WEILL, Kurt: KNICKERBOCKER HOLIDAY

  • Kurt Weill (1900-1950):
    KNICKERBOCKER HOLIDAY

    Musical Comedy in zwei Akten mit einem Prolog und einem Epilog

    Buch und Gesangstexte von Maxwell Anderson

    Originalsprache: Englisch.


    Broadway-Premiere am 19. Oktober 1938

    Deutsche Erstaufführung am 25. September 1976 im Thalia-Theater, Hamburg.


    Personen der Handlung:

    Washington Irving, Dichter

    Pieter Stuyvesant, Gouverneur

    Tienhoven

    Roosevelt

    Vanderbilt

    De Preyster

    De Vries

    Van Renselaer

    Van Cortland Jr.

    Mitglieder des Rates von Neu-Amsterdam

    Brom Broeck, ein junger Herr

    Tenpien, sein Freund

    Tina, Broms Verlobte und Tienhovens Tochter

    Marshal Schermerhorn, Polizist

    Mrs. Schermerhorn, seine Frau

    Anthony Corlear, Herold

    General Poffenburgh

    Bürger, Räuber, Soldaten, Algonquin-Indianer

    Ort und Zeit: New York 1809 (Prolog) und 1647 als die Stadt noch Neu-Amsterdam hieß.


    Prolog.

    Bei Kerzenschein in seinem Arbeitszimmer zerreißt der Dichter Washington Irving ein Manuskript mit Klatsch- und Skandalgeschichten und beschließt, sich der richtigen und wahren Literatur zuzuwenden. Ihm schwebt eine romantische Komödie über New York in der sogenannten guten und alten Zeit vor.


    Erster Akt.
    Das Bühnenbild führt uns zu Beginn des ersten Aktes in das Jahr 1647 zurück. Dort, in der Befestigungsanlage The Battery, ist der Herold Corlear dabei, den Bürgern zu verkünden, dass es „Nichts Neues zu Lande und zu Wasser“ gibt. Währenddessen sieht man auch junge Mädchen, die mit Putzen und Schrubben beschäftigt sind.


    Die Mitglieder des Rates von Neu-Amsterdam versammeln sich auch und beraten das Programm, dass sich die Stadtoberen zur Begrüßung des neuen Gouverneurs Pieter Stuyvesant, dem Generaldirektor der niederländischen Westindischen Company für Nieuw Nederland und bisher Gouverneur auf Curaçao, ausgedacht haben. Man erklärt den heutigen Tag zu einem Feiertag, der als Volksbelustigung das Aufhängen eines Bürgers, eines Quäkers oder auch eines Baptisten - natürlich ohne Urteil - einen Höhepunkt aufweist. Ein gewisser Mynheer Roosevelt, unter den Ratsherren sozusagen ein Greehorn, besteht auf einer gerichtlichen Untersuchung der Volksbelustigung und will seinen Antrag, auch nach lukrativen Bestechungsangeboten nicht zurücknehmen. Die daraufhin sich hochschaukelnde erregte Diskussion wird jedoch gegenstandslos, denn die vom Rat ausgesuchten Anwärter für den Galgen haben das Gefängnis längst durch ein illegales Loch verlassen können und sind untergetaucht.


    Brom und Tenpin, zwei junge Tunichtgute, letzterer ein Messerschleifer, kehren nach Neu-Amsterdam zurück und planen, hier sesshaft zu werden. Brom hat hier noch eine Freundin namens Tina, die er, um sie zu heiraten, aufsuchen will, obwohl ihr Vater, gegenwärtig Vorsitzender des Rates der Stadt, völlig dagegen ist.


    Da Tienhoven, ebenfalls Mitglied im Rat der Stadt, dringendst ein Galgenopfer benötigt, käme ihm der Nichtsnutz Brom sehr gelegen, doch der junge Bursche ist nicht auf den Kopf gefallen: er attackiert die Stadträte, insbesondere seinen Schwiegervater in spe, mit der Anklage, sie seien alle korrupt und verstießen gegen das Waffen- und Alkoholverbot im Handel mit den Eingeborenen. Brom behauptet sogar, dass man den Handel mit den Indianern zum eigenen Wohl, zur eigenen Bereicherung, betreiben würde. Diese Worte der großen Anschuldigungen sind natürlich eine Beleidigung für die Ratsherren und sie veranlassen, dass man Brom festnimmt. In der Erwartung, gehängt zu werden, vermacht er seine Habseligkeiten seinem Freund Tenpin, seine Flöte erhält Tina als Unterpfand seiner Liebe. Auf dem Weg zu Galgen versucht er, die Henkersgesellen von der in Europa üblich gewordenen schmerzlosen Art des Hängens zu überzeugen, nämlich den Strick um den Bauch statt um den Hals zu legen.


    So mit dem Strick um den Bauch am Galgen hängend findet ihn der neue Gouverneur Pieter Stuyvesant, und er begnadigt ihn sofort, als er von seiner geschickten und schlauen Art zu überleben erfährt. Stuyvesant verfügt, dass heute keine Exekutionen mehr ausgeführt werden sollen; und er rügt die rückständigen und stocksteifen Ratsherren (nennt sie sogar „Esel“) und enthebt sie schließlich alle ihres Amtes. Dem jubelnden Volk verspricht er, die Geschicke der Stadt im Sinne der Bürger zu lenken und bestätigt so nebenbei das Waffen und Alkoholverbot mit den Indianern. Allerdings darf man sich getrost wundern, dass er kurz darauf Ratsherr Tienhoven mit der Fortführung der (unsauberen) Geschäfte beauftragt, jetzt allerdings im Namen der Regierung, was ja nichts anderes bedeutet, als in seinem, Stuyversants, Namen.


    Kurze Zeit darauf lässt Tienhoven durch Herold Corlear verkünden, dass seine Tochter Tina den Herrn Gouverneur heiraten wird. Das schockt natürlich Tina, nicht nur wegen ihres Freundes Brom, sondern weil sie es mit einem „Grandpa“ als Ehemann zu tun bekommen wird. Sie reagiert aber durchaus überlegt, als sie um Aufschub bittet, während Stuyvesant aus „politischen Gründen“ und „solange sein Feuer noch brennen kann“ die Heirat am kommenden Tag vollzogen wissen will. Da treffen offensichtlich diametral entgegengesetzte Ansprüche aufeinander.


    Das Volk ist inzwischen, was das Feiern angeht, auf der Seite des Gouverneurs, es singt und tanzt, während Brom Stuyvesant beschuldigt, die angekündigten Reformen eigenützig und willkürlich ins Gegenteil zu verkehren - was natürlich der „jungen Demokratie“ schadet worauf Brom auf Geheiß Stuyversants festgenommen wird. Dann befiehlt er fröhlichen Gesang zur Feier des Tages, was die Bevölkerung wegen der anwesenden und bedrohlich wirkenden Soldaten auch umgehend ausführt.


    Zweiter Akt.

    Irving Washington beginnt den zweiten Akt mit einer Ballade über ehrliche Räuber, die im Gefängnis sitzen und über Gauner, die in Freiheit leben. Brom bekommt im Knast Besuch vom Gouverneur, der ihn auffordert, seine Gedanken über das Wesen der Regierung in einem Schriftsatz niederzulegen. Als Argument führt Stuyvesant an, dass gerade in einer Gefängniszelle, in der man ja frei lebt, der Geist Höhenflüge bekommen könnte, und es in dieser Hinsicht auch viele gelungene Beispiele gebe.


    Die neueste Nachricht erstaunt: Tina und Brom wollen gemeinsam fliehen, werden aber von Tienhoven an weiterer Planung gehindert. Der Dichter Irving philosophiert über das Leben, das sowohl Glück, als auch Pech bereithält. Am nächsten Morgen werden wir Zeugenm dass General Poffenburgh eine Armee aus Neu-Amsterdamer Bürgern und Ratsmitgliedern rekrutiert und Gouverneur Stuyvesant, der als oberster Befehlshaber die Truppe inspiziert, erklärt die Aufstellung als ein Element der taktischen Kriegsführung.


    Als ein Parademarsch avisiert wird, sieht man Bedeutende, Würdige, Angesehenste und Weiseste der Bürger von Neu-Amsterdam vorne stehen, und dahinter die Jüngeren und Flinkeren. Ehemalige Ratsmitglieder trauern der angeblich so goldenen Vergangenheit nach. Brautjungfern holen Tina zur anstehenden Hochzeitszeremonie ab - aber kurz vor der Unterschriftsleistung erhebt Mrs. Schermerhorn ihren Einspruch gegen die Heirat, weil Tina bei Brom im Gefängnis war, wo sie sogar ihren Rock verloren habe. Auch hierzu hat Stuyvesant eine Meinung: Da Tina noch Jungfrau sei, als eine heiratsfähige junge Frau aber auch nicht ohne die eine oder andere Erfahrung sein sollte, würde er empfehlen, die Angelegenheit nicht an die große Glocke zu hängen.

    Plötzlich sind Schüsse, Geschrei und Kampfeslärm aus unterschiedlichen Richtungen zu hören. Brom und Tenpin stürmen heran und brüllen, betrunkene Indianer würden Neu-Amsterdam angreifen. Kaum ist diese Meldung verbreitet, sind die Ureinwohner schon da und vollführen einen wilden Tanz. Stuyvesant hat inzwischen seine Soldaten um sich geschart und hat dem Kampf von Brom begleitend unterstützt. In diesem Kampf stirbt Tenpin, worauf Brom die Anklage erhebt, dass sein Freund in einem sinnlosen Krieg gestorben sei; er sei außerdem der Geld- und Machtgier eines Führers geopfert worden, der für die Lieferung der Waffen und des Alkohols an die Indianer verantwortlich ist. Einmal in Fahrt hetzt Brom die Bürger Neu-Amsterdams gegen den Tyrannen auf; sie sollen ihm, wie er sagt, nicht nur trotzen, sondern sie sollen ihn auch verjagen. Dann stellt er fest, dass sich die bisherigen Regierungsformen nicht mit Ruhm bekleckert haben, wenn sich aber die Frage stellen sollte, wofür man sich entscheiden wolle, dann für die frühere, die noch Schildbürger- und Schelmenstreiche erlaubt hätten.


    Nach diesen von Brom vorgetragenen Tiraden gibt Stuyvesant den Befehl zur sofortigen Exekution von Brom, der sich aber wehrt und die Bürger fragt, ob sie sich das Denken abkaufen ließen oder ob sie noch eine eigene Meinung haben. Das scheint irgendwie eine Art Umschwung bewirkt zu haben, denn der Rat weigert sich jetzt geschlossen, den Befehl zur Exekution auszuführen. Bevor der Gouverneur Stuyvesant die Kanonen auf das Volk richten kann, stoppt Dichter Irving Washington die Handlung und rät außerdem dem Gouverneur, mit den Bürgern Frieden zu schließen, denn als ein zukünftiger Schutzheiliger der Stadt, dessen Gebeine in der Kapelle von St. Mark’s in der Bowery* aufgebahrt würden, könne er nicht in die Geschichte eingehen mit dem Vorwurf, die Selbstverwaltung eines freien Volkes eingeschränkt zu haben.

    * Eine Straße im Süden von Manhatten; hier hatten Stuyvesant einen Bauerhof, später auch Mozarts Librettist Lorenzo da Ponte einen Obst- und Gemüseladen. George Washington beobachtete von hier aus den Abtransport der britischen Truppen.


    Indem Stuyvesant seinen Blick in den Zuschauerraum wirft - auf die Nachwelt sozusagen – versucht er, die Erwartungen zu erfüllen: Er sorgt für die Lösung Broms vom Galgen und gibt ihm Tina zur Frau; dazu sagt er sinngemäß, dass ihre Kinder und Kindeskinder so sein sollen, wie sie. Sie sollen sich nichts gefallen lassen, sollen keine Befehle von der Obrigkeit annehmen, und freie Bürger sein. Versöhnliche Schlussworte, die im Finale des zweiten Aktes ihren Niederschlag finden.


    Epilog.
    Stuyvesant hat ein Solo-Auftritt: Er meint, dass er nach dieser Handlung auf ein Detail hinweisen sollte, nämlich auf die Zufälligkeit von Person und Begebenheit.


    Anmerkungen.

    Das hier beschriebene Musical von Kurt Weill weist mit dem dicken Zeigefinger auf den Gegensatz von freiheitlicher Demokratie und Diktatur hin. Der Dichter Irving Washington, der von 1783 bis 1859 lebte, schrieb unter dem Pseudonym Diedrich Knickerbocker die „History of New York“ (1809 erschienen und ist noch heute als Klassiker der Literatur Amerikas zu sehen). „Knickerbocker“ nannte man auch die Siedler, die von der „Westindien-Company“ der Niederlande das Fort Amsterdam gebaut hatten. 1626 hatte Peter Minuit dieses Landstück für 24 Dollar Warenwert den Eingeborenen abgekauft und nannte es Nieuw Amsterdam. 1647, als Pieter (Petrus) Stuyvesant (1610-1672) Gouverneur dieses Landstrichs wurde, erfuhr das bis dahin von stupiden Beamten verwaltete Stück Land einen ungeheuren Aufschwung. Biografisches zu Stuyvesants Leben siehe unter Wikipedia.

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