Vaughan Williams (1872 - 1958)


  • Wie schon angekündigt, mache ich hier einen Vaughan Williams Thread auf. Es gibt aber bereits einen ( kurzen) Thread im Forum "Instrumentale Aufnahmen" zu den Sinfonien aber auch zu anderen Werken, in den man auch noch einmal hineinschauen sollte und zu dem ich dann hier noch mal einen Link setze:


    http://www.tamino-klassikforum.at/thread.php?threadid=578



    Ich schätze Vaughan Williams sehr. Im Mittelpunkt stehen für mich natürlich seine Sinfonien. Hier habe ich die Aufnahmen mit Handley, die mir sehr gut gefallen.



    Ich habe aber auch ein paar Aufnahmen aus der Naxosserie mit Kees Bakels, die ich auch ausgezeichnet finde.


    Dann schätze ich sehr folgende CD mit verschiedenen Werken Vaughan Williams. Es handelt sich um eine CD von Collins mit dem Concert of London unter Robert Haydon Clark mit dem Oboenkonzert, "The Lark ascending", der Tallisphantasie, und der Greensleavesphantasie ( ich finde leider Gottes kein Bild im Internet). Eine sehr schöne CD. Sie hat noch den Einfall, das Gedicht zu "The Lark ascending" vor dem Stück höchst stimmungsvoll rezitieren zu lassen. "Dives and Lazarus", ein sehr schönes Werk, kenne ich von einer empfehlenswerten Naxos CD "English string music".


    Dann habe ich schließlich noch die Streichquartette Vaughan Williams ( ebenfalls Naxos).



    Nun aber zur Sache. Ich habe, bevor ich diesen Thread eröffnet habe, mit Schrecken festgestellt, daß ich Vaughan Williams schon lange nicht mehr gehört habe. Woran liegt das? Hat Vaughan Williams vielleicht doch nicht die Qualitäten, einen auf Dauer zu fesseln?


    Ich gebe auch zu, daß es gerade bei den Sinfonien deutliche Abstufungen in der Beliebtheit der einzelnen Sinfonien gibt. Meine Lieblingssinfonien sind 1, 2, 3 und 5. Die 6. Sinfonie fesselte mich dann schon weniger, obwohl ich sie auch gut finde. Mit den späten Sinfonien habe ich mich weniger beschäftigt. Die 7. Sinfonie mag farbig sein, aber an die frühen Sinfonien reicht sie nicht heran ( wobei Ursache meiner Geringschätzung auch die Tatsache sein mag, daß er in ihr die Filmmusik zum Antarktisfilm verarbeitet hat). Die 8. Sinfonie machte auf mich einen ganz guten Eindruck, ich müßte sie noch mal hören, aber irgendwie fehlte für mich der Reiz, mich tiefer mit ihr zu beschäftigen. Die 9. machte beim Hören auf mich den Eindruck "anonymer musikalischer Ideen". Die 4. liegt für mich am Ende der Beliebtheitsskala, obwohl ich sie mehrfach hörte, wußte ich mit ihr einfach nicht viel anzufangen.


    Die Streichquartette und die anderen Werke möchte ich unbedingt noch mal hören.


    Nun mögen Beliebtheitsskalen ( und schon gar nicht meine) nicht Ausdruck musikalischer Qualitäten sein. Man mag ja auch für eine gewisse Musik auch einfach keine "Antenne" haben. Ich werde mich hüten, die 4. und 9. abzuwerten, nur wollen sie mir bis heute nicht gefallen.


    Jedenfalls erhoffe ich mir von diesem Thread Anregungen, Vaughan Williams mal wieder zu hören, vielleicht auch gerade jene Sachen, zu denen ich bisher noch keinen Draht gefunden habe, und vielleicht auch Anregungen, was es möglicherweise noch für großartige Musik von Vaughan Williams gibt, die mir noch gar nicht bekannt ist.


    Gruß Martin

  • Lustig: Ausgerechnet die von Dir wenig geliebte Vierte war für mich das Schlüsselerlebnis.
    Ich kannte von Vaughan Williams nur ein paar kleinere Werke und stufte ihn als einen jener typisch anglo-irischen Pastoral-Romantiker ein, für die ich mich nicht so unbedingt erwärmen kann, weil sie für mich alle sehr ähnlich klingen.
    Dann hörte ich in London die Vierte live - und ich war wie erschlagen: Da gab es also doch einen englischen Expressionisten! (Ich kannte damals die späten Werke von Frank Bridge noch nicht!)
    Also nahm ich als Reiseandenken neben einem Fässchen Stilton die Gesamtaufnahme der Symphonien mit - damals noch auf Schallplatten und dirigiert von Adrian Boult.


    Wie geht's mir nun heute mit Vaughan Williams? Ich gebe ganz ehrlich zu, dass ich einige Orchesterwerke nicht ertrage, weil sie für mich der reine Kitsch sind: "Lark ascending" etwa oder die Zweite Symphonie mit ihrer London-Glorifizierung inklusive Big-Ben-Geläut - das ist mir dann einfach zuviel.


    Gehalten in meiner Wertschätzung hat die Vierte, die Sechste und die Neunte. Vier und Sechs, weil sie eine Sprache sprechen, die man in solcher Heftigkeit in Großbritannien nicht erwarten würde. Und die Neunte, weil sie - wie Du richtig schreibst - uncharakteristisches Material verwendet; das aber auf sehr charakteristische Weise: Aus den scheinbar simplen Tonfolgen kann alles werden, und dann reduziert sich die Wucherung doch wieder auf eine belanglose Floskel. Dazu steuert ein Flügelhorn hie und da grotske Wendungen bei, und wenn im Scherzo der Geistertrommler über die Ebene streift, ist das jene Art Totentanz, bei dem es mir, nun, nicht kalt, aber doch kühler wird.


    Vaughan Williams schrieb übrigens auch Opern, von denen ich ein paar nennen will: "Hugh the Drover" ist eine nette Volksoper, die unter einem völlig belanglosen Libretto ernsthaft leidet.
    "Sir John in Love" ist ein "Falstaff", der ganz anders ist als der Verdis: Vaughan Williams schreibt keine feinsinnige Komödie, sondern ein mitunter recht deftiges Spiel mit einer Fülle englischer Volkslieder, darunter auch "Greensleeves", die er reizvoll instrumentiert und mit modal eingefärbter Harmonik begleitet. Und wenn's um Liebe geht oder auch den Zauber der Natur, dann rauscht's richtig auf, ohne kitschig zu werden.
    Problematischer ist die Mysterienoper "A Pilgrim's Progress": Da passiert Vaughan Williams etwas, das auch anderen Komponisten unterläuft: Die teuflischen Machenschaften, Sex und andere Sünden (wir sind im Mittelalter!!!), sind fabelhaft, bunt und kurzweilig, aber der Himmel ist eine stinkfade Angelegenheit!
    Mein Favorit ist aber die sehr kurze Oper "Riders to the Sea" nach John Millington Synge: Eine Mutter hat alle Söhne durch Unfälle auf See verloren. Als der jüngste eine Reise zu Wasser antreten will, nötigt ihn die Mutter, den Landweg zu wählen. Der führt an einer Klippe vorbei, und im Sturm wird der Sohn von einer Welle verschlungen. Wenn die Mutter in völliger Ruhe den Tod des Sohnes besingt, ist das unvergleichlich. Dazu verwendet Vaughan-Williams im Orchester einen wortlosen Frauenchor, der vielleicht die Stimme des Meeres ist oder vielleicht die von Klageweibern. Naturschilderung, menschliche Tragödie und wirklich fast antike Größe gehen hier eine einzigartige Verbindung ein. Am Ende bricht die ganze Musik weg und es bleibt nur das Heulen des Windes. Insgesamt knapp 40 Minuten Musik, mich mit staunend offenem Mund und Tränen in den Augen zurückgelassen haben.


