Leos Janacek: Das ewige Evangelium

  • Ich würde dringend empfehlen, die Aufnahme des »Ewigen Evangeliums« in diese Liste zu prüfen. Das kann zwar keinesfalls als Mini-Oper gelten, schon weil das Format keineswegs klein ist, aber es ist eins der verrücktesten Stücke dieses Komponisten und jedenfalls eins der schrägsten, die ich kenne. Und außerordentlich beeindruckend. Allerdings eine harte Nuss, auf der man einige Zeit herumbeißen muss. Wer kennt in unseren Breiten schon Joachim von Fiore? Und wer weiß, welche Rolle er für die Ostkirchen spielt?


    (Ich kannte ihn nicht, bevor ich auf dieses Janacek-Stück stieß. Und seltsamerweise stach mir zum selben Zeitpunkt der entsprechende Abschnitt in Mauthners Geschichte des Atheismus ins Auge.)


    Übrigens ist das auch musikalisch einer der ganz großen Würfe Janaceks.

    Statt einer Hermeneutik brauchen wir eine Erotik der Kunst.

    Susan Sontag

  • Diese Liste ist gar keine Liste, denn der gemeinsame Titel "Miniopern" ist von mir, und tatsächlich trifft er auf "Das ewige Evangelium" nur bedingt zu. Dass dieses wunderbare Stück außer mir hier noch jemand kennt und schätzt, gefällt mir sehr. Als "schräg" habe ich es nie empfunden, höchstens kann man die Werke Janaceks insgesamt als "schräg" bezeichnen, wobei schräg bedeutet, dass er keine Vorgänger und keine Nachfolger hatte (seine Schüler wurden von den Nazis verfolgt - das müsste ich aber noch mal nachsehen).

    Nachtrag: als ich das "Ewige Evangelium" das erste Mal hörte, war es keine harte Nuss, weil ich durch "Amarus" und das "Tagebuch eines Verschollenen" bestens "trainiert" war.

    Erst spät habe ich angefangen, "Makropulos" und "Totenhaus" zu hören. Das waren selbst für mich zwei harte Nüsse, heute gehören sie zu meinen Lieblingsopern. Zu diesen beiden Opern empfehle ich unseren Opernführer, ich habe dort auch einige Aufnahmen besprochen.

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  • Die Schwierigkeiten beim »Ewigen Evangelium« werden durch andere Stücke von Janacek nicht verringert. Sie liegen darin, dass man, wenn man über Joachim von Fiore und seine Position in der Geschichte und vor allem seine bis heute reichende Tradition in den Ostkirchen nicht Bescheid weiß, einfach nicht herausbekommen kann, wovon da überhaupt die Rede ist. Im Unterschied zur sehr einfachen Geschichte, die »Amarus« erzählt, ist das nämlich wirklich schwierig. Aber man muss man das natürlich nicht wichtig nehmen.

    Statt einer Hermeneutik brauchen wir eine Erotik der Kunst.

    Susan Sontag

  • Die Schwierigkeiten beim »Ewigen Evangelium« werden durch andere Stücke von Janacek nicht verringert. Sie liegen darin, dass man, wenn man über Joachim von Fiore und seine Position in der Geschichte und vor allem seine bis heute reichende Tradition in den Ostkirchen nicht Bescheid weiß, einfach nicht herausbekommen kann, wovon da überhaupt die Rede ist. Im Unterschied zur sehr einfachen Geschichte, die »Amarus« erzählt, ist das nämlich wirklich schwierig. Aber man muss man das natürlich nicht wichtig nehmen.

    Ich habe zwei Aufnahmen von diesem Stück und den Klavierauszug. Ich würde gerne dein Wissen auch für mich nutzen. Ich habe z.B. damals, als ich mit dem Totenhaus begann, auch das Buch von Dostojewski gelesen und dadurch viele Szenen im Totenhaus besser verstanden.

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  • Beitrag von Thomas Pape ()

    Dieser Beitrag wurde vom Autor gelöscht ().
  • Wer kennt in unseren Breiten schon Joachim von Fiore?

    Das LThK kennt ihn -wahrscheinlich nicht nur das- aber das ist nicht ganz so wichtig. Interessant ist eher, dass das LThK einen interessanten Theologen und Mystiker vorstellt, der seltsamerweise von der Kirche geduldet wurde, obwohl seine Schriften kaum kirchenkonform gewesen sind, da war man wohl um 1150 noch etwas toleranter, der einen eigenen Orden nebst einer eigene Ordensregel und einer Ordensbewegung (Floriazenser) gründete, sogar sein Schrifttum dem Urteil der Kirche unterstelle, die dann einzelne theologische Ansichten verwarf, ihn darüber hinaus in keiner Weise belangte.


    Das "Ewige Evangelium" ist eine Bezugnahme auf die Apostelgeschichte Apk 14,9, wo es durch einen Engel verkündet wird und Jakobus' Theologie arbeitet darauf hin in Form von drei Menschenaltern, entsprechend den drei göttlichen Personen (jetzt mal grob vereinfacht).


    Was das LThK nicht erwähnt, ist der Bezug zur Ostkirche (verweist aber auf mögliche griechisch-orientalischen Quellen seiner Theologie). Hier würde ich mich freuen, wenn Du den besonderen Bezug zur Ostkirche (offenbar jenseits der reinen Theologie auch im Volksglauben verankert) aufzeigen könntest. Das wäre auch für das Verständnis von "Amarus" intersssant (wenngleich der mit Jacobus wohl eher nichts zu tun hat), der Textdichter aber wohl ostkirchliche Mystik im Hinterkopf gehabt haben wird.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Eine davon ist vielleicht diese hier? ;)


    Nein. Aber ich habe sie gerade bestellt. Der Dirigent Netopil war jahrelang Chef der Essener Philharmoniker.

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  • Ich begrüße es sehr, lieber Thomas, dass du das Thema hierher verschoben hast. Ich wollte erst in meinem Schreibtisch einen eigenen Janacek-thread aufmachen, aber nach den Diskussionen hier über Amarus und Das ewige Evangelium nehme ich davon Abstand, weil ja hier das Wissen viel größer ist.

    Thomas hat ja schon einige Dinge über Joachim de Fiore geschrieben; an der Beschreibung der Nachwirkung im Osten bin ich genauso interessiert wie er.

    Ich plane übrigens noch vor dem "Tagebuch eines Verschollenen hier das Thema weiterzuführen, etwa mit dem Text und Informationen aus dem Klavierauszug.

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  • Thomas Pape

    Hat den Titel des Themas von „Leo Janaceck: Das ewige Evangelium“ zu „Leos Janaceck: Das ewige Evangelium“ geändert.
  • Über Joachim de Fiore gibt es einen relativ ausführlichen Beitrag bei Wikipedia


    https://de.wikipedia.org/wiki/Joachim_von_Fiore


    Anmerkung:

    Es ist den meisten hier bekannt, daß ich keine Verlinkungen zu Wikipedia mag sondern es lieber sehe, wenn lexikale Inhalte HIER verarbeitet werden, aber im konkreten Fall handelt e sich eigentlich nicht um ein Thema mit Kernkompetenz (Klassische Musik) von Tamino


    mfg aus Wien

    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



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  • Nein. Aber ich habe sie gerade bestellt. Der Dirigent Netopil war jahrelang Chef der Essener Philharmoniker.

    Welche anderen Aufnahmen hast Du denn, lieber Dr. Pingel? Ich zögere noch. Denn Netopils Aufnahme der Glagolytischen Messe überzeugt mich nicht so sehr beim Reinhören. Kein Vergleich mit der für mich exemplarischen, ungemein mitreißenden und zugleich sehr präzisen von Karel Ancerl. :hello:

  • daß ich keine Verlinkungen zu Wikipedia mag

    Deswegen hatte ich auch zum LThK gegriffen. Die Wiki ist in dem Punkt interessant, als sie die Rezeption über die Jahrhunderte, auch jenseits des Katholisch-Theologischen, stärker würdigt (naturgemäß nicht die Aufgabe des von mir befragten Handbuches).


    Reisefreudige können in Kalabrien auf Joachims Pfaden wandeln, es gibt drei Joachimspfade da,



    in diesem Jahr soll (angeblich) ein Film über Joachim von Fiore in Hollywood fertiggestellt werden (was das wohl geben soll), und auf Dlf lässt sich (noch) ein gut 20 minütiger Beitrag über diesen Kirchenmann finden.


    Joachim von Fiore und die Joachimswege – dazu der Theologe Thomas Raiser


    Das mag jetzt erstmal ein wenig Einführungsmaterial zu Joachim sein, angesichts der bei flüchtiger Lektüre feststellbaren Wirkkontinuität bis hin zum Denken des Jesuiten J.G. (hier im negativen Sinne) nimmt es schon wunder, dass er dann doch so wenig bekannt ist, wie Werner feststellt.


    Es lässt sich aber unabhängig davon festhalten, dass eine Koinzidenz von Text und Musik vorliegen sollte, d.h., die Kenntnis des theologischen Hintergrundes (bei Dante tauchen Joachim und sein Denken auch auf) ist für Verständnis und Bewertung des Werkes unerlässlich (was freilich nicht nur hier gilt).


    Ich bin allerdings immer noch nicht auf die besondere Bedeutung Joachims in der Ostkirche gestoßen. Und somit auf Rückspiegelungen in der slawischen Literatur und Kunstgeschichte.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

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  • Um die Verbindung zu Janaceks "Věčné evangelium" herzustellen: wie auch beim "Amars" greift Janacek auf eine Textvorlage des Dichters Jasrsoslav Vrchlicky zurück. Vrchlicky war nicht nur Dichter sondern auch Übersetzer. Unter anderem übertrug er Dantes "Göttliche Komödie" ins Tschechische, was den Bezug zu Jacobus de Fiore jenseits von dessen Nachwirken erklären mag. Es hilft aber alles nichts, der Text muss her, um sich mit dem Vecne Evangelium zu beschäftigen; vielleicht kann Dr. Pingel aushelfen?


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

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  • Thomas Pape

    Hat den Titel des Themas von „Leos Janaceck: Das ewige Evangelium“ zu „Leos Janacek: Das ewige Evangelium“ geändert.
  • Welche anderen Aufnahmen hast Du denn, lieber Dr. Pingel? Ich zögere noch. Denn Netopils Aufnahme der Glagolytischen Messe überzeugt mich nicht so sehr beim Reinhören. Kein Vergleich mit der für mich exemplarischen, ungemein mitreißenden und zugleich sehr präzisen von Karel Ancerl. :hello:

    Ich habe Herbert Blomstedt als selbstgebrannte CD aus dem Radio.Bei YT gibt es noch Harnoncourt. Das Stück ist mir aber noch nicht vertraut.

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  • Die Sache mit dem Text ist einfach: ich muss nur den Klavierauszug finden, das kann allerdings einen Tag dauern.

    Ich habe jetzt beide Klavierauszüge, Amarus und das Ew. Evangelium (mit einem sehr aufschlussreichen Kommentar) gefunden. Erst werde ich Amarus nochmal mit Noten hören, dann mich dem Ew.Ev. zuwenden, wobei ich natürlich auch den Text einstelle. Da wir alle Sprachgenies sind, werde ich den Text auf Tschechisch abdrucken.:untertauch:

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  • Zitat

    ...... der Text muss her, um sich mit dem Vecne Evangelium zu beschäftigen

    Da wir alle Sprachgenies sind, werde ich den Text auf Tschechisch abdrucken.:untertauch:

    Ich bin wahrscheinlich der einzige Dummkopf im Forum, der Tschechisch nicht versteht. Aber mir kann der deutsche Text helfen.

    Janácek hat den Text als eine dramatisch Szene zweier handelnder Personen und eines Chores angelegt.


    Links markieren und auf "Öffnen" klicken

    Der deutsche Text:

    http://www.jvogelsaenger.de/ewigev.doc


    Text tschechisch und italienisch

    https://www.flaminioonline.it/…acek-Vangelo38-testo.html

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Ich habe Herbert Blomstedt als selbstgebrannte CD aus dem Radio.Bei YT gibt es noch Harnoncourt. Das Stück ist mir aber noch nicht vertraut.

    Dass Harnoncourt sich mit Janacek beschäftigt hat, hatte ich gar nicht auf dem Schirm. Er hat sogar die Glagolytische Messe in Wien gemacht. Und Blomstedt natürlich auch nicht. Den Netopil gibt es übrigens ebenfalls bei Youtube:


    Janáček: Vecne evangelium [The eternal gospel] - cantata for soprano, tenor & chorus - YouTube


    :hello:

  • Lieber Orfeo , herzlichen Dank für den Link zum deutschen Text. In dem stolpere ich prompt über eine Textzeile:


    "Franziskus wird, sein Hohepriester, walten.
    Was Christus anfing, wird von ihm vollendet."


    Da wäre Joachim sehr prophetisch gewesen, denn das Wirken von Franziskus begann etwa 1209, Joachim indes verstarb 1202. Aber Joachim soll ja in seien Schriften das kommen einer neuen Zeit beginnend 1260 vorausgesehen haben (Quelle: LThK).


    Zum biblischen Hintergrund gibt's hier noch den entsprechenden Vers aus der Apokalypse, Ofb. 14, 6-7:


    "Und ich sah einen andern Engel fliegen mitten durch den Himmel, der hatte ein ewiges Evangelium zu verkündigen denen, die auf Erden wohnen, allen Nationen und Stämmen und Sprachen und Völkern. 7 Und er sprach mit großer Stimme: Fürchtet Gott und gebt ihm die Ehre; denn die Stunde seines Gerichts ist gekommen! Und betet an den, der gemacht hat Himmel und Erde und Meer und die Wasserquellen!" (Lutherbibel 2017, in katholischer Übersetzung minimal sprachlich abweichend)


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

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