Haydns Sinfonien zwischen Sturm und Drang und den Parisern. Ein Schwachpunkt in Haydns Sinfonischen Schaffen oder zu unrecht unterschätzt?

  • Ich melde mich nach langer Tamino Abstinenz wieder im Forum zurück. Hier einmal vielen Dank an Alfred, dass ich noch beim Forum dabei sein darf.


    Die Sinfonien die Haydn zwischen den berühmten Sturm und Drang Werken und den noch berühmteren Parisern und Londonern Sinfonien komponierte sind in gewisser Weise ein Enigma. Einerseits finden sich durchaus populäre Werke in dieser Gruppe, wie zum Beispiel die Sinfonien L‘Imperiale, Roxolane und La Chasse, andererseits wird diese Gruppe kaum von irgendjemanden hervorgehoben und meist als bloßer Übergang von den Sturm und Drang zu den Parisern und Londonern Sinfonien gesehen. Selbst Kommentatoren wie Landon, Larsen und David Wyn Jones sehen diese Sinfonien als „weniger originell“ „routinemäßig“ und „bloß gefällig“ an, während sie die anderen Sinfonien in den Himmel loben. Gewiss haben sie nicht die Leidenschaft und das Drama der Sturm und Drang Sinfonien und sie sind auch nicht großangelegte Werke die sich an ein internationales Publikum richten, wie die Pariser und Londoner Sinfonien (zugegeben sie waren weit zirkuliert, aber komponiert wurden sie eher für den Esterhazischen Hof. Eine Ausnahme sind hier 76-78, die für eine geplante Englandreise geschrieben wurden). Aber heißt das, dass sie weniger originell als ihre Schwesterwerke sind?


    Die etwa 25 Sinfonien die Haydn in dieser Zeit schrieb sind keine homogene Gruppe, noch das Resultat eines einzigen Auftrags. Selbst die Abgrenzung zu den Sturm und Drang Werken ist nicht ganz einfach. Ist Sinfonie Nr. 50 eine Sturm und Drang Sinfonie oder schon ein Zwischen Sinfonie (ich werde diese Gruppe einmal als „Zwischen Sinfonien“ betiteln, um einen Namen für diese Werke zu haben)? Sie wird in fast jeder „Sturm und Drang“ Box inkludiert, aber stilistisch gesehen finde ich wenig stürmend und drängend, sondern eher wie die Zwischen Sinfonien. Komponiert wurde das Werk in 1773. Vielleicht ist das ein guter Startpunkt um diese Periode abzugrenzen. Das Ende der Periode ist hingegen klar. Da gab es den Auftrag aus Paris, der die Pariser Sinfonien hervorbrachte und Sinfonie 81 zu der letzten der Zwischen Sinfonie machte.


    Was zeichnet diese Sinfonien aus? Alle diese Sinfonien sind natürlich superb gearbeitet (von Haydn würde man sich nichts anderes erwarten), jedoch stechen viele dieser Werke auch durch ihre Originalität hervor. Diese ist anders als die des Sturm und Drangs, aber nicht weniger zwingend. Schlussendlich war Haydn stets an der Weiterentwicklung der Sinfonie interessiert und die Zwischen Sinfonien sind nicht weniger experimentierfreudig wie seine anderen Sinfonien.


    Ein neuer Aspekt dieser Sinfonien ist deren Orchestrierung. Viele der Sturm und Drang Werke brachten eine ungeheure Ausdrucksstärke mit einem Minimalorchester zustande. Das war einer der großen Errungenschaften des Sturm und Drangs. In den Zwischen Sinfonien scheint Haydn jedoch mehr an Klangfarbe und einer Expansion seines Orchesters interessiert zu sein. Am spektakulärsten ist das vermehrte Auftreten von Trompeten und Pauken (Nr. 50, 54, 56, 60, 69, 70, 73 & 75?) oder nur Pauken (Nr. 53 & 61). Keine Frage, dass Haydn hier an einem „Big Sound“ dachte, der schon als eine Vorstufe zu der brillanten Orchestrierung der Pariser und Londoner Sinfonien gelten kann. Genauso entscheidend ist der Einsatz der anderen Blasinstrumente. Die Flöte findet nach langer Abstinenz wieder in Haydns Orchester (Nr. 53, 61, 63, 70, 71 & 73-81) und das Fagott wird viel differenzierter als zuvor eingesetzt. In vielen der Zwischen Sinfonien ist die Fagottstimme separat notiert (nicht „col Basso“) und tritt paarweise auf. Selbst in Sinfonie 56, wo das Fagott noch col Basso spielt, finden sich lange Solopassagen für das Instrument im langsamen Satz. Zwei Sinfonien der Periode stechen in diesem Sinn besonders hervor, nämlich Nr. 54 und Nr. 61. 54 weist die größte Besetzung bis zu den Londoner Sinfonien auf und der Einsatz der Blasinstrumente in Nr. 61 (besonders im langsamen Satz) übertrifft alle von Haydns früheren Sinfonien mit Ausnahme der Concerto grosso Sinfonien (Tageszeiten und Nr. 31 & Nr. 72), wo der Einsatz der Bläser aber eher solistisch war.


