Freude schöner Götterfunken - Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr 9 in d-moll op 125

  • Wie ist das dann mit den vielen orchestralen ff bis fff Stellen, z. B. den Codas von Finalsätzen? Dieser Tage hatten wir im Mahler-Thread die Erste "Der Titan" im Gespräch, und dabei speziell die Finalcoda. Da scheppert es gewaltig. Ist das dann unerträgliches Getöse? Oder ist das etwas Anderes?


    Liebe Grüße


    Willi :)?(

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich habe meinen Beitrag mehrmals korrigiert, sodass ich den Beitrag von Felix erst nach meinem gesehen habe. Ich wollte es nicht so drastisch ausdrücken, aber ich sehe das genauso!

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Die Interpretation Chaillys dauert 62:50 min.,
    Ich weiß allerdings nicht, wie lang die Aufführung Silvester gedauert hat.

    Das könnte bei der von mir erwähnten letzten Aufführung exakt so gewesen sein.



    Die Interpretation Konwitschnys dauert 70:36 min. Das ist schon ein erklecklicher Unterschied.

    Ja, das ist ein großer Unterschied, der mir aber wesentlich besser gefällt und meiner Auffassung (und bestimmt auch Gewohnheit) entspricht. Wie unterschiedlich diese Auffassungen und Geschmäcker sind, möchte ich hier gern bestätigen. Nach dem Ende dieser IX. habe ich mit meinem Bruder telefoniert. Er war im Gegensatz zu mir voll begeistert und fand die Interpretation überragend.



    Ich weiß aber, dass die Gewandhaus-Chöre und der MDR-Chor, die Chailly bei der Aufnahme aufgeboten hatte, ganz ausgezeichnet waren

    Keine Frage, das waren sie ganz sicher. Nur ihre künstlerische Wirkung kam, nach meiner Meinung durch das übermäßige Tempo, nicht so zum Ausdruck.



    dass auch die Solisten der Sache gewachsen waren.

    Nein, das waren sie diesmal ganz bestimmt nicht. Die beste von ihnen war vielleicht noch die Sopranistin. Vor allem der Tenor war deutlich überfordert und der Partie überhaupt nicht gewachsen. Auch der Klang seiner Stimme war alles andere als schön und passend.
    Lieber William. Damit hier aber kein falscher Eindruck entsteht, möchte ich gern und unbedingt die IX. des Jahres zuvor erwähnen. Ich erinnere mich ganz deutlich, diese Aufführung fand ich hervorragend und überragend! Allerdings dauerte sie auch bestimmt 6 oder 7 Min. länger!
    Der gleiche Konzertsaal, der gleiche Dirigent, das gleiche Orchester.


    Herzliche Grüße
    CHRISSY


    (Übrigens schön, daß zu einem Thema mal wieder richtig diskutiert wird und Meinungen ausgetauscht werden. Egal ob "dafür oder dagegen". Interessant ist es allemal und es kommt wieder mal "Leben in die Bude").

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Und ich meine, einige Jahre vorher eine atemberaubende Neunte von Herbert Blomstedt, dem Vorgänger Riccardo Chaillys zu erinnern. Blomstedt habe ich übrigens auch in meiner langen Reihe von Gesamtaufnahmen.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Und ich meine, einige Jahre vorher eine atemberaubende Neunte von Herbert Blomstedt, dem Vorgänger Riccardo Chaillys zu erinnern.

    Stimmt! Und all´die Jahre vorher waren auch sehr viele hervorragende Interpretationen unter Masur.
    Außer 2001 (Krankenhausaufenthalt) habe ich jedes Jahr die Übertragungen angeschaut.


    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Ich bin froh, dass ich die Kategorie Mahler und Beethoven nie bedienen musste. Dort ist man, vor allem, wenn man nicht im Sopran singt, doch eher die geschäftige Chorameise. Und deshalb mag ich den 4. Satz der 9., die Chorfantasie und die Missa solemnis einfach nicht; und ich kenne sehr viele Sänger, die auch keine Lust haben sowas zu hören, geschweige denn zu singen.


    Hätte sich Beethoven bei seinen Werken von derartigen Befindlichkeiten irgendwelcher Sänger leiten lassen, so wäre er wohl heute zu recht vergessen.
    Wie viele Violinkonzerte - und nicht zuletzt auch Beethovens Violinkonzert - galten zu ihrer Entstehungszeit als 'unspielbar'?


    Beethoven suchte in seiner Komposition einen Ausdruck zu erreichen, den es in dieser Form noch nie gegeben hatte, weder grobformal als Gattung noch in seiner expressiven Dimension. Hierzu er aus allen klanglichen Mitteln, die seiner Einschätzung nach zu Gebote standen, was eben in mancher Hinsicht eine Überschreiten bisheriger Grenzen bedeutete. Dass die Anforderungen hierdurch enorm hoch, ja vielleicht kaum so ohne weiteres erfüllbar wurden, hat Beethoven sicher einkalkuliert, er musste es einkalkulieren, um den intendierten Ausdruck zu erreichen.


    Hierbei gar davon zu sprechen, es sei "schlecht komponiert", ist freilich kein Snobismus mehr, sondern bodenlose Anmaßung. Ob einem das Finale von Beethovens Neunter gefällt, ist jedem selbst überlassen, dies kundzutun ebenso. Aber wenn sich jemand zu der unfassbaren Aussage versteigt, das sei eine schlechte Komposition, kann man das beim besten Willen nicht mehr ernstnehmen.


    Von Herzen, möge es wieder zu Herzen gehen.
    Das gab Beethoven seiner Missa solemnis bei.
    Leider ist diese Freude wohl nicht allen vergönnt.

    'Architektur ist gefrorene Musik'
    (Arthur Schopenhauer)

  • Hätte sich Beethoven bei seinen Werken von derartigen Befindlichkeiten irgendwelcher Sänger leiten lassen, so wäre er wohl heute zu recht vergessen.
    Wie viele Violinkonzerte - und nicht zuletzt auch Beethovens Violinkonzert - galten zu ihrer Entstehungszeit als 'unspielbar'?

    Hierzu passend eine Anekdote, die ich vor einem Jahr schon mal an anderer Stelle im Forum erwähnte:
    Als Beethoven sein Violinkonzert fertig komponiert hatte, versuchte sich ein Virtuose daran. Er scheiterte wohl am Schwierigkeitsgrad und beschwerte sich beim Meister, es sei unspielbar.
    Darauf Beethoven: "Meint er, ich denke an seine elende Geige, wenn der Geist über mich kommt"?!


    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Das Argument mit dem "mass appeal" richtet sich hauptsächlich und in erster Linie gegen "klingt nicht". Es richtet sich natürlich nicht gegen anderswo geäußerte Einwände wie formale Mängel o.ä. Das ist so ähnlich wie die Brahms häufig vorgeworfene "grau in grau" Instrumentation. Offenbar stört das "normale" Hörer überhaupt nicht. Es handelt sich um eine Dimension der Musik, die hauptsächlich für die offenkundige Wirkung relevant ist. Wenn die nicht eingeschränkt wird, finde ich den Vorwurf unplausibel. ("Formlosigkeit" oder schwache Kompositionstechnik sind etwas anderes, denn so etwas muss nicht die unmittelbare Wirkung tangieren.)


    Es liegt mir ferne Pingels Kompetenz als erfahrener Chorsänger in Zweifel zu ziehen, aber auch wenn er das Stück noch nicht gesungen hat, hört man sehr ähnliches häufiger von frustrierten Chorsängern. Aber wie gesagt, es ist geschenkt und unbestritten, dass es für die Sänger unangenehm sein mag. (Das sind meines Wissens viele Passagen in Sinfonien Bruckners nach wie vor für professionelle Musiker, ewiges Tremolo der Streicher und anstrengend fürs Blech und vermutlich noch zahllose weitere Musikstücke.)


    Und natürlich klingt Beethoven nicht wie Palestrina oder Schütz, warum sollte er? Das hat mir nämlich auch schonmal jemand erzählt, er fände das totale "Verschwendung" einen Chor einzusetzen, ohne ihm Kontrapunktik a la Renaissance zu singen zu geben. Das mag ja für einen persönlich ein Manko sein, aber es ist kaum als ernsthafte Kritik an Beethovens 9. ernstzunehmen, da Beethoven hier offensichtlich ganz andere Ziele verfolgte als Komponisten 200 Jahre vor ihm.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Die Neunte von Beethoven halte ich für die unverwüstlichste Musik, die ich kenne. Kein Regime konnte sie letztlich für sich vereinnahmen, kein Missbrach, keine mittelmäßige oder mangelhafte Interpretation konnten ihr etwas anhaben. Und auch die hier in diesem Thread "angedrohten" Bearbeitungen des vierten Satzes, die Entfernung der Solisten und des Chores, wird das Werk überleben. Adrian Leverkühn konnte die Sinfonie auch nicht zurücknehmen. Er ist vielleicht auch an diesem gefährlichen Versuch zugrunde gegangen. Es stört mich überhaupt nicht, dass diese Musik auch jene mitreißt, die sich mit Musik gewöhnlich sehr schwer tun. Das ist vielleicht sogar ihre eigentliche Stärke. Beethovens Neunte taugt nicht für intellektuelle Besitzergreifungen und für Moralisierungen. Es ist völlig egal, ob dieses oder jenes Mitglied des Forum sie nicht ausstehen kann. Vielmehr haben sich im Laufe der Zeit Millionen, wenn nicht Milliarden Zuhörer nicht geirrt in ihren sicheren Instinkt für dieses Werk und die Meister des Taktstockes auch nicht, die großen wie die kleinen. Sie haben immer wieder gerungen um den besten Ausdruck. Ich höre die 9. Sinfonie nicht sonderlich oft, aber wenn ich sie höre, hebt sie mich vom Boden, gerade auch wegen des Finales, in dem so stark gerungen wird, um die Größe des Gedankens in eine Form zu bringen. Die Neunte ist wie ein musikalischer Geburtsvorgang. Der unentschiedene Beginn lässt aber noch nicht das Ende ahnen. Wenn ich erleben will, was Schöpfung in der Musik bedeutet, dann greife ich zu diesem Werk. Denn es ist eine Offenbarung.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Auch ich halte diesen Beitrag für hervorragend. Wenn ich ehrlich sein soll, hatte ich mich auch schon mit dem Gedanken befasst, einen derartigen Beitrag zu schreiben, hatte aber Angst, nicht die richtigen Worte zu finden.
    Die Neunte ist ein Werk, wie übrigens auch die anderen acht, dem man sich nur nähern sollte, und das bezieht sich in diesem Fall wieder hauptsächlich auf das Chorfinale, wenn man sich absolut sicher ist, dass man es auch optimal wiedergeben kann. Wie ich schon in einem Beitrag weiter oben sagte, wollte Beethoven bestimmt nicht, dass jeder Feld-, Wald- und Wiesenchor das Werk singen könnte, dass jeder Barpianist seine Sonaten spielen könnte.
    Und es gibt Chöre, die dieses Chorfinale adäquat singen können, es gibt Solisten, die diese eminent schwierigen Solopartien überzeugend vortragen können, und es gibt erstklassige Pianisten, die die Sonaten traumhaft wiedergeben, und es gibt Geiger, die das D-dur-Konzert mitreißend interpretieren, und es gab einen der größten Komponisten aller Zeiten, der diesen Musikern das alles ermöglichte, indem er diese großen Werke komponierte: Beethoven!



    Zitat

    Rheingold1876: Die Neunte ist wie ein musikalischer Geburtsvorgang.

    Einige von uns werden diesen Geburtsvorgang wohl nie bis zu seinem erfolgreichen Ende miterleben.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
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  • Hierbei gar davon zu sprechen, es sei "schlecht komponiert", ist freilich kein Snobismus mehr, sondern bodenlose Anmaßung. Ob einem das Finale von Beethovens Neunter gefällt, ist jedemS selbst überlassen, dies kundzutun ebenso. Aber wenn sich jemand zu der unfassbaren Aussage versteigt, das sei eine schlechte Komposition, kann man das beim besten Willen nicht mehr ernstnehmen.


    Naja, da müssten wir uns alle aber hier generell mit Kritik an Musikwerken zurückhalten, denn die wenigsten von uns haben die musikalischen Fähigkeiten auch nur eines drittklassigen Kleinmeisters aus der Provinz. Wenn Dr. Pingel, ein Chorsänger mit jahrzehntelanger Musizierpraxis, meint, dass das Chorfinale Beethovens Neunter nicht gut für Stimme gesetzt sei, sollte man diese Kritik zumindest ernst nehmen und nicht abkanzeln. Selbstverständlich kann und darf man anderer Meinung sein, aber der Aussage, dass man nur dann nicht zurecht vergessen werde, wenn man die technischen und natürlichen Gegebenheiten seiner Interpreten und deren Instrumente negiert, möchte ich entschiedenst widersprechen. Schon die Beispiele Händel und Mozart zeigen, dass man mit einmaligem Sachverstand einerseits und Respekt und Einfühlungsvermögen für seine Interpreten andererseits Werke schaffen kann, die dem Zahn der Zeit widerstehen. Ich behaupte sogar, dass Händel und Mozart auch in der Wahrnehmung einer breiteren Öffentlichkeit als erfolgreichere Vokalkomponisten angesehen werden als Beethoven. Weiters haben bzw. hatten nicht nur Spohr und "dieses oder jene Mitglied" (despektierlicher O-Ton von User Rheingold) Schwierigkeiten mit Beethovens Chorfinale sondern immerhin auch glühende Beethovenianer wie Felix Mendelssohn und Richard Wagner.

  • Na, ich glaube, jetzt schießt du doch ein wenig übers ziel hinaus, lieber Felix. Auch ich bin, wie dr.pingel, ein Chorsänger mit jahrzehntelanger Musizierpraxis, und er hat auch aus meiner Sicht Recht, wenn er meint, und so habe ich ihn verstanden, dass die Neunte einfach zu schwer ist für Laienchöre, ebenso wie die Missa Solemnis.
    Auch ich bin froh, dass unser Dirigent nie auf die Idee gekommen ist, die Neunte afführen zu wollen. Bei einem Laienchor (ich bin in zwei Kirchenchören) ist bei Chorsätzen mit häufigerem a'' im Sopran und Tenor Schluss. Von Beethoven haben wir nur "Die Himmel rühmen" und den Männerchor "Heil'ge Nacht, o gieße du" nach dem Thema aus dem zweiten Satz der Appassionata aufgeführt, und das war schon schwer genug.
    Von Mozart führen wir immer wieder das Ave verum auf, haben mehrfach die Messen KV 140 und 174 sowie einmal die Krönungsmesse KV 317 und das Requiem aufgeführt sowie einige Chöre aus der Zauberflöte und der Hochzeit des Figaro, von Händel zweimal den Messias.
    Aber obwohl sie für Laienchöre eigentlich ungeeignet sind, sind doch das Finale der Neunten und die Missa Solemnis zwei der größten Chorwerke, die es gibt, abgesehen von einer der größten Opern, "Fidelio". Und gar so unbeleckt ist Beethoven als Vokalkomponist nun auch nicht.
    Außer den hier genannten Werken hat er noch etliche Kantaten, das Oratorium "Christus am Ölberg" op. 85, die Chorfantasie op. 80 und über 380 Lieder komponiert bzw. (was die Lieder betrifft) eigene Bearbeitungen komponiert. Beethoven gehört also in die Reihe der großen Liedkomponisten mit Schubert, Brahms, Mendelssohn und Schumann.
    Brahms und Mendelssohn sind übrigens auch so Fälle, wo sich Laienchör gelegentlich schwer tun. Ich weiß noch, wie hart wir üben mussten, um ein Mendelssohnkonzert mit der Lobgesang-Sinfonie und ein Brahmskonzert mit den Liebelsieder-Walzern und den Zigeunerliedern aufzuführen. Schwer, schwer.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Zitat

    chrissy: Das stimmt natürlich. Und hier möchte ich auch mal auf eine ältere
    Aufnahme von 1960/ 61 verweisen. Mit dem Gewandhausorchester unter Franz
    Konwitschny sind hier hervorragende Interpreten "Ingeborg Wenglor, Ulrike Zollenkopf, Hans- Joachim Rotzsch und Theo Adam".
    Ich bin mir sicher, unser Mitglied Wok, den ich ob seiner umfangreichen
    fundierten Fach- und Sachkenntnisse betreffs DDR- Künstler immer wieder
    bewundere und ganz sehr schätze, wird diese Aufnahme bestimmt kennen.

    Hallo Chrissy,


    Zunächst vielen Dank für Dein Kompliment! Sooo groß sind nun meine Fach- und Sachkenntnisse von DDR-Künstlern nun auch wieder nicht. Da gibt es sicher noch größere Experten in diesem Forum. In meiner Jugendzeit lebte ich im Raume Hof/Saale, und damit ganz in Grenznähe zu der ehemaligen DDR - gelegentliche Ausflüge führten denn auch oft an den Schlagbaum bei Gattendorf - so daß ich vielleicht durch die räumliche Nähe auch über das Kunstleben wohl etwas mehr erfuhr. Ich hörte aber auch regelmäßig Musiksendungen mit Künstlern von "drüben" im Rundfunk, so daß ich - natürlich auch durch mein frühes Interesse an klassischer Musik - ziemlich frühzeitig auf die besten unter ihnen aufmerksam wurde.


    Die von Dir präferierte Aufnahme von BEETHOVEN's Neunter in der Besetzung KONWITSCHNY, WENGLOR, ZOLLENKOPF, ROTZSCH, ADAM und dem LEIPZIGER GEWANDHAUORCHESTER ist mir natürlich bekannt, und KONWITSCHNY, dem großen Bewahrer deutscher Dirigententradition, gelang hier mit den vorziüglichen Gesangssolisten eine wirklich erstklassige Einspielung, für die man sich gewiß mehr als nur erwärmen kann. Dennoch liegt meine Präferenz - ohne nun damit behaupten zu wollen, daß diese Einspielungen der von KONWITSCHNY überlegen sei, bei zwei anderen Aufnahmen, auf die ich bereits in meinen Beiträgen 371 und 392 hingewiesen habe, das heißt bei den Aufnahmen durch JOCHUM, EBERS, PITZINGER und FRANZ MIT CHOR UND ORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS, sowie durch HORENSTEIN, LORENGAR, HÖFFGEN, TRAXEL, WIENER und CHOEUR ET ORCHESTRE NATIONAL DE L'ORTF (Live-Mitschnitt von 1963). Von letzterer Aufnahme gibt es auch eine DVD, die ich Dir nur empfehlen kann. Das Dirigat durch JASCHA HORENSTEIN ist einfach mitreißend und geht unter die Haut, und auch die sängerische Leistung ist wirklich großartig.


    Viele Grüße


    wok

  • Ich behaupte sogar, dass Händel und Mozart auch in der Wahrnehmung einer breiteren Öffentlichkeit als erfolgreichere Vokalkomponisten angesehen werden als Beethoven. Weiters haben bzw. hatten nicht nur Spohr und "dieses oder jene Mitglied" (despektierlicher O-Ton von User Rheingold) Schwierigkeiten mit Beethovens Chorfinale sondern immerhin auch glühende Beethovenianer wie Felix Mendelssohn und Richard Wagner.


    Aber doch wohl weniger wegen der Schwierigkeiten für die Stimmen, oder?
    (Von Wagner wäre solch ein Vorwurf jedenfalls ein starkes Stück ;))
    Wie gesagt, sind die Vorwürfe des unidiomatischen Komponierens für Sänger alt und vielleicht auch gerechtfertigt. Es gibt die Idee, dass man das Angestrengte hören sollte, dadurch würde, ähnlich wie bei technisch anspruchsvollen und klanglich eher dornigen Stücken wie den Finalsätzen von op.106, eine zusätzliche Ausdrucksdimension erschlossen. Also "O namenlose Freude" u.ä. sollte etwas atemloses haben, nicht locker-ausgeglichen runtergeträllert werden.
    Da es zig Vokalstücke Beethovens gibt, auf die die schwierige Singbarkeit meines Wissens nicht zutrifft, halte ich es für sehr unwahrscheinlich, dass Beethoven aufgrund mangelnden Wissens oder Könnens die Vokalpartien in der 9. und der Missa entsprechend komponiert hat. (Bei 380 Liedern müssten allerdings die Volksliedbearbeitungen mitgezählt sein, es sind aber, wenn ich recht erinnere, über 100 Originallieder)
    Das ist freilich ganz unabhängig davon, ob man diese Stücke mag. Zugeben muss ich allerdings, dass "lang und laut" oder "Gebrüll" von Forianern wie Dir oder Dr. Pingel nicht der differenzierten Urteilskraft entspricht, die ihr anderswo gezeigt habt. ;)

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  • Wenn Dr. Pingel, ein Chorsänger mit jahrzehntelanger Musizierpraxis, meint, dass das Chorfinale Beethovens Neunter nicht gut für Stimme gesetzt sei, sollte man diese Kritik zumindest ernst nehmen und nicht abkanzeln.


    Das ist ein interessanter Einwurf, der gewiss nicht nur Beethoven betrifft. Es gibt doch unzählige Beispiele in der Musikliteratur, dass Werke zunächst als unsingbar oder unspielbar galten. Das war bei Wagner so, besonders beim "Tristan", beim frühen Richard Strauss genau so wie bei Bergs "Lulu". Und bei Bruckner auch. Die Reihe lässt sich beliebig fortsetzen. Menuhin hielt eine Violinsonate von Bartok für nicht aufführbar. Dennoch lehnte Bartok die dringende Bitte um Veränderungen ab. Menuhin probte und arbeitete so lange, bis er das Stück spielen konnte. Wenn ich mich nicht irre handelt es sich um die 1. Sonate, die Bartok für Menuhin komponierte. Bitte korrigieren, wenn es anders ist. Um beim "Tristan" zu bleiben. Der wird bis heute nur ganz selten wirklich gut gesungen. Die meisten Sänger mogeln sich durch die Partie, was ich gut nachvollziehen kann. Man denke nur an das extatische Aufeinandertreffen von Tristan und Isolde zu Beginn des zweiten Aufzuges oder an die Fiebervisionen im dritten. Ich habe noch keinen Sänger gehört, der gesagt hätte, dies sei gut für die Stimme gesetzt. Und trotzdem sind wir, die das Werk lieben, hin und weg. Auch wenn etliches daneben geht.


    Natürlich kann auch ein ausübender Chorsänger beklagen, dass ein Chorsatz nicht gut für sie Stimme gesetzt sei. Man sollte das ernst nehmen. Ist nun aber der Chorsatz das Problem oder der Sänger, der ihn nur unter großer Anstrengung bewältigt?


    Gruß Rheingold

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  • Zitat

    Johannes Roehl: (Bei 380 Liedern müssten allerdings dieVolksliedbearbeitungen mitgezählt sein, es sind aber, wenn ich recht erinnere, über 100 Originallieder).

    Ich habe sie "mitgezählt", lieber Johannes:

    Zitat

    William B.A.: Außer den hier genannten Werken hat er noch etliche Kantaten, das Oratorium "Christus am Ölberg" op. 85, die Chorfantasie op. 80 und über 380 Lieder komponiert bzw. (was die Liedeer betrifft) eigene Bearbeitungen komponiert.

    Vielleicht war "komponiert" das falsche Wort.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
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  • Zitat

    Rheingold1876: Es gibt doch unzählige Beispiele in der Musikliteratur, dass Werke zunächst als unsingbar und unspielbar galten.

    Mir ist da noch ein weiterer Aspekt eingefallen, auf den ich schon im Posting Nr. 418 hingewiesen habe. Es sind nicht nur bestimmte Stellen eines Stückes, die es für einen Laienchor u. U. unsingbar machen, sondern es ist auch die Dauer der Partie, die man singen muss. Wenn man sich ein langes Stück vornimmt, muss man sich seine Kräfte gut einteilen.
    Ich kann da aus eigener Erfahrung "ein Lied von singen". Als wir 2003 zum ersten Mal den "Messias" aufführten, war ich nach der Generalprobe schon platt. Keine Stimme mehr. Am Abend der Aufführung war sie dann dank viel Salbeitee wieder da. Nach der Aufführung konnte ich drei Tage nicht sprechen. Was war passiert? Ich hatte mich total verausgabt, denn das Stück dauerte fast drei Stunden.
    2007 haben wir dann zur Eröffnung der ersten vollen Saison im Konzerttheater Coesfeld zwei Taage hintereinander die "Carmina Burana" aufgeführt. Die Stimme hielt, weil das Stück nur eine knappe Stunde lang ist.
    2012 war das zweite Mal der Messias dran. Die Stimme hielt.
    Dass sogar Profis sich überschätzen können, sieht man an verschiedenen Wagnersängern, allen voran, wenn ich mich recht entsinne, René Kollo, der doch seine Stimme in Bayreuth wohl kaputtgesungen hat. Und war da nicht noch so ein Zwischenfall, dass Franz Welser-Möst sich geweigert hat, der Termin-Planung für die nächsten Salzburger Festspiele zuzustimmen, weil zu viele Mozart-Vorstellungen in zu wenigen Tagen geplant waren?


    Liebe Grüße


    Willi :)

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    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich habe die Missa solemnis schon einmal von einem Laienchor (allerdings einer Kantorei mit relativ handverlesenen Mitgliedern) gehört. Das ist über 20 Jahre her, ich habe keine genauere Erinnerung mehr daran, wie gut das geklappt hat. Es war aber jedenfalls nicht katastrophal, wenn auch gewiss eine ziemliche Herausforderung.


    Wie auch immer, ich gebe gern zu, dass nicht zuletzt die monumentalen Stellen mit vollem Chor und Orchester mich anfangs für die Missa begeistert haben :D Andererseits finde ich das Stück erheblich kontrastreicher als zB Brahms deutsches Requiem und die Monumentalität nicht aufgesetzt (wie für mich stellenweise bei Berlioz oder Verdi). Das Kyrie ist zwar beinahe durchweg mit Chor, aber nicht durchweg laut, das Credo ebenfalls sogar in der Schlussfuge lange sehr verhalten. Auf Sanctus/Benedictus und Agnus Dei passt Gebrülle schon gar nicht. Bleibt im wesentlichen das Gloria. Das sind nunmal die himmlischen Heerscharen, kein Damenkränzchen :D


    Aber hier geht es ja nicht um die Missa...

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  • Also "O namenlose Freude" u.ä. sollte etwas atemloses haben, nicht locker-ausgeglichen runtergeträllert werden.


    Ist das nicht eine affirmative Umschreibung von "Gebrüll" ;) . Aber egal, ich möchte darauf hinweisen, dass ich explizit schrieb "das ist FÜR MICH Gebrüll". Dies räumt die Möglichkeit ein, dass diese Empfindung einzig und ausschließlich mir anzulasten ist. Ich habe sowohl das Chorfinale als auch die Missa solemnis wiederholt in mehreren Aufnahmen gehört und konnte mich bis heute zu keinem anderen Urteil durchringen. Da ich von Chorsingen aber keine Ahnung habe, würde ich persönlich natürlich nicht zu sagen wagen, dass Beethoven diese Stücke schlecht für Stimme gesetzt hätte (allerdings freut es mich natürlich , wenn jemand vom Fach, wie Dr. Pingel, mir meine Eindrücke bestätigt). Die Analogie zur Hammerklaviersonate ist durchaus interessant ändert für mich aber nichts an der "Brutaliät" des Endergebnisses (vor allem weil ich mit Op. 106 auch so meine liebe Not habe). Ich bin wohl einfach kein Beethovenianer.....


    Generell macht es für mich einen Unterschied, ob ein Stück schwierig ist, weil es schlichtweg nicht einfacher sein kann, um die geplante Wirkung zu erzielen oder ob der Komponist Probleme hat, das Stück so zu schreiben, dass es adäquat umgesetzt werden kann. Ein Beispiel wäre Dvorák, dessen Streichquartette irrsinnig schwer zu spielen sein sollen, obwohl sie technisch wesentlich weniger anspruchsvoll klingen als die Mendelssohns. Mendelssohn aber schrieb perfekt idiomatisch für Streichquartett. Das heißt nicht, dass Mendelssohns Quartette leicht zu spielen seien - im Gegenteil - aber sie sind so leicht wie es nur geht. Dasselbe gilt jeweils für Mozart oder Bach.

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Es ist ein sehr sympathischer Zug von dir, lieber Felix zuzugeben, du seist kein "Beethovenianer". Ich denke, für Beethovens Neunte, hier speziell für das Chorfinale, trifft wohl deine Einlassung zu, dass das Stück schwierig ist, weil es schlichtweg nicht einfacher sein kann, um die geplante Wirkung zu erzielen. Ähnlich hatte sich ja auch schon Johannes geäußert.
    Im Übrigen kann man als Laienchorsänger, wie ich, ganz einfach eine Reihe von Gleichungen aufstellen:
    Hoch = schwierig, hoch und leise = noch schwieriger, hoch und laut oder leise und lange = unmöglich.


    Um bei Beethoven zu bleiben, würde ich mir mit entsprechendem Üben einige Lieder aus der fernen Geliebten op. 98 oder Adelaide op. 46 oder "Ich liebe dich so wie du mich" WoO 123 ohne Weiteres zu singen zutrauen, aber z.B. nur auf der Weihnachtsfeier unseres Chores.


    Ich hoffe, dass wir uns am 3. Advent 2013 mit der Aufführung von Bachs Weihnachtsoratorium nicht "verheben".


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Dass Bach angenehm für Singstimmen komponiert habe wäre mir allerdings auch neu...
    Zur künstlerischen Ökonomie der Mittel gehört für mich nicht unbedingt, es dem Interpreten leicht zu machen. Deswegen ist unangenehm zu singen/spielen nicht "schlecht komponiert", sondern erst einmal unabhängig davon. Ich weiß auch nicht genau, woran man feststellen können soll, ob ein Stück "gerade so schwierig wie nötig" oder "schwieriger als nötig" ist. Sicher hatte Beethoven keine Praxis als Chorleiter oder Chorsänger und er hat auch nicht so viel für Chor komponiert. Aber es wäre eben zu sehen, wie die Chorpassagen in den früheren Werken wie den Kaiserkantaten, Christus am Ölberg, C-Dur-Messe, Fidelio und Chorfantasie im Vergleich zur 9. aussehen.


    Nur um es noch einmal zu wiederholen: Das besondere an der 9. ist ja, etwa im Gegensatz zur Hammerklaviersonate, dass es sich keineswegs um ein "Insider-Stück" für Beethovenianer handeln würde. Sondern vermutlich zusammen mit Messias, Weihnachtsoratorium und vielleicht noch der Schöpfung um eines der populärsten Chorwerke überhaupt. Daher halte ich den Vorwurf es klänge nicht gut und nicht nur weil der Chor überfordert wäre, für eine sehr persönliche Sichtweise, nicht für ein Urteil, das sich in der Schreibweise Beethovens begründen ließe.

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  • Dass Bach angenehm für Singstimmen komponiert habe wäre mir allerdings auch neu...

    Das ist richtig. Meine Bemerkung zielte ausschließlich auf den Instrumentalkomponisten Bach, und dieser schreibt so leicht wie es nur geht - auch wenn manches aufgrund der Komplexität sauschwer ist. Aber ein mittelmäßiger Geiger kann praktisch alle Violinkonzerte (außer das rekonstruierte d-Moll BWV 1052), die Violinsonaten mit Cembalo und einen gar nicht so kleinen Anteil der Soli spielen. Die Cellosuiten sind bis auf die sechste technisch nicht sehr anspruchsvoll. Dasselbe gilt für Mozarts Violinsonaten und Violinkonzerte, wie Brahmsens Cellosonate Op. 38 oder seine Op.78 Violinsonate. Bei Chormusik kann ich mangels praktischer Erfahrung rein gar nichts beitragen hier, aber zumindest in seinen Violinsonaten schreibt Beethoven recht schwierig für Geige - vor allem die Phrasierungen sind oft ziemlich klaviermäßig erfunden. Prinzipiell, also jetzt nicht auf Beethoven bezogen, kann man die Ausführung von Streichermusik durch unglückliche Tonartenwahl, schlecht liegende Doppelgriffe oder Mehrfachgriffe oder unidiomatische Phrasierungen künstlich erschweren.

  • Es ist ein sehr sympathischer Zug von dir, lieber Felix zuzugeben, du seist kein "Beethovenianer".

    Ich möchte aber schon betonen, dass mir sehr vieles von Beethoven über allen Maßen gefällt. Nur bei einigen seiner Publikumslieblinge habe ich Probleme - nicht aus Snobismus, wohlgemerkt.....

  • Einige Bemerkungen.
    1. Felix und ich betonen ausdrücklich, dass wir nicht missionieren wollen. Jeder, der will, kann also den vierten Satz der 9. begeistert hören. Aber warum werden wir hier als Ikonoklasten und Anmaßende beschimpft? Ist Beethoven so sakrosankt, dass Abweichler nicht geduldet werden können? Wir sprechen als Hörende und Sänger und nicht als Musikwissenschaftler. Ich habe sehr viele Chormusik gesungen und noch mehr gehört und verwerfe Beethoven als Chorkomponisten ( seine Sinfonik ist grandios); das gilt für den 4. Satz der 9., für die Chorfantasie, die Missa solemnis und Fidelio. Ich tue das, weil es für einen Chorsänger eine ganz unattraktive Musik ist. Für euch muss es das nicht sein.
    2. Die 9. ist keineswegs ein populäres Stück für Sänger, wenn man es mit den Passionen von Bach, mit Haydn, mit Brahms vergleicht. Es sind auch nicht, wie hier vermutet wird, die technischen Schwierigkeiten. Ich könnte nach Proben dieses Stück auch singen, ich will aber nicht. Beethoven sprengt auch hier nicht die Grenzen, wie hier übertrieben behauptet wird. Er verlangt nur technische Fähigkeiten, die sinnlos sind. Lange hoch und laut heißt, eine Materialschlacht zu liefern, die andere Komponisten nicht brauchen, um große Wirkungen zu erzielen. Und da sage ich wie Felix: "Gebrüll" ist einfach nicht schön. Das sage ich als Chorsänger, der die groß besetzten Passionen gesungen hat, wo nicht gebrüllt wird. Erst recht als Chorsänger, der seit 30 Jahren in kleinen Chören singt, wo differenziert gesungen werden muss.
    3. Dass Beethoven nicht wie Palestrina, Schütz, Monteverdi, Haydn oder Brahms klingt, ist ja klar; das verlangt auch keiner. Aber es ist ja so, dass im Konzertbetrieb alle diese Chormusik heute gleichzeitig aufgeführt wird und miteinander in Konkurrenz steht, und da darf man schon fragen, was schöner ist.
    4. Ein Szenario: an einem Abend wird in der Essener Philharmonie die 9. von Beethoven von einem hochkarätigen Ensemble aufgeführt, gleichzeitig im Werdener Dom von Philippe Herreweghe mit seinen Ensembles die Marienvesper von Monteverdi. Wohin geht da wohl der anspruchsvolle Chorsänger?

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • an einem Abend wird in der Essener Philharmonie die 9. von Beethoven von einem hochkarätigen Ensemble aufgeführt, gleichzeitig im Werdener Dom von Philippe Herreweghe mit seinen Ensembles die Marienvesper von Monteverdi. Wohin geht da wohl der anspruchsvolle Chorsänger?


    Wie oft kann er die Marienvesper live von einem hochkarätigen Ensemble hören und wie oft die Neunte?


    ;)

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • In einem muss ich dr.pingel Recht geben: Gebrüll ist auch nicht meine Sache. Gerade in der Neunten und auch der missa solemnis aber oft genug vorhanden.


    Dieses Gebrüll hat für mich unterschiedliche Ursachen.


    1. Die Wucht und Dramatik der Worte soll unterstrichen werden, die Aussage verstärkt, der Hörer mit der Musik quasi konfrontiert werden.


    2. Stimmgewaltige Einzelstimmen brauchen den passenden Hintergrund. Wie hört sich ein modulierender Könnerchor gegen übermächtige Einzelstimmen an? Es würde ein Ungleichgewicht entstehen, die Aufführung wär unausgewogen.


    3. Schlichtes Unvermögen des Chores. Es lässt sich doch wunderbar der Text als Schlagworte interpretieren. Und was sind Schlagwörter? Eine aus dem Zusammenhang gerissene Möchtegernwahrheit.


    3 durfte ich live in Münster bei einer Aufführung erleben, 1+2 sind bei Karajan zu hören.

  • Gebrüll ist auch nicht meine Sache. Gerade in der Neunten und auch der missa solemnis aber oft genug vorhanden.


    Ja, nur, wenn die Chorsänger es halt nicht besser können. In den vielen hervorragenden Aufnahmen und Konzerten, die ich gehört habe, wurde nicht "gebrüllt". Wirklich nicht. Brüllen tun hungrige Kühe im Stall oder auf der Weide.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Zitat Thomas Sternberg: "Gebrüll ist auch nicht meine Sache. Gerade in der Neunten und auch der missa solemnis aber oft genug vorhanden."


    Ja, nur, wenn die Chorsänger es halt nicht besser können. In den vielen hervorragenden Aufnahmen und Konzerten, die ich gehört habe, wurde nicht "gebrüllt". Wirklich nicht. Brüllen tun hungrige Kühe im Stall oder auf der Weide.


    Völlig korrekt.


    Ich habe auch Aufnahmen, wo es ohne Brüllen geht.


    Aber das Live-Erlebnis in Münster hat mich an einen Kuhstall erinnert...

  • Ohne Zweifel ist die 9. die meistgespielte Sinfonie der Welt. Jedes kleine Theater in Deutschland, viele im Ausland bringen die 9. mindestens einmal im Jahr, zu Silvester (bei uns in Gera sogar an 3 Tagen hintereinander, weil der Konzertsaal nicht alle Interessenten aufnehmen kann). Und mitunter auch noch mitten im Jahr. Kaum eine klassische Melodie hat den Bekanntheitsgrad wie "Freude schöner Götterfunken" , sowohl im sinfonischen Bereich, in der Unterhaltungsbranche (Freddy Breck sang einmal einen Schlager auf die Melodie - d.h. er verhunzte das Stück), als gemeinsame Olympiamelodie mußte es herhalten.


    Gerade der Wunsch nach Aufführungen erfordern an kleineren Häusern den Einsatz von Laienchören. Und im gewissen Sinne muß ich Dr. Pingel recht geben. Einige Passagen besonders im Sopranbereich sind sehr hoch angesetzt - für einen Profichorsänger kein Problem. Aber für eine Laienchorsopranistin, die ansonsten dankenswerterweise unsere Volkslieder aus der Vergessenheit holt, einfach zu viel verlangt. Gera hat nur etwas mehr als 20 berufsmäßige Choristen. Zum Glück hat sich in den letzten Jahren ein sangeskräftiger Chor aus ehemaligen Profis und besonders ausgewählten Damen und Herren gebildet, so daß jetzt in der 9. etwa 60-70 gute Choristen den Schlußchor u.a. singen können. Die vorausgegangenen Aufführungen unter Teilnahme div. Laienchöre mit bis zu 150 Mann waren so, wie es Dr. Pingel ausführte. Aus Mangel an Klasse (sprich Höhe) wurde "gebrüllt". Dennoch sind wir dankbar gewesen, denn erst dadurch wurde es uns möglich, die 9. zu hören.


    Natürlich ist das in Leipzig, Dresden, München oder Berlin anders. Da stehen qualifizierte Chorsänger auch für die 9. zur Verfügung. Ich habe es in Leipzig selbst mehrfach erleben können. Es ist schon ein Unterschied.


    Aus der Möglichkeit, die Chorpartie der 9. selbst singen zu können oder nicht auf die Qualität der gesamten Komposition zu schließen, das halte ich aber für sehr gewagt. Es ist wie mit jeder Musik - der eine mag sie, der andere nicht. Ich persönlich komme gut mit Beethoven, Mahler, Bruckner, Strauß , Wagner u.a. zurecht, habe aber gar keine Bindung zu Barockmusik. Aber sie verächtlich zu machen - niemals!!


    Übrigens halte ich die 9. von 1954 mit Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele unter Furtwängler (mit Schwarzkopf, Höngen, Hopf und Edelmann) für die Beste!


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

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