Freude schöner Götterfunken - Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr 9 in d-moll op 125

  • Okay, lieber Wolfgang,


    bereitwillig ließ ich mich überzeugen ( ;) ) und habe soeben die Gesamtaufnahme bestellt. Nicht ganz so günstig wie sie vor einigen Wochen erhältlich war, aber knappe 20 € (+Porto) erscheinen mir absolut angemessen.


    Die Böhm Aufnahme habe ich seit Jahren nicht mehr gehört und spontan beschlossen, das zu ändern.


    Der Kopfsatz mit 18'44 ist schon gewöhnungsbedürftig, aber wenn man bereit ist, sich auf ein breites Zeitmaß einzulassen, dann hört man einen Satz voller Kraft, Wucht und Größe. Das kommt meinem Verständnis des "Allegro, ma non troppo, un poco maestoso" mehr entgegen, als wenn er in Zinman Manier in 13'35 seelenlos "runtergespielt" wird.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • um ehrlich zu sein weiß ich gar nicht genau, auf welchen Platz ich die Aufnahme mit Munch "ranken" würde

    Lieber Norbert,


    so ein "Ranking" ist immer eine schwierige, recht zweifelhafte Angelegenheit, vor allem, wenn es ein solches Überangebot an guten Aufnahmen eines Werkes gibt. Ich tue mich da immer sehr schwer, denn ohne Ungerechtigkeiten geht es zwangsläufig nicht ab. Bei der Neunten habe ich lange zwischen Fricsay und Münch gezögert, mich letztlich aber für Fricsay entschieden, weil seine Aufnahme von 1958 meine allererste Neunte überhaupt war. Das prägt natürlich, und außerdem war (und ist) es eine ganz fantastische Einspielung, angefangen beim Solistenquartett, bis zum Dirigenten. Fricsays Solisten haben letztlich den Ausschlag gegeben, sie gefallen mir nicht nur besser, sondern sie harmonieren auch mehr als das "Münch-Quartett". Vor allem scheint mir der junge Fischer-Dieskau herauszuragen, sein "O Freunde, nicht diese Töne …" ist wahrlich makellos und ergreifend.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Lieber Nemorino,


    wie schwierig solch ein "Ranking" sein kann, wissen wir beide, als wir versuchten, für das Beethovens Werke - Welches sind Eure Lieblingsinterpretationen? - Spiel unsere drei Lieblingsinterpretationen der 6. Sinfonie zu benennen. Bei der 9. Sinfonien wird es mit Sicherheit nicht einfacher werden.


    Natürlich ist keine "gerechte" Reihenfolge möglich, denn neben den von Dir genannten Dingen spielt eine "Tagesform" eine nicht zu unterschätzende Rolle.


    Bei mir ist "Böhm 1970" gesetzt, aber dann sind da u.a. Suzuki, Klemperer, Wand, Munch, Bernstein (Wien), Jansons, Schmidt-Isserstedt, Monteux, Fricsay, Kubelik und mit Sicherheit noch einige, an die ich spontan nicht gedacht habe, zu berücksichtigen.


    Es gibt für mich keine "ideale" Einspielung der 9. Sinfonie, aber etliche sehr, sehr gute.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Okay, lieber Wolfgang,


    bereitwillig ließ ich mich überzeugen ( ;) ) und habe soeben die Gesamtaufnahme bestellt.

    Lieber Norbert,

    das freut mich ... :) und ich bin megagespannt auf Deine Eindrücke zu Sarastes Beethoven.

    Meine herausragenden Favoriten sind die Sinfonien Nr.1, 5 und 9.

    Es gibt für mich keine "ideale" Einspielung der 9. Sinfonie, aber etliche sehr, sehr gute.