    Auch kennzeichnend für die Zwischen Sinfonien ist die frequente Verwendung von Bühnenmusik (Nr. 50, 53 (einer der Finali), 60, 63 & 73). Die Sinfonie in der Haydn die Bühnenmusik am besten einbaut ist meiner Meinung nach Nr. 73, La Chasse. Das Finale ist die Ouvertüre zu seiner Oper La fedelta premiata und ist mit Trompeten und Pauken besetzt. Haydn orchestriert die dazukomponierten Sätze jedoch nicht mit diesen Instrumenten, sondern lediglich mit Flöte, Oboen, Fagotte, Hörnern und Streichern. Das erlaubt dem Finale als Höhepunkt der Sinfonie zu stehen und die anderen drei Sätze bereiten einen pastoralen Kontext für die Jagd vor.


    Die Musik der Zwischen Sinfonien selbst ist um einiges „freundlicher“ als die des Sturm und Drangs. Die Moll Tonart spielt hier eine eher untergeordnete Rolle, gerade mal zwei Moll Sinfonien gegen Ende der Periode (Nr. 78 und 80), die sich beide nach Dur wenden, und auch einzelne Moll Sätze sind hier selten (Nr. 63 langsamer Satz & Nr. 70 langsamer Satz und Finale). Die Themen der Zwischen Sinfonien sind regulärer als die des Sturm und Drangs und auch die Satzfolge ist die standardisierte schnell - langsam - Menuett - Finale Abfolge die wir von den späteren Sinfonien kennen. Ein Sonata di Chiesa Format gibt es hier nicht und nur einmal vertauscht Haydn Menuett und langsamen Satz (Nr. 68). Und trotzdem gibt es auch in dieser Periode ungewöhnliche und experimentelle Musik. Die schroffe Konfrontation von kontrapunktische Strenge in Moll und pompöse Pracht in D-Dur in Nr. 70 ist hier im Forum schon viel diskutiert worden (siehe Thread zu Sinfonie 70) und die Moll - Dur Auseinandersetzung wird in Nr. 78 und Nr. 80 weitergeführt, wobei sie im D-Moll Werk fast schon komische Züge aufweist. Die Doppelvariationen mit einem Dur und einem Moll Thema (oder Umgekehrt) scheint eine Erfindung dieser Periode zu sein (Nr. 53, 63 und 70). Haydn wird sie dann in den Werken für Paris und London noch weiter verfeinern und zu einem Markenzeichen seiner Musik machen. Nr. 67 ist auch ein exzentrisches Werk, das nicht weniger experimentell ist als die Abschiedssinfonie. Ein finalartiger Satz in 6/8 Takt eröffnet das Werk und das ohne der Stabilität einer langsamen Einleitung. Gefolgt wird der Kopfsatz von einem äusserst dichten langsamen Satz in Sonatenform, der aber von einer seltsamen Passage, in der die Streicher col Legno (mit dem hölzernen Teil ihrer Bogen) spielen, abgeschlossen wird. Das folgende Menuett ist sehr knapp und regulär, hat aber ein seltsames balkanähnliches Trio für die beiden ersten Geigen. Das Finale weist aber mit einem langsamen Insert die größte Überraschung auf. Ähnlich wie bei der Abschiedssinfonie kommt die Musik zu einem abrupten Stop und ein langsamer Satz ertönt statt der üblichen Durchführung. Hier wird aber nicht das Orchester zu zwei Violinen abgebaut, sondern das Gegenteil passiert. Das Adagio wird zunächst nur von einem Streichtrio (zwei Violinen und ein Cello) intoniert und das Orchester wird im Verlauf des Inserts mehr und mehr aufgebaut. Nachdem alle Spieler wieder dabei sind, erklingt das Allegro wieder und bringt den Satz zu Ende. Sind Nr. 67, 70 und 80 in ihrer Gesamtheit vielleicht die ungewöhnlichsten der Zwischen Sinfonien, so gibt es abseits dieser Werke auch noch einige exzentrische Sätze, wie zum Beispiel die seltsamen langsamen Sätze von Nr. 62, 68 und 76 oder auch das „Monster Adagio“ von Nr. 54, das mit einer Länge von 18 Minuten (bei allen Wiederholungen) den Ramen des damals üblichen sprengt.


