Schumanns Klavierkonzert

  • Yuja Wang finde ich auch ganz schrecklich.


    Ich bin gerade die mir vorliegenden Aufnahmen durchgegangen. Nicht so langsam wie Pletnev, aber immer noch in vergleichsweise gemessenem Tempo beginnt Zimerman in der Aufnahme mit Karajan:



    Sehr gut gefällt mir auch Radu Lupu mit Previn:


    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Sehr gut gefällt mir auch Radu Lupu mit Previn:

    Mir auch. Lupu ist mal wieder der Großmeister der Natürlichkeit: Auch bei ihm sind die Akkorde eine Spur schneller als das Bläserthema, und auch er spielt danach sein Thema noch eine Spur langsamer, um dann wieder dezent anzuziehen. Aber das alles passt zusammen, hat eine scheinbar selbstverständliche innere Stimmigkeit. Solche Tempomodifikationen bei einheitlichem Grundtempo sollten meines Erachtens wie eine Art Gummiband funktionieren, das man mal zur einen und mal zur anderen Richtung spannt, aber ohne es zu überdehnen und immer mit dem Bewusstsein der entspannten Mitte.

  • Mich schon im gesetzten Alter befindend, ziehe ich mittlerweile auch eine gewisse reflektierte Ruhe, Natürlichkeit und eine romantische Poesie vor, d.h. von den bisher genannten gefällt mir tatsächlich auch Lupu/Previn am besten.


    Einen deutlich anderen, mehr ins Leidenschaftliche gehenden Ansatz gibt es beim Duo Argerich/Harnoncourt zu hören. Da kommt Feuer mit Feuer zusammen...nun ja, das gehört ja auch zur Romantik.



    Es gibt dort viel Ausarbeitung in den Orchesterstimmen etc.

    Früher habe ich diese Aufnahme allen anderen vorgezogen (finde sie auch heute noch sehr gut), auch den anderen mit dieser Pianistin (Martha Argerich hat ja gefühlt dieses Konzert mit mindestens 1000 Dirigenten aufgeführt...), aber mittlerweile stelle ich mir immer die Frage, ob ich immer so Lust habe, mich derart "aufzuregen". Ich weiß nicht, aber vielleicht ist es eben das Alter...


    Das geht mir auch bei anderen Komponisten wie z.B. Brahms und Schubert so, weshalb ich mir in zunehmenden Maße Klavieraufnahmen mit Radu Lupu zu Gemüte führe. Ich höre da eine gereifte und auch poetische Grundhaltung, und das gefällt mir auch sehr gut.


    Er hat es später noch einmal gespielt, z.B. hier mit Manfred Honeck als Dirigent:



    LG:hello:

    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • In der Partitur steht da kein Tempowechsel, trotzdem machen fast alle eine Vollbremsung wie vor der Rettifilo-Schikane in Monza. Ich habe nach langer Suche immerhin eine Aufnahme ohne gesundheitsschädigende g-Kräfte gefunden (bei der außerdem sogar die Pausen in den ersten drei Takten hörbar sind) nämlich die von Martin Stadtfeld. Da ich sie aber ansonsten nicht optimal finde, wäre ich an einer Alternative interessiert.

    Bernd Stremmel hat in seiner vergleichenden Diskographie auch darauf aufmerksam gemacht und schreibt dazu:


    "Schumann fordert von seinen Interpreten zu Beginn des 1. Satzes ein einheitliches Tempo,
    leider wird das oft nicht beachtet, da der Pianist in den ersten drei Takten zu
    schnell spielt, dann klingen die folgenden 8 Bläsertakte viel langsamer. Wenn
    er dann in seinem Solo ab T. 13 noch langsamer als die Bläser spielt, steht die
    Musik fast still. Danach beginnt der Dialog zwischen Solist und Streichern, die
    Holzbläser werden einige Takte später sozusagen als Ausrufezeichen
    dazugestellt, was von vielen Dirigenten „vergessen“ wird. In Schumanns Sinne
    hört man es z. B. bei Dohnanyi, Menges, Inbal, Krips, Kletzki, Kubelik, Dorati
    und Matacic."


