Ein Komponist, der in den diversen Threads relativ oft genannt wird, aber keinen eigenen Thread hat, ist Alfred Schnittke. Diesen Umstand möchte ich jetzt beenden und Schnittke zu enem eigenen Thread verhelfen.
Alfred Schnittke (russisch transkribiert: Alfred Garrijewitsch Schnitke) wurde als Sohn eines aus Frankfurt am Main gebürtigen jüdischen Journalisten und einer Deutschlehrerin wolgadeutscher Abstammung in der einstigen Hauptstadt der Wolgadeutschen Republik, Engels, geboren. Da sein Vater nach 1945 beruflich in Wien war, begann Alfred Schnittke 1946 seine musikalische Ausbildung in Wien und hatte obendrein die Chance, sich durch das zwar eingeschränkte, aber durchaus vorhandene Musikleben eine umfassende Kenntnis der Werke der Klassik aneignen zu können.
Nach der Rückkehr seiner Eltern in die Sowjetunion setzte Schnittke seine musikalische Ausbildung in Moskau am dortigen Konservatorium fort, wo er nach dem Abschluss eine Lehrtätigkeit für zehn Jahre übernahm. Etwa ab 1970 widmete sich Schnittke nur noch der Komposition.
1990 übersiedelte Schnittke mit seiner Familie nach Hamburg, wo er an der Musikhochschule eine Professur für Komposition übernahm. Seine letzten Lebensjahre waren von mehreren Schlaganfällen überschattet. Zuletzt konnte Schnittke nicht mehr sprechen und nur noch mit der linken Hand schreiben.
Am Anfang komponierte Schnittke viel Filmmusik - in der Sowjetunion immer wieder eine Möglichkeit für Komponisten zum stilistischen Experimentieren. Für den Konzertsaal entstanden Werke auf zwölftöniger, später streng serieller Basis.
Von den sowjetischen Kulturbeamten wurde das entsprechend argwöhnisch beäugt und legte, zusammen mit Schnittkes Bekenntnis zur katholischen Religion, die Basis für einen andauernden Konflikt zwischen Schnittke und dem politischen System der Sowjetunion.
1968 war es dann soweit, dass Schnittke sich von den avantgardistischen Techniken eingesperrt fühlte - es schlug die Geburtsstunde der Polystilistik à la Schnittke.
Diese Polystilistik bedeutet keineswegs ein willkürliches Durcheinanderwerfen disparater Stilelemente. Vielmehr unternahm Schnittke den Versuch, ständig wechselnder Perspektiven. Seine von den Sowjets höchst ungeliebte Erste Symphonie etwa verwendet aleatorische Elemente ebenso wie aggressiven Jazz, Clustertechniken und Romantizismen.
Das wiederum stürzte die Kulturbeamten in höchste Verwirrung: Welches war der "echte" Stil, welches der "zitierte"? Was war Ironie, was ernst gemeint? Vom Standpunkt der Romantizismen könnten ja die Cluster als Irrweg gebranntmarkt werden (was akzeptabel wäre). Was aber, wenn der tatsächliche Standpunkt die Cluster wären und die Romantik die Ironie (was völlig inakzeptabel wäre)?
Auch die Zweite Symphonie verursachte den Sowjets Kopfschmerzen: Da wird eine katholische Liturgie gesungen, aber vom Orchester immer wieder übertönt, obwohl sie in das Orchestergeschehen ausstrahlt. Ist damit Religion als verborgene Kraft gemeint, die sogar zur Sprengkreft werden kann?
Objektiver Weise nicht übersehen darf man, dass Schnittke seine Polystilistik mitunter vielleicht allzu großzügig anwendete, auch wenn dabei amüsante Werke wie "(K)ein Sommernachtstraum" herauskamen, über den Schnittke sagt, er habe keinen einzigen Komponisten zitiert, sondern alle selbst gefälscht. Die Qualität der Werke hält mit der Quantität nicht immer Schritt.
In seinen letzten Werken aber legt Schnittke die Polystilistik ab. Zumindest seine letzten drei Symphonien sind Bekenntniswerke in der direkten Nachfolge von Mahler und Schostakowitsch - die Sprache allerdings ist reiner Schnittke: Karge Linien, oft ein- oder zweistimmig, sparsam instrumentiert, stellenweise durch Clusterblöcke kontrastiert. Die schnell wechselnden Perspektiven gehören der Vergangenheit an. Diese letzten Werke Schnittkes sind in ihrer Beschränkung auf das Wesentliche eine Einkehr zu sich selbst.
Damit beende ich einmal die Vorstellung, ohne auf die Wertung einzelner Werke und Aufnahmen einzugehen.