    Die Antwort auf meiner oben gestellter Frage muss ich daher aus meiner Sicht mit zu unrecht unterschätzt beantworten. Diese Sinfonien sind genauso experimentell und stellen genauso eine Weiterentwicklung des Genres dar wie die vorangegangenen Sturm und Drang Sinfonien oder auch die späteren Pariser und Londoner. Gewiss hat nicht jede Zwischen Sinfonie das Niveau der Sinfonien 54, 56, 61, 67, 68, 70, 73, 77, 80 oder 81, aber auch nicht jedes Sturm und Drang Werk erreicht das Level der Sinfonien 44 oder 45. Und auch bei den späteren Sinfonien gibt es einige Werke die über die anderen herausragen. Schlussendlich sollte auch die Tatsache, dass einige dieser Sinfonien berühmt geworden sind und sich größter Popularität erfreuen, ein Beleg für die Qualität dieser Werkgruppe sein.


    Liebe Grüße aus Wien.:hello:

    LG aus Wien.:hello:

    2 Mal editiert, zuletzt von MusicFan9976 ()

  • Zitat

    Ein Schwachpunkt in Haydns sinfonischem Schaffen oder zu Unrecht unterschätzt?

    Weder noch. Vielleicht sind die Häufigkeiten der getauften Sinfonien ein probates Mittel, um erst einmal beide Thesen zu entkräften. Du sagts es selbst:

    Zitat

    Schlussendlich sollte auch die Tatsache, dass einige dieser Sinfonien berühmt geworden sind und sich größter Popularität erfreuen, ein Beleg für die Qualität dieser Werkgruppe sein.

    Eben: von (vereinfacht) 104 Sinfonien haben 32, also knapp ein Drittel, Namen erhalten, was immerhin generell für eine Wertschätzung ebendieser spricht. Sie verteilen sich (grob gerundet) wie folgt:


    Sinfonien 01-5014 von 5028%
    Sinfonien 51-808 von 3027%
    Sinfonien 81-10410 von 2442%


    Man sieht, daß die letzte Gruppe ausschlägt, was mathematisch nicht verwundert, denn unter Wenigen sind viele Berühmte. Die ersten beiden Gruppen, darunter die von Dir genannte mittlere, bleiben in etwa gleichauf. Das ist natürlich bloß ein Indiz oder Anhaltspunkt, zumal ich persönlich z.B. die namenlose 46 mehr schätze als die benamten Schwesterwerke 43-45 und 47-49, die sie umzingeln: das ist auch etwas seltsam i.S.v. nicht gerecht. Sie ist, um kurz noch offtopic zu bleiben, da sie nicht zu dem von Dir definierten Zirkel gehört, für mich die „Sonne“, die von sechs Planeten umkreist wird.


    Gleichwohl sagt meine „Statistik“ kaum etwas über die heutige Beliebtheit einzelner Sinfonien (die auch immer wieder einem Wandel unterliegt) aus, wobei ich doch annehme, daß die Pariser plus Londoner (deren Namenlose eingeschlossen) nebst einiger früherer Namenssinfonien generell immer dazu gehören.


