Alle sprechen über dasselbe Musikwerk

  • Mich stört wahrscheinlich, wenn die Nationalität zum Inhalt der Musik wird.

    Wo ist das der Fall? Gibt es da Beispiele? Mir fallen keine ein, was aber daran liegen kann, dass ich keine Vorstellung habe, was es eigentlich heißt, wenn die Nationalität zum Inhalt der Musik wird. Damit ich das besser verstehen kann, wären ein paar instruktive Beispiele möglicherweise hilfreich.

  • von mir Schiller frei zitierte Äußerung Schillers findet sich in den Xenien und lautet korrekt:

    "Deutschland? aber wo liegt es? Ich weiß das Land nicht zu finden."

    Steht es denn fest, dass er das auch gar nicht wollte? Oder ist es nicht eher so, dass er da einen in seinen Augen durchaus beklagenswerten Zustand beschreibt, den auch viele andere zu seiner Zeit, aber auch vorher und nachher beklagt haben? Und lässt sich andererseits leugnen, dass Goethe und Schiller ausgesprochen deutsche Dichter waren, deren Werk in einem anderen Umfeld gar nicht möglich gewesen wäre? Meiner Ansicht nach bringt schon die Tatsache, dass sie ihre Werke in deutscher Sprache verfasst haben, eine spezifische Komponente ein, die kein Werk in einer anderen Sprache haben kann.


    Dass beide eher kosmopolitisch als nationalistisch gedacht haben, besagt in dem Zusammenhang gar nichts, denn das haben sie nun mal als Deutsche getan, also zum Beispiel vor dem Hintergrund der langen deutschen Kleinstaaterei und der damit verbundenen Kleingeistigkeit.

  • Mich stört wahrscheinlich, wenn die Nationalität zum Inhalt der Musik wird.


    Wo ist das der Fall? Gibt es da Beispiele? Mir fallen keine ein, was aber daran liegen kann, dass ich keine Vorstellung habe, was es eigentlich heißt, wenn die Nationalität zum Inhalt der Musik wird.

    Am einfachsten findet man das doch in Nationalhymnen, deren Zweck ziemlich direkt die Verherrlichung der Nation ist. Aber auch Albéniz Klavierzyklus soll ja die Schön- und Eigenheiten der spanischen Gegenden durch die kunstvolle Gestaltung ihrer Tänze symbolisieren.


    Ein interessantes Beispiel, wo das Kolorit zwar auch einfließt, aber für mich sich etwas Neues ergibt, ist vielleicht La sérénade interrompue aus dem ersten Heft der Préludes von Debussy. Spanische Rhythmen sind nicht zu überhören, aber für mich nicht der wesentliche Inhalt der Musik.


  • Am einfachsten findet man das doch in Nationalhymnen, deren Zweck ziemlich direkt die Verherrlichung der Nation ist. Aber auch Albéniz Klavierzyklus soll ja die Schön- und Eigenheiten der spanischen Gegenden durch die kunstvolle Gestaltung ihrer Tänze symbolisieren.

    Spanien ist aber ein sehr schlechtes Beispiel für eine "Nation". Denn Basken und Katalanen sind keine Spanier. Barcelona ist katalanisch. Wenn man einen Katalanen einen Spanier nennt, ist das für ihn eine Beleidigung. Deswegen portraitiert Albeniz auch die einzelnen Regionen (!) - das entspricht der spanischen Kultur und Geschichte, wo es eben keine spanische Nation gab.

    Ein interessantes Beispiel, wo das Kolorit zwar auch einfließt, aber für mich sich etwas Neues ergibt, ist vielleicht La sérénade interrompue aus dem ersten Heft der Préludes von Debussy. Spanische Rhythmen sind nicht zu überhören, aber für mich nicht der wesentliche Inhalt der Musik.

