihrer Gestalt, in der tonalen Ebene ihres Auftretens und schließlich ihrer Harmonisierung variiert werden.
Das aber sind weniger effektive Mittel, als Loewe sie einsetzt, und das entspricht der kompositorischen Grund-Intention, die bei Brahms der Vertonung zugrunde liegt: Eine Ballade, die sich in ihrer Melodik nicht wie bei Loewe in hartem dramatisch-deklamatorischem Gestus entfaltet, sondern auf eher liedhaft gebundene Art und Weise, und die Steigerung ihrer Dramatik aus der Variation der Struktur, der Verdichtung der deklamatorischen Schritte durch die Anreicherung mit Achteln, der Anhebung der tonalen Ebene einschließlich der damit verbundenen harmonischen Modulation und schließlich der Potenzierung der Dynamik bezieht.
Dass dies aus meiner Sicht nicht hinreicht, die Aussage des Balladentextes in seiner spezifischen sprachlichen Gestalt voll und ganz zu erfassen, ich deutete es bereits an.
Auf den Worten „Dein Schwert, wie ist’s von Blut so rot“ geht die melodische Linie, in f-Moll harmonisiert, in syllabisch exakter Deklamation nach einem Anstieg aus tiefer „C“-Lage über einen Sekundfall bei „Blut so rot“ in ein Ab und Auf über eine Quarte in eine kleine Dehnung am Ende über. Nach einer Achtelpause erklingt der Ruf „Edward“, durch eine Viertelpause unterbrochen, zwei Mal in der gleichen Weise in Gestalt eines gedehnten Terzfalls in mittlerer Lage. Die Wiederholung des zweiten Verses erfolgt, wie das auch bei Loewe der Fall ist, auf melodisch identische Weise. Auf den Worten „und gehst so traurig her“ liegt ein mit einem Terzsprung einsetzender, in b-Moll harmonisierter, silbengetreuer und auf der Ebene eines „C“ in tiefer Lage endender und mit einer mit einer Rückung nach As-Dur einhergehender melodischer Fall. Auf dem Klageruf „O!“ liegt ein lang gedehnter taktübergreifender Sekundfall von der Ebene eines „D“ in tiefer Lage zu der eines „C“.
Die Melodik der Edward-Verse ist von einer Fall-Tendenz geprägt. Nach einer Repetition auf den Worten „O ich“ beschreibt die melodische Linie auf den Worten „hab’ geschlagen meinen Geier tot“ eine deklamatorisch kurzschrittige, weil im Wert von Achteln erfolgende Bogenbewegung in oberer Mittellage, um dann aber bei „Geier tot“ in einen gewichtigeren, weil nun in Viertelschritten zu deklamierenden Sekundfall in mittlerer Lage zu vollziehen. Eine leichte Anmutung von Klage wohnt dieser Melodik inne, auch weil sie in f-Moll harmonisiert ist. Das ist auch bei der Anrede „Mutter“ der Fall. Auf ihr liegt ein gedehnter Terzfall, bei dem die Harmonik eine Rückung von b-Moll nach As-Dur beschreibt, und in genau der gleichen Weise erklingt dieses „Mutter“ nach einer Viertelpause noch einmal.
Der letzte Vers lautet bei Brahms anders als bei Loewe, und das ist nicht das einzige Mal, dass es eine solche textliche Abweichung gibt. Möglicherweise hat Brahms, wenn er nicht selbst diese textlichen Änderungen vorgenommen hat, eine andere Übersetzung der schottischen Ballade benutzt.
Bei ihm heißt es hier: „Und keinen hab´ ich wie er“, und darauf liegt die gleiche Fallbewegung in Viertel-Sekundschritten wie auf „Geier tot“, nur dass sie, diese Aussage akzentuierend, bei „ich wie er“ nach einem Quartsprung und einer Tonrepetition in einem Sekundfall endet. Edwards „O!“ ist das gleiche wie das seiner Mutter, aber der lang gedehnte Sekundfall ereignet sich nun auf einer um eine Terz angehobenen tonalen Ebene, ist in eine Rückung von f-Moll in verminderte Des-Harmonik gebettet und wird vom Klavier mit einer ausdrucksstarken ansteigenden und wieder fallenden, Bass und Diskant übergreifenden Folge von vier und fünfstimmigen Sechzehntelfiguren begleitet.
Brahms misst offensichtlich, wie die in die Dissonanz ausgreifende Harmonisierung und der vom Standard-Klaviersatz abweichenden Begleitung des Klagerufs erkennen lässt, der Aussage Edwards größere Bedeutung zu, richtet seine Balladenmusik auf ihn aus, was sich in deren weiterem Verlauf bestätigt. -
Johannes Brahms, „Edward“(II)
Die zweite Strophe ist in ihrer Musik mit der ersten identisch. Das ist auch in der dritten Strophe bei der Melodik und dem Klaviersatz der Mutter-Verse der Fall. Bei dem so gravierenden Vatermord-Geständnis Edwards ereignet sich nun aber ein alle Bereiche erfassender Wandel in der Balladenmusik, was nicht nur erkennen lässt, wie eng gebunden an den poetischen Text Brahms diese angelegt hat, sondern darüber hinaus auch ihre Ausrichtung auf die Figur des Edward zeigt. Auch bei den Worten „O! Ich hab’ geschlagen meinen Vater tot“ wohnt der melodischen Linie wieder eine Falltendenz inne, sie entfaltet nun aber deutlich stärkere Eindringlichkeit, und dies nicht nur deshalb, weil sich ihre Bewegung auf höherer tonaler Ebene entfaltet und sie in Des-Dur mit Rückung nach Ges- Dur harmonisiert ist.
Es ist vor allem das lange Verharren in einem Auf und Ab in partiell verminderten und repetierenden Sekundschritten auf der Ebene eine hohen „F“ und „Ges“, und die Akzentuierung dieser Schritte durch vierstimmige Akkorde im Diskant und Oktaven im Bass, was für diese Eindringlichkeit verantwortlich ist. Erst bei „Vater tot“ geht die melodische Linie wieder in einen dreischrittigen silbengetreuen Sekundfall über, wobei sich eine harmonische Rückung von As-Dur nach Des-Dur ereignet. Auf dem zweimaligen „Mutter“ liegt wieder ein durch eine Viertelpause unterbrochener gedehnter Terzfall, der aber dieses Mal ebenfalls akkordisch begleitet wird.
Was diese vom Klaviersatz-Standard abweichende Begleitung der Edward-Verse der dritten Strophe anbelangt, in der die Balladenmusik ja, neben der expressiven Melodik und ihrer Harmonisierung, das Außerordentliche der poetischen Aussage reflektiert, so ist diese strukturell artifizieller angelegt als bei Loewe, entfaltet aber nicht ganz deren Akzentuierungspotential. Das liegt daran, dass nur auf den Worten „O ich hab ge-“ silbengetreu bis zu sechsstimmige Akkorde erklingen. Danach wechseln vierstimmige Akkorde im Diskant mit Oktaven im Bass ab, die gleichsam als Auftakt zu diesen dienen, und auf dem zweimaligen „Mutter“ lässt das Klavier ein hochkomplexes Zusammenspiel von fallende Akkorden im Diskant und Oktaven und Akkorden im Bass erklingen. Wenn ich also oben konstatierte, dass der Klaviersatz bei Brahms eine weniger stark aus geprägte Komplexität aufweist als der von Loewe, so gilt das nicht für diese Edward-Verse der dritten Strophe. Hier vermag Brahms die affektiven Dimensionen dieses so erschreckenden Geständnisses von Edward musikalisch tiefer auszuloten als Loewe. Dieser aber lässt, so scheint mir, das Schreckenerregende desselben auf stärker ergreifende Weise vernehmen. Und dieser Unterschied gilt ja wohl ganz und gar für beide Ballenmusiken.
Wie üblich - und das ist ja auch bei Loewe so - liegt auf der Wiederholung dieser Worte im fünften Vers die gleiche Balladenmusik. Der letzte Vers der dritten Strophe lautet bei Brahms wieder anders, nämlich „Und weh, weh ist mein Herz“. Die melodische Linie beschreibt auf diesen Worten wieder die übliche Sekundfallbewegung in deklamatorischen Schritten im Wert eines Viertels, bei „mein Herz“ vollzieht sie aber einen ausdrucksstarken Quintsprung zur tonalen Ebene eines „F“ in hoher Lage, um dort in einen Sekundfall überzugehen, der nicht leitergemäß ist, weil er nicht auf einem „Es“, sondern auf einem „E“ endet. Diese beiden Worte erfahren so eine starke musikalische Hervorhebung durch eine kompositorische Finesse, in der sich Brahms von Loewe unterscheidet. Und das gilt auch für die Harmonisierung dieser kleinen Melodiezeile und den sie begleitenden Klaviersatz. Dieser ist wieder in dem Wechsel von auftaktigen Oktaven im Bass und vier- bzw. dreistimmigen Akkorden im Diskant angelegt, und die Harmonik beschreibt eine komplexe Rückung von As-Dur über des-Moll und Es-Dur nach B-Dur. Auf dem Schluss-„O!“ liegt dann wieder der stark gedehnte und vom Klavier mit der pyramidenförmig angelegten Folge von Bass und Diskant übergreifenden Sechzehnteln begleitete Sekundfall von der Ebene eines „Des“ zu der eines „C“.Die dritte Strophe nimmt in der Tat eine herausragende Rolle in dieser Brahms-Ballade ein, und das hat für Brahms bei seiner Ausrichtung der Balladenmusik auf die Edward-Figur, zur Folge, dass er in der in der Melodik der entsprechenden Verse die Expressivität steigernde Variationen vornimmt. Und auch die Melodik der Mutter-Verse weist in ihrem deklamatorischen Grundgestus bedeutsame Veränderungen auf. Im Text gibt es diese allerdings in der vierten Strophe erneut. Dort heißt es, anders als bei Loewe: „Und was für Buße willt du nun tun, Edward, Edward, (…) Mein Sohn bekenn mir mehr“. Die Melodik beschreibt auf diesen ein Auf und Ab in mittlerer Lage, das am Ende in einen Sekundfall übergeht. Die melodische Linie auf den nachfolgenden Worten Edwards weist nun aber einen deklamatorischen Gestus auf, der wieder stark vom einen Klageton aufweisenden Geist des Falls geprägt ist. Nach einem Sekundfall mit nachfolgend zweischrittigem Sekundanstieg auf dem Wort „Erden“ geht die melodische Linie, in f-Moll harmonisiert, auf den Worten „soll mein Fuß nicht ruhn“ in einen dreischrittigen Sekundfall über, dem sich ein eine Terz höher ansetzender und stark gedehnter Terzfall auf „Mutter“ anschließt.
Obwohl der Schlussvers in den von Loewe abweichenden Worten „will gehen fern über´s Meer“ eigentlich ja Entschlossenheit atmen sollte, liegt auf ihm eine zweimalige, bei „über´s“ neu ansetzende Fallbewegung. Die kleine Dehnung, in der sie bei „Meer“ auf der tonalen Ebene eines „G“ in mittlerer Lage endet, ist allerdings in G-Dur harmonisiert. Überaus kläglich, und vom Klavier wieder mit der nun noch expressiver angelegten pyramidenartigen Sechzehntel-Anstiegs- und Fallkette begleitet, mutet der extrem lang gedehnte und in f-Moll mit Rückung nach C-Dur gebettete Klageruf „O!“ an.