    :hello:

    Man muß nur den Schuh umdrehen, dann wird ein Spieß daraus.
    (Johann König)

  • Zwar mögen die Zwischen Sinfonien ihren Anteil an Namenswerken haben, jedoch die Gruppe als solches findet weit weniger Beachtung als die Sturm und Drang oder die Pariser und Londoner Sinfonien. Alleine schon die Tatsache, dass ich einen Namen für diese Werkgruppe erfinden musste, sagt schon einiges aus. In diesem Sinn finde ich sie unterschätzt.


    LG aus Wien.:hello:

    LG aus Wien.:hello:

  • Mich sprechen diese "Zwischen Sinfonien" auch nicht sonderlich an - Ausnahmen: 59, 60 und 67 - wobei die 60te Sinfonie eines seiner herrlichsten Sinfonien überhaupt ist!! Das gilt für die ungemein feurigen und glanzvollen schnellen Sätze wie auch für das überwältigend schöne Adagio im 5. Satz!

    "When I was deep in poverty, you taught me how to give" Bob Dylan

  • Mich sprechen diese "Zwischen Sinfonien" auch nicht sonderlich an - Ausnahmen: 59, 60 und 67 - wobei die 60te Sinfonie eines seiner herrlichsten Sinfonien überhaupt ist!! Das gilt für die ungemein feurigen und glanzvollen schnellen Sätze wie auch für das überwältigend schöne Adagio im 5. Satz!

    Wenn Dir die 60. gefällt, dann dürfte dir die 80. auch nicht zuwider sein. Beide Sinfonien sind Komödien.


    LG aus Wien.:hello:

    LG aus Wien.:hello:

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  • Es ist mir gerade eingefallen, Dank des Beitrags von gerdprengel, dass ich in meinem ersten Beitrag ganz vergessen habe Sinfonie Nr. 60 zu erwähnen. Das ist in zweierlei Hinsicht ein Vergehen von mir, indem dieses Werk Haydns einzige Sinfonie ist die über vier Sätze hinausgeht und, wichtiger, einen Aspekt der „Zwischen Sinfonien“ am besten darstellt, den ich in meinen ersten Beitrag gar nicht erwähnte, nämlich den von Humor in der Musik.


    Wir sind es natürlich gewohnt, Haydns Musik mit Humor zu assoziieren. Aber das kommt eher von seiner späteren Musik, denn Humor spielt im Sturm und Drang und der Musik davor kaum eine Rolle. Die Sinfonie Nr. 60 war daher wahrscheinlich das erste Werk das durchgehend komisch ist und nicht eines das zufällig den einen oder anderen Scherz beinhaltet. Der Humor kommt von der Tatsache, dass Haydn die Musik ursprünglich als Schauspielmusik zum Theaterstück „Der Zerstreute“ komponierte. Die nächste Sinfonie die ich durchwegs als Komödie bezeichnen würde, ist ebenfalls eine „Zwischen Sinfonie“, Nr. 80. Die letzte und größte ist die Uhr, die aber schon zu den späten Londonern gehört. Humorvolle Sätze gibt es auch noch in der Sinfonie Nr. 68 (langsamer Satz, fast ein Vorgänger der Uhr) und vielleicht auch noch der langsame Satz der SInfonie Nr. 76.


    Viel des Humors beruht eher auf abrupte und übertriebene Kontraste und weniger auf bloße Scherze. Fafarenähnliche Themen in Forte gegen liedhafte Melodien in Piano finden sich häufig in Nr. 60 (Einleitung 1. Satz, 2. Satz und 5. Satz) während Nr. 80 ein strenges D-Moll Thema einem volkstümlichen Waltzerfhema in Dur gegenüberstellt. Im Finale derselben Sinfonie findet sich ein synkopiertes Hauptthema mit einem rhythmisch regulären Seitenthema konfrontiert.


    Haydns Entscheidung Humor in seinen Musikstil aufzunehmen, war eine mutige. Viel zu leicht kann ein Komponist der humorvolle Stücke schreibt als nicht profund und nicht ernst zu nehmen abgetan werden, obwohl echter Humor in Musik viel schwieriger ist als Tragik. Das ist was dann im 19. und frühen 20. Jahrhundert auch passierte. Mozart und Beethoven wurden vergöttert, während Haydn zum bloßen Spassmacher reduziert wurde.