    :thumbup: Genau so ist es !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Tschechische Philharmonie / Bernstein (Prager Frühling Festival 1990)

    program6tj4g.jpg



    Ich weiß nicht, wieso dieses zeitgeschichtlich bedeutsame Konzert mit Beethovens Neunter 30 Jahre in der Versenkung verschwunden ist, aber vor ein paar Tagen sendete es der YouTube-Kanal des Prager Frühling Festivals in HD. Das Video ist wohl gar nicht mehr gelistet, aber der Link scheint noch zu funktionieren. Am 2. und 3. Juni 1990 dirigierte Leonard Bernstein die Tschechische Philharmonie und den Prager Philharmonischen Chor (Chorleitung: Lubomír Mátl) mit einem erlesenen Solistenquartett, bestehend aus Lucia Popp, Ute Trekel-Burckhardt, Wiesław Ochman und Sergej Kopčák. Im Publikum anwesend auch der damalige tschechoslowakische Staatspräsident Václav Havel, sichtlich gerührt wie das gesamte, hochkonzentrierte Publikum im berühmten Smetana-Saal des Prager Gemeindehauses. Es ist eine der allerletzten Gelegenheiten, Bernstein beim Dirigieren zuzusehen. Zwei Monate später erfolgte das berühmte letzte Konzert beim Tanglewood Festival des Boston Symphony Orchestra, im Oktober hat er uns für immer verlassen. Erstaunlich vital und kraftvoll wirkt er hier in Prag noch, dabei schon todkrank. Die Interpretation zu loben, hieße Eulen nach Athen tragen. Sie übertrifft nach meinem Eindruck sogar das ungleich bekanntere Konzert nach dem Mauerfall in Berlin im Dezember 1989. Die Tempi sind beinahe identisch, im Kopfsatz praktisch gleich (18 Minuten), im Adagio etwas "flotter" (gut 19 Minuten), dafür genehmigt Bernstein sich im Scherzo anderthalb Minuten mehr (über zwölf) und im Finale etwa eine halbe Minute mehr (über 29!). Irgendwie klappt es trotzdem und bleibt mir als eine der packendsten Aufführungen aller Zeiten in Erinnerung. Im Film gibt es nach etwa 10 Minuten im Kopfsatz einen kleinen Aussetzer von etwa 40 Sekunden - verschmerzbar. Ansonsten ist der Klang sehr gut, wechselt im Video beim Beginn der Symphonie (nach etwa 14 Minuten) auch glücklicherweise von Mono zu Stereo. Es wäre hoch an der Zeit, dass dieses Dokument auf DVD oder CD erscheint.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Es gibt für mich keine "ideale" Einspielung der 9. Sinfonie, aber etliche sehr, sehr gute.

    So ist es, lieber Norbert, trotz Furtwänglers diversen Versionen (eine Studio-Aufnahme gibt es wohl von ihm gar nicht), und auch Toscanini, Erich Kleiber, um bei den großen Alten zu bleiben, sind zwar großartige Auslegungen gelungen, aber ein "Erdenrest" bleibt wohl immer.

    Den "Böhm 1970" werde ich mir noch zulegen, obwohl ich mit "Neunten" schon mehr als reich gesegnet bin. Monteux (Westminster) habe ich bereits, auch Wands NDR-Aufnahme, die ich ebenfalls hervorheben möchte, nur die Gesangssolisten bleiben (für meine Begriffe) ein wenig blaß. Die Neunte ist für mich ein Werk, das ich nur zu besonderen Gelegenheiten höre. Deshalb fällt es mir schwer, jetzt alle meine Versionen (ca. 20) nacheinander zu vergleichen. Stattdessen habe ich weiter oben die genannt, die mir im Laufe des Lebens als besonders geschlossene Leistungen, wobei auch gerade bei dieser Sinfonie die Klangqualität nicht zu unterschätzen ist, im Gedächtnis geblieben sind.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Charles Munch. (Warum schreiben einige auch Münch ?)

    Lieber Wolfgang,


    darüber haben wir hier vor kurzem schon debattiert. Wir waren übereinstimmend der Ansicht, daß Münch nach 1919 (Rückgliederung von Elsaß-Lothringen an Frankreich) die Schreibweise seines Namen in "Munch" geändert hat.