    Debussy hat sich da an Albeniz orientiert, wenn man seine Besprechung von Albeniz liest. Allerdings ist sein Vorgehen ganz anders - ich hatte das hier beschrieben:


    Ein weiterer – zentraler – Aspekt dieser Abstraktion eines reinen „Klang“-Erlebnisses bei Debussy ist die Autonomie der Kunst, eine Hermetik des Schönen, die musikalische Vokabeln der „Umgangssprache“ zwar durchaus gerne verwendet, sie dabei aber in artifizielle Konstrukte verwandelt. Debussy hasste jede Art von Trivialität – mit seinem Lieblingsdichter Stephane Mallarmé war er Anhänger einer „poétique absolu“. Das Niedere und Gemeine – es wird aufgenommen wie ein Bruchstück, um dann unter vollständiger Missachtung seiner Alltagslogik zusammengefügt zu werden zu einem reinen Kunstprodukt. In seinem Prélude Les collines d´Anacapri (Heft 1, Nr. 5) findet sich dafür ein signifikantes Beispiel: Dort gibt es einen musikalischen Schnipsel von „Pop“-Musik, nicht zuletzt angedeutet mit der Spielanweisung avec la liberté d´une chanson populaire. Doch wie Debussy dieses „Zitat“ von Popularmusik behandelt, zeugt von absoluter Respektlosigkeit seinem Inhalt gegenüber. Es wird voll und ganz den abstrakten Gesetzen der Komposition untergeordnet – die Phrase zunächst in ihre Elemente zerlegt und dann völlig „unnatürlich“ wieder zusammengesetzt. Den Impressionisten interessiert an diesem verfremdeten Chanson-Schnipsel lediglich die Bewegung, das „Klangmaterial“, mit dem sich „arbeiten“ lässt, wie mit einem unbehauenen Brocken aus dem Steinbruch, mit dem einzigen Ziel und Zweck, einen bestimmten Eindruck zu erzeugen. Auch hier ergibt sich eine aufschlussreiche Parallele zu Entwicklungen in der Malerei, nämlich zur Emanzipation des Bildeindrucks in der modernen Kunst: Die impressionistischen Maler stellen Gegenstände zwar noch dar, aber ohne sie dabei „naturgetreu“ abzubilden: Ihre Anordnung und farbliche Synthese folgt den freien Regeln der Bildkomposition und nicht mehr verbindlich denen in der „Wirklichkeit“ vorgegebenen.

    Albeniz folgt hier dagegen eher dem Vorbild von Franz Liszt - er war ja auch Liszt-Schüler, den Ungarischen Rhapsodien, da wird die "Form" einer musikalischen Umgangssprache als solche zur Kunstmusik erhoben, d.h. das Idiomatische ist Sinnträger. Die zur Erstarrung neigende hergebrachte klassische Form der Kunstmusik bekommt auf diese Weise gleichsam eine Verjüngungs- und Verlebendigungsspritze, wird zum Ausdrucksträger als Ausdruck eines Inhalts von wirklich lebensweltlich gelebtem musikalischen Leben. Auch das ist Liszt, die Form als solche zum Ausdruck eines Inhalts zu machen. Debussy interessiert dagegen umgekehrt am Inhalt nur die Form - in diesem spanischen Prelude die vehementen Kontraste, Abbrüche etc.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Ich muss auch hier sagen, dass mir dieses Stück nicht zusagt. Aber ich denke, dass der Zuspruch der Klavierkenner hier echt ist und das Unverständnis bei mir liegt. Ich glaube, dass grundsätzlich die Pianisten hier einen anderen Zugang zu (für mich) sperriger Klaviermusik haben.

    Von bestimmte Komponisten höre ihre Klavierwerke sehr gerne: Schubert, Brahms, beide Zyklen von Janacek, einige Sonaten von Beethoven. Mozart mag ich seltsamerweise nicht, von Liszt ganz zu schweigen. Auch der Schumann hat mir Probleme gemacht. Ich denke, das Problem bei mir ist, dass es eine Grenzlinie gibt, die ich nicht überschreiten kann und will.

    Ein Vergleich:

    Ich habe als Chorsänger angefangen mit einfachen Chören aus dem Gesangbuch.

    Meine Mutter sang im großen Kirchenchor, wo die großen Passionen von Bach und Händel aufgeführt wurden. Als ich das dann mitsingen durfte, war das Verständnis plötzlich ein anderes und tieferes, und ich lernte gute von unzureichenden Chören zu unterscheiden.

