Peter Tschaikowsky und eine Hammer-Symphonie - Die Vierte

  • Und das ist nun wirklich der Hammer aller Hammeraufnahmen, die ich von dieser Sinfonie gehört habe!

    Lieber Nemorino,


    das ist wirklich eine hoch interessante Entdeckung - und auch die Geschichte dazu! Leider ist die CD unterschwinglich - 100 Euro für eine Silberscheibe, Wahnsinn!

    Deine Worte zu dieser Decca-Aufnahme: "Hammer aller Hammeraufnahmen, Hammer aller Hammeraufnahmen, knisternde Spannung, Dokument der Extraklasse, fulminante DECCA-Klangtechnik" lassen mich aber direkt an eine Aufnahme denken, auf die diese Prädikate auch zutreffen und die ich in diesem Thread auch schon lobend erwähnt hatte: Solti - Chicago SO

    Hier ist der letzte Satz, lieber Wolfgang:



    Da profitiert Solti aber auch von der fabelhaften Leistung des Chicago SO. Bei solchen großorchestralen brillanten Sachen sind sie unschlagbar was Orchestervirtuosität und absolute Souveränität angeht. Aber: Solti dirigiert das gar nicht nur knallig: Wenn man dann die kontrastierenden lyrischen Couplets anhört, wie liebevoll ausdrucksstark da die Holzbläser spielen, wie perfekt und fein in den Details das ausartikuliert ist, dann ist das weit mehr als nur ein eindimensionaler Orchester-Knaller! Das ist sicher eine der großen Aufnahmen von Solti!


    Schöne Grüße

    Holger

  • Leider ist die CD unterschwinglich - 100 Euro für eine Silberscheibe, Wahnsinn!

    Lieber Holger, lieber Wolfgang,


    ….. ganz so schlimm ist es nicht! Die 100 € treffen nur auf die von Joseph II. gezeigte Ausgabe der Decca Australia zu.

    Bei Amazon ist sie noch in drei (!) weiteren Angeboten als CD zu haben:

    Tchaikovsky: Sym. 4 / Beethoven: Music from 'Egmont'

    Neu für 33 €, gebraucht für 30,55 € (gekoppelt mit Auszügen aus Beethovens "Egmont", Aufnahme: 12/1969, Wien).

    Tchaikovsky:Symphony No.4 (Shm

    angeboten als "gebraucht, sehr gut" für € 20,29 + Versandspesen (Japan-Import)


    Tchaikovsky:Symphony No.4.Ben:

    ebenfalls "gebraucht, sehr gut" für € 19,57 + Versandkosten (angeboten von "samurai, Japan, via Amazon).


    Wer an einer dieser Ausgaben interessiert ist, sollte bei Amazon unter "Musik-CDs & vinyl" einfach "George Szell" eingeben, dann kommen 48 (!) Seiten mit Szell-Aufnahmen, und darunter sind sie alle zu finden. Man muß nur ein wenig Geduld aufbringen^^.


    Ich besitze die zuoberst gezeigte Ausgabe aus der "HISTORIC"-Serie. Die Klangtechnik ist fulminant (typisch DECCA).


    Wie schon gesagt, ich ziehe eigentlich bei dieser Sinfonie nicht unbedingt die "schmissigste" Version vor, aber hier hat Szell IMO eine Aufnahme hingelegt, die man gehört haben muß. Trotz gewaltiger Ausbrüche klingt das nie gewollt oder aufgesetzt, sondern ganz einfach mitreißend. Keine Tschaikowsky 4 für alle Tage, aber eine, die man so schnell nicht vergißt.

    Übrigens: die Vierte mit Solti ist nicht in meiner Sammlung vertreten. Sie scheint mir nach den Beschreibungen hier und der Hörprobe auf Szells Linie zu liegen.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Wer an einer dieser Ausgaben interessiert ist, sollte bei Amazon unter "Musik-CDs & vinyl" einfach "George Szell" eingeben, dann kommen 48 (!) Seiten mit Szell-Aufnahmen, und darunter sind sie alle zu finden. Man muß nur ein wenig Geduld aufbringen ^^ .

    :D Ohne Geduld habe ich mir Solti besorgt, lieber Nemorino, - das außergewöhnliche Dokument wollte ich doch in meiner Sammlung haben!


    Es ist schon merkwürdig, wie unterschiedlich das Orchester spielt. Claudio Abbado hat wirklich herausragende Aufnahmen in Chicago gemacht - Mahler, Bartok, Prokofieff vor allem - aber bei den Tschaikowsky-Symphonien wirkt das Orchester irgendwie ein bisschen lieblos spielend und unpersönlich. Kein Vergleich mit Abbados wirklich überragender Aufnahme der 4. aus Wien. Mit Solti dagegen erkennt man das Orchester speziell bei dieser Symphonie nicht wieder. Manchmal passt es wohl halt in der Partnerschaft Dirigent-Orchester besser oder weniger gut. Bei der 5. (siehe den anderen Thread) finde ich Solti zwar auch gut, aber eben nicht so außergewöhnlich wie bei der 4.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Kurt Sanderling


    Dass Kurt Sanderling nicht der Dirigent ist, der einen Symphoniesatz als dramatischen Spannungsbogen, der durchgehalten wird, dirigieren wird, war mir schon klar. Wirklich aufhorchen lässt das Schicksalsthema zu Beginn, dass bei ihm wirklich Schicksalsschwere hat, die man sonst so nicht hört. Ansonsten dirigiert er den ersten Satz sehr "deutsch", eher wie Brahms. Und dann fehlt da dann doch etwas - die dramatische Sukzession. Die Episode vor der Coda wirkt etwas betuhlich, merkwürdig, dass er in der Coda das Tempo dann merklich und etwas abrupt wirkend kräftig anzieht. Der Pizzicato-Satz ist eher ein Holzschnitt von Dürer als ein duftiges impressionistisches Gemälde. Sanderling ist ein großartiger Schostakowitsch-Dirigent, seine epische Art zu musizieren passt da, hier bei Tschaikowsky finde ich weniger. Die Aufnahme zeigt aber, wobei es bei der 4. ankommt: Man muss eine Balance zwischen lyrischer Intensität, Klassizität und dramatischer Spannung finden. Eine Episierung verträgt die Symphonie genauso wenig wie ein äußerliches Aufputschen, das nur auf Knalleffekte aus ist.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Apropos CSO:

    Hier James Levine mit den Chicagoern 1983 live in Ravinia. Phantastische Darbietung!


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Kein Vergleich mit Abbados wirklich überragender Aufnahme der 4. aus Wien

    Lieber Holger,


    in meinem Regal stehen von Abbado nur die Aufnahmen von Nr. 4 und Nr. 6 (beide DGG, mit den Wiener Philharmonikern), aufgenommen ca. Mitte der 1970er.

    Von Solti habe ich mir kürzlich, auf teletons Anregung, die Fünfte beschafft. Ich finde sie grandios, in einer Reihe mit meiner Lieblingsaufnahme von Karajan (1966, Berlin), von der hier schon mehrfach die Rede war. Das heißt aber nicht, daß ich nicht auch andere Interpretationsansätze mag, wie z.B. Markevitch (Philips) oder Mrawinskij (DGG). Und dann steht noch Klemperers Aufnahme mit dem Londoner Philharmonia Orchestra in Bereitschaft, die will ich mir unbedingt noch anhören (ich habe sie seit x-Jahren nicht mehr gehört). Von dieser heißt es in einer alten Besprechung: "Erschreckend nüchtern zieht die Fünfte unter Klemperer dahin ….". Ein klares Indiz, daß sie ganz anders klingen wird als die von Solti oder Karajan.