    Nun fand ich heute durch Zufall bei mir eine französische (!) CD, herausgegeben von "disques Ades", Paris, veröffentlicht 1988, die sieht so aus:

    CHARLES MUNCH - BIZET symphony in C, jeux d'enfants, patrie ADES ...

    Auch auf der Rückseite und ebenso der CD selber steht "Münch". Hat jetzt zwar nichts mit Beethovens Neunter zu tun, aber das wollte ich doch kurz mitteilen. Scheinbar war die richtige Schreibweise seines Namens nicht eindeutig festgelegt. Bekanntlich gibt es ein "ü" im französischen Alphabet nicht.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).


  • Meine persönlichen Favoriten sind das BPO-Konzert von 1942 (Opus Kura für den besten Transfer) WPO Live 1953 , das Lucerne Festival von 1954 (das jetzige Tahra auf SACD).. Im entgegengesetzten Spektrum steht Furtwänglers persönlicher Favorit, die Luzerner Live Aufführung von 1954, die nur zwei Monate vor dem Tod aufgenommen wurde. In dem Wissen, dass dies wahrscheinlich seine letzte Neunte war, hinterließ Furtwängler uns eine hervorragende introspektive, spirituelle und meditative Lesung. Es ist insgesamt eine langsamere, aber eine viel tiefere und innige Aufnahme .

    Musik ist höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie. Wem meine Musik sich verständlich macht, der muß frei werden von all dem Elend, womit sich die anderen schleppen.

    Ludwig van Beethoven


    Bruckner+Wand So und nicht anders :)

  • die Luzerner Live Aufführung von 1954, die nur zwei Monate vor dem Tod aufgenommen wurde.

    Hallo Klassikfan1,


    selbstverständlich hat diese Aufführung, die übrigens mehr als drei Monate vor Furtwänglers Tod (er starb am 30.11.1954) aufgezeichnet wurde, hohen dokumentarischen Wert. Doch bei Werken mit solch riesigen Dimensionen (großes Orchester, riesiger Chor, vier Solisten) schreckt mich die schlechte Klangqualität ab, außerdem noch die Live-Bedingungen, die ja immer störende Nebengeräusche (Husten, Niesen, Stühlerücken) sowie unberechenbare Tonschwankungen mit sich bringen.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Der Einbruch des Schicksals im ersten Satz ist packend, fesselnd und zutiefst bestürzend. Szell trifft das Tempo sehr genau; er

    er spielt weder zu gehend, was dem Ganzen den Ernst rauben würde, noch zu langatmig, was die Wirkung des dargestellten Schicksalsschlages abschwächen würde. Der Klang der Bläser ist bestechend. Das Scherzo ist perfekt. Was für ein Hammer Ritt! Welten scheinen über dem Hörer zusammen zu brechen. Mit unerbittlichem Kraft fährt das Unglück durch die Welt.Besondere Hervorhebung verdient der langsame Satz. Es ist heute leider eine Untugend entstanden, die diesen Satz fast gedankenlos schnell wegmusizieren müssen . Dabei hatte Beethoven es durchaus im Sinn, diesem erhabenen Adagio sehr viel Zeit zu lassen, damit die Balance des Werkes nicht kippt respektive des monströsen Finals. Diesem genialen Satz, dem bei Beethoven nur noch das Adagio der Hammerklaviersonate und der Heilige Dankgesang des 15. Streichquartetts gleichkommen, lässt Szell genug Zeit, um Ruhe, Liebe und Linderung des Schmerzes zu gewähren.Aber dann das Finale: Schneidende Akkorde der tiefen Streicher verkünden Unmut darüber, dass noch keine Lösung gefunden worden ist. Allmählich entwickelt sich das Freudenthema, das dann im ganzen Orchester zu hören ist: eine Sternstunde! Ein letztes Mal schneiden die tiefen Streicher, dann beginnt das Rezitativ. Insbesondere der gesanglichen Leistung von Heatcher Harper Sopran ,Janet Baker Mezzo Sopran ,Ronald Dowd Tenor Franz Crass Bass, sowie dem New Philharmonia Chor ist es zu verdanken, dass der schönste Teil des Finales, das Andante maestoso, und der Schluss des Freudentaumels dem Hörer unendlichen Dank, unendliche Freude angedeihen lässt.

    Wem die Mono Qualität egal ist, der kann die Aufnahme ruhig kaufen.

    Liebe Grüße Patrik

    Musik ist höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie. Wem meine Musik sich verständlich macht, der muß frei werden von all dem Elend, womit sich die anderen schleppen.

    Ludwig van Beethoven


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  • Hallo,


    bei der Beurteilung der Neunten habe ich mich auf den 1.Satz konzentriert.


    Hier muss der Dirigent und das Orchester zeigen, ob sie diesen ständigen Sprüngen bezüglich Lautstärke und Tempo bei Wahrung eines sinnvollen Spannungsaufbaus gewachsen sind.


    Manche Dirigenten opfern diesen Satz allein dem Klang, bei anderen möchte man meinen, Beethoven habe sich an Marschmusik orientiert.


    Es grüßt


    Karl

  • Mit der Zahl der verschiedenen Einspielungen verstärkt sich bei mir das Gefühl, daß mancher Dirigent die 9.Sinfonie bezüglich der Spielweise in Verbindung mit der 5ten und 7ten sieht.


    Warum nur? Die 9.Sinfonie kommt aus der Stille!


    Sicherlich kann man Pauken und Trompeten kontrastreich erschallen lassen, wer das allerdings nötig hat, kann die innere Kraft und Dramatik dieser Sinfonie mit geeigneteren Stilmitteln nicht herausarbeiten.

  • Ich habe von Szell die 5 CD Box von Sony,


    da ist eine andere Neunte dabei ( Addison, Lewis, Bell, Cleveland Orch. 1961 ) wie ist die im Vergleich zur BBC Aufnahme ? Klanglich ist sie sehr gut für ihr Alter......


    Kalli

  • Warum nur? Die 9.Sinfonie kommt aus der Stille!


    Sicherlich kann man Pauken und Trompeten kontrastreich erschallen lassen, wer das allerdings nötig hat, kann die innere Kraft und Dramatik dieser Sinfonie mit geeigneteren Stilmitteln nicht herausarbeiten.

    :( Finde ich überhaupt nicht.

    Eine INT der Neunten, so wie Du sie offenbar hören willst, wäre für mich unter der Rubrik "Langweilig" zu finden.


    Dein Zitat wundert mich auf der anderen Seite, weil Szell ja nun alles Andere als langweilig sein kann. Ich habe kenne und schätze seine Stereo-Aufnahme mit seinem Cleveland Orchestra (SONY, 1961); die von Dir gepostete hist.Mono-Aufnahme kenne ich (8) natürlich) nicht.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Zitat

    Eine INT der Neunten, so wie Du sie offenbar hören willst, wäre für mich unter der Rubrik "Langweilig" zu finden.

    Die Geschmäcker der Zuhörer sind verschieden, das ist klar.


    Mich selbst verwundert allerdings, wie stark die Unterschiede auch bei namhaften Dirigenten und Orchestern ausfallen.


    Die musikalische Schönheit der 9ten verschwindet mMn in dem Maße, wie zu kraftvoll dramatisiert bzw. eine Übertriebenheit in Tempo und Dynamik einkehrt.

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  • Die musikalische Schönheit der 9ten verschwindet mMn in dem Maße, wie zu kraftvoll dramatisiert bzw. eine Übertriebenheit in Tempo und Dynamik einkehrt.

    Klingt mir beinahe so wie auf die berühmte Furtwängler-Interpretation von 1942 gemünzt. Und diese gilt doch als eine ganz und gar maßgebliche. Ein ehemaliges Mitglied dieses Forums ging soweit, sie zur größten Aufnahme aller Zeiten zu erklären.