    Der Polyphonie, die es damals schon auf Schallplatten gab, stand ich ratlos gegenüber. Keine Melodie, Durcheinander, kein Fortschritt und schwache Chöre (z.B. die Sistina). Diese Platten landeten im Papierkorb.

    Der Umschwung kam in den Siebzigern, als unser Kantor eine Männerschola aufmachte und ich mit einem Kollegen hoher Tenor wurde. Da sangen wir gregorianisch und erste Polyphonie. 1982 wechselte ich in ein Vokalensemble in Essen. Mein erstes Stück war die Missa Papae Marcelli von Palestrina. Dies nach vielen Proben singen zu können und die Erfahrung, dass Chortenöre nicht nur zur Unterstützung der Melodiestimme da sind, war grundlegend.

    Der Sinn des Vergleichs: diese Verwandlung hat bei mir in punkto "Klaviermusik" nicht stattgefunden.

    Nachtrag: selbst wenn jetzt ein Tamino hier die "Händel-Variationen" oder die "Paganini-Variationen" vorschlüge, würde ich die mit Begeisterung hören, aber ich könnte nichts dazu schreiben.

    Manchmal ist wenig immer viel! (Thorsten Legat)

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  • Deswegen portraitiert Albeniz auch die einzelnen Regionen

    Er hat sich wohl vor allem für den Süden Spaniens mit seinen maurischen Einflüssen interessiert. Das hört man dem Zyklus auch an, wobei die Art der Verarbeitung der Themen eine andere ist als bei Debussy und auch Ravel.


    Mir gefällt IBERIA sehr gut, aber es ist ein Zyklus, den ich nicht komplett anhöre, immer nur einzlene Stücke.

  • Wo ist das der Fall? Gibt es da Beispiele?

    Ad hoc würde mir "Finnlandia" von Jean Sibelius einfallen. Tschaikowskys Ouvertüre 1812 würde ich da einsortieren, zumal Stalin die verwendete Zarenhymne hat gegen die sowjetische austauschen lassen (von Swetlanov müsse es eine Aufnahme davon geben). Ander als bei Albeniz kann ich bei den beiden genannten Orchesterwerken trotz ihrer politisch-nationale Aufladung keine "Nationale" Musiksprache erkennen. Eher ist es wohl so, dass Folklore verarbeitet wird, aber auf gängige Weise verarbeitet wird.


    Das zu diskutierende Stück von Albeniz ist in seiner Anlage offenbar so geschrieben, dass sich das Spanische oder Katalanische nicht zwingend aus den Noten ergibt sondern aus dem Verständnis des Pianisten und der Art, wie es gespielt wird, etwa Goerner, bei dem "Almeria" etwas von Debussy bekommt. Den katalanisch/spanischen Ton trifft in meinen Ohren am ehesten Rosa Sabater, eine Schülerin (ebenso wie Alicia de Larrocha) des katalischen Pianisten Frank Marshall).


    Die Wahrnehmung eines volkstümliche Indiom hat auch etwas mit Instrumenten zu tun. Die Adaptin von "Almeria" für Gitarre für Sauras Film "Iberia" (der in seine späten Jahren einige Filme dieser Art gemacht hatte) klingt den Vorstellungen, die ich von spanischem Musikidiom habe gemäßer als die Fassung für Klavier.


    Oder Musik aus Mali: die verliert in meine Ohren ihren typischen Klang, wenn sie in einer Kooperation mit dem Kronos-Quartett ("African Pieces") quasi internationalisiert wird. Das ist für Musiker wahrscheinlich nochmal anders als für mich als reine Hörer.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • IBERIA thematisiert das südspanische Andalusien, nicht Katalonien.

