Adrian Willaert – Meister der Polyphonie und Gründer der Venezianischen Schule

  • Adrian Willaert (um 1490 – 7. Dezember 1562) zählt zu den prägenden Gestalten der europäischen Musikgeschichte des 16. Jahrhunderts. Als Begründer der Venezianischen Schule und langjähriger Kapellmeister von San Marco in Venedig hinterließ er ein Werk von großer stilistischer Breite und nachhaltiger Wirkung.


    Seine Herkunft liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Umgebung von Roeselare (heute Belgien), genauer im Ortsteil Rumbeke. Andere Angaben, etwa Brügge als Geburtsort, gelten heute als weniger wahrscheinlich.


    Gesichert ist hingegen sein früher Aufenthalt in Paris um 1510, wo er ursprünglich Rechtswissenschaften studieren wollte, sich dann jedoch ganz der Musik zuwandte. Dort wurde er Schüler des renommierten Jean Mouton (um 1459–1522), der zur führenden Komponistengeneration an der Kapelle des französischen Königs Ludwig XII. (1462–1515) gehörte. Der Einfluss Moutons auf den jungen Willaert zeigt sich in zahlreichen stilistischen Gemeinsamkeiten, insbesondere in der kontrapunktischen Dichte und dem ausgeprägten Formenbewusstsein.


    Ein entscheidender Wendepunkt in Willaerts Laufbahn war seine Berufung durch Kardinal Ippolito I. d’Este (1479–1520), der ihn 1515 als Sänger und später als Kapellmeister in seine Dienste nahm. Gemeinsam reisten sie nach Rom und anschließend nach Ungarn, wo der Kardinal ein Bistum innehatte. Nach dessen plötzlichem Tod am 3. September 1520 wechselte Willaert an den Hof von Alfonso I. d’Este (1476–1534), dem Herzog von Ferrara, und ab 1525 diente er dessen Sohn Ippolito II. d’Este (1509–1572), einem einflussreichen Kirchenfürsten und Kunstmäzen.


    Im Jahr 1527 erfolgte die Ernennung Willaerts zum maestro di cappella an der Basilica di San Marco in Venedig, einer der prestigeträchtigsten musikalischen Positionen Europas. Diese Berufung, an der auch der Doge Andrea Gritti (1455–1538) mitwirkte, markierte den Beginn einer mehr als drei Jahrzehnte währenden Amtszeit, in der Willaert das musikalische Profil Venedigs maßgeblich prägte. Unter seiner Leitung wurde San Marco zu einem Zentrum musikalischer Innovation, insbesondere der Mehrchörigkeit, die durch die besondere Architektur der Kirche – mit zwei sich gegenüberliegenden Emporen – begünstigt wurde. Zwar war die Idee des antiphonalen Chorgesangs nicht neu, doch gelang Willaert als Erstem eine systematische Anwendung, die Vorbildwirkung entfaltete. Werke wie seine „Salmi spezzati“ (1550) begründeten eine neue Ästhetik des Raumklangs, die von Schülern wie Gioseffo Zarlino (1517–1590), Andrea Gabrieli (um 1532–1585) und Cipriano de Rore (um 1515–1565) weiterentwickelt wurde.


    Willaerts Werk ist nahezu enzyklopädisch in seiner Gattungsvielfalt: Zehn Messen – fast durchgehend Parodiemessen –, über 150 Motetten, mehr als 70 italienische Madrigale, etwa 60 französische Chansons, zahlreiche Hymnen, Psalmen und Ricercari bilden ein Œuvre von außerordentlicher Dichte und Qualität. Besonders hervorgehoben wird in der Forschung die Sammlung „Musica Nova“ (1559), die nicht nur durch ihre ambitionierten siebenstimmigen Motetten mit kunstvollen Kanons beeindruckt, sondern auch durch ihre textbezogene Deklamation und ihre strukturelle Raffinesse.


    Im weltlichen Bereich profilierte sich Willaert vor allem mit Madrigalen auf Texte von Francesco Petrarca (1304–1374), deren musikalische Gestalt von einer subtilen Durcharbeitung zeugt. Er war einer der ersten Komponisten, der in dieser Gattung systematisch Textausdeutung (madrigalismo) praktizierte – ein Prinzip, das später in der „Seconda prattica“ kulminierte. Ein frühes Beispiel für seine kühne Harmonik ist die Komposition „Quid non ebrietas?“, die durch den Einsatz chromatischer Enharmonik und ungewöhnlicher Stimmführungen bereits theoretische Diskussionen unter Musikgelehrten wie Giovanni Spataro (1458–1541), Pietro Aaron (ca. 1480–nach 1545) und Giovanni Maria Artusi (ca. 1540–1613) auslöste.


    Willaerts Bedeutung als Lehrer kann kaum überschätzt werden. Neben den bereits genannten Schülern war auch Costanzo Porta (um 1529–1601) von seinem Unterricht geprägt. Selbst Orlando di Lasso (1532–1594) lässt in seinen Werken eine stilistische Nähe erkennen, obwohl keine direkte Schüler-Lehrer-Beziehung nachgewiesen ist. Die von Willaert begründete venezianische Tradition wirkte weit über sein Leben hinaus und beeinflusste entscheidend den Übergang zur Musik des Frühbarocks.


    Adrian Willaert starb am 7. Dezember 1562 in Venedig. In seinen letzten Lebensjahren war er zunehmend von Krankheit gezeichnet. Noch zu Lebzeiten wurde er in seiner Funktion als Kapellmeister von Francesco Viola († nach 1568) vertreten; nach seinem Tod folgte ihm Cipriano de Rore im Amt.


    Zwar ist der genaue Begräbnisort Adrian Willaerts nicht überliefert, doch spricht manches für die Kirche San Giovanni in Bragora in Venedig als mögliche Ruhestätte.


    Diese Kirche, unweit der Markusbasilika gelegen, war traditionell mit dem musikalischen Leben der Stadt verbunden und diente mehreren Mitgliedern der Markuskapelle als Begräbnisstätte. Als langjähriger maestro di cappella von San Marco könnte Willaert in San Giovanni in Bragora beigesetzt worden sein – einem Ort, der für verdiente Musiker eine ehrenvolle letzte Ruhe bot.