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    – Luís de Camões

  • Tschechische Philharmonie / Bernstein (Prager Frühling Festival 1990)

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    Ich weiß nicht, wieso dieses zeitgeschichtlich bedeutsame Konzert mit Beethovens Neunter 30 Jahre in der Versenkung verschwunden ist, aber vor ein paar Tagen sendete es der YouTube-Kanal des Prager Frühling Festivals in HD. Das Video ist wohl gar nicht mehr gelistet, aber der Link scheint noch zu funktionieren. Am 2. und 3. Juni 1990 dirigierte Leonard Bernstein die Tschechische Philharmonie und den Prager Philharmonischen Chor (Chorleitung: Lubomír Mátl) mit einem erlesenen Solistenquartett, bestehend aus Lucia Popp, Ute Trekel-Burckhardt, Wiesław Ochman und Sergej Kopčák. Im Publikum anwesend auch der damalige tschechoslowakische Staatspräsident Václav Havel, sichtlich gerührt wie das gesamte, hochkonzentrierte Publikum im berühmten Smetana-Saal des Prager Gemeindehauses. Es ist eine der allerletzten Gelegenheiten, Bernstein beim Dirigieren zuzusehen. Zwei Monate später erfolgte das berühmte letzte Konzert beim Tanglewood Festival des Boston Symphony Orchestra, im Oktober hat er uns für immer verlassen. Erstaunlich vital und kraftvoll wirkt er hier in Prag noch, dabei schon todkrank. Die Interpretation zu loben, hieße Eulen nach Athen tragen. Sie übertrifft nach meinem Eindruck sogar das ungleich bekanntere Konzert nach dem Mauerfall in Berlin im Dezember 1989. Die Tempi sind beinahe identisch, im Kopfsatz praktisch gleich (18 Minuten), im Adagio etwas "flotter" (gut 19 Minuten), dafür genehmigt Bernstein sich im Scherzo anderthalb Minuten mehr (über zwölf) und im Finale etwa eine halbe Minute mehr (über 29!). Irgendwie klappt es trotzdem und bleibt mir als eine der packendsten Aufführungen aller Zeiten in Erinnerung. Im Film gibt es nach etwa 10 Minuten im Kopfsatz einen kleinen Aussetzer von etwa 40 Sekunden - verschmerzbar. Ansonsten ist der Klang sehr gut, wechselt im Video beim Beginn der Symphonie (nach etwa 14 Minuten) auch glücklicherweise von Mono zu Stereo. Es wäre hoch an der Zeit, dass dieses Dokument auf DVD oder CD erscheint.

    Ein wenig wundert mich schon, dass diese famose, allerletzte Interpretation der Neunten von Beethoven durch Leonard Bernstein auf überhaupt kein Interesse zu stoßen scheint.


    Es ist unverständlich, dass diese Aufführung mit der Tschechischen Philharmonie vom Juni 1990 bisher weder als DVD/Blu-ray noch als CD erschienen ist (rechtliche Gründe?). Jahrelang galt dieses Konzert ja eher als legendäre Mär, da man seiner nicht habhaft werden konnte. Ich war beim Durchhören fasziniert und würde es sogar noch über die berühmte 1989er Berliner "Ode an die Freiheit" stellen wollen. Meines Wissens folgten danach nur noch ein Bernstein-Konzert in Japan mit Schumanns Zweiter und das bekannte "Abschiedskonzert" in Tanglewood mit dem Boston Symphony Orchestra. Es ist also ganz, ganz später Bernstein.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

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    – Luís de Camões

  • Bei Beethoven bestimmen in der Regel schon die ersten genommenen Takte die weitere Ausführung des Werkes.


    Nun gibt es Einspielungen der 9ten, da hat man mit dem Einsatz der Celli den - nicht verkehrten - Eindruck, als wenn die gezügelten Rennpferde bald losgelassen werden.


    Und schon beginnt der furiose Sturm, bei dem der Anschein entsteht, daß die einzelnen Orchesterteile hauptsächlich bemüht sind, sich an Wirkung noch zu übertreffen.


    Ein bombastisches Erlebnis, im wahrsten Sinne des Wortes.


    Aber es geht auch anders.


    Nehmen wir dafür


    The Klemperer Legacy (Beethoven: Sinfonie 9)


    Man merkt nichts von der erwähnten Angespanntheit und leichten Nervosität gleich zu Beginn, es braucht nur etwas Neugierde beim Zuhörer, um sich auf Klemperer einzulassen, der genau weiß, was und wohin er will.


    Auffallen dürfte bald, wie er die Orchestergruppen einsetzt. Sie sprechen miteinander, sie begleiten und übernehmen ohne irgendwelches unnötiges Getöns. Es ist der konsequente Aufbau eines zeitlich sehr großen Spannungsfeldes hin zu einem Gesamthöhepunkt.


    Dieser beginnt nach ungefähr 10 Minuten: die Musik flutet sich in einen Klangrausch, die einzelnen Orchestergruppen verschmelzen in ihren Einsätzen und es hat einen. Man ist drin, es entsteht ein Verständnis, was Beethoven dem Menschen hier mitgeben und sagen will. Hat was mit Insichstimmigwerden und Sichgutfühlen zu tun.


    So geht es mir zumindest.

  • Der 2.Satz der Neunten verlangt natürlich nach Abwechslung, es braucht zumindest musikalischen Schwung beim Einsatz der Bläser, um einen drohenden Spannungsabfall zu vermeiden, denn mit dem recht ruhigen 3.Satz gönnt Beethoven dem Zuhörer die notwendige Pause, bevor es im 4.Satz zur Sache geht.


    Verwunderlich, daß z.B. hier Celibidache mit den Münchner Philharmonikern die Kurve nicht kriegt.


    Sein 1. und 4.Satz sind vortrefflich, aber es fehlt die gebotene Lebendigkeit beim 2.Satz, wodurch bei mir die Konzentration Minute für Minute mehr verloren geht und später die musikalischen Bindung des 4.Satzes an die Vorangegangenen, sprich die Geschlossenheit des Werkes, verloren geht. Schade.

  • Zwischenzeitlich sind noch weitere CDs zum Vergleich der Neunten hinzugekommen, dabei war auch die mit Bernstein in Berlin, siehe


    Ode an die Freiheit


    Für mein Hörempfinden wird hier der 3.Satz zerdehnt, das Hinführen und die Vorbereitung auf den 4.Satz gelingt nicht.


    Adagio molto e cantabile – Andante moderato ist mE immer im Hinblick auf das Gesamte zu sehen und kein feststehendes Zeitmass, hier darf der Begriff "ausdrucksvoll" vorrangig ins Blickfeld rücken.


    Karl


    PS: aus der Vielzahl der Einspielungen gibt es eine, gibt es die Aufnahme des 3.Satzes, die ich mir als Sahnehäubchen getrennt vom Werk sehr gerne als Einzelaufnahme anhöre:


    Furtwängler 1954 in Luzern

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  • Zwischenzeitlich sind noch weitere CDs zum Vergleich der Neunten hinzugekommen …


    Karl: Ist diese Aufnahme auch dabei? Denke dass diese Aufnahme Deinem Geschmack liegen könnte … ;)



    London Symphony Orchestra,

    Carlo Maria Giulini

    Einer der erhabensten Zwecke der Tonkunst ist die Ausbreitung der Religion und die Beförderung und Erbauung unsterblicher Seelen. (Carl Philipp Emanuel Bach)

  • 9935921

    Hallo Maurice,


    nur der Ordnung halber: Bei der Neunten spielt das London Symphony Orchestra (ebenso die Nr.8), das NPO kommt nur bei der "Pastorale" zum Einsatz. Die Anordnung auf dem Cover ist in der Tat mißverständlich, umgekehrt wäre korrekt.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • @ Nemorino: Danke für die Richtigstellung!

