Wiener Mozartpapst Karl Böhm

  • Lieber Alfred,


    warum gleich wieder so polemisierend? Ich gebe offen zu, daß Böhms Dirigate viel zu hochwertig sind, als daß man sie als schlecht bezeichnen könnte. Indes kann mich sein Mozart aber nicht wirklich fesseln. Einiges gefällt mir sehr gut (KV 299), manches höre ich lieber in anderen - wohlgemerkt nicht aggressiveren - Interpretationen.


    Und genau das finde ich etwas unfair. Nicht jeder, der Mozart noch etwas lebendiger gestaltet als Böhm ist gleich giftig oder aggressiv. Es gibt sie sicher, die sehr kratzbürstigen Einspielungen, deren Freund ich auch nicht unbedingt bin.


    Man sollte ruhig mal ne Sekunde darüber nachdenken, was man mit "Biss" meint.
    Denn für mich hat Mozart streckenweise sehr wohl Biss. Wir schweben bei Mozart nicht in den pastosen Landschaften eines Delius, der für meine Begriffe, tatsächlich streckenweise ohne Biss auskommt (seine Musik hat trotzdem Zauber!).


    Jetzt werde ich mal etwas polemisch - lieber höre ich mir die "Entführung" in einer teils sehr reibenden Intepretation an, als in einer Version für den Bridge-Sonntagnachmittag distinguierter, älterer Damen. Denn Mozarts Musik lebt von Frische, Verve und Witz - natürlich auch von Eleganz. Letzteres aber nicht vorwiegend - Böhm ist entspricht keinen der beiden, aber tendiert für mich schon eher in Richtung Sonntag nachmittag... ;)


    :hello:
    Wulf

  • Also ich gehöre der Generation an die mit
    KARL BÖHM groß geworden ist.
    Ich hab ihn so, so oft erleben dürfen in
    Berlin, Salzburg und Wien und erkläre
    mich als doppelt befangen, weil meine
    Eltern mit ihm gut befreundet waren und
    diese Freunschaft von Karl Böhm und seiner Gattin
    sich auch auf mich übertrug!!!


    Für unsere Generation war er ein gültiger
    Gegenpol zu Herbert von Karajan und ich verdanke
    Karl Böhm meine Liebe zu Mozart.


    Ich habe von ihm nicht nur einmalige Konzerte
    sondern auch Opernaufführungen gesehen und
    gehört.


    Ich habe ihn auch bei vielen Proben und Schallplatten-
    aufnahmen erleben dürfen, so z.B. bei der "Zauberflöte"
    Aufnahmen in der Jesu Christus Kirche zu Berlin für
    die DGG.


    Er gehört meiner Meinung nach zu den ganz
    großen Dirigenten der Vergangenheit auch wenn
    seine Aufnahmen dem einen oder anderen heute
    nicht mehr gefallen mögen.


    Eine große Lanze hier für KARL BÖHM.


    :angel:

    mucaxel

  • Zitat

    Original von Wulf
    Ich gebe offen zu, daß Böhms Dirigate viel zu hochwertig sind, als daß man sie als schlecht bezeichnen könnte.


    Lieber Wulf,


    Deine rückhaltlose Offenheit in diesem Punkt beeindruckt. Und dann noch dieses überaus großzügige Gesamturteil! Das wird den Karl auf seiner Wolke sicher sehr glücklich machen. :)


    Loge

  • Lieber Alfred,
    aber seien wir ehrlich: Krips ist einfach - wie soll ich sagen? - spritziger, knackiger, differenzierter. Und dann wären da noch ein gewisser Erich Kleiber und ein gewisser George Szell, die sicherlich nicht so viel Mozart aufgenommen haben wie Böhm. Aber mir kommt das mehr entgegen. Es ist nicht so gemütlich, so unverbindlich freundlich, und doch fern der "Giftigkeit".
    Ich bleibe dabei: Wo Böhm mich überzeugt, ist Wagner. Da kommt ihm kein Zeitgenosse gleich. Böhms "Ring" ist von den älteren Einspielungen ein Maßstab, sein "Tristan" bis zu dem Carlos Kleibers unübertroffen - ich meine die orchestrale Leistung, über die Sänger mag man streiten, ob sie (speziell bei Kleiber) wirklich ideal sind.
    Außerdem konnte Böhm Strauss dirigieren - und wie! Das war elegant, edle Süße, wunderbar den Stimmen folgend. Ich erinnere mich an eine "Ariadne", Böhm konnte kaum noch gehen oder stehen; aber taktieren konnte er. Die Philharmoniker parierten, und ich trug in mein Opern-Tagebüchlein ein: "Heute DIE ,Ariadne' gehört". Vielleicht hätte mich Böhm überzeugen können, daß an Strauss doch mehr dran ist, als ich glaube. Ich halte auch seine "Elektra"-Aufnahme für makellos - und von geradezu gewalttätiger Wucht. Da merkt man, daß Böhm Alban Berg mochte und den "Wozzeck" quasi als Kontext mitdirigierte.
    Darum tut es mir jedesmal geradezu leid, wenn man ihn auf Beethoven festlegt und auf Mozart. Beethoven konnten nun Toscanini, Furtwängler und auch der frühe Karajan besser, Mozart die oben von mir genannten. Aber Wagner und Strauss - da war Böhm für mich schon eine Klasse für sich.
    :hello:

