Alban Berg: Violinkonzert "Dem Andenken eines Engels"

  • Hallo Edwin,


    Ohrenkrankheiten sind ja mein Spezialgebiet :D


    Zu der Mutter\Levine-Aufnahme möchte ich hinzufügen, daß es mir von einem Cellisten des Chicago S.O bekannt ist, daß diese Aufnahme von einem großen Teil des Orchesters abgelehnt, ja regelrecht gehaßt wird :D


    Vielleicht hattest Du ja einen kleinen Anfall von Morbus Meniere beim ersten Anhören? :stumm::untertauch:


    Tschuldigung, blöder Scherz,


    viele Grüße,


    Michael

  • Hallo zusammen,


    mit dem Violinkonzert von Berg wollte ich mich schon seit längerem befassen. Durch Stöbern im Forum bin ich auf diesen Thread gestoßen, und habe beschlossen mir endlich eine Aufnahme des Stücks zu kaufen. Diese hat der Postbote heute gebracht und ich habe mir das Konzert gleich angehört. Für mich ging von dem Konzert sofort eine eigentümliche Faszination aus. Für ein Werk der 12-Ton Technik ist es sehr melodiös und emotional. Gängige Vorurteile über eine kalte kopflastige 12-Ton Musik lassen sich hier wunderbar widerlegen. Wenn zum Beispiel der Bach Choral zitiert wird, so empfinde ich das einfach als „schöne Musik“. Andererseits empfinde ich das Stück auch nach dem ersten hören auch als sperrig und es hat sich mir noch nicht recht erschlossen. Gefallen hat es mir aber auf jeden Fall und wird somit in nächster Zeit noch öfter im CD Player landen.8jpc



    Die Aufnahme, die ich besitze wurde hier im Thread noch nicht erwähnt. Es ist eine Live Aufnahme aus dem Teatro Comunale di Ferrara von 2003, Claudio Abbado dirigiert das Mahler Chamber Orchestra, der Solist ist Kolja Blacher. Die CD ist bei DGG erschienen und derzeit z.B. über jpc günstig erhältlich. Die Leistung aller beteiligten finde ich sehr gelungen, allerdings fehlt mir natürlich eine Vergleichsmöglichkeit mit anderen Aufnahmen. Da es sich um eine Live Aufnahme handelt sollte vielleicht noch erwähnt werden, dass die Aufnahmequalität sehr gut ist und keine Störungen durch Huster oder ähnliches vorhanden sind.


    Auf der CD ist das Berg Konzert mit dem Violinkonzert von Stravinsky gekoppelt. Letzteres habe ich aber noch nicht angehört.


    Beste Grüße
    Wolfgang


  • Hallo,
    kennt jemand diese Aufnahme des Violinkonzertes von Berg mit Kremer? Sie wurde meines Wissens bis jetzt noch nicht genannt, obwohl doch gerade Kremer im Repertoire des 20.Jahrhunderts viele interessante Aufnahmen liefert.

    Uneingeschränkt empfehlen möchte ich die hier schon mehrfach genannte Aufnahme von Daniel Hope, der meinem Empfinden nach sehr lebendig und intelligent spielt.



    Die hier gescholtene Aufnahme von Anne Sophie Mutter möchte ich insofern verteidigen, als das ich sie einen leichteren Einstieg ins 20.Jahrhundert ermöglichen könnte. Es war die erste Aufnahme dieses Konzerts, die sich in meinem Regal fand und wenngleich Mutter und Levine eine großteils wirklich undifferenzierte "Klangsoße" liefern, bieten sie doch eine Version, die auch für Neulinge nicht abschreckend wirkt. Wer sich dann wirklich für das Konzert interessiert, wird allerdings um weitere Zukäufe nicht umhinkommen.


    Von Leonidas Kavakos gibt es meines Wissens nach leider keine Einspielung, oder täusche ich mich da? Von ihm hörte ich meine persöhnliche Version des Werks, allerdings im Konzert.

  • Hallo Edwin,


    Zitat

    Original von Edwin Baumgartner


    Gibt es. Alles eine Frage der Reihenmanipulation. Sicher ist das dann keine funktionale Tonalität im Sinn der klassischen Harmonielehre, aber man kann auf 12töniger Basis tonale Zentren erzeugen. Macht z.B. Leonard Bernstein immer wieder.