    Dass Kurt Sanderling nicht der Dirigent ist, der einen Symphoniesatz als dramatischen Spannungsbogen, der durchgehalten wird, dirigieren wird, war mir schon klar. Wirklich aufhorchen lässt das Schicksalsthema zu Beginn, dass bei ihm wirklich Schicksalsschwere hat, die man sonst so nicht hört.

    Auch diese Aufnahme ziert meine Sammlung, aber meine Hörerfahrung liegt da viel zu lange zurück. Leider ist sie Mono, und das ist bei dieser farbigen Partitur schon ein Manko, obwohl ich grundsätzlich kein Mono-Verächter bin. Ich werde sie mal hervorholen und demnächst hören. Dann ist es aber dringend Zeit für eine "Tschaikowsky-Abstinenz"!:)


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Vor einigen Tagen hatte ich mir die Tschaikowsky-Sinfonie Nr. 4 mit Lorin Maazel und den Berliner Philharmonikern (Aufnahme: 1960) bestellt, auf einer Einzel-CD (siehe #95). Heute kam die Nachricht vom Amazon Marketplace, der Verkäufer führt sie zwar in seinem Angebot, aber er kann sie trotz intensiver Suche nicht finden:(.


    Nach der ersten Enttäuschung wollte ich mir spontan die 18 CD-Box der DGG bestellen, in der sie enthalten ist:

    obwohl ich die Mehrzahl der enthaltenen Aufnahmen bereits auf Einzel-CDs habe. Der Preis ließ mich zögern, und da entdeckte ich auf einmal diese 10 CD-Kiste:

    von Membran, mit "allen" frühen DGG-Aufnahmen, zum Preis von € 9,90 + Versandkosten! Also billiger wie die ursprünglich georderte Einzel-CD. Da habe ich kurz entschlossen "zugeschlagen", zumal ein Rezensent bei Amazon die Klangqualität als "gut" bezeichnet hat. Bei Membran bin ich immer ein bißchen vorsichtig, aber mit einer Ausnahme wurde ich noch nie enttäuscht. Natürlich liegt der Kassette kein Booklet bei, aber das ist in dem Fall zu verschmerzen. Auch diese Box enthält noch jede Menge Doubletten, aber bei dem Preis kann man eigentlich nichts falsch machen. Kennt jemand aus dem Tamino-Kreis die Ausgabe?


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • in meinem Regal stehen von Abbado nur die Aufnahmen von Nr. 4 und Nr. 6 (beide DGG, mit den Wiener Philharmonikern), aufgenommen ca. Mitte der 1970er.

    Bei mir auch, lieber Nemorino. Die 5. aus London (DGG) und aus Berlin (Sony) kommt noch dazu... :)

    Von Solti habe ich mir kürzlich, auf teletons Anregung, die Fünfte beschafft. Ich finde sie grandios, in einer Reihe mit meiner Lieblingsaufnahme von Karajan (1966, Berlin), von der hier schon mehrfach die Rede war.

    Ich fand sie beim Reinhören auch sehr gut - aber Abbados Aufnahme mit den Berlinern fesselt mich beim Hörvergleich einfach mehr. Dieses "Fesselungserlebnis" hatte ich bei Solits 4. Das Prädikat "außergewöhnlich" würde ich Soltis 4. vorbehalten - natürlich muss ich das alles komplett durchhören. Die 5. mit Solti habe ich leider nicht, dafür bekomme ich die Original-CD-Ausgabe der 4. mit Beiheft.

    Und dann steht noch Klemperers Aufnahme mit dem Londoner Philharmonia Orchestra in Bereitschaft, die will ich mir unbedingt noch anhören (ich habe sie seit x-Jahren nicht mehr gehört).

    Da bin ich wirlich sehr gespannt!

    Auch diese Aufnahme ziert meine Sammlung, aber meine Hörerfahrung liegt da viel zu lange zurück. Leider ist sie Mono, und das ist bei dieser farbigen Partitur schon ein Manko, obwohl ich grundsätzlich kein Mono-Verächter bin. Ich werde sie mal hervorholen und demnächst hören. Dann ist es aber dringend Zeit für eine "Tschaikowsky-Abstinenz"!

    Hoffentlich ist die Tonqualität wirklich nicht schlechter als die originale DGG-Aufnahme. Aber zu dem Preis kann man nichts falsch machen! Sie müsste ich auch wiederhören. Ich habe diese ältere Auflage der Maazel-Box, damals zum Ausverkaufs-Spottpreis im lange nicht mehr existierenden 2001-Shop in Düsseldorf gekauft:



    :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

  • Roschdestwenski/LSO

    Ich muss zugeben, dass ich der Vierten lange Jahre nicht dieselbe Aufmerksamkeit geschenkt habe wie der Fünften und Sechsten. Jetzt durch diesen Thread animiert, hörte ich das Werk in kurzer Abfolge so oft wie wohl nie zuvor und muss mein Urteil einigermaßen revidieren. Man tut dem Werk grobes Unrecht, wenn man sie allein am wohl "schepperndsten" Satz, den Tschaikowski je geschrieben hat, misst. Ja, dieses Finale ist im Grunde genommen sogar hintergründig, denn es erscheint mir mehr und mehr als eine grandiose Karikatur auf einen zaristischen Militärmarsch. Soweit ich weiß, hasste Tschaikowski alles Militärische, es würde also passen. Es ist gewissermaßen gar eine Art Vorläufer zum Scherzo der Sechsten. Also von wegen Tschaikowski und kitschige Oberflächlichkeit, wie ihm oft angedichtet. Das hat schon eine Dimension wie später bei Mahler und Schostakowitsch.


    Ich tue mich sehr schwer, bei der Symphonie Nr. 4 einen eindeutigen Favoriten unter der endlosen Anzahl an Aufnahmen auszumachen. Im Zuge dieses Themas habe ich natürlich auch wieder in meinen geliebten Swetlanow reingehört. Klanglich ist die späte Studioeinspielung von 1993 die beste. Ich gebe aber als Swetlanow-Fan trotzdem zu, dass er nicht mein Favorit ist bei diesem Werk (auch nicht bei der Sechsten – die ersten drei und die Fünfte führt er für mich indes an). Mrawinski habe ich nach Jahren auch mal wieder gehört. Er schätzte dieses Werk nicht. Seine Interpretation ist in ihrer Art wunderbar und fast kammermusikalisch. Allein, auch das wäre nicht meine Lieblingsinterpretation. Celibidache scheitert auf hohem Niveau – das Finale kommt völlig ohne Esprit daher. Viel überzeugender von den Getragenen Klemperer – der aber im langsamen Satz dafür wieder sehr flott ist. Karajan, wie gesagt, überraschend gut. Ausgezeichnet erscheint mir Roschdestwenskis Einspielung mit dem London Symphony Orchestra von 1987, die für Pickwick/IMP Classics entstand, später bei Regis neuaufgelegt wurde und schließlich bei Brilliant landete (er spielte damals auch die Fünfte und Sechste ein). Das ist eine ideale Symbiose aus russischer Herbheit und superbem westlichen Orchester, das sich darauf einlässt, ohne gleich wie ein sowjetisches zu klingen. Außerdem brilliert die Aufnahme klanglich.