    LG aus Wien.:hello:

  • Ob es einen qualitativen Rückschritt oder zumindest keinen weiteren Fortschritt bei diesen "Zwischensinfonien" gibt, ist natürlich Stoff für gelehrte Diskussionen. Die Gruppe scheint mir persönlich zu inhomogen, um dergleichen pauschal zu beurteilen. Denke ich an einige Werke zwischen circa Nr. 50 und Nr. 81, dann befinden sich durchaus persönliche Favoriten darunter, etwa die schon angeführte, wahrlich "extraordinäre" Nr. 54 mit einem langsamen Satz, der unter Beachtung aller Wiederholungen Bruckner'sche Dimensionen aufweist. Diskographisch sind zumindest ein paar der Werke, meistens die mit Namen, gar nicht schlecht vertreten, und das bereits in der Vor-HIP-Ära. Besonders Nr. 55 "Der Schulmeister" hat auffällig viele Dirigenten gereizt (Keilberth, Scherchen, Britten, Otterloo, Kempe, Steinberg). Nr. 73 "Die Jagd" war nach meinem Eindruck auch populär (Leopold Ludwig, Ozawa, Roshdestwenski, Lehel). Punktuell haben sich damalige Dirigenten auch anderen der "Zwischensinfonien" gewidmet, wo man es so eher nicht vermutet hätte (z. B. Stokowski bei Nr. 53, Rosbaud bei Nr. 52, 58 und 65, Tennstedt bei Nr. 64, Bour bei Nr. 70 und 79, Wand bei Nr. 76, Kegel bei Nr. 81).

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Was hier im Forum - und auch anderswo - geschrieben wird ist vom Zeitgeist geprägt

    Haydns Humor ist eine Erfindung der letzten 50 Jahre.

    Haydn in meiner Kindheit, bzw Jugend - mal abgesehen davon, daß es nur eine beschränkte Zahl an aufgenommenen Sinfonien gab - war eher ein beschaulich gemütlicher Herr des ausgehenden 18. Jahrhunderts v- ohne Extreme und eine breiten Öffentlichkiet grade mal durch die "Kindersinfonie" bekannt, die gar nicht von ihm ist. "Papa Haydn" - nicht abwertend, den in der Vergangenheit verband man in der Wahrnehmung von onkelhafter oder großväterlicher Attitüde nichts negatives wie heute (von gestern, senil etc) sondern eine gewisse behagliche Überlegenheit, wenn man so will "Altersweisheit" "Papa Haydn" entstand ja bereits zu Haydns Lebzeiten - und es war eine Auszeichnung, wenn ihn jemand so ansprechen durfte.

    Sicher gab es Sinfonien mit mehr oder mit weniger "drive" - aber die Extreme werden erst in den letzten Jahren so drastisch ausgespielt.

    Wir sind es natürlich gewohnt, Haydns Musik mit Humor zu assoziieren

    Ich kann mich auch nicht erinneren, daß jemand vor 50 Jahren Haydn mit "Humor" in Verbindung gebracht hätte.


    Das ist was dann im 19. und frühen 20. Jahrhundert auch passierte, wo Mozart und Beethoven vergöttert wurden, während Haydn zum bloßen Spassmacher reduziert wurde.

    Beethoven wurde andauern vergöttert.

    Mozart indes wurde über einen längeren Zeitraum als "süsslich" und "filigran" abgetan.

    Er wurde dann allmählich immer mehr akzeptiert, insbesondere ab dem "Mozart-Jahr" 1956 und durch Karl Böhm und Joseph Krips. Bald darau wurde Mozart in der Tat allgemein vergöttert.


    Haydn hab ich in der allgemeinen Wahrnehmung längere Zeit als Nr 3 erlebt, etwas hausbacken, sparsam bis geizig, und nicht so genial wie Mozart (Das liegt natürlich vor allem an der Lebensgeschichte: Haydn war weder ein aufbrausender fordernder Charakter wie Beethoven, noch lieferte er von der Lebensgeschichte Stoff her, wie Mozart.(Wobei im Falle Mozart vieles hinzugedichtet wurde.) Er war ein braver Kapellmeister in Diensten des Fürsten Esterhazy. Ware der Fürst nicht gestorben und sein Nachfolger hätte das Orchester nicht aufgelöst, so wäre er bis ans Lebensende in Eisenstadt geblieben. Mozart indes hat den Sprung in die Selbständigkeit gewagt.

    Vielleicht nuch ein kleiner gedanklicher Seitensprung: Wenngleich das Verhältnis zwische Haydn und seinem Dienstherrn ein relativ gutes war, so ließ der Fürst nicht alles widerspruchslos über sich ergehen. Er nahm Einfluß auf den Stil und die Werke Haydns überhaupt und ließ ihn wissen, was er mochte - und was nicht.

    Überliefert ist der konservative Geschmack des Fürsten.


    mfg aus Wien

    Alfred

    POLITIKER wollen stets unser Bestes - ABER WIR GEBEN ES NICHT HER !!!



  • Lieber Alfred,


    vielen Dank für Deine Antwort. Das führt zwar etwas vom Thema weg, aber ich kann Deine Meinung nicht ganz teilen.

    Was hier im Forum - und auch anderswo - geschrieben wird ist vom Zeitgeist geprägt

    Haydns Humor ist eine Erfindung der letzten 50 Jahre.

    Haydns Humor wurde schon zu seinen Lebzeiten anerkannt. Joseph II nannte Haydn einen Spassmacher und die Rezensionen zu Haydns Sinfonie Nr. 60 schreiben von „musikalisch komischen Laune“ (Preßburger Zeitung) und „Man muß über den Gedanken helllaut lachen“ (Salzburger Theaterwochenblatt). Zugegeben, im 19. Jahrhundert fand Haydns Humor wenig Erwähnung, weil da Haydn größtenteils ignoriert wurde.


    Ich kann mich auch nicht erinnern, daß jemand vor 50 Jahren Haydn mit "Humor" in Verbindung gebracht hätte.

    Die Beihefte von den Schallplatten mit Haydn Sinfonien, die ich in den 70er und 80er Jahren hatte, hoben sehr wohl Haydns Humor hervor. Ausserdem wurden damals überwiegend die humorvollen Werke eingespielt (Sinfonien wie die Paukenschlag und die Uhr). Haydns „dunkle Seite“ (Sturm und Drang, Werke wie Sinfonien Nr. 49 & 52) war damals eher eine Randerscheinung.


    Haydn hab ich in der allgemeinen Wahrnehmung längere Zeit als Nr 3 erlebt, etwas hausbacken, sparsam bis geizig, und nicht so genial wie Mozart.


    mfg aus Wien

    Alfred


    Diese Einstellung gegenüber Haydn began schon zu seinen Lebzeiten. Wenn Graf Waldstein an Beethoven schreibt „Sie werden Mozarts Geist aus Haydns Händen empfangen“, dann wird Haydn zum bloßen Übermittler von Mozarts Genialität gemacht. Klar, dass er da nur eine weit abgeschlagene Nr. 3 bleibt. Diese Einstellung lebt im Grunde genommen bis heute noch weiter. Wer, ausser ich, würde hier im Forum Haydn als gleichrangig mit Mozart und Beethoven sehen?


    Vielleicht nuch ein kleiner gedanklicher Seitensprung: Wenngleich das Verhältnis zwische Haydn und seinem Dienstherrn ein relativ gutes war, so ließ der Fürst nicht alles widerspruchslos über sich ergehen. Er nahm Einfluß auf den Stil und die Werke Haydns überhaupt und ließ ihn wissen, was er mochte - und was nicht.

    Überliefert ist der konservative Geschmack des Fürsten.


    mfg aus Wien

    Alfred


    Dass Haydn im Dienst des Fürsten stand, ist natürlich unbestritten. Ein gutes Beispiel dafür ist die Rüge die Haydn erhielt als er nicht genügend Baryton Trios komponierte. Aber war Prinz Esterhazys Geschmack wirklich so konservativ? Immerhin hat er die Sturm und Drang Phase doch etwa 5 Jahre lang „ausgehalten“ und da waren schon sehr radikale Werke dabei (SInfonien 45, 49 und 52 aber auch etliche andere, ganz zu schweigen von den op 20 Quartetten). Zugegeben, das Ende des Sturm und Drangs könnte von einer Anordnung des Fürsten stammen, aber Werke wie die Sinfonien 67, 70 oder 80 (Und der Beginn von 81) sind alles andere als konservativ. Ich glaube dem Fürsten war bewusst wen er da in seinen eigenen Reihen hatte. Auch die Tatsache, dass er Haydn in 1779 einen neuen Vertrag gab, der ihm erlaubte seine eigenen Werke zu vermarkten, spricht von einer gewissen Weltoffenheit und weniger von Konservatismus.

