Erhaltene Komponistenwohnungen in Wien (abseits von Beethoven, Mozart, Schubert,…)

  • Vielleicht ahnte es ja Beethoven. Nicht nur dass sein Ruhm länger nachwirken könnte, sondern seine Behausungen mit der Zeit zunehmends den Zeitgeschmäckern und Bombentreffern zum Opfer fallen würden. Um die Wahrscheinlichkeit von authentischen Erinnerungsstätten für die Nachwelt zu erhöhen fasste er den raffinierten Plan so oft es nur ginge umzuziehen und bei etwa 70 verschiedenen Häusern im Laufe von etwa 30 Jahren sind dann doch tatsächlich ein paar den Kriegsschäden und Demolierungsfreunden entgangen. Der Plan ging auf.


    (Achtung, für alle die es nicht merken sollten, das ist tatsächlich nicht ernst gemeint.)


    Da sich Städte aufgrund von verschiedensten Gründen verändern kann man bei Komponisten sehr oft nur noch reizlose Nachfolgebauten an Stelle der einstigen Originalstätte sehen. Die wenigen erhaltenen Wohnstätten von den der Wiener Klassik zugeordneten bekannten Komponisten sind sicher kein Geheimtipp mehr und jeder Klassikfreund der einmal Wien besucht, wird diese ohne große Mühe herausfinden können. Seiten wie diese gibt es zur genüge


    Musikerwohnungen und Museen


    Mit dieser kleinen Auswahl möchte ich Beispiele nennen, welche die wenigsten Wien besuchenden Klassikfreunde (weiß ich auch aus eigener Erfahrung) auf ihrem Schirm haben. Sicher sind diese nicht als Museum begehbar, aber zum einen sind auch die als Museum betriebenen Originalstätten teils etwas suboptimal (so latscht man bei Beethovens Pasqualati-Haus eigentlich nicht durch dessen damalige Originalwohnung die eigentlich im Privatbesitz ist, in seltensten Fällen gibt es Originalmöbel, teils Modernisierungsmaßnahmen die mehr verkitschen als etwas authentisch zu vermitteln usw.)


    Zum anderen liegen vor allem die zwei zuerst genannten Häuser in einem Teil des Zentrums der im Grunde genommen sowieso für jeden Geschichts-, Kultur- und Klassikinteressierten ein Besichtigungsmuss sein sollte. Hier gibt es nicht das Massentouristen-Einkaufsflair der Kärntnerstraße, des Grabens oder Kohlmarkts, wo sich eine internationale Franchise-Kette nach der anderen reiht (und durch die enorm teuren Mieten jahrzehnte und teils sogar jahrhundertelang an diesem Standort befindliche Traditionsbetriebe zum aufgeben gezwungen wurden), sondern im Gegensatz dazu auch vorwiegend Altbestand aus dem 17., teils sogar 16. Jahrhundert. Das war im Großen und Ganzen (denkt man sich mal die Autos, modern gekleidete Menschen und andere kleinere Veränderungen mal weg) optisch in etwa das Wien, das noch Mozart, Haydn, Schubert oder Beethoven erlebte, während etwa die Kärntnerstraße fast nichts mehr damit zu tun (die Ringstraße und deren Bauten übrigens auch nicht… nur so nebenbei).


    Somit sollten die zwei erstgenannten Häuser für eine bestimmte Zielgruppe nur beiläufig auf dem Weg einer „Wiener-Klassik-Besichtigungstour“ liegen. Falls man den anderen zufällig begegnet auch gut, aber diese liegen nicht mehr im 1. Bezirk.


    Alle Gebäudefotos sind von mir und wurden diesen Sommer 2024 gemacht.


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    von der Sonnenfelsgasse in die Jesuitengasse Richtung Schönlaterngasse schauend


    Da zwischen meinen anderen Beiträgen größere Abstände liegen, möchte ich auch hier nochmals auf meine älteren Beiträge aufmerksam machen in welchen ich diverse Aufenthalte und Begebenheiten von Komponisten in Zusammenhang mit bestimmten Regionen bzw. Städte zusammengefasst habe.


    Leizpiger Komponisten-Wohnstätten


    Die komponierenden Gäste des Traunsees (Brahms, Schubert, Schönberg,…)


    Gustav Mahler – Wiener Wohnungen und Sterbestätte

    „Eine Erkenntnis von heute kann die Tochter eines Irrtums von gestern sein.” (Marie von Ebner-Eschenbach)

  • Postgasse 6, Johannes Brahms, Ende Dezember 1866 – 2. August 1867


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    Plan Max de Grimm 1797


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    Vogelschauplan Huber 1778

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    Das Haus soll in seiner heutigen Gestalt von den Architekten Eduard van der Nüll und August Sicard von Sicardsburg (im frühhistorischen Stil) 1852 erbaut worden sein. Bekannt sind die beiden Architekten durch den Bau der Wiener Hofoper (heutigen Staatsoper) geworden, sowie mit der damit verbundenen tragischen Geschichte bei denen beide mit einer Welle an Kritik konfrontiert wurden. Van der Nüll erhängte sich kurze Zeit später, von Sicardsburg starb 10 Wochen darauf. Bei den zwei Vorgängerbauten wurde angeblich eines 1683, das andere 1773 erbaut, denen wiederum eine 1623 erbaut Landschaftsschule der Jesuiten (Latein-Schule, „Landschaft“ kommt von Ständen von denen sie finanziert wurde) zuvorging. Auf dem Plan von Max de Grimm sieht man, dass es beim heutigen Gebäude eine große Ähnlichkeit zum Grundriss der beiden Vorgänger gibt. Hier findet man eine Auflistung welche Teile der Universität für angewandte Kunst Wien derzeit in dem Haus untergebracht sind:


    Die Angewandte Standort Postgasse 6


    Zwar ist dieses Haus nicht mehr aus der Epoche der Wiener Klassik, doch unmittelbar in der näheren Umgebung befinden sich einige Gebäude und Häuserensembles aus dieser Zeit (etwa auf der gegenüberliegenden Straßenseite die Gebäude Postgasse 7-9, Teile der im 17. Jahrhundert erbauten alten Universität, in dem noch erhaltenen Gebäudekomplex besuchte Franz Schubert das Akademische Gymniasium welches sich damals noch in der Bäckerstraße 20, eine der Postgasse anschließenden Straße befand. So nebenbei ist dieses Gymnasium seit 1866 am Beethovenplatz)


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    Das heutige Aussehen der daneben befindlichen Dominikanerkiche „Santa Maria Rotunda“ stammt weitestgehend aus dem 17. Jahrhundert. Die einstige Bastei davor (siehe Pläne) wurde zwar demoliert, doch die damalige Lage ist auch heute noch gut zu erkennen (die Kirche liegt etwas höher als die südöstlich davor befindlichen Häuser, abgegrenzt durch Treppen und und einen mauerartigen Vorbau). Auch hier gab es Vorgängerinnen. Die erste Kirche im gotischen Stil aus dem Jahr 1226 brannte schon wenige Jahrzehnte nach dem Bau ab. Der noch gegen Ende des selben Jahrhunderts errichtete Nachfolgebau hielt sich dann bis zur 1. Türkenbelagerung 1529, wo dieser dann stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Ein weiteres Jahrhundert sollte es dauern, bis hier wieder eine neue Kirche errichtet wurde. Es gibt ein recht bekanntes um 1760 entworfenes Gemälde von Bernardo Bellotto „Canaletto“ (auch schon für diverse Covers von Klassik-CD’s verwendet, heute kunsthistorisches Museum Wien), auf welchem man diese Kirche sehen kann.


    KHM Bernardo Bellotto


    Um Brahms geht es natürlich auch noch. Dieses Gebäude ist neben seiner Einmietung von 1863 bis 1865 im Deutschordenshaus (Mozart-Kenner werden wissen, dass der Salzburger dort um die Entlassung bei Erzbischof Hieronymus von Colloredo bat) die einzige erhaltene Wohnstätte von Brahms in Wien (das weitaus am längsten bewohnte Haus und Sterbewohnung in der Karlsgasse 4 wurde 1905 mit drei angrenzenden Häusern demoliert)


    Als Brahms vor seiner Abreise nach Wien einen Brief zu seinem Vater von Mannheim aus schrieb, gab er als Postadresse eine Musikhandlung am Graben an


    Ich schreibe nur wenige Worte, damit Du erfährst, daß ich sehr vergnügt bin und im Begriff, nach Wien zu fahren. Adressiere: Wien, Musikhandlung des Herrn Spina, am Graben. Unsere Reise hier war höchst lustig und in jeder Beziehung erfreulich. Joachim mußte leider gestern nach Paris, sonst hätten wir uns noch lange erfreuen können, den Leuten hier vorzumusizieren. Meine Sachen sind hier sehr gekannt und geliebt, mein Spiel hört man gern, und nur zuviel Vergnügen macht so das Konzertgeben […]. Ich soll in wenig Stunden abfahren. Nächstens schreibe ich mehr. Lebe recht wohl und behalte lieb Deinen Johannes.


    Carl Spina übernahm vom Vater Anton Spina 1851 das Geschäft welches aus der einstigen Musikalienhandlung Diabelli hervorging. Das Vorgängergebäude am Graben wurde „Arkadenhaus“ bzw. „Selb’sches Haus“ bezeichnet (im Innenhof gab es markante Arkaden) Viele Besitzer wechselten im Laufe der Geschichte. Als dann schließlich 1873 die österreichische Militärbaugesellschaft und Wiener Baugesellschaft das Gebäude erwarb, ließen sie es bald darauf abreißen. Das heutige Gebäude (Nr.14-15) wurde 1873 – 1876 von Otto Thienemann und Otto Wagner (bekannt für seine Jugendstilbauten) entworfen. Heute kann man auf dem Haus die Bezeichnung „Graben-Hof“ lesen.


    Brahms kam schon Ende November 1866 in Wien an, wohnte aber zunächst noch bei Arthur und Bertha Faber mit denen er schon länger befreundet war. Als beim Wiener Ehepaar 1858 der zweite Sohn zur Welt kam, widmete er ihnen das mittlerweile auch bei der Masse sehr bekannte Wiegenlied „Guten Abend, Gute Nacht“ op. 49 Nr. 4. Das von Bertha Faber geschenkte Adressbuch wurde im Laufe der Jahre gut befüllt und ein Blick darin bestätigt mich wieder einmal dass Brahms ein sozial sehr umtriebiger Mensch war der einflussreiche und wichtige Kontakte hatte.


    Der Hamburger kam soweit sich aus Briefstellen herauslesen lässt, nicht einmal wegen konkreten Abmachungen bzw. Plänen nach Wien. Vielleicht um alte Freunde wieder zu sehen, da er auch später brieflich vor allem die Freude über seine Wiener Bekannten besonders hervorhob (und seinem Adressbuch zufolge waren das einige).


    Als Gepäck kam zwar auch die Partitur des Requiems mit, doch er hatte zu dem Zeitpunkt als er nach Wien fuhr noch die Absicht dieses in Basel uraufführen zu lassen. Manche Widrigkeiten die sich bei der schriftlichen Korrespondenz mit dem Basler Mäzen Riggenbach-Stehling abzeichneten brachten Brahms wieder davon ab. Das erste Halbjahr 1867 hatte er dann weitere Orte im Visier (wie etwa Pest, welches sich 6 Jahre später mit Buda vereinte) bis schließlich die ersten drei Sätze vom „Deutschen Requiem“ Dezember 1867 in einem Konzert der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien uraufgeführt wurden.


    Brahms wohnte im 4. Stock des „Geroldschen Hauses“ (im Vorgängerbau der Postgasse 6 befand sich bis 1810 die Buchdruckerei und Verlagsbuchhandlung von Joseph Gerold) und mietete ein dreifenstriges Eckzimmer bei Frau Favarger


    Er stellte sein Klavier ans Fenster, den Schreibtisch daneben, freute sich des weiten Ausblicks, der ihm ein Stück Alt-Wien mit den Türmen der Jesuitenkirche und dem Kahlenberge im Hintergrunde zeigte, besuchte regelmäßig das Café Deuerlein an der Ecke der Wollzeile, wo er mit Robert Volkmann und Goldmark zusammensaß, ging in den neuen Anlagen des Stadtparks spazieren und wäre sehr zufrieden gewesen, wenn ihn nicht die Trommler und Trompeter der allzu nahen Stubenringkaserne beim Eintritt der wärmeren Jahreszeit aus seiner gemütlichen Wohnung wieder vertrieben hätten. (Max Kalbeck)


    Die erwähnte Jesuitenkirche befindet sich westlich vom Gebäude und ein klein wenig kann man bei dem zuvor eingefügten Bild noch die beiden Turmspitzen erkennen. Postgasse 6 mit Blick auf das Brahms-Zimmer:


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    Brahms arbeitete in dieser Zeit vor allem an einer vollständigen Klaviertranskription des Requiems, welche er Clara Schumann für Gefälligkeiten schenken wollte (nicht zu verwechseln mit der Version bei der lediglich eine Transkritption beim Orchesterpart erfolgte doch die Singstimmen nach wie vor belassen wurden)


    Brahms Requiem Klavierfassung für 4 Hände


    Clara Schumann berichtete am 9. Dezember 1866 an Hermann Levi: Von Johannes hatte ich mehrere Briefe aus Wien; es gefällt ihm ganz wie sonst, das Leben, die Bekannten ganz gut. Über den Verfall des Theaters aber schreibt er sehr traurig und glaubt an baldigen gänzlichen Zusammensturz. Er macht jetzt den Klavierauszug vom Requiem, nennt es aber, eine bitterböse Arbeit!, da er doch keine der vielen Schönheiten auslassen mag


    Brahms hatte in dieser Zeit auch seine beiden Streichsextette op. 18 und 36, angeblich zunächst noch ohne großen Erfolg, aufführen lassen. Am 2. August ging er dann mit seinem Vater und dem Wiener Musikpädagogen Rudolf Gänsbacher (Brahms widmete ihm die Cellosonate Nr.1 e-moll) auf Reise ins Salzkammergut (welche ich schon kurz in meinen Beiträgen „Die komponierenden Gäste des Traunsees“ thematisiert habe) 1871 ließ sich er sich dann endgültig in Wien (in bereits erwähnter Karlsgasse 4) nieder, wo er über 25 Jahre bis zu seinem Tod bleiben sollte.


    Auf diesem Gebäude gibt es keine Gedenktafel.

    „Eine Erkenntnis von heute kann die Tochter eines Irrtums von gestern sein.” (Marie von Ebner-Eschenbach)

  • Schönlaterngasse 7a, Robert Schumann, 3. Oktober 1838 – 5. April 1839


    3 Minuten Fußweg von der Postgasse 6 entfernt befindet sich die einstige temporäre Wohnstätte von Robert Schumann


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    Müsste ich die schönste Gasse bzw. Straße von Wien wählen, diese wäre auf jeden Fall ganz vorne mit dabei. Der neueste Umbau stammt hier aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, die ältesten Bauteile gehen auf das Hochmittelalter zurück. Mehrheitlich stammen die Fassaden aus der Barockzeit. Es verwundert nicht (oder sollte zum. nicht verwundern) dass hier auch bedeutende Szenen für den Teil „Der Wanderer“ für den von Fritz Lehners Film „Mit meinen heißen Tränen“, über das Leben von Franz Schubert, gedreht wurden (sieht man sehr gut bei den Szenen wo der mittlerweile an Syphilis erkrankte Schubert der betreffenden Prostituierten [oder sagt man heute politisch korrekt Sexdienstleisterin? :D] auflauert und sie mit seiner Krankheit konfrontieren will). Doch natürlich muss man etwas eingrenzend dazu sagen, dass auch hier der zweite Weltkrieg nicht spurlos an manchen Häusern vorbeigegangen ist. Man hat aber versucht die überschaubar zerstörten Teile der betroffenen Gebäude wieder originalgetreu zu rekonstruieren, wobei hier aber manche Details an der Fassade ausgelassen wurden. Doch das ist marginal und stört im Gesamteindruck dieser Gasse überhaupt nicht.


    "Mit meinen heißen Tränen" (Der Wanderer) Szene Schönlaterngasse

    Die Szene ab 22:09 bei der Schubert der Prostituierten auflauert (bei der anfänglichen Gesamtperspektive ist das Schumann-Haus das dritte von links) „Fun Fact“: In den darauffolgenden Szenen kann man im Hintergrund auch das Mozarthaus in der Domgasse sehen, nämlich während Schubert neben dem Sterbehaus von Vanhal die Blutgasse entlang läuft und von dem beeinträchtigten Mann verfolgt wird.


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    Zum Haus selbst: Dieses soll auf einen Teil eines Ziegelhofs aus dem Jahr 1342 zurückgehen. Somit besitzt das Haus in seinem Kern sogar noch gotische Bausubstanz. Die mittelalterliche Parzelle und das Giebeldach sind noch erkennbar. Der neueste Umbau erfolgte im 16. Jahrhundert. Eventuelle Beschädigungen während der Kriege scheinen bei diesem Gebäude zum. nirgendwo auf. Schumann wohnte im 1. Stock des Hauses.


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    Nebenbei ist das Nachbarhaus Schönlaterngasse 7 durch die zumindest in Österreich sehr bekannte Sage über den Basilisken (Kreuzung zwischen Hahn und Kröte) bekannt. Da sich die Sage jeder selbst bei Interesse raussuchen kann gehe ich hier nicht näher darauf ein. Für Besichtigungstouren sind übrigens die drei parallell zueinander liegenden Schönlaterngasse, Bäckerstraße und Sonnenfelsgasse (inklusive der schmalen Durchgangsgasse Jesuitengasse) empfehlenswert. Das moderne Kontrastprogramm, Architektur der 1960er mit Krankenhaus-Charme kommt dann spätestens bei Lugeck 1 (dieses Gebäude erstreckt sich bis zur Rotenturmstraße 10. Im Vor-Vorgängerbau „Zum schwarzen Bären“, wie ich schon bei „Mozarts Freunde in Wien“ erläutert habe, gab es private Aufführungen des Salzburgers bei den Ployers).


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    Die Schönlaterngasse Richtung Sonnenfelsgasse


    Schumann hatte eigentlich die Absicht in Wien ansässig zu werden. Einerseits war es eine Flucht vor dem Schwiegervater in spe Friedrich Wieck, mit welchem es zu einem Zerwürfnis kam (siehe auch meinen Beitrag dazu bei „Leipziger Komponisten-Wohnstätten“) zum anderen waren die Konzerterfolge von Clara Wieck in Wien noch nicht allzu lange her um auch daraus Hoffnung zu schöpfen. Mittlerweile hatte er durch Lähmungserscheinungen an der Hand eine Pianistenkarriere aufgegeben um sie durch andere ehrgeizige Pläne zu ersetzen. Er hoffte eine Professur am Wiener Konservatorium zu bekommen und seine „Neue Zeitschrift für Musik“ zukünftig in Wien herausgeben zu können.


    Großer Schmerz Clara's (W) wegen. Gestern einen Brief a.d. Alten [Wieck] geschrieben, der freilich seine Wuth aufs Höchste steigern wird (18. Oktober 1838, Schumanns Tagebucheintrag)


    Schumann reiste alleine nach Wien, auch weil Clara in wenigen Monaten eine Konzertreise nach Paris plante und der Zwickauer erstmal Fuß in der neuen Heimat fassen wollte bevor Clara dem Plan nach dazustoßen sollte (Die Parisreise die sie ganz alleine ohne dem Vater antrat dauerte von 8. Jänner bis 14. August 1839). Dank diesem Umstand gibt es einen regen Briefverkehr zwischen den beiden, welcher Schumanns Aufenthalt in Wien gut dokumentiert. Er ging nicht unvorbereitet nach Wien und versuchte schon vorab bereits dort bestehende Kontakte um Hilfe zu bitten. Aus seinen Tagebuchaufzeichnungen geht hervor, dass er sich regelmäßig mit Menschen traf die ihm eventuell nützlich sein könnten, wie etwa vor allem Josef Fischhof, welcher zu dieser Zeit zu den renommiertesten Klavierlehrern der Stadt zählte und allem Anschein nach auch ein guter Freund war. Fischhof konnte Schumann mit seinem großen Bekanntenkreis schließlich auch helfen. Unter anderem traf er hier Mozarts Sohn Franz Xaver Wolfgang, sowie Franz Schuberts Bruder Ferdinand. Einige werden sicher schon wissen, dass er von Ferdinand auf Schuberts Partitur der C-Dur Sinfonie D 944 aufmerksam gemacht wurde. Schumann war nach der Durchsicht so angetan, dass er sowohl beim Verlag Breitkopf & Härtel eine Veröffentlichung veranlasste, als auch Felix Mendelssohn Bartholdy zu einer Uraufführung bei einem der Leipziger Gewandhauskonzerte überzeugte, zu welcher es auch am 21. März 1839 kam (Zwei Jahre später hatte er seine Begeisterung in der Neuen Zeitschrit für Musik nochmals Ausdruck verliehen)


    Es kam auch zu einer persönlichen Vorsprache bei Staatskanzler Metternich, sowie Polizeipräsident und Zensor Sedlnitzky. Wie auch schon zu Beethovens und Schuberts Zeiten waren zu dieser Zeit die politischen Verhältnisse in Wien ziemlich prekär wie sicher die meisten Leser wissen werden (Verfolgung und Unterdrückung von Demokratie-, Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit). Clara schrieb in einem Brief dass sie bei ihren Konzerten in Wien Dezember 1837 sehr gute Erfahrungen mit Sedlnitzky gemacht hat


    Graf Sedlitzky (sic!) war ein Beschützer von mir und scheint mir ein guter Mann, und hat viel Macht. Er kann alles streichen was er will und Alles stehen lassen. Er ist es, der alle Blätter erst druchliest, ehe sie gedruckt werden dürfen


    Schumann durchlebt eine Hochschaubahn der Gefühle. Um nur ein paar Beispiele herauszugreifen. Es gibt Momente der Freude


    Wien entzückt mich, wahrhaftig seit vielen Jahren genieße ich zum erstenmal wieder. In der Natur ergehe ich mich so gern und was giebt es hier alles zu schauen, jetzt noch so schön im letzten Schmuck des Herbstes (23. Oktober 1838 an Clara Wieck)


    Momente des Optimismus


    Fester Entschluß, in Wien mit K.[lara] zu bleiben, u. ihn Klara mitgetheilt! (5. November 1838, Tagebucheintrag)


    Mein Urtheil über Wien fängt sich nach und nach zu ändern an. Das Kunsttreiben ist wenig nach meinem Geschmack; doch darf ich noch nicht öffentlich reden, später, wenn die Zeitschrift ganz hier erscheint, was wahrscheinlich bis Mitte des Jahres zu Stande zu bringen, werde ich wohl einmal hineinleuchten mit einem großen Schwerte (10. Jänner 1839 an Carl Montag)


    Momente der Enttäuschung


    Sehr traurig haben mich viele deiner Worte gestimmt – ich weiß nicht warum. Ich glaube, es sind Sorgen, die Dich drücken (2. November 1838 Clara Wieck an Robert Schumann)


    Daß Du mir meine letzte Hoffnung so plötzlich in Trümmer schlägst hatte ich nicht erwartet. Dachte ich doch mit Dir wenigstens ganz im Reinen zu sein und nun legst Du die Stirne in Falten, sprichst wieder von „Sorgen der Zukunft“ und hast mich so sehr entmuthigt und erschlafft in meinem Thun und Denken, daß ich gleich fort möchte wieder von hier (13. November 1838 an Clara Wieck)


    Diese Momente wechseln sich auch die nächsten Monate ab, Frustration folgt Hoffnung und dieser wieder Frustration und Enttäuschung und so fort.


    Laut Tagebucheinträgen bekam Schumann um die Jahreswende hin einen zunehmend melancholischen Zustand, möglicherweise auch durch die Jahreszeit und den damit zusammenhängenden überschaubaren Stunden an Tageslicht geschuldet.


    Friedrich Wieck war über die Pläne der Beiden derart erzürnt, dass er diese gekränkt und verbittert vereiteln wollte. Zunächst hielt er nicht sein Versprechen seine Tochter nach Paris zu begleiten und erfüllte auch nicht sein nächstes, nämlich ihr verspätet zu folgen. Er ließ Clara im Unklaren und schickte ihr auch keine schriftlichen Mitteilungen mehr.


    Was ich vom Vater denken soll, weiß ich nicht! Denk Dir, drei Briefe hat er schon von mir, und ich noch nicht Einen; alle meine Hoffnung stand auf Stuttgart. Läßt er mich so in der Fremde, ohne Nachricht, ohne Alles, ich weiß nicht, was ich machen soll, ob ich allein nach Paris soll, gar nichts weiß ich! Meine Lage ist wirklich schrecklich! (21. Jänner 1839 Clara Wieck an Robert Schumann)


    Langsam schien sich auch abzuzeichnen, dass Schumann seine Zeitschrift nicht in Wien herausgeben konnte. Der Musikalienhändler Tobias Haslinger (welcher schon Erstveröffentlichungen von etwa Schubert und Beethoven herausbrachte) erwies sich als einflussreicher, zu mächtiger Konkurrent und Widersacher.


    Wie malitiös dies von H. ist, siehst Du; ich glaube sogar, er hat ein Schreiben eingereicht, daß man mir die Concession verweigern sollte, weil es ihm in seinem Gewerbe schade. Sähe ich nun, daß die Zeitschrift, wenn sie hier erschiene, uns einen wirklich größern Vortheil brächte, so wollte ich es trotz H. dennoch durchsetzen, die Concession zu erlangen. Meine Ueberzeugung, daß hier keine gute Zeitschrift aufkommen kann, wächst immer mehr, und eine musicalische vollends nicht, da Wien so sehr außer Verbindung mit Mitteldeutschland (6. Februar 1839 an Clara Wieck)


    diese schwindende Zuversicht schlägt in einem vier Tage später verfassten Brief sogar noch in Kummer und Sorgen um


    Hätte ich Flügel, könnte ich zu Dir, nur eine Stunde mit Dir zu sprechen. Meine Lage hier wird immer bedenklicher und es überfällt mich manchmal eine heiße Angst um den Ausgang aller dieser Verwicklungen (10. Februar 1839 an Clara Wieck)


    Zudem schien Friedrich Wieck von Leizpig aus keinen Skrupel gehabt zu haben um durch perfide Intrigen Schumanns Pläne in Wien zu verhindern. Trotz scheinbar guter Kontakte des Wahl-Wieners zu bereits erwähntem Zensurchef Sedlnitzky, bekam Schumann die Absage welche auf Informationen eines „gediegenen Sachkenners“ in Leipzig beruhten.


    Mitte Februar 1839 kommt es auch zur Phase der Entscheidungsfindung. Gibt es für Schumann in Wien oder einer anderen Stadt einen Plan B, oder soll er nach Leipzig zurück um dort dann den Triumph von Friedrich Wieck über sich ergehen lassen zu müssen? Clara bekommt seine Briefe erst Wochen später, sobald sie von seinen gescheiterten Plänen erfährt ratet sie ihm


    Gehst du nach Leipzig zurück, so hast Du doch etwas Sicheres, aber in Wien gar nichts. Deine Zeitung darfst Du nicht eingehen lassen. Ach und so schön denke ich es mir, wenn Du wieder in Deinem Parkstübchen sitzen und arbeiten kannst. Du wirst wieder aufleben. In Leipzig brauchen wir kein großes Logis, können sehr angenehm in der Vorstadt leben und leben in Leipzig mehr in der Kunst als nirgendwo. Nur Muth, mein Lieber! Laß uns nur immer einander ermuthigen – es geht Alles (1. März 1839 Clara Wieck an Robert Schumann)


    Vielleicht ahnte jetzt Schumann auch dass er Clara nach all den sorgenvollen Briefen wieder etwas aufheitern musste, vielleicht war es aber auch mehr das von Otte & Wink (2008) konstatierte „latente Doppelwesen“ Schumanns, so dass er am 1. März 1839 wieder einen positiven, geradezu fröhlichen Ton angeschlagen hat. Während er noch um den Jahreswechel schrieb, dass selbst einfachste Stücke nicht vorangingen, scheint es plötzlich wieder aus ihm geradezu heraus zu fließen


    Die ganze Woche saß ich am Clavier und componierte und schrieb und lachte und weinte durcheinander; dies findest Du nun alles schön abgemalt in meinem Opus 20, der großen Humoreske, die auch schon gestochen wird. Sieh, so schnell geht es jetzt bei mir. Erfunden, aufgeschrieben und gedruckt. Und so hab ich’s gerne. Zwölf Bogen in acht Tagen fertig geschrieben


    Plötzlich glaubte er wieder Mitte März an eine Zukunftschance für seine Zeitschrift in Wien obwohl die Lage schon längst aussichtslos schien und auch bald darauf der endgültige Entschluss gefasst wurde nach Leipzig zurückzukehren. Am 30. März erfährt er von der schweren Erkrankung seines Bruders Eduard. Schumann wollte schnellstmöglich die Zelte in Wien abbrechen und trat am 5. April die Reise in seine Heimat an, konnte aber seinen Bruder nicht mehr lebend sehen, da dieser schon einen Tag nach Schumanns Abreise in Zwickau verstarb.


    Nach Michael Beiche (2017) schrieb Schumann in seiner Wiener Zeit an mehr Klavierwerken, als man zunächst anhand der schriftlichen Quellen vermuten würde (auch wenn es teils relativ kurze Stücke sind). Die Äußerungen in Briefen und Tagebucheinträgen schwanken permanent zwischen Unproduktivität und Schaffenskraft hin und her. Beiche bezeichnet diese Diskrepanz als „ambivalent“. Um nur ein Beispiel von vielen herauszugreifen, schrieb er Anfang Dezember an Clara


    Componirt hab’ ich hier nur sehr Weniges; mir ist’s, als könnte ich es gar nicht mehr.


    Etwa eine Woche zuvor schrieb er jedoch in sein Tagebuch


    Für die Zeitung ziemlich viel geschrieben, auch am Clavier gute Gedanken


    Beiches Auflistung nach komponierte bzw. vollendete er in der Schönlaterngasse folgende Werke: Arabeske op. 18, Blumenstück op. 19, Humoreske op. 20, Finalsatz für die zweite Klaviersonate in g-moll op. 22, Nachtstücke op. 23 (von Schumann zunächst „Leichenphantasie“ bezeichnet), Faschingsschwank aus Wien op. 26, Scherzo, Gigue und Romanze für op. 32 (insg. vier Sätze), die ersten beiden der „Drei Stücklein“ in die Bunten Blätter op. 99, „Vision“ in Albumblätter op. 124, sowie ein Fragment: ein angedachtes Konzert für Klavier und Orchester, welches die heutige Bezeichnung Konzertsatz in d-moll (RSW Anhang B5) trägt.


    Bunte Blätter op. 99 (Grigory Sokolov) Die ersten beiden „Stücklein“ bis ca. zur 3. Minute komponierte Schumann in Wien (somit wird hier nicht die Zeit überstrapaziert um hineinzuhören):


    Schumann - Bunte Blätter op. 99


    Dem Tagebuch nach schrieb Schumann diese beiden „Stücklein“ kurz vor Weihnachten 1838, in diesem noch als „Notturnis“ bezeichnet und noch als „Einiges Hübsche componirt“ befunden, während er eine Woche darauf in einem Brief an Clara, in dem er auf das bereits übermittelte erste Stücklein in A-Dur verwies, keine positiven Worte mehr darüber fand


    Von Musik wenig Bedeutendes. Ich verlebe oft ganze Tage am Clavier, bin aber unglücklich nichts fertig zu bringen – weiß nicht, woher das kömmt. Wohl zwanzig Sachen habe ich angefangen – ich wollte dem Stück, das ich Dir schickte, noch eilf dazu paßende anhängen und bin nur bis in das dritte gekommen seit acht Tagen, wo ich sonst sie zu Dutzenden in wenig Stunden mache.


    Diese Schwankungen in seiner Selbsteinschätzung ziehen sich wie ein roter Faden durch den ganzen Wien-Aufenthalt. Etwa klagte er Carl Montag noch über die mangelnde Qualität seines Schaffens und kurze Zeit darauf schrieb er Josef Fischhof: „Im Augenblick componire ich stark und möchte mich zum Leibcomponisten aller Wienerinnen emporschwingen“


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    Man könnte vielleicht glauben, die Aussagen wurden eventuell der jeweils empfangenden Person individuell zugeschnitten, doch diese Schwankungen zeigen sich auch in seinen Tagebucheinträgen.


    Teils schon in der Vergangenheit als in Wien entstandene Werke deklariert, sind tatsächlich falsche Zuschreibungen wie etwa die Fantasie op. 17, Kinderszenen op. 15, Kreisleriana op. 16 oder Novelletten op. 21


    März 1839 entstand in Wien auch eines der bekanntesten Schumann-Bilder vom Litographen Joseph Kriehuber (nach ihm wurde 1889 eine Gasse in Wien benannt)


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    Bildquelle: Wikiart.org


    Von meinen Bildern taugt keines viel, etwa das Kriehubersche ausgenommen


    1839 enstand auch in Wien das wohl bekannteste Porträt über Clara Schumann, die Litographie von Andreas Staub, welche von 1990 bis 2001 auf den 100-DM-Scheinen zu sehen war.


    Andreas_Staub_-_Clara_Wieck_%28Lithographie_1839%29.jpgBildquelle: Wikimedia.org

    Der aus dem Elsass stammende Staub ließ sich seit seinem Studium in Wien nieder. Tragischer Hintergrund: Er begang noch im gleichen Jahr in dem dieses Bild enstand Suizid. Er wurde nur 32 Jahre alt.

    „Eine Erkenntnis von heute kann die Tochter eines Irrtums von gestern sein.” (Marie von Ebner-Eschenbach)

  • Wiedner Hauptstraße 7, Antonín Dvořák


    Vom ersten Bezirk kommend sieht man links am Anfang der Wiedner Hauptstraße ein Haus mit der Aufschrift „ehem. HOTEL GOLDENES LAMM“. Die Ursprünge gehen auf das Jahr 1760 zurück, nachdem am 24. Juni 1759 viele Häuser der Umgebung einem großen Brand zum Opfer fielen. 1823 wurde das noch im damaligen Vorort Wieden (heute Teil von Wien und gleichnamiger Bezirk) gelegene Gebäude vom Baumeister Josef Klee aufgestockt und bekam zwischen 1840 und 1860 eine frühhistorische Fassade.


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    Eine bedeutende Rolle hatte das Gebäude als anfänglich ein geschäftstüchtiger Großfuhrmann das Haus pachtete und neben seiner Tätigkeit als Gasthof auch Stellfuhren nach u.a. Mödling, Brunn am Gebirge, Eisenstadt und Hainburg anbot. Sozusagen ein kleiner Verkehrsbetrieb der damaligen Zeit. Das wurde schließlich nicht nur von Beethoven oder Schubert genutzt sondern hatte so regen Zulauf dass auch andere Hausbesitzer in der Gegend dieses Konzept kopierten, wie etwa das Haus „Drei goldene Kronen“ Nr.13 oder das auf dem Foto rechts befindliche Gebäude Nr. 9 „Zur Stadt Ödenburg“. Dieser Name war dann schließlich auch Programm. Heute befindet sich im Gebäude Nr.7 das Institut für Stochastik und Wirtschaftsmathematik der technischen Universität.


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    Nicht von den Hausnummern auf dem Plan von Max de Grimm irritieren lassen, denn diese haben sich längst geändert. Ein paar interessante Infos über den Kartenausschnitt: Bei der kleinen Kapelle neben der Karlskirche lag der bis 1784 genutzte Bürgerspital-Gottesacker auf dem auch am 28. Juli 1741 Antonio Vivaldi bestattet wurde (heute etwa Karlsplatz 12, ein im 19. und 20. Jahrhundert in mehreren Schritten erbautes Gebäude in welchem heute ein Teil der technischen Universität untergebracht ist). Das dem „Goldenen Lamm“ gegenüberliegende Gebäude ist das schon in „Mozarts Freunde in Wien“ vorgestellte Freihaus auf der Wieden (hier „Fürst Starhembergisches Freyhaus“ bezeichnet), der Uraufführungsort der Zauberflöte (man beachte hier die Bezeichnung „Schaubühne“). Bei den heutigen Nachfolgebauten handelt es sich ebenso um die Hauptgebäude der technischen Universität. Man merkt, diese hat sich in dieser Gegend gut ausgebreitet.


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    Von dem beim Vogelschauplan Hubers ersichtlichen Wienfluss ist schon längst nichts mehr zu sehen (überbaut und heute sozusagen Kanalcharakter) Hier nicht von der Himmelsrichtung täuschen lassen, da der Norden nicht oben, sondern eher rechts zu verorten ist. Somit verläuft die Strecke „Kärntner Thor“ über die Wiedner Hauptstraße (bzw. damalige Alt-Wiedner Hauptstraße oder Alte Wieden Hauptstraße) in Richtung Südwesten, wie man es auch auf dem Plan von Max de Grimm sehen kann.


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    Sicherheitshalber sei erwähnt: Die beiden Fenster haben keine exzentrische Gardinenvorrichtung mit Eisenstangen, sowie Blumenkasten mit Steinen gefüllt. Hier spiegelt sich das gegenüberliegende TU Wien „Freihaus“-Gebäude (in den späten 1970er-Jahren errichtet) mit derzeit davor befindlicher Baustelle wider.


    Zu welchen exakten Zeiträumen hier Dvořák zu Gast war, bzw. eine genaue Auflistung evtl. anderer Wohnstätten konnte ich leider nicht ermitteln. Bei verschiedenen Quellen wird lediglich die etwas schwammige Angabe eines wiederholten Logis angeführt und ich muss auch gestehen dass ich biographisch kein Dvořák-Experte bin oder tiefergehende Literatur über ihn besitze. Nach den Informationen die ich finden konnte stellte er 1874 in Wien seinen Antrag für ein staatliches Künstlerstipendium, wobei er nicht nur den Preis gewann, sowie für drei Jahre das Stipendium erhielt, sondern damit auch Eduard Hanslick und Johannes Brahms auf ihn aufmerksam machen konnte. Das war ein entscheidender Schritt in seiner Karriere, da sich dadurch auch die Möglichkeit ergab beim großen Berliner Verleger Fritz Simrock zu veröffentlichen. Dvořák gab in Wien nicht nur Konzerte sondern kam teils auch einfach nur um Konzertaufführungen von zeitgenössischen Komponisten zu hören (es verband ihn später auch eine Freundschaft mit dem mittlerweile in Wien lebenden Brahms) Als jemand in Wien Dvořáks Musik kritisierte soll Brahms ihm entgegnet haben „Ich möchte vor Neid aus der Haut fahren über das, was dem Menschen so ganz nebenbei einfällt. Der Kerl hat mehr Ideen als wir alle. Aus seinen Abfällen könnte sich jeder andere die Hauptthemen zusammenklauben.“


    Lieber Freund,


    ...Nur ein paar Zeilen, um Ihnen mitzuteilen, dass ich gerade in Wien war, nachdem ich ein Telegramm von Richter erhalten hatte; ich bin letzten Freitag abgereist und war bei der Aufführung meiner III. Rhapsodie, die sehr gut aufgenommen wurde und ich musste mich dem Publikum zeigen. Ich saß neben Brahms an der Orgel im Orchester und Richter zog mich heraus. Ich musste herauskommen. Ich muss Ihnen sagen, dass ich mit einem Schlag die Sympathie des ganzen Orchesters gewonnen habe und dass von allen Neuerungen, die sie ausprobiert haben, und es waren 60, wie mir Richter sagte, meine Rhapsodie am besten gefallen hat. Richter umarmte mich sogar auf der Stelle und war, wie er sagte, sehr glücklich, mich zu kennen, und versprach, die Rhapsodie bei einem außerordentlichen Konzert im Opernhaus zu wiederholen.


    Ich versprach, zur Aufführung der Serenade zu kommen, und musste den Philharmonikern versichern, dass ich ihnen für die nächste Saison eine Sinfonie schicken würde. Am Tag nach dem Konzert gab Richter in seinem Haus ein Bankett, sozusagen zu meinen Ehren, zu dem er alle tschechischen Mitglieder des Orchesters einlud. Es war ein großartiger Abend, den ich nicht so leicht vergessen werde, solange ich lebe. Es war so ähnlich wie bei Joachim im Sommer. Die Kritiken in den Wiener Zeitungen waren gut, bis auf ein oder zwei. Ich habe die Ausschnitte für Sie aufbewahrt. (Dvořák, November 1879)


    Es handelt sich hier um die 6. Sinfonie in D-Dur op. 60 die er für die Wiener Philharmoniker schrieb und dem Dirigenten Hans Richter widmete. Die Uraufführung sollte im Dezember 1880 in Wien stattfinden, doch gaben Richter und Orchester diverse Gründe einer derzeit nicht möglichen Aufführung an (wie etwa momentane Überlastung und für die Faschings- bzw. Karnevalssaison nicht geeignet), woraufhin Dvořák eine anti-tschechische Stimmung in Wien als eigentliche Ursache vermutete. So wurde sie ca. ein Quartal später in Prag uraufgeführt. Nach Dvořáks brieflicher Aussage soll ihn aber Richter beim ersten Vorspielen am Klavier nach jedem Satz begeistert umarmt haben.


    Es sieht auch danach aus, als hätte Dvořák zum. einen Aufenthalt lang bei Richter in der Sternwartestraße 56 (Bezirk Währing) gewohnt (1884 von Viktor Siedek erbaut, 1913-1914 von Emmerich Spielmann umgebaut), da Richter ihn im November 1887 brieflich dazu einlädt. Er solle bei ihm ein recht komfortables Zimmer vorfinden in dem er nicht gestört wird. Der Tscheche scheint seiner Antwort nach zu schließen zum. auch nicht abgeneigt gewesen zu sein („Wenn ich in Wien (Franz Joseph Bahn) um 10 Uhr abends ankomme kann ich dann noch eine Droschke zu Ihnen nach Währing bekommen? Aber ich möchte Sie nicht so spät belästigen“). Dvořák war übrigens ein glühender Eisenbahn-Fan.


    Kleiner Exkurs an dieser Stelle. Um mit möglicherweise falschen Vorstellungen mancher Leser aufzuräumen: Ich habe ja schon zu einigen bekannten Komponisten die Originalstätten recherchiert und es ist leider nicht so, dass hier immer alles schon am Präsentierteller vorliegt und ich das dann nur abschreiben brauche. Vor allem wenn Komponisten mehrere Wohnstätten in einer Stadt hatten sind in den meisten Fällen nicht alle bekannt, in manchen Fällen sogar nur ein Bruchteil. Manch bauernschlaue Tourismus-Marketingleute behaupten als selbsternannte Experten, dass der Komponist bei den Aufenthalten mit unbekannter Adresse einfach ebenso bei einer schon bekannten Originalstätte gewohnt hat. Die Laien werden es schon nicht überprüfen. Die Wahrheit ist, dass es in dieser Hinsicht noch einige Forschungslücken gibt und die Recherche über Internet hat seine Grenzen, da nur dort etwas stehen kann, dass schon zuvor in Originaldokumenten gefunden wurde (ausgenommen die wenigen bereits eingescannten, frei verfügbaren historischen Originaldokumente) Hier lässt sich nämlich gut zum Fall Tschaikowsky überleiten, da er auch bei zum. zwei Wien-Aufenthalten im „Goldenen Lamm“ gewohnt haben soll.


    Tchaikovsky Research listet insgesamt 15 Wien-Besuche, wovon laut der folgenden Seite nur zwei Mal die Wohnstätte bekannt ist (einmal Ende 1878, das andere Mal Anfang 1881) Zumindest sieht es danach aus, wenn hier nicht Informationen vorenthalten wurden:


    Tchaikovksy Research


    Wie man somit im Fall Dvořák sehen kann muss es nicht immer zwangsläufig das gleiche Quartier sein. Wer von den beiden Komponisten zuerst im „Goldenen Lamm“ war kann man somit nicht sagen, aber es ist nicht ausgeschlossen dass der Erstbesucher es dem anderen weiterempfohlen hat (vielleicht gibt es dazu sogar einen Brief und bitte um Verständnis dass ich nicht sämtliche Briefe der beiden für einen Forenbeitrag erwerbe und durchforste).


    Zurück zu Dvořák: Wie man aus den Briefen entnehmen kann, besuchte er die Stadt sein ganzes Leben lang immer wieder. Noch gegen sein Lebensende schreibt er


    Ich war am 16. Februar 1896 in Wien. Richter schickte mir ein Telegramm. Es war ein großer Erfolg und das Publikum gab mir einen großen Empfang. Ich saß mit Brahms in der Loge des Direktors. Der Beifall war so groß, daß ich mich nach dem Largo und nach dem Scherzo dreimal von der Loge aus verbeugen mußte, und nach dem Finale mußte ich in den Saal hinuntergehen und mich dem dankbaren Publikum vom Podium aus zeigen. Ich habe noch nie einen solchen Erfolg in Wien erlebt. Ich danke Gott dafür! (Dvořák an Simrock in Berlin, 19. Februar 1896)


    Ein sehr populäres Werk welches eng mit Wien verknüpft ist, ist die Streicherserenade in E-Dur op. 22, welche er in angeblich nur 12 Tagen (3. bis 14. Mai) schrieb, relativ kurz nachdem er das staatliche Künstlerstipendium 1875 von der Wiener Kommission erhielt. Hier der wohl bekannteste Satz des fünsätzigen Werkes (damit die Zeit wieder mal nicht überstrapatziert wird) (Norwegian Chamber Orchestra)


    Streicherserenade E-Dur op. 22 (2. Satz)

    „Eine Erkenntnis von heute kann die Tochter eines Irrtums von gestern sein.” (Marie von Ebner-Eschenbach)

  • Mozartgasse 4, Richard Strauss


    Das vom „Goldenen Lamm“ knapp über 5 Gehminuten entfernte späthistorische Palais wurde zwischen 1906 und 1909 (dazwischen verschiedene Angaben aus verschiedenen Quellen) vom Architekten Max Kaiser für Oscar Mayer von Gunthof, ein vermögender Textil-Großindustrieller, errichtet. Angeblich soll es später als Studentenheim adaptiert worden sein (ist es zum. aktuell nicht) Zwischen 1962 und 1964 errichteten die Architekten Raimund Abraham und Ottokar Uhl eine kleine Studentenkapelle im 1. Stock.


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    Der Mozartplatz Blickrichtung Mozartgasse / Wiedner Hauptstraße (quer dazu)


    Strauss wohnte hier zwischen 1919 und 1925. Er kam 55jährig nach Wien um (mit Franz Schalk) die Leitung der Wiener Hofoper zu übernehmen. Er wurde in Wien bereits seit 1895 als Konzert- und seit 1910 als Operndirigent wiederholt engagiert. Der bereits erfahrene und bekannte Komponist, Kapellmeister und Dirigent wurde am 15. November 1918 bestellt und sollte auch schon August 1919 sein Amt antreten, wozu es tatsächlich erst im Dezember 1919 kam. Am 1. Jänner 1920 erfolgte schließlich sein Debüt mit „Lohengrin“. Ebenso wie Mahler war auch er nicht unumstritten, wobei die Kritik aber jeweils auf andere Gründe fußte. Strauss wurde vor allem vorgeworfen keine modernen Opern, mit Ausnahme seiner eigenen, in seine Spielplangestaltung aufzunehmen. Während die Zusammenarbeit mit Schalk anfänglich noch von gegenseitiger Wertschätzung geprägt war, glitt das Verhältniss bis zur Gehässigkeit ab. In dieser Zeit war er nicht nur in Wien tätig sondern unternahm auch ausgiebige Konzertreisen wie etwa nach Südamerika (1920 und 1923) oder in die USA (1921). Auch wenn sein 60. Geburtstag im Jahr 1924 noch ausgiebig gefeiert wurde (wobei er sogar die Ehrenbürgerschaft der Stadt Wien am 16. Mai verliehen bekam) so zeichnete sich längst eine geplante Verdrängung (oder heute würde man Mobbing sagen) aus seinem Amt ab. Als schließlich Franz Schalk bei seiner Vertragsverlängerung umfangereichere Kompetenzen erhielt, zog sich Strauss enttäuscht zurück. Ab da arbeitete er bis zur Zeit des Nationalsozialismus als freischaffender Komponist und Dirigent.


    Kleiner Exkurs: Dennoch war es ihm wichtig in Wien ein Haus zu kaufen, wozu es auch 1925 kam. Das Grundstück „Kammergarten“ in der Jaquingasse (8-10) wurde zunächst noch gepachtet um später eine Villa darauf zu errichten (das heute sogennante „Strauss-Schlössel“). Er finanzierte sich diese Kosten durch den Verkauf der Originalpartituren vom „Rosenkavalier“ und „Schlagobers“, sowie Einkünfte von Konzerttourneen und ein Darlehen der Familie seiner Schwiegertochter. Heute befindet sich darin die niederländische Botschaft.


    An dem Haus in der Mozartgasse 4 ist zwar eine „Gedenktafel“ angebracht, die ich aber nicht fotografiert habe, da diese etwas lieblos gestaltete, bei mehreren um den Eingang angebrachten Firmentafeln nicht nur untergeht, sondern dessen Text auch ohne Strauss-Bezug anfängt (über den Bauherren des einstigen Palais).


    Es ist stark anzunehmen dass die Tätigkeit an der Oper herausfordernd genug war, so dass dieser etwa fünjährige Lebensabschnitt nicht zu den produktivsten gehörte was seine eigenen Kompositionen anbelangt. Das bedeutenste Werk welches teilweise in diese Zeit fällt ist wohl die Komödie Intermezzo op. 72, ansonsten ist noch das Ballett Schlagobers op. 70 erwähnenswert. Darüber hinaus entstanden wenige, relativ kleine Werke wie etwa drei Hymnen für hohe Stimme und Orchester, ein Hochzeitspräludium oder eine Wiener Philharmoniker Fanfare für Bläser und Pauke.


    Intermezzo op. 72, vier sinfonische Zwischenspiele: Reisefieber und Walzerszene, Träumerei am Kamin, Am Spieltisch und fröhlicher Beschluss (Mariss Jansons, Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks)


    Intermezzo op. 72, sinfonische Zwischenspiele

    „Eine Erkenntnis von heute kann die Tochter eines Irrtums von gestern sein.” (Marie von Ebner-Eschenbach)

  • Prinz-Eugen-Straße 27 (Oberes Belvedere, Kustodentrakt), Anton Bruckner (Sterbewohnung)


    Das Schloss Belvedere unterteilt sich in das „Obere Belvedere“ und „Untere Belvedere“ und wurde von Johann Lucas von Hildebrandt zwischen 1714 und 1723 erbaut. Hildebrandt ist auch für andere bedeutende Bauwerke bekannt wie etwa das Palais Schwarzenberg, die Piaristenkirche, die Peterskirche (alle in Wien) oder das Stift Göttweig. Auftraggeber war Prinz Eugen von Savoyen. Dieser hatte als Feldherr (Venezianisch-Österreichischer Türkenkrieg, Spanischer Erbfolgekrieg,…), Präsident des Hofkriegsrats sowie Diplomat ein abenteuerliches Leben und wie man sich anhand dieser Ämter vorstellen kann, konnte er ein beträchtliches Vermögen ansammeln. Das nutzte er nicht nur für sich selbst sondern förderte auch die Kunst und Wissenschaft. Unscheinbar, bei einem Seitentrakt des oberen Belvederes, verbrachte Anton Bruckner sein letztes Lebensjahr. Zu dieser Zeit residierte im Belvedere Erzherzog Franz Ferdinand (zur Erinnerung: seine Ermordung 1914 in Sarajevo löste Kettenreaktionen aus welche schließlich zum 1. Weltkrieg führten).


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    von dieser Perspektive geradeaus am Schloss vorbei befindet sich erwähnter „Kustodentrakt“ oder „Kustodenstöckl“ genannt.


    Bruckner erkrankte noch in seiner vorhergehenden Wohnung, im vierten Stock der Wiener Heßgasse 7 (ebenso noch erhaltenes Gebäude mit Gedenktafel) welche er von 1877 bis 1895 bewohnte. Schon ein paar Jahre vor dem Wohnungswechsel zeigte sich eine ernsthafte Krankheit


    Höre: Ich war seit Mitte Jänner an der Wassersucht erkrankt; die Füße schrecklich geschwollen; das Wasser drang bis an die Brust, daher bittere Atemnot! Prof. Schrötter kommandierte mich ins Bett und durfte ich durch Wochen nichts als Milch (ohne Brot) genießen (14. März 1893)


    Ob der Patient beabsichtigt im falschen Glauben gelassen werden sollte oder es sich um eine fachliche Fehleinschätzung handelte ist unklar, jedenfalls spielte Schrötter das Ganze gegenüber Bruckner runter. Bruckner nahm dies dankend an um sich schonungslos gewohnten Aktivitäten zu widmen (Reisen, Konzertaufführungen, Vorlesungen an der Universität,…). Zwar mit einem mittlerweile gebesserten Zustand, doch war das nur eine temporäre Pause, die Ruhe vor dem eigentlichen Sturm. Dezember 1894 waren die Symptome so gravierend, dass der Kranke schon die Sterbesakramente erhielt und die Ärzte einen baldigen Tod prognostizierten.


    Da bekam Bruckner unerwartet eine weitere, diesmal aber letzte Besserungsphase. Doch war mittlerweile klar, dass sein Gesundheitszustand nicht mehr das Stiegensteigen in den vierten Stock zuließ. Da kam ihm die Erzherzogin Marie Valerie zu Hilfe, die schon 1886 (erst 18-jährig) für eine Gehaltserhöhung um 300 Gulden, sowie einen Franz Joseph-Orden eintrat. Bruckner bedankte sich persönlich bei der kaiserlich königlichen Hoheit und Förderin im Dezember 1886 in der Hofburg. Diese Wertschätzung zu Bruckner blieb auch bis an sein Lebensende bestehen. So wurde er gebeten als Organist für die Vermählung mit Erzherzog Franz Salvator am 30. Juli 1890 in Ischl aufzutreten und konnte zudem an der kaiserlichen Festtafel teilnehmen. Bruckner wandte sich somit im Februar 1895 an die Erzherzogin und bat um eine ebenerdige, standesgemäße und komfortable Wohnung in bester Lage. Es kam ihm auch konkret das damals unbewohnte Kustodenstöckl in den Sinn. Durch Marie Valeries Fürsprache erteilte ihr Vater Kaiser Franz Joseph I. dem Komponisten nicht nur ein kostenloses Wohnrecht in den 9 Zimmern, sondern soll auch täglich frische Blumen für Bruckners neues Heim gespendet haben. Vielleicht auch sein baldiges Ende vorausahnend.


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    So bezog er schließlich seine neue Wohnung im Juli 1895 mit seiner Haushälterin Katharina Kachelmaier. Später pflegte ihn auch sein Bruder Ignaz. Zwar musste Bruckner keine Miete zahlen, doch hatte er dennoch finanziell zu kämpfen, da ihn immerhin drei Ärzte behandelten.


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    Bildquelle: abruckner.com, Fritz Ehrbar


    von links nach rechts: Dr. Heller, Frau Kachelmaier, Bruckner, Bruckners Bruder Ignaz, Prof. Schrötter


    Das Foto wurde am 17. Juli 1896 vom Wiener Fotografen Fritz Ehrbar auf Veranlassung Bruckners Arztes Dr. Heller aufgenommen. Interessantes Detail am Rande: Da Bruckner angeblich nicht wollte dass man ihn fotografiert, wurden die Absichten Hellers (und Ehrbars) verschleiert um dann heimlich im richtigen Moment aus dem Hintergrund mittels „Schnappschuss“ (insofern dieser Begriff bei der damaligen Technik überhaupt passend ist) den greisen Mann zu überrumpeln.


    Das Foto in dem Bruckner angeblich im Sterbebett liegen soll ist auch von den bereits genannten Personen inszeniert und am gleichen Tag wie dieses Foto entstanden. Man überredete Bruckner sich für ein kleines Nickerchen hinzulegen um wieder auf den richtigen Moment zu lauern.


    Und den pikanten Details kein Ende: Ein paar Jahre darauf kamen dubiose Nachdrucke vom Gruppenfoto heraus. Plötzlich war hier Dr. Heller nicht mehr auf dem Foto zu sehen, quasi wegretuschiert oder besser gesagt im Farbton der Türe übermalt. Somit braucht es scheinbar nicht erst Photoshop und Instagram um das Verlangen nach Nachbearbeitungen und Inszenierungen im Menschen zu wecken.


    Wie die meisten wissen werden, arbeitete Bruckner in dieser Zeit am Finalsatz der 9. Sinfonie, von dem schließlich nur Fragmente erhalten sind (das der Reihenfolge zuvorgehende Adagio wurde schon vor dem Umzug beendet). Es ist nicht so, als hätte Bruckner nicht genug Zeit für die Vollendung der 9. Sinfonie gehabt, er ließ sie nur immer wieder für andere Kompositionen und Bearbeitungen von bereits vermeintlich abgeschlossenen Werken liegen um dann später wieder die Arbeit daran aufzunehmen. August 1887, also 9 Jahre vor Bruckners Tod, wurde die 9. begonnen. Als es dann den Anschein hatte, dass er gewillt war diese auch tatsächlich zu beenden, wurde ihm sein mittlerweile schlechter Gesundheitszustand zum Verhängnis. Aber der auf Wikipedia stehende Satz „Schließlich verstarb Bruckner während der Arbeiten am vierten Satz“ kann vermutlich eher als Mythos und nette Legende eingestuft werden (wenn man diese Aussage wortwörtlich nimmt). Juli 1896 kam eine Lungenentzündung hinzu, worauf es noch einmal zu einer deutlichen Verschlechterung seines Zustands kam. Laut Augenzeugen soll er danach gänzlich entrückt auf der Bank gesessen sein und Hugo Wolf berichtete dass Bruckner kurz vor seinem Tod am 11. Oktober 1896 nicht mehr bei klarem Bewusstsein war.


    Otte & Wink (2008) konstatieren aufgrund aller verfügbaren Informationen eine Linksherzinsuffizienz aus welcher dann schließlich die Lungenentzündung herrührte. Die heutigen Maßnahmen einer medikamentösen Therapie, wie etwa Abreichung von ausschwemmenden Medikamenten, gefäßerweiternden Substanzen usw. waren zu Bruckners Zeit und noch länger darüber hinaus unbekannt (diese Maßnahmen können angeblich das mit dieser Ursache zusammenhänge Sterberisiko um etwa ein Drittel reduzieren)


    Nichts das mit dieser Zeit beim Schloss Belvedere in Zusammenhang steht aber einer meiner Lieblingssätze Bruckners, das Adagio des F-Dur Streichquintett von dem (bzw. dem ganzen Werk) es aber nicht wenige Einspielungen mit größerem Streicherensemble zu geben scheint (hier Amsterdam Sinfonietta)


    Streichquintett F-Dur WAB 112 (Andante [Adagio])


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    u.a. herangezogene Quellen:


    Beiche, M. (2017) Robert Schumann in Wien. In: Correspondenz, Mitteilungen der Robert-Schumann-Gesellschaft E.V. Düsseldorf (Hg.: Knechtges-Obrecht, I.). Aachen


    Eismann, G. (Hg.) (1971) Robert Schumann Tagebücher, Bd. 1 & 2. Basel, Frankfurt a. M.


    Kalbeck, M. (1912) Johannes Brahms, Bd. 2 (1. Halb-Bd., 5. Kptl.). Berlin


    Otte, A. & Wink, K. (2008) Kerners Krankheiten großer Musiker, 6. Auflage. Stuttgart


    Schumann Briefedition (2013) Briefwechsel von Clara und Robert Schumann, Bd. 2, September 1838 bis Juni 1839 (Hg.: Synofzik, T.; Heinemann, M.). Köln


    Sourek, O. (Hg.) (1954) Antonin Dvorak Letters And Reminiscences. Prague


    und diverse Seiten wie abruckner.com, richard-strauss-ausgabe.de, deutsche-digitale-bibliothek.de, architektenlexikon.at,…

    „Eine Erkenntnis von heute kann die Tochter eines Irrtums von gestern sein.” (Marie von Ebner-Eschenbach)