    Autsch, Du hast natürlich recht, mein Fehler. Danke für Deinen Hinweis.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    (Hab' ja gerade noch nach einem Ausflucht für die Panne gesucht, dergestalt, auf das alte Al-Andalus zu verweisen, das allerdings exakt an der Grenze zu Katalonien seine Grenze fand. Geographie ist doch wichtiger als ich als Schüler dachte, hüstel.) :untertauch::untertauch::untertauch:

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  • Ja, aber sein imaginatives Werk handelt eben gerade nicht von der Region, aus der Albéniz stammt. Es ist fast ein bisschen wie in dem Lied „Kennst Du das Land“, das hier an anderer Stelle gerade besprochen wird, nur gibt es zwischen Katalonien und Andalusien keine Drachennester.

  • Ja, aber sein imaginatives Werk handelt eben gerade nicht von der Region, aus der Albéniz stammt. Es ist fast ein bisschen wie in dem Lied „Kennst Du das Land“, das hier an anderer Stelle gerade besprochen wird, nur gibt es zwischen Katalonien und Andalusien keine Drachennester.

    Es gibt von Albeniz ja noch die - im Vergleich mit Iberia viel einfachere aber auch einfach wunderschöne - Suite espagnola, die 1886 entstand. Da ist das dritte Stück "Catalunia", also Katalonien. Das letzte ist "Cuba", eine Habanera (das Stück mag ich besonders, vielleicht spiele ich es selbst mal :) ), weil Cuba bis 1898 zum spanischen Königreich gehörte. Wenn man so will ist das ein sehr föderalistisches Verständnis von "Spanien". Hannah Arendt sagte, um damit das Problem des Nationalismus zu bezeichnen, dass es in Europa eigentlich keine Nationalstaaten, sondern nur "Nationalitätenstaaten" gäbe. Spanien ist dafür ein gutes Beispiel und so scheint Albeniz seine iberische Heimat auch aufgefasst zu haben - als ein Miteinander unterschiedlicher Kulturen und Nationalitäten.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Pedrell, Albéniz und Debussy


    Thomas Pape hat auf die entscheidende Rolle von Felip Pedrell hingewiesen, was die Schaffung eines – ich nenne ihn absichtlich „iberischen“ und nicht „spanischen“ – „Nationalstils“ bei Albéniz geht. Es gibt zu diesem Thema, das doch finde ich den Zugang zu Iberia erleichtern kann, einen sehr instruktiven Aufsatz von Francesc Bonastre El nacionalisme musical de Felip Pedrell. Reflexions a l'entorn de Por nuestra musica. (Recerca Musicologica XI-XII, 1991-1992, 17-26). Der Text ist allerdings auf Spanisch, so dass ich mir die Mühe der Übersetzung machen musste, da ich kein Spanisch spreche. Die Ausführungen von Bonastre zeigen auch, dass Claude Debussy die Intention der spanischen Nationalmusik sehr gut verstanden hat in seiner Rezension der Colonne-Konzerte der Société des Nouveaux Concerts mit spanischer Musik im Oktober 1913 in Paris, wo Albéniz selbst Iberia vortrug und Debussy seine Komposition ungemein beeindruckt hat.


    In seinem Aufsatz weist Francesc Bonastre darauf hin, dass Pedrell eigentlich vom Theater herkommt und die Idee spanischer Nationalmusik ursprünglich ein Versuch war, die spanische Oper zu erneuern und vom übermächtigen italienischen Einfluss zu befreien. Dabei wird zugleich kritisiert, das „Spanische“ nur als eine bloße Imitation von Volksmusik zu verwenden, ein spanisches Kolorit ohne Bedeutung für Form und Inhalt. Dieser Gedanken hat Pedrell von seinem Freund, dem Literaturkritiker José Yxart, aufgenommen. Bonastre:


    „Was den Italianismus betrifft, so übt er (Yxart, H.K.) scharfe Kritik, angefangen bei der „nationalen“ Reaktion der Zeit von Carles III. bis hin zur allgemeinen Abwertung der spanischen Oper infolge der stilistischen Übertreibung der Italianisierungsformel. Bei der Analyse der zeitgenössischen Situation bedauert er, dass die Lösung im charakteristischen Flamenquismus und der Sarsuela geblieben ist.“


    Yxart formulierte als „Prinzipien“ der spanischen Nationaloper – woraus man sofort erkennen kann, dass es bei der Idee spanischer Nationalmusik nicht um irgendeinen „Folklorismus“ geht (zit. nach Bonastre):


