Adrian Willaert (um 1490 – 7. Dezember 1562) zählt zu den prägenden Gestalten der europäischen Musikgeschichte des 16. Jahrhunderts. Als Begründer der Venezianischen Schule und langjähriger Kapellmeister von San Marco in Venedig hinterließ er ein Werk von großer stilistischer Breite und nachhaltiger Wirkung.
Seine Herkunft liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Umgebung von Roeselare (heute Belgien), genauer im Ortsteil Rumbeke. Andere Angaben, etwa Brügge als Geburtsort, gelten heute als weniger wahrscheinlich.
Gesichert ist hingegen sein früher Aufenthalt in Paris um 1510, wo er ursprünglich Rechtswissenschaften studieren wollte, sich dann jedoch ganz der Musik zuwandte. Dort wurde er Schüler des renommierten Jean Mouton (um 1459–1522), der zur führenden Komponistengeneration an der Kapelle des französischen Königs Ludwig XII. (1462–1515) gehörte. Der Einfluss Moutons auf den jungen Willaert zeigt sich in zahlreichen stilistischen Gemeinsamkeiten, insbesondere in der kontrapunktischen Dichte und dem ausgeprägten Formenbewusstsein.
Ein entscheidender Wendepunkt in Willaerts Laufbahn war seine Berufung durch Kardinal Ippolito I. d’Este (1479–1520), der ihn 1515 als Sänger und später als Kapellmeister in seine Dienste nahm. Gemeinsam reisten sie nach Rom und anschließend nach Ungarn, wo der Kardinal ein Bistum innehatte. Nach dessen plötzlichem Tod am 3. September 1520 wechselte Willaert an den Hof von Alfonso I. d’Este (1476–1534), dem Herzog von Ferrara, und ab 1525 diente er dessen Sohn Ippolito II. d’Este (1509–1572), einem einflussreichen Kirchenfürsten und Kunstmäzen.
Im Jahr 1527 erfolgte die Ernennung Willaerts zum maestro di cappella an der Basilica di San Marco in Venedig, einer der prestigeträchtigsten musikalischen Positionen Europas. Diese Berufung, an der auch der Doge Andrea Gritti (1455–1538) mitwirkte, markierte den Beginn einer mehr als drei Jahrzehnte währenden Amtszeit, in der Willaert das musikalische Profil Venedigs maßgeblich prägte. Unter seiner Leitung wurde San Marco zu einem Zentrum musikalischer Innovation, insbesondere der Mehrchörigkeit, die durch die besondere Architektur der Kirche – mit zwei sich gegenüberliegenden Emporen – begünstigt wurde. Zwar war die Idee des antiphonalen Chorgesangs nicht neu, doch gelang Willaert als Erstem eine systematische Anwendung, die Vorbildwirkung entfaltete. Werke wie seine „Salmi spezzati“ (1550) begründeten eine neue Ästhetik des Raumklangs, die von Schülern wie Gioseffo Zarlino (1517–1590), Andrea Gabrieli (um 1532–1585) und Cipriano de Rore (um 1515–1565) weiterentwickelt wurde.
Willaerts Werk ist nahezu enzyklopädisch in seiner Gattungsvielfalt: Zehn Messen – fast durchgehend Parodiemessen –, über 150 Motetten, mehr als 70 italienische Madrigale, etwa 60 französische Chansons, zahlreiche Hymnen, Psalmen und Ricercari bilden ein Œuvre von außerordentlicher Dichte und Qualität. Besonders hervorgehoben wird in der Forschung die Sammlung „Musica Nova“ (1559), die nicht nur durch ihre ambitionierten siebenstimmigen Motetten mit kunstvollen Kanons beeindruckt, sondern auch durch ihre textbezogene Deklamation und ihre strukturelle Raffinesse.
Im weltlichen Bereich profilierte sich Willaert vor allem mit Madrigalen auf Texte von Francesco Petrarca (1304–1374), deren musikalische Gestalt von einer subtilen Durcharbeitung zeugt. Er war einer der ersten Komponisten, der in dieser Gattung systematisch Textausdeutung (madrigalismo) praktizierte – ein Prinzip, das später in der „Seconda prattica“ kulminierte. Ein frühes Beispiel für seine kühne Harmonik ist die Komposition „Quid non ebrietas?“, die durch den Einsatz chromatischer Enharmonik und ungewöhnlicher Stimmführungen bereits theoretische Diskussionen unter Musikgelehrten wie Giovanni Spataro (1458–1541), Pietro Aaron (ca. 1480–nach 1545) und Giovanni Maria Artusi (ca. 1540–1613) auslöste.
Willaerts Bedeutung als Lehrer kann kaum überschätzt werden. Neben den bereits genannten Schülern war auch Costanzo Porta (um 1529–1601) von seinem Unterricht geprägt. Selbst Orlando di Lasso (1532–1594) lässt in seinen Werken eine stilistische Nähe erkennen, obwohl keine direkte Schüler-Lehrer-Beziehung nachgewiesen ist. Die von Willaert begründete venezianische Tradition wirkte weit über sein Leben hinaus und beeinflusste entscheidend den Übergang zur Musik des Frühbarocks.
Adrian Willaert starb am 7. Dezember 1562 in Venedig. In seinen letzten Lebensjahren war er zunehmend von Krankheit gezeichnet. Noch zu Lebzeiten wurde er in seiner Funktion als Kapellmeister von Francesco Viola († nach 1568) vertreten; nach seinem Tod folgte ihm Cipriano de Rore im Amt.
Zwar ist der genaue Begräbnisort Adrian Willaerts nicht überliefert, doch spricht manches für die Kirche San Giovanni in Bragora in Venedig als mögliche Ruhestätte.
Diese Kirche, unweit der Markusbasilika gelegen, war traditionell mit dem musikalischen Leben der Stadt verbunden und diente mehreren Mitgliedern der Markuskapelle als Begräbnisstätte. Als langjähriger maestro di cappella von San Marco könnte Willaert in San Giovanni in Bragora beigesetzt worden sein – einem Ort, der für verdiente Musiker eine ehrenvolle letzte Ruhe bot.
Die Kirche beherbergte auch das (heute nicht mehr erhaltene) Grab von Baldassare Galuppi (1706–1785), einem weiteren herausragenden maestro di cappella der Markuskirche.
Hinzu kommt, dass die Bruderschaft von San Marco, der viele Musiker der Kapelle angehörten, enge religiöse und soziale Bindungen zu bestimmten venezianischen Kirchen unterhielt – insbesondere zu jenen, die im engeren Umfeld der Basilika lagen. In solchen Kirchen fanden Mitglieder der Bruderschaft oft ihre letzte Ruhestätte, was die Vermutung einer Beisetzung Willaerts in San Giovanni in Bragora zusätzlich stützt.