Richard Strauss - Arabella, Wiener Staatsoper, 22.04.2025

  • "Was ist verdient auf dieser Welt? Verdient ist nichts."

    Außer: Der Applaus nach dieser hervorragenden Aufführung!

    Im Zuge einer Dienstreise konnte ich zum bisher zweiten Mal in meinem Leben die Wiener Staatsoper besuchen. Ein glückliches Zusammentreffen zwischen Strauss, Thielemann und einem Top-Cast!


    Gesangspartien

    Eine hervorragende Besetzung die kaum Wünsche übrig lässt. Das Haus am Ring kann eben (fast) immer mit den großen Namen aufwarten. Camilla Nylund ist eine überzeugende Arabella, stimmlich immer da und obwohl selber nicht mehr ganz jung, mit toller Darstellung der jungen Arabella (auch wenn mein Logen-Nachbar etwas über ihr Alter meckerte). Die Finnin hatte ich zuletzt auch öfter in Hamburg gesehen und sie hat mich noch nie enttäusch. Besonders hat mich auch die überraschend gute und fast akzentfreie Textverständlichkeit überzeugt. Dass Nylund noch ein wenig in den Schatten gestellt wurde lag einzig an der großartigen Sabine Devieilhe als Zdenka(o). Glockenklar, agil, leicht und auch spielerisch au point - eine Top-Performance, wie es besser eigentlich gar nicht geht. Die Französin wird ihrem hervorragenden Ruf mehr als gerecht. Auch Michael Volle (Mandryka) ist mir aus Hamburg recht gut bekannt. Wie eigentlich immer ist er souverän, sowohl darstellerisch, als auch stimmlich. Matteo - jungendlich frisch von Michael Laurenz gesungen - fehlt vielleicht die letzte Durchschlagskraft gegen den Strausschen Orchesterapparat. Aber Thielemann spürt das und nimmt im weiteren Verlauf des Abends ein wenig zurück.

    Auch die kleineren Rollen sind stark besetzt. Zum Beispiel Wolfgang Bankls Waldner, der darstellerisch witzig ist und an besonders deklamatorischen Stellen sogar wienert.


    Orchester

    Ich muss hier keinem mehr erklären, dass ich zu den Thielemann-Fans gehöre. Aber dafür gibt es Gründe, wie z.B. solche Abende. Ich bin der Meinung, dass Thielemann - zumindest live - inzwischen bei Wagner und Strauss ein Niveau erreicht hat, das aktuell beispiellos ist und bereits jetzt zu den ganz großen Leistungen dieses Repertoires zählt. Die Wiener verschmelzen als Klangkörper mit Thielemanns Dirigat und seinen musikalischen Vorstellungen. Es fließt und dräut dass es eine Freude ist. Hinzu kommt ein perfektes Gefühl für die deklamatorische Sprachmelodie und eine perfekte Ausgewogenheit zwischen Sprache, spätromantischen Melos und Anklängen an die alte Walzerseligkeit. Thielemann mixt daraus einen Klang, bei dem ich überhaupt nicht mehr an den Rosenkavalier, sondern eher an die Danae denken muss.

    Ich kenne zudem keinen Dirigenten (in der Live-Anschauung), der derartig viel und detailliert mit der linken Hand arbeitet, wie Thielemann. Er wirkt als wollte er selber den gewünschten Klang erzeugen und aus seinen Fingern direkt ins Orchester fließen lassen. Und wie das momentan funktioniert, das ist schon fast unheimlich.


    Regie

    Unauffälligkeit ist das Motto des Abends. Die Musik wird nicht gestört, die Handlung aber auch nicht aufgebrochen. Einerseits ist das angenehm, andererseits verträgt dieses Libretto - mit seinen starren Geschlechterrollen - durchaus eine Auffrischung. Sätze wie "und du sollst meine Gebieter sein" stehen dort neben den zaghaften feministischen Ansätzen der Arabella-Rolle und bleiben ungedeutet stehen.

    Das Bühnenbild und die Ausstattung sind dafür angenehm klar, handlungsstützend und eben unauffällig. Die Ballszenen sind absolut angemessen varietéhaft und machen mit dem zahlreichen Personal auf der Bühne und einigen interessanten Kostümen einfach Spaß.


    Fazit

    Und mehr möchte die Regie an diesem Abend dann auch nicht, außer eben diese Oper erzählen. Dass dies so gut funktioniert liegt vor allem an Thielemann, dem Opernorchester und den glänzenden Darstellern. Dieser Abend hat sich gelohnt und wird mir lange in Erinnerung bleiben: Die Wiener Staatsoper macht Eindruck, dazu brilliert Thielemann mit einem meiner Lieblings-Komponisten. Weiterempfehlen geht für diese Spielzeit nicht mehr, ich besuchte die letzte Aufführung.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Lieber Tristan2511 , vielen Dank! Deinen Bericht habe ich mit Vergnügen gelesen. Nylund/Thielemann hatte ich bei meiner ersten Arabella in Dresden. Daran denke ich gerne zurück. Es grüßt Hans

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • Hallo!


    Frau Nylund hatte mir, übers Fernsehen, ich glaub aus Dresden, als Capriccio-Gräfin gar nicht gefallen. Live in Berlin als Kaiserin (Frau ohne Schatten) war ich dann hin und weg. Und Volle hab ich auf BluRay als Hans Sachs in der 2013er Meistersinger-Aufführung von den Salzburger Festspielen, eine überhaupt ganz großartige Sache. Und Thielemann sowieso. Also bestimmt ist auch die Wiener Arabella ein Fest.


    Tristan2511, du schriebst:


    "andererseits verträgt dieses Libretto - mit seinen starren Geschlechterrollen - durchaus eine Auffrischung. Sätze wie `und du sollst meine Gebieter sein´ stehen dort neben den zaghaften feministischen Ansätzen der Arabella-Rolle und bleiben ungedeutet stehen."


    Das möchte ich nicht so stehn lassen. Der Gebieter-Satz steht nicht am Ende, sondern im Zentrum der Handlung, und dieser zweite Akt entspricht in seiner Szenenanweisung exakt dem dritten Akt des "Schwierigen": Ein Vorsaal mit einer auf eine Galerie führenden Treppe. Dieser unverbindliche quasi Übergangsraum symbolisiert auch die Flüchtigkeit und Vorläufigkeit aller menschlichen Beziehungen.


    Mandryka erblickt ja in der Projektionsfigur seiner Photographie in rascher Folge die Idealfrau, die zukünftige Gattin und sogleich (in seinem wohlmotivierten Außenseiterargwohn des stadtfernen Landmenschen) eine leichtlebige Geldjägerin, ehe ihm am Ende aufgeht, daß er dabei den Menschen, der Arabella heißt, ganz übersehen hat.


    Arabella, eine intelligente, von der Oberflächlichkeit ihres Daseins gelangweilte junge Frau, erkennt direkt, auf den ersten Blick Mandrykas Wesen, und ihre Einwilligung in eine Ehe mit diesem so grundverschiedenen Menschen ist ein ganz bewußter Akt der Selbstüberwindung, nicht ganz frei von einer unwägbaren Ironie ("da drunten, in Slawonien"). Sie ist der Marschallin nicht ganz unähnlich.


    Und indem beide am Ende spiegelsymmetrisch ihren verletzten Stolz überwinden, kommen diese Menschen erst wirklich zusammen. Mandryka introspektiv, durch einen Monolog greifbar, Arabella durch eine symbolische Geste.


    Im Grunde ist die Arabella eine modernere Oper als die Lulu (deren Figur sich nie von der Projektion ihrer männlichen Widerparts löst). So wie Hofmannstahl ein bedeutenderer Dichter ist als Wedekind, jedenfalls für mich. Aber das nur nebenbei.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • m Grunde ist die Arabella eine modernere Oper als die Lulu (deren Figur sich nie von der Projektion ihrer männlichen Widerparts löst). So wie Hofmannstahl ein bedeutenderer Dichter ist als Wedekind, jedenfalls für mich. Aber das nur nebenbei.

    Das scheint mir dann doch ein wenig idealisiert. Zwar ist Arabellas Emanzipation durchaus angelegt, da würde ich mitgehen (ja: sie erkennt Mandrykas Wesen natürlich). Aber alles was Arabella am Ende zusteht ist eben eine Geste, bevor sie sich "ihrem Gebieter" (das bleibt er doch, ob Arabella das nun erkennt oder nicht) ja doch zu fügen hat. Der Treppenaufgang war da für mich eher ein schwaches, allenfalls andeutendes Bild. Und für mich wird das ganze auch nicht durch Ironie aufgebrochen, denn die findet sich hier auch nur ansatzweise - da hat Hofmannsthal in anderen Stücken deutlich dicker aufgetragen.


    Du bringst zwar bedenkswerte Argumente, aber machst dabei aus Arabella eine feministischere Oper, als im Libretto angelegt ist, meiner Meinung nach. :hello:

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Natürlich wäre es aussichtslos, mit Alice Schwarzer über diese Oper zu diskutieren. Ich gebe allerdings zu bedenken, eine wie prekäre Rolle der älteren der beiden Waldner-Töchter zu Beginn der Oper zugewiesen wird: Sie scheint nach außen (und das ist in der Jahrhundertwende-Literatur topisch) eine auch erotisch unabhängige Frau, die der Ehe und ihren Zwängen aus dem Weg geht, indem sie alles in einer heiklen Balance hält ("stolz und kokett"). Zugleich aber ist sie die attraktive Aktie (Future Option) der verschuldeten Familie, die lukrative Aussicht auf ein standesgemäßes Fortbestehen. Zwischen diesen Alternativen ringt Arabella um Luft zu atmen.