    „a) Notwendigkeit, über ein einfaches spanisches Thema hinauszugehen.


    b) Sie müssen über die bloße Verwendung einer spanischen Sprache hinausgehen.


    c) Sie müssen über die einfache Einbeziehung eines Liedes des „populären Genres“ hinausgehen.“


    Felip Pedrell war ein Wagnerianer und er diskutiert, wie Wagners Vorstellungen des Musikdramas für die spanische Nationaloper nationalspezifisch umgesetzt werden können. Entscheidend für sein Verständnis von spanischer Nationalmusik ist, dass es nicht nur um den „Lokalkolorit“ geht und vor allem auch nicht an einen ausschließenden Gegensatz von nationaler und universeller Musik, von Volksmusik und Kunstmusik, gedacht ist, sondern an eine Synthese, die das Universelle und Übernationale mit dem Nationalen verbindet (Pedrell, zit. bei Bonastre):


    „Das Volkslied gibt den Akzent, den Hintergrund, und die moderne Kunst gibt das, was sie hat, eine konventionelle Symbolik, den Reichtum der Formen, die ihr Erbe sind. Eine perfekte Gleichung einer Aussage von erhabener Schönheit, die sich aus der harmonischen Beziehung zwischen Form und Inhalt ergibt.


    Aus dieser glücklichen Verbindung des volkstümlichen und des kultivierten Themas entsteht nicht nur das Lokalkolorit, sondern auch dasjenige der Epoche, das sich im Werk des Komponisten vermischt. Zusammen mit der familiären Prägung oder dem Flair trägt das Thema die Anpassung an die Umgebung, die einfache und die kultivierte Natürlichkeit in ausgewogenen Dosen in sich. Die Persönlichkeit des Künstlers kommt im Thema, in den Akzenten und Akzentverschiebungen sowie in den Stimmen zum Ausdruck. Das Thema setzt sich aus verschiedenen Elementen zusammen, ist von einer kosmopolitischen Tendenz beeinflusst und erhält auch in den Fällen, in denen die Absicht, eklektische Formen zu wählen, entschiedener schien, eine kräftige und unverwechselbare Persönlichkeit.“


    Man sollte sich an den „Realismus“ des 19. Jhd. erinnern, der auch den jugendlichen Richard Wagner prägte. Kunst sollte das „wirkliche Leben“ zum Ausdruck bringen, und das ist immer das geschichtlich geprägte Leben einer Kultur, einer Nation und eines Milieus. Es geht nicht etwa daran, eine nationalistische Musik zu schreiben, die nur die Angehörigen einer Nation verstehen, also französische Musik für Franzosen, deutsche Musik für Deutsche und spanische Musik für Spanier. Vielmehr soll die Kunstmusik, die eine gewisse leblose Abstraktheit hat, eine „Basis“ im Leben kommen, ihr Leben und ihren Ausdrucksgehalt aus der nationalen Lebenswelt schöpfen. Diese nationale Individualisierung der universellen und allgemeinverständlichen Kunstsprache und Kunstmusik soll dieser zu Ausdruckskraft und Lebendigkeit verhelfen, so dass sie sich immer wieder erneuern kann und nicht in Formelhaftigkeit erstarrt oder zu einer Form der Dekadenz entartet, welche die Natürlichkeit und Einfachheit des Ausdrucks, welche die „Volks“-Musik prägt – freilich nicht wie man sie heute versteht als volkstümelnde Schlagermusik, sondern wie sie die von Rousseaus Empfindsamkeit geprägte Romantik ursprünglich verstand – abhanden gekommen ist.


    Es geht beim Nationalstil also um die Einheit von Kunst und wirklichem Leben. Genau in diesem Sinne hat Claude Debussy die spanische Nationalmusik verstanden. In seiner Rezension vom 1. Dezember 1913 schreibt er:


    „Am 29. Oktober hörten wir spanische Musik, von echten Spaniern gespielt. (...) Man hörte diese wunderbare Volksmusik, in der soviel Traum mit soviel Rhythmus sich vermählt. Was sie zu einer der reichsten auf der ganzen Welt macht. Gerade dieser Reichtum scheint der Grund gewesen zu sein, dass sich die „andere“ Musik so langsam entwickelt hat. Eine Art Schau, so viele Improvisationen in das Gerüst der Formen zu zwängen, hielt die „Professionellen“ zurück. Lange begnügten sie sich, „Zarzuelas“ vom volkstümlichen Zuschnitt zu schreiben, in denen der Klang der Gitarren fast unverändert von der Straße auf das Podium steigt. Die herbe Schönheit der alten maurischen Gesänge blieb unvergessen, doch geriet die schöne Tradition von Escobedo und Morales, den Lehrmeistern der großen Victoria, die alle drei die spanische Renaissance berühmt gemacht hatten, immer mehr in Vergessenheit.


    Es bestand kein Grund für eine Veränderung; was sollte man auch anders haben wollen in einem Land, wo die Steine auf den Wegen mit ihrem gleißenden Licht die Augen blenden, wo den Maultiertreibern aus tiefster Brust die echtesten Töne der Leidenschaft sich entringen? Wie kann man sich da über die Dekadenz des vergangenen Jahrhunderts aufhalten, wie es überhaupt als dekadent bezeichnen, wo doch die Volksmusik ihre Schönheit sich bewahrt hat? Weise und glücklich die Länder, die diese wilde Blume eifersüchtig vor dem Zugriff der verwalteten Klassik hüten.


    Ungefähr zu dieser Zeit bildete sich eine glänzende Komponistengruppe, die entschlossen war, den unschätzbaren Reichtum ans Licht zu heben, der in den Gesängen des alten Spanien schlummerte. Unter ihnen ist vor allem Isaac Albéniz zu nennen. Zunächst ein unvergleichlicher Virtuose, erwarb er sich im Laufe der Zeit eine erstaunliche Kenntnis des kompositorischen Handwerks. An Liszt, dem er übrigens sonst in nichts gleicht, erinnert er durch die übersprudelnde Fülle seiner Ideen. Katalane von Geburt, machte er sich als erster die weit verbreitete Melancholie und den spezifischen Humor seiner Heimat zunutze. Die Musik kennt nicht viel, was sich mit El Albaicin aus dem dritten Heft der Iberia messen könnte: In diesem Stück ist die Atmosphäre spanischer Abende eingefangen, an denen es nach Nelken und Branntwein riecht. Und es gleicht den gedämpften Tönen einer Gitarre, die plötzlich erregt und mit jähen Sprüngen in die Nacht hineinklagt. Dieses Stück hat einer geschrieben, der auf die Volksthemen hörte, sie in sich sog und – ohne sie wörtlich wiederzugeben – so in seine Musik einfließen ließ, dass man keine Trennungslinie zwischen beiden zu erkennen vermag.


    Eritana – aus dem vierten Heft von Iberia – das ist der fröhliche Morgen, das glückliche Auffinden einer Herberge, wo ein frischer Wein kredenzt wird. Eine bunte Menge zieht vorüber, lautes Lachen klingt auf, und die kleinen Schellen der Tamburine skandieren den Rhythmus dazu. Nie hat die Musik vielfältigere und farbenfrohere Eindrücke geschildert, die Augen schließen sich wie geblendet von solch bildhafter Überfülle.


    Es steht noch manches andere in den vier Heften der Iberia, in denen Albéniz sein Bestes gab und in seinem Bemühen um einen sorgfältiges Tonsatz bis zur Übertreibung ging, aus einem Großmut heraus, die ihn die Musik bisweilen mit vollen Händen „zum Fenster hinauswerfen“ ließ, wie reiche Leute das Geld. Die anderen Komponisten bewegen sich auf der nämlichen Bahn, ohne jedoch Albéniz ganz zu erreichen, nur ist Albéniz deutlich von französischen Einflüssen geprägt, während sich bei den anderen zumindest in der Form, ein deutscher Einfluss abzuzeichnen scheint. (...) “

  • Der Sinn des Vergleichs: diese Verwandlung hat bei mir in punkto "Klaviermusik" nicht stattgefunden.