    Dass es von dem sehr produktiven Vaughan-Williams auch einige reizvolle Chorwerke, etwa die Weihnachtskantate "Hodie", gibt, möchte ich am Rande erwähnen.


    Was für den Charakter von Vaughan Williams ein weniger schönes Zeugnis ablegt: Im Zweiten Weltkrieg war er Leiter einer Kommission, die bestimmte, ob junge Musiker und Komponisten zum Militärdienst eingezogen werden sollten. Michael Tippett, der als Pazifist den Militärdienst verweigerte, sollte eingezogen werden, verweigerte weiterhin und wurde von der Kommission unter Vaughan Williams' Leitung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.
    Legendär ist auch die gegenseitige Abneigung zwischen Vaughan Williams und Britten: Während Britten musikalisch-sachliche Argumente anführte, sprachen Vaughan Williams und auch Walton stets von der "schwulen Verschwörung", die Britten zum Erfolgt verhalf.
    Was wieder einmal zeigt, dass große Komponisten nicht zwangsläufig auch tadellose Charaktere sind.

    ...

  • Hallo Edwin,


    na wenigstens haben wir dann mit der 6. Sinfonie ein Werk, in dessen Wertschätzung wir einigermaßen übereinstimmen.


    Heute habe ich noch mal in die Kammermusik CD hereingehört, sie zur Hälfte durchgehört, aber dann fand ich sie einfach zu langweilig. Das mit dem "typisch anglo-irischen Pastoral-Romantiker" mag in Bezug auf diese Werke auch wirklich stimmen. Der Klappentext spricht von "heiterer Schönheit", aber mich haben sie einfach enttäuscht. Ich werde mir den Rest der CD dann wohl noch mal anhören, aber dann zur Seite legen. Ich hatte sie mir schon einmal angehört und fand sie gefällig, "schön", aber völlig uncharakteristisch und bei diesem Urteil ist es beim Wiederhören auch geblieben. Na ja, vielleicht kann man sie sich mal als Hintergrundmusik zu einer schönen Tasse Tee auflegen ( den Malcolm Arnold fand ich, um bei den Engländern zu bleiben, mit seiner Kammermusik viel besser, und das Klavierquintett von Elgar gehört für mich zu den absoluten Lieblingswerken der Kammermusik).


    Ich gebe auch zu, daß gerade die 3. Sinfonie die Geduld doch auf eine arge Probe stellt. Trotzdem fand ich diese Geduld aufzubringen lohnenswert. Ich fand diese Musik schön, aber ich werde mein Urteil vor dem Hintergrund meiner Kammermusikerfahrung noch einmal überprüfen.


    Die 5. Sinfonie ist aber ein wirklich schönes und eindrucksvolles Werk. Nur wußte ich beim gestrigen Wiederhören nicht, ob dieses Werk wirklich über alle Strecken diese Höhe hält. Beim Scherzo zum Beispiel hatte ich nicht diesen Eindruck. Trotzdem hat mich dieses Werk immer sehr berührt.


    Ich glaube nicht, daß das ruhig pastorale immer gleich klingt. Ich finde Vaughan Williams in dieser ruhigen Pastoralität eigentlich meist sehr schön und auch charakteristisch. Aber ich müßte hier vieles wieder hören um mein damaliges Geschmacksurteil noch mal zu überprüfen.


    Bezüglich dessen was Kitsch ist, werden wir uns vermutlich nie einig werden. Den Eindruck von Kitsch habe ich bei Vaughan Williams nie gehabt ( auch nicht in Bezug auf "The Lark ascending"). Allerdings wohl schon den einer aus deutscher oder österreichischer Sicht "gewagten" Spannungsarmut, während dies im britischen Kontext vermutlich nicht gewagt, sondern möglicherweise sogar gewünscht ist. In Bezug auf Kitsch trifft der Vorwurf bei gewissen Nebenwerken von Elgar ( hab da so eine Arte Nova CD mit allerlei Elgarschen Petitessen) viel mehr. Was natürlich nicht heißt, daß Elgar kein toller Komponist wäre, aber es gibt da einiges von ihm, da trieft es regelrecht. Manche Sachen waren da wirklich "schlimm".


    Na ja, "Big Ben". Man kann dies mit den Glocken von Big Ben natürlich belächeln, aber insgesamt gehört die 2. Sinfonie von Vaughan Williams zu den Werken, mit denen ich am wenigsten Schwierigkeiten gehabt habe und die ich einfach von vorne bis hinten gerne gehört habe. Das wäre für mich das Werk, das ich dem Einsteiger empfehlen würde. Ich werde mein Urteil noch mal überprüfen, ob hier eine Geschmacksverirrung von meiner Seite aus vorliegt, was ich mir ehrlich gesagt aber nicht vorstellen kann.


    Und dann gibt es natürlich noch die erste unfangreichste, die "Sea symphony". Höchst stimmungsvoll das Bild des Meeres einfangend, ist das eine ähnlich monumentale Chorsinfonie wie Mahlers 8., wenn auch sicher nicht auf diesem Niveau. Aber mir hat sie sehr gefallen.


    Aber vielen Dank bezüglich Deiner Tips in Bezug auf die Opern. Und was Du mir da an Biographischem über Vaughan Willams mitzuteilen hast, ist natürlich menschlich höchst enttäuschend.


    Gruß Martin

  • Hallo Martin, hallo Edwin,


    wie schön, endlich ein neuer Thread zu einem meiner liebsten Komponisten.


    Für mich entdeckt habe ich Vaughan Williams relativ früh in meiner Klassik-"Laufbahn" (Mitte der 80-er). Es war die Symphonie Nr. 7 "Sinfonia Antartica" in der Haitink-Aufnahme (damals noch auf LP), die mich vollkommen in ihren Bann zog. Und nach erstmaligem Anhören war mir recht schnell klar, daß ich mir auch die restlichen acht Symphonien unbedingt zulegen mußte. So kaufte ich die Gesamtaufnahme von Sir Adrian Boult, bei manchen Symphonien weitere Einzel-LPs / -CDs und lernte sie nach und nach kennen und lieben. Dabei hatte jede einzelne Symphonie ihren ganz eigenen Reiz, ihre Besonderheiten. Auf der einen Seite beeindruckten mich wie Dich, Edwin, die Kraft, Härte und die dissonanten Klänge der Vierten und Sechsten, auf der anderen Seite betörte mich die Idylle der pastoralen Symphonien, insbesondere die wunderschönen hymnischen Gesänge in der Ersten, der "Sea Symphony", (die ja im Grunde genommen eine Kantate ist; Texte von Walt Whitman). Und eben diese Erste ist es, die sich bis heute als meine Lieblingssymphonie herauskristallisiert hat. Hier klingt Vaughan Williams' Musik für mich am ehrlichsten und am tiefsten empfunden. Trotz der großen Steigerungen und der ungeheuren Bombast-Stellen hat sie nichts Aufgesetztes oder Manieriertes. Ein ungutes Gefühl bezüglich Aufgesetztheit beschleicht mich allerdings heute manchmal beim Anhören der beiden modernsten Symphonien IV und VI. :stumm:


    Ein weiteres Gebiet, das mich gleichermaßen von Anfang an bei Vaughan Williams fesselte, waren die von Dir, lieber Edwin, zur Nebensache erklärten Chorwerke des Komponisten. Gerade bei Klassik-Liebhabern aus dem deutschsprachigen Raum, die sich für Vaughan Williams interessierten, habe ich dieses Phänomen immer wieder beobachtet: die Symphonien und Orchesterwerke werden mehr oder weniger interessiert zur Kenntnis genommen, gleichzeitig jedoch das in meinen Augen wichtigere Vokalwerk (Lieder, Chorwerke und Opern) des Komponisten komplett außer Acht gelassen.