    Bernstein hat Zwölftonmusik geschrieben? Ist die "Westside-Story" solch ein Werk, aber halt mit vielen tonalen Zentren?


    Gruß,


    Kontrapunkt

  • Hallo Kontrapunkt,
    in der "West Side Story" nähert sich einer der Tänze (der fugierte) der Zwölftontechnik, sonst ist dasWerk völlig tonal.
    Zwölfonmusik ist der "Jazz"-Satz der "Age of Anxiety"-Symphonie, weite Teile der "Kaddish", ein paar Lieder in "Songfest", "Sphinxes" im "Divertimento", über weite Strecken die Oper "Quiet Place", weite Teile des "Dybbuk" und lange Passagen in "Halil".
    Bernstein stellt die Zwölftontechnik meistens der Tonalität gegenüber, um eine Art Dualismus zu schaffen.
    Zwölftonmusik mit starken Tonalitätsbezügen schreibt auch Rolf Liebermann, auch Henze hat es mehrfach gemacht.
    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    "Atonal" ist ein ziemlich ungenaues Wort, das man m.E vermeiden sollte (ich glaube Schönberg verwendete "polytonal"). Ursprünglich war eher "atonikal" gemeint, aber "atonal" eignet sich natürlich besser als Kampfbegriff gegen fiese "Neutöner". Ich meinte hier den Unterschied zur "freien" Atonalität, also nicht an Funktionsharmonik gebunden, aber auch ohne 12-Ton-Reihen.
    Aber natürlich hast Du recht, dass man Zwölftönigkeit (auch ein schönes Wort) als Unterart von Nicht-Tonalität sehen kann
    JR


    Nur eine Kleigkeit:
    Schönberg nannte es Pantonal, nicht Polytonal.
    Pan - Gesamt, Alles
    Poly - Viel

  • Zitat

    Original von Jonathan Feller

    Hallo,
    kennt jemand diese Aufnahme des Violinkonzertes von Berg mit Kremer? Sie wurde meines Wissens bis jetzt noch nicht genannt, obwohl doch gerade Kremer im Repertoire des 20.Jahrhunderts viele interessante Aufnahmen liefert.


    Das wundert mich auch, dass diese Aufnahme noch nicht genannt wurde: sie ist mämlich diejenige, die mir mit Abstand am Besten gefällt von die vielen, die ich von dieser wunderbaren Komposition kenne! Schon allein wie die beiden das Wienerische hineinbringen und das Tänzerische ist höchst hörenswert. :jubel:

    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

  • Hallo Edwin,


    vielen Dank für deine Hinweise. Bisher hatte ich bloß schon mal den Titel "Kaddish" irgendwo gelesen. Wie ich jetzt gesehen habe, sind einige dieser entlegeneren Werke Bernsteins bei Naxos erhältlich.


    :hello:


    Gruß,


    Boris

  • Liebe Berg-Kenner und Freunde,


    im Thread "DAS ERSTE MAL" von rappy war das Berg-Violinkonzert auch enthalten.
    Dies hat mich erneut zum Nachdenken angeregt.


    Ich habe in den letzten Jahrzehten vieles über das Berg-Violinkonzert gelesen und war deshalb verwundert etwas ganz anderes zu Gehör zu bekommen, als ich mir vorgestellt hatte.


    Im o.g. Thread hatte ich als Komentar geschrieben:

    Zitat

    Ich hatte mir nachdem ich so viel darüber gelesen hatte etwas ganz anderes vorgestellt.
    Ich verspüre keine andächtigen Klänge, die einer geliebten Verstorbenen gerecht würden - Dem "Andenken eines Engels" ???? Nein !


    :hello: Wie seht ihr das ???
    Ist eine Andächtigkeit gegeben ?


    Ich habe und kenne nur die Szeryng/Kubeik (DG) - Aufnahme, die ich mir im Januar 2006 zugelegt habe.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Hallo,
    es tut mir leid aber diesem Violinkonzert kann ich nichts abgewinnen.
    Es klingt für mich einfach nur weinerlich und zerfasert, habe nie kapiert was da so genial sein soll :untertauch:
    3 oder 4 div. LP/CDs hab ich davon, keine hat mich bekehren können. Mutter und Chung...die anderen? Müsste ich nachschauen.


