Bei der Recherche nach Noten zu Klarinettenwerken Helmut Lachenmanns bin ich auf eine bemerkenswerte Film-Reihe gestossen.
Es ist selten, dass man dem Komponisten, seinem Werk und dessen Interpreten nahe kommt, wie dies in dieser 7teiligen Dokumentation auf DVD geschieht.
Die Dokumentarfilmerin Wiebke Pöpel reiste 2015/16 im Rahmen der „Lachenmann Perspektiven“ von Musik der Jahrhunderte zusammen mit dem Kameramann Michael Zimmer zu insgesamt neun Orchester-Einstudierungen von und mit Helmut Lachenmann quer durch Europa. Das filmische Ergebnis dieser Reisen ist die vorliegende DVD-Reihe, die beim Breitkopf & Härtel Verlag erschienen ist.
Sie schreibt zu ihrem Projekt:
So unterschiedlich die Bedingungen des jeweiligen Drehs waren, so unterschiedlich sind auch die einzelnen DVDs:
Manche Orchester begleiteten wir über mehrere Tage mit der Kamera, bei anderen waren die Zeit und somit unsere filmische „Ausbeute“ begrenzter. Mal gab es ausführliche Teilproben mit Helmut Lachenmann, mal kam der Komponist (und somit auch wir, das Filmteam) erst dazu, als die Teilproben schon stattgefunden hatten.
Die meisten Proben fanden auf Deutsch statt, einige auf Englisch, wieder andere auf einer bunten Mischung aus Deutsch, Englisch, Spanisch und Italienisch.
Auch was die Vertrautheit mit der Musik angeht, gab es große Unterschiede: Die Bandbreite reichte vom Studentenorchester in San Sebastian („SCHREIBEN“), das zum ersten Mal mit den Spieltechniken Lachenmanns konfrontiert war, bis zum Lachenmann-erprobten Ensemble Modern Orchestra („Air“ / „Schwankungen am Rand“).
Dementsprechend sind die DVDs als Annäherung an die Orchesterwerke Lachenmanns zu betrachten, die – ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder Perfektion – einen lebendigen Eindruck von der Zusammenarbeit des Komponisten mit den Musikern und Dirigenten vermitteln.
1 Accanto – Musik für einen Klarinettisten mit Orchester, EMO-Fassung 2005, 156 Minuten
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Bei Accanto hatten wir das Glück, zehn Stunden lang Teilproben mit Helmut Lachenmann filmen zu können – daraus sind sechs überwiegend englischsprachige, ausführliche Filme zu den einzelnen Instrumenten(-gruppen) entstanden. Zum Soloinstrument gab es keine Einzelprobe, die wir hätten filmen können; die Klarinettistin Nina Janßen-Deinzer hatte das Stück früher bereits gespielt und war daher schon vorbereitet.
2 Air – Musik für großes Ensemble mit Schlagzeug-Solo, EMO-Fassung 2015, 124 Minuten
Bei Air hatten wir mit dem Ensemble Modern Orchestra, dem Dirigenten Brad Lubman und Helmut Lachenmann ein durch langjährige Zusammenarbeit eingespieltes Team vor der Kamera. Die ausführlichen Teilproben mit dem Komponisten konnten wir fast vollständig filmen – daraus sind vier ca. 20-minütige Filme entstanden (Bläser / Streicher / Schlag-, Tasten- und Zupfinstrumente / Schlagzeug-Solo). Die Proben fanden teils auf Deutsch, teils auf Englisch statt – die deutschsprachigen Passagen sind in den Filmen wieder englisch untertitelt.
Ein Highlight für das Filmteam war ein Ausflug mit Helmut Lachenmann in den winterlichen Wald bei Frankfurt – auf der Suche nach trockenen Ästen für perfekte „Knack“-Geräusche. Das Konzert mit der Uraufführung von Air in der Fassung mit dem Ensemble Modern Orchestra fand am 27. November 2015 zum 80. Geburtstag des Komponisten im Konzertsaal des Wiesbadener Kurhauses statt.
3 Schwankungen am Rand, 115 Minuten
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Schwankungen am Rand haben wir zwei Mal gefilmt – einmal unter der Leitung von Emilio Pomàrico mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (Radialsystem Berlin, Januar 2015), einmal mit Brad Lubman und dem Ensemble Modern Orchestra (Frankfurt/Wiesbaden, November 2015). Aus den ausführlichen Teilprobenaufnahmen mit dem Ensemble Modern sind drei ca. 15-minütige Filme entstanden. Diese werden ergänzt durch Probenszenen mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, in denen Helmut Lachenmann neben Spieltechniken auch Stück-Spezifisches wie die „Einwürfe“ und den Einsatz des „Pack-“ bzw. „Backpapiers“ erklärt. Die Proben fanden teils auf Deutsch, teils auf Englisch statt – die deutschsprachigen Passagen sind in den Filmen englisch untertitelt. Der Konzertmitschnitt zeigt die Aufführung in Berlin, die auch durch die räumliche Anordnung im Radialsystem besonders überzeugte.
4 Les Consolations, 115 Minuten,
Die Aufnahmen zu Les Consolations entstanden im November 2015 mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart und dem SWR Vokalensemble Stuttgart unter dem Dirigat von Peter Rundel, der mit Lachenmanns Spieltechniken durch frühere Zusammenarbeiten bereits vertraut war. Aus dem Material von ca. 10 Stunden Proben haben wir drei (englisch untertitelte) Teilprobenfilme geschnitten (Streicher / Bläser / Schlagzeug, Harfe, Klavier), in denen Helmut Lachenmann zusammen mit dem Dirigenten Spieltechniken und Besonderheiten des Stückes erklärt. Bei den Teilproben mit dem SWR Vokalensemble konnten wir leider nicht dabei sein, daher gibt es hierzu keinen Film.
5 Double (Grido II) | Klangschatten, 167 Minuten
Die DVD vereint die Aufnahmen zu zwei Orchesterwerken Helmut Lachenmanns, die in ihrer Entstehungszeit weit auseinanderliegen, dabei aber in ihrer reduzierten Besetzung (Streicher und 3 Konzertflügel bzw. nur Streicher) ähnlich sind: „Klangschatten – mein Saitenspiel“ (1972) und „Double (Grido II)“ (2004).
„Double“ filmten wir im Mai 2016 mit der Deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern unter der musikalischen Leitung von Peter Hirsch, den eine langjährige Zusammenarbeit mit dem Komponisten verbindet. Aus den mehrstündigen Teilproben sind zwei Filme entstanden („Teilprobe Geigen“ / „Teilprobe Bratschen, Celli, Bässe“), in denen Lachenmann unter anderem die relevanten Spieltechniken ausführlich erklärt und demonstriert.
Die Proben zu „Klangschatten – mein Saitenspiel“ (SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, Dirigent: Pascal Rophé) konnten wir nur wenige Stunden mit der Kamera begleiten. Entstanden sind zwei kürzere Probenfilme, die dennoch einen guten Einblick in das Stück geben, das Helmut Lachenmann als eines seiner „Lieblingsstücke“ unter den eigenen Werken bezeichnet.
6 Tanzsuite mit Deutschlandlied, 106 Minuten
Die Tanzsuite mit Deutschlandlied wurde 1980 auf den Donaueschinger Musiktagen unter der Leitung von Sylvain Cambreling uraufgeführt. Wir haben das Stück nun, 35 Jahre später und wiederum dirigiert von Cambreling, mit dem Staatsorchester Stuttgart und dem Arditti Quartet gefilmt. Teilproben mit Helmut Lachenmann fanden nicht statt, aber auch die ca. acht Stunden Orchesterproben lieferten viel anschauliches Material für die beiden (vollständig Englisch untertitelten) Probenfilme.
In dem Interview-Film Helmut Lachenmann über Tanzsuite mit Deutschlandlied geht der Komponist unter anderem ausführlich auf den Aufbau des Stückes ein, in dem er eine Vielzahl an Tänzen und „Deutschland-Liedern“ verarbeitet hat. Einen besonderen Akzent erhält die DVD durch eine Ansprache, mit der Lachenmann das Publikum vor dem Konzert auf die Aufführung der Tanzsuite vorbereitet.
7 Kontrakadenz | SCHREIBEN, 151 Minuten
Für die Aufnahmen dieser letzten DVD der „Lachenmann Perspektiven“ sind wir besonders weit gereist:
Die Proben zu Kontrakadenz fanden im März 2015 in der Casa da Música in Porto statt, unter dem Dirigat von Lothar Zagrosek. In Teilproben hatten sich die Musiker des Orquestra Sinfónica do Porto bereits mit den wichtigsten Spieltechniken vertraut gemacht. Zusammen mit Helmut Lachenmann wurden diese dann weiter vertieft, und es wurde ausführlich an den spezifischen Geräuschklängen des Stücks gearbeitet – u. a. mit Tischtennisbällen, kreiselnden Metallscheiben und mit Wasser gefüllten Zinkwannen.
Für SCHREIBEN folgten wir Lachenmann dann im Februar 2016 nach San Sebastián. Mit dem Orquesta Sinfónica de Musikene unter der Leitung von Arturo Tamayo hatten wir dort ein noch Lachenmann-unerfahrenes, aber motiviertes Studentenorchester vor der Kamera. Sehr deutlich wird in den Proben, was der Komponist auch im Interview erläutert: Wie der Ausgangspunkt des Stücks, die Idee des Schreibens, bei allen Instrumenten auf eigene Weise aufgegriffen und umgesetzt wird.
Die Proben zu beiden Stücken fanden überwiegend auf Englisch statt – dementsprechend sind die Filme größtenteils englischsprachig.