    ...


  • Lieber Mucaxel!


    Recht hast Du,das waren traumhafte Aufführungen, zumal ich in der Zauberflöte, damals, den 1.Knaben sang, und ich bin mit Karl Böhm, so über 7 Äcker, verwandt gewesen.


    Aber er war sehr genau, auch bei den Proben, was ja nicht Schlechtes heißen soll, aber er ließ auch, trotz familiärer Bindung, keine Schlamperei durchgehen.


    Übrigens war er für mich auch ein ausgezeichneter Verdi - Dirigent.


    Liebe Grüße Peter aus Wien. :hello: :hello:

  • Karl Böhm, Furtwängler und Karajan streiten sich, wer der beste Dirigent für Mozart ist. Furtwängler: "Schaun Sie sich die Kritiken an: Alles sagt, ich sei der beste Mozart-Dirigent." Böhm fährt ihn an: "Das kann nicht sein! Mir ist im Traum der liebe Gott persönlich erschienen und hat gesagt: "Du bist der beste Dirigent für Mozart." Springt Karajan auf und faucht: "Was?! Das soll ich gesagt haben?!"


    :rolleyes:

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Ulli
    Springt Karajan auf und faucht: "Was?! Das soll ich gesagt haben?!"
    :rolleyes:


    Unter uns gesprochen: diese Hybris wüde ich ja eher Karl Böhm zutrauen...


    Für mich bleibt er ein Jugendidol. Tatsächlich in Gegenpositionierung zu Herbert von Karajan. Auf den Mozart-Dirigenten Böhm bin ich erst durch dieses Forum aufmerksam geworden. Fasziniert hat er mich mit Schubert - dem vor allem - Beethoven, Richard Strauss und Alban Berg. Mittlerweile begeistert mich Böhms Bruckner. Ich stelle fest: die alte Auseinadersetzung geht weiter. Böhm vs. Karajan. Mit mir auf der Seite von Böhm.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Zitat

    Original von Ulli
    Karl Böhm, Furtwängler und Karajan streiten sich, wer der beste Dirigent für Mozart ist.


    Wo ist der Krips? :P

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Böhms Mozart kannte ich bislang am ehesten durch Opern-Aufnahmen; nur ein paar späte Symphonien wie die 40. waren mir im Ohr. Um diesem unhaltbaren Zustand Abhilfe zu verschaffen, habe ich mir sämtliche von Böhm aufgenommenen Symphonien zugelegt:



    Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791)
    46 Symphonien
    Berliner Philharmoniker
    Karl Böhm
    Berlin, Jesus-Christus-Kirche, 10/1959 (K. 385, 318, 504); 12/1961 (K. 550); 3/1962 (K. 551); 2 & 3/1966 (K. 184, 297, 338, 543, 425); 3 & 11/1968


    Diese 1996 erschienene Gesamtaufnahme macht einen sehr hochwertigen Eindruck und ist m. E. optisch der völlig mißlungenen Neuauflage von 2006 vorzuziehen. Der Inhalt ist identisch, jedoch könnte es sein, daß bei der neueren Edition die CDs lieblos in Papphüllen stecken – in der alten Auflage jedenfalls befinden sich die 10 CDs in zwei CD-Boxen für je 6 bzw. 4 CDs. Ein Beiheft ist dabei. Der Preis ist derselbe, von daher würde ich jedem zur alten Box raten, die (noch) lieferbar ist.