    Einer der erhabensten Zwecke der Tonkunst ist die Ausbreitung der Religion und die Beförderung und Erbauung unsterblicher Seelen. (Carl Philipp Emanuel Bach)

  • Hallo Maurice,


    vielen Dank für die Empfehlung, es hat nur etwas gedauert, bis ich mir einen Überblick bezüglich der Veröffentlichungen verschaffen konnte und anschließend folgende CDs bestellt habe, die am Wochenende nun eingetroffen sind:


    giuliniv8kpd.jpg

  • Die beiden CDs oben stammen von der Aufnahme in der Kingsway Hall aus dem Jahre 1972.


    1991 erfolgte die Digitalisierung bei EMI Holland und Erstveröffentlichung auf CD, die linke CD ist eine Neupressung aus dem Jahre 2005 der EMI Switzerland, die rechte CD aus 2004 ist zudem neu remastered.


    Die rechte CD klingt dadurch etwas direkter und offener, dafür hört man aber auch das Bandrauschen deutlicher.


    Die Einspielung mit den Berlinern geschah 1989/90, Karajan ist 1989 gestorben.


    Ich würde meinen, da hat man 1991 bei der EMI Marktchancen für andere Dirigenten erkannt und deshalb ältere Aufnahmen - wie die Kingsway Hall Einspielung - erstmals auf CD herausgebracht.


    Giulinis setzt 1972 zwar auch die Instrumentengruppen recht effektvoll ein, bleibt aber in einem für mich noch akzeptablen Rahmen. Auch beim gefühlten Tempo übt er sich in angemessener Zurückhaltung.


    Ein gelungenes Paradebeispiel für einen langjährig eingeübten und erzielten Orchesterklang ist dann die Aufnahme mit den Berlinern kurz nach Karajans Tod.


    Es dirigiert zwar Giulini, sein Einfluß auf die Musiker bleibt aber überschaubar, man hört Karajan durch.


    Sicherheitshalber habe ich deshalb noch die Mozartsinfonien geholt, siehe



    auch da ist der Karajanklang noch sehr gut heraushörbar.


    Insgesamt betrachtet bewegt sich Giulini mit der 72iger Aufnahme noch im ersten Drittel bei den bisher gesammelten CDs bezüglich der 9ten, die mit den Berlinern hat mir zuviel Orchesterklang, eignet sich aber hervorragend als Vorführbeispiel.

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  • Ludwig van Beethoven

    Sinfonie Nr.9 D-Moll, Op.125

    16:17

    11:30

    16:36

    24:30(24:49)

    Elisabeth Grümmer, Sopran

    Christa Ludwig, Alt

    James King, Tenor

    Walter Berry, Bass

    Karl Böhm

    Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin

    Live: Nissei Theatre, Tokyo, 7.11.1963

    4909346019188.jpg

    Der erste Satz ist hier weniger dramatisch furios, eher ein Trauermarsch. Das Scherzo gewinnt durch die Raserei einen eigenen, durchaus scharfen Klang. Romantisch, aber doch liedhaft, ein wenig schon wie Schubert der dritte Satz, mit breiten Streicherklangflächen nach dem zweiten Fanfareneinwurf des Blechs. Wie soll man das Finale beschreiben? Karl Böhm steht hinter dieser Musik, gestaltet und kitzelt jeden Höhepunkt heraus und lässt so gar keine Diskussion über die Qualität der Musik zu. Hervorragend ist der Chor sowie die Solisten Berry, Ludwig, King und Grümmer.

    .

    Musik ist höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie. Wem meine Musik sich verständlich macht, der muß frei werden von all dem Elend, womit sich die anderen schleppen.

    Ludwig van Beethoven


    Bruckner+Wand So und nicht anders :)