    http://www.klassik-prisma.de/Schum%20KK%20op.54.htm

  • Das finde ich etwas merkwürdig: Ich habe eben in fast alle diese Aufnahmen reingehört, und der einzige, der beinahe im selben Tempo bleibt, ist Matacic mit Svjatoslav Richter. Insofern stimmt die Liste, die Bernd Stremmel da aufstellt, nicht. Auch sonst finde ich einiges in dem Artikel verunglückt, etwa den Satz "wäre da nicht das kurze Seitenthema, könnte man von einer monothematischen Anlage sprechen": Ohne das zweite Thema gäbe es nur eins, ist schon klar :). Ich würde auch nicht unterschreiben, dass Schumann zu Beginn "ein einheitliches Tempo" "fordert", sondern er schreibt lediglich nichts von einem Tempowechsel. Das ist nicht dasselbe. Und eine Durchführung ist üblicherweise gerade nicht an eine "überkommene Form" gebunden, so dass Schumann hier mit der Zweiteiligkeit auch nicht davon "abweicht". Der zweite Abschnitt der Durchführung klingt schon wegen der anderen Tonart (As-Dur statt a-moll) und wegen der Oktaven anstelle der Akkorde nicht wie eine Reprise (außerdem ist der Beginn dominantisch, der zweite Teil der Durchführung nicht). Das Intermezzo beginnt nicht mit drei Sechzehnteln und einer Achtel sondern mit vier Sechzehnteln. Ich finde, dass das für einen so kurzen Text zu viele Ungenauigkeiten und Fehler sind.

  • Das finde ich etwas merkwürdig: Ich habe eben in fast alle diese Aufnahmen reingehört, und der einzige, der beinahe im selben Tempo bleibt, ist Matacic mit Svjatoslav Richter. Insofern stimmt die Liste, die Bernd Stremmel da aufstellt, nicht.

    Seine Aufstellung bezieht sich wohl nicht auf die ganze Einleitung, sondern auf die Ausführung der Passage mit den Holzbläsern.

  • Seine Aufstellung bezieht sich wohl nicht auf die ganze Einleitung, sondern auf die Ausführung der Passage mit den Holzbläsern.

    Ja klar, aber er bezieht sich doch ausdrücklich auf das Tempo der ersten drei (Klavier-)Takte in Bezug zum folgenden Hauptthema der Bläser. Und da sind alle Aufnahmen, die ich aus seiner Liste gehört habe, langsamer.

  • Pianist Alexander Melnikov & Freiburger Barockorchester, Dirigent Pablo Heras Casado


    00:00 Allegro affetuoso

    15:00 Intermezzo: Andantino grazioso

    19:20 Allegro vivace


    Dauer 31 min 11 s


    Walter Benjamin hatte auf seiner Flucht einen Koffer bei sich. Was würdest du in deinen Koffer packen? Meiner ist gepackt.



  • Ja klar, aber er bezieht sich doch ausdrücklich auf das Tempo der ersten drei (Klavier-)Takte in Bezug zum folgenden Hauptthema der Bläser. Und da sind alle Aufnahmen, die ich aus seiner Liste gehört habe, langsamer.

    Ich habe es so verstanden, dass er sich hier nur auf das "Vergessen des Ausrufezeichens" der Holzbläser bezieht, wobei ich gar nicht ganz begreife, was er mit Ausrufezeichen in diesem Zusammenhang eigentlich genau meint.


    Ansonsten schätze ich - wie anderswo schon mal gesagt - seine instruktiven und genauen Hinweise sehr, ohne dabei immer seinen Urteilen folgen zu wollen.


    Die von ihm empfohlenen frühe Arrau-Aufnahme aus den 40er Jahren ist übrigens sehr hörenswert. Auch Rubinstein ist toll. Man landet doch immer wieder bei den alten Meistern, ob man will oder nicht ;-)

  • Ich habe es so verstanden, dass er sich hier nur auf das "Vergessen des Ausrufezeichens" der Holzbläser bezieht, wobei ich gar nicht ganz begreife, was er mit Ausrufezeichen in diesem Zusammenhang eigentlich genau meint.