    Hier noch ein Photo der 2006er Auflage:



    Doch nun zum Inhalt:


    Entgegen allen Unkenrufen gelingen Böhm auch die in der letzten Aufnahmesitzung 1968 eingespielten kleineren frühen Symphonien sehr ansprechend (hier würde ich insbesondere die 1. hervorheben). Der Klang der Berliner Philharmoniker ist durchaus passend für diese Werke. Es klingt nie irgendwie aufgebläht oder zähflüßig, vielmehr z. T. sehr beschwingt (das hätte ich Böhm gar nicht zugetraut). Ob jetzt die späteren Wiener Aufnahmen bei den großen Symphonien wie 40 und 41 vorzuziehen sind, bleibt letztlich Geschmackssache. Auch die früheren Berliner Aufnahmen der späten Symphonien sind überaus gelungen. Ich habe ja vor einiger Zeit einen Direktvergleich zwischen der Berliner und der Wiener Aufnahme der 40. angestellt, und die Wiener schließlich leicht vorgezogen, doch war dies kein Urteil gegen die Berliner Aufnahme. Auch die Berliner Philharmoniker verströmen einen Wohlklang, der nie süßlich wirkt. "Apollinisch" beschreibt es wirklich gut. Böhms Mozart ist ein streng dirigierter ohne Mätzchen und Starallüren, ganz im Dienste des Werks. Die LP-Cassette, die in den 70ern wohl in vielen Haushalten stand, ist auch heute, nach bald einem halben Jahrhundert, in CD-Form noch immer mehr als hörenswert und stellt m. E. auch für den Anfänger einen empfehlenswerten Einstieg in die Welt der Mozart-Symphonien dar.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Das Bild, das von Karl Böhm heute oft gezeichnet wird ist natürlich nicht nur falsch - sondern BEWUSST diffamierend.
    Böhm war - in Sachen Mozart - immer schon "spritzig" - allerdings nie aggressiv - und daneben dirigierte er einen "majaetätischen" Beethoven und einen"wienerischen" Schubert, vermochte es bei Wagner knallen zu lassen, färbte Brahms wienerisch ,herbstlich und war- wie einige Aufnahmen eindeutog belegen - auch ein famoser Bruckner-Dirigent.
    Richard Strauss, mit dem er befreundet war, überhäufte ihn mit Komplimententen in Bezug uau das Dirigat seiner Werke und widmete ihm seine Oper "Daphne"..


    Den "Langweiler" Böhm kreierten seine Feinde, die ihm sein angebliches politisches Vorleben vorwarfen, was aber mangels Interesses des Publikums - änlich wie bei Karajan - nicht den gewünschten Erfolg hatte.: Sein Ruhm war ungebrochen - das Wiener (und auch das internationale) Publikum jubelten ihm zu.


    Erst nach seinem Tod begannen die Angriffe - man wechselte die Strategie und verlegte sich darauf, Böhm als "grantigen, mittelmäßigigen Kapellmeister" darzustellen. Hiebei mischte man geschickt Wahrheit und Dichtung - und hatte teilweise Erfolg damit.


    Bei Karajan - wo ähnlich agiert wurde - hat das indes nicht funktioniert, der Meister war zu medienpräsent und überdfies sakrosankt. Eigentlich ist er das noch heute.


    Zwischen Böhm und Karajan gab es übrigens keine Rivalität, denn Karajan wusste genau, daß ihm Böhm zwar ebenbürtig war, aber nicht wirklich an seinem Rohm kratzte, das Verhältnis der beiden zueinander lässt sich sehr gut an einem Bild erkennen, das ich von einer Seite der Salzburger Festspiele verlinkt habe. Karajan gratuliert hier Karl Böhm zu seinem 85 Geburtstag.



    Zwei Perfektionisten, die sich gegeseitig höchste Wertschätzung entgegenbrachten.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Hallo Böhm-Mozart-Fans,


    meine große Liebe gehört Mozart - Originalton von Karl Böhm.


    Zu Ulli fällt mir auch noch einer ein:


    Als Böhm noch lebte, wurde er gefragt:


    Maestro, was machen Sie, wenn Ihnen plötzlich Brahms begegnet:
    Antwort: Eine große Verneigung !
    und wenn Sie Beethoven treffen:
    Antwort: Ich ziehe den Hut und verneige mich noch tiefer!
    und wenn plötzlich Mozart vor Ihnen steht:
    Antwort: Ich falle auf die Knie und bete ihn an!