    Die Kirche beherbergte auch das (heute nicht mehr erhaltene) Grab von Baldassare Galuppi (1706–1785), einem weiteren herausragenden maestro di cappella der Markuskirche.


    Hinzu kommt, dass die Bruderschaft von San Marco, der viele Musiker der Kapelle angehörten, enge religiöse und soziale Bindungen zu bestimmten venezianischen Kirchen unterhielt – insbesondere zu jenen, die im engeren Umfeld der Basilika lagen. In solchen Kirchen fanden Mitglieder der Bruderschaft oft ihre letzte Ruhestätte, was die Vermutung einer Beisetzung Willaerts in San Giovanni in Bragora zusätzlich stützt.

  • Adrian Willaert: Passio Domini Nostri Jesu Christi secundum Johannem



    Adrian Willaerts Vertonung der Johannespassion, „Passio Domini nostri Jesu Christi secundum Joannem“, zählt zu den bedeutendsten Werken der Renaissance, die die Leidensgeschichte Christi nach dem Evangelisten Johannes musikalisch umsetzen. Obwohl das genaue Kompositionsdatum nicht eindeutig belegt ist, wird angenommen, dass das Werk um 1550 entstand, also während Willaerts Amtszeit als maestro di cappella an der Basilika San Marco in Venedig.


    Die Komposition zeichnet sich durch ihre mehrstimmige Struktur aus, die typisch für die franko-flämische Polyphonie jener Zeit ist. Willaert verwendet verschiedene Vokalgruppen, um die unterschiedlichen Rollen der Passion darzustellen: den Evangelisten, Christus, Pilatus und die Volksmenge. Diese Rollenverteilung ermöglicht eine klare musikalische Differenzierung der Charaktere und trägt zur dramatischen Wirkung des Werkes bei.


    Ein herausragendes Merkmal der Passion ist Willaerts Einsatz von Kontrapunkt und Imitation, insbesondere in den Chören, die die Volksmenge repräsentieren. Diese Techniken verleihen dem Werk eine tiefe emotionale Resonanz und spiegeln die Intensität der Passion wider. Zudem integriert Willaert Elemente des venezianischen Stils, wie den Wechsel zwischen homophonen und polyphonen Passagen, was dem Werk eine besondere klangliche Vielfalt verleiht.


    Die „Passio Domini nostri Jesu Christi secundum Joannem“ wurde in jüngerer Zeit wiederentdeckt und aufgenommen, unter anderem von dem Ensemble Dionysos Now! unter der Leitung von Tore Tom Denys (* 1973). Diese Aufnahme bietet einen authentischen Einblick in die Klangwelt der Renaissance und unterstreicht die Bedeutung von Willaerts Beitrag zur Entwicklung der mehrstimmigen Kirchenmusik.


    Insgesamt stellt Willaerts Johannespassion ein Meisterwerk der Renaissance dar, das sowohl durch seine musikalische Raffinesse als auch durch seine tiefgreifende spirituelle Ausdruckskraft beeindruckt.


  • Adrian Willaert: "Vespro della beata vergine"



    Adrian Willaerts "Vespro della Beata Vergine" ist eine bedeutende Sammlung liturgischer Musik, die um 1550 in Venedig veröffentlicht wurde. Als maestro di cappella an der Basilika San Marco prägte Willaert maßgeblich die Entwicklung der venezianischen Mehrchörigkeit.


    Die Vespro della Beata Vergine umfasst verschiedene Psalmenvertonungen, Hymnen und das Magnificat, die für die Vesperliturgie bestimmt sind. Willaert nutzte die architektonischen Gegebenheiten von San Marco, um den Wechselgesang zwischen zwei Chören – bekannt als cori spezzati – zu etablieren. Diese Technik wurde später von Komponisten wie Giovanni Gabrieli und Claudio Monteverdi weiterentwickelt.


    Ein bemerkenswertes Merkmal dieser Sammlung ist die Kombination von gregorianischem Choral und polyphoner Satztechnik im Alternatim-Stil. Dabei wechseln sich einstimmige und mehrstimmige Abschnitte ab, was der Musik eine besondere Ausdruckskraft verleiht.


    Die "Vespro della Beata Vergine" wurde 2012 von der Capilla Flamenca unter der Leitung von Dirk Snellings (* 1959) aufgenommen und bietet einen authentischen Einblick in die liturgische Praxis des 16. Jahrhunderts. Diese Aufnahme rekonstruiert eine vollständige Marienvesper und zeigt die klangliche Pracht, die Willaerts Zeitgenossen beeindruckte.


    Willaerts Werk markiert einen wichtigen Übergang von der Renaissance zur Barockmusik und beeinflusste zahlreiche Komponisten seiner Zeit. Seine "Vespro della Beata Vergine" bleibt ein herausragendes Beispiel für die Innovationskraft der venezianischen Schule


    Adrian Willaert: Vespro della beata vergine

  • Adrian Willaert: Missa "Christus resurgens"



    Adrian Willaerts Missa "Christus resurgens" ist ein herausragendes Beispiel für die Parodiemesse der Renaissance und demonstriert eindrucksvoll Willaerts kompositorisches Können sowie seinen Einfluss auf die venezianische Musiktradition.


    Willaert komponierte die Messe um 1536 während seiner Zeit als Maestro di Cappella an der Basilika San Marco in Venedig. Die Messe basiert auf der gleichnamigen Motette von Jean Richafort (um 1480 - 1547) , einem Zeitgenossen Willaerts.



    Es war üblich, bestehende Motetten als Grundlage für Messvertonungen zu verwenden, wobei der Komponist das thematische Material adaptierte und weiterentwickelte.


    Die Missa "Christus resurgens" folgt der klassischen fünfteiligen Messstruktur: Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus und Agnus Dei. Willaert beginnt jeden Satz mit dem Eröffnungsmotiv der Richafort-Motette, bleibt jedoch nicht bei einer bloßen Kopie.


    Während das Gloria und das Credo aufgrund ihrer längeren Texte einen syllabischen Stil aufweisen, sind die späteren Sätze wie Sanctus und Agnus Dei freier und melismatischer komponiert. Willaert integriert geschickt eigene musikalische Ideen und erweitert das ursprüngliche Material, wodurch eine ausgewogene Mischung aus Tradition und Innovation entsteht.