    Das habe ich auch nicht begriffen, aber es kann sein, dass Du recht hast, und er meinte gar nicht das Tempo, das bei den genannten Dirigenten "in Schumanns Sinne" gehört werden könne. Aber was meinte er dann? Grundsätzlich lehnt sich jemand, der zu wissen behauptet, was "in Schumanns Sinne" ist, schon ganz schön weit aus dem Fenster, vor allem, wenn seine eigene Deutung reine Theorie bleibt. Den Notentext genau zu lesen, ist eine Sache, aber seine Bedeutung zu verstehen, ist eine andere, und dieses Verständnis am Instrument zu realisieren, ist schließlich noch einmal etwas anderes. So hat Stremmel z.B. richtig gesehen, dass die Sechzehntel-Figur am Beginn des zweiten Satzes zunächst Portato und dann Staccato notiert ist, aber das allein reicht nicht, um eine unterschiedliche Ausführung zu verlangen. Man muss vielmehr die Frage nach dem musikalischen Sinn dieser Differenzierung stellen, und die Antwort kann am Ende, nach allen Überlegungen, nur in der tatsächlichen Realisierung gefunden bzw. gegeben werden. Es gibt sowohl Ideen, die theoretisch überzeugen, aber praktisch scheitern, als auch überzeugende Lösungen, die theoretisch nicht funktionieren können. Im konkreten Fall der Artikulation dieser Sechzehntel ist die Entscheidung durchaus schwierig: Wenn der Unterschied zwischen Bogen plus Punkten gegenüber nur Punkten hörbar sein soll, warum fehlt dann beim Auftakt zum dritten Takt beides? Welchen Sinn soll es haben, wenn in Takt 22ff. im Klavier Bögen und Punkte, in den Streichern aber nur Punkte stehen, obwohl die die Figur einfach fortsetzen? Ist angesichts solcher Inkonsequenzen nicht vielleicht doch die Annahme plausibler, Schumann habe in der Eile der Niederschrift auch mal einen Bogen vergessen? Stremmels Argument, dass sich das in der Reprise wörtlich wiederholt, wäre nur dann von Gewicht, wenn Schumann im Autograph nicht einfach ein "da capo" geschrieben hätte. Auch das müsste man also zuerst überprüfen.

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  • Schumanns "zweites" Klavierkonzert


    Hallo zusammen,


    angeregt durch den Text im Beiheft der abgebildeten CD habe ich phantasiert, was passiert wäre, hätte Schumann seine Konzertstücke op. 134 und op. 92 zu seinem zweiten Klavierkonzert umgearbeitet:



    Auf der CD sind neben seinem Klavierkonzert eben auch die beiden Konzertstücke enthalten. Im Text ist zu lesen, dass diese Konzertstücke im Vergleich zum KK ein Schattendasein fristen. Das KK ist ja wohl in erster Linie dem Wunsch Claras zu verdanken, ein "Bravourstück" (was es natürlich nicht ist!) aus der Feder ihres Ehemannes zu haben.


    Hätte die Umarbeitung der ursprünglichen Fantasie aus dem Jahre 1841 durch Beifügen der Sätze 2 und 3 zum KK nicht stattgefunden, würde die Fantasie wahrscheinlich das gleiche Schattendasein fristen müssen.


    Auf der CD ist (nach dem eigentlichen KK) zunächst das Konzertstück op. 134 enthalten. Danach folgt das Konzertstück op. 92. Somit ergibt sich folgende Satzfolge für mein erdachtes zweites KK:


    ziemlich langsam - lebhaft 15.13 min (op. 134)

    langsam 3.11 min (op. 134)

    allegro appassionato 12.44 min (op. 92)


    Was die Proportionen angeht, entspricht dies in etwa dem "ersten" KK.


    Jetzt könnte man natürlich entgegnen, dass die Sätze nicht durch motivische Bezüge untereinander verbunden sind. Aber eben das hat Schumann im Falle des 1. KK auch nicht getan. Der ursprünglichen Fantasie folgen ein kurzer langsamer Satz und ein schwungvolles Bravourstück (im Sinne von Clara) als Finale.


    Hätte Schumann eine derartige Umarbeitung zum 2. KK vorgenommen, stünden jetzt (da bin ich mir sicher!) die "beiden" Schumannschen KK denen von Brahms gleichgewichtig gegenüber. An der Qualität der Konzertstücke op.134 und op. 92 würde es jedenfalls nicht scheitern!


    Aber ich habe ja nur phantasiert!


    lg martin

  • Der Versuch, ein zweites Quasi-Klavierkonzert von Schumann zu kreieren, ist nicht neu. Christoph Eschenbach und Tzimon Barto haben es auf ihre Art folgendermaßen gelöst:


    Konzertstück op. 92

    "Geistervariationen" WoO 24

    Konzert-Allegro mit Introduktion op. 134


    Hier nachzuhören:


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões