Alles anzeigen1. Seit fast 2500 Jahren unterscheidet man in der europäischen Geistesgeschichte zwei Arten von Wissen, was sich aber offenbar noch nicht überall herumgesprochen hat:
griech. techne = das praxisleitende Wissen
griech. episteme = Wissenschaft und wissenschaftliches Wissen.
Natürlich ist das Wissen des Schusters techne und nicht episteme. Kein Schuster treibt Wissenschaft.
Läsest Du die Beiträge der anderen Kollegen mit mehr Freude, würdest Du erkennen, dass es sich durchaus schon herumgesprochen hat.
Ich bin nicht sicher (auch wenn ich keinen sinnvollen Gegenvorschlag vorbringen kann), ob »wissenschaftlich« wirklich der geeignete Begriff ist, um die Abgrenzung zu leisten, die Du haben willst. Die Methode des Vorgehens, die Du beschreibst, ist tatsächlich sinnvoll, und es gibt sicher nur weniger Möglichkeiten, andere als sinnvoller zu bezeichnen. Sie ist aber durchaus auch n Bereichen anwendbar, die nicht eigentlich wissenschaftlich sind. (Schuhmacherei zum Beispiel ;))
Es geht hier um eine Methode und nicht um den Zweck der Erkenntnis.
3. Dass ein Kunstwerk eine unausschöpfliche Sinnfülle hat und perspektivenreich ist, das ist eigentlich so etwas wie ein Gemeinplatz unter Werktheorikern und auch ich habe danit im Prinzip keine Probleme. Nur sollte das über die Notwendigkeit der Werkanalyse nicht hinwegtäuschen, deren Aufgabe es ist herauszufinden, wo die Sinnkonstanten liegen und wo die Variablen.
Du verwechselt hier IMO die Rolle des Philosophen mit der des Rezipienten. Da mag bei Dir auch eine Prädestination vorliegen. Aber das sicher berechtigte Interesse an einer Werkanalyse erscheint in erster Linie dem Philosophen notwendig.
Dein Satz über die "unausschöpfliche Sinnfülle" legt übrigens auch schon Grenzen fest, dass eine solche Analyse nur Aspekte aufdecken kann. Das würde aber in unserer Runde sicher keiner bezweifeln.
4. Natürlich ist die Grundlage der Deutung immer der Text. Nur zweierlei gehört dazu: Es gibt keinTextverständnis ohne voraussetzungsreiche Deutung. Allerdings sollte sich die Deutung immer auf die Gegebenheiten des Textes beziehen und darauf bezogen bleiben. Bei Isoldes Liebestod gibt es einen Perspektivenwechsel. Sie verliert nämlich Tristan mehr und mehr aus dem Blick und ist am Ende nur noch umgeben von einem anonymen Schwall vom Empindungen. Entpersonalisierte reine Lust. Das Individuum hat aufgehört zu existieren.
Angesichts der "unausschöpflichen Sinnfülle" des Kunstwerks sollte man mit apodiktischen Bemerkungen vorsichtig sein. Aber der Perspektivwechsel ist ein Beitrag, über den es sich zu diskutieren lohnt, ebenso, wie die Auflösung der individuellen Wahrnehmungsperspektive.
Man müsste jetzt schauen, ob das der Text hergibt. Ich hatte das noch nicht gesehen.