Wie tiefgreifend die Variationen sind, die Brahms zur Erfassung der sich in seiner Rezeption des Balladentextes nach der dritten Strophe einstellenden Wandlung in der Haltung der beiden Protagonisten einstellt, wird daran ersichtlich, dass er im fünften Vers bei den Worten „Und was soll werden dein Hof und Hall?“ von dem ansonsten praktizierten Verfahren abweicht, auf die Wiederholung des Textes im zweiten Vers die gleiche Melodik zu legen. Beim ersten Mal beschreibt die melodische Linie eine auf der Ebene eines tiefen „Des“ mit einem Terzsprung ansetzende Anstiegsbewegung, die nach einer Tonrepetition in mittlerer Lage bei „Hof und Hall“ in ein Auf und Ab auf der Ebene eines „G“ in mittlerer und eines „Des“ in tiefer übergeht. Beim zweiten Mal aber erfolgt der melodische Anfangssprung über das Intervall einer Quinte und das Auf und Ab bei „Hof und Hall“ ereignet sich nach der Tonrepetition nun in mittlerer Lage zwischen den tonalen Ebenen eines „C“ und eines „G“. Brahms will damit die gesteigerte Nachdrücklichkeit zum Ausdruck bringen, in der die Mutter nun ihre Fragen an den Sohn richtet. Und dementsprechend weist auch die Anrede „Edward“ nun in ihrem gedehnten Fall-Gestus eine deutliche Steigerung auf. Dieser erfolgt nämlich nun über das große Intervall einer Quinte und ist nicht in Moll-Harmonik gebettet, sondern in G-Dur harmonisiert. -
Johannes Brahms, „Edward“ (III)
Auf den (leicht anders lautenden) Worten „so herrlich sonst und schön“ liegt zwar ein in Moll-Harmonik gebetteter und in tiefe Lage führender partiell verminderter Sekundfall, aber zu dem Wort „schön“ hin folgt ein in eine Dehnung übergehender Terzschritt, bei dem sich eine Rückung in Dur-Harmonik ereignet. Der nachfolgende Ausruf „O!“ ist aber, wiederum die Haltung der Mutter reflektierend, melodisch stark kläglich angelegt. Dies in Gestalt eines lang gedehnten und nun erstmals über eine verminderte Sekunde erfolgenden und in ges-Moll harmonisierten Falls in tiefer Lage. Die Antwort Edwards erfolgt - bei wiederum von Loewe abweichendem Text - in strukturell ähnlicher Melodik wie in der vierten Strophe, die mit einem Terzschritt eingeleitete und in Sekundintervallen sich fortsetzende Fallbewegung auf den Worten „mag nie es wieder sehn“ erhält eine starke Akzentuierung dadurch, dass der Klaviersatz wieder von seinen Achtelfiguren abweicht und jeder deklamatorische Schritt mit Akkorden akzentuiert wird. Dies aber wieder, wie Brahms in all diesen Fällen verfährt, in Gestalt von Sprungfolgen aus Viertel im Bass und Achtel im Diskant. Die Akzentuierung weist deshalb nicht die Härte und Stärke auf, wie das bei Loewe durch die direkte Anbindung eines Akkordes an den deklamatorischen Schritt der Fall ist.
Die Steigerung der Expressivität in der Melodik sowohl der Mutter-, wie auch der Edward-Verse setzt sich in der sechsten Strophe fort. Wieder greift Brahms dabei zu dem Mittel, die Melodik, abweichend von seiner Verfahrensweise in den vorangehenden Strophen, auf den sich im Text wiederholenden Versen zu variieren. So liegt auf den Worten „dein Weib und Kind“ beim ersten Mal ein aus einer Tonrepetition hervorgehender Quartfall mit Rückkehr der melodischen Linie zur Ausgangsebene. Bei der Wiederholung beschreibt die melodische Linie diese Bewegung zwar erneut, nun aber nicht in unterer Mittellage und in F-Dur-Harmonisierung, sondern auf einer um eine ganze Quarte angehobenen tonalen Ebene und in Des-Dur-Harmonik gebettet. Edward reagiert darauf bei den Worten „Die Welt ist groß, lass’ sie betteln drin“ wieder mit einer strukturell ähnlich angelegten Melodik wie in der fünften Strophe, sie ist aber auf einer um eine Terz angehobenen tonalen Ebene angesiedelt und in Es-Dur mit Rückung nach B-Dur harmonisiert. Der „Mutter“-Ruf ist nun als lang gedehnter Terzfall angelegt, und bei den Worten „Und seh´ sie nimmermehr“ weicht die melodische Linie von der der fünften Strophe ab, indem sie, den semantischen Gehalt dieser Aussage reflektierend, einen zweimaligen, auf der Silbe „mer“ neu ansetzenden Fall in mittlerer Lage beschreibt, der in as-Moll harmonisiert ist.
In der siebten und letzten Strophe greift die Mutter zu ihrem provokativ stärksten Mittel, bei Brahms nun lautend: „Und was willt du lassen deiner Mutter theu´r?, Edward“. Hier lässt Brahms die melodische Linie zwar wieder wie zuvor in der sechsten Strophe mit einer Anstiegsbewegung einsetzen, diese setzt sich nun bei „deiner“ weiter fort und geht bei „Mutter theu´r“ in eine ausdrucksstarke Kombination aus Quintfall und Quartsprung über, wobei die Harmonik eine Rückung vom vorangehenden b-Mol nach F-Dur vollzieht. Und auf der Anrede „Edward“ liegt nun die melodisch expressivste Variante von allen in dieser Ballade: Eine die Anstiegsbewegung auf „theu´r“ gleichsam fortsetzende Dehnung auf der tonalen Ebene eines „F“ in hoher Lage, die in einen Fall über das große Intervall einer Quinte übergeht. Bei den Worten „Mein Sohn, das sage mir“ beschreibt die melodische Linie einen Fall in Sekundschritten, der aber auf „sage“ in die Verminderung übergeht und in einem „O!“-Ausruf endet, bei dem die melodische Linie einen hochexpressiven Sprung über eine ganze Oktave mach, um auf der tonalen Ebene eines F“ in hoher Lage eine lange Dehnung zu beschreiben, die in ein vom vorangehenden As-Dur weitab liegendes F-Dur gebettet ist. -
Johannes Brahms, „Edward“ (IV)
Auch in der letzten Edward-Versgruppe weicht der Balladentext von dem der Loewe-Vertonung ab. Er lautet „Fluch will ich euch lassen und höllisch Feu´r, Mutter (…), denn ihr riethet´s mir!“. Und auch in diesem Fall entfaltet die Melodik ihre stärkste Expressivität. Dies allein schon deshalb, weil sie forte vorzutragen ist und vom Klavier in radikaler Abweichung vom Standard-Satz mit einer sforzato und partiell staccato auszuführenden Folge von achtstimmigen Akkorden begleitet wird, wobei auf dem Wort „will“ sogar ein dieses akzentuierender fünfstimmiger punktierter Viertel-Akkord in dissonant verminderter Des-Harmonik liegt. Auf den Worten „Fluch will ich euch lassen und höllisch Feuer“ liegt eine, bei der Wiederholung unverändert bleibende melodische Linie, die nach einer Tonrepetition auf der tonalen Ebene eines „F“ in hoher Lage in Gestalt von Sekundschritten zu der eines hohen „Ges“ aufsteigt, dort eine Repetition beschreibt und danach bei „und höllisch Feu´r“ in einen dreischrittigen Sekundfall übergeht, der mit einer harmonischen Rückung nach A-Dur verbunden ist. Das Klavier folgt mit seinen fünf-und sechsstimmigen Akkorden dieser Bewegung wort-, bzw. silbengetreu und verleiht damit den deklamatorischen Schritten starken Nachdruck.
Auf dem zweimaligen „Mutter“ liegt ein durch eine Viertelpause unterbrochener gedehnter Terzfall, den das Klavier mit aus dem Bass in den Diskant aufsteigenden Sechzehntelfiguren begleitet. Bei den Worten „denn Ihr, Ihr rietet´s mir“ erreicht die Melodik den Höhepunkt ihrer Expressivität. Auf „denn Ihr“ liegt ein in eine Dehnung mündender und in b-Moll harmonisierter Terzfall in oberer Lage. Erst nach einer Viertelpause setzt die melodische Linie danach ihre Bewegung fort. Dies in Gestalt eines expressiven, weil auf der tonalen Ebene eines „As“ in hoher Lage ansetzenden und in Des-Dur harmonisierten Sekundfalls, der, weil er in eine Dehnung auf der ersten Silbe des Wortes „rietet´s“ übergeht, diesem einen starken Akzent verleiht. Das Klavier verstärkt ihn mit einem länger gehaltenen siebenstimmig dissonanten Forte-Akkord.
Zwei Mal erklingt danach der Klageruf „O!“, dies, von einer relativ langen Dreiviertelpause unterbrochen, in Gestalt eines sehr lang gedehnten Legato-Sekundfalls von der Ebene eines „Des“ zu der eines „C“. Zunächst geschieht das noch im Forte, beim zweiten Mal klingt dieser Ruf auf eindrückliche Weise im Piano aus. Und so ist auch der Klaviersatz angelegt. Anfänglich erstreckt sich die pyramidenförmige Sechszehntelfigur, in f-Moll harmonisiert und forte ausgeführt, auf expressive Weise von extrem tiefer Basslage bis in den hohen Diskant. Dann aber, noch während des Sekundfalls, senkt sie sich, nun zu es-Moll übergehend, in der tonalen Lage um eine Terz ab. Und dieses Fall setzt sich im zweiten „O!“-Ruf fort, verbunden mit einem Übergang ins Piano.
Und dieser Prozess setzt sich im dreistimmigen Nachspiel in Gestalt eines Absinkens der Figur in den Bass und eines Zerfalls der Pyramidenfigur in nur noch fallend angelegte Sechzehntelfolgen fort, - zum Ausdruck bringend, dass sich Edward von seinem expressiv nach außen sich richtenden Klageruf in die schmerzerfüllte Innerlichkeit zurückzieht.
Aber es bleibt ja das existenzielle Faktum des Leben-Müssens mit Bewusstsein des Vatermords, dem er sich stellen muss und auch will.
Der Schluss der Ballade will das sagen, - mit dem nach dem Versinken der zerbrochenen Sechzehntelfiguren im Piano des tiefen Klavierbasses geradezu hart und schroff aufklingenden achtstimmigen und mit einer Fermate versehenen f-Moll-Akkord im Fortissimo. -
Erste Erkenntnisse zum Wesen von Loewes Balladenmusik
Bei der vergleichenden Betrachtung der Vertonungen der Edward-Ballade durch Schubert, Loewe und Brahms ging es zwar auch um die Frage, wer von den Dreien deren sprachliche Gestalt und die sich darin sich konstituierende poetische Aussage am treffendsten musikalisch zum Ausdruck gebracht hat, das sollte aber nur die Grundlage dafür schaffen, die spezifische Eigenart von Loewes Balladensprache erfassen zu können. Dass sich Schubert durch die Entscheidung für das kompositorische Konzept des Strophenliedes die Möglichkeit vergab, die Dramatik des Dialogs in ihrer prozessualen Steigerung zu erfassen, dürfte aufgezeigt worden sein, ebenso die Tatsache, dass dies auch Brahms nicht voll und ganz gelungen ist. Aber gerade der Vergleich mit Brahms ließ die konstitutiven Merkmale der Balladesprache Loewes manifest werden.
Anders als Brahms, dessen Vertonung das Konzept einer liedhaft-gebunden sich entfaltenden Melodik zugrunde liegt, ist das von Loewe wesenhaft deklamatorisch dramatisch ausgerichtet. Dadurch, in der unmittelbaren Bindung der deklamatorischen Struktur der Melodik an die Sprache, treten die Unterschiede in der dialogischen Grundhaltung von Mutter und Edward ungleich markanter hervor, als dies bei Brahms der Fall ist. Man höre nur einmal unmittelbar nebeneinander die Brahms- und die Loewe- Musik auf den Worten „dein Ross war alt und hast’s nicht not,/ dich druckt ein andrer Schmerz. / O! Ich hab’ geschlagen meinen Vater tot, Mutter, Mutter!“. Da prallen bei Loewe zwei fundamentale menschliche Welten aufeinander, und das Ganze steigert sich in einer Dramatik die bühnenreif ist. Brahms vermag diese, bei aller Steigerung in der Expressivität seiner Balladenmusik nicht zu erreichen, weil er durch strukturell ähnliche Anlage von Mutter- und Edward-Melodik die in der Ballade selbst angelegte konfrontative Struktur des Dialogs nicht voll und ganz zum Ausdruck zu bringen vermag, - oder will.
Womit die Auswertung der vorangehenden analytischen Betrachtungen an ihrem für diesen Thread relevanten Punkt angelangt ist: Dem Grundkonzept von Loewes Balladenmusik und den es konstituierenden spezifischen kompositorischen Elementen. Loewe selbst hat sich vereinzelt dazu auch theoretisch geäußert, z. B. in seiner noch unveröffentlichten „Lehre des Balladengesangs“, die Karl Anton in der Zeitschrift für Musikwissenschaft (2, 1919/20) zugänglich gemacht hat. Daraus geht hervor: Die „letzte Grundlage der Musik“ ist für ihn „das Wesen der Sprache“. „… Jeder spricht“, so heißt es dort, „aber nur wenige wollen singen - und doch soll man so singen, wie man spricht, denn der Gesang ist der Sprache wegen dar.“
Auf die Melodik der Ballade übertragen heißt das: Sie muss auf das Erfassen der Sprache des Balladentextes ausgerichtet sein, in der Weise angelegt, dass sie deren semantischer Struktur adäquat ist und den semantischen Gehalt voll reflektiert. Die Ebene der Rezeption des Textes, das, was der Komponist bei derselben empfindet, wie er ihn deutet und interpretiert, muss dabei außen vor bleiben. Subjektivismus wird von Loewe radikal abgelehnt. Objektivierung ist die Maxime, an der sich jegliche Vertonung von poetischem Text auszurichten hat. „Wir wollen“ so brachte er das auf den Punkt, „nicht den Herrn A, B, C in der Ballade hören, sondern den Kaiser Heinrich, den Edward, den Wittekind usw.“ Für den Komponisten bedeutet das: „Die Sprache, die Deklamation, der Takt, das Tempo, die Exekution der Begleitung und der ganze Habitus, also gerade die Nebenumstände, sind die fraglichen Punkte“.
In der Einheit von Text und Musik, in der sich die Objektivität der kompositorischen Aussage konstituiert, sah der mit Loewe befreundete Musiktheoretiker Adolph Bernhard Marx das Wesen von Loewes Balladenmusik. So meint er zum „Erlkönig“:
„Das Gedicht, tief gefühlt und aufgefasst, bildet den Kern, die Composition ist nicht bloss der Träger des Gedichts, sondern füllt, was von dem alten Sänger (gemeint ist Goethe) übergangen werden durfte. Beide Theile haben sich in der Komposition so innig vereinigt, dass wir den Vorgang … die Handlung … die handelnden Personen, jede nach ihrer Eigenthümlichkeit, ja dass wir die malerische Umgebung gleichsam auf einem herrlichen Gemälde zusammengestellt mit einem Blicke überschauen.“
Für Loewe ist die Musik also zwar mehr als nur Träger des poetischen Textes, darin unterscheidet er sich in seiner kompositorischen Grundhaltung deutlich von der Liedästhetik des achtzehnten Jahrhunderts. Sie muss auch die semantischen Tiefendimensionen des poetischen Textes erfassen, also bei der Ballade etwa die in Sprache sich ausdrückende personale Eigenart und Haltung der handelnden Personen, die Atmosphäre des dialogischen Verkehrs zwischen ihnen und die ebenfalls durch den Text evozierten situativen Gegebenheiten des narrativen Geschehens. Insofern bringt sie gleichsam die dem Text immanenten Untertöne zum Erklingen. Was sie aber nicht darf, das ist, die Gedanken und Emotionen zum Erklingen zu bringen, die sich beim Komponisten in der Rezeption des poetischen Textes einstellen. Das wäre ein Verstoß gegen das ihm obliegende Gebot der Objektivität. Balladenmusik darf sich also für Loewe nicht auf einer autonomen Aussageebene entfalten, sie ist in ihrer unmittelbaren Anbindung an die Struktur des poetischen Textes und seine Semantik wesenhaft relativ.
Loewe hat sich während seiner Studienzeit intensiv mit den Balladenkompositionen Johann Rudolf Zumsteegs beschäftigt und sie sogar vorgetragen. Er schätzte sie sehr, aber in seinem Urteil darüber wird deutlich, worin er sie für unzulänglich und verbesserungsbedürftig hielt, und damit auch erkennbar, worin er sich in seinen grundlegenden Intentionen in Sachen Balladen-Komposition von diesem unterschied:
„Tief ergriff mich die Musik dieses alten, mit Unrecht zurückgestellten Meisters. Ihre (also seiner Balladen) Motive sind charakteristisch und geistreich, sie folgen dem Gedicht mit vollkommener Treu. Freilich waren sie meist sehr aphoristischer Natur. Ich dachte mir, die Musik müsste dramatischer sein und unter ausgearbeiteten Motiven gestaltet werden, etwa so, wie ich meine Balladen zu setzen versucht habe.“
Worin er sich von Zumsteeg absetzt, ist genau das, worin sich seine Balladenkomposition in ihrem Wesen auszeichnet: Kein Sich Verlieren in deskriptiv-aphoristischer Ausgestaltung von einzelnen Textelementen, sondern gezielte Durchkomposition auf der Grundlage von wenigen markanten melodischen Motiven und einer maximalen musikalischen Herausarbeitung der dem Text innewohnenden Dramatik.
Loewes Balladen-Komposition zielt also, anders als - was nachzuweisen wird - die Schuberts oder auch die im Fall von „Edward“ immer noch in der romantischen Klavierlied-Tradition stehende von Johannes Brahms, nicht auf die aus der subjektiven Perspektive erfolgenden musikalischen Interpretation des jeweiligen Textes ab, sondern auf die Hervorhebung und Verdeutlichung von dessen Aussage, dies allerdings nicht nur bezogen auf die vordergründig semantische, sondern auch auf die gleichsam untergründige affektive Ebene.
Aus der Sicht des Musikhistorikers heißt das:
In diesem ihr wesenseigenen Realismus steht die Balladen-Musik Loewes gleichsam quer zu der zu seiner Zeit vorherrschenden und bis in die Anfänge des zwanzigsten Jahrhunderts stilprägend sich fortsetzenden Kunstlied-Komposition im Geist der Romantik. -
Kap. 2: „Erlkönig“
Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.
„Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht?“ -
„Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?
Den Erlenkönig mit Kron und Schweif?“ -
„Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif.“ -
»Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
Gar schöne Spiele spiel ich mit dir;
Manch bunte Blumen sind an dem Strand,
Meine Mutter hat manch gülden Gewand.«
„Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,
Was Erlenkönig mir leise verspricht?“-
„Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind;
In dürren Blättern säuselt der Wind.“ -
»Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
Meine Töchter sollen dich warten schön;
Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn
Und wiegen und tanzen und singen dich ein.«
„Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düstern Ort?“ -
„Mein Sohn, mein Sohn, ich seh es genau:
Es scheinen die alten Weiden so grau.“ -
»Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt;
Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt.«
„Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an!
Erlkönig hat mir ein Leids getan!“ -
Dem Vater grauset’s, er reitet geschwind,
Er hält in Armen das ächzende Kind,
Erreicht den Hof mit Mühe und Not;
In seinen Armen das Kind war tot.
(J. W. Goethe)
Die Ballade entstand 1782. Zu ihrer Abfassung wurde Goethe angeregt durch Herders Übersetzung der dänischen Volksballade „Erlkönigs Tochter“. Die Germanisten halten auch für möglich, dass ihr ein Erlebnis Goethes selbst zugrunde liegt: Ein nächtlicher Ritt mit dem siebenjährigen Sohn der Charlotte von Stein. Wie dem auch sei: Was daraus entstand, ist zum Inbegriff der Ballade als literarische Gattung geworden. Es gibt - von ihm selbst und ihm nachfolgenden Autoren - zwar noch viele literarisch gleichrangige Balladen-Dichtungen, keine aber, die sie übertrifft.
Man hat den Inhalt in einem Anflug von interpretatorischem Realismus auf die Fieberträume eines kranken und während des nächtlichen Ritts sterbenden Kindes reduziert. Das wird dem dichterischen Gehalt aber in keiner Weise gerecht, denn dieser transzendiert einen solchen potentiell realen Kern. Was dieses Kind erlebt – und was dem nüchtern rationalistischen Vater verschlossen bleiben muss - , das ist jene Dimension der Begegnung des Menschen mit der Natur, die im seelischen Innenraum angesiedelt ist und Reflex von dessen emotionaler Tiefe ist.
Natur vermag in der vielfältigen Weise, wie sie vom Menschen erfahren werden kann, zur Projektionsraum von Emotionen werden, die von Glück und Freude bis hin zu Furcht und Todesangst reichen. Eine Erkenntnis, die Gegenstand der Dichtung der Romantik wurde und von Goethe – wie so oft – wieder einmal dichterisch antizipiert wurde.
Im Aufbau ist diese Ballade einfach angelegt: Zwei narrative Strophen rahmen sechs, die dialogischen Charakter aufweisen. Die dichterische Größe dieses Werks wurzelt in der Struktur und klanglichen Gestalt der lyrischen Sprache. Beispielhaft dafür sei auf die Unterschiede verwiesen, in der die drei Personen jeweils sprechen. Die Rede des Vaters weist metrisch eine freie Füllung auf, ist rhythmisch gemäßigt und klanglich von dunklen Vokalen geprägt; die des Kindes weicht in ihrer sich steigernden rhythmischen Unruhe deutlich davon ab.
Die Sprechweise des „Erlkönigs“ enthält eine klanglich auffällige Häufung von hellen Lauten, insbesondere des Vokals „i“, auf und ist rhythmisch von einem penetrant wirkenden Wechsel von Hebung und Senkung geprägt. In der höchsten Stufe ihrer verführerischen Eindringlichkeit nimmt sie sogar einen daktylischen Rhythmus an: „Und wiegen und tanzen und singen sich ein“.
Diese Ballade ist vielfach vertont worden, 34 Mal insgesamt, darunter von Komponisten wie Carl Czerny, Anselm Hüttenbrenner, Johann Friedrich Reichardt, Franz Schubert, Louis Spohr und Karl Friedrich Zelter. Sogar Otto Klemperer hat sich an ihr versucht.
Golo Mann, der eine Interpretation von ihr verfasst hat, bekennt darin, dass sie die einzige Ballade Goethes sei, welche er „nicht hersagen“ könne, und fährt fort:
„Und warum? Wegen der Schubertschen Komposition. Melodie und Wort haben sich derart vereinigt, daß sie nie mehr voneinander zu scheiden sind; was für die Melodie spricht und das Wort auch.“ („Goethe, Verweile doch“, Insel 1992, S.138)
Für Golo Mann ist die Schubert-Vertonung also ganz offensichtlich diejenige, die dem Balladentext am umfassendsten und tiefgreifendsten gerecht wird. Loewe erwähnt er nicht.
Und hier muss ich nun eine eigene kleine Geschichte anfügen. Im Flur eines Gymnasiums traf ich einmal auf einen gerade aus dem Musiksaal kommenden Kollegen. Als ich fragte, was er eben gerade behandelt habe, hörte ich „den Erlkönig von Schubert“. Wir kamen ins Gespräch darüber, er schwärmte von der Balladenmusik und ihrer kompositorischen Größe, und ich konnte ihm darin natürlich nur zustimmen. Als wir uns an der Treppe trennen mussten, weil er noch oben, ich nach unten wollte, drehte er sich plötzlich kurz um und rief mir leise verschmitzt zu: „Aber den Loewe höre ich lieber“.
Ich dachte mir mein Teil dazu, als ich, ohne sein Geständnis kommentiert zu haben, meinen Weg nach unten fortsetzte.
Um dieses „Teil“ soll es hier - unter anderem - nun gehen. Denn bei dem nun anstehenden zweiten Versuch einer vergleichenden Betrachtung einer Balladenvertonung mit dem Ziel, die spezifische Eigenart und die Singularität von Loewes Balladenmusik zu erfassen, steht nun im Fall von Goethes „Erlkönig“ wieder Franz Schubert vor der Tür. Dieses Mal aber mit einem anderen Kaliber als im Fall von „Edward“. Und das heißt: Das wird zu einem hoch problematischen Fall werden.
Weil aber vorangehend auf Loewes musikhistorische Stellung eingegangen wurde und in diesem Zusammenhang auch die dem romantischen Klavierlied vorgelagerte Liedmusik-Ästhetik erwähnt wurde, soll hier auch Karl Friedrich Zelter als Repräsentant der sog. „Berliner Schule“ in die Betrachtungen einbezogen werden. -
Karl Friedrich „Zelter: „Erlkönig“
Diese Komposition entstand 1797. Von seiner Anlage her handelt es sich hier um ein variiertes Strophenlied. Nach der Lehre der Berliner Schule fungiert die Melodik als musikalischer Träger des poetischen Textes, sie gibt diesen ohne Veränderung und Wiederholung wieder, reflektiert in ihrer Struktur dessen Aussage, interpretiert diese aber nicht.