    Schaut man sich den vollständigen Werkkatalog von RVW an (ein von mir erstelltes Werkverzeichnis ist auf der 'Klassika'-Website anzusehen), fällt zunächst auf, daß der äußerst produktive Brite weitaus mehr Werke für Chor geschrieben hat als für irgend eine andere Besetzung.
    Wichtig zu wissen ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß VW (ähnlich wie Bartók und Kodály für Ungarn und Rumänien) englische Volksweisen sammelte und zumeist für Chor a capella arrangierte. In dem Thread: 'Chor-Aufnahmen - - - Welche sind zu empfehlen ?' habe ich vor einiger Zeit eine herausragende Veröffentlichung von Hyperion bezüglich dieses Repertoires besprochen.


    Vaughan Williams ( 1872-1958 ): Over Hill, Over Dale - Partsongs, Folksongs and Shakespeare Settings
    Ian Bostridge, Tenor; Michael George, Baß; Holst Singers, Stephen Layton
    Aufnahme: London, 02/1995
    Hyperion CDA 66 777



    Chor-Aufnahmen - - - Welche sind zu empfehlen ?


    und möchte sie hiermit den interessierten Lesern nochmals ans Herz legen:




    Aber nicht nur bei den von VW für Chor arrangierten Stücken, sondern auch bei den von ihm komponierten Oratorien und Kantaten gibt es viel Schönes zu entdecken.


    Den Hörern, die eine Vorliebe für das größer dimensionierte Chor-Orchester-Repertoire mit dramatischen Effekten haben, seien folgende beide Werke anempfohlen:


    Sancta Civitas - Oratorium für Tenor, Bariton, Halbchor, Fernchor, gem. Chor, Orgel und Orch. 1923-25
    Dona Nobis Pacem - Kantate für Sopran, Bariton, gemischten Chor und Orchester 1936




    Die Liebhaber der leiseren Töne werden ihren Gefallen an diesen Werken finden:


    Five Mystical Songs für Bariton, gemischten Chor und Orchester 1906-11
    Serenade to Music für 4 Soli, gemischten Chor und Orchester 1938
    Flos Campi - Suite für Viola, kleinen gemischten Chor (textlos) und Kammerorchester 1925
    An Oxford Elegy für Sprecher, kleinen gemischten Chor und Kammerorchester 1947-49


    Vor allem 'An Oxford Elegy' hat es mir besonders angetan. VW zeichnet hier eine ruhige, sommerliche, ja ätherische Atmosphäre, wie sie vielen Chor- und Orchesterwerken von Frederick Delius (1862-1934) zueigen ist.




    Und hier möchte ich noch etwas zu VWs wichgstem Projekt, der Morality-Oper 'The Pilgrim's Progress' sagen, das Edwin teilweise als problematisch und fade charakterisierte.


    Dem Komponisten muß wohl schon einiges an dem Stoff gelegen haben, daß er sich immer wieder und über einen so langen Zeitraum von ca. 30 Jahren damit beschäftigt hat:
    Angefangen hat VW mit der einaktigen pastoralen Episode 'The Shepherds of the Delectable Mountains' (komponiert 1921/22), die er später in den 4. Akt als Szene 2 von 'The Pilgrim's Progress' einarbeitete. Der Schaffensprozeß von 'The Pilgrim's Progress' erstreckte sich dann (mit Unterbrechungen) von 1921-49 (letztmals revidiert wurde das Werk 1951/52). Außerdem erstellte er noch eine Hörspielfassung (mit Sprechern, Sopran, Chor und Orchester) im Jahr 1942.


    Für mich entfaltet der Komponist gerade in den meditativen Szenen, die die himmlische Sphäre charakterisieren (Akt I, Szene 2: The House Beautiful & Nocturne; Akt IV, Szene 2: The Delectable Mountains), eine Harmonie, eine innere Ruhe und tiefen Frieden, wie ich das bisher von keinem anderen Komponisten des 20. Jahrhunderts erlebt habe.
    Wichtig zu erwähnen, daß sich diese ergreifende Atmosphäre nur in der exzellenten Einspielung von Sir Adrian Boult aus dem Jahr 1972 mitteilt, sowohl durch das hoch sensible Dirigat als auch wegen der hervorragend agierenden Solisten, z. B. John Noble als Pilgrim, John Carol Case als Evangelist, in weiteren Rollen: Sheila Armstrong, Ian Partridge, John Shirley-Quirk, Robert Lloyd u. a.



    Die neuere Aufnahme von Richard Hickox auf Chandos vermag diesen Eindruck nicht zu vermitteln!



    Und auch bei den Liedern gibt es wunderschöne Schätze zu entdecken, insbesondere:


    On Wenlock Edge - Liederzyklus für Tenor und Orchester 1923
    Songs of Travel - Liederzyklus für Singstimme und Orchester 1901/04
    (U. a. der 7. Song 'Whither must I wander? ist einfach göttlich und zutiefst anrührend!)




    Schöne Grüße
    Johannes

  • VW gehört - neben Bax, Finzi, Foulds, Howells und etlichen anderen brit. Komponisten - zu den wenigen Überlebenden meiner ersten Klassikphase. Heute wie damals sind es die kammermusikalischen und kleineren Chorwerke, die mich am meisten anziehen. Bestimmte Orchesterwerke wie zB die Norfolk Rhapsodies, Lark Ascending, In the Fen Country, stehen ebenfalls bei mir hoch im Kurs. Die Symphonien treten eher zurück, noch vor der 2. und 7. nimmt die Pastoral Symphony (Nr.3) den Spitzenplatz bei den Symphonien ein, und zwar diese Aufnahme:



    Der Klangbombast in den moderneren Symphonien läßt mich dagegen kalt.


    "Heitere Schönheit" ist leider heute nur zu oft verpönt und wird gern mit Kitsch verwechselt :D Aber das ist allgemein ein Problem des modernen Kunstverständnisses, denke ich. :beatnik: .


    Angesichts der lebendigen und sehr starken Chorbewegung in England mit ihrer langen Tradition nimmt es nicht Wunder, wenn so viele brit. Komponisten zahlreiche Chorwerke geschrieben haben. Wer - da pflichte ich Guercoeur in vollem Umfange bei - VW beurteilen können will, muß sich zumindest mit den Corwerken auseinandergesetzt haben.


    "Was für den Charakter von Vaughan Williams ein weniger schönes Zeugnis ablegt: Im Zweiten Weltkrieg war er Leiter einer Kommission, die bestimmte, ob junge Musiker und Komponisten zum Militärdienst eingezogen werden sollten. Michael Tippett, der als Pazifist den Militärdienst verweigerte, sollte eingezogen werden, verweigerte weiterhin und wurde von der Kommission unter Vaughan Williams' Leitung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt."


