das ist aber ein schwerer Vorwurf, den ich überhaupt nicht nachvollziehen kann!
Mich hat schon Holgers Kritik in Beitrag 287 irritiert:
Lieber Nemorino,
nein - ich glaube, Szell hat in seinem Leben Rachmaninow wohl überhaupt nie dirigiert. Ich verstehe auch nicht, was da nach Rachmaninow klingen soll!
….. doch daß ein Dirigent vom Format George Szells Beethoven "à la Tschaikowsky" interpretiert, und das noch in einer Aufnahme, die in minutiöser Vorarbeit intensiv geprobt wurde, eben weil man mit der Kombination Gilels/Szell den Musikfreunden etwas ganz Besonderes präsentieren wollte, klingt für mich mehr als abenteuerlich.
Nun bin ich nur ein musikbegeisterter Laie, dessen Urteilsvermögen demnach begrenzt ist, aber immerhin hat die GA der Beethoven-Konzerte mit Gilels/Szell mehrere internationale Preise erhalten, darunter auch den renommierten "Deutschen Schallplattenpreis 1970", dessen Jury mit so prominenten, anerkannten Musikwissenschaftlern und -Kritikern wie Dr. Arno Forchert, Jürgen Meyer-Josten und Gottfried Kraus hervorragend besetzt war. Hier ein kurzer Auszug aus den Jury-Protokollen: " ….. eine von der Interpretation her gewichtigste Kassette mit den fünf Beethoven-Konzerten. Dokument einer faszinierenden Partnerschaft, in Details von geradezu vollkommener Schönheit. Höhepunkte sind vor allem die langsamen Sätze (….) trotz der großartigen Versionen von Rubinstein, Arrau, Backhaus ein Beethoven mindestens für das kommende Jahrzehnt …."
Ich kann Holger durchaus zustimmen, wenn er Giulinis (in der Aufnahme mit ABM, DGG) beweglicheres, lockeres Musizieren hervorhebt, aber daß Szells Orchester im langsamen Satz "fürchterlich betulich und bieder" klingt, erschließt sich mir auch nach mehrmaligem Hören nicht.
Mich hat diese Szell-Aufnahme besonders beim 1. Konzert nie überzeugt. Bei Gilels ist es glaube ich erhellend, wenn man die Szell-Aufnahme im Kontext der anderen hört. Dann stellt man fest, dass er dort bewusst seinen eher burschikosen und "robusten" Zugriff von 1958 reduziert hat, da ist eine Tendenz zur Verinnerlichung festzustellen - ein entspanntes Musizieren wie bei einem Mozart-Konzert, sehr stromlinienförmig. Und genau da spielen Szell und Gilels finde ich völlig aneinander vorbei. (Ein anderes Beispiel, was mir jetzt einfällt ist Van Cliburn. Beim Tschaikowsky-Konzert mit Kondrashin gibt es eine perfekte Übereinstimmung (Kondradshin war überhaupt einer der allerbesten Begleiter von Solisten, er garantiert immer eine gelungene Aufnahme, ist da sozusagen eine Bank), dagegen beim 2. Rachmaninow-Konzert spielen Fritz Reiner und Cliburn nebeneinander her statt zusammen.) Szell dirigiert das hyper exakt. Gewiss. Aber das ist sehr ungarisch - da fehlt die Transzendierung des Marsches ins Klassische. Es klingt einfach zu prosaisch. Beethoven ist aber kein Bartok! Das war das, was ich mit der tänzerischen Note meinte, welcher dem Marsch die Bodenhaftung nimmt und ihn in die Schwebe bringt. Das fehlt bei Szell. Gerade Gilels klassische Entspanntheit findet in Szells Angespanntheit keine Entsprechung. Er dirigiert das Konzert wie er es wohl immer dirigiert hat ohne Rücksicht auf den Solisten. Karajan z.B. konnte sich sehr gut auf die verschiedenen Solisten einstellen - hörbar beim Tschaikowsky-Konzert. Szells Aufnahme ist perfekt, wirkt aber steril. Da kommt für mich einfach keine Begeisterung auf. Gerade im langsamen Satz fehlt mir die Inspiration. Das London SO ist ein sehr brillantes Orchester - hier klingt es sehr britisch nüchtern. Kein Vergleich mit der Tschechischen Philharmonie. Da ist eine ganz andere Beseeltheit zu hören.
Ich habe übrigens gestern Richter mit seiner Aufnahme aus Prag gehört. Da finde ich hat Gilels eindeutig die Nase vorn. Richter ist mir hier zu intellektuell, geht dieses Konzert zu sehr mit dem Kopf an.
Schöne Grüße
Holger