Das heißt: Sie erfasst die erste Ebene der Semantik, nicht aber deren Tiefenschicht, wie sie sich etwa in der Haltung der Personen im Dialog, in der Szenerie eines Geschehens und ganz allgemein in der Metaphorik eines Liedes oder einer Ballade präsentiert. Grundsätzlich entfaltet sich die melodische Linie, wie das vom Reglement der Berliner Schule her geboten ist, in Gestalt syllabisch exakter Deklamation, und dies in gebundenem, keinen inneren Bruch aufweisenden Aufeinanderfolgen der einzelnen Schritte.
Die Liedmusik stellt sich also völlig in den Dienst des dichterischen Textes, ohne ihm Eigenes beizugeben, - ein liedkompositorisches Konzept, wie es Goethe liebte, weil es seine poetische Schöpfung nicht antastete, ihre absolute Dominanz in der Musik wahrte und keinen Kommentar durch sie zu befürchten hatte. Beim variierten Strophenlied, und um ein solches handelt es sich hier, wird dieses strikte kompositorische Reglement aber partiell durchbrochen.
Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage
(Vorbemerkung: Da mir die Noten dazu fehlen, bin ich in meinen nachfolgenden Ausführungen dazu auf das Hörbild angewiesen. Die Angaben zur Harmonik stützen sich auf den dieses Hören begleitenden Griff in die Klaviertasten)Die Strophen sind so gestaltet, dass jeweils zwei Verse eine Melodiezeile bilden und beide Zeilen dadurch eine geschlossene strophische Einheit darstellen, dass die Melodik des letzten Verses in einer harmonischen Kadenz endet. In diesem Sinn weisen die erste, die zweite, die vierte, die sechste und die achte Strophe die gleiche, allerdings durch Variationen angewandelte Grundstruktur auf. Der Auftritt des Erlkönigs in der dritten Strophe bringt eine neue melodische Motivik mit sich, und sie kehrt dann prompt in der fünften Strophe nur gering variiert wieder. Eine neue Gestalt nimmt die Liedmusik in der siebten Strophe an, dort also, wo der Erlkönig mit den Worten „Ich liebe dich…“ auf den Knaben eindringt. In der letzten Strophe kehrt die Liedmusik dann wieder zu dem Grundmodell, wie es die erste Strophe verkörpert, wieder zurück.
Bei den Worten „Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?“ geht die melodische Linie, in D-Dur mit Rückung in die Dominante harmonisiert, mit einem Fall in ein Auf und Ab in repetitivem Gestus über. Sie verbleibt dabei in einem rein narrativen Gestus. Dass es sich dabei sprachlich um eine Frage handelt, bringt sie nicht zum Ausdruck, und schon gar nicht den Gehalt des lyrischen Bildes, des Reitens durch Nacht und Wind also. Bei den Worten „
Es ist der Vater mit seinem Kind“ behält sie in der nun in einer Rückung von D-Dur zur Subdominante harmonisierten Fallbewegung diesen Gestus bei. Beim dritten Vers reflektiert die Melodik den Gehalt des lyrischen Bildes vom Im-Arm-Halten insofern, als die Harmonik hier eine Rückung vom vorangehenden H-Dur nach e-Moll vollzieht, ihren silbengetreuen deklamatorischen Gestus behält sie aber weiterhin bei. Bei den Worten des Schlussverses verfällt sie in ihrer zweischrittig abgestuften Fallbewegung in den Gestus der Kadenz, setzt zwar in einer harmonischen Rückung von h-Moll nach G-Dur ein, endet aber in einer Rückung von der Dominate A-Dur zur Tonika D-Dur bei „warm“ auf dem Grundton.
Die Strophen sind durch ein Zwischenspiel miteinander verbunden, in dem das Klavier die Grundstruktur der Melodik in ihren letzten Schritten noch einmal aufklingen lässt. In der dritten Strophe nimmt die Melodik eine neue Gestalt an. Bei den Worten „Du liebes Kind, komm, geh mit mir!“ beschreibt sie in repetitivem Gestus einen Anstieg in partiell verminderten Sekundschritten, der in chromatischer Anstiegsrückung harmonisiert ist, und das setzt sich im zweiten und im dritten Vers so fort, so dass die melodische Linie in immer höhere Lage aufsteigt. Bei den Worten „Meine Mutter hat manch gülden Gewand“ beschreibt sie dann von dort aus einen Fall, und zwar in der Weise, dass sie auch jetzt ihren repetitiven Gestus beibehält, die tonale Ebene sich dabei aber zwei Mal über größere Intervalle nach unten absenkt. Während zuvor die Harmonik immer wieder Rückungen von Dur nach Moll vollzog und einmal sogar in die Verminderung, beschreibt sie nun im letzten Vers ausschließlich Rückungen im Tongeschlecht Dur (Von A-Dur nach E-Dur und wieder zurück nach A-Dur). -
„Zelter: „Erlkönig“ (II)
Wie bereits beschrieben, kehrt diese Liedmusik - nach der variierten Wiederholung der Musik der ersten und zweiten Strophe in der vierten - in der fünften Strophe unverändert wieder. Sogar in der siebten Strophe beschreibt die melodische Linie bei den ersten beiden Versen wieder diesen chromatischen Anstieg. Bei den Worten „„Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an!“ entfaltet die melodische Linie in der Fortsetzung dieser Aufstiegsbewegung aber stärkere Expressivität und diese steigert sich ins Extrem, indem sie bei den Worten „Erlkönig hat mir ein Leids getan!“ in einen Fall aus hoher Lage übergeht, der bei „ein Leids“ in Gestalt einer Dehnung innehält. Die Harmonik vollzieht in dieser in ihrer Gestalt neuen Melodiezeile eine Rückung von E-Dur über a-Moll und d-Moll nach A-Dur. Sie stellt sich, wie das in allen Strophen der Fall ist, als eine Rückung von der Dominante zur Tonika dar, in diesem Fall über zwei Moll-Zwischenschritte erfolgend.
In der letzten Strophe kehrt die melodische Linie wieder zum von rhythmisierten Repetitionen geprägten deklamatorischen Gestus ihres von Anfangs zurück, beschreibt bei den Worten „das ächzende Kind“ allerdings nun einen weit nach oben ausgreifenden, in Rückung von D-Dur nach g-Moll harmonisierten und darin die Semantik reflektierenden Bogen. Bei den Worten „Erreicht den Hof mit Mühe und Not“ senkt sie sich in der tonalen Ebene in tiefere Lage ab, wobei die Harmonik eine Rückung von g-Moll über A-Dur zum als Dominante fungierenden und damit zur letzten Melodiezeile überleitenden d-Moll vollzieht.
Auch bei dem erschreckenden Ereignis, wie es die Ballade in ihrem letzten Vers zum Ausdruck bringt, behält die melodische Linie ihren von Anfang an durchweg praktizierten deklamatorischen Gestus der rhythmisiert-silbengetreuen Deklamation bei. Auf den Worten „In seinen Armen“ beschreibt die melodische Linie, in d-Moll mit Rückung nach g-Moll harmonisiert, einen stufenweise sich absenkenden Fall, auf „das Kind“ hält sie nach einem Terzsprung in Gestalt einer Dehnung inne, und auf den Worten „war tot“ vollzieht sie in unterer Lage einen Sekundanstieg, der in eine Dehnung mündet, wobei die Harmonik die klassische Kadenzrückung von A-Dur nach D-Dur beschreibt. Das Klavier hat dazu nur noch - wie üblich - eine Folge von zwei D-Dur-Akkorden und einem zwischengelagerten in a-Moll nachzutragen.
Gerade in diesem Schluss wird die Unzulänglichkeit dieses liedkompositorischen Konzepts der Berliner Schule sinnfällig. Zelters Ballade vermag die Ungeheuerlichkeit des Balladen-Ereignisses nicht zu erfassen, nicht die sich steigernde Dramatik des Geschehens, die eindringliche Brisanz der Dialoge und nicht die sich in den Worten ausdrückende Haltung der drei Personen.
Mit anderen Worten: Sie erfasst das Wesen der Ballade und ihre Aussage nicht, geht daran völlig vorbei. -
Franz Schubert: „Erlkönig“, D 328
Von dieser Ballade gibt es vier Fassungen. Die erste entstand im Herbst 1815. Die zweite komponierte Schubert möglicherweise im April 1816 und gab sie – mit vereinfachtem Klaviersatz – der Liedsendung an Goethe bei. Die dritte Fassung ist ebenfalls auf das Jahr 1816 zu datieren, und die vierte erschien als Druckfassung im März 1821. Sie trägt die Opuszahl 1 und steht in g-Moll. Sie weist einen Viervierteltakt auf und ist mit der Anweisung „Schnell“ versehen.
Es sind diese jagenden und Atemlosigkeit erzeugenden permanent repetierenden Achtel-Oktav-Triolen, die die Grundlage für den klanglichen Eindruck legen, der diese Ballade auszeichnet. Wobei nicht übersehen werden darf, dass der klanglich-rhythmische Effekt, der von ihnen ausgeht, durch die immer wieder aufklingenden und schwerschrittig fallenden Achtel im Bass ganz wesentlich intensiviert und gesteigert wird. Diese hämmernden Oktav-Triolen beherrschen das Lied total. Sie fungieren, im weiteren Verlauf der Balladenmusik sich von ihrer oktavischen Gestalt zu einer vielstimmig akkordischen erweiternd und in ihrer Expressivität verstärkend, als musikalische Evokation der hochgradig bedrängenden und existenziell gefährdenden Eile des Balladen-Geschehens.
Aber da wäre nicht ein Schubert am Werk, wenn sich in diesen Eindruck nicht andere rhythmische Klangbilder drängten und ihn differenzierter erscheinen ließen. Immer dann, wenn der „Erlkönig“ seine verlockenden Lieder ertönen lässt – und das sind die melodisch eingängigsten Passagen der Ballade – tritt an die Stelle dieser wohl den Hufschlag des Pferdes imaginierenden triolischen Achtel-Repetitionen ein Rhythmus, der, weil aus dem Wechsel von Oktaven im Bass und Akkorden im Diskant hervorgehend oder gar zum fließenden Auf und Ab von Achteln sich zurücknehmend, klanglich weicher, ja einnehmend wirkt. -
Schubert, „Erlkönig“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage
Obgleich die melodische Linie der Singstimme ein regelrechtes Spannungsfeld von rezitativischen, dramatischen und lyrischen Passagen durchläuft, bewahrt die Balladenmusik ihre innere Geschlossenheit. Bei der ersten Strophe bewegt sie sich noch ruhig. Jedem Vers ist eine Melodiezeile zugeordnet, Viertelpausen liegen jeweils dazwischen. Von daher kommt der Eindruck einer gewissen narrativen Ruhe, wobei auch sicher eine Rolle spielt, dass auf den eine Betonung tragenden Silben jeweils eine halbe Note liegt. Die Worte „er hält ihn warm“ werden in besonderer Weise dadurch hervorgehoben, dass die melodische Linie hier ihren tiefsten Punkt erreicht hat und auf den Worten drei halbe Noten liegen. Freilich entfaltet sich unter diesem noch ruhigen Ton der Vokallinie die Unruhe der repetierenden Oktav-Triolen und der heraufdrängenden Achtel im Bass.
Mit dem ersten Vers der zweiten Strophe kommen die ersten Elemente des Unheimlichen in das Lied. Schon die in großen und kleinen Sekunden ansteigende melodische Linie macht das vernehmlich, zumal dies mit einer chromatischen Rückung verbunden ist. Dann ist da noch die Unruhe, die durch das Auf und Ab der Sext- und Quintsprünge und –abstürze bei der Antwort des Sohnes in die melodische Linie kommt. Und schließlich ist diese auch noch in ihrer Harmonisierung von starkem Chroma durchsetzt, das sich später bis zu schrillen Dissonanzen steigern wird. Noch aber klingt die Antwort des Vaters ruhig: In tiefer Lage bewegt sich die Vokallinie bedächtig auf nur einer tonalen Ebene.
Der „Erlkönig“ tritt als verführerischer Liedsänger auf, der sich mit einschmeichelnder Melodik an das Kind wendet. Immer ist sie in reinem Dur (hier B-Dur) harmonisiert und meidet schroffe harmonische Rückung und jedes Chroma. Weit gespannt ist die Phrasierung, Pausen gibt es nicht. Der einschmeichelnde Ton kommt durch das Auf und Ab einer von durch Punktierung der halben Noten leicht rhythmisierten melodischen Linie zustande und wird durch die Einlagerung von Melismen („spiel ich“ / „gülden Gewand“) sogar noch gesteigert. Die Reaktion des Kindes auf die erste Begegnung mit dem „Erlkönig“ ist harmonisch noch dissonanter als bei seiner ersten Antwort an den Vater. Die große innere Erregung wird darin vernehmlich, dass die Singstimme kurzschrittig auf einer tonalen Ebene deklamiert und von dieser nur um eine Sekunde abweicht, bevor die Frage bei dem Wort „spricht“ in eine lange melodische Dehnung mündet, die ihre Eindringlichkeit noch intensiviert.