    So war er halt.


    Grüße aus Burgdorf


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Hallo, liebe Böhm-Freunde,


    ich habe Böhm auch durch seine DG-Aufnahme kennenglernt, die mir meine Tante zum bestandenen Abitur schenkte. Gleichzeitig mit Böhm lernte ich auch Wunderlich und Fischer-Dieskau lieben. Ich habe 6 Zauberflöten in meiner Sammlung, aber es gibt in meinen Augen nur einen Tamino, Fritz Wunderlich, und auch der Papageno von Fischer-Dieskau, gerade wegen der anderen Rollenanlage, ist überragend.
    Heute habe ich von Böhm, was er von Bruckner dirigiert hat, seine Vierte ist exorbitant, seine Mozart-Sinfonien, seine "Missa Solemnis" von Beethoven, seine Neunte von Beethoven mit Placido Domingo und Jessye Norman, unheimlich langsam, aber ungeheuer spannend, natürlich seine Zauberflöte, seine Cosi fan Tutte, seine Entführung, seinen Don Giovanni, alles Referenzen, natürlich auch die Elektra, den Rosenkavalier und die Salomé seines Landsmannes Richard Strauss.


    Es kann natürlich sein, dass der eine oder andere ihm nach seinem Tode seine Haltung zu den Machthabern der Dritten Reiches übelgenommen hat, obwohl ich davon überzeugt bin, dass er bei alledem immer das Wohl seiner Musiker im Auge gehabt hat und es für ihn wichtig war, weiter Musik machen zu können.


    Liebe Grüße


    Willi

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Hallo,


    heute eine interessante, wenngleich etwas unkritische Fernsehdokumentation vom Ende der 1960er (ORF?) über Karl Böhm auf youtube gefunden:


    "www.youtube.com/watch?v=FA39tI-PzQ0&feature=related"


    :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Eine sozusagen späte Liebe verband Karl Böhm mit dem London Symphony Orchestra, mit dem er zwischen 1973 und 1981 zusammenarbeitete, mehrmals bei den Salzburger Festspielen auftrat (1973, 1975, 1977) und die drei späten Tschaikowskij-Symphonien für DG einspielte (1979—1980).


    In diesem Thread geht es ja um Mozart, und anhand des Mitschnitts der Haffner-Symphonie vom 5. August 1973 aus Salzburg kann man hören, wieso Böhm der Ruf eines "Mozartpapstes" vorauseilte:



    Böhm äußerte sich sehr euphorisch über die Qualität des Orchesters — wer ihn kannte, wusste, dass das eine besondere Auszeichnung war. Diese Aufführung stand am Anfang dieses "Indian Summer" zwischen Böhm und dem LSO. Ich meine fast, dass diese Aufnahme die Einspielung aus der Berliner Gesamtaufnahme deutlich übertrifft. Das ist ein majestätisch strahlender Mozart, getragen aber nie verschleppt, auch mit ordentlich Orchesterpracht (man beachte die Pauken im Finalsatz). Kurzum: Im besten Sinne altmodisch und konservativ.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Böhm war für mich nie ein großes Thema. Zu spät geboren, um seine aktive Zeit noch mitzuerleben, habe ich nie die Veranlassung gesehen, ältere, klangtechnisch fragwürdige Aufnahmen mit diesem Dirigenten zu erwerben, denn es gab gerade in dem von Böhm primär eingespielten Standardrepertoire genug exzellente neuere Alternativen. Mein Mozart-Bild ist von Harnoncourt geprägt, mit dessen (früheren) Aufnahmen ich die Symphonien entdeckt habe. Weil ich gerade in der Wohnung einer Bekannten lebe und in deren CD-Sammlung eine Aufnahme der beiden letzten Mozart-Symphonien mit Böhm und den Wiener Philharmonikern entdeckt habe, habe ich diese dann doch einmal in den CD-Player gelegt, um zu hören, was denn so viele Taminos für Böhm als Mozart-Interpreten begeistert. Und ja, ich kann es nachvollziehen: dieser Mozart klingt sehr elegant und nobel, aber doch auch wieder langweilig, wenn man ihn mit Harnoncourt vergleicht. Ich bin und bleibe wohl von Harnoncourts kantigem und schroffen, aber vielleicht gerade deswegen oft atemberaubendem Mozart geprägt. Böhm lädt zum Schwelgen in Schönklang ein, Harnoncourt reißt mich als Zuhörer vom Stuhl. Ich ziehe letzteres vor.


    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Zitat

    dieser Mozart klingt sehr elegant und nobel, aber doch auch wieder langweilig, wenn man ihn mit Harnoncourt vergleicht


    Für mich klingt das - subjektiv empfunden - so, wie wenn jemand , der in einem Palais zu einem Galadinner eingeladen war, folgendes berichtet:
    "Das Essen war vorzüglich - die Umgebung sehr nobel und alles war sehr elegant - Aber ich musste mich in Anzug und Krawatte werfen, was mich beengte. So war ich froh als ich wieder draussen war war und in Jeans und Tshirt an der Würstelbude mit Pommes Frittes und Currywurst wieder in der mir gewohnten Umgebung war."


    Ein "schroffer Mozart" ist schrecklich. Ich höre sowas gelegentlich- weil ich ja im Forum irgendwie gezwungen alles zu kennen.
    Da kommt es dann zu folgendem Dialog mit meiner Mutter:


    "Was hörst Du denn jetzt schon wieder für einen modernen Dreck? Das ist ja nicht zum Anhören."
    "Mozart"
    "Das glaube ich nicht!"


    Das weitere Gespräch und Äusserungen über heutige Interpreten unterliegt strenger Zensur... :baeh01:


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Für mich klingt das - subjektiv empfunden - so, wie wenn jemand , der in einem Palais zu einem Galadinner eingeladen war, folgendes berichtet:
    "Das Essen war vorzüglich - die Umgebung sehr nobel und alles war sehr elegant - Aber ich musste mich in Anzug und Krawatte werfen, was mich beengte. So war ich froh als ich wieder draussen war war und in Jeans und Tshirt an der Würstelbude mit Pommes Frittes und Currywurst wieder in der mir gewohnten Umgebung war."

    Der Vergleich hinkt natürlich :thumbdown: Wenn schon, dann würde ich Böhm mit einem Nobel-Koch vergleichen, der Speisen auf hohem Niveau, aber in traditioneller, von Vorgängern überlieferter Weise zubereitet, während Harnoncourt der Koch ist, der - ebenfalls in einem Edel-Restaurant - Alt-Gewohntes auf eine neue Weise interpretiert. Beide können sich ihre Sterne im Michelin verdienen. (Wobei diese Analogie dem Anliegen der HIP in keiner Weise gerecht wird.)



    Ein "schroffer Mozart" ist schrecklich. Ich höre sowas gelegentlich- weil ich ja im Forum irgendwie gezwungen alles zu kennen.
    Da kommt es dann zu folgendem Dialog mit meiner Mutter:


    "Was hörst Du denn jetzt schon wieder für einen modernen Dreck ? Das ist ja nicht zum Anhören"
    "Mozart"
    "Das glaube ich nicht !"

    Die Ablehnung von Interpretationen, die den lange eingeübten eigenen Hörgewohnheiten widersprechen, ist kein Argument.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Ich glaube nicht, dass Mozart sich bei seinen Sinfonien als "Tafelmusik-Unterhalter" verstanden wissen wollte. Mozart lässt, was die Klangaura betrifft, wenig Spielraum zu, weil er alles schon klangideal ausgetüftelt hat.


    Gerade Harnoncourt versucht seit etwa 2005 durch seine "angeblichen" Interpretationen nach der Quellenlage einen Deutungsduktus, der mit Mozart wenig zu tun hat. So dargeboten hätte die Mozart-Musik beim Publikum nicht zum aufhorchen angeregt.


    Böhm ist hin und wieder das genaue Gegenteil: Er ästhetisiert Mozart auf Deibel komm raus - auf die Spitze getrieben und zu sehr verweichlicht, dass mitunter die Ecken und Kanten, die Mozarts Kompositionen zur Genüge aufweisen, verschwimmen.



    :hello: LT

  • Zitat

    Die Ablehnung von Interpretationen, die den lange eingeübten eigenen Hörgewohnheiten widersprechen, ist kein Argument.


    Es handelt sich nicht um "Gewohnheiten"
    Es gab schon zu meiner Jugend - und davor - ungeniessbare Interpretastioenen - und "Kunstwerke" die um jeden Preis anders sein wollten. Aber man hat diese "Künstler" - je nach Gusto - bekämpft - lächerlich gemacht - oder totgeschwiegen.


    Heute indes wird mittelmäßiges und Schlechtes bewundert, dessen einziges Verdienst es ist, daß die Ausführenden heute leben und sich nicht über die Masse stellen.....


    Böhms Ruhm entstand vor allem dadurch, daß man der Meinung war, daß nun endlich die goldene Mitte der Mozart Interpretation gefunden sei - So und nicht anders. Die absolute Eleganz. Wenn eine Lösung PERFEKT ist, dann gibt es nicht mehr zu verbessern. Man kann es lediglich VERÄNDERN - meist zum Schaden des "Produkts".


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Böhms Ruhm entstand vor allem dadurch, daß man der Meinung war, daß nun endlich die goldene Mitte der Mozart Interpretation gefunden sei - So und nicht anders. Die absolute Eleganz. Wenn eine Lösung PERFEKT ist, dann gibt es nicht mehr zu verbessern. Man kann es lediglich VERÄNDERN -meist zum Schaden des "Produkts"


    Wenn ein "Produkt" vor einigen Jahrzehnten als "perfekt" empfunden wurde, heißt das nicht, dass man es heute ebenso empfinden muss. Mozarts Sinfonien sind sicherlich weit mehr als "Eleganz pur" und die Mozart-Forschung ist in den letzten Jahrzehnten weiter vorangeschritten, ist ihm näher gekommen, als das zu Zeiten von Karl Böhm möglich war.


    Mozart bedeutet nicht Mo-zart! :yes:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Was Eleganz und Brillanz betrifft, wird Böhm (z.B. bei den Sinfonien) auch von zB Marriners Aufnahmen der 70er und 80er übertroffen.
    (Oder auch, wobei mir die, die ich bisher gehört habe, auch etwas zu "gepflegt" sind, von den Salzburger Graf-Aufnahmen ca. 1988-90).


    Der philharmonisch-gepflegte Mittelweg Böhms ist für mich eher ein Rückschritt gegenüber den weit intensiveren Interpretationen (freilich meist nur für die 6 späteren und einige andere bekannte Sinfonien) Schurichts, Klemperers u.a. Insofern sehe ich neuere Erkenntnisse zum Mozart-Stil als gar nicht so relevant und auch 1960 war ziemlich sicher die wissenschaftliche Meinung zu Mozarts Musik nicht konform mit der kommerziellen Salzburger Wolferl/Mozartkugel-Ästhetik der Wirtschaftswunderzeit. (Eine Inspiration für Hildesheimers Mozart-Buch war ja u.a. die vom Autor als unerträglich empfundene Banalisierung Mozarts in einem bestimmten Typ populären Schrifttums.)


    Es gab von den ersten 25 Sinfonien halt lange außer Böhms kaum alternative Einspielungen, insofern auch kaum echte Konkurrenz. Und natürlich wurde in den 20-30 Jahren, in denen das der Fall war (bis im Vorfeld des Mozartjubiläums dann zwei HIPpe und zwei oder drei konventionelle Alternativen auf den Markt kamen) diese Konkurrenzlosigkeit dem Kunden (der ein "perfektes Produkt" wollte) immer wieder eingebleut. Und: Macht der Gewohnheit.


    Von Böhms Opernaufnahmen sind viele nach wie vor erstklassig, wegen der Kombination von Sängern (und in guter Klangqualität) und m.E. auch gegenüber der Instrumentalmusik oft weniger biederem Dirigat (ungeachtet dessen, kann ich mich auch bei einigen davon des Eindrucks einer gewissen "Aufnahmestudio-Sterilität" nicht ganz erwehren).
    Was ich von den Sinfonien gehört habe, finde ich nach wie vor eher uninteressant, selbst Jochum, der ja auch den Ruf eines eher biederen Kapellmeisters genießt, hat mir meiner Erinnerung nach (mit 33 und 39, wenn ich recht erinnere, es gibt nicht so viele Einspielungen) besser gefallen. Insgesamt ist Böhm m.E ein viel besserer Dirigent bei Musik nach Schubert, besonders Wagner (und vermutlich Strauss, davon kenne ich nichts) aber auch Brahms.
    Vielleicht interpretiere ich da etwas herein, aber für meinen Eindruck reflektiert er eine Haltung, wonach erst die Spätromantik leidenschaftliche, "extreme" Musik hervorbringt. Eine entsprechend ausgeglichen-philharmonisch-gepflegte Interpretation der Wiener Klassik und Frühromantik wirkt für mich dann allzu oft wie "in Watte gepackt" oder "mit angezogener Handbremse". (Dabei waren Mozart, Beethoven und Schubert doch viel leidenschaftlichere Komponisten als Brahms oder Strauss!)


    Die frühen Mozart-Sinfonien werden m.E. leicht überfrachtet, wenn man sie in einer gepflegt-philharmonischen Vollbesetzung musiziert. Harnoncourt überfrachtet auf andere Weise, das ist vielleicht interessanter, aber auch nicht immer der Weisheit letzter Schluss (allerdings für mich überzeugend in den vergleichsweise "gewichtigen" Sinfonien wie der kleinen g-moll, Es-Dur KV 184 oder C-Dur KV 200) .
    Es bringt m.E. auch nicht viel, die ersten 30 Sinfonien als ewige Meisterwerke zu verklären. Das ist Musik eines genialen Kindes/Teenagers, aber von ein paar Ausnahmen wie der "kleinen g-moll" (völlig flau bei Böhm, während Klemperers Interpretation(en) des Werks auch nach gut 50 Jahren noch zu den packendsten gehören), der A-Dur K 201 und vielleicht noch zwei, drei weiteren, nichts "für die Ewigkeit". Mozart hat wohl die 29 A-Dur K 201 und 33 (mein Kandidat für die die unterschätzteste Mozart-Sinfonie) und 34 in Wien noch mal aufgeführt, dem Rest vermutlich selbst kaum Bedeutung beigemessen. (Das erste richtige Klavierkonzert KV 175 (auch das hat er später überarbeitet und wieder gespielt) ist ein viel ehrgeizigeres Stück als die meisten Sinfonien dieser Zeit.)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Lieber Johannes, liebe Mozartfreunde, liebe Böhm-Verehrer!


    Mit Interesse sehe ich, dass hier die Diskussion über Böhms Mozart-Interpretationen wieder aufgenommen wird. Das finde ich spannend. Gerne würde ich mich intensiver daran beteiligen, aber im Augenblick reicht die Zeitnur für kurze Anmerkungen, zu denen mich gerade der Beitrag von Johannes ermutigt hat!


    Der philharmonisch-gepflegte Mittelweg Böhms ist für mich eher ein Rückschritt gegenüber den weit intensiveren Interpretationen (freilich meist nur für die 6 späteren und einige andere bekannte Sinfonien) Schurichts, Klemperers u.a.

    Ich habe ja in den 50er Jahren in Berlin Böhm oft mit Mozart in Konzerten der Philharmoniker gehört. Er galt damals aber eher nicht der Mozart-Papst! Zumindest hat das in Berlin so wohl niemand gesehen. Und trotzdem war er eine wichtige Figur für mich beim Kennenlernen des Sinfonikers Mozart! Aber ich fand schon damals eigentlich Dirigenten wie Scherchen, Friscay, Schuricht oder Kertesz viel interessanter. Am meisten begeistert aber hat mich - ich habe das ja hier schon öfter verraten - Beecham!
    Später erst habe ich Böhm mehr zu würdigen gelernt. Aber das hing dann vor allem an seinen Interpretationen im Feld der Oper!



    Von Böhms Opernaufnahmen sind viele nach wie vor erstklassig, wegen der Kombination von Sängern (und in guter Klangqualität) und m.E. auch gegenüber der Instrumentalmusik oft weniger biederem Dirigat

    Genau!!! Volle Zustimmung!
    Interessant ist übrigens ein Vergleich der beiden "Berliner" Aufnahmen, die es von Böhm mit La Nozze di Figaro gibt.
    Von der Studio-Aufnahme kann man schon eher sagen, dass sie auf 'gepflegtem Mittelweg' geht, fein und sorgfältig einstudiert aber lange nicht so lebendig und spannend wie der Mitschnitt vom Gastspiel der Deutschen Oper in Tokio mit Grümmer, Köth, Mathis, Fischer-Dieskau, Berry usw.!




    Die frühen Mozart-Sinfonien werden m.E. leicht überfrachtet, wenn man sie in einer gepflegt-philharmonischen Vollbesetzung musiziert. ....

    Wenn ich die frühen Sinfonien überhaupt mal anhöre, dann würde ich auch nicht mehr zu den Böhm-Aufnahmen greifen sondern eher zu Mackerras!! Ob man dessen Aufnahmen der späten Sinfonien mag, ist vielleicht eine Frage, über die man streiten kann. Aber die frühen finde ich rundum überzeugend. Da man die ja jetzt fast für einen Appel und ein Ei bekommt, lohnt sich die Anschaffung der Box auf jeden Fall! Die 10 CD-Box enthält alle Sinfonien komplett mit allen vorgeschriebenen Wiederholungen!



    Sollte die Debatte weiter gehen, würde ich gerne noch mal meine Meinung weiter ausführen und begründen.
    Leider bin ich jetzt zu knapp mit der Zeit.


    Trotzdem: beste Grüße an alle


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Ich vermute (aufgrund jugendlichen Alters habe ich es nicht erlebt), dass Böhm (wie nicht wenige Musiker) live erheblich packendere Interpretationen geliefert hat (einige seiner zu Recht berühmten Wagner-Interpretationen sind ja auch Mitschnitte) und dass der Ruf dann auf die Plattenaufnahmen übertragen wurde bzw. viele Hörer sich eben an ihre Live-Erlebnisse erinnert haben. Ich kann auch verstehen, dass Böhms Zugang gegenüber Dirigenten, die Mozart zwar nicht wie Wagner, aber mehr oder minder romantisch dirigiert haben (wie etwa Furtwängler) vor 60 Jahren sogar "modern" empfunden wurde oder jedenfalls als stilistisch weit angemessener galt.


    Nur gibt es für mich im Rückblick zumindest für einige Sinfonien eben schon in den 1950ern schon Interpreten, die diesen "anti-romantischen", moderneren Ansatz sehr viel deutlicher und überzeugender umsetzen, wie etwa Szell, (teilweise) Fricsay, Markevitch und Erich Kleiber oder, bei allen Eigenheiten, die eine pauschale Einordnung verbieten, auch Klemperer (der ca. 12 Sinfonien, teils mehrfach, eingespielt hat, wenn auch nicht alle gleichermaßen überzeugend).
    Krips finde ich meiner Erinnerung (ich hatte ein paar Sinfonien auf LP und eine "Entführung" auf CD) nach ähnlich uninteressant wie Böhm, von Walter kenne ich keine Sinfonien-Aufnahme; der MET-Giovanni (ca. 1940) ist ein rasantes Wechselbad der Leidenschaften, sehr weit von gepflegter Sonntagsnachmittagsunterhaltung entfernt. Bei den Opern gibt es natürlich noch Fritz Busch, von dem meines Wissens leider nur eine (schöne) Aufnahme/Mitschnitt der "Linzer Sinfonie" erhalten ist. Wenn Busch Böhms Alter erreicht hätte und nicht vor Beginn des Hifi-Zeitalters mit etwa 60 Jahren verstorben wäre, wäre Böhm vielleicht nur ein Gegenpapst geworden... und Erich Kleiber und Clemens Krauss waren Mitte der 1950er ebenfalls schon tot. Krips und Böhm waren die einzigen, die noch gelebt haben, letzterer eben noch sehr lange...


    Die Spannungen der Mozartauffassungen zwischen dem "dämonischen" Komponisten (Hoffmanns, Furtwänglers und Hildesheimers), der menschliche Leidenschaften und Liebesverwicklungen höchst differenziert darstellt (wenn auch immer, ohne Passionen "bis zum Ekel auszudrücken") und in seiner Zeit als zu schwierig galt und dem Schöpfer des problemlos Konsumierbaren (dem "perfekten Produkt", was freilich schon eine typische Sprechweise einer Konsumgesellschaft, die alles warenförmig versteht, ist), anspruchsvoller Zerstreuung für das gepflegte Bürgertum, werden eben meistens einseitig aufgelöst und eine Quadratur des Kreises gelingt nur sehr selten.
    Allerdings ergibt sich m.E. weit häufiger die Gefahr einer "Verflachung" als einer Überfrachtung. Im Zweifel ist mir dann eine vielleicht übertrieben wirkende Interpretation etwa der großen g-moll-Sinfonie a la Furtwängler oder Harnoncourt weit lieber als eine, die das Werk gegenüber z.B. Beethoven als "elegant" und leicht melancholisch erscheinen lässt. (Dass man die A-Dur KV 201 vielleicht nicht in dieser Weise, die "Entführung" nicht wie "Don Giovanni" aufladen muss, ist eine andere Frage...)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)