    Man findet die Symphonien Nr. 4-6 in der Kombination LSO/Roschdestwenski in zig Varianten – teils sehr preiswert:


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    Ich bilde auch mal die bei Amazon schwer zu findenden Einzelausgaben von Nr. 5 und 6 ab:


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    Wie so vieles dieses untergegangenen Labels, bekommt man diese Einspielungen fast nur mehr gebraucht.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich muss zugeben, dass ich der Vierten lange Jahre nicht dieselbe Aufmerksamkeit geschenkt habe wie der Fünften und Sechsten. Jetzt durch diesen Thread animiert, hörte ich das Werk in kurzer Abfolge so oft wie wohl nie zuvor und muss mein Urteil einigermaßen revidieren.

    Lieber Joseph II.,


    offen gestanden, mir geht es ganz genauso! In meiner Gunst stand bisher die Erste ("Winterträume") höher im Kurs als die viel populärere Vierte. Jahrelang haben meine diversen Ausgaben ein kümmerliches Dasein gefristet. Das hat sich neuerdings gründlich geändert, dank dieses Threads. So habe ich die großartigen Aufnahmen mit Szell und Monteux quasi neu entdeckt.


    Ich werde mir die von Dir empfohlene Roshdestvensky-Aufnahme vormerken, aber momentan will ich meinen Tschaikowsky-Konsum etwas herunterschrauben, es besteht die akute Gefahr der Übersättigung. Und das wäre doch schade.

    Die Vierte mit Maazel (DGG, 1960) steht noch ins Haus, außerdem die Fünfte unter Old Klemp, und ich will mir die Vierte mit Abbado und Sanderling (beide DGG) ebenfalls noch vornehmen. Dann muß es mal für eine Weile gut sein ….


    Ach ja, und dann gibt es ja noch die alte Fricsay-Aufnahme mit dem RSO Berlin, in dem riesigen 45 CD-Würfel. Die soll auch noch in den Player …. Leider eine Mono-Produktion, aber Fricsay ist eigentlich immer interessant.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

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  • aber momentan will ich meinen Tschaikowsky-Konsum etwas herunterschrauben, es besteht die akute Gefahr der Übersättigung. Und das wäre doch schade.

    Lieber nemorino,


    man muss ja auch nicht sämlichen Empfehlungen immer nachgehen, wenn man "seine persönliche Hammeraufnahme" bereits gefunden hat.

    Dann muss schon bei den Empfehlungen etwas verdammt tolles stehen, dass man dem dann noch unbedingt nachkommen sollte ...


    8) Ich sage seit einiger Zeit auch immer: "Jetzt ist Schluss mit Lustig !" ... wo soll man das ganze Zeug hinstellen und noch viel wichtiger = hören !

    Überlege mal folgendes: Ziehe eine Tschaikowsky-CD aus Deiner SAmmlung heraus und dann überlege mal wie oft Du die gehört hast



    Lieber Josef,

    ich schätze Roshdestwensky als Dirigent ungemein hoch (bes. bei Schostakowitsch, Prokofieff u.a. russischen Komponisten des 20.Jhd.).

    Seltsamerweise habe ich gerade bei Tschaikowsky bei ihm die Erfahrung gemacht, dass er Tschaikowsky eher klassisch romantisch betrachtet und ihn für meine Begriffe zu brav interpretierte ... keine Spur von dem was ich bei Swetlanow, Solti und Karajan hörte ... :!:aber Vorsicht, es handelte sich damals um meine Tschaikowsky-Sinfonien-GA (Melodiya/Eurodisc-LP) in der grünen 7LP-Box (mit Manfred).


    :?: Ich vermute auf Grund der gelesenen Kritiken und Deinen Ausführungen, dass Roshdestwensky in seinen neueren Aufnahmen mit dem LSO eine ganz andere Gangart einlegt und zudem von einer ausgezeichneten Digitalkangqualität profitiert.

    Wie beurteilst DU das ?

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • offen gestanden, mir geht es ganz genauso! In meiner Gunst stand bisher die Erste ("Winterträume") höher im Kurs als die viel populärere Vierte. Jahrelang haben meine diversen Ausgaben ein kümmerliches Dasein gefristet. Das hat sich neuerdings gründlich geändert, dank dieses Threads. So habe ich die großartigen Aufnahmen mit Szell und Monteux quasi neu entdeckt.

    Lieber Nemorino,


    es ist schon merkwürdig mit Tschaikowsky bei mir. In meinem Elternhaus wurde natürlich Orchestermusik gehört - auch viel mehr Barockmusik als ich es selber höre. Aber in meiner war ich so verrückt, dass ich das Repertoire, das ich mir selber zunächst aneignete, fast ausschließlich Klaviermusik war. Dann beschloss ich, mich auch intensiver mit Orchestermusik zu berschäftigen. Zwei Schallplatten waren damals die Initialzündung:



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    Das originale Plattencover mit dem Bild von Kandinsky (im Original ist das natürlich nicht so penetrant gelbstichig, in der kleineren Abbildung oben sind die Farben besser getroffen!) sagt eigentlich schon das Wesentliche: Das ist sehr ästhetisch! Genauso wie in Abbados wie ich heute immer noch finde zauberhaften, idealen Aufnahme der Debussy-Nocturnes habe ich mich in diese Tschaikowsky-Symphonie gleich verliebt - das fand ich ist hinreißend schöne Musik und schloss das Tor auf für eine weitere Beschäftigung mit Orchestermusik. Es war dann aber so, dass Tschaikowsky neben Debussy und Ravel die Initialzündung war, aber die Reise führte von ihm letztlich weg, nicht zuletzt zu Mahler. (Bezeichnender Weise bin ich bei Debussy und Ravel immer geblieben bzw. auf sie permanent zurückgekommen bis heute!) Von den ersten drei Symphonien habe ich nie Notiz genommen.


    Woran liegt es? Ein Grund vielleicht ist, dass diese Musik einfach zu schön und auch scheinbar eindeutig ist und man sie gleich in Besitz nimmt. Man hört aber das immer wieder, wo Rätsel offenbleiben. Deswegen sind genau deshalb finde ich solche Interpretationsvergleiche so entscheidend. Viel später entdeckte ich Mrawinsky und das änderte mein Bild völlig: Das war nicht betont "ästhetisch" sondern ungeschminkt expressionistisch und machte mir bewusst, dass Tschaikowsky ja gar nicht so weit von Mahler weg ist. Wenn man realisiert, dass man diese Musik eben nicht einfach in Besitz nehmen kann und merkt: hoppla, da hast Du vieles nicht verstanden, dann beschäftigt man sich mit dem Werk auf einmal. Das ist auch bei Celibidache so. Bei der 6. vornehmlich (die 4. muss ich noch hören) begreift man plötzlich, dass so eine Tschaikowsky-Symphonie wirklich große und Ernst zu nehmende symphonische Musik ist und nicht nur effektvolle Orchestervirtuosität. Man hört dann auch das Vertraute mit anderen Ohren. (Ähnlich ist es ja beim 1. Tschaikowsky-Konzert. In der Jugend hat man Horowitz pausenlos gehört, später das Konzert fast nie mehr. Bis man dann Claudio Arrau entdeckt und merkt: Oh, das ist ja wirklich "Musik", die etwas zu "sagen" hat und nicht nur virtuoser Tastenzirkus.) Bei den Tschaikowsky-Symphonien ist glaube ich das Problem, dass eigentlich alle Aufnahmen irgendwie ganz gut und ähnlich klingen. Das erschwert das wirklich genaue Hinhören und man bemerkt die komplexen Interpretationsprobleme nicht, die auch so eine Tschaikowsky-Symphonie zu einem Hörabenteuer machen, man die Musik also nicht einfach wie ein Glas Champagner ausschlürfen kann.

    Ich werde mir die von Dir empfohlene Roshdestvensky-Aufnahme vormerken,

    Ich schätze Roshdestwensky auch sehr, den Joseph dankenswerter Weise erwähnt hat.


    Seine Aufnahme mit dem London SO ist bei Youtube zu hören:


    Ach ja, und dann gibt es ja noch die alte Fricsay-Aufnahme mit dem RSO Berlin, in dem riesigen 45 CD-Würfel.

    Da muss ich schauen, ob ich die Aufnahme nicht habe. Und Haitink höre ich mir auch noch an. Besonders die drei frühen Symphonien, die man ja kaum hört, sind bei ihm ganz ausgezeichnet. :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

  • :?: Ich vermute auf Grund der gelesenen Kritiken und Deinen Ausführungen, dass Roshdestwensky in seinen neueren Aufnahmen mit dem LSO eine ganz andere Gangart einlegt und zudem von einer ausgezeichneten Digitalkangqualität profitiert.

    Wie beurteilst DU das ?

    Ja, wie beurteile ich das, lieber Wolfgang?


    Ich habe grad nochmal zusätzlich in die genannte Einspielung der Vierten aus der Melodija-Box (1972 und 1974 - nicht genau angegeben) reingehört. Also zumindest bei dieser Symphonie Nr. 4 kommt mir Roschdestwenski wirklich nicht "zu brav" vor. Da fielen mir ganz andere Dirigenten ein ...

    Klanglich ist die Melodija-Aufnahme gar nicht übel, sogar ziemlich gut. Sie unterliegt aber doch hörbar der späteren Digitalaufnahme mit dem LSO. Das uns so wichtige Schlagwerk kommt gerade im Finale dort deutlich besser und klarer herüber - in den letzten Takten geht der Paukist nochmal aufs Ganze.


    Rein von den Spielzeiten her wurde Roschdestwenski minimal langsamer, aber alles andere als weniger zupackend:


    Melodija (1972/74): 18:16 - 9:40 - 5:35 - 8:38

    Pickwick/IMP (1987): 19:07 - 9:42 - 5:32 - 9:13


    Das LSO ist halt zudem das noch bessere Orchester, trotz aller Meriten des Moskauer RSO. Die paar Cent, für die man die CD derzeit kriegt, sind gut investiert.


    "This is a success and an easy recommendation if you want Tchaikovsky’s last three numbered symphonies in good and better performances and recordings. [...] The sound is in the superior tradition of other Regis IMP-licensed discs. [...] The Fourth and particularly the Sixth are among the very best. [...] He [Rozhdestvensky] has the advantage of the LSO in finest form and, as with all the recordings here, finest digital sound."

    musicweb-international.com

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Heute habe ich mal "quergehört", wie man so schön sagt, um mir Orientierung zu verschaffen.


    Angefangen habe ich mit Igor Markevitch (London SO). Schon das Schicksalsthema spielt er so signalhaft als ein "Zeichen", wie man es eigentlich sonst nie hört. Das ist straff, glasklar in der Stimmführung und konzentriert. Eindrucksvoll, wie er das Thema des langsamen Satzes ausphrasiert und sehr schlüssig, den Pizzikato-Satz zu dramatisieren, damit das Finale mit seinem überschwänglichen Taumel nicht einfach hereinplatzt, sondern sich an das Vorherige anbindet. Eine exemplarische Aufnahme mit sehr eigenem Profil. Diese Aufnahme ist unverzichtbar.


    Anschließend habe ich den jungen Lorin Maazel mit den Berliner Philharmonikern gehört - sehr engagiert gespielt, mit frischen Akzenten aber auch manchen kleinen Durchhängern im ersten Satz vielleicht. Insgesamt eine wirklich hervorragende Aufnahme!


    Dann noch einmal Claudio Abbado mit den Wiener Philharmonikern. Das Geheimnis von Abbado ist - wenn man genau hinhört - seine unglaublich organische und feinsinnig abgestufte Dynamik. Bei Abbado hat man das Gefühl, dass alles aus einem beweglichen Lebenspuls heraus geschieht, der sich intensiviert und wieder zurücknimmt. Ein einziges Kontinuum. Deswegen gibt es bei ihm keine "Durchhänger", weil alles von diesem Lebenspuls durchzogen wird. Schon atemberaubend, wie nach der Einleitung die Musik allmählich im Leisen versinkt, um sich dann wieder zu beleben. Nur noch bei Yevgeny Mrawinsky hört man diese feindynamischen Abstufungen und die lyrische Binnendramaturgie - das Orchester spielt noch ausgekochter. Atemberaubend, wie Mrawinsky den Pizzicato-Satz dahinhaucht - das kann auch Karajan nicht besser! Beide Aufnahmen sind für mich unverzichtbar.


    Dann habe ich beide Aufnahmen von Herbert von Karajan (DGG 1966 und 1977) gehört. Ich bin ein Karajan-"Jünger" nie gewesen und werde es wohl auch nicht werden, obwohl ich ihn natürlich sehr schätze. Bei der 1977iger Aufnahme zeigt sich das Grundproblem beim späteren und späten Karajan. Ihm geht es eigentlich weniger um das jeweilige Werk sondern primär um die Verwirklichung einer Klangästhetik, die er überall anwendet - ich sage jetzt mal ketzerisch mit mehr oder weniger Erfolg. Das ist dieses durchgehende Legato. Wenn man Karajans Aufnahme von 1977 nach Abbado hört - also die beiden "Ästheten" nacheinander -, merkt man das Karajan-Problem: Wo Abbado dynamisch fein abstuft und man das Gefühl hat, dass die Musik aus der Tiefe hervorquillt, wirkt das bei Karajan plan wie ein Klangteppich und die Rhythmik weit weniger flexibel sondern eher ein bisschen steif. Das Finale finde ich auch gar nicht so schön im Ton. Ganz anders die 1966iger Aufnahme. Schon die Bläser des Schicksalsmotivs haben einen ganz anderen "Biss", einen kämpferischen Ton. Da versucht Karajan viel weniger "schön" zu spielen sondern hat Elan. Auch wenn diese Aufnahme etwas rauher ist und nicht so ästhetisch - etwas in Richtung Markevitch geht, freilich nicht so "analytisch" - finde ich die 1966iger Aufnahme als interpretatorisches Gesamtkonzept überzeugender. Das ist eine Karajan-Aufnahme, die man als Tschaikowsky-Liebhaber haben sollte. Abbado muss ich aber sagen, vereinigt einfach die Vorzüge der 1966iger und 1977iger Karajan-Aufnahmen.


    Bernard Haitink ist auch nicht zu verachten. Besonders das Concertgebouw Orkest spielt superb, hat seinen ganz eigenen Klang - das Solo im langsamen Satz ist schon berührend. Allerdings die ganz große Begeisterung kommt bei mir nicht auf. Alles ist immer engagiert und äußerst sachkundig und sorgfältig interpretiert, aber dann doch auch ein bisschen bieder. In Konzerten konnte Haitink ja aus sich herausgehen - da war er oft packender als in so mancher Studioaufnahme.


    Zum Schluss Sergui Celibidache (München 1993). Ich hatte leider nicht die Zeit, die Aufnahme komplett durchzuhören - das mache ich an einem anderen Tag. Was für eine Aufnahme! Tschaikowsky hatte in der Zeit, wo er die 4. komponierte zwar geheiratet, aber - worauf Mariss Jansons hinweist - auch eine tiefe Lebenskrise. Alle Aufnahmen dieser Symphonie, die ich kenne, spielen sie lyrisch-dramatisch, schön und brillant als Demonstration von Orchesterviruosität. Einzig und allein bei Celibidache hört man: Was sich da abspielt, ist von der ersten bis zur letzten Note eine Tragödie! Das Hauptthema des 1. Satzes ist Schmerz pur. Und das Finale fand ich so erschütternd, dass ich es durchgehört habe. Klar, dass Celibidache, wenn er die Sätze vorher als eine Passionsgeschichte gestaltet hat, hier nicht einfach mit dem Orchester wild drauflosballern kann und in naiver Musizierfreude so tun, als sei nichts gewesen. Aber gerade in dieser Zurückgenommenheit und Verhaltenhalt bekommt dieser gehemmte Finaljubel etwas tief Beklemmendes, fast schon Alptraumhaftes. Dieses scheinbar so überschwänglich jubelnde Pseudo-Kehraus-Finale ist im Grunde bloße Fassade, eine Verdrängungsstrategie - und bei Celibidache wird das hörbar. Die Coda verschlägt einem dann den Atem: Kein vordergründiges Orchesterfeuerwerk, nein, diese Wildheit erinnert an Hector Berlioz, den Hexensabbat aus der Symphonie fantastique. "Jubel" ist hier kein Schlusstriumpf - statt einem per aspera ad astra gibt es eine diabolische Verhöhnung unstillbaren Leidens: einen exaltierten Mephisto-Walzer als Ausklang. Das hat Dimensionen, die auf Schostakowitsch vorausweisen. Es gibt keinen anderen Dirigenten, der diesem Werk eine solche existentielle Tiefe verleiht. Hier kann man die Aussage wagen: Wer Celibidaches Aufnahme nicht kennt, der kennt Tschaikowsky nicht wirklich.


    Für mich unverzichtbar sind nach jetzigem Stand: Celibidache, Mrawinsky, Abbado und Markevitch und vielleicht noch Karajan 1966. Solti bekomme ich ja noch - und auch Szell - und dann höre ich auch Kubelik. Mehr brauche ich danach wohl wirklich nicht! :)


    Schöne Grüße

    Holger

  • Barbirolli/Hallé

    Bei der Durchsicht meiner Bestände fiel mir noch eine Einspielung ins Auge, die ich beinahe unterschlagen hätte: Zwischen 1957 und 1959 spielte Sir John Barbirolli mit seinem Hallé Orchestra die drei letzten Symphonien von Tschaikowski für das Label Pye ein, das später von EMI übernommen wurde. Gemessen an den Aufnahmedaten, muss es sich um mit die frühesten Stereoeinspielungen der Werke handeln. Die Vierte, um die es hier in erster Linie gehen soll, entstand im Mai 1957 in der Free Trade Hall, Manchester. Gemessen an dem sehr hohen Alter klingt die Aufnahme wirklich sehr gut. Es ist ein direktes Klangbild, wie ich es schätze, mit einer Betonung der Pauken und der Blechbläser.

    Die Spielzeiten sind wie folgt: 17:05 - 8:58 - 5:40 - 9:04

    Gerade lief die Aufnahme hier und ich lauschte ihr mit zunehmender Begeisterung. Das ist schon ein verdammt guter, sehr emotionaler und eruptiver Tschaikowski! Ich habe mich vor Jahren, als ich mir die Aufnahmen zulegte, vor allem mit der Fünften und Sechsten beschäftigt, aber gerade die Vierte lag Barbirolli offenbar vorzüglich. Es ist wirklich gar kein banales Werk mit einem begnadeten Dirigenten. Den Kopfsatz bringt er außerordentlich monumental und voller Pathos mit schroffen Kontrasten. So liebe ich Tschaikowski, der eben auch ein pathetischer Mann war. Der langsame Satz ist hier überraschend flott und beschwingt, eben ein Andantino und kein Adagio, so gar nicht sentimental. Das geniale, federleichte Pizzicato-Scherzo blüht förmlich auf. Feuriger kann man das Finale kaum dirigieren. Der Paukist glänzt in der Coda nochmal ganz besonders.

    Mittlerweile ist die Aufnahme am einfachsten in der von der Barbirolli Society aufgelegten Doppel-CD-Box zu haben. Die ursprüngliche CD-Ausgabe aus der Reihe EMI Phoenixa gibt es nur mehr gebraucht.


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    Reinhören kann man hier:


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Bei der Durchsicht meiner Bestände fiel mir noch eine Einspielung ins Auge, die ich beinahe unterschlagen hätte: Zwischen 1957 und 1959 spielte Sir John Barbirolli mit seinem Hallé Orchestra die drei letzten Symphonien von Tschaikowski für das Label Pye ein, das später von EMI übernommen wurde.

    Siehst Du, lieber Joseph, und ich hätte fast unterschlagen, dass ich noch Willem Mengelberg habe! Ihn hatte ich gestern glatt vergessen und muss ihn natürlich noch hören!



    Beim kurzen Reinhören gefällt mir Barbirolli ganz ausgezeichnet! Dieser Thread entwickelt sich wirklich zur Werbung für Tschaikowsky und verführt zur intensiveren Beschäftigung! Dazu gehört dann aber auch finde ich, dass man über das "gefällt mir, gefällt mir nicht" hinaus doch die wesentlichen Interpretationsansätze charakterisiert - auch historisch. Klemperer ist da wichtig - und was ist mit Toscanini? Hat er die Symphonie dirigiert? Oder Furtwängler? Denn sonst fragt man sich: Was kann man eigentlich an dieser Musik entdecken mehr als eine noch brillantere und noch mehr auf Hochglanz polierte Aufnahme, wo vermeintlich über diese Musik alles gesagt ist und nichts mehr zu sagen ist?


    Schöne Grüße

    Holger

  • Willem Mengelberg



    Meine Ausgabe:



    Man liegt bei Willem Mengelberg sicher nicht falsch, wenn man davon ausgeht, dass er mit der Erfahrung des Mahler-Dirigenten an Tschaikowsky herangeht. Folgt man insbesondere den Programmentwürfen von Mahlers frühen Symphonien, dann wird Symphonik da zur "Erlebniskunst", indem sie eine Lebensgeschichte erzählt: Ein "Held", der ein Schicksal hat und damit hadert. Genau deshalb ist Mengelbergs Interpretation von Beginn an so fesselnd: Man hört das Signal des Schicksals und das musikalische Subjekt reagiert darauf erschüttert mit seiner Klage in den Holzbläsern. Dieser klagende Ton zieht sich auch durch das Hauptthema durch: Das Leben ist ein Kampf mit Höhen und Tiefen, Depression und leidenschaftlichem Aufbegehren. Typisch für Mengelberg ist der sehr markant gestaltete Rhythmus, der das Geschehen trägt. Mengelberg dirigiert nicht "analytisch" in dem Sinne, dass er versuchte, den Tonsatz "objektiv" darzustellen. Seine "Deutlichkeit" ist vielmehr im Mahlerschen Sinne die, welche die Ausdrucksgebärde hervorhebt. Ungewöhnlich und für unsere Ohren heute gewöhnungsbedürftig ist das exzessive Rubato im Andantino-Satz. Aber zu diesem Expressionismus gehört eben, dass der einzelne Lebensrhythmus seine individuelle Gestalt hat und sich nicht einem allgemeinen und einheitlichen, fließenden Grundtempo unterordnen muss. Der Pizzicato-Satz ist alles andere als zart duftendes Orchesterparfüm, sondern ebenfalls von kräftiger Leidenschaft durchzogen. Wirklich ungewöhnlich ist die Gestaltung des Finalsatzes: Mengelberg beginnt mit dem Überschwang eines Finaljubels, um dann aber im antwortenden Couplet das Tempo immer wieder radikal herauszunehmen: Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt - das Subjekt durchleidet die Extreme höchster Lebensenergie und zäher und quälender Lethargie. Damit wird das Finale dramatisiert im Sinne einer Konfliktschärfung und verliert so jegliche - auch illusorische - Leichtigkeit eine Kehraus-Finales. Tschaikowskys 4. wird so fast zur "Finalsymphonie". Mengelbergs Expressionismus ist sicher völlig "unklassisch" und "objektiv" betrachtet eine Zeit-Versetzung: Wenn man bedenkt, dass diese Symphonie 1877 komponiert und die 4. Symphonie von Brahms 1885 vollendet wurde, wird deutlich, wie nah Tschaikowsky noch dem romantischen Klassizismus ist. Mengelbergs Interpretation wirkt von daher wie ein Zeitsprung in die expressionistische Epoche um 1910. Doch genau damit zeigt sich die zukunftsweisende Perspektive von Tschaikowskys Musik: Die "Klassizität" dieser Symphonie ist fast nur noch eine Hülle - ein bloßer "Trost der schönen Formen" gar? Ich finde, dass diese Mengelberg-Aufnahme ein unbedingt lohnendes Hörabenteuer in Sachen Tschaikowsky darstellt, gerade weil sie so ungewöhnlich und jenseits des Mainstreams ist! :)


    Schöne Pfingstgrüße

    Holger

  • George Szell




    Dank Nemorino ist mir auch Szells Aufnahme der 4. zugänglich geworden und ich war natürlich sehr gespannt. Absichtlich habe ich eine ganz andere Aufnahme von ihm, die nicht mit "seinem" Cleveland Orchestra gemacht ist, darunter gesetzt, weil dies finde ich zeigt, was für ein Dirigent Szell war. Damals bei den Salzburger Festspielen sollte Szell eigentlich die Wiener Philharmoniker dirigieren. Das Orchester war aber verhindert und so baten die Wiener die Tschechische Philharmonie, mit der sie freundschaftliche Beziehungen unterhielten, einzuspringen. Die Tschechische Philharmonie hat einen sehr idiomatischen Eigenklang. Das Verblüffende ist, dass das Orchester trotz kurzer Festspiel-Probenzeit den typischen Szell-Klang zeigt, so, als hätten sie sich in das Cleveland Orchestra verwandelt. Die Aufnahme ist wirklich sehr gelungen!


    Szell ist also ein Dirigent, der "seinen" Klang einem Orchester in kürzester Zeit aufprägen kann. Das ist auch in seiner Aufnahme der 4. Tschaikowskys mit den Wiener Philharmonikern der Fall. Nach dem Hören muss ich sagen bin ich doch sehr verwundert über die enthusiastischen Besprechungen. 8| Ich finde Szells Aufnahme vom ersten Moment an eine totale Enttäuschung! ;( Natürlich zeigt er, dass er diese Symphonie mit den üblichen Szell-Qualitäten perfekt dirigieren kann. Nur das Grundproblem ist, dass es zwischen Orchester und Dirigenten keinerlei Wahlverwandtschaft gibt. Da stimmt einfach die Chemie nicht. Die Wiener haben ja diese gewisse geschmäcklerische Selbstverliebtheit in den eigenen Klang, in dem sie schwelgen können, sie spielen "schön". Dazu bietet ihnen Szell aber zu keiner Zeit Gelegenheit. Entsprechend spielt das Orchester diesen Tschaikowsky lieblos und routiniert runter, wie eine zu erfüllende Pflichtaufgabe ohne jegliche Begeisterung. Das ist pottnüchtern, ausstrahlungslos, in den lyrischen Passagen geradezu öde. Eine Katastrophe ist der langsame Satz, der im geschwinden Tempo heruntergenudelt wird ohne jegliche innere Anteilnahme. Gerade die lyrischen Passagen im 1. Satz, die den Schmelz des Verführerischen zum Leben haben, klingen völlig leblos, steril-antiseptisch. Der Pizzicato-Satz fällt nur mit einem auf: mit völliger Reizlosigkeit. Zudem fragt man sich, ob Szell überhaupt so etwas wie einen eigenen interpretatorischen Ansatz hat. Schon das Hauptthema des Kopfsatzes ist dermaßen belanglos - das hört sich so an, als ob der Dirigent das spielt wie irgendein beliebiges Symphoniethema, "richtig" natürlich, aber völlig charakterlos: Das hat schlicht keinen individuellen Eigencharakter, gewissermaßen die Maske der Anonymität auf. Da muss man sagen, ist Claudio Abbados Aufnahme mit den Wiener Philharmonkern dieser Szell-Aufnahme mit demselben Orchester turmhoch überlegen. Da stimmt nämlich das Entscheidende: die Chemie zwischen Orchester und Dirigent. Abbado, der ein ungemein subtiler feinsinniger Musiker gewesen ist, schafft es nämlich, die Wiener zu einer Leistung zu inspirieren, wo sie zu ihrem Besten finden, sogar über sich hinauswachsen. Abbado ist auch ein ganz anderer Typ Dirigent, der wie kaum ein Zweiter die Eigenarten des jeweiligen Orchesters für seine Vorstellungen zu nutzen vermochte, ohne ihnen seine Vorstellungen diktatorisch aufzuzwingen. Mit dem Chicago SO ist das merkwürdiger Weise schief gegangen - da wiederum stimmt die Chemie mit Solti, der hier das Beste aus seinem Orchester herausholt. Deswegen habe ich mir die Solti-CD auch besorgt. Ich kann mit der Szell-Aufnahme jedenfalls nichts anfangen. Die Klemperer-Aufnahme dagegen kann man bei Youtube hören und sie finde ich grandios! Kein Vergleich mit Szell! :)


    Schöne Grüße

    Holger

  • Ich habe vor Abbado mit der 6. den Finalsatz mit Szell gehört. So "technisch" und seltsam uninspiriert habe ich den Satz eigentlich noch nie gehört. Man meint, die Wiener Philharmoniker machen nur das, was sie sollen - nicht mehr und nicht weniger. Die Musizierart von Szell ist - zumindest bei Tschaikowsky - etwas, was den Wienern offenbar einfach nicht liegt.


    Ich habe übrigend festgestellt, dass ich noch eine Aufnahme von Kurt Sanderling mit der 4. Tschaikowsky habe - mit dem Berliner Symphonieorchester (Denon):



    Schöne Grüße

    Holger

  • Hallo Holger,


    danke für Deine Eindrücke zu George Szell. Aber ist die Decca-Einspielung nicht mit dem London Symphony Orchestra? Wie gesagt, Szell gab diese zu Lebzeiten nicht frei - liest man Deine Rezension, versteht man vielleicht doch, warum. Es hat sich wohl noch ein Live-Mitschnitt mit seinem Cleveland Orchestra von 1968 erhalten. Angeblich wollte er sie in der Spielzeit 1970/71 auch nochmal einspielen - sein Tod am 30. Juli 1970 verhinderte dieses Vorhaben. Mit den Wienern hat er sie wohl eher nicht gemacht. Zumindest findet man in den einschlägigen Diskographien dazu keinen Hinweis.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Ich finde Szells Aufnahme vom ersten Moment an eine totale Enttäuschung!

    …. o weh, lieber Holger, das ist aber ein Verriß! Ich mußte spontan an Marcel Reich-Ranicki und sein Urteil über "Ein weites Feld" von Günter Grass, mitsamt dem dazugehörigen SPIEGEL-Titel, denken! Ist die Aufnahme wirklich so schlecht, oder hattest Du nur schlecht geschlafen?:)


    Im Ernst: Offenbar sind wir hier geschmacklich total auseinander, obwohl ich ja gleich gesagt hatte, daß mir eigentlich eine weniger martialische Gangart bei dieser Sinfonie mehr zusagt. Aber ich finde nicht, daß Szell nicht bei der Sache war oder mit dem Orchester (natürlich ist es das London Symphony und nicht die Wiener Philharmoniker, aber darauf hat Joseph ja schon hingewiesen) nicht recht harmonierte. Ich hatte die Aufnahme seit undenklichen Zeiten nicht gehört, aber ich war letzte Woche wirklich richtig hin und weg, als ich Szells forsche, ja mitreißende Auslegung hörte. Eben eine ganz ungewohnte Lesart, die sich himmelweit von meinen Lieblingsversionen (Monteux, Karajan) unterscheidet. Gerade das fand ich daran ja so faszinierend. Ich habe mir jedenfalls vorgenommen, die Aufnahme so bald wie möglich noch einmal zu hören. Szell war für seine außergewöhnlichen Interpretationen bekannt, fern von jeder Routine, aber genauso bekannt war er für harte, unnachgiebige Probenarbeit und Vorbereitung. Deshalb ist es für mich schwer vorstellbar, daß er hier so total daneben gehauen hat, wie Du es empfunden hast. Vielleicht wäre es ratsam, nach einer Pause einen zweiten Versuch zu machen, manchmal kommt man da zu ganz anderen Eindrücken. Mir hat auch die überbrillante Aufnahmetechnik von DECCA zugesagt, und das Orchester spielte, so kam es mir jedenfalls vor, als ginge es um sein Leben.

    Szell hat einen Monat später mit dem London Symphony Orchestra für DECCA das Brahms-Konzert Nr. 1 mit Clifford Curzon aufgezeichnet, und dann noch Aufnahmen von Händels Wasser- und Feuerwerksmusik (Auszüge, in Bearbeitungen für modernes Orchester) gemacht; vor allem das Konzert hat seinerzeit Furore gemacht. Die Aufnahme liegt mir auf CD vor. Sie erreicht vielleicht nicht die einzigartige Geschlossenheit von Rubinstein/Reiner (RCA), kann aber immer noch einen Platz unter den besten behaupten.

    Die "Egmont"-Musik, die auf der CD aus "Füller" dient, wurde komplett im Dezember 1969 in Wien produziert. Hier sind nur 6 Stücke incl. der Ouvertüre drauf, als Solistin wirkte die spanische Sopranistin Pilar Lorengar mit.


    Schönen Abend und liebe Grüße,

    Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • …. o weh, lieber Holger, das ist aber ein Verriß! ... Ist die Aufnahme wirklich so schlecht, oder hattest Du nur schlecht geschlafen? :)


    Im Ernst: Offenbar sind wir hier geschmacklich total auseinander, obwohl ich ja gleich gesagt hatte, daß mir eigentlich eine weniger martialische Gangart bei dieser Sinfonie mehr zusagt. Aber ich finde nicht, daß Szell nicht bei der Sache war oder mit dem Orchester (... London Symphony ... ) nicht recht harmonierte.

    Holger und Du, lieber nemorino,

    ihr beide sorgt auf jeden Fall dafür, dass die Szell - Aufnahme der Sinfonie Nr.4 LSO (Decca) auf jeden fall jetzt noch interessanter für einen Kauf erscheint.

    Ich höre sie mir aber erst einmal auf YT an und werde über meine Eindrücke berichten.


    8) Noch nebenbei erwähnt:

    Ich habe von Szells Repertoire alles was mich in der Klassik interessiert. Es gibt keine Interpretation von ihm, von der ich nicht überzeugt wäre ... oder die ich total daneben finden würde.

    ;) Von daher kann ich mir nicht vorstellen, dass Szell bei Tschaikowsky überhaupt daneben liegen kann ! Zumal wenn man dazu auch weitere Eindrücke liesst.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Im Ernst: Offenbar sind wir hier geschmacklich total auseinander, obwohl ich ja gleich gesagt hatte, daß mir eigentlich eine weniger martialische Gangart bei dieser Sinfonie mehr zusagt.

    Ich mag hier die "martialische Gangart" auch nicht ^^ , lieber Nemorino. Siehe Klemperer - das ist wirklich eine wunderbare Aufnahme auch aus London.

    Aber ich finde nicht, daß Szell nicht bei der Sache war oder mit dem Orchester (natürlich ist es das London Symphony und nicht die Wiener Philharmoniker, aber darauf hat Joseph ja schon hingewiesen) nicht recht harmonierte.

    Aber man kann sich schon fragen, warum Szell selber diese Aufnahme problematisch fand. Die Londoner spielen das so gelangweilt bis hin zur Blasiertheit, dass ich es jedenfalls kaum noch ertragen kann. (Igor Markevitch spielt mit demselben Orchester und dazwischen liegen Welten!) Sie zeigen, dass sie orchestertechnisch perfekt sind, aber mehr kommt da nicht raus. Ich habe kurz mal in die Denon-Aufnahme von Kurt Sanderling reingehört. Da wird geradezu liebevoll im Detail gearbeitet - die Aufnahme ist erheblich besser als der alte Konzertmitschnitt mit den Leningradern. Auch das ist mir lieber als diese Einfallslosigkeit bei Szell. Vielleicht hat er die Musik totgeprobt? Wer weiß... :D :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

  • Lorin Maazel fand schon Erwähnung mit den Aufnahmen bei Deutsche Grammophon und CBS.


    Diese Aufnahme hat Johannes Roehl in Beitrag 75 kurz angetönt:

    Oktober 1964 fand die Aufnahme im Sofien-Saal in Wien mit den Wiener Philharmonikern für das Label DECCA statt. Gordon Parry war der Toningenieur.

    Eine wunderbar durchhörbare Stereoaufnahme. Die Holzbläser sind gut zu orten, das Blech ist kernig und satt, die Streicher sind gut gestaffelt. Ein Gradmesser sind für mich die Pauke im 1. Satz und das Triangel im 4. Satz.


    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




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  • Tschaikowsky und kein Ende!


    Hallo moderato,


    die Maazel-Aufnahme der Vierten aus Wien habe ich nicht, aus dieser Serie steht nur die Fünfte bei mir im Regal. Deshalb kann ich Deine Aussage zur Klangqualität nur bestätigen, denn diese ist um die gleiche Zeit entstanden.


    Ich habe aber heute Nachmittag endlich die Vierte mit Maazel von 1960 (DGG) mit den Berliner Philharmonikern gehört. Diese war zwar schon auf LP in meinem Bestand, ist mir aber nach Einführung der CD aus dem Blickfeld gekommen. Nun habe ich sie seit einigen Tagen auch auf CD, in dieser 10 CD-Kiste:


    Meine Erinnerung hat mich nicht getäuscht, es ist eine großartige Interpretation des damals gerade 30jährigen Lorin Maazel!

    Maazel bekommt den fabelhaften Spagat hin bei allen gebotenen Emotionen, die Sinfonie nicht zu sehr aufzuputschen, ohne auf die nötigen Emphasen (ohne diese Sinfonie ja nun wirklich nicht auskommt) zu vernachlässigen.