In C-Dur erklingt der zweite Verführungsgesang des „Erlkönigs“. Die melodische Linie bewegt sich nun lebhafter, da sie ausschließlich aus dem Auf und Ab von Vierteln und Achteln besteht. Ihre klangliche Eindringlichkeit steigert sich am Ende durch die Wiederholung des in große Höhe ausgreifenden und weit gespannten melodischen Bogens, der auf den Worten „Und wiegen und tanzen und singen dich ein“ liegt. Wieder reagiert das Kind mit diesem hektischen und penetrant auf einer Tonhöhe verbleibenden Deklamieren, an dessen Ende die lange Frage-Dehnung steht. Der Vater zeigt in seiner Antwort erstmals auch Unruhe: Verminderte Tonsprünge und das Verharren auf einer tonalen Ebene vor dem Quintfall am Ende lassen sie vernehmen.
In Es-Dur ist die dritte Verführungsmelodie des „Erlkönigs“ gebettet Nun aber wird sie bedrängend, ja bedrohlich, da nun ebenfalls in insistierender Weise auf einer Tonhöhe deklamiert wird und am Ende ein mit einer Modulation nach d-Moll verbundener Quintfall mit Dehnung bei dem Wort „Gewalt“ steht. Die Ballade hat in ihrer Dynamik das Forte-Fortissimo erreicht. In schrill-dissonanter Form artikuliert das Kind sein Entsetzen (Schuberts Zeitgenossen waren darüber erschrocken). Wieder wird auf hoher Tonlage deklamiert, wobei die maßgeblichen Worte durch melodische Dehnungen akzentuiert werden und chromatische harmonische Rückungen den Ausdruck der melodischen Linie verstärken. Am Ende, bei dem Wort „getan“, ereignet sich ein Quintfall mit Dehnung, der wie ein Erlöschen der Ausdruckskraft, ja des Lebens wirkt.
Wie getrieben von den Oktavtriolen und den immer wieder von unten heranstürmenden Achteln wirkt die melodische Linie in der letzten Strophe. Von Pausen unterbrochen und in Sekunden ansteigend, bewegt sie sich nach oben und gipfelt bei den Worten „das ächzende Kind“ in hoher Lage auf. Danach wirkt es, als würde sie abreißen. Eine fast dreitaktige Pause folgt. Zwar meldet sich die Vokallinie mit dem zweitletzten Vers noch einmal. Aber das wirkt wie ein Nachklang ihrer Bewegungen davor: Auf mittlerer tonaler Ebene wird in fast gleichförmiger Weise berichtend deklamiert. Und dann erlischt das unablässige Stakkato der Oktav-Triolen und mündet in einen lang gehaltenen Akkord.
Die letzten Worte erklingen als Rezitativ ohne Klavierbegleitung in Gestalt einer bogenförmigen melodischen Linie über einem „As“. Noch einmal ein Akkord mit Fermate. Und dann, wie in den klanglich leeren Raum in Gestalt eines kleinen Sekundsprungs zu einem tiefen „d“ hin die Worte „war tot“. Piano erklingen sie. Zwei hart und forte angeschlagene Akkorde kommentieren das kalt. -
Schubert, „Erlkönig“ (II)
Wenn Golo Mann bekennt, dass er „als Referent“ Goethes „Erlkönig“ nicht hersagen könne, weil er dabei sofort ins Singen gerate, ein Singen der Melodik von Schuberts Vertonung derselben nämlich, so hat er mit dieser Bemerkung an deren Wesen gerührt: Es ist die vollkommene Verschmelzung von Sprache und Melodik. Es ist die spezifische Eigenart von Schuberts Liedkomposition ganz allgemein, der man im Fall des „Erlkönigs“ in einer repräsentativen und hochgradig beeindruckenden Verkörperung begegnet. Der Musikologe Thrasybulos Georgiades hat das in seiner Studie zu Musik und Lyrik bei Schubert in die Worte gefasst: „Schuberts Gesang ist das musikalische Erklingen der Sprache, ist Sprache als Musik“.
Und weil das so ist, erfasst die Musik in Schuberts „Erlkönig“ die Ballade Goethes in allen Faktoren, aus denen sich ihre poetische Aussage konstituiert: Die prosodische Anlage, die Sprache nicht nur - wie bei Zelter - in der ersten Ebene ihrer Semantik, sondern auch in ihren Tiefenschichten, die Dramatik ihrer dialogischen Entfaltung, die darin sich ausdrückende Haltung der drei Protagonisten und Ungeheuerlichkeit des balladesken Geschehens in seiner existenziellen Relevanz.Weil dies, wie zu hoffen ist, in der vorangehenden Besprechung in seinen Grundzügen aufgezeigt wurde, soll nun im Sinne einer Ergänzung dazu, nur noch auf zwei Aspekte eingegangen werden, die aber natürlich in einem engen Zusammenhang stehen: Die schubertspezifische Symbiose von Sprache und Musik und die interpretatorische Grund-Intention, die seiner Umsetzung des Balladentextes in Liedmusik zugrunde liegt. Dies deshalb, weil es für die sich anschließende Betrachtung der Loewe-Vertonung und den damit einhergehenden Vergleich mit der Schuberts von Bedeutung ist. Die hier ausgewählten Passagen der Balladenmusik sollen dann auch bei Loewe der Ansatzpunkt für diesen Vergleich dienen.
Auf die Erlkönig-Verse legt Schubert, eben weil sie sich in ihrer Aussage und der dahinterstehenden Intention unterscheiden, jeweils eine eigene Melodik. Eine Wiederholung verbietet sich für ihn, nicht einmal eine Variation der ersten Fassung bei der zweiten und dritten Versgruppe kann für ihn aus Gründen der Ausrichtung seiner Liedkomposition auf die Gestalt und die Semantik der poetischen Sprache infrage kommen. Wie er den suggestiv-verführerischen Gestus derselben in der Gestalt der melodischen Linie, ihrer Harmonisierung und im begleitenden Klaviersatz liedmusikalisch aufgreift und umsetzt, wurde bereits in den Grundzügen dargestellt. An den Versen „»Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt“ soll diese Wortgebundenheit und die damit verbundene kompositorische Intention nun in vertiefender Weise aufgezeigt werden.
Anders als die erste Ansprache ist diese sprachlich nicht als lockende Aufforderung und auch nicht, wie die zweite, als mit dem Bild von den Töchtern verblümte Frage angelegt, sondern als ein eindringliches Geständnis, das in eine Drohung umschlägt. Die Kernaussage besteht in den klassischen Worten „ich liebe dich“, denen gleichsam ergänzend die Bezugnahme auf den Reiz der schönen Gestalt beigefügt wird. Und so legt denn Schubert auf die ersten drei Worte den Schwerpunkt in Gestalt einer melodischen Linie, die mit einem in eine Dehnung auf der Silbe „lie-“ mündenden verminderten Sekundschritt im Wert eines Viertels einsetzt, auf der zweiten Silbe von „liebe“ in einen Quartfall übergeht, dem bei „dich“ eine Tonrepetition in Gestalt eines Achtels nachfolgt. Die Akzentuierung des Wortes „liebe“ durch die melodische Dehnung erfährt eine Intensivierung dadurch, dass die Harmonik hier eine ausdrucksstarke Rückung vom vorangehenden d-Moll zum im Quintenzirkel weitab liegenden Es-Dur vollzieht.
Der Ansprache-Gestus wird dadurch hervorgehoben, dass sich gleich zwei Mal eine deklamatorische Tonrepetition ereignet, auf die bei „liebe dich“ folgt noch einmal eine bei „reizt deine“. Und zur Eindringlichkeit trägt auch wesentlich die Tatsache bei, dass die melodische Linie ihr tonales Zentrum auf einem „Es“ in hoher Lage hat, auf dem sie vier Mal erklingt, und dies sogar zwei Mal in einer Dehnung: Bei „liebe“ in Gestalt eines Viertels und auf der zweiten Silbe von „Gestalt“ sogar in der starken Dehnung einer punktierten halben Note.
Und ein Weiteres ist noch bemerkenswert, den Aspekt Eindringlichkeit der Ansprache betreffend. Den Worten „ich liebe dich“ räumt Schubert melodisch einen ganzen Takt ein, die nachfolgenden Worte drängt er aber durch eine Dominanz von deklamatorischen Achtelschritten ebenfalls in einem Takt zusammen, um mittels dieser verdichteten, wellenartig sich entfaltenden melodischen Linie das Sich-Aufdrängen der Ansprache zu verstärken. Das Wort „reizt“ wird dabei nicht auf einer Achtel-, sondern einer Viertelnote deklamiert, und es erfährt eine Akzentuierung dadurch, dass die Harmonik hier eine Rückung in verminderte D-Tonalität vollzieht, die sie auf den nachfolgenden Worten beibehält, bis sich dann in der, mit der Rückkehr zum Es-Dur verbunden langen Dehnung auf der zweiten Silbe von „Gestalt“ gleichsam die Entspannung und Erlösung auf der immer mehr sich intensivierenden Eindringlichkeit der Ansprache ereignet.
Schubert versteht also den Akt der Verlockung, Verführung und in den Tod führenden existenziellen Bedrohung des Kindes durch den „Erlkönig“ als einen, der nicht durch die Art seines Auftretens und die eindringliche Klanglichkeit seiner Ansprache ereignet, sondern durch das Wort, durch den sprachlichen Gehalt seiner Ansprache. Diesen greift er mit einer ihn in seinen semantischen und affektiven Dimensionen voll erfassenden und adäquat harmonisierten Melodik auf, um sinnfällig werden zu lassen, was sich hier im Balladengeschehen ereignet.
Dies festzustellen ist von Bedeutung, weil sich darin nicht nur auf exemplarische Weise das liedkompositorische Grundkonzept seiner Vertonung des Goethe-Textes manifestiert, sondern sich darüber hinaus auch der grundlegende Unterschied zum Vertonungskonzept von Loewe zeigt. -
Schubert, „Erlkönig“ (III)
An einem weiteren Beispiel soll das an der Sprache der Ballade ansetzende kompositorische Konzept Schuberts aufgezeigt werden, wobei schon beim vorangehenden Beispiel die analytische Betrachtung aufgewiesen haben dürfte, dass die Umsetzung von poetischer Sprache in musikalische bei Schubert zugleich auch Interpretation beinhaltet. Das ist auch bei den Schlussversen deutlich zu erkennen. Der letzte ist von Goethe syntaktisch bewusst so angelegt, dass sich die Ungeheuerlichkeit des Ereignisses auf markante, geradezu schreckenerregende Weise manifestiert. Das Subjekt des Satzes, die Worte „das Kind“ also, stellt er nicht an den Satzanfang, wo es normalerweise hingehört, sondern fügt es im Nachtrag den Worten „in seinen Armen“ im Nachtrag hinzu, was zur Folge hat, dass die Aussage „war tot" in eine syntaktisch stärker exponierte Position kommt.
Die Worte „Erreicht den Hof mit Mühe und Not“ stellen an sich die narrative Beschreibung eines Vorgangs dar. Schubert nutzt sie aber, um darin eine Spannung aufzubauen. Die Harmonik lässt er nach dem dunklen As-Dur rücken und die Melodik mit einer deklamatorischen Tonrepetition einsetzen, die auf der zweiten Silbe von „erreicht“ in eine ungewöhnlich lange (punktierte halbe Note) und von der Semantik her eigentlich unangebrachte Dehnung übergehen, die überdies auch noch vom Klavier mit Sforzato-Akkordrepetitionen akzentuiert wird.
In diesem Innehalten der melodischen Bewegung wird eine spannungsgeladene Erwartungshaltung aufgebaut, die nachfolgend mit einer liedmusikalischen Andeutung von kommendem Unheil versehen wird. Denn auf den Worten an sich nur eine sachlich-lokale Angabe beinhaltenden Worten „den Hof“ liegt ein ausdrucksstarker melodischer Quartsprung von einem „As“ zu einem „Des“, der in verminderte Des-Harmonik gebettet ist. Und in Fortsetzung dieses kompositorischen Konzepts eines Spannungsaufbaus geht die melodische Linie nach dem Sekundfall auf „und Not“ in eine Dreiviertel-Pause über, in der das Klavier mit einem „fp“-Decrescendo seine As-Dur-Akkordrepetitionen fortsetzt und in einen lang gehaltenen Pianissimo-Akkord in As-Dur münden lässt.
Und dann ereignet sich Erstaunliches. „Recit.“ Lautet die Vortragsweisung für den Vortrag der Worte „In seinen Armen das Kind war tot“. Das Klavier schweigt und kommentiert die Melodik erst nach ihrem in eine fermatierte Pause mündenden Sekundfall auf „das Kind“ mit einem piano auszuführenden und mit einer Fermate versehenden stark dissonanten fünfstimmigen Akkord. Und dann folgt, nach eben dieser relativ langen Pause die, ebenfalls accompagnato erklingende, Melodik auf den Worten „ist tot“ nach. Lapidar, und gerade deshalb so erschreckend, in Gestalt eines verminderten Sekundschrittes aufwärts von einem tiefen Achtel-„Cis“ zu einem Viertel-„D“. Also ein melodisches Ende ohne sonderliche Dehnung.
Und lapidar mutet auch der Beitrag des Klaviers dazu an. Er besteht, wie auch die letzten melodischen Schritte, aus einer durch eine Achtelpause unterbrochenen und mit der Anweisung „Andante“ versehenen Folge eines jeweils sechsstimmigen Achtel- und eines Viertel-Akkords. Aber von hoher Bedeutung ist dabei die Harmonik. Sie steht im Tongeschlecht Dur, - in Gestalt eines Dominantseptakkords in der Tonart „D“ und eines Schlussakkords in der Tonart „G“. Und dies angesichts des die Balladenmusik so stark prägenden, als Grundtonart fungierenden g-Molls.
Das ist wohl so zu verstehen, dass Schubert damit die unabänderliche Faktizität des Todes betonen will. Mit der Reduktion der Liedmusik auf das Rezitativ aber die entsetzliche Leere, Unbegreiflichkeit und Unfassbarkeit des Geschehens.
Mit der analytischen Betrachtung insbesondere des letzten Verses dürfte deutlich geworden sein, wie sich die für Schuberts Liedmusik so typische und sie auszeichnende Umsetzung von poetischer in musikalische Sprache konkret darstellt. Er reflektiert in der Struktur seiner bogenförmig als Rezitativ angelegten und die Worte „war tot“ mittels einer vorgelagerten Pause exponierenden Melodik nicht nur die spezifische Syntax desselben, er erfasst auch deren semantische und affektive Tiefendimension. Und das heißt, dass sich in der Musik nicht nur das Geschehen in seiner Verhetztheit, Dramatik und Unheimlichkeit niederschlägt, sondern auch die psychische Befindlichkeit der drei Protagonisten und die in der Sprache sich ausdrückende Intentionalität ihrer Aussagen.
Das ist das liedkompositorische Konzept, das der ganzen Musik von Schuberts „Erlkönig“ zugrunde liegt und zur Folge hat, dass ein Golo Mann meint, den Goethe-Text gar nicht vortragen zu können, ohne geradezu zwangsläufig die Schubert-Melodie einbeziehen zu müssen.
Aber das heißt ja doch zugleich, dass Goethes Ballade in ihrer prosodischen Gestalt und ihrer poetischen Aussage in Schuberts Musik voll und ganz präsent ist. -
Carl Loewe: „Erlkönig“, op. 1, Nr. 3
Loewes Komposition entstand 1818, oder vielleicht schon 1817, auf jeden Fall aber vor derjenigen Schuberts. Für ihre analytische Betrachtung und ihre Beurteilung von Bedeutung ist, dass es keinerlei historische Quellenzeugnisse darüber gibt, dass er diese gekannt hat, und auch nicht die Kompositionen von Reichardt und Zelter. Seine Vertonung der Goethe-Ballade erfolgte also auf ganz und gar eigenständige und unbeeinflusste Weise aus der unmittelbaren Begegnung mit dem poetischen Text und der kompositorischen Auseinandersetzung mit ihm.
Später muss er aber wohl doch, was ja eigentlich auch zu erwarten war, Schuberts Ballade kennengelernt haben. Denn 1844 schreibt er aus Wien:
„Sie waren alle außer sich. Ich kann nicht wenig stolz darauf sein, daß mein Erlkönig hier so zündet, da das Wiener Publikum mit dem Schubertschen groß geworden ist.“
Loewes erster Biograph Heinrich Alfred Bulthaupt sah sich, im Bewusstsein der Tatsache, dass schon zu seiner Zeit Schuberts Ballade sich größerer Bekanntheit erfreute als die Loewes, in seinem 1898 erschienen Buch mit dem Titel „Carl Loewe. Deutschlands Balladenkomponist zu der Feststellung genötigt: „An künstlerischer Bedeutung (…) steht der Loewe´sche Erlkönig dem Schubert´schen nicht nach, und im Treffen des Balladentons ist er ihm überlegen“.
Zur Frage „Warum“ führt er anschließend aus:
„(… - ) das leuchtet zunächst wohl ein, wenn wir die drei Wesen, zwischen denen während des unheimlichen Ritts Worte und Gefühle herüber und hinüber fließen und flattern, bei Loewe und bei Schubert hören. Den Geist von Allem! Der singt bei Schubert, wie wir alle wissen, ehe er die Hand zum mörderischen Griff nach dem Kinde ausstreckt, zwei süsse Melodien, gefällig, wohlig und locken. Ob aber auch unheimlich, das vermag ich mit vielen Anderen nicht zu finden. In ihnen beiden, der ersten, die von den klopfenden Achteln begleitet wird, der zweiten, die ruhig vor dem wallenden Nebelgewölk geschaukelt wird, überwiegt die schöne Form den charakteristischen Ausdruck, und noch nie ist mir ein Sänger begegnet, der die beiden Weisen gespensterhaft genug zu färben und ihrer schönen Körperlichkeit gleichsam das Blut auszusaugen vermocht hätte.Ganz anders bei Loewe. Da tönt der Lockruf des Geistes wie ein Klang aus einer anderen Welt, weich und schmeichlerisch, aber gleichmässig, einförmig, ohne künstlerische Wohlgestalt, wie eine Naturkraft. Das wiederholt sich, kaum merklich variiert immer wieder und bohrt sich in des Knaben Hirn, unheimlich siegreich in seiner Stetigkeit, bis das arme, schwache Geschöpf ihm erliegt.“ (S. 36/37).
Bulthaupts Beurteilung von Loewes „Erlkönig“ wurde deshalb in dieser Länge hier zitiert, weil er mit seiner Bezugnahme auf Schubert indirekt und unbeabsichtigt den Unterschied in der kompositorischen Intention anspricht, wie sie beiden Vertonungen jeweils zugrunde liegt. Er liefert auf diese Weise einen sehr schönen Ansatzpunkt für die nachfolgende liedanalytische Betrachtung. -
Carl Loewe: „Erlkönig“. Zur Faktur der Komposition und ihrer liedmusikalischen Aussage
Die Ballade ist - natürlich muss man sagen, weil das Loewes Grundprinzip ist - durchkomponiert. Erstaunlicherweise steht sie wie die von Schubert in g-Moll als Grundtonart, ein Neunachteltakt liegt ihr zugrunde, und sie soll „geschwind“ vorgetragen werden. Ein zweitaktiges Vorspiel geht dem Einsatz der melodischen Linie der Singstimme voraus. Es besteht im Diskant aus einem repetitiven Auf und Ab von Sechzehnteln in Gestalt einer „B-D“-Terz und einem „G“ in die eine verminderte Sekundreibung aus einem „B“ und einem „Cis“ eingelagert ist. Im Bass wird diese unverändert zwei Takte lang erklingende Sechzehntel-Repetition von lang gehaltenen tiefen „G“-Oktaven begleitet, als letzte folgt darauf aber eine in „Fis“.
Was könnte dieses Vorspiel suggerieren? Das „Cis“ dürfte beim Nachdenken über diese Frage eine wichtige Rolle spielen. Es bringt eine Dissonanz ein, die wohl als Verweis darauf zu verstehen ist, dass sich nachfolgend Unheil ereignen wird. Und die Anmutung von gleichförmig mechanischem Ablauf, die die Sechzehntel-Repetitionsfigur einbringt, soll wohl die schicksalhafte Unabänderlichkeit dieses Geschehens zum Ausdruck bringen.
Natürlich ist das eine ganz und gar subjektive Interpretation des Vorspiels, aber wie immer man es deuten mag, eines stellt einen objektiven Sachverhalt dar:
Anders als Schubert, der ebenfalls auf Repetitionen setzt, aber in diese im Bass eine triolische Achtelfigur einlagert und auf diese Weise ein mehrdimensionales Geschehen suggeriert, setzt Loewe auf die Wirkung einer gleichsam eindimensionale Klanglichkeit. Das ist im Auge zu behalten, denn es könnte von Belang sein, sein kompositorisches Grundkonzept betreffend.
Die Melodik ist - mit Ausnahme der dritten Strophe, dem ersten Auftritt des Erlkönigs also - in Zeilen untergliedert, die jeweils einen Vers beinhalten. Die dazwischenliegenden Pausen sind allerdings von unterschiedlicher Länge und können bis zu einem Achtel zusammenschrumpfen. Das geschieht gegen Ende der Balladenmusik hin, und es zeigt, weil es mit einem Anwachsen der Dramatik einhergeht, dass die Pause von Loewe ganz offensichtlich als kompositorisches Ausdrucksmittel genutzt wird. Das ist auch bei der Textwiederholung der Fall, die in den Strophen eins, zwei, vier, sechs und sieben in Gestalt des letzten Verses zum Einsatz kommt.
Darin verfährt Loewe anders als Schubert, und man kann daraus durchaus Schlüsse hinsichtlich seiner kompositorischen Grund-Intention ziehen. Anders als dieser begnügt er sich nicht mit dem melodischen Erfassen des Aussage-Gehalts des poetischen Textes, sondern will diesen intensivieren, um das dramatische Geschehen in den einzelnen Situationen seiner Entfaltung so ausdrucksstark wie möglich in Musik zu setzen. Denn das ist, so zeichnet sich das schon im Vorspiel und in der ersten Strophe ab, ganz offensichtlich der Kern dieser seiner kompositorischen Intention. Sie ist wesenhaft szenisch ausgerichtet, auf das Erfassen der narrativen Situation, das Verhalten der Personen darin und die sich daraus entwickelnde Dramatik angelegt.
Das ist ein fundamental anderes kompositorisches Konzept als das Schuberts.
Auf den Worten „Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?“ beschreibt die melodische Linie, in g-Moll harmonisiert und mit einem Crescendo versehen, einen deklamatorisch silbengetreuen Anstieg von der tonalen Ebene eines „A“ in tiefer Lage bis zu der eines „B“ in mittlerer, über das große Intervall einer None also. Eine Pause im Wert von drei Vierteln folgt nach. Das Klavier begleitet das mit seinen vom Vorspiel her bekannten Auf und Ab-Sechzehntel-Repetitionen, nun aber ohne das eingelagerte „Cis“, im Bass aber ereignet sich Bemerkenswertes: Oktaven vollziehen, in tiefer Basslage ansetzend, die Anstiegsbewegung der melodischen Linie mit und setzen sie auch in der sich an diese anschließenden Pause fort, um am Ende, vor dem Einsatz der Melodik auf dem zweiten Vers, in ein Auf und Ab überzugehen. Das Klavier verstärkt damit die Anmutung von Dramatik, die der Melodik in ihrem Aufstiegsgestus innewohnt.
Die Worte „Es ist der Vater mit seinem Kind“ erfahren eine starke Hervorhebung dadurch, dass die melodische Linie bei „Vater“ mit einem Quintsprung zu einer Dehnung mit nachfolgendem Quartfall übergeht, und nach einem kurzen Auf und Ab mit einem Quartsprung eine neuerliche Dehnung bei dem Wort „Kind“ auf genau der gleichen tonalen Ebene eines „D“ in hoher Lage beschreibt, auf der sich schon die Dehnung auf „Vater“ ereignete. Die Harmonik ist dabei vom vorangehenden g-Moll zum Tongeschlecht Dur übergegangen, vollzieht dort eine Rückung von der Tonart „D“ zur Dominante „A“, und das Klavier begleitet nun mit fünf- , bzw. sechsstimmigen Akkorden.Das ist die für Loewes Balladenkomposition so bezeichnende und typische Art und Weise, den für das Balladen-Geschehen bedeutsamen Fakten die angemessene musikalische Akzentuierung zu verleihen.
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Carl Loewe: „Erlkönig“ (II)
Wie stark dabei auch die affektive Dimension des Geschehens adäquate Berücksichtigung erfährt, zeigt sich bei den Worten „Er hat den Knaben wohl in dem Arm, /
Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm“. Hier lässt die melodische Linie nämlich von ihren sprunghaften und in Dehnungen aufgipfelnden Bewegungen ab und bewegt sich drei Mal in dreischrittigen Repetitionen auf mittlerer tonaler Ebene, denen dann eine melodische Figur aus Auf und Ab-Schritten über kleinere Intervalle nachfolgt. Diese Melodik strahlt Ruhe aus, und eben deshalb modifiziert Loewe an dieser Stelle den Klaviersatz und die Harmonik. Nun geht das Klavier in Diskant und Bass wieder zu den Figuren über, mit denen es die Melodik des ersten Verses begleitete, dem Auf und Ab von Sechzehnteln im Diskant und den Oktaven im Bass, und die Harmonik kehrt wieder zum Tongeschlecht Moll zurück. Aber wie hochgradig differenziert Loewe die Harmonik einsetzt, zeigt sich darin, dass er es nun nicht beim g-Moll, bzw. c-Moll belässt, sondern zwei Mal eine Rückung nach D-Dur einsetzt: Bei den Worten „in dem Arm“ und „er hält ihn“.
Das sind wieder bedeutsame Sachverhalte, die einer entsprechenden Akzentuierung bedürfen. Und aus eben diesem Grund setzt Loewe auch nun das Mittel der Textwiederholung ein, dies allerdings einhergehend mit einer Variation der Melodik und ihrer Harmonisierung. Auf den Worten „er fasst ihn sicher“ liegt der gleiche, mit einer harmonischen Rückung von g-Moll nach c-Moll einhergehende repetitive Sekundfall wie beim ersten Mal. Bei „er hält ihn warm“ beschreibt die melodische Linie nun aber nicht den auf einen Quartsprung folgenden zweischrittigen Sekundfall, vielmehr geht sie nach dem Sprung zu einer Repetition auf der Ebene eines „D“ in hoher Lage über und vollzieht dann zu dem Wort „warm“ hin einen Quintfall, der mit einer Rückung nach g-Moll verbunden ist und, um die Liedmusik dieser Strophe abzuschließen, zu einer Dehnung auf dem Grundton „G“ führt.Diese erste Strophe lässt bereits sehr klar das kompositorische Grundkonzept von Loewes Vertonung der Erlkönig-Ballade erkennen. Es ist auf das musikalische Erfassen des narrativen Geschehens in all seinen dimensionalen Ebenen ausgerichtet. Das betrifft die Ebene der Fakten und der situativen Gegebenheiten, deren Bedeutsamkeit im Verlauf desselben, aber auch deren affektive Dimensionen. Der Musik kommt dabei die Aufgabe zu, all diese Aspekte des Balladentextes mit ihren Mitteln mit der jeweils angemessenen Expressivität zum Ausdruck zu bringen. Dabei werden im Klaviersatz auch klangmalerische Mittel eingesetzt. Im Unterschied zu Schubert geht es ihm also nicht um die Umsetzung der balladesken Sprache in Musik, sondern um die musikalische Konkretion des narrativen Gehalts dieser Sprache.
Die Musik der zweiten Strophe lässt das noch deutlicher vernehmen und erkennen. Das Klavier lässt schon in der fast zweitaktigen Pause für die Singstimme im Bass ein permanent wirbelndes Auf und Ab von Sechzehnteln erklingen, das bedrohliche Unruhe suggeriert, die durch lang gehaltene vierstimmige Akkorde im Diskant eine Akzentuierung erfährt. Auf diese Weise wird die melodische Linie die ganze Strophe über begleitet. Bei den Worten „„Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht?“ beschreibt die melodische Linie, in g-Moll harmonisiert und mit der Anweisung „mezzo f“ versehen, noch einmal die in tiefer Lage ansetzende, nun aber eine Terz höher endende Anstiegsbewegung wie auf dem ersten Vers der ersten Strophe. Dann aber, nach einer neuerlichen Pause, geht sie in einen neuen Gestus über, der, und das ist eben Loewes kompositorische Intention, in seiner Struktur die tiefe Angst und die Verstörung des Kindes vernehmen lässt.
Auf den Worten „„Siehst, Vater, du“ beschreibt die melodische Linie, „p assai“ und in d-Moll gebettet, nach einem Quintsprung eine Tonrepetition auf der Ebene eines „D“ in oberer Mittellage. Diese wird aber mitten in dem Wort „Vater“ durch eine Achtelpause unterbrochen, die Frage des Kindes gerät also ins Stocken, und nach dem „du“ bricht sie sogar ab, legt eine Dreiachtelpause ein, bevor sie ihre Bewegung bei den Worten „den Erlkönig nicht“ in Gestalt erst eines Sekundfalls und dann eines Sekundanstiegs fortsetzt, wobei die Frage in ihrer Nachdrücklichkeit dadurch gesteigert wird, dass bei diesem dreischrittigen Sekundanstieg am Ende die Harmonik eine Rückung von d-Moll nach der Dominantseptvariante der Tonart „A“ vollzieht.
Und die melodische Linie behält diesen Gestus bei. Auf den Worten „Den Erlenkönig mit Kron und Schweif?“ verharrt sie, wieder von einer Achtelpause unterbrochen, auf repetitiv eindringliche Weise mit verminderten Sekundschritten auf der Ebene des hohen „D“, auf der sie bei „Erlkönig nicht“ gerade ihre Bewegungen unterbrach, wobei die Harmonik nun zwei Mal eine Rückung von „A7“ zurück nach d-Moll vollzieht. Große Ruhe bringt dagegen die Melodik auf den Worten des Vaters zum Ausdruck. Auf den Worten „Mein Sohn“ liegt, wieder „mezzo f“ vorgetragen, ein in eine Dehnung übergehender und in E-Dur harmonisierter melodischer Sekundschritt in tiefer Lage, dem eine Viertpause nachfolgt. Und bei „das ist ein Nebelstreif“ behält die melodische Linie diesen ruhig-nachdrücklichen Gestus bei, in dem sie einen repetitiven Sekundanstieg in mittlerer Lage beschreibt, bei dem die Harmonik auf höchst ausdrucksstarke Weise von A-Dur nach dem fernab liegenden B-Dur rückt. -
Carl Loewe: „Erlkönig“ (III)
Loewe zielt also, seinem grundsätzlichen Vertonungs-Konzept entsprechend, mit dem kontrastiven Nebeneinander von Angst und Ruhe zum Ausdruck bringender Melodik auf die musikalische Konkretion der in der zweiten Strophe der Ballade dialogisch angelegten narrativen Situation ab. Dass er die Worte des Vaters wiederholt und dabei die melodische Linie in ihrem repetitiven Gestus bis zur Ebene eines „D“ in tiefer Lage absinken lässt, liegt ganz auf der Linie dieses kompositorischen Konzepts.
Und nun folgt mit der dritten Strophe der Gesang des Erlkönigs, den der Loewe-Biograph Bulthaupt als Exempel nutzt, um die Überlegenheit der Loewe-Vertonung gegenüber der von Schubert aufzuzeigen, das musikalische Erfassen der poetischen Aussage betreffend. Bei Schubert hört er „zwei süsse Melodien, gefällig, wohlig und lockend“, kann aber nicht finden, dass sie „unheimlich“ klingen. Der „Lockruf des Geistes“ ist hingegen bei Loewe für ihn einer, der „aus einer anderen Welt“ kommt, „weich und schmeichlerisch, aber gleichmässig, einförmig, ohne künstlerische Wohlgestalt, wie eine Naturkraft“. Und in der Tat, - so ist es ja auch. Das Klavier leitet ihn im Zwischenspiel mit einem in „D7“ harmonisierten Terzen-Tremolo ein, das ihn anschließend, durch eine weitere Terz erweitert, nach G-Dur gewendet und im Bass durch aufsteigende, den Geist der melodischen Linie reflektierende Achtel und Viertel ergänzt, bis zum Ende begleitet.
Diese Melodik ist von berückender und zugleich eindringlicher Schönheit, weil sie aus einer dreimaligen in G-Dur gebetteten Wiederholung der immer gleichen, ausschließlich über Quarten und Terzen erfolgenden und sich dabei zu einer dreimaligen Tonrepetition auf der Ebene eines „D“ in hoher Lage hinaufbewegenden deklamatorischen Schritten besteht, die mit der Vortragsanweisung „heimlich flüsternd und lockend“ versehen sind. Beim dritten Mal ereignet sich die Aufwärtsbewegung bei dem Wort „Gewand“ dann als deklamatorischer Sprung über das Intervall einer Quinte, der auf der zweiten Silbe dieses Wortes in eine lange, den Takt übergreifende Dehnung auf dieser Ebene des wie ein suggestiver Leitton wirkenden hohen „D“ übergeht. Beim zweiten Auftritt des Erlkönigs erklingt diese Musik in unveränderter Weise noch einmal, hinsichtlich des Vortrags der Melodik allerdings nun mit der Anweisung „sotto voce“ versehen.
Aus welchen Gründen Bulthaupt auch immer diese Passage gewählt hat, um den Unterschied zwischen den Kompositionen Schuberts und Loewes aufzuzeigen: Er hat damit in der Tat damit den Schlüssel ergriffen, mit dem dieser Unterschied sich aufschließen lässt. Nur dass man dabei als neutraler analytischer Betrachter zu einem anderen Ergebnis kommt. Denn neutral ist Bulthaupt nicht. Sein Urteil erfolgt ersichtlich aus der Identifikation mit dem Loewe´schen Vertonungs-Grundkonzept. Weil dieses auf die musikalische Konkretion des Handelns und Sprechens der Personen und der narrativen Situation, in der sich das ereignet, ausgerichtet ist, lässt er den Erlkönig in repetitiver Weise mit der immer gleichen, aus einer anderen schönen Welt kommenden und deshalb verlockend schönen, betören könnenden Melodik auftreten. Was er dabei sagt, womit er inhaltlich verlockt, ist für Loewe dabei ohne Belang. Ihm geht es um den Klang, um die in warmes G-Dur gebettete und sich auf eine überaus liebliche, nur auftaktweise mit einer Quarte einsetzende, ansonsten aber nur in Terzen sich entfaltende und darin permanent wiederholende Melodik. Darin, in dieser kompositorischen Intention, unterscheidet er sich fundamental von Schubert. Denn für diesen ereignet sich die Verlockung in den Worten des Erlkönigs. Und das hat zur Folge, dass er seine Melodik ganz anders anlegt als Loewe, und sie auf keinen Fall in der fünften Strophe auf identische Weise wiederkehren lassen kann.
Beim zweiten Auftritt des Erlkönigs in der fünften Strophe lässt Loewe diesen zwar noch einmal die gleiche Melodik anstimmen, auch Harmonisierung und Klaviersatz sind identisch. Aber bei den Worten „Und wiegen und tanzen und singen dich ein“ nimmt sie, nun die Semantik des Textes reflektierend, eine neue Gestalt an, beschreibt zwei Mal einen mit einem Quintsprung einsetzenden doppelten Terzfall, um dann mit einem wiegenden Auf und Ab wieder zur üblichen langen Dehnung auf der Ebene des hohen „D“ überzugehen. Dem Knaben ordnet Loewe sowohl in der vierten, wie auch in der sechsten Strophe die gleiche Melodik zu: Eine silbengetreu deklamatierte Tonrepetition auf der Ebene eine „C“ in oberer Mittelllage, die bei „leise verspricht“, bzw. „siehst du nicht dort“ um eine Sekunde zur Ebene eines „D“ ansteigt, um schließlich über einen weiteren Sekundschritt bei dem letzten Wort in einer Dehnung auf der Ebene eines „Es“ in hoher Lage zu enden.
Diese Melodik, die piano vorgetragen wird, in c-Moll harmonisiert ist und vom Klavier mit ebenfalls repetierenden akkordischen Sechzehntelfiguren begleitet wird, bringt auf überaus eindringliche Weise tiefe Verängstigung zum Ausdruck. Auch der Vater verbleibt in der sechsten Strophe bei dem ruhigen und Beruhigung ausstrahlenden und nur wenig variierten deklamatorischen Gestus, den er in der vierten Strophe angeschlagen hat, den in drei kleine, durch Pausen eingegrenzten Zeilen aus Repetitionen in tiefer Lage am Anfang und am Ende und auf mittlerer tonaler Ebene angesiedelten melodischen Bewegungen in der Mitte. Und wieder kommt dabei die Wiederholung zum Einsatz. -
Carl Loewe: „Erlkönig“ (IV)
Den Umschlag des Balladengeschehens in die Katastrophe, wie er sich in der siebten Strophe ereignet, bringt Loewes Liedmusik, eben weil sie ganz und gar auf die Umsetzung desselben in Musik ausgerichtet ist, in einer tatsächlich großartigen, hochgradig expressiven und deshalb die Rezipienten unmittelbar ergreifenden Weise zum Ausdruck“. Nun entfaltet sich die Melodik des Erlkönigs, vom Klavier mit tremolierenden Akkorden begleitet, in sprunghaft einsetzenden und sich darin im Gestus höchster, geradezu bedrängender Intensität wiederholenden deklamatorischen Repetitionen, und am Ende, bei den Worten „so brauch´ ich Gewalt, beschreibt sie, nun nicht mehr in G-Du, sondern in einem g-Moll harmonisiert, das am Ende einen Umschlag nach F-Dur vollzieht, einen bedrohlich anmutenden vierschrittigen, in tiefer Lage ansetzenden und sich über das große Intervall einer None erstreckenden Anstieg bis einer Dehnung auf der tonalen Ebene eines „Es“ in hoher Lage.
Die deklamatorischen Repetitionen des Knaben sind nun, und dieses Mal forte vorgetragen, bei den Worten „„Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an!“ auf der Ebene eines hohen „G“ angesiedelt, senken sich um einen Halbton zur Ebene eines „Fis“ ab, um am Ende wieder zu der des „G“ zurückzukehren. Die Harmonik beschreibt dabei eine ausdrucksstarke Rückung von F-Dur nach D-Dur, das Metrum Sechsachtel tritt an die Stelle der bislang geltenden Neunachtel, und das Klavier begleitet, ebenfalls forte, mit lebhaften sich im Intervall vergrößernden, partiell akkordischen und die Hetze des Geschehens zum Ausdruck bringenden Auf und Ab-Sprungfiguren im Diskant und eine fallend angelegte Bogenbewegung beschreibenden Oktaven im Bass.
Auf den Worten „Erlkönig hat mir ein Leids getan!“ vollzieht die melodische Linie, nun ins Mezzoforte zurückgenommen und in c-Moll mir Rückung nach g-Moll harmonisiert, einen repetitiven Fall über eine Sekunde, der sich bei „Leids getan“ wiederholt, was die Eindringlichkeit dieses an den Vater sich richtenden Hilferufs intensiviert. Bei der Wiederholung desselben beschreibt die melodische Linie diese Bewegung zwar noch einmal, sie wird aber nun piano vorgetragen und endet bei „getan“ über einen Quintfall auf dem Grundton „G“ in unterer Mittellage. Das mutet an, als sei das Kind, weil tödlich verletzt, kraftlos zusammengesunken. Loewes Balladenmusik vermag in ihren Rezipienten, und das macht ihre Größe aus, szenisches Geschehen und das Verhalten, Fühlen und Sich-Äußern der Akteure darin auf höchst konkret-plastische Weise erstehen zu lassen.
Und gleich zeigt sich das wieder. Im eineinhalbtaktigen Nach- und Zwischenspiel erklingt im Diskant fortissimo die permanent repetierende Sechzehntel-Fallfigur aus Terz und Einzelton eine Terz tiefer, im Bass aber immer wieder eine hart angeschlagene (Portato-Zeichen) und von Sechzehntel-Achtelfall gefolgte G-Oktave, die wirkt, als würde sie die Sechzehntelfiguren vorantreiben. Das alles ist eine ausdrucksstarke Imagination des gehetzten Voranstürmens des Pferdes, das Vater und Kind trägt. Und die ganze Musik auf den Worten der letzten Strophe atmet diesen Geist, denn der von den punktierten Portato-Achtel-Oktaven im Bass so überaus markant geprägte Klaviersatz bleibt der gleiche, wobei Loewe sie nun in ihrem repetitiven Gestus der Harmonik folgen lässt, in der sich die melodische Linie entfaltet, was aber ihre Wirkung nur noch steigert.
Auch die Melodik auf den Worten des ersten Verses ist von diesem Geist geprägt, bringt ihn in ihrer Struktur und ihrer Zerrissenheit in Gestalt von drei durch Pausen unterbrochenen Zeilen zum Ausdruck. Auf den Worten „Dem Vater grauset’s“ setzt sie einem Terzsprung von drei- zu zweischrittigen Repetitionen ein, wodurch dem Wort „grauset´s“, auch weil das mit einer harmonischen Rückung von g-Moll nach es-Moll einhergeht, eine Akzentuierung verliehen wird. Eine Viertelpause folgt. Nun verharrt die melodische Linie bei den Worten „
er reitet geschwind“ in silbengetreuer, durch eine Dehnung auf „reitet“ rhythmisierter Deklamation auf der Ebene des „B“ in mittlerer Lage, auf der sie gerade bei „grauset´s“ kurz innehielt. Am Ende, auf der zweiten Silbe von geschwind“ vollzieht sie dabei aber, verbunden mit einer Rückung nach H-Dur, eine Rückung über eine kleine Sekunde zur Ebene eines „H“, - eine kompositorisch subtile Methode, die innere Unruhe vernehmlich werden zu lassen. -
Carl Loewe: „Erlkönig“ (V)
Nun tritt eine eindrückliche Rasanz in die Balladenmusik. Die melodische Linie entfaltet sich nur noch in deklamatorischen Tonrepetitionen, beim zweiten Vers zwar noch mit einem Sekundfall am Ende, beim dritten dann aber mit einem verminderten Sekundanstieg, und bei dem Wort „Armen“ wird daraus eine große Sekunde mit nachfolgender Dehnung. Vom dritten Vers an steigert sich die Dynamik vom Mezzoforte bis ins Forte, den stärksten Steigerungseffekt erzielt Loewe aber damit, dass er die tonale Ebene der deklamatorischen Repetitionen zwei Mal um eine Sekunde ansteigen lässt, und das einhergehend mit eine ansteigende Linie beschreibenden harmonischen Rückungen von Fis-Dur über G-Dur nach C-Dur. Bei den Worten „Erreicht den Hof“ gehen die Repetitionen von der Ebene eines „B“ zu einer Dehnung auf der eines „C“ über, womit „Hof“ eine Akzentuierung erfährt, und das Gleiche ereignet sich bei „ mit Mühe und Not“ nun auf der Ebene des „C“ in Gestalt einer über einen verminderten Sekundsprung eingeleiteten Dehnung bei „Not“ auf der Ebene eines „Cis“. Hier rückt die Harmonik vom vorangehenden C-Dur.
Diese permanente Aufeinanderfolge von musikalischen Ereignissen im Bereich Melodik, Harmonik und Klaviersatz auf der Grundlage der nun in großen Intervallen sich entfaltenden und im höchsten Ton mit einem Portato versehenen repetierenden Sechzehntelfiguren bewirkt den Eindruck einer ansteigenden Rasanz, die das Balladengeschehen auf eine geradezu atemberaubende Weise reflektiert.
Dann aber geschieht etwas, das einem den Atem ganz und gar zu verschlagen vermag. Bei den Worten „in seinen Armen“ geht die melodische Linie nach einer dreischrittigen Repetition auf der Ebene eines „C“ bei „Armen“ über einen Sekundanstieg zu einer Dehnung auf der eines „D“ über, die Sechzehntel-Repetitionen im Diskant reißen ab, ein g-Moll-Akkord erklingt, und die melodische Linie vollzieht in einem Decrescendo von forte nach piano einen Sturz über eine ganze Oktave hinab zur Ebene eines tiefen „D“. G-Moll-Tremoli erklingen im Bass, ein lang gehaltener D-Dur Akkord folgt nach, die Melodik ist verstummt.
Eine spannungsgeladene Situation ist musikalisch aufgebaut. Was nachfolgt, ist die Verkörperung eines musikalischen Schrecknisses, wie es einem in der Liedmusik selten begegnet und sich als typisches kompositorisches Qualitätsmerkmal von Loewes Balladenmusik darstellt.
Kein anderer hat den Schluss der Goethe-Ballade, die in ihrem lapidar sachlich konstatierenden sprachlichen Gestus so schrecklichen Worte „das Kind war tot“ auf so eindrücklich erschreckende und zugleich berührende Weise in Musik zu setzen vermocht, wie Loewe das gelungen ist.
Im Pianissimo setzt die Melodik ein, stockend entfaltet sie sich in Repetitionen auf der tonalen Ebene eines „D“ in tiefer Lage, auf der sie bei dem Sturz auf „Armen“ anlangte. Eine Achtelpause zwischen den Worten „ das“ und „Kind“, im Klavier erklingt erst pianissimo ein D-Dur-Akkord, dann bei „Kind“ nur ein spärliches fermatiertes „D“ in hoher Diskantlage. Vierachtelpause in der Melodik. Dann das Wort „war“ auf der Ebene des „D“, leise und ganz einsam, weil ohne Klavierbegleitung. Erneut eine Pause, dieses Mal sogar eine lange, mit einer Fermate versehene.
Dann schließlich das, was man in seiner singulären Expressivität tatsächlich als ein musikalisches Ereignis vernimmt: Das Wort „tot“ bricht mit einem Forte in diese Pause regelrecht hinein, und dies auch noch auf einem von der Grundtonart g-Moll her leiterfremdem „H“ in mittlerer Lage und vom Klavier in ein dissonantes Tremolo gebettet. Aber derweilen dieses erklingt, ebbt die forte einsetzende melodische Dehnung ab, ein Decrescendo liegt auf ihm, „fp“ lautet die Vortragsanweisung. Und so klingt die Balladenmusik auch aus: Mit einer Folge von partiell länger gehaltenen Akkorden im Diskant, begleitet von Tremoli im Bass und eine harmonische Rückung von c-Moll über G-Dur nach g-Moll beschreibend und langsam ins Pianissimo übergehend. Am Ende erklingt leise, fast schon nicht mehr vernehmlich lange (Fermate) ein einsames „G“ in extrem tiefer Basslage.
Die Art und Weise, wie Loewe den Schlussvers kompositorisch gestaltet, lässt noch einmal auf exemplarische Weise die spezifische Eigenart von Loewes Balladensprache erkennen. Sie ist in ihrem kompositorischen Grundkonzept auf das Erfassen des narrativen Geschehens in allen seinen Ebenen ausgerichtet, - von den Aktivitäten und ihrer Protagonisten, deren Handeln und sprachlichem Auftreten, den situativen Rahmenbedingungen bis hin zu den immanenten affektiven Faktoren. Und so setzt er denn die an sich sachlich konstatierende Feststellung, aber von Goethe mittels einer invertierten Syntax affektiv aufgeladenen Worte in eine Musik um, die eben diese affektive Dimension mit einer Expressivität erfasst und vernehmlich werden lässt, die ihre Hörer zum Anteilnehmer an einem erschütternden Ereignis werden lässt.
Wenn Thrasybulos Georgiades, ganz von Schuberts, am poetischen Wort ansetzender Vertonung herkommend und von der Einmaligkeit und Größe dieses kompositorischen Konzepts überzeugt, konstatiert:
„Sein (Loewes) Erlenkönig ist in einen das Gruselige der Ballade wiedergebenden Klangstrom gebettet; der Gesang ist wirkungsvoll, erfaßt aber die bloße Stimmung, den Sprachschatten“,
so wird er Loewes Balladenmusik nicht gerecht.
Die von ihm als bloßes Erfassen von „Stimmung“ abqualifizierte strukturelle Komponente von Loewes Balladenmusik ist alles andere als vordergründig. Sie erfasst, und das gilt generell, die existenziell relevante affektive Dimension eines dichterischen Balladentextes.
Sein „Erlkönig“ ist dem Schuberts in seiner kompositorischen Qualität, was das Erfassen der im dichterischen Text sich konstituierenden poetischen Aussage anbelangt, absolut gleichwertig.