    Nachtrag: selbst wenn jetzt ein Tamino hier die "Händel-Variationen" oder die "Paganini-Variationen" vorschlüge, würde ich die mit Begeisterung hören, aber ich könnte nichts dazu schreiben.

    Lieber Dr. Pingel,


    so ist das Leben. Die Zufälle spielen eine große Bedeutung. Gustav Mahler sagte mir zuerst gar nichts. Wenn ich nicht als Jugendlicher jedes Jahr im Sommer drei Wochen bei meiner Tante in Holland verbracht hätte, wo jede Menge Mahler gespielt wurde, hätte ich nie Zugang zu seiner Musik gefunden. Bei spanischer Klaviermusik war es der Klavierunterricht und besagte Tonbandmaschine. :) Auf Janacek wäre ich auch nie aufmerksam geworden ohne das Abo meiner Eltern in der Rheinoper Düsseldorf. Und es ist immer etwas anderes, sich Musik nur vom Hören zu erschließen oder durch das selber Musik machen. Man muss nicht alles haben wollen oder lieben wollen im Leben. ^^ Die Paganini-Variationen sind eins meiner Lieblingswerke - klar, wegen Michelangeli. Als Komposition mag ich aber die Händel-Variationen eigentlich noch mehr. Da gibt es für mich eine "ideale" Aufnahme: Claudio Arrau hat viele Großtaten hinterlassen, aber die Händel-Variationen (Philips-Studioaufnahme) sind eine Sternstunde von ihm. :hello:


    Einen schönen Sonntag wünschend

    Holger

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  • Almeria habe ich natürlich nicht nur ausgewählt wegen dieses Stückes, sondern um Interesse zu wecken für die offenbar immer noch von einem breiten Publikum unerkannten Juwelen der Klaviermusik wie Albeniz´ Iberia und darüber hinaus die Klaviermusik aus diesem iberischen Kulturkreis überhaupt. Da sich offenbar kaum Jemand in Tamino für diese Musikkultur interessiert und entsprechend von ihr keine Notiz nimmt, hier noch einige Hinweise für alle, die mal über den Tellerrand der "verwalteten Klassik" hinausschauen möchten - um Claude Debussy zu zitieren.


    Artur Rubinstein hatte eine besondere Beziehung zu Spanien. Er machte dort regelmäßig Konzerttourneen und war mit der spanischen Königin befreundet, die ihm ihren privaten Flügel für seine Konzerte zur Verfügung stellte, was ihr Ehemann, der König, aber nicht wissen durfte. Rubinstein war dazu u.a. mit dem Komponisten Manuel de Falla befreundet und mit Frank Marshall, dem er Alicia de Larrocha zuführte, nachdem er sie entdeckt hatte. Hier spielt er Evocation mit seiner unnachahmlichen Art aus Nonchalance, männlicher Herbheit und Feinsinn:


    https://www.youtube.com/watch?v=6JsMjjUcyAY


    s-l960.webp



    Eine besondere Affinität zur spanischen Kultur hatte auch der in Cuba geborene Jorge Bolet. Je mehr Aufnahmen ich von ihm erwerbe, desto größer wird meine Bewunderung. 1952 nahm Bolet einige kleinere Stücke von Lecuona, Granados, de Falla und Albeniz auf. Die von dem auf historische Aufnahmen spezialisierten Label Appian (apr) veröffentlichen Aufnahmen sind eine Sternstunde: Bolet, der gute Geschmack in Person, der es sich mit seiner traumwandlerischen Geschmackssicherheit erlauben konnte, selbst das "anrüchigste" Virtuosenrepertoire zu spielen, ohne dass jemals der Eindruck von Kitsch oder Banalität entsteht, vollbringt hier eine Meisterleistung: das ist pianistisch unfehlbar, glasklar gespielt, bis ins kleinste Detail sorgfältig ausgestaltet und idiomatisch absolut treffsicher. Dabei spielt Bolet die Stimmungswechsel und Charaktergegensätze in ihrer ganzen Vielschichtigkeit heraus. Das sind wahrlich meisterhafte Interpretationen! Man hört ihm immer gebannt zu. Jorge Bolet widerlegt das Vorurteil, dass Albeniz mit Ausnahme von Iberia nur wertlose Salonmusik komponiert habe schlicht als das, was es ist: ein dummes Vorurteil!