    Sie ist Mandryka intellektuell, aber auch in Sachen Herzensbildung, weit überlegen. Sie steigt zu ihm herab, das muß man empfinden können, sie erfüllt gerade nicht die Erwartungen ihrer Eltern (die ganze Einfädelung des Konflikts beweist die ungeheure Kunst Hofmannsthals). "Findest du ihn elegant?" fragt die Mama, das sollte man nicht unterschätzen.

    Für Hofmannstahl ist der von Kindern gesegnete Ehebund eine existenzielle Notwendigkeit und darin ein Höchstes, was der Mensch erreichen kann. Das gilt auch für die Färberin, wie für die Kaiserin und ihre Partner, eine Art höherer Paartherapie.


    :hello:

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  • Eine meiner liebsten Szenen in der Oper, die gern etwas untergeht, ist der Moment, in dem Arabella im ersten Aufzug ans Fenster tritt und sich zu Zdenka vernehmen lässt:


    "Siehst du, da war ein fremder Mensch heut vormittag,

    wie ich hier aus dem Haus gegangen bin,

    dort drüben war er an der Ecke, groß, in einem Reisepelz.

    Und hinter ihm ein Leibhusar – ein Fremder halt

    aus Ungarn oder aus der Wallachai …

    der hat mich angeschaut mit großen, ernsten, festen Augen.

    Ich hätt‘ geschworen drauf, dass er mir Blumen schickt.

    Blumen von dem, das wäre heute mehr für mich als alles."


    Während Arabella also überzeugt davon ist, dass Mandryka sie zumindest wahrgenommen hat an einer Straßenecke, die bildlich gesprochen schon damals war, was sie noch heute ist, jagt er einem Bilde nach, das nicht einmal für ihn bestimmt war. Es ist ein bisschen wie im "Holländer", nur seitenverkehrt. Für mich deutet sich schon hier an, wie die Geschichte einst enden wird. Man stelle sich das verehelichte Paar im letzten Zipfel der Donaumonarchie vor, wo es zu dieser Zeit in etwa so aussah wie auf diesem historischen Bild, das zur Zeit der Handlung der Oper entstand:


    Adolf_Schreyer_%281828-1899%29_-_Pferdefuhrwerk_in_der_Walachei_-_3821_-_F%C3%BChrermuseum.jpg


    Arabella geht zum Brunnen hinter dem Haus, wo sich auch das Plumpsklo befunden haben dürfte und schöpft Wasser für Mandryka. Wie lange soll das gut gehen? Die Oper gehört für mich zu den in sich stimmigten Werken überhaupt. Historische Details halten der Übeprüfung stand. Nichts wird dem Zufall überlassen - uns es werden für die unterschiedlichsten Betrachtungen Räume offen gehalten. Was farinelli, den ich hier sehr gern wiedersehe :hello:, beigesteuert hat, versetzt mich in tiefes Nachdenken.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber Rüdiger,


    du spielst hier Stadt- und Landleben in einer für die Zielepoche höchst unzulässigen Weise gegeneinander aus. Die poetischste Beschreibung eines "Plumpsklos" findet sich bei Marcel Proust, Du Coté de chez Swann, als Stätte der Inspiration und Zuflucht, quasi a room of one´s own.

    Für die Lebensart und Kultur des ländlichen Lebens auf dem begüterten Niveau eines Mandryka gibt es allein in der russischen Literatur unzählige Belege.


    Ich nenne hier bloß mal den Eugen Onegin als Beispiel - ich meine die Oper. Großstadt und Ländlichkeit sind nicht bloß äußere Schauplätze, sondern auch die symbolischen Räume der Protagonisten. Tatjana bildet einen Fremdkörper zu der naturnahen einfachen Umgebung ihrer Familie, um am Ende in St. Petersburg vollends ihrer selbst entfremdet zu erscheinen. Onegin wiederum wirkt anfangs als Sendbote erregender Stadt- und Weltläufigkeit inmitten der langweiligen Provinz, um am Ende auf diesem ihm zugedichteten Terrain erst recht als Außenseiter der Gesellschaft dazustehen.


    Hofmannsthal war ein großer Verehrer des kultivierten Landlebens, der Einfachheit und des Echten. Und Arabella in ihrer ethischen Geradlinigkeit - man denke an die beherzte Reaktion inmitten des familiären Skandals um Zdenka - paßt ganz hervorragend an die Spitze eines tätigen Gutslebens in gesunder Umgebung. Das ist jedenfalls meine Meinung.


    :hello: Thorsten

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


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