    Vielleicht bin ich aber noch nicht reif genug :D


    :hello:
    embe

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  • Lieber Teleton, ich bin gewiss kein Berg-Kenner, aber erinnere mich beim Lesen dieses Threads an meine allererste Erfahrung mit "atonaler" Musik, und das war Alban Bergs "Lyrische Suite"
    Das ist zwanzig Jahre her, hat aber einen so nachhaltigen Eindruck hinterlassen, dass es mir wie gestern vorkommt. Danach wollte ich mehr von Berg und kam an sein Violinkonzert.
    Ich bin glücklicherweise von einem damaligen Freund sehr gut und klug in dieses Werk eingeführt und informiert worden, denn beim ersten Hören war ich nur total aufgewühlt und verwirrt - was ja auch schon etwas ist. :yes:


    Ich glaube, wenn man die Enstehungsgeschichte kennt, wenn man den Choral erkennt, wenn man ein ganzes ästhetisches Konzept vor Augen hat, kann man diese "moderne" Musik erst richtig geniessen. Zumindest hilft mir das weiterhin sehr, wenn ich mit sehr ungewohnten Höreiendrücken konfrontiert werde.
    Es ist sehr gut, sich dafür Mentoren zu suchen. Ein anderer Mensch kann eine wunderbare Brücke dazu werden.
    Heute ist das Violinkonzert eines meiner liebsten Stücke überhaupt. :jubel::jubel::jubel:
    Dinge die man sich erarbeiten muss und die nciht auf den ersten Höreindruck ganz zu begreifen sind, werden vielleicht am Ende kostbarer als solche die man ganz leciht erschliessen kann.


    Ich habe eine Aufnahme, die hier noch nicht genannt wurde:


    Violin Concertos (Berg, Janacek, Hartmann)
    Philharmonia Orchestra Ltg: Heinz Holliger,
    bei Hartmann: Deutsche Kammerpphilharmonie Ltg Thomas Zehetmair



    Label Teldec


    Das eine ganz ganz spannende Cd , die ich nur weiterempfehlen kann.
    Genau das Gegenteil von dem, was hier über Mutter/Levine geschrieben wird.
    Zumindest denke ich mir das so, denn ich kenne die Mutter-Aufnahme nicht.


    Da ich selbst nicht von Natur aus zur atonalen Musik hingezogen werde und eher eine Mozartianerin und Bellinistin bin, eine echte Herausforderung, die sich aber absolut gelohnt hat.
    Diese Art von Expressivität für sich zu entdecken, ist eine grosse Bereicherung.


    Fairy Queen

  • Ich kann zum Konzert aus dem Stand nicht soviel sagen. Wenn man aufgrund des Titels natürlich ein durchgehend sanft-melancholisches Werk erwartet, wird man enttäuscht werden.
    Aber für jemanden, der von der Spät/Nachromantik kommt und z.B. Mahler und Zemlinsky schätzt, sind m.E. die 3 Orchesterstücke op.6 (die machen irgendwie da weiter, wo Mahlers 9. aufhört) und die Lyrische Suite (zur Not eben auch die 3 Stücke daraus für Streichorchester) ein besserer Einstieg.
    (Liegen mir auch immer noch näher als das Konzert)
    Dann erst das Violinkonzert.
    Bei Berg ist noch deutlicher als bei Schönberg, dass der Expressionismus der 2. Wiener Schule in vieler Hinsicht eine verschärfte Fortsetzung der Romantik ist.


    Für Gesangsliebhaber natürlich die Altenberg-Lieder und Wozzeck.


    Dei von Fairy Queen genannte CD ist nicht zuletzt auch wegen der wenig bekannten Stücke von Janacek und besonders K.A. Hartmann sehr zu empfehlen!


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich werde mich demnächst wieder mehr mit Bergs Violinkonzert beschäftigen (müssen), da ein Referat in einem Seminar ansteht. Aber da mir das Werk in den letzten Wochen eh wieder näher gekommen ist, finde ich das auch gar nicht schlimm.
    Schuld war übrigens diese Aufnahme, die mich sehr beeindruckt hat:



    Edith Peinemann, Violine
    BBC Symphony Orchestra, Rudolf Kempe



    Gruß, Peter.

  • Zwei Aufnahmen des Violinkonzerts, die ich gerade im Vergleich gehört habe:


    Pierre Boulez, Yehudi Menuhin, BBC Symphony Orchestra (1968):


    Herbert Kegel, Manfred Scherzer, Dresdner Philharmonie (1983),
    enthalten auf der 8-CD-Box "Herbert Kegel dirigiert Schönberg, Berg, Webern":


    Die Kegel-Edition habe ich erst gestern bekommen und bin sehr angetan von dem, was ich bislang da höre (Schönberg: Gurre-Lieder!). Nachdem mich die Einspielung von Bergs Violinkonzert spontan sehr berührt (eine ganz fein empfundene, ganz zarte Trauermusik), habe ich die Boulez/Menuhin-Aufnahme als Vergleich herangezogen: Es fällt mir schwer, hier gravierende Unterschiede festzustellen; beide Aufnahmen sind sehr schön, liegen interpretatorisch nah beieinander. Dennoch: Kegel/Scherzer klingen etwas weniger scharf, lyrischer, zarter, sehr sensibel; ich würde ihnen den Vorzug einräumen.


    Übrigens ein wärmstens empfohlener Einstieg in die Musik der Zweiten Wiener Schule für alle, die einen Weg hierhin suchen...

  • Beis Cascavelle ist auch diese reizvolle Aufnahme des Violinkonzertes von Berg veröffentlicht worden. Daß sie von meinem Liebling Ansermet dirigiert wird ist reiner Zufall insofern, als ich diese Aufnahme vor Jahren im Schweizer Rundfunk hörte - mittendrin zugeschaltet - ohne zu wissen, wer da spielt. Allerdings nix für (Ton-)Technikfreaks. Für Musikliebhaber schon.



    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Das Berg-Konzert mag ich sehr. Es ist eines jener Werke, die bei mehrfachem Hören immer interessanter werden.


    Bis heute besaß ich vier Aufnahmen, von denen zwei vorne lagen und zwei hinten.


    Mutter/Levine:
    Breit, massig, schwerfällig, matschig, das sind Begriffe, die mir zu Levines Orchesterbegleitung auffallen (wobei ich gern einräume, dass diese Beschreibungen pointiert sind). Deshalb vor allem, weniger wegen Mutter stößt die Aufnahme bei mir auf Missfallen.


    Perlman/Ozawa:
    Viel, viel besser, d. h. durchsichtiger, vitaler, klingt das Orchester unter Ozawa. Da Perlman zudem sehr geschmackvoll und an den richtigen Stellen wunderbar lyrisch spielt, handelt es sich um eine der bei mir vorn liegenden Aufnahmen.


    Zehetmaier/Holliger:
    Ebenfalls vorn liegt Zehetmaier mit Holliger. Hier steht nicht der Solist im Vordergrund - wie deutlich bei Perlman/Ozawa -, sondern es wird auf hervorragende Weise gemeinsam kammermusikalisch musiziert. Sehr gut, finde ich. Es handelt sich, weil mir dieser Ansatz bei diesem Konzert sehr gefällt, mit knappem Vorsprung um meine Lieblingsaufnahme des Konzerts.


    Scherzer/Kegel:
    Der Solist der vierten Aufnahme, Scherzer unter Kegel, erreicht in meinen Ohren nicht das Niveau seiner Konkurrenten. Kegel allein genügt nicht.


    Ab heute besitze ich zusätzlich die oben bereits mehrfach erwähnte Aufnahme von


    Hope/Watkins:
    Die Meinungen zu dieser Einspielung gehen offenbar weit auseinander. So schreibt Jonathan Fellner, dass Hope sehr lebendig und intelligent spiele, während ab von den aneinander vorbei spielenden Hope & Watkins schreibt.


    Ich höre die Aufnahme gerade zum ersten Mal. Nach meinem Eindruck haben Jonathan und ab Recht. Hope spielt auch nach meinem Dafürhalten großartig. Nur handelt es sich eben nicht um ein Solowerk, sondern um ein Konzert. Und das, was die Zehetmaier/Holliger-Aufnahme so großartig macht, das großartige Zusammenspiel, fehlt hier leider. Dennoch eine sehr gute Aufnahme. Das Choralthema, fällt mir gerade auf, ist überdeutlich herausgearbeitet, fast schon überbetont. Also werde ich mich M. Stauch anschließen, die Aufnahme also zukünftig schätzen, aber nicht auf Platz 1 setzen.


    Viele Grüße
    Thomas

  • Mit der Aufnahme des Berg VC (1935) unter den beiden großen Künstlern
    Szeryng / Kubelik (DG-Eloquence)bin ich auch sehr zufrieden und das Werk gefällt mir soweit gut. Es ist meine einzige Aufnahme.


    In den 80er-Jahren hatte ich das Berg-VC mal auf LP. Damals fand ich jedoch noch keinen rechten Zugang (das Stück war mir schlichtweg zu langweilig) und die CBS-Platte (ich glaube mit Boulez) ist heute verschollen (warscheinlich wegen damaligem geringem Interesse).


    Eines beschäftigt mich bis heute und ich möchte dies nochmal hinterfragen:
    Wenn man die Hintergründe zu dem Konzert ließt, dass es dem "Andenken eines Engels" gilt - hier dem Tode von Manon Gopius wegen Kinderlähmung.
    Man ließt: "Die Leiden und das Sterben Manons lösten das ergreifende musikalische Geschehen aus."
    Dann frage ich mich - wo ist der angemessene Trauerton, der diesem Ereignis angemessen wäre ???
    Ich empfinde diesen bei Berg im Grunde nicht !


    In der Schule hätte der Lehrer zu diesem Aufsatz "Dem Andenken eines Engels" gesagt: Thema verfehlt !???!

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Lieber Teleton, diesen Ton empfnde ich sehr wohl, aber eher als zerreissende Verzweiflung und auch stellenweise Auflehnung, denn als gelähmte Trauer. Mal ganz abgesehen von dem eingearbeiteten Bach-Choral.
    Natürlich ist das kein Kindertotenlied im traditionellen Sinne, aber mich hat das Konzert bereits beim ersten Hören,, ohne zu wissen um was es im Hintergrund dabei ging, emotional so aufgewühlt, dass ich das Thema kein bisschen verfehlt finde. :no:


    F.Q.

  • Ich empfinde das Konzert auch als ziemlich traurig, insbesondere den ersten Teil des ersten Satzes.
    Allein schon der Anfang, der ja in Quinten hochgeht, drückt eine gewisse Leere oder auch Fassungslosigkeit aus.


    Naja, und der Scherzo-Teil ist ja eher als Reminiszenz an vergangene Urlaubstage in Kärnten gedacht und soll halt deswegen etwas fröhlicher wirken. Berg versucht ja auch, in diesem Konzert, seine Trauer zu verarbeiten und dazu gehört auch das Zurückschauen auf zusammen erlebte Zeiten.
    Der zweite Satz mit dem Bach-Choral empfinde ich dann mehr als Verklärung, als die Stelle, an der er die Trauer überwunden hat und die kleine Seele in das Himmelsreich ziehen lässt.



    LG, Peter.

  • Zitat

    Original von ThomasBernhard
    Ja, Berg zitiert Bachs Choral "Es ist genug" - das spannende an Bachs Choral ist, daß er mit drei Ganztonschritten beginnt, genau wie Bergs Zwölftonreihe, mit der er das Konzert beginnt...


    Das stimmt so nicht ganz. Die Melodie, mit der der Choral beginnt, entspricht auch den vier letzten Tönen der Reihe.
    Die Reihe ist sowieso ziemlich tonal aufgebaut:


    g-b-d-fis-a-c-e-gis-h-cis-es-f


    Die ersten drei Töne bilden also einen g-Moll-Dreiklang, Ton 3-5 ist D-Dur, Ton 5-7 ist a-Moll, Ton 7-9 ist E-Dur und dann kommen die ersten Töne des Bach-Chorals als Ganztonleiter.
    Wirklich eine außergewöhnliche Reihe und vielleicht ist das auch ein Schlüssel dazu, warum das Werk trotz strengster Dodekaphonie so eingängig ist und dadurch auch so populär geworden ist.



    LG, Peter.

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  • Eine aparte Zusammenstellung hat Myto herausgebracht: Einen italienisch gesungenen "Wozzeck" mit dem unglaublich präsenten Tito Gobbi und als Bonus-Track das Berg-Konzert mit Szigeti unter Mitropoulos aus 1940 (live, Carnegie Hall).


    Wer die technischen Unzulänglichkeiten der grauen Vergangenheit akzeptiert, wird von beiden Werk-Interpretationen begeistert sein.

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

    Einmal editiert, zuletzt von Milletre ()

  • Anlässlich eines Rätsels habe ich diesen Thread aufgeschlagen und gelesen und staune sehr, dass hier zwar öfter von Bernstein die Rede ist, aber niemand meine Lieblingsaufnahme dieses Werkes erwähnt hat (nicht einmal ich selbst, obwohl ich früher auch schon mal hier war.


    Leider ist sie kaum noch zu haben und auch in Amerika wohl schon im Verschwinden begriffen.



    Wie schon in dem anderen thread gesagt: was Bernstein mit "seinen" (damaligen) New Yorker Philharmonikern und Isaac Stern hier an tief empfundener Innigkeit beschwören, gehört zum Ergreifendsten, was mir je an Musik begegnet ist.


    Bekanntlich habe ich meine Probleme mit dodekaphonischer, polytonaler oder was auch immer Musik, aber dieses Werk bereitete mir als einziges von Alban Berg niemals irgendwelche Probleme und hat mich auf Anhieb gepackt. Müsste ich ein einziges Werk dieser "Schule" nennen, das nie verloren gehen dürfte, würde ich dieses nennen, noch vor dem WOZZECK, der aber gleich danach kommt.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Dieses wunderbare ergreiffende Werk habe ich sicherlich in einem guten Dutzend Einspielungen, aber die von J.Rideamus empfohlene Aufnahme finde ich auch ganz besonders herausragend.


    Wer hier den tiefen Trauerton nicht empfindet, dem ist wohl auch nicht mehr zu helfen. Fairy Queens Charakterisierung als "eher zerreissende Verzweiflung und auch stellenweise Auflehnung, denn als gelähmte Trauer" kann ich gut nachempfinden, aber auch Momente von großer Niedergeschlagenheit würde ich ausmachen, die in der Tat jedoch immer wieder unterbrochen werden von der verzweifelten Unruhe über das nicht zu beantwortende: Wieso? beim Tod vor allem eines Kindes. Isaac Stern und Bernstein finden unglaublich nuanciert dafür den richtigen Ton.


    :hello: Matthias

  • Diese wunderbare Aufnahme (Dezember 1959) geht wahrhaftig zu Herzen. Sie ist ja trotz Dodekophonie im wahrsten Sinne romantisch (Horowitz meinte angeblich, JEDE Musik sei romantisch!), während die Aufnahme Kremers schon sehr strukturiert-analytisch, deswegen aber nicht weniger spannend ist. Auch im Musikverein spielte er das Berg-Requiem (so nenne ich dieses singuläre Violinkonzert) durchsichtig, wahrhaftig im Ausdruck und doch auch mit dramatischem Zugriff.


    Und Stern, der große amerikanische Geigergigant? Ach hätte ich ihn nur einmal live erleben können!


    Von den Zwölftönern möchte ich außer den genannten beiden Berg-Werken (kein Wortspiel!) vor allem seine Lyrische Suite und Schönbergs Verklärte Nacht (in diversen Bearbeitungen) nicht missen wollen!

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Zitat

    Original von Milletre
    Von den Zwölftönern möchte ich außer den genannten beiden Berg-Werken (kein Wortspiel!) vor allem seine Lyrische Suite und Schönbergs Verklärte Nacht (in diversen Bearbeitungen) nicht missen wollen!


    Beide Werke sind nicht 12-tönig, wenn auch sehr schön.


    :hello:Matthias

  • Ich gestatte mir, aus dem Heyne-Konzert-Lexikon (ad "Lyrische Suite"zu zitieren:


    Trotz strenger Dodekaphonik liegt hier ein äußerst gefühlvolles Stück vor, in dem vor allem der Schluß weltschmerzlich, ergreifend (im Sinne Mahlers) wirkt ...


    Bei Schönberg dürftest du recht haben, da ich aber die Noten beider Werke nicht kenne, verklärte ich die Nacht wahrscheinlich zu Unrecht dodekaphonisch ...


    Jedenfalls Danke für die Richtigstellung.

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Die "Lyrische Suite" enthält sowohl reihengebundene als auch nicht reihengebundene Abschnitte. Streng komponiert (und zwar auf der Basis einer Allintervall-Reihe) sind, wenn ich das richtig im Gedächtnis habe, die Sätze 1, 3 und 6 sowie das Trio des 5. Satzes.
    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Jacques Rideamus
    Wie schon in dem anderen thread gesagt: was Bernstein mit "seinen" (damaligen) New Yorker Philharmonikern und Isaac Stern hier an tief empfundener Innigkeit beschwören, gehört zum Ergreifendsten, was mir je an Musik begegnet ist.


    Cher Jacques,


    wie schön, dass Du auf diese wundervolle Aufnahme hinweist und sie damit in Erinnerung bringst. Mit ihr habe ich das Berg-Konzert kennen gelernt, die CBS hatte damals eine verdienstvoll-preiswerte umfassende LP-Reihe mit Bernstein-Einspielungen aufgelegt, anhand derer ich viele unterschiedlichste Werke kennen lernte, eben auch diese Einspielung mit Stern und Bernstein. Bei der Umstellung auf CD habe ich sie leider nicht erneuert, und trotzdem hat sie meine Haltung, in der ich das Werk höre, stets begleitet. Ich habe dies als Anregung genommen, mir die von Dir gezeigte CD gleich zu bestellen - die Aufnahme ist ja übrigens in den unterschiedlichsten Zusammenstellungen zu durchaus akzeptablen Spottpreisen immer noch ganz gut unterwegs, auch auf dem deutschen Marketplace.


    Stern und Bernstein nehmen das Werk aus der Schau des 19. Jahrhunderts von seiner romantisch-schwelgerischen Seite auf, und das tut dem Konzert in meinen Ohren unendlich gut - gerade auch, wenn man die gern herangezogene Entstehungsgeschichte im Blick hat. Von daher spricht das Konzert gerade in dieser Aufnahme unmittelbar jedefrau an, selbst wenn eine gewisse Distanz zu was auch immer Musik besteht.


    Die vorausweisenden, "moderneren" Anteile stärker im Blick haben Perlman/Ozawa und Szeryng/Kubelik, beides Aufnahmen, die ich einerseits wegen ihrer Lyrik, andererseits wegen des von mir eher als vollständig empfundenen Bildes schätze, das sie von diesem Konzert vermitteln. Dabei erscheint mir Perlman in seiner auch technischen Vollkommenheit, auf deren Grundlage die Schwierigkeiten des Konzerts wie die reinste Spielweise erscheinen, unerreicht.


    Wenig Sympathie habe ich für Zehetmairs und Holligers Einspielung, die, unterstützt durch den kammermusikalischen Ansatz, bemüht eine modernistische, reduzierte, jeglichen Romantizismus bewusst tilgende Aufnahme produzieren. Dass Fairy Queen die von ihr zu Recht gepriesenen Werte des Konzerts selbst aus dieser Aufnahme heraushört, ehrt sie.


    Liebe Grüße, Ulrich

  • Zitat

    Stern und Bernstein nehmen das Werk aus der Schau des 19. Jahrhunderts von seiner romantisch-schwelgerischen Seite auf, und das tut dem Konzert in meinen Ohren unendlich gut


    das Konzert wurde allerdings von Berg ganz unverkennbar aus der Schau des 20. Jahrhunderts konzipiert und dem sollte eine Interpretation auch Rechnung tragen ! Rückgriffe- und Blicke auf Vergangenes sind in diesem Werk immer retrospektiv und deshalb halte ich die Einspielung Stern/Bernstein mit ihrem emotionalen Überdruck für eine verfehlte Interpretaion, gleichsam auf hohem violintechnischen und orchestralen Niveau.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Lieber BBB,

    Zitat

    und deshalb halte ich die Einspielung Stern/Bernstein mit ihrem emotionalen Überdruck für eine verfehlte Interpretaion,


    Leider :yes:
    Eine typisch Bernstein'sche Anverwandlung eines Werkes an die eigene Vorstellungswelt. Bernstein begriff das Werk einerseits als Mahler-Ausläufer, andererseits glaubte er darin die Gegenüberstellung von Tonalität und Reihentechnik zu erkennen, die für seine eigenen Werke wesentlich war. Statt dies aber im Hinterkopf zu behalten und aus ihrer Kenntnis heraus Bergs Sprache zu gestalten, versucht er, diese (an sich gar nicht so verfehlten) Ideen relativ vordergründig hörbar zu machen, was, kombiniert mit dem emotionalen Überdruck, relativ seltsam wirkt.
    Ich finde nach wie vor die Aufnahmen von Boulez und Abbado sehr gut, in denen der musikhistorische Bezug ebenfalls eine große Rolle spielt, aber nicht zum Interpretationsinhalt wird.
    :hello:

    ...

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