    Diesen Ablauf bezweifle ich sehr stark, Fundstelle? Selbst im Kriege wurden in England Gefängnisstrafen immer noch von einem Gericht ausgesprochen und nicht von einer Musikerkommission. Und das Gericht hat sich die Haftstrafe mit Sicherheit nicht aus den Fingern gesaugt, sondern das Gesetz angewandt. Vom demokratisch gewählten Parlament beschlossen, in Kriegszeiten verschärft und angewandt. Das spricht überhaupt nicht gegen den Charakter von VW, eher gegen den von Tippett, der es den anderen Bürgern seines Landes überließ, im Krieg gegen D, I und J ihre Haut zu Markte zu tragen, damit er zu Hause ohne persönliches Risiko den Pazifisten spielen konnte.

  • Hallo Guercoeur!
    Kleines Missverständnis: Ich habe die Chorwerke nicht als Nebensache abgetan. Ich fand nur mein Posting ohnedies schon zu lang, um noch von den von mir so heiß geliebten "Tudor-Portraits" zu schwärmen - und eben von "Hodie". Aber Du hast die Bedeutung der Chorwerke so klar umrissen, also kann ich mir das Tippen sparen.


    Bei der "Sea Symphony" erkläre ich mich für unzuständig. Ich weiß, Ihr werdet jetzt die virtuellen Steine aufklauben und sie auf mich werfen... Mein Problem, warum nur mag ich das Stück nicht?


    Also - und das hängt jetzt überhaupt nicht mit der Musik zusammen, sondern nur mit meinen saublöden Assoziationen: Ich höre das Werk, finde die Musik fabelhaft, die hymnischen Chöre und Soli, allein das Aufrauschen am Anfang. Grandios!
    Aber wenn ich diese Musik höre, sehe ich vor meinem geistigen Auge eine grüne Wiese mit grasenden Schafen, eventuell mit einer dieser grandiosen englischen Kathedralen wie Salisbury - aber ich sehe kein Meer, weder ein ruhiges noch ein sturmgepeitschtes noch eines von Schiffen durchpflügtes. Vaughan Williams schafft es nicht, MIR (wie gesagt: völlig subjektiv) die Salzwasser-Atmosphäre zu suggerieren.
    Meine Meeres-Musiken sind Debussys "La Mer" und Brittens "Billy Budd", während sein "Peter Grimes" für mich nach Küste und Brackwasser klingt. Ich weiß, wie total subjektiv das ist, und man hat mir für diese Behauptung schon so oft den Vogel gezeigt, dass ich ehrlich enttäuscht wäre, wenn es hier im Forum anders kommt.
    Aber so ist's nun mal mit der "Sea Symphony" und mir.


    Völlig richtig ist der Hinweis auf die Boult-Aufnahme des "Pilgrims Progress", Hickox ist zu gelackt, perfekte Digital-Technik ohne Tiefe.


    Zwei Werke von Vaughan Williams sind noch nicht erwähnt worden, die ich beide sehr schätze. Das eine ist "Job" nach den Hiob-Bildern von William Blake: Das Werk ist kein Ballett, zu dieser Musik kann niemand tanzen (andererseits vertanzt man auch Mahlers "Kindertotenlieder"...), ich würde sagen: Eine Pantomime. Die Musik hat Stellen von der aggressiven Härte der Vierten, aber auch Abschnitte von hymnischer Schönheit - aber Vaughan Williams verbindet die disparaten Elemente durch seinen Personalstil und schafft ein wirklich grandioses Orchesterwerk, das für mich zahlreiche seiner Symphonien an Kraft und Schönheit weit übertrifft.


    Das andere ist ein ganz seltsames Klavierkonzert: Da Vaughan Williams dem Gehämmer des Klaviers immer wieder das volle Orchester entgegenwirft, hatte kaum ein Pianist Kraft genug, es zu spielen. Also fertigte Vaughan Williams ein Arrangement für zwei Klaviere und Orchester an - und in dieser fassung hat dieses wild bewegte Werk noch mehr den Charakter eines rauschhaften Klangexzesses. Weder "Job" noch das Konzert zählen zu den viel gespielten Werken, aber ich finde, wer sie nicht kennt, versäumt zwei der faszinierendsten Stücke der (nach-)viktorianischen englischen Musik.


    @Robert,
    "Fundstelle" etwa in Merion Bowens Tippett-Biographie, von Tippett mir gegenüber in einem Gespräch 1985 bestätigt. Ich nehme in Ermangelung von Kenntnissen der Britischen Rechtsprechung an, dass die Haftstrafe von einem Gericht auf Vorschlag der Kommission ausgesprochen wurde.

    Tippetts "miesen" Charakter kann ich nicht orten: Er hätte es sich einfach machen können und, wie viele andere Komponisten, seine Fähigkeiten in den Dienst des Militärs stellen können. Da Tippett jeden Dienst für eine Gewalt ausübende Institution ablehnte, verweigerte er auch das - im Bewusstsein im Gefängnis zu landen.

    ...

  • Lieber Edwin,


    niemand bewirft Dich wegen Deiner "blöden Assziationen" bei der Sea Symphony mit virtuellen Steinen. Nur ein bißchen verwundert bin ich doch schon.


    Zunächst einmal muß für mich Musik immer zunächst einmal als absolute Musik wirken. Ich bin jemand der vollkommen von der absoluten Musik kommt, in meinem Interesse an der klassischen Musik hat von Anfang an die absolute Musik dominiert.


    Jedoch kann ich Deine Assoziationen bei der Sea Symphony trotzdem nicht nachvollziehen. Nun sehe ich beim Hören von Sinfonien sowieso keine Bilder, Bilder von Schafen schon gar nicht. Deshalb interessiert mich das außermusikalische auch nur sekundär, als außermusikalische Überhöung, aber nicht als primäre Sinngebung.


    Daß die Sea Symphony das Meer eigentlich nicht gut einfängt, mag sogar sein. Aber Vaughan Williams war ja auch kein Seemann und vermutlich noch nicht einmal jemand, der am Meer und der Seefahrt irgendein großes Interesse hatte. Ich möchte mal behaupten, daß das, was ihn an der See interessiert hat, weit mehr die See als Symbol war. Ob da Vaughan Williams unfähig war die See zu schildern, ist eigentlich gar nicht interessant. Viel interessanter ist, wie er die See sieht, nämlich durchaus britisch. Die See ist für einen Briten ein Symbol von nationaler Größe, von Größe überhaupt, sie wird in diesem Werk zum kosmischen, ja religiösen überhöht.


    Ist das der "richtige" Ansatz die See zu sehen? Darum geht es nicht. Es geht ja letzlich immer nur um die individuelle Sichtweise, nur die ist interessant. Vielleicht hat mir als nicht Briten, aber immerhin doch Hamburger, das Werk schon deshalb mehr gesagt, weil ich eben aus einer Stadt mit einem riesigen Hafen komme ( dem größten europäischen Hafen neben Brügge), also einer Stadt, in der das Meer stets und immer und überall gegenwärtig ist. Trotzdem ist das Meer für einen Hamburger noch ein schönes Stückchen weg, er wird das Meer möglicherweise genauso wie ein Wiener auch nur in den Ferien sehen ( oder doch lieber in die österreichischen Berge fahren). Aber trotzdem besitzt das Meer für einen Hamburger eine Allgegenwart, die sich ein Wiener vermutlich nicht vorstellen kann. Das fängt dann schon damit, daß in Hamburg sehr viele Arbeitsplätze an der Seefahrt hängen ( wenn ich so etwas profanes mal erwähnen darf). Und die Allgegenwart des Meeres besteht für einen Briten sicherlich noch in einem höheren Maße als für einen Norddeutschen.