    Das sind auch meine Eindrücke. Maazel erinnert mich in mancherlei Hinsicht an seinen Vorgänger in Berlin, Ferenc Fricsay, der 1953 mit dem RSO Berlin das Werk für die DGG eingespielt hatte. Von der viel schlechteren Klangtechnik (mono) abgesehen, bietet sie einen ganz ähnlichen Interpretationsansatz. Auch die Spielzeiten sind wenig voneinander entfernt; das gilt für alle vier Sätze.

    Doch zurück zu Maazel: Wenn ich an seiner frühen Berliner Aufnahme etwas zu beanstanden hätte, so wäre es vielleicht das für meine Begriffe etwas zu laute, fast lärmende Finale. Maazel nimmt das "con fuoco" wirklich mehr als wörtlich, an einigen Stellen tut er m.E. des Guten ein wenig zu viel. Jugendliches Feuer eben! Das ist aber aus meiner Sicht der einzige nennenswerte Einwand gegen eine ansonsten großartige Lesart dieser Sinfonie. Die Klangtechnik ist von erstaunlicher Güte und Durchsichtigkeit, die Aufnahme übertrumpft in dieser Hinsicht manche neuere, z.B. Abbados Londoner Produktion von 1968 (ebenfalls DGG). Ich bin froh, daß ich mir Maazels frühe Genietat nun wieder ungeschmälert auf CD anhören kann.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Die frühen Fricsay-Aufnahmen von 4-6 (von 6 gibt es noch eine späte) gehören zu den "härtesten" und trockensten (auch befördert durch den trockenen Mono-Klang) Einspielungen dieser Werke. Fast ein bißchen zu viel des Guten, aber wem Tschaikowsky sonst zu schmalzig ist, der findet hier eine Alternative (ähnlich bei Klemperer, nur eben mit schnellen Tempi).

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Die frühen Fricsay-Aufnahmen von 4-6 (von 6 gibt es noch eine späte) gehören zu den "härtesten" und trockensten (auch befördert durch den trockenen Mono-Klang) Einspielungen dieser Werke.

    Hallo, Johannes Roehl,


    ich besitze sie alle in dieser Fricsay-Gedächtnis-Box mit 45 CDs, die alle instrumentalen Studioeinspielungen des Dirigenten festhält:


    Sie entstanden 1952 (Nr. 4), 1949 (Nr. 5) und 1953 (Nr. 6), mit den Berliner Philharmonikern, selbstverständlich in Mono.

    Nur von der Nr. 6 gibt es eine spätere Studioeinspielung vom September 1959, in STEREO, diesmal mit dem Radio-Symphonie-Orchester Berlin, die aber von Fricsay nicht zur Veröffentlichung freigegeben wurde, weil er einige Retuschen vornehmen wollte. Die konnte wegen seiner fortgeschrittenen Krankheit nicht mehr verwirklicht werden, und so ist die Aufnahme erst viel später, erstmals 1996, erschienen, mit ausdrücklicher Genehmigung der Ferenc-Fricsay-Gesellschaft, die über das künstlerische Erbe des Dirigenten wacht.

    Doch hier geht es ja um die Vierte, die er nur einmal aufgezeichnet hat. Künstlerisch ist sie, wie auch die beiden anderen, von hohem Wert, aber für heutige Ohren ist der trockene Monoklang schon gewöhnungsbedürftig (erstaunlich ist, daß die Nr. 5 von 1949 besser klingt als die späteren Aufnahmen!). Speziell die Vierte hatte ich bereits auf LP; doch auch ich, der nicht grundsätzlich Mono ablehnt, höre sie heutzutage nur noch sehr selten. Bei diesen großsinfonischen Werken klingt alles doch sehr eindimensional, das Orchestergewebe zu undurchsichtig. So ist sie eigentlich nur noch zu Vergleichszwecken oder aus historischem Interesse an Fricsay zu gebrauchen.

    Wenn ich die Vierte heute hören möchte, greife ich meist auf Karajan (1976) oder Mrawinskij (1960, beide DGG) zurück.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Tschechische Philharmonie/Slovák (1975)

    41PirZzYW8L._SX400_.jpg Original-LP: R-8878091-1530823777-8514.jpeg.jpg


    Eine Einspielung, die vermutlich nahezu vergessen ist, stellt jene der Tschechischen Philharmonie unter dem slowakischen Dirigenten Ladislav Slovák (1919-1999) dar, der heute durch seine Naxos-Aufnahmen wohl noch am geläufigsten ist. Supraphon spielte zu ČSSR-Zeiten die drei letzten Tschaikowski-Symphonien ein, wobei Lovro von Matacic Nr. 5 und 6 verantwortete (1960 und 1968). Ein paar Jahre später erfolgte dann auch die Produktion der Symphonie Nr. 4 (1975).


    Kurz gesagt: Das ist mit die überzeugendste Interpretation, die ich mir in meinem lang andauernden Vergleichshören vorgenommen hatte. Im Tonfall deutlich östlich angehaucht, doch auch mit unverkennbar böhmischer Note versehen, liefert Slovák eine brillante Analyse des häufig verkannten Werkes, die zu keinem Moment an Versüßlichung denken lässt.


    Die Spielzeiten: 17:58 - 9:40 - 5:35 - 9:01


    Die Klangqualität steht dem glücklicherweise nicht nach. Als Beigabe erhält man eine der individuellsten Interpretationen von Francesca da Rimini mit den Brünner Philharmonikern unter Stabführung des jugoslawischen Dirigenten Oskar Danon (1913-2009) von 1976.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Niemand wird ernsthaft Otto Klemperer als Tschaikowsky-Spezialisten bezeichnen wollen, aber seine 1963 gemachten Aufnahmen der drei letzten Sinfonien dieses Komponisten sind es durchaus wert, nicht in Vergessenheit zu geraten.

    Im vergangenen Sommer haben wir hier ausführlich über Tschaikowskys Vierte diskutiert, und dabei habe ich festgestellt, daß ich wohl die Nr. 5 & 6 mit Klemperer in meiner Sammlung habe, aber nicht die Vierte, was mich veranlaßt hat, diese Lücke zu schließen.

    Ich bestellte mir folgende Einzelausgabe, einen Japan-Import:

    Fast zwei Monate habe ich auf die Lieferung gewartet, aber vor ca. 2 Wochen kam die CD endlich an, und erst jetzt ist es mir gelungen, sie ganz zu hören.

    Fazit: Als bekennender Klemperer-Fan bin ich froh, die Aufnahme endlich bei mir einreihen zu können. Ich würde sie nicht als Favorit an die erste Stelle setzen, aber eine Spitzenposition hat sie m.E. durchaus verdient. Sie trägt alle Merkmale einer typischen Klemperer-Aufnahme: trocken, nüchtern, analytisch, monumental, aber ohne jeden Bombast. Klemperers Tempi sind gemessen, doch die tänzerischen Elemente kommen deshalb nicht zu kurz, und das Pizzicato-Scherzo des 3. Satzes gelingt ihm ganz hervorragend. Kurzum: eine Auslegung, die es verdient, beachtet zu werden. Das Philharmonia Orchestra ist übrigens in glänzender Form, die Aufnahmetechnik ebenso.

    Leider ist das Booklet nur mit japanischen Schriftzeichen gefüllt, für Mitteleuropäer wenig hilfreich:). Die Aufnahme entstand in London, Jan./Febr. 1963, Kingsway Hall.


    Ich habe sie neulich schon kurz in "Diese Aufnahme geht auf das Konto TAMINO-Klassikforum" vorgestellt.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

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