    Willaert gilt als Begründer der venezianischen Schule und hatte einen nachhaltigen Einfluss auf die Entwicklung der mehrchörigen Musik. Seine Arbeit an der Missa "Christus resurgens" zeigt seine Fähigkeit, komplexe polyphone Strukturen mit klarer Textverständlichkeit zu verbinden. Diese Messe steht exemplarisch für den Übergang von der franko-flämischen Polyphonie zur spezifisch venezianischen Klangästhetik.


    Eine bemerkenswerte Aufnahme der Messe wurde von der Oxford Camerata unter der Leitung von Jeremy Summerly (* 1961) eingespielt. Diese Interpretation wurde für ihre präzise Intonation und ausgewogene Stimmführung gelobt. Besonders hervorgehoben wird das Agnus Dei, das als "sublim und atemberaubend" beschrieben wird.



  • Die Missa "Ippolito" von Adrian Willaert ist ein bedeutendes Werk der Renaissance, das erst in jüngerer Zeit wiederentdeckt und aufgeführt wurde. Sie wurde von dem Ensemble Dionysos Now! unter der Leitung von Tore Tom Denys (* 1973) eingespielt und 2022 auf der LP veröffentlicht.


    Die Messe wurde zwischen 1522 und 1527 komponiert, während Willaert im Dienst von Kardinal Ippolito I. d’Este (1479–1520, Kardinal von 1493 als er 14. Jahre alt war) in Ferrara stand.


    Obwohl das Werk ursprünglich namenlos war (Missa sine nomine), wurde es später aufgrund einer musikalischen Widmung an den Kardinal als Missa "Ippolito" bekannt.


    Ein zentrales Merkmal der Messe ist der Cantus firmus in einer der Tenorstimmen, der aus einer festgelegten Folge von 13 Tönen besteht: mi ut mi sol mi ut fa mi fa mi re mi.


    Der Musikwissenschaftler Joshua Rifkin (* 1944) identifizierte darin ein "soggetto cavato", eine Technik, bei der Tonfolgen aus den Vokalen eines Namens abgeleitet werden. In diesem Fall ergibt sich aus dem Namen "Primus Ippolitus Cardinalis Estensis" die Tonfolge des Cantus firmus, was auf eine subtile musikalische Widmung an den Kardinal hinweist.

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  • Adrian Willaert (um 1490 - 1562):

    Missa "Laudate Deum" (auf der CD Track 6 bis 10) und andere geistliche Werke

    Ensemble: Dionysos Now!

    Aufnahme: 2024 / 2025


    Adrian Willaerts Missa "Laudate Deum" ist ein bedeutendes Werk der Renaissance, das sowohl musikalisch als auch historisch bemerkenswert ist.


    Ursprung und Kontext


    Die Missa "Laudate Deum" ist eine sogenannte Parodiemesse, die auf dem gleichnamigen Motettenthema von Johannes Mouton basiert (hier Track 12 und 13):



    Willaert, ein Schüler Moutons, komponierte diese Messe um 1536 und veröffentlichte sie im "Liber quinque missarum", einer Sammlung von fünf Messen. Mit diesem Werk zollte Willaert seinem Lehrer Tribut und demonstrierte gleichzeitig seine Meisterschaft in der polyphonen Komposition.


    Musikalische Merkmale


    Die Messe zeichnet sich durch Willaerts Fähigkeit aus, das thematische Material Moutons mit eigenen innovativen Elementen zu verbinden. Sie reflektiert den Stil der Pariser Schule und zeigt Willaerts Weiterentwicklung dieser Tradition. Die Struktur der Messe folgt den üblichen Teilen: Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus und Agnus Dei. Jeder Abschnitt beginnt mit Motiven aus Moutons Original, die Willaert kunstvoll weiterentwickelt.


    Aktuelle Aufnahme


    Im April 2025 veröffentlichte das Vokalensemble Dionysos Now! unter der Leitung von Tore Tom Denys (* 1973) das Album Adriano 6, dessen zentrales Werk die Missa "Laudate Deum" ist. Diese Aufnahme hebt Willaerts polyphone Meisterschaft hervor und präsentiert zusätzlich Madrigale und Motetten wie "Qual dolcezza giamai", "Amor mi fa morire", "Videns Dominus" und "Ecce Dominus veniet", die Willaerts Fähigkeit zeigen, expressive Texte mit komplexer Musik zu verbinden.


    Bedeutung


    Die Missa "Laudate Deum" ist ein herausragendes Beispiel für die Verbindung von Tradition und Innovation in der Renaissance-Musik. Sie demonstriert Willaerts Fähigkeit, bestehendes musikalisches Material zu ehren und gleichzeitig neue kompositorische Wege zu beschreiten. Das Werk bleibt ein Meilenstein in der Geschichte der Messkomposition und ein Zeugnis für Willaerts Einfluss auf die Entwicklung der Vokalmusik.


    Track 1: Madrigal "Qual dolcezza giamai"


    Das Werk ist ein Paradebeispiel für Willaerts Fähigkeit, expressive Texte mit kunstvoller Polyphonie zu verbinden.

    Musikalische und stilistische Merkmale


    Das Madrigal ist für ein gemischtes Vokalensemble in SATTB-Besetzung (Sopran, Alt, zwei Tenöre, Bass) komponiert und wurde von Jerome Roche herausgegeben. Es ist Teil der Sammlung "The Flower of the Italian Madrigal" und wurde von Gaudia Music and Arts Publications veröffentlicht.


    In „Qual dolcezza giamai“ entfaltet Willaert eine musikalische Sprache, die sowohl die melodische Schönheit als auch die emotionale Tiefe des Textes hervorhebt. Der Text, dessen Autor unbekannt ist, preist die Süße und Harmonie der Liebe. Willaert nutzt dabei eine klare Textausdeutung und eine ausgewogene Stimmführung, die typisch für seine Madrigale ist.


    Bedeutung und Rezeption


    „Qual dolcezza giamai“ steht exemplarisch für Willaerts Beitrag zur Entwicklung des Madrigals als Kunstform. Seine Werke beeinflussten zahlreiche Komponisten seiner Zeit und legten den Grundstein für die Blütezeit des Madrigals im späten 16. Jahrhundert.


    Italienischer Originaltext:


    "Qual dolcezza giamai, qual dolce armonia

    fu pari a quella che nel cor mi sento,

    quando l’alma mia si pasce e si contenta

    di sì soave e dolce compagnia?"


    Deutsche Übersetzung:


    "Welche Süße je, welche süße Harmonie

    war je gleich der, die ich in meinem Herzen fühle,

    wenn meine Seele sich nährt und zufrieden ist

    mit so sanfter und süßer Gesellschaft?"


    Track 2: Madrigal "Amor mi fa morire"


    Das Madeigal entstand um 1536, wo die leidenschaftliche Ambivalenz der Liebe thematisiert ist.


    Originaltext (Italienisch):


    "Amor mi fa morire

    e pur il vo seguire.

    Non è gran duol il mio tenace e forte

    conoscer ch'io vo dietro alla mia morte?

    Sotto ch'acerba sorte

    nacqui nel mondo che morir mi sento,

    e d'abbracciar mi piace il mio tormento.

    Deh! voi ch'udite'l mio grave lamento

    dite, per Dio, se'l dir non v'è molesto.

    Non è miracol questo

    ch'Amor mi fa morire,

    e pur il vo seguire?"


    Deutsche Übersetzung:


    "Die Liebe lässt mich sterben,

    und doch will ich ihr folgen.

    Ist es nicht ein großer, zäher und starker Schmerz,

    zu wissen, dass ich meinem eigenen Tod entgegengehe?

    Unter welchem bitteren Schicksal

    wurde ich in die Welt geboren, dass ich mich sterben fühle,

    und es mir gefällt, mein Leid zu umarmen.

    Ach! Ihr, die ihr meine schwere Klage hört,

    sagt, bei Gott, wenn euch meine Worte nicht stören:

    Ist das nicht ein Wunder,

    dass die Liebe mich sterben lässt,

    und ich ihr dennoch folgen will?"


    Musikalische Besonderheiten


    Willaert nutzt in diesem Madrigal die Technik des soggetto cavato, bei der die Vokale des Textes in musikalische Töne übersetzt werden. So ergeben die Silben „Amor mi fa morire“ die Tonfolge fa–sol–mi–fa–sol–mi–re, die als melodisches Motiv dient. Diese Verbindung von Text und Musik verstärkt die emotionale Wirkung des Stücks.


    Track 3: "Signora dolce io te vorrei parlare"


    „Signora dolce io te vorrei parlare“ ist ein Madrigal, das um 1534 entstand und zu Willaerts frühesten Beiträgen zum italienischen Madrigal zählt. Es wurde in verschiedenen Anthologien veröffentlicht, darunter im "Secondo libro de madrigali di Verdelot" (1534) und erneut in einer Sammlung von 1540.


    Das Madrigal präsentiert sich als höfliche und zurückhaltende Liebesansprache an eine „süße Dame“. Musikalisch zeichnet es sich durch schwebende Linien und fragile Melismen aus, die an mittelalterliche Stile erinnern. Diese Komposition verdeutlicht Willaerts Fähigkeit, traditionelle Elemente mit der aufkommenden Madrigalform zu verbinden.


    In diesem Stück handelt es sich um eine lyrische Liebesode, in der der Sänger seine tiefen Gefühle und Gedanken für eine geliebte Person (die "Signora") ausdrückt. Der Text thematisiert Sehnsucht, Bewunderung und das Streben nach einer Verbindung mit der geliebten Person.


    Track 4: " Qual più diversa e nova cosa"


    "Qual più diversa e nova cosa“ ist ein Madrigal von Adrian Willaert, das auf einem Text von Francesco Petrarca (1304 - 1374) basiert. Es wurde erstmals 1542 in einer Sammlung vierstimmiger Madrigale veröffentlicht.


    Italienischer Originaltext (Auszug):


    "Qual più diversa e nova cosa

    fu mai in qual che stranio clima,

    quella, se ben s'estima,

    più mi rasembra: a tal son giunto, Amore."


    Deutsche Übersetzung:


    "Welche seltsamere und neuere Sache

    gab es je in irgendeinem fremden Klima?

    Diese, wenn man sie gut betrachtet,

    scheint mir mehr zu ähneln: zu solchem bin ich gelangt, Liebe"


    Track 5: "Ave Maria"


    Adrian Willaerts "Ave Maria, gratia plena" ist ein vierstimmiges Motett, das 1532 in der Sammlung Motetti del fiore, liber primus veröffentlicht wurde. Es ist ein herausragendes Beispiel für die polyphone Vokalkunst der Renaissance.


    Das Werk ist im dorischen Modus komponiert und für vier Stimmen (SATB) gesetzt. Willaert nutzt imitatorische Techniken, um die liturgische Tiefe des Textes zu unterstreichen. Die Stimmen verweben sich kunstvoll, was dem Stück eine meditative und zugleich feierliche Atmosphäre verleiht.


    Track 11: "Videns Dominus"


    „Videns Dominus flentes sorores Lazari“ ist ein vierstimmiges Motette, die 1539 in der Sammlung "Motecta liber primus" veröffentlicht wurde. Es basiert auf der biblischen Geschichte der Auferweckung des Lazarus (Johannes 11,33) und ist ein herausragendes Beispiel für Willaerts Fähigkeit, musikalische Struktur und theologischen Gehalt zu verbinden.


    Willaert gestaltet das Motett mit einer symmetrischen Architektur: Der zentrale Befehl Jesu „Lazare, veni foras“ (Lazarus, komm heraus) bildet den Mittelpunkt der Komposition. Die musikalischen Abschnitte davor und danach sind konzentrisch angeordnet, was den Übergang von Trauer zur Hoffnung symbolisiert. Diese Struktur verleiht dem Werk eine dramatische Tiefe und spiegelt die emotionale Entwicklung der biblischen Erzählung wider.


    Lateinischer Originaltext (Auszug):


    "Videns Dominus flentes sorores Lazari ad monumentum, lacrimatus est coram Judaeis, et clamavit: Lazare, veni foras."


    Deutsche Übersetzung:


    "Als der Herr die weinenden Schwestern des Lazarus am Grab sah, weinte er vor den Juden und rief: Lazarus, komm heraus."


    Dieser Text stammt aus dem Johannesevangelium (Joh 11,33.43) und betont die menschliche Anteilnahme Jesu sowie seine göttliche Macht über den Tod.


    Track 12: "Ecce Dominus veniet"


    „Ecce Dominus veniet“ ist ein Motette, die sich durch seine tiefgründige emotionale Ausdruckskraft und technische Raffinesse auszeichnet. Sie basiert auf einem liturgischen Text, der traditionell im Advent verwendet wird, und reflektiert die Erwartung der Ankunft des Herrn.


    Lateinischer Originaltext:


    "Ecce Dominus veniet, et omnes sancti eius cum eo:

    et erit in die illa lux magna, alleluia."


    Deutsche Übersetzung:


    "Siehe, der Herr wird kommen, und alle seine Heiligen mit ihm:

    und an jenem Tag wird ein großes Licht sein, Halleluja."

  • Track 2: Madrigal "Amor mi fa morire"

    Das Madeigal entstand um 1536, wo die leidenschaftliche Ambivalenz der Liebe thematisiert ist.

    Der Text von "Amor mi fa morire" stammt von Dragonetto Bonifazi (Bonifacio), der bereits im Alter von 26 Jahren starb.

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    Quelle: Marc Antonio Terminio in "Apologia dei tre seggi illustri di Napoli" Venezia 1581, p. 20


    Folgend das Notenmaterial wie es in "Il secondo libro de madrigali" gedruckt wurde von Ottaviano Scotto (auch Sconto), Venezia 1536):

    https://dfwviols.com/new/2023-…_fa_morire----0-score.pdf

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • An den ewigen Stänker:


    Dragonetto Bonifazi, auch bekannt als Bonifacio, lebte und wirkte im 14. Jahrhundert, genauer gesagt etwa von 1320 bis 1380. Diese Epoche war von der Entwicklung der frühen Mehrstimmigkeit in der europäischen Musik geprägt, die später den Weg zur Renaissance-Musik ebnete. Bonifazi war Teil dieser musikalischen Bewegung und trug zur Entstehung und Verbreitung neuer Kompositionstechniken bei. Er starb keineswegs im Alter von 26 Jahren!


    Die Zeit, in der er lebte, war zudem von tiefgreifenden gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen bestimmt, die auch das musikalische Schaffen beeinflussten. Die kulinarische und kulturelle Blüte dieser Ära bildet einen faszinierenden Hintergrund für das Verständnis seiner Werke und seines Einflusses auf die Musikgeschichte.


    Dass Adrian Willaert (um 1490–1562) diesen Text als Grundlage seiner Komposition „geliehen“ hat, ist mir selbstverständlich bekannt. Solches Vorgehen war damals gang und gäbe — das überrascht mich keineswegs. Deine Quelle ist zudem 45 Jahre älter als meine Angabe. Bitte such dir ein anderes Opfer und lass mich in Ruhe meine Arbeit hier fortsetzen. Deine Kommentare bewegen sich ohnehin bereits am Rande des Akzeptablen: kein eigener Beitrag, sondern ausschließlich „Korrekturen“. Wenn du Opern von Andrea Lucchesi (1741–1801) kennst, dann beschreibe sie bitte und liefere musikalische Beiträge. DANKE.

  • An den ewigen Stänker:


    Dragonetto Bonifazi, auch bekannt als Bonifacio, lebte und wirkte im 14. Jahrhundert, genauer gesagt etwa von 1320 bis 1380.

    Auf welcher Quelle basieren deine Angaben?

    Ich zitiere aus TRECCANI: "BONIFACIO, Dragonetto. Nacque nei primissimi anni del sec. XVI da Roberto e da Lucrezia Cicara, primogenito di altri quattro figli ....."


    Quelle: https://www.treccani.it/enciclopedia/dragonetto-bonifacio_(Dizionario-Biografico)/

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Adrian Willaert (um 1490 - 1562): Die Motetten, Ensemble Singer Pur, Aufnahme 2012



    "Huc me sidereo"

    Diese Motette trägt einen tief spirituellen Charakter. In leuchtender und dennoch sehnsuchtsvoller Klangsprache beschreibt Willaert die Hinwendung der Seele zur himmlischen Heimat. Der musikalische Duktus ist von ruhiger Erhabenheit geprägt, die Textvertonung spiegelt die innige Bitte um Aufnahme ins ewige Licht wider.


    "Dilexi, quoniam exaudiet"

    Sanfte Linien und ausgewogene Polyphonie verleihen diesem Stück eine Atmosphäre des stillen Vertrauens. Der Text spricht von Dankbarkeit über Gottes gnädiges Erhören, und Willaert fängt diese Haltung mit zarter Stimmführung und einer warmen Klangfläche ein, die fast kontemplativ wirkt.


    "Audite insulae"

    Kraftvoll und mit einer gewissen Feierlichkeit setzt Willaert die Worte des Propheten Jesaja in Musik. Die Motette strahlt Würde und einen Hauch von Dramatik aus, denn sie schildert die Berufung durch Gott als gewichtige und heilvolle Botschaft, die an die Völker ergeht.


    "Haec est domus Domini"

    Hier entfaltet sich die Musik in prächtigen, ruhig schreitenden Linien. Willaert verleiht dem Lob der Kirche als heilige Wohnstatt Gottes eine feierliche Gestalt. Die Stimmen weben ein harmonisches Gewebe, das den Eindruck einer klanggewordenen Architektur vermittelt.


    "Verbum supernum prodiens"

    Diese Vertonung des adventlichen Hymnus zeichnet sich durch ein sanftes, fließendes Klangbild aus. Die Musik spiegelt die Demut und das Wunder der Menschwerdung Christi wider und bleibt trotz der feierlichen Thematik stets von inniger Wärme durchzogen.


    "Confitebor tibi Domine"

    Mit heiterer Festlichkeit entfaltet sich diese Motette, die ganz dem Lob Gottes gewidmet ist. Der musikalische Aufbau ist reich und lebendig, die Stimmen verbinden sich zu einem vielschichtigen, dabei doch klar strukturierten Lobgesang auf Gottes Güte und Treue.


    "Te Deum Patrem ingentium"

    Als Hymnus besitzt dieses Werk eine majestätische Würde. Willaert lässt die Stimmen in mächtigen, aber nicht überladenen Akkorden aufsteigen. Die Musik hebt die Größe Gottes hervor und lässt in ihrer feierlichen Schlichtheit Raum für die Erhabenheit des Textes.


    "Beati pauperes spiritu"

    Hier schlägt Willaert einen ernsteren, zurückgenommenen Ton an. Die Musik ist von ruhiger Ernsthaftigkeit getragen, ganz im Sinne der Seligpreisungen, die von innerer Armut und geistlicher Demut sprechen.


    "Sustinuimus pacem"

    Diese Motette wirkt wie ein musikalisches Klagelied. Die Stimmen bewegen sich vorsichtig und zurückhaltend, während der Text die vergebliche Hoffnung auf Frieden beklagt. Willaert gelingt es, die Spannung zwischen Wunsch und Enttäuschung eindringlich hörbar zu machen.


    "Praeter rerum seriem"

    Hochemotional und mit ungewöhnlicher Expressivität vertont Willaert dieses Weihnachtsstück. Die Stimmen scheinen das Staunen über das Wunder der jungfräulichen Geburt fast plastisch auszudrücken. Hier zeigt sich eine seiner kunstvollsten und zugleich unmittelbar berührenden Kompositionen.


    "Alma redemptoris Mater"

    Zart und von fast inniger Andacht getragen erklingt dieser marianische Hymnus. Die Musik entfaltet sich ruhig und ausgewogen, wobei Willaert der Fürbitte und dem Lob Mariens eine gefühlvolle und sanfte Klangsprache verleiht.


    "Mittit ad Virginem"

    Lebhaft und von freudiger Bewegung geprägt ist diese Darstellung der Verkündigung. Der hellere Klang und der belebte Rhythmus spiegeln die freudige Botschaft wider, die der Engel Maria bringt. Gleichzeitig bleibt der Satz in sich ausgewogen und elegant.


    "Benedicta es coelorum Regina"

    Diese Marienmotette strahlt besondere Feierlichkeit aus. Der Lobpreis Mariens als Himmelskönigin wird von Willaert in kraftvollen und doch harmonisch sanften Linien eingefangen. Die Stimmen verharren oft in hellen, aufwärtsstrebenden Bewegungen.


    "Salve Sancta parens"

    Mit inniger Sanftheit gestaltet Willaert die Begrüßung Mariens als heilige Mutter. Die Musik ist ruhig und andächtig, wobei die polyphonen Linien die liebevolle Verehrung in klanglicher Schönheit ausdrücken.


    "Inviolata, integra, et casta"

    Sehr zart und mit einer fast schwebenden Klanglichkeit huldigt diese Motette der Reinheit Mariens. Willaert vermeidet große Kontraste und setzt auf eine gleichmäßig fließende Polyphonie, die den Text würdig und feinfühlig umrahmt.


    "Sub tuum praesidium confugimus"

    Ernst und voll vertrauensvoller Bitte wendet sich der Beter in dieser Komposition an die Gottesmutter. Willaert gestaltet die Musik schlicht und ausgewogen, wobei die flehende Haltung durch subtile Spannungen zwischen den Stimmen unterstrichen wird.


    "O admirabile commercium"

    Staunen und ehrfürchtige Bewunderung prägen diese Motette. Die Musik erhebt sich in weiten, feierlichen Bögen, welche das Wunder des göttlichen Menschwerdens auf eindrucksvolle Weise ins Klangbild übertragen.


    "Aspice Domine"

    In dunkleren Farben gehalten, wirkt diese Motette wie ein musikalisches Gebet in der Not. Willaert setzt die Bitten um Erbarmen sehr eindringlich um, ohne in Übermaß zu verfallen — das Klagende bleibt stets von edler Zurückhaltung bestimmt.


    "Peccata mea"

    Tiefempfunden und demütig klingt diese Bußmotette. Der musikalische Satz ist ruhig und getragen, wodurch die Reue und das Eingeständnis der eigenen Verfehlungen besonders deutlich hervortreten.


    "Domine, quid multiplicati sunt"

    In ruhigen, fast statischen Bewegungen entfaltet Willaert hier einen Psalm, der die Bedrohung durch Feinde thematisiert. Dennoch schwingt Hoffnung mit, denn die Musik bleibt klar und sammelt sich immer wieder zu Momenten des Vertrauens.


    "Pater, peccavi"

    Sehr persönlich und fast intim wirkt diese Vertonung der Reueworte des verlorenen Sohnes. Willaert gibt der Bitte um Vergebung eine schlichte, aber umso eindringlichere musikalische Gestalt.


    "Miserere nostri Deus omnium"

    In flehender Haltung gestaltet der Komponist diese Bitte um göttliches Erbarmen. Der musikalische Verlauf ist ruhig und weitgehend homophon, was dem Text einen besonders klaren und feierlichen Ausdruck verleiht.


    "Avertatur obsecro"

    Auch hier dominiert die Bitte um Erbarmen. Willaert setzt den Text mit zurückhaltender, aber intensiver Polyphonie um, wobei die Bitten gleichsam wellenartig in den verschiedenen Stimmen erklingen.


    "Omnia quae fecisti"

    Diese Motette wirkt zugleich demütig und feierlich. Der Text, der Gottes Gerechtigkeit anerkennt, erhält durch Willaerts polyphone Kunst einen würdevollen, dabei jedoch nicht überladenen Ausdruck.


    "Recordare Domine"

    Klagend und nachdenklich setzt sich diese Vertonung mit dem Gedächtnis an Gottes Barmherzigkeit auseinander. Willaert wählt eine eher gedeckte Klangsprache, die dem Bitten und Erinnern eine passende Tiefe verleiht.


    "Victimae paschali laudes"

    Festlich und von österlicher Freude durchdrungen erklingt diese berühmte Sequenz. Willaert lässt die Stimmen hell und bewegt zusammenwirken, um den Sieg Christi über den Tod in leuchtende Klänge zu fassen.


    "Veni Sancte Spiritus"

    Mit tänzerischer Leichtigkeit und zugleich feierlichem Ernst gestaltet der Komponist diese Pfingstmotette. Die Bitten um die Gabe des Heiligen Geistes werden von einem lebendigen musikalischen Fluss getragen, der Energie und Andacht zugleich vermittelt.


    Disc 1:



    Disc 2:



    Disc 3:


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  • Adrian Willaert: Missa "Mente tota"



    Adrian Willaert (um 1490–1562): Missa "Mente tota" – Ein musikalisches Monument venezianischer Prachtentfaltung


    Diese CD widmet sich einem der zentralen Meisterwerke Adrian Willaerts, der Missa "Mente tota", und stellt zugleich ein eindrucksvolles Zeugnis der venezianischen Mehrchörigkeit und klanglichen Architektur des 16. Jahrhunderts dar. Willaert, langjähriger Kapellmeister an San Marco in Venedig, begründete mit seinem Wirken eine stilistische Entwicklung, die in der sogenannten venezianischen Schule gipfelte – einem goldenen Zeitalter der Klangentfaltung und räumlichen Polyphonie.


    Die Missa "Mente tota" ist ein Paradebeispiel für Willaerts Kunst der strukturellen Durcharbeitung und der stilistischen Balance zwischen nordalpiner Polyphonie und der neuen, lichtdurchfluteten Klangsprache der Lagunenstadt. Die Messe basiert auf einer gleichnamigen Motette – möglicherweise von Willaert selbst –, deren thematisches Material kunstvoll in allen Teilen des Ordinariums verarbeitet wird. Der Cantus firmus erscheint nicht als starres Gerüst, sondern wird frei paraphrasiert, verarbeitet und in ein weitgespanntes polyphones Gewebe eingebettet.


    Die Interpretation auf dieser CD überzeugt durch stilistische Treffsicherheit, klangliche Transparenz und eine fein abgestimmte Dynamik. Die Sängerinnen und Sänger agieren mit vokaler Klarheit und artikulatorischer Präzision, wodurch die komplexe Polyphonie Willaerts in all ihren Ebenen nachvollziehbar bleibt. Besonders hervorzuheben ist der Umgang mit dem Raumklang: Die Darbietung nutzt – ganz im Sinne der venezianischen Tradition – die Staffelung und klangliche Differenzierung der Stimmen, um ein sphärisches, nahezu architektonisches Hörerlebnis zu erzeugen.


    Die Einspielung wird durch weitere Werke ergänzt, etwa durch Motetten oder Hymnen aus Willaerts geistlichem Repertoire, die das liturgische Umfeld seiner Messkompositionen beleuchten und zugleich die Vielseitigkeit seines Stils unter Beweis stellen. Es wird deutlich: Willaert war nicht nur ein Vermittler zwischen flämischer Kontrapunkttradition und italienischer Klangrhetorik, sondern ein eigentlicher Pionier des musikalischen Raums.


    Diese CD ist ein Muss für Liebhaber der franko-flämischen Vokalpolyphonie, für Kenner venezianischer Kirchenmusik und für alle, die sich auf eine klangliche Zeitreise in das prächtige Venedig der Renaissance begeben möchten.


    Diese Aufnahme ist weit mehr als die Darbietung einer Messe Adrian Willaerts. Sie ist eine musikalisch durchdachte, dramaturgisch fein komponierte Hommage an drei Meister der franko-flämischen Schule – ein Triptychon geistlicher Polyphonie, das von kontemplativer Innigkeit über monumentale Klangentfaltung zu humanistischer Weisheit führt.


    Den Anfang macht ein kurzes, selten zu hörendes Fragment aus dem Werk von Josquin Desprez (* vor 1455–1521): "Vultum tuum deprecabuntur": V. "Mente tota" (NJE 25.14). Dieser Vers – „Mit ganzem Sinn und ganzer Seele“ – steht programmatisch über der gesamten Aufnahme. Es ist ein musikalisches Innehalten, ein versunkenes Anrufen, das aus der Tiefe des spätmittelalterlichen Glaubensverständnisses in die Welt tritt. Dass gerade dieser Vers am Beginn steht, ist kein Zufall: Josquin, Inbegriff der klassischen Vokalpolyphonie, wurde von nachfolgenden Generationen nicht nur bewundert, sondern wie ein geistiger Vater verehrt.


    Die darauf folgende Missa Mente tota von Adrian Willaert (* um 1490–1562) setzt dieses Ideal fort – nicht imitierend, sondern weiterführend. Willaert, der vermutlich noch Josquin begegnet ist und später über zwei Jahrzehnte als Kapellmeister an San Marco in Venedig wirkte, ist ein zentraler Vermittler zwischen den musikalischen Welten nördlicher Strenge und italienischer Klangfreude. In seiner Messe begegnet man einer vielstimmigen Architektur, die von innerer Ausgeglichenheit, weiträumiger Melodik und glasklarer Kontrapunktik getragen wird. Die musikalische Sprache ist nicht auf Effekte aus, sondern auf Durchdringung und Ernsthaftigkeit. Der Cantus firmus – ob explizit zitiert oder paraphrasiert – wird in ein dichtes, doch atmendes polyphones Gewebe eingewoben. Dabei gelingt es Willaert, eine Musik zu schreiben, die sowohl liturgische Funktionalität als auch künstlerische Erhabenheit in sich vereint. Diese Messe ist Ausdruck eines tief empfundenen Glaubens – und einer musikalischen Vision, in der die Vernunft und das Ohr im Einklang stehen.


    Die Wahl, mit einem Werk Cipriano de Rores (* um 1516–1565) zu schließen, ist nicht minder bedeutungsvoll. Concordes adhibete animos – „Vereint eure Geister in Einklang“ – bringt auf den Punkt, was zuvor in Musik durchlebt wurde: Einklang der Stimmen, der Herzen, der geistigen Haltung. Rore war nicht nur Schüler Willaerts, sondern sein Nachfolger als Kapellmeister an San Marco – und so steht auch diese Motette symbolisch für die Weitergabe eines geistigen Erbes. Musikalisch schlägt sie eine Brücke zwischen strengem Kontrapunkt und expressiver Textausdeutung – zwischen Renaissance und Frühbarock. In ihrem Text kulminiert die gesamte Aufnahme in einem Appell an die geistige Eintracht, an das harmonische Miteinander.


    Diese CD gleicht einer musikalischen Prozession: vom demütigen Gebet des Josquin-Verses über die kontemplative Monumentalität der Willaert-Messe bis zur versöhnlichen Mahnung Rores, die Stimmen und Seelen aufeinander abzustimmen. In ihrer Gesamtheit vermittelt sie nicht nur ein exemplarisches Bild franko-flämischer Kunst, sondern eine innere Haltung – eine Musik mente tota, mit ganzem Sinn und ganzer Seele.


    So ergibt sich ein dreifacher Kanon:


    Josquin (der Ursprung) – die Stimme aus der Tiefe der Tradition.


    Willaert (der Vermittler) – der große Architekt der Mitte.


    Rore (der Vollender) – der humanistische Tonsetzer einer neuen Generation.


    Josquin Desprez (* vor 1455–1521): "Vultum tuum deprecabuntur": V. "Mente tota" (mit marianischer Schlussinvokation)


    Diese kurze Motette, oft als Versikel oder geistliches Miniaturgebet aufgefasst, beginnt mit einer innigen Selbstzuwendung an Gott – doch sie endet nicht in persönlicher Andacht allein. In manchen Fassungen mündet sie in eine Anrufung der Gottesmutter Maria, wie es für viele spätmittelalterliche Votivgesänge typisch war. Hier zeigt sich nicht nur Josquins Sinn für geistliche Dimensionen, sondern auch seine Fähigkeit, selbst schlichteste Texte mit spiritueller Dichte aufzuladen.


    Die Musik bleibt über die gesamte Dauer schlicht und konzentriert. In ihr verschmelzen persönliche Innerlichkeit („te diligo“) und kollektive Fürbitte („Sancta Maria, ora pro nobis“). Das Werk beginnt wie ein Gebet des Einzelnen – und endet als Stimme der Kirche.


    Lateinischer Text (erweiterte Fassung):

    "Mente tota, corde toto,

    totis, Deus, visceribus,

    te diligo, quia meum

    es desiderium.

    Sancta Maria, ora pro nobis.

    Sancta Dei Genitrix, ora pro nobis.

    Sancta Virgo virginum, ora pro nobis."


    Deutsche Übersetzung:


    "Mit ganzem Sinn, mit ganzem Herzen,

    mit meinem ganzen innersten Wesen,

    liebe ich dich, o Gott,

    denn du bist mein Verlangen.

    Heilige Maria, bitte für uns.

    Heilige Gottesgebärerin, bitte für uns.

    Heilige Jungfrau der Jungfrauen, bitte für uns."


    Cipriano de Rore (* um 1516–1565): "Concordes adhibete animos"


    Diese Motette zählt zu den charakteristischsten Kompositionen Rores und trägt in sich den humanistischen Geist der Hochrenaissance. Der Text ruft zur Eintracht, zur Einmütigkeit auf – ein zentrales Ideal der damaligen Zeit, das nicht nur politisch oder sozial, sondern auch spirituell gemeint war. In einer Epoche, die sich zunehmend mit den Gegensätzen der Welt konfrontiert sah, wurde concordia zur moralischen Maxime.


    Rores Musik bringt dieses Ideal in eindrucksvoll bewegter Polyphonie zum Ausdruck. Die Stimmen umkreisen einander in enger Imitation, verschmelzen und trennen sich wieder – als musikalisches Abbild einer Gemeinschaft, die durch Vielfalt zur Einheit findet. Der Schluss strahlt eine fast versöhnliche Helligkeit aus: Die Seelen sollen sich einen, nicht in Zwang, sondern in freier, freudiger Harmonie.


    Lateinischer Text:


    "Concordes adhibete animos,

    cives, et pacem pectoribus date:

    hoc maximum est virtutis opus,

    hoc summae benevolentiae documentum est."


    Deutsche Übersetzung:


    "Vereint eure Geister in Einklang,

    ihr Bürger, und gebt Frieden euren Herzen:

    das ist das höchste Werk der Tugend,

    das ist das wahre Zeichen tiefster Wohlgesinnung."


    Cipriano de Rore war der direkte Nachfolger Adrian Willaerts als Kapellmeister von San Marco in Venedig. Die persönliche wie künstlerische Verbindung zwischen den beiden war eng.


    Nach Willaerts Tod im Jahr 1562 scheint Rore zu seinem Gedächtnis diese Motette komponiert zu haben – oder zumindest wurde sie später so verstanden und überliefert.


    Der Titel "Concordes adhibete animos" (Vereint eure Geister in Einklang) ist in diesem Kontext mehr als ein moralischer Appell: Er ruft zur Eintracht im Angesicht des Todes, zur Sammlung der Lebenden um das Andenken an einen großen Lehrer.


    Damit steht das Werk in der Tradition der „déplorations“, wie sie etwa Josquin selbst auf den Tod Ockeghems ("Nymphes des bois"), oder Gombert auf den Tod von Clément Janequin geschrieben haben.


    Adrian Willaert: Missa "Mente tota"

  • Dragonetto Bonifazi, auch bekannt als Bonifacio, lebte und wirkte im 14. Jahrhundert, genauer gesagt etwa von 1320 bis 1380 [...]

    Bonifazi war Teil dieser musikalischen Bewegung und trug zur Entstehung und Verbreitung neuer Kompositionstechniken bei. Er starb keineswegs im Alter von 26 Jahren!

    Korrekturen zu einigen Angaben in Betrag # 8 (leider sind die Quellen nur in italienischer Sprache). Folgende Angaben stimmen nicht:


    Dragonetto war kein Musiker, der zur Entstehung und Verbreitung neuer Kompositionstechniken beitrug, sondern Dichter. Er lebte nicht im 14. Jahrhundert sondern im 16. Jahrhundert und starb mit 26 Jahren.

    Die italienische Enzyklopädie TRECCANI gibt Auskunft zu

    Dragonetto Bonifacio, Dichter

    Roberto Dragonetto (Vater von Dragonetto)

    Giovanni Bernardino Bonifacio (Bruder von Dragonetto)


    Einfach die Namen auf der Website unten eingeben

    https://www.treccani.it/


    Dazu noch ein Wikipedia-Eintrag zu

    Carmosina Bonifacio (Tochter von Dragonetto)

    https://it.m.wikipedia.org/wik…_Bonifacio_a_Regina_Coeli


    Genealogische Hinweise

    https://www.nobili-napoletani.it/Bonifacio.htm

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo