Tristan und Isolde, Bayreuth 2024

  • Ich war bei der Premiere dabei.

    Bin gespannt auf Deine Eindrücke


    Viele Grüße, Holger

    "Es ist nicht schwer zu komponieren.
    Aber es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen"
    Johannes Brahms

  • Heute im Nordbayerischen Kurier:


    Alle Vorstellungen „waren und sind ausverkauft. Die Stimmung ist hervorragend“, teilte Katharina Wagner auf Anfrage mit.




    Allerdings lese ich in meinem Abreißkalender:


    "Bayreuth ist nicht mehr als ein großes Dorf. Die Ouvertüre zu Parsifal gefällt mir. Aber gleich danach kam natürlich der Gesang, und es scheint mir, dass nichts eine Wagner-Oper besser machen könnte als das Weglassen der Gesangsstimmen."


    (Mark Twain als Festspielbesucher im Jahre 1891)

  • Mark Twain schreibt immer witzig und pointiert. Darum macht es meistens Spaß, seine Sachen zu lesen, auch wenn er immer wieder mal, wie z. B. in diesem Falle, horrenden Blödsinn von sich gibt. Dabei ist das natürlich harmloser Unsinn, anders als die unerfreulich zahlreichen dumm-arroganten Bemerkungen über die Sitten anderer Völker, die sich in seinen Reisebüchern finden. Da ist er dann ganz der Durchschnittsspießer, als welcher er ja auch in der Affäre um Gorkis USA-Reise strahlend hervortrat.

    Statt einer Hermeneutik brauchen wir eine Erotik der Kunst.

    Susan Sontag

  • Ich habe mir nun, verteilt auf einige Tage, die Bayreuther Aufführung von "Tristan und Isolde" angesehen. Ich muß vorher sagen, daß ich wirklich sehr wenig Oper höre und sehe, und ich hatte Scheu vor dem fast 4-Stunden-Werk.

    Immer mit dem Vosatz, wieder ein wenig zu hören, bin ich dann doch meist länger vor dem Bildschirm sitzen geblieben.

    Und habe es genossen. Und auch mit der Inszenierung hatte ich keinerlei Probleme, im Gegenteil: langsame Auflösung und Zerstörung...

    Mein großes Aber: Für mich hat nur die Aufzeichung des BR den eigentlichen Wert gebracht, nämlich den Darstellern direkt in ihren Zweifeln, in ihrer Verzweiflung, in ihrer unerfüllbaren Liebe ins Gesicht sehen zu können. Frau Nylund halte ich für eine großartige Sängerin UND Schauspielerin. (Ohne die anderen abwerten zu wollen)

    Hätte ich jedoch im Festspielhaus auf einem der Sitze im Saal, möglicherweise mit nicht so guter Sicht gesessen, wäre meine Meinung bestimmt eine ganz andere.

    Meine Meinung als absoluter Opern-Laie.

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

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  • Komisch, dass hier niemand etwas zum diesjährigen Tristan schreiben mag. Dann will ich es auch kurz halten, aber doch anmerken: Ich war nicht begeistert.


    Vielleicht war diesmal schon der Einführungsvortrag der Fehler. Sven Friedrich fiel krankheitsbedingt aus, dafür nahm Frank Piontek, offenbar ein Wagner-Kenner aus Bayreuth, das Mikro. Seine Kernthese, bezogen auf die Aufführung, war: Tristan ist depressiv, deshalb sucht er den Tod. Das nahm ich so hin, ohne mir zu dem Zeitpunkt viel zu denken. Ich war einfach gespannt, was dann auf der Bühne passieren würde. Um es vorwegzunehmen: nicht viel.


    Das Bühnenbild gefiel mir durchaus. 1. Aufzug, schwere Taue hängen bis zum Boden, das Zitat eines Schiffes, das reicht mir, alles gut. Auch der gefüllte Schiffsbauch im zweiten Aufzug mit all den Reliquien der Tagwelt, die Tristan und Isolde hinter sich lassen - von mir aus, auch wenn es auf eine merkwürdige Weise beengend wirkte. Dann die Bühne im 3. Aufzug als Sammelsurium der Requisiten, mehr oder minder zufällig angehäuft, verdichtet. Namentlich im 2., schlimmer noch im 3. Aufzug gewann das Szenenbild dann die Oberhand gegenüber dem Geschehen auf der Bühne, da eben einfach nichts geschah. Tristan und Isolde wurden quasi verschluckt, da sie ohnehin nicht viel lebendiger agierten als die Requisiten.


    Wenn ich an den Liebestod denke, dann erinnere ich einen Tristan, der inmitten der Requisiten liegt und von ihnen nicht mehr zu unterscheiden ist. Und ich erinnere eine Isolde, die den Liebestod abgewendet und entfernt vom Tristan singt. Überhaupt: entfernt. Im zweiten Aufzug gibt es zwar zum Höhepunkt eine (lange) Umarmung der Liebenden, ansonsten sind sie aber so weit auseinander, dass ich mich frage, was sie überhaupt miteinander zu tun haben. So erlebte ich ein vereinzeltes Paar, dessen überweltliche Liebe mir szenisch nicht klar wurde.


    Piontek wies auf das außerordentliche Spiel der beiden Hauptpersonen hin, auf ihre große darstellerische Leistung - aber das man ein Opernglas dabeihaben sollte, wenn man nicht weit vorne sitzt. Das mag richtig gewesen sein. Ich finde aber (vielleicht völlig zu Unrecht), dass ich auch aus der 14. Reihe sehen können sollte, was die Darsteller ausdrücken wollen - eingerechnet, dass mir feine Mimik verborgen bleiben muss. Hier aber: Eine Personenregie fand nicht statt.


    Um die darstellerischen Details wahrnehmen zu können, habe ich ein wenig der Aufzeichnung in der Mediathek gesehen, was es mir aber nicht besser machte, da ich schon das Augenrollen von Camilla Nylund im 1. Aufzug drüber fand. Letztlich fehlte mir das Verkörpern der Rollen, aber wie gesagt: mir. Das kann bei anderen ganz anders gewesen sein.


    Überlagerte die musikalische Seite die Defizite? Für mich nicht. Semyon Bychkovs Dirigat war gewiss nicht schlecht, aber hier schlug für mich das von Piontek eingeführte Depressions-Thema wieder durch: Mir waren die Tempi häufig zu breit, fiebrig oder gar ekstatisch wurde es dagegen weniger. Von Camilla Nylund hatte ich nicht allzu viel erwartet (wir sahen sie zuletzt als Elsa, wo sie mich in keiner Hinsicht überzeugte), doch von ihr war ich vor allem stimmlich positiv überrascht. Sie brüllt mich nicht taub, wie eine Lise Davidsen das fertigbringen kann, aber sie konnte differenziert vortragen, das gefiel mir. Allerdings war der Liebestod dann keine dauernde Steigerung, sondern immer wieder ein Innehalten, fast wie ein Abbremsen, das brachte mich etwas raus. Und leider passte Andreas Schager nicht zu ihr. Denn laut konnte er. Leise konnte er nicht so gut (und ein paar hohe Töne blieb er uns auch schuldig). Einerseits war es gut, einen Wagner-Tenor zu hören, der die Töne weniger über den Kopf bildet (wie Klaus Florian Voigt, den ich dennoch sehr schätze), andererseits harmonierte er einfach nicht mit Camilla Nylund. Christa Mayers Brangäne war wirklich gut, stimmlich wirkte sie fast potenter als Camilla Nylund, allerdings weniger aussdrucksstark. Guter Kurwenal (Olafur Sigurdarson), Günther Groissböck als Marke berührte mich allerdings kaum.


    Alles in allem nicht mein "Tristan". Aber es gab Stoff zum Nachdenken, und Bayreuth ist eben Bayreuth - insofern wieder ein durchaus lohnender Ausflug in den Süden.

    "Jein".

    Fettes Brot

  • Was man darüber im Nordbayerischen Kurier auszugsweise lesen darf:


    Laut dem Dramaturgen Andri Hardmeier handelt es sich um „einen Zwischenstand, keinen Endstand".

    Es sei bedauerlich, dass sich manche Dinge wohl nicht so recht vermittelt hätten.

    Denn in der Inszenierung stecke noch viel mehr, als so mancher gesehen habe.

    Das Spezielle an dem Werk wäre es ja, dass es fast keine äußere Handlung gibt. Die große Herausforderung beim Tristan liege deshalb darin, die innere Handlung darzustellen.

    Man habe dabei „sehr textnah“ gearbeitet.

    Lediglich beim Liebestrank habe man sich davon entfernt. „Die Zaubertrank-Thematik hat für uns keine Relevanz“, sagte er.

    Ansonsten seien aber die verschiedensten Assoziationen möglich.

  • Vielen Dank für den interessanten Bericht über Tristan in B. Ich sehe Donnerstag Tristan und Freitag Tannhäuser mit zwei vollkommen unterschiedlichen Tenören, Schager und Voigt, die ich beide schön öfter gehört habe. Mal schauen !

  • Mir gefällt die Inszenierung des TH nicht so gut wie allen anderen. Diese ganzen Figuren die da rumlaufen und nicht im Libretto stehen, ist nicht mein Ding ! Aber Gould hat immer für alles entschädigt!

  • Habe eine Besprechung über das Dirigtat von Nathalie Stutzmann gelesen, die sehr neugierig gemacht hat!

    Irgendwo habe ich die hier auch verlinkt.

  • Unter der Glasglocke


    Als einer der stärksten Eindrücke der Lektüre von Sylvia Plaths "Die Glasglocke" ist mir die Kälte und die Erbarmungslosigkeit, mit der sich die Heldin auf ihrem Weg zu den Suizidversuchen von allen abwendet, die an sie gebunden sind, in beklemmender Erinnerung geblieben. Sie kehrt sich in sich selbst und negiert die anderen.


    Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson läßt seinen Tristan auf dem Meeresgrund spielen, unter einer Glocke von zwei, fünf, zehn Kilometern Salzwasser. Auf die Bühne sinken im Lauf der Handlung Artefakte vergangenen Lebens. Möbel, Kleider, Koffer, Müll türmen sich zu Haufen. Im zweiten Akt wird die Szene beherrscht von einem rostigen Schiffswrack, in dessen Bilge sich Isolde und Tristan begegnen. Ihr Lebensschiff ist nicht nur gescheitert, sondern bereits gesunken und wird vom Salzwasser zerfressen. Im dritten stehen nur noch seine Spanten in der Landschaft. Alles - der aus der Verankerung gerissene Schiffsdiesel, die bemerkenswert vielen blockierten Zahn- u. Förderräder - zeigt an, daß sich hier nimmermehr etwas bewegt.

    Das Personal agiert gemessen, dem hohen Wasserdruck gemäß. Isoldes Interesse ist darauf gerichtet, alle fern von sich zu halten. Ihr riesiges Kleid bildet im ersten Akt - auf dem Boden ausgebreitet - eine Schutzzone, in die nur Tristan zum Aktschluß eindringt. Heiner Müller hatte seine Akteurs in Bayreuth mit Gestellen versehen, die Nähe verhinderten. Arnarssons Variante, die innere Abkehr von dem und den anderen durch räumliche Distanz im Spiel zu verdeutlichen, hat mir zugesagt.

    Es lassen sich sicher mehr Zitate anderer Inszenierungen finden. Isoldes Kleid hat mich an das erinnert, das Johanna Meier in Ponnelles Inszenierung trug. Schiffsräume und -teile sind ebenfalls naheliegende Bestandteile der Kulisse - hier und bei anderen. Die Bilder, die Vytautas Narbutas bauen und Sascha Zauner beleuchten ließ, sind sinnfällig.


    Diese Inszenierung sieht Tristan und Isolde nicht als Liebespaar. Die beiden haben den einen Moment des gegenseitigen Schauens bis auf den Grund der Seele, den Moment, als jedes wußte, daß es vom anderen ganz und gar erschaut und begriffen wurde, in der Vorgeschichte gehabt. Das war der Höhepunkt dieser Liebe, daß Isolde Morold verraten und ihn nicht an Tristan gerächt hat. Gesundet, revanchiert er sich im Verrat, indem er Isolde dem müden König als Braut zuführt. Die irischen Ereignisse werden im ersten Akt ausführlich beschrieben und sind Gegenstand des dramatischen Dialogs voller Vorwürfe und Vorhaltungen, allein: Sie passieren eben nicht auf der Bühne. Was dort geschieht, ist die Abwicklung des Verhältnisses der beiden zueinander und die gleichzeitige Abkehr vom Leben als Geflecht der sozialen Beziehungen zu anderen. Da hat Arnarsson seine Ankündigung, textnah zu inszenieren, präzise umgesetzt.

    Andreas Schager hat mir am 9. August als Tristan ausgezeichnet gefallen. Den dritten Akt gestaltet er klug und sehr differenziert, und mich haben sein wütendes Aufbäumen, das In-Sich-Zusammenfallen und seine Selbstanklagen durchweg gefesselt. Als der letzte Atem verhaucht ist, lehnt der Leib des Toten an einem Müllhaufen und verschwindet quasi darin. Wer morgens um sechs auf den Bahnhöfen des Berliner Drogenexpresses U1/U3 unterwegs ist und die verschorften Nachtgestalten in ihren Matrazengrüften liegen sieht, merkt, wie genau das Bild ist.

    Camilla Nylund füllt das Festspielhaus mit ihrer Stimme. Als Elsa habe ich sie hier schon gehört, anderswo als Tosca, Arabella u. Marschallin. In den Strauss-Partien mag ich sie am liebsten, aber ihre Bayreuther Isolde ist hörenswert und klingt auch zusammen mit Schager im zweiten Akt, wo er sie stimmlich zu stützen scheint.

    Olafur Sigurdarson ist vom Melot im letzten Jahr zum Kurwenal in diesem avanciert. Makellos seine Textverständlichkeit, die überhaupt bei den Herren sehr gut war. Günther Groissböck singt Marke sonor und ist weniger resigniert, als andere, die die Partie gestaltet haben. Seine Wut über den Verrat im zweiten Akt läßt er Tristan mit ein paar Püffen und Schlägen spüren. Sichtlich freute er sich über den Beifall des Bayreuther Publikums. Christa Mayers Brangäne hat mir nur zu Beginn des ersten und dann unsichtbar im zweiten Akt auf der Warte zugesagt. Wie auch im letzten Jahr hat mich ihr Vibrato gestört.

    Semyon Bychkovs Dirigat wurde bejubelt, mir hatte besonders das Vorspiel zum dritten Akt gefallen.


    Es gibt keinen Liebestrank. Isolde reißt Tristan das Fläschchen aus der Hand, bevor er trinken kann, als das Schiff Cornwalls Grund berührt. Er trinkt am Ende des zweiten Akts daraus. Melot ist nicht gefordert. Isolde hat das Flakon im dritten Akt dabei und nutzt den Inhalt, um wirklich den Liebestod zu sterben.


    Um die beiden Toten sitzen drei verlassene Liebende: Marke, Kurwenal und Brangäne.

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

    Einmal editiert, zuletzt von Hans Heukenkamp ()

  • Ich habe am 15. 8 die Vorstellung besucht.

    Die Inszenierung läßt mich ratlos zurück. Ich verstehe sie nicht. Vielleicht hat man irgendwo den Müllhaufen von Schlingensief in B. gehortet und diesen im 2. Akt auf der Bühne verteilt, und ihn im 3. Aufzug zu einem Haufen zusammengeschoben, auf dem dann Tristan liegen kann ? Aber vereinzelte Momente , auch der Personenregie , waren beeindruckend, zB die einzige innige Umarmung bei den ersten Habet-acht-Rufen oder wie Marke bei seiner Klage Tristan an den Kopf fasst.


    Schager hat sich deutlich bemüht an den richtigen Stellen leise zu singen, fast schon zu viel, wenn er im 2. Aufzug das Wort "Liebe" immer im Piano singt. Die Stimme harmonierte sehr gut mit Nylands, besonders auch im im 2. Aufzug und ich glaube es gibt niemanden der den 3. Aufzug so fesselnd und stimmgewaltig gibt wie er, ohne jegliche Abnutzung. Das war atemraubend !