    Insofern mag nun die Sea Symphonie vermutlich schon das Werk einer "Landratte" sein( Landratte nennen die Seeleute die, die nicht zur See fahren). Aber es ist sicher auch nicht das Werk eines Wieners.


    Gruß Martin

  • Hallo Edwin,


    entschuldige bitte, daß ich Dich bezüglich der Chorwerke falsch verstanden hatte. Aber so ist's natürlich besser, wenn's nur 'n Mißverständnis war und Du auch diese Gattung des Komponisten schätzt.


    In Bezug auf die Masque 'Job' stimme ich Dir gleichfalls voll zu. Sowohl die großen, kraftvollen Ausbrüche des Orchesters (in manchen Passagen von der Orgel begleitet) als auch die wunderschönen lyrischen Stellen gehören zum besten, was VW geschrieben hat.
    Hier besitze ich zwar nur eine Einspielung - die mit dem London Philharmonic Orchestra unter Vernon Handley von 1983 - und habe deshalb keinen Vergleich, diese stellt mich jedoch vollstens zufrieden, interpretatorisch wie klangtechnisch.



    Oder welche würdest Du empfehlen?


    Schöne Grüße
    Johannes

  • Hallo Martin,
    jeder assoziiert anders. Mich faszinieren Meer und Häfen restlos. Kein Hamburg-Aufenthalt ohne Hafenrundfahrt! Und für so manche Seefahrt nahm ich schon in Kauf, dass ich Neptun opferte, auch wenn ich nicht gerade am Äquator oder am Polarkreis war.
    (Dafür mag ich keine Berge - es sei denn, sie säumen die norwegischen Fjorde. Schweres Schicksal für einen Österreicher, glaub es mir!)


    Wieso ich manche Meeresmusiken mit dem Meer gleichsetze und andere überhaupt nicht, weiß ich nicht. Wagners "Holländer" ist für mich Musik reinsten Salzwassers, wie gesagt auch Debussys "La mer" und Brittens "Billy"; die "Sea Pictures" von Elgar und "The Sea" des von mir hoch geschätzten Frank Bridge erzählen, wie für mich Vaughan Williams, von üppig grünen Wiesen mit Schafen. (Ich mag Schafe!)
    Keine Ahnung, weshalb das so ist.
    Und keine Ahnung, weshalb ich bei Vaughan Williams' Oper "Riders to the Sea" genau dieses Wiese-mit-Schafen-Gefühl nicht habe. Das klingt für mich schon nach aufgewühlter See und Duft nach angespültem Tang.


    Rein als absolute Musik genommen, ist die "Sea Symphony" eine beachtliche Leistung. Aber für mich wird sie von diversen anderen Chorwerken Vaughan Williams' übertroffen, nämlich von "Hodie" und "Sancta Civitas", wo ich das Gefühl habe, dass Vaughan Williams Klangpalette größer und sein Pinsel feiner ist.


    Hallo Guercoeur,
    ich kann dazu eigentlich nichts sagen, denn ich habe wiederum nur die Aufnahme unter Boult, die technisch sehr gut ist. Da mir aber der Vergleich fehlt, weiß ich nicht, ob die Höhepunkte bei Handley ähnlich eruptiv herauskommen und die Melodien mit ähnlicher Plastizität erstehen. Ich kann nur sagen, dass ich Handley durch andere Aufnahmen als einen profund arbeitenden und den Willen des Komponisten genau beachtenden Dirigenten kennen gelernt habe. Ich bin überzeugt, dass seine Aufnahme des "Job" ausgezeichnet ist. Abgesehen davon: Ich fürchte, den Boult gibt's gar nicht mehr.

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Ich bin überzeugt, dass seine Aufnahme des "Job" ausgezeichnet ist. Abgesehen davon: Ich fürchte, den Boult gibt's gar nicht mehr.


    Doch, den gibt es noch und zwar in einer großen VW - Box mit sämtlichen Symphonien und zahlreichen anderen Orchesterstücken, alle mit Boult am Pult. Zu haben bei cduniverse für US-$47.69 plus Porto. Bei Jot peh zeh habe ich jetzt nicht extra geschaut.

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  • Hallo,


    ein Williams-Kenner bin ich nicht, gut bekannt sind mir am ehesten die Streichquartette. Diese schätze ich allerdings nicht sonderlich, da ich nur wenig Gehalt und Substanz erkenne.


    Der erste sowie der dritte Satz des ersten Quartetts sind ganz schön, besonders im ersten Satz kommt bei mir dieses typische englische "Verminderte Septimengefühl" auf, wie auch besonders in den beiden ersten Sätzen des Phantasy-Quintetts.


    Wenngleich diese Werke mich nicht umhauen, habe ich dennoch etwas für die grundlegende Sprache des Komponisten übrig. Diese kann ich mir eher im Gewand eines Streichorchesters vorstellen, da sie für mich nach dichterer Klangfarbe ruft. Allerdings kenne ich die Orchesterwerke überhaupt nicht, aber aufgrund des Geschilderten in den bisherigen Beiträgen werde ich mich mal da hereinhören.


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Natürlich, ich bin ein Idiot, ich hab' die Box im Regal stehen! Ist eine der relativ preisgünstigen EMI-Boxen und sollte im Fachhandel eigentlich zu bekommen sein. Bei jpc kostet sie knapp 34 Euronen.

    ...

  • Habe mal, bevor das Buch in der Umzugskiste verschwindet, in Meinhard Sarembas Buch mit 12 brit. Komponistenporträts geblättert. Es enthält auch ein Kapitel über VW, Tippett und Britten.


    Laut Saremba hat Tippett ganze drei Monate Gefängnis erhalten, weil er als Pazifist selbst im Kriege den Wehrdienst verweigert hat, sonst aber den ganzen Krieg über unbehelligt gelebt und gearbeitet. VW hat überhaupt nichts mit seiner Verurteilung zu tun, er war lediglich Vorsitzender der Kommission, die prüfen sollte, inwieweit Musiker und Komponisten ihre Fähigkeit in den Dienst der Kriegsanstrengungen stellen konnten. Britten und Pears zB. (auch Pazifisten) haben ihre Mithilfe nicht verweigert und Konzerte usw gegeben. An die Front mußten sie nicht.


    Laut Saremba hat sich VW sogar für Tippett eingesetzt, um eine Verurteilung zu verhindern. Eine Fundstelle gibt er leider nicht an.

  • Ich kenne das Saremba-Buch und war über die besagte Stelle etwas verblüfft. Ich kann nur wiederholen, dass Tippett selbst mir gegenüber bestätigt hat, RVW sei einer derjenigen gewesen, die der Meinung waren, jeder Musiker sei auf die eine oder andere Weise kriegsdiensttauglich.
    Zu Britten selbst hatte ich nie persönlich Kontakt, wohl aber zu Personen aus seiner Umgebung. Wenn das Thema auf RVW kam, bestägten alle, dass ein Teil von Brittens Abneigung auf RVWs Haltung in der bewussten Kommission beruht habe.
    Obendrein soll RVW voreingenommen gewesen sein, weil Tippett, Britten und Pears in seinen Augen verweichlichte Homosexuelle waren, die man zu untergeordneten, die kompositorische Arbeit blockierenden Diensten (nicht an der Front, klarerweise) einziehen könne, während etwa der Kriegsdienst des heterosexuellen William Walton darin bestand, genau das zu tun, was er ohnedies tat, nämlich Musik für Filme zu komponieren.
    (Wobei Tippett als absoluter Pazifist zweifellos auch nicht Musik für Kriegsfilme komponiert hätte. Britten und Pears gaben meines Wissens nach vor allem Liederabende für rekonvaleszente Soldaten.)


    Es kann natürlich sein, dass diese Gefühle der Komponisten von Neid und Eifersucht beeinflusst waren und die Tatsachen eine andere Sprache sprechen.

    ...

  • Hallo, miteinander!


    Von Guercoeur (und anderen) hier und in anderen Threads bereits mehrmals genannt, von mir heute erstmals wahrgenommen:


    "Flos Campi", Suite für Viola, kleinen gemischten Chor und kleines Orchester, 1925


    Das eher an eine Fantasie erinnernde Werk hat sechs Abschnitte, denen lateinische Zitate aus dem Hohelied des Salomo vorangestellt sind. Natur ("Feldblume") und menschliches Empfinden bilden also den nur abstrakt (da nicht verbal) abgebildeten Wesenszug dieser klanglich äußerst aparten zwanzigminütigen Musik. Allein die Besetzung mit Solobratsche, einem bloßen Vokalisenchor und einer differenzierten Tutti-Gruppe ist denkbar ungewöhnlich.


    Der Charakter der Musik ist weitgehend lyrisch. Die Harmonik erinnert bisweilen an das zwei Jahrzehnte später entstandene Oboenkonzert oder die 5. Sinfonie, die ausgeprägten bitonalen Schärfen (vor allem gleich zu Beginn in einem zentralen Motiv zwischen Oboe und Soloviola, das weiterhin prägend erscheint) aber auch an die modernistisch kühne 4. Sinfonie.


    Kennengelernt habe ich die Komposition in der Gesamtaufnahme der Sinfonien mit dem Royal Liverpool Philharmonic Orchestra unter Leitung von Vernon Handley. Es singt außerdem der Royal Liverpool Choir, es spielt Christopher Balmer, Viola.


    Eine Einzelausgabe sieht so aus:



    Ich bin begeistert von diesem Werk! :angel:


    Besten Gruß, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Mitunter beginne ich zu zweifeln, wenn mir mal wieder ein solches Werk mit am besten gefälllt, daß erstaunlich unentdeckt vor sich hinschlummert. Dann kommt schon mal die Frage auf, ob man nicht "richtig" hört. Nun sehe ich erleichtert, daß es auch andere Begeisterte des "Balletts" Job gibt - ein Ballett, das in Diaghilews Augfen durchfiel, weil ihm der Stoff zu "englisch" erschien.


    Bereits die ersten Akkorde des Werkes sind von selten vollkommener lyrischer Schönheit.


    Ich kenne wiederum nur die Aufnahme mit der Northern English Philharmonia unter Lloyd-Jones und bin voll zufrieden:



    :hello:
    Wulf

  • Das Ballett kenne ich nur in dieser Einspielung:


    BBC Symphony Orchestra
    Andrew Davis



    Allerdings ist es nicht mein Lieblingswerk von RVW.


    Davidoff

    Verachtet mir die Meister nicht

  • Bislang kaum im Forum erwähnt wurde die 1929 uraufgeführte Oper "Sir John in Love", welche auf Shakespeares "Lustigen Weibern von Windsor" basiert und sich um Sir John Falstaff dreht.


    Die Einspielung unter Meredith Davies von 1974 darf als sehr gelungen gelten:



    Besetzung:


    Shallow (a country justice): Terry Jenkins
    Sir Hugh Evans (a Welsh parson): Rowland Jones
    Slender (a foolish young gentleman, Shallow's cousin): Bernard Dickerson
    Peter Simple (his servant): David Johnston
    Page (a citizen of Windsor): John Noble
    Sir John Falstaff: Raimund Herincx
    Bardolph, Nym, Pistol (Sharpers attending on Falstaff): John Winfield, Mark Rowlinson, Richard Van Allan
    Anne Page (Page's daughter): Wendy Eathorne
    Mrs Page (Page's wife): Felicity Palmer
    Mrs Ford (Ford's wife): Elizabeth Bainbridge
    Fenton (a young gentleman of the Court at Windsor): Robert Tear
    Dr Caius (a French physician): Gerald English
    Rugby (his servant): Lawrence Richard
    Mrs Quickly (his housekeeper): Helen Watts
    The Host of the Garter Inn: Colin Wheatley
    Ford (a citizen of Windor): Rober Lloyd
    John, Robert (servants to Ford): Brian Ethridge, Stephen Varcoe


    John Alldis Choir
    New Philharmonia Orchestra
    Meredith Davies


    Es gibt noch mindestens eine weitere, von Hichox (2000):



    Die recht kurze Oper hat bedrückend schöne Stellen (Anfang I. Akt; "Alas my love" im III. Akt, sozusagen die Arie zu "Greensleeves"; Chorstellen am Ende des III. Akts; sowie große Teile des IV. Akts, u. a. mit dem weltberühmten "Greensleeves"). Was für eine tolle Sprache Englisch für die Oper ist, merkt man hier sehr gut.


    Eine tolle Entdeckung zum Jahresausklang.


    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo,
    das Europakonzert am 1.Mai ließ mich "Fantasia on a Theme by Thomas Tallis" auf dieserCD mal wieder hören. Nach einer kurzen Einleitung erklingt das Thema in seiner ursprünglichen von Tallis verwendeten Harmonik - Kirchentonart "phrygisch"; dies und der sehr getragene (um nicht zu sagen schwerfällige) Rhythmus tragen zu dem insgesamt schwermütigen, zumindest aber melancholischen Höreindruck bei. Und nachdem Williams nach meinem Gehör in phrygisch bleibt und in seiner Bearbeitung/Fantasie auch den Rhythmus beibehält, bleibt der Charakter des Themas erhalten. Ein Werk nur für Streichinstrumente - es gibt zwar auch sehr hohe Violinstellen, nachdem aber die tiefen Streicher, nach meinem Gehör, überwiegend stärker besetzt sind, trägt dies zum Klangcharakter des Werkes bei (nur vom tiefen Klangeindruck - nicht Gambenton - kommt mir das 6. Brandenburgische ins Gedächtnis, in dem auf 1. Violinen ganz verzichtet wird).

    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Wer ein Schnäppchen machen will, bekommt bei einem unserer Werbepartner für 1.66 Euro pro Scheibe Vaughn Williams (1872-1958) (beinahe) total. Die EMI-Box enthält 30 CDs. Während seines langen Lebens, kam so einiges zusammen.

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Ein Nachtrag zu meinem Beitrag 20: Was in der oben genannten Box teilweise fehlt, ist die Filmmusik, die Vaughn Williams komponiert hatte. In dieser Box des Labels Chandos mit 3 CDs ist sie enthalten.



    Scott of the Antarctic-Suite;
    CoastalCommand Suite;
    The People's Land;
    49th Parallel;
    The Dim of Little Island;
    The England of Elizabeth;
    The Story of a Flemish Farm;
    The Loves of Joanna Godden;
    Bitter Springs

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Hallo,


    auf der in Beitrag Nr. 19 vorgestellten CD ist auch "The Lark Ascending" zu hören.


    Die Lautmalerei, eine Lerche während ihres Fluges aufsteigend, um dann in - für den kleinen Vogel - großer Höhe seinen jubilierenden Gesang heraus zu schmettern, ist für mich nur "mittelgut" gelungen, weil ich bei der Harmonik den überschäumenden Dur-Charakter des Lerchengesanges vermisse. Aber die Struktur des Vogelgesanges, mit den langen, in große Tonhöhen führenden Läufen, vielen Triolen, großen Tonsprüngen, Glissandi und zweistimmigen Doppelgriffen (durch die meist große Entfernung auf die der Lerchengesang zu hören ist und die sehr raschen Tonfolgen entsteht auch der Eindruck einer Mehrstimmigkeit) trifft den Lerchengesang sehr gut. Die Adagiostellen des Stückes verstehe ich als dem Lerchengesang "innehaltendes (andächtiges?) Lauschen". Es ist für mich auch ein im Klang ausgeprägt spätromantisches Stück, mit einer diese Grenzen m. E. streifenden Harmonik


    Sehr angenehm empfinde ich das vibratoarme Spiel der Violinsolistin und das London PO unter Haitink bringt bestimmt eine sehr gute Interpretation.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Heute vor 55 Jahren ist der Komponist in London gestorben. Er wurde 85 Jahre alt.



    Ralph Vaughan Williams (* 12. Oktober 1872 in Down Ampney, Gloucestershire; † 26. August 1958 in London) war ein englischer Komponist und Dirigent.


    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)


  • In the Fen Country
    Untertitel „Symphonic Impression“
    Hallo,


    Fen Country ist ein ursprüngliches Sumpf- und Marschland (im Osten Englands), nur wenige Meter über dem Meeresspiegel, das entwässert und zur landwirtschaftlichen Nutzfläche wurde, aber der Torf dadurch austrocknete und das Land noch mehr absank, sodass es eingedeicht wurde.


    Um diese Landschaft geht es also in den symphonischen Impressionen:
    36 sec. lang erklingt ein Englisch-Horn-Solo mit einer sehr elegischen Melodie - so beginnt das 13 ½ minütige Werk - und drückt damit die Weite der eintönigen Landschaft aus. Die Melodieführung vermittelt den Höreindruck, als würde der Wechsel von Moll nach Dur bevorstehen, aber es bleibt Moll. (Mir kommt dabei die Hirtenweise aus dem 3. Aufzug von "Tristan..." in den Sinn.) Zuerst das Cello und dann die Holzbläser gesellen sich fast kanonartig dazu und auch die Violine ahmt in hoher Tonlage die Englisch-Horn-Melodie nach. Wenn dann auch das Blech dazu kommt, entsteht ein zwar farbenreicher, aber aufgrund des Themas doch schwermütiger Klangeindruck und auch die Modulationen in andere Tonarten ändern daran nichts. Bei 2.15 kommt kurz ein reiner Dur-Akkord, der aber sofort nach Moll moduliert. Der Klang wechselt kurzfristig und häufig aus tiefen Bläser- in hohe Streicherlagen, was an sich Abwechslung bringen könnte, aber wegen der unveränderten Moll-Harmonik die melancholische Stimmung unverändert bleibt, was auch die sich steigernde Dynamik nicht ändert und ebenso wenig, wenn sich sequenzartig in Halbtonschritten der Orchesterklang nach oben bewegt, auch wenn da Dur-Einschübe kommen und beim halbtönigen Sequenzabstieg kommt auch kein freudig auf. Bei 4.00 bricht dann, nach einer kräftigen Dynamiksteigerung, doch Dur durch, begleitet vom kräftigen Bläserensemble. Tiefer Streicherklang in pp pendelt zwischen Dur und Moll und wenn die Streicher die höchste Stelle der Phrase erreicht haben, kippt es mit der Pauke in pp bei 5.40 endgültig zurück nach Moll und verbleibt dort lange. Zwischen Streichern und Bläsern entspinnt sich teilweise eine Art Dialog, der dann erneut nach string. zu ff in Dur endet. Der ständige Wechsel der Tongeschlechter verbunden mit deutlichen Dynamikwechseln und einer farbenreichen Orchestrierung beherrscht weiterhin das musikalische Geschehen. Ein sich oft wiederholendes kurz auf- und absteigendes Motiv, das über das ganze Orchester geht, lässt wie einen Klageruf empfinden, was sich aber dann mit großer Dynamiksteigerung anfangs unheilverkündend anhört, das „Unheil“ sich aber zu großen Durakkorden wandelt. In hoher Tonlage, vom Orchester pp begleitet, „singt“ die Solovioline die sich nun fast einschmeichelnd anhörende, variierte Englisch-Horn-Melodie und tritt in einen Dialog mit dem Englisch-Horn ein. Ein Blechbläsersolo, ganz pp von den Streichern begleitet, moduliert zu Dur, zu Moll, zu Dur, zu Moll… und lässt das Werk in ppp ausklingen.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler


  • Hallo,


    ein Nachtrag zu meinem letzten Beitrag: Das Fen-Country ragt auch in die Grafschaft „Norfolk“ hinein. Auf der CD ist auch die „Norfolk Rhapsodie Nr. 1“ enthalten – ich höre in der musikalischen Struktur, in den Klangfarben des Orchesters, im Charakter beider Werke schon gewisse Ähnlichkeiten.


    Gem. Wikipedia hat dieser Dichter
    http://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Edward_Housman


    eine 6 Gedichte umfassende Sammlung über diese engl. Landschaft verfasst
    http://en.wikipedia.org/wiki/Wenlock_Edge


    Ian Bostridge kann Kunstlieder aus dem deutschen Sprachraum mit Leichtigkeit sprachlich fast ganz akzentfrei und musikalisch sowieso überragend interpretieren; in seiner Muttersprache fällt es ihm noch leichter.



    On Wenlock Edge the wood's in trouble;
    His forest fleece the Wrekin heaves;
    The gale, it plies the saplings double,
    And thick on Severn snow the leaves.



    'Twould blow like this through holt and hanger
    When Uricon the city stood;
    'Tis the old wind in the old anger,
    But then it threshed another wood.


    Then, 'twas before my time, the Roman
    At yonder heaving hill would stare;
    The blood that warms an English yeoman,
    The thoughts that hurt him, they were there.


    There, like the wind through woods in riot,
    Through him the gale of life blew high;
    The tree of man was never quiet:
    Then 'twas the Roman, now 'tis I.


    The gale, it plies the saplings double,
    It blows so hard, 'twill soon be gone:
    Today the Roman and his trouble
    Are ashes under Uricon.
    (Sturm, Wind, Schnee über dem Wald von Wenlock Edge, zugleich ein Sturm des Lebens und ein Rückblick in alte Zeiten - so kann man das in der Vertonung auch hören.)



    From far, from eve and morning
    And yon twelve-winded sky,
    The stuff of life to knit me
    Blew hither: here am I.


    Now-- for a breath I tarry
    Nor yet disperse apart--
    Take my hand quick and tell me,
    What have you in your heart.


    Speak now, and I will answer;
    How shall I help you, say;
    Ere to the wind's twelve quarters
    I take my endless way.
    (“Es gibt nicht nur die deutsche Romantik.”)



    "Is my team ploughing,
    That I was used to drive
    And hear the harness jingle
    When I was man alive?"


    Ay, the horses trample,
    The harness jingles now;
    No change though you lie under
    The land you used to plough.


    "Is my girl happy,
    That I thought hard to leave,
    And has she tired of weeping
    As she lies down at eve?"


    Ay, she lies down lightly,
    She lies not down to weep,
    Your girl is well contented.
    Be still, my lad, and sleep.


    "Is my friend hearty,
    Now I am thin and pine,
    And has he found to sleep in
    A better bed than mine?"


    Yes, lad, I lie easy,
    I lie as lads would choose;
    I cheer a dead man's sweetheart,
    Never ask me whose.
    (“Auch die Liebesklage gibt es nicht nur bei uns”.)



    Oh, when I was in love with you,
    Then I was clean and brave,
    And miles around the wonder grew
    How well did I behave.


    And now the fancy passes by,
    And nothing will remain,
    And miles around they'll say that I
    Am quite myself again.
    (Kommentar überflüssig.)



    In summertime on Bredon
    The bells they sound so clear;
    Round both the shires they ring them
    In steeples far and near,
    A happy noise to hear.


    Here of a Sunday morning
    My love and I would lie,
    And see the coloured counties,
    And hear the larks so high
    About us in the sky.


    The bells would ring to call her
    In valleys miles away:
    'Come all to church, good people;
    Good people, come and pray.
    But here my love would stay.


    And I would turn and answer
    Among the springing thyme,
    'Oh, peal upon our wedding,
    And we will hear the chime,
    And come to church in time.


    But when the snows at Christmas
    On Bredon top were strewn,
    My love rose up so early
    And stole out unbeknown
    And went to church alone.


    They tolled the one bell only,
    Groom there was none to see,
    The mourners followed after,
    And so to church went she,
    And would not wait for me.


    The bells they sound on Bredon,
    And still the steeples hum.
    'Come all to church, good people,' -
    Oh, noisy bells, be dumb;
    I hear you, I will come.
    (Dabei beginnt die Story so wunderschön und endet so tragisch – und genauso empfinde ich die Musik, die mich sehr bewegt.)


    Clun, das letzte Gedicht, konnte ich nicht finden?


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Heute hätte er seinen Geburtstag zum 142. Mal begehen können: Ralph Vaughan Williams. Sein symphonisches Schaffen ist sicherlich ein Meilenstein der englischen Musik und hier im Forum mit zahlreichen Threads gewürdigt.
    Zu diesem Anlass sei auf diese vor wenigen Tagen erst erschienene Weltersteinspielung der "Cambridge Mass" bei Albion Records verwiesen; hat jemand diese Aufnahme bereits gehört? Verdient das Werk einen eigenen Thread?


  • Zum heutigen Todestag von Ralph Vaughan Williams habe ich diese GA ausgesucht:



    Heute ist sein 57. Todestag.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).




  • Hallo,
    die Messe in g-Moll halte ich für eine sehr, sehr gute A-Cappella-Vertonung im spätromantischen Klangcharakter, warum:
    Die Komposition bewegt sich sehr nahe am Text (ähnlich Distler was die Text-, Wortwiederholung betrifft, aber auch doch anders).









    Kyrie – zwar in Moll, aber immer wieder mit Dur-Anklängen – dabei mit einer ruhigen Melodieführung, die sich von devot recht entfernt anhört und etwas von Zuversicht an sich hat.

    Gloria – nach der Antiphon viel Dur, aber ohne den pompösen Klang vieler Barockvertonung. Glorificamus, in 16tel-Noten auf und ab „jubilierend“, dazu Text- und Melodiewiederholungen (auch im Fortgang) und keine Vocalismen (sehr wohltuend). „Jesu Christe“ (vor Domine Fili..) Dynamik sehr zurückgenommen, ebenso bei „Filius Patris“ (vor Domine Deus). Misere…so einfach und leicht in der Melodie und vom Frauenchor ebenso leicht interpretiert.

    Credo - nach der Antiphon ein mehrstimmiger Kanoneinsatz (= das betrifft Viele), was dann, dem Text entspr., in einem schlichten 4-stimmigen Chorsatz fortfährt. Die Steigerung der Dynamik bleibt folgenlos im schlicht-freudigen Chorsatz; die Mollpassage in p empfinde ich mehr als Kontrast/Steigerung zum Vorangegangenen. Eine ungewöhnliche Modulation innerhalb eines Taktes (descendit de coelis). Die für das Credo wichtigen Textpassagen werden bestimmend, aber nicht beherrschend vertont. Die Zwiesprache zwischen Frauen- und Männerchor ist friedlich, ohne große Harmonikveränderungen, als gem. Chor einigend, was auch bei großer Dynamiksteigerung erhalten bleibt. „Et resurrexit…“ zwar crescendo, aber ohne den „üblichen“ Dynamikausbruch. “Et vitam…“ große Steigerung in Dynamik und Tempo.


    Sanctus-Osanna I – „Sanctus…“ oftmals wiederholt – „pleni sunt…“ stringendo, sehr freudig-rhythmisch in Sopranhöhe – „ Osanna…“ mit viel Agogik.


    Benedictus-Osanna II – „Benedictus...“ sehr schlicht, un poco andante mit großem Melodiebogen, „Osanna...“ wie vor.


    Agnus Dei – vom Charakter viele Anklänge an das Kyrie, mit einem schlichten „pacem“ endet die Messe.



    Den ausführenden Chor „Elora Festival Singers“ zu loben würde bedeuten, Eulen nach Athen zu tragen.


    https://www.youtube.com/watch?v=lGCCRN0o9Lo Leider nicht die CD-Aufnahme.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Vaughan Williams g-moll-Messe gehört ja seiner besonders nationalistischen Phase an, in welcher er bestrebt war, an die grosse englische Tradition des 16. Jahrhunderts anzuknüpfen. (zweiterbass hat RVW’s analoge „Tallis-Fantasie“ bereits in Beitrag 19 vorgestellt). Vorbild dürften hier unter anderem die etwas älteren Sakralwerke von Herbert Howells sein.


    Schon im ersten Satz der Messe sind die „mittelalterlichen“ Imitationen und die Falsburden-Passagen unüberhörbar. Im weiteren Verlauf erfolgen die Reminiszenzen auf teilweise impliziterer Art: Quintparallelen, Schwerpunktbildung, Oberstimmenbehandlung und so weiter.


    Die Messe ist Gustav Holst gewidmet (der verhältnismässig modernere Chorwerke verfasste),die liturgische Erstaufführung erfolgte aber durch den Westminster Cathedral Choir, welcher damals – bezeichnenderweise – der weltweit führende Chor in Sachen Palestrina, Tallis, Victoria & Co. gewesen sein dürfte.


    Übrigens immer wieder interessant zu beobachten, wie die Komponisten des 20. Jahrhundert ihren Blick immer wieder auf die sozusagen atonale Musik der Vor-Funktionsharmonik-Zeit lenkten. Das gilt z.B. für konservative britische Komponisten wie Howells, RVW oder Rubbra (der sich sich dann am dissonantesten zu schreiben traute, wenn er sich auf Tallis berufen konnte…). ebenso wie für Avantgardisten (Anton Weber, Ernst Krenek oder Egon Wellesz, um in einem österreichischen Forum nur einige Österreicher zu nennen, darf man durchaus als Mittelalterspezialisten bezeichnen).