Dissonanzen und andere harmonische Kuriositäten in der klassischen Literatur

  • Ich liebe Dissonanzen! Wenn sie sich auflösen ...


    Kassische Beispiele sind der Akkord zu Beginn des Finales in Beethovens 9. Sinfonie oder die Einleitung zu Mozarts „Dissonanzen-Quartett“.


    Meine Lieblingsdissonanz findet sich bei Joh. Seb. Bach, WTC I, Præludium VIII (das ohnehin mit der folgenden dis-moll-Fuge zu meinen Favoriten gehört); im es-moll-Præludium findet sich in Takt 30 eine „Kuriosität": der vorangehende Dominantseptakkord wird gleichzeitig zur Tonika es-moll (ohne jedoch das tongeschlechtgebende ges) und zur Parallele Ces-Dur aufgelöst, es reiben sich also das b (rH) mit dem ces (lH). Erst in T. 31 erfolgt eine Scheinauflösung nach Es-Dur, gleich in der 2. Takthälfte wieder zum D7-Akkord umfunktioniert, dann Lösung nach as-moll in 32 ...


    Man bleibt in T. 30 in Ungewissheit; ein faszinierendes Mittel, das ich selbst gerne angewendet hatte. Regelmäßig wurde dies bei Aufführungen als Fehler gesehen und „korrigiert“, bis ich einschritt ...


    Mich würden zum einen weitere klassische Stücke interessieren, in welchen dieser harmonische Ausreißer vorkommt. Welche anderen Kuriositäten kennt und schätzt ihr?

    „Vielleicht werden Stockhausen und Boulez für uns mal so sein wie Brahms und Beethoven, aber zum Glück lebe ich dann nicht mehr.“
    (David Oistrach)

  • Die Dissonanzen auf dem Höhepunkt der Durchführung in Beethovens Eroica sind für mich von sehr hohem dramatischen Wert! Sie wirken wie ein Extremmittel, weil Beethoven die massive Spannung nicht anders auflösen möchte und noch einen Schritt weiter geht...

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Jap, das ist eine wunderbare Stelle! Genauer, nehme ich an, meinst Du die Takte 276ff.: hier werden a-moll und F-Dur quasi gleichzeitig gespielt, so daß sich e und f „reiben“. Auch 280ff. reiben sich h und c und den Streichern, „Korrektur“ erfolgt erst 282 Schlag 2 zum Dominantsept auf h, welcher dann 284 zu e-moll sich auflöst. Die Konstruktion der Takte 275/276 ist ähnlich der obigen Bach'schen, wirkt aber hier viel dissonanter und aggressiver (wohl auch wegen der Lautstärke), während es sich bei Bach in Hoffnungslosigkeit verliert, weil die Dissonanz bei Bach keine kleine Sekunde (wie bei Beethoven), sondern eine große Septime ist, was die Sache leicht zu entschärfen scheint.


    Der erste Satz bietet dann auch noch vier Takte vor Beginn der Reprise den „falschen“ Horneinsatz in T. 394: während die beiden Violingruppen das b und as des D7-Akkordes streichen, setzt das Horn bereits in der Tonika Es-Dur ein ... die Anekdote der Uraufführung im Palais Lobkowitz dazu ist wohl bekannt und auch in der BBC-Verfilmung entsprechend umgesetzt.

    „Vielleicht werden Stockhausen und Boulez für uns mal so sein wie Brahms und Beethoven, aber zum Glück lebe ich dann nicht mehr.“
    (David Oistrach)

  • Ganz wunderbar ist natürlich auch die Durchlauf-Dissonanz im Schlusschor "Wir setzen uns mit Tränen nieder" der Matthäuspassion Bachs.

    Eine charakteristische Dissonanz im Sinne Rameaus. Die Flöte verweigert zunächst den gemeinsam c-Moll-Schlussakkord und steht mit einem h quer. Eine Viertelnote später (beim finalen Durchlauf in der Regel besonders lange gehalten) korrigiert sie die kleine Sekunde auf c. Ein schmerzvoller Moment, welcher der Trauer nach dem Tod Jesu noch mehr Ausdruck verleiht.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Die vierte Variation des dritten Satzes von Beethovens Sonate op. 109 kulminiert in einer Dissonanz zwischen Bassstimme und Oberstimme, die ich sehr ausdrucksstark finde. Allerdings hört man das nicht in jeder Aufnahme. Gilels betont mehr die Oberstimme, Arrau und Serkin hingegen kosten die Reibung aus. Leider kann ich keine Noten einstellen, aber die zu wiederholende Passage ist leicht zu finden (mehrmals sf und dann ff).


    PS: Die Pianistin heute im Live-Chat aus Detmold hat diese Dissonanzen sichtlich genossen.

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  • Der zweite Satz von Beethovens 7. Sinfonie beginnt und endet mit einem dissonanten Akkord (ich weiß ehrlich gesagt nicht welcher, Harmonielehre war nie so mein Ding). Das ein dissonanter Akkord am Ende eines Satzes steht und NICHT aufgelöst wird, wie sonst in der Klassik üblich, ist bemerkenswert. Aber, meiner Meinung nach, funktioniert es sehr gut.


    LG aus Wien.:hello:

  • Der zweite Satz von Beethovens 7. Sinfonie beginnt und endet mit einem dissonanten Akkord (ich weiß ehrlich gesagt nicht welcher, Harmonielehre war nie so mein Ding). Das ein dissonanter Akkord am Ende eines Satzes steht und NICHT aufgelöst wird, wie sonst in der Klassik üblich, ist bemerkenswert. Aber, meiner Meinung nach, funktioniert es sehr gut.


    LG aus Wien.:hello:

    Das ist kein dissonanter Akkord sondern ein Quartsextakkord, also ein Dreiklang auf der Quint.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Ganz falsch ist das aber nicht. Soweit ich mich erinnere, galt zu jener Zeit der Quartsextakkord noch als Dissonanz, also als ein Akkord, der nur als Durchgangsstation zulässig war. Insofern ist seine Verwendung als Schluss eines Satzes bemerkenswert, wie es auch die Verwendung eines Terz-Quart-Akkords als Schlussakkord wäre. (Allerdings scheint mir, dass in der populären Literatur davon zu viel Gewese gemacht wird. Um so mehr, als heute niemand mehr diesen Akkord als Dissonanz hört.)

    Statt einer Hermeneutik brauchen wir eine Erotik der Kunst.

    Susan Sontag

  • Ganz falsch ist das aber nicht. Soweit ich mich erinnere, galt zu jener Zeit der Quartsextakkord noch als Dissonanz, also als ein Akkord, der nur als Durchgangsstation zulässig war. Insofern ist seine Verwendung als Schluss eines Satzes bemerkenswert, wie es auch die Verwendung eines Terz-Quart-Akkords als Schlussakkord wäre. (

    Das kenne ich etwas anders: Natürlich ist der Quartsextakkord z.B. bei Hugo Riemann nur als Durchgangsakkord zulässig (meist in Form eines Doppel-Vorhalts) und insofern hier sehr bemerkenswert, aber ich habe dafür als Beschreibung noch nie den Dissonanzbegriff gehört. Riemann geht von der "primären Klangeinheit" von Dur- und Molldreiklängen aus. Jeder Ton ist dann entweder Grundon, Terz oder Quint eines Dreiklangs, und ein Zusammenklang ist dann konsonant, wenn seine Töne sämtlich auf denselben "Klang", und dissonant, wenn sie auf verschiedene "Klänge" bezogen werden (so habe ich es erinnert und gerade noch einmal nachgeschlagen). Es kann aber sein, dass der Dissonanzbegriff in anderen theoretischen Zusammenhängen auch anders verwendet wird.

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    (Theodor W. Adorno)

  • Ich kenne mich da nicht aus, aber ich erinnere mich sicher, schon mehrmals darüber gelesen zu haben, dass das eine Dissonanz ist, genauer, dass der Akkord damals noch als eine solche galt. Ich weiß da nicht Bescheid, aber mir schien immer, dass da zu viel Lärm und fast nichts gemacht wird. Vor allem schien mir der Begriff »Dissonanz« im Verhältnis zu dem, was man hört, um einige Grade zu heftig. Dennoch ist es anscheinend nicht ganz falsch. ;)

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    Susan Sontag

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  • ChKöhn Ist denn die oben erwähnte Stelle in der vierten Variation des dritten Satzes von Beethovens op. 109 für Dich eine Dissonanz?

    Ich meine die vier Takte nach sempre pp sich steigernd bis ff.

  • Dennoch ist es anscheinend nicht ganz falsch. ;)

    Ok, darauf können wir uns einigen ;).


    ChKöhn Ist denn die oben erwähnte Stelle in der vierten Variation des dritten Satzes von Beethovens op. 109 für Dich eine Dissonanz?

    Ich meine die vier Takte nach sempre pp sich steigernd bis ff.

    Ich schaue mir die Stelle nachher an; jetzt warten die Studenten...


    Tittel Harmonielehre S. 27f (kann dissonant sein, wirkt als Vorhalt dissonant)

    Der Quartsextakkord ist hier allerdings kein Vorhalt, denn es folgt ja einfach der Grundton und keine Auflösung in Terz und Quint. Es ist also einfach ein umgekehrter Dreiklang mit der Quint im Bass, so ähnlich wie am Schluss des vorletzten von Schumanns Davidsbündler-Tänzen.

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  • Bei Tittel geht es um die betonte Taktzeit, beim Kadenzquartsextakkord wird die Vorhaltswirkung noch verstärkt, wohl, weil die Auflösung der Dissonanz auf sich warten lässt

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  • Viele Sinfoniesätze/Ouvertüren von Haydn (L'Anima del filosofo) und (frühe) Mozart (z.B. 48, I; 133, I) enden oder beginnen (KV 45, I) mit diesem Akkord (meist in den Streichern, manchmal im Holz und Blech). So ungewöhnlich scheint mir das nicht.

    „Vielleicht werden Stockhausen und Boulez für uns mal so sein wie Brahms und Beethoven, aber zum Glück lebe ich dann nicht mehr.“
    (David Oistrach)

  • Viele Sinfoniesätze/Ouvertüren von Haydn (L'Anima del filosofo) und (frühe) Mozart (z.B. 48, I; 133, I) enden oder beginnen (KV 45, I) mit diesem Akkord (meist in den Streichern, manchmal im Holz und Blech). So ungewöhnlich scheint mir das nicht.

    Habe "L'Anima del filosofo" in imslp nachgesehen - kann ich nicht nachvollziehen. Ich sehe am Anfang und am Ende der Partitur der Ouvertüre Grundstellungen. (Overture, Hob.Ia:3, Salzburg: Haydn-Mozart Presse, 1953.)

  • Habe "L'Anima del filosofo" in imslp nachgesehen - kann ich nicht nachvollziehen. Ich sehe am Anfang und am Ende der Partitur der Ouvertüre Grundstellungen.

    Ende: Terz in den Violingruppen. KV 48, I endet in Violingruppen und Holz ebenfalls auf der Terz.

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  • Du musst in den Bass schauen.

    Da hat LvB im Fagott das a. Und?

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  • Das ist kein dissonanter Akkord sondern ein Quartsextakkord, also ein Dreiklang auf der Quint.


    Ich habe mir den Akkord zu Beginn und Ende des Satzes gerade nochmal angesehen. Ich höre dort eigentlich einen Tonika-Dreiklang (a-moll) in Quintlage, nur ist halt der tiefste Ton ein hinzugefügtes klingendes e in den Hörnern (wenn ich mich nicht irre, mit transponierenden Instrumenten hadere ich etwas :)). Ich würde das eigentlich als Dreiklang in Quintlage deuten, der um die tiefe Quinte ergänzt ist (vermutlich aus klanglichen Gründen), die dann natürlich eine Quarte zum Grundton bildet.


    Selbst wenn man die Quarte als Dissonanz auffassen möchte (ich habe mal gelernt, dass sie eine solche "Auffassungsdissonanz" ist), scheint es mir sehr weit hergeholt, in diesem Zusammenhang von einer Dissonanz zu sprechen, weil das e halt nur eine klangliche Grundierung zu einem normalen Tonika-Dreiklang liefert. Ich finde auch nicht, dass man eine Quartreibung von zweitem Horn und zweitem Fagott (das hier ein a spielt) an dieser Stelle sonderlich gut hört.


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Ist denn die oben erwähnte Stelle in der vierten Variation des dritten Satzes von Beethovens op. 109 für Dich eine Dissonanz?

    Ich meine die vier Takte nach sempre pp sich steigernd bis ff.

    Wenn wir dieselbe Stelle meinen: Ja, die ist dissonant, weil (in T. 108) die Akkorde von der (Zwischen-)Tonika gis-moll zur (Zwischen-)Dominante Dis-Dur und wieder zurück wechseln, dabei aber der Bass beim Tonika-Grundton Gis stehen bleibt, was dann natürlich zu einer dissonanten Reibung zur Dominant-Terz gisis führt. Allerdings wird diese Reibung dadurch abgemildert, dass die Töne nicht wirklich gleichzeitig sondern mehrfach im Sechzehntelabstand nacheinander klingen. Normalerweise spielt man das aber mit Pedal, so dass es dann doch wieder zusammenklingt (dass die Pedal-Vorschrift gerade in diesem Takt aufhört, ist kein hinreichender Grund, ihn ohne Pedal zu spielen, weil Beethoven die Pedalisierung im ganzen Stück nur andeutet und nicht konsequent vorschreibt). Und selbst wann man das vermeidet, geht es so schnell zwischen den beiden Tonarten hin und her, dass die Reibung unüberhörbar ist.


    Ich würde das eigentlich als Dreiklang in Quintlage deuten, der um die tiefe Quinte ergänzt ist (vermutlich aus klanglichen Gründen), die dann natürlich eine Quarte zum Grundton bildet.

    Genau, und weil zusätzlich die tiefe Quinte eine Sext zur Dreiklangsterz bildet, heißt das Ding "Quartsextakkord" ;). (Die Bezeichnung hat ihren Ursprung natürlich im Generalbass, wo die Akkorde nicht auf einen Grundton bezogen sowie nach ihrer Kadenzfunktion beschrieben werden, sondern als Intervallschichtung über dem jeweiligen Basston.) Dieser Beginn mit der Quinte im Bass, zu dem sich dann der Grundton gesellt, ist eine "abgeschwächte" Version des normalen Kadenz-Quintfalls von der Dominante zur Tonika (lat. cadere = fallen): Man hat denselben Quintfall und auch das Verhältnis von Spannung und Auflösung, das aber weniger stark ist als in einer 5-1-Kadenzformel, eben weil es keine dissonanten Intervalle innerhalb des Akkords gibt, die dann aufgelöst werden. (Das wäre anders, wenn auf diesen Akkord zunächst die Dominante E-Dur folgen würde, was die "übliche" Fortsetzung wäre.) Das vergleichbare Beispiel von Schumanns Davidsbündler-Tänzen hatte ich schon genannt, etwas verwandt (wenn auch anders) wäre auch der Beginn des langsamen Satzes der Hammerklaviersonate, bei dem die beiden (nachträglich hinzugefügten) Oktaven a und cis ja ebenfalls konsonant im Dreiklang sind, aber den Eintritt des Grundtons fis verzögern und ihn deshalb mit einer gewissen Spannung vorbereiten. Besonders raffiniert ist das Spiel mit den Tonarten und Erwartungen am Beginn von Beethovens c-moll-Violinsonate: Die beginnt mit einer "leeren" G-Oktav, die sich dann als Quint des c-moll-Dreiklangs entpuppt. Nach einer Generalpause geht es mit der Oktav C weiter, die nach dem Gehörten wie ein Grundton klingt, sich dann aber als Quint der Subdominante f-moll erweist. Mit deren F geht es nach einer weiteren Generalpause weiter, und wieder zeigt sich erst in der Fortsetzung, dass das F jetzt die Septim im Dominantseptakkord in G-Dur ist. Wir haben also letzten Endes eine einfache Hauptkadenz, 1-4-5-1, deren Funktionen aber jeweils verspätet hörbar werden.

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  • Wenn wir dieselbe Stelle meinen: Ja, die ist dissonant, weil (in T. 108) die Akkorde von der (Zwischen-)Tonika gis-moll zur (Zwischen-)Dominante Dis-Dur und wieder zurück wechseln, dabei aber der Bass beim Tonika-Grundton Gis stehen bleibt, was dann natürlich zu einer dissonanten Reibung zur Dominant-Terz gisis führt. Allerdings wird diese Reibung dadurch abgemildert, dass die Töne nicht wirklich gleichzeitig sondern mehrfach im Sechzehntelabstand nacheinander klingen. Normalerweise spielt man das aber mit Pedal, so dass es dann doch wieder zusammenklingt (dass die Pedal-Vorschrift gerade in diesem Takt aufhört, ist kein hinreichender Grund, ihn ohne Pedal zu spielen, weil Beethoven die Pedalisierung im ganzen Stück nur andeutet und nicht konsequent vorschreibt). Und selbst wann man das vermeidet, geht es so schnell zwischen den beiden Tonarten hin und her, dass die Reibung unüberhörbar ist.

    Vielen Dank für die Ausführungen. Ja, genau diese Stelle (T. 108) meine ich.

    Bei Arrau (vgl. Video anbei) ist die Dissonanz gut zu hören, sie wird bei ihm mit großem Ausdruck und Innenspannung gespielt, Gilels betont wie gesagt mehr die Oberstimmen.


  • Genau, und weil zusätzlich die tiefe Quinte eine Sext zur Dreiklangsterz bildet, heißt das Ding "Quartsextakkord" ;). (Die Bezeichnung hat ihren Ursprung natürlich im Generalbass, wo die Akkorde nicht auf einen Grundton bezogen sowie nach ihrer Kadenzfunktion beschrieben werden, sondern als Intervallschichtung über dem jeweiligen Basston.)


    Das sei nicht angezweifelt, insbesondere in der Logik des Generalbasses, in der man diese Stelle als Quartsextakkord hätte notieren müssen. In der harmonischen Ästhetik des Beethoven-Zeitalters hätte ich mit einem "typischen" tonikalen Quartsextakkord allerdings einen Dreiklang in Terzlage assoziiert, also z. B. die rechte Hand zu Beginn des Kopfsatzes der Mondscheinsonate (wo der cis-moll-Akkord in Terzlage natürlich gebrochen auftritt).


    Insgesamt fällt bei diesem Akkord im zweiten Satz der Siebten auf, dass die Quinte e sehr prominent vertreten ist - wenn ich es mir richtig gemerkt habe in der ersten Oboe (als Oberstimme), der zweiten Klarinette und in beiden Hörnern. Das Tongeschlecht-gebende c findet sich hingegen nur in der zweiten Oboe und im ersten Fagott, der Grundton a nur in der ersten Klarinette und im zweiten Fagott. Beethoven wollte also offensichtlich der Quinte einen besonderen Wumms verleihen.


    LG :hello:

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  • Das kenne ich etwas anders: Natürlich ist der Quartsextakkord z.B. bei Hugo Riemann nur als Durchgangsakkord zulässig (meist in Form eines Doppel-Vorhalts) und insofern hier sehr bemerkenswert, aber ich habe dafür als Beschreibung noch nie den Dissonanzbegriff gehört.

    Riemann (1887) schreibt auf Seite 101: "Der Quartsextakkord ist, wie die Bezifferung verräth, eine entschiedene Dissonanz, ..."

    https://www.google.at/books/ed…lehre&printsec=frontcover

  • Also: In drei Harmonielehren reingeschaut, überall, wenn auf starker Taktzeit, als Dissonanz gesehen.


    Ist mit der Dissonanz in diesem Zusammenhang nicht eher die übliche Verwendung des Quartsextakkordes als Vorhalt in einer Kadenz gemeint? Die gängige Wendung D-4-6 zu D-3-5 zu T beinhaltet ja einen Quartsextakkord, in welchem eine Auflösung von Quarte und Sexte zu Terz und Quinte der Dominante stattfindet. Der Dominant-Quartsextakkord ist hier mit einem Tonika-Dreiklang in Terzlage im Tonmaterial identisch, nicht aber in der Funktion. Insofern ist die Quarte halt eine Auffassungsdissonanz: Im passenden Umfeld wird sie zum Strebeton in Richtung der Terz der Dominante.


    Da dieser funktionale Zusammenhang bei der diskutierten Stelle bei Beethoven fehlt, wirkt der Akkord m. E. auch nicht dissonant, sondern lediglich wie ein aufgemotzter Tonika-Dreiklang.


    Um nochmal auf den Vergleich zur Mondscheinsonate zurückzukommen: Wenn Du die rechte Hand am Beginn nicht mit gebrochenen Akkorden spielst, sondern im Zusammenklang, wirkt da nichts dissonant.


    LG :hello:

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