    Der junge Arturo Benedetti Michelangeli spielte bei EMI Italiana jeweils ein Stück von Albeniz und Granados ein - dazu Cancion y danza Nr. 1 von Frederico Mompou. Michelangelis pianistische Magie zeigt, was diese Stücke in ihrer Substanz sind: magische Klavierpoesie von erlesener Schönheit.


    https://www.youtube.com/watch?v=zMfUNpDsHRI


    Arcadi Volodos ist heute - längst nicht nur wegen seiner Virtuosität - ein hoch geschätzter Pianist. Kaum jemand scheint zu wissen, dass der 1972 in Leningrad geborene Russe in Spanien lebt und mit einer Spanierin verheiratet ist. Zur spanischen Musikkultur hat er eine besondere Affinität. Von Albeniz führte er La Vega auf - ein unglaublich virtuoses und zugleich magisch-geheimnisvolles Stück mit einer Aura, wie sie nur wenige Musikstücke haben. Zum Glück gibt es von diesem Volodos-Albeniz-Ereignis einen Mitschnitt bei Youtube:


    https://www.youtube.com/watch?v=v-E3LO5rdCA


    Sehr liegt Arcadi Volodos auch die Musik des katalanischen Komponisten Frederico Mompou am Herzen. Volodos selbst hat sich so zu dieser Aufnahme geäußert, dass er damit vor allem die Pianisten erreichen möchte, damit sie sich für Mompou interessieren und ihn spielen:



    Tip für Liebhaber iberischer Musik: Die Aufnahmen, die Mompou selbst von seinem Klavierwerk machte, sind wieder preisgünstig erhältlich:



    Alicia de Larrocha machte eine exemplarische Aufnahme der Canciones y danzas mit einer Auswahl der Preludes. Das Preludio Nr. 7, das auch Arcadi Volodos spielt, hat Mompou ihr gewidmet. Die CD habe ich sehr oft abgespielt, weil sie meine Frau besonders mag :) :


    51wDANrUtAL.jpg


    Eine der schönsten Aufnahmen, wo wirklich alles stimmt, ist die mit Klavierkonzerten von Manuel de Falla, Isaac Albeniz und und Joaquin Turina, die Alicia de Larrocha zusammen mit Rafael Frühbeck de Burgos aufnahm - auch aufnahmetechnisch vorzüglich, der reine Hörgenuss:


    ALICIA_DE_LARROCHA_FALLA:%2BNIGHTS%2BIN%2BTHE%2BGARDENS%2BOF%2BSPAIN%2B%2BALBENIZ:%2BRAPSODIA%2BESPANOLA%2B%2BTURINA:%2BRAPSODIA%2BSINFONICA-532857.jpg


    Und nicht zuletzt der Klassiker, die Goyescas von Enrique Granados, Musik, die von der deutschen Tradition himmelweit entfernt ist. Alicia de Larrocha spielt dazu das fesselnde Allegro de concierto, ein Bravourstück mit Lisztscher Dämonie, von Granados ursprünglich als Übungsstück für seine Studenten komponiert, sowie den schönen Danza lenta.


    front.jpg


    Zum Schluss ein Hinweis auf Ricardo Vines - der viele Werke von Albeniz, de Falle usw., auch von Debussy und Ravel, uraufführte. Auch von ihm sind einige sehr schöne Aufnahmen iberischer Musik erhalten. Die LP ist aber leider nie auf CD erschienen - ich habe die LP damals auf Cassette kopiert und auf CD-R gebrannt:


    R.7d5e4e1424d954125e1bc7f265bdeba9?rik=VqbuKCL92FU2HA&riu=http%3a%2f%2fassets.rootsvinylguide.com%2fpictures%2fricardo-vines-recital-albeniz-debussy-falla-turina-emi-ref_20437546&ehk