    LG aus Wien.:hello:

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  • @musikfan9976

    Lieber Musikfan 9976

    Besten Dank für Deine interessanten Ausführungen.

    In der Tat stammt die "Mißachtung" Haydns weitgehend aus dem 19. Jahrhundert - bis weit ins 20. Jahrhundert hinein.

    Vielleicht, weil Haydn keine "bedeutenden" Opern geschrieben hat ?

    Die späten Haydn Sinfonien sind IMO mit jenen (späten) von Mozart auf Augenhöhe, seine Konzert IMO unterschätzt. In Sachen Kammermusik könnte man streiten wer die "Siegespalme" verdient, aber letzlich ist "Klassische Musik" keine Olympiade.

    Persönlich hatte ich stets den Eindruck. daß - speziell in diesem Forum - Haydn derzeit sehr geschätzt wird. Speziell in Sachen Kammermusik. Aber kehren wir zurück zum Threadthema. Persönlich empfand ich die Wegwendung vom "Sturm und Drang" eher als Erlösung, denn als Schwachpunkt....


    mfg aus Wien

    Alfred

    POLITIKER wollen stets unser Bestes - ABER WIR GEBEN ES NICHT HER !!!



  • Lieber Alfred,


    vielen Dank für Deine Antwort.


    Vielleicht war mein obiger Kommentar etwas überspitzt. Es gibt in diesen Forum viele Mitglieder die Haydns Musik kennen und schätzen. Ob die meisten von ihnen Haydn mit Mozart und Beethoven gleichstellen würden sei dahingestellt. Für mich sind alle drei unverzichtbar, daher sind sie für mich gleichauf.


    Ähnlich verhält es sich bei mir was Haydns sinfonische Perioden angeht. Die Sturm und Drang Sinfonien sind für mich genauso unverzichtbar wie die "Zwischen Sinfonien" oder Werke von den anderen Perioden.

    LG aus Wien.:hello:

  • In der Tat stammt die "Mißachtung" Haydns weitgehend aus dem 19. Jahrhundert - bis weit ins 20. Jahrhundert hinein.

    Vielleicht, weil Haydn keine "bedeutenden" Opern geschrieben hat ?

    Das ist jetzt eine kleine Diversion, aber das ist in der Tat ein interessanter Ansatz. Ironischerweise fällt Haydns größte Opernaktivität in die Zeit der Zwischen Sinfonien. Ich bin weiß Gott kein Experte auf dem Gebiet (Opern sind nicht so meine Sache), aber natürlich sind Mozarts Opern eher wegweisend als Haydns. Seine Opern waren zu seiner Zeit durchaus erfolgreich und Haydn war sich der Qualität der Musik bewusst, jedoch wird er selber realisiert haben, dass er auf dem Gebiet der Oper nicht mit Mozart mithalten konnte. Nach Armida (1784) schrieb Haydn keine Opern mehr (ausser Orfeo für London, ein Auftragswerk) und bei einer Anfrage für eine Oper aus Prag lehnte er ab und verwies auf Mozart. Es ist auch bezeichnend, dass Haydn sich ab 1786 (das Jahr in dem Mozart Figaro komponierte) sich auf Sinfonien und Streichquartette konzentrierte und Opern und Konzerte (Mozarts Forte in der Instrumentalmusik) kaum noch eine Rolle in seiner Musik spielten. Auch als Haydn aus London zurückkehrte und die Konkurrenz von Mozart nicht mehr da war, widmete sich Haydn eher der Kirchenmusik und dem Oratorio.

    LG aus Wien.:hello:

  • Jetzt wo ich vielleicht den einen oder anderen auf die Zwischen Sinfonien gebracht habe, möchte ich gerne etwas zu den Aufnahmen dieser Werke schreiben.


    Gesamtaufnahmen der Zwischen Sinfonien gibt es nur dort wo es Gesamtaufnahmen aller Haydn Sinfonien gibt, nämlich Dorati, Fischer, Davis, Frey & Klump, Naxos mit diversen Orchestern und Dirigenten und in der Zukunft Antonini und Iimori. Eine „Fast“ Gesamtaufnahme gibt es von Hogwood und auch Solomons hat viele der Zwischen Sinfonien eingespielt. Einzelne gibt es dann auch noch von Harnoncourt (53, 60, 69 & 73) und vielen anderen. Komischerweise gibt es sehr viele Aufnahmen von Nr. 50, da sie in fast jeder Sturm und Drang Box ist (Pinnock, Brüggen, Weil und vielleicht noch andere).


    Ich liste einmal meine favorisierten Aufnahmen der (aus meiner Sicht) wichtigsten Zwischen Sinfonien:


    Nr. 50 - Bruno Weil. Knackig und überzeugend gespielt. Hogwood. Auch gut, vielleicht etwas zu dünn


    Nr. 53 - Hogwood. Perfekte Tempi, gut hörbare Bläser und beide authentische Versionen des Finales


    Nr. 54 - Solomons. Angemessen großes Orchester, jedoch transparent, perfekte Tempi. Hogwood. knapp dahinter, etwas zu dünn


    Nr. 56 - Hogwood. DIE Aufnahme dieses Werks, ich kenne keine bessere. Perfekte Tempi, vor allem im ersten Satz.


    Nr. 60 - David Blum. Ein Überraschungskandidat und eine ältere Aufnahme. Toll musiziert und, für seine Zeit, mit einem gutem Verständnis für Haydns Musik.


    Nr. 61 - Hogwood. siehe Nr. 56


    Nr. 62 - Hogwood. wiederum perfekt musiziert, vor allem in den beiden wichtigen Sätzen (2 & 4).


    Nr. 63 - Hogwood oder Fischer


    Nr. 67 - Fischer. Die CD mit den Sinfonien 67,68 & 69 ist vielleicht die beste Scheibe aus der Box


    Nr. 68 - Fischer


    Nr. 69 - Fischer


    Nr. 70 - Fischer oder Hogwood, vielleicht mit leichten Vorteil für Hogwood (Finale)


    Nr. 73 - Harnoncourt. tolles Finale! zweiter Platz an Fischer


    Nr. 75 - Fischer. VIele lassen hier leider die Trompeten und Pauken weg (Hogwood, Blum und wahrscheinlich auch andere)


    Nr. 77 - Fischer. Nicholas Ward mit dem Northern Chamber Orchester (Naxos) ist hier auch sehr gut


    Nr. 80 - Freiburger Barockorchester unter der Leitung von Gottfried von der Goltz. Arbeitet für mich die Kontraste zwischen den beiden Themen im ersten Satz am besten heraus.


    Nr. 81 - David Blum. Ist auf der selben Scheibe wie Nr. 60. Wie dort auch hier toll musiziert.


    Wie man sieht, gibt es bei den Zwischen Sinfonien viele tolle Aufnahmen um diese Werke kennenzulernen. Wenn man es sich einfach machen möchte, ist eine Gesamtaufnahme wahrscheinlich die beste Lösung. Fischer ist bei diesen Werken durchaus gut und Hogwood (falls es die Box wieder einmal geben wird) ist mit den Zwischen Sinfonien fast fertig geworden (es fehlen die letzten 6). Oder wenn man die Zeit und die Lust dafür hat, kann man auch sammeln.

    LG aus Wien.:hello:

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  • Hallo MusicFan9976

    Danke für diese "Rangliste"

    Kennst Du die Box der Heidelberger Sinfoniker der Haydn Sinfonien?


    Für mich sind das alles sehr gute Versionen, wobei ich aber nicht viel vergleichen kann, weil ich nur einige der Hogwood Aufnahmen kenn

    Aber, ich bin ehrlich, wenn ich mir die Heidelberger banhoere, vermisse ich keine andere Aufnahme 😊

    LG

    Peter

  • Hallo yrrepnadohr,


    Die Heidelberger kenne ich nur bedingt, ich habe gerade einmal die Aufnahmen der Pariser mit Thomas Frey und seine Einspielung der 48. und 56. Alle sehr gute Aufnahmen, wobei ich Hogwood bei der Nr. 56 und Harnoncourt bei den Parisern vorziehe.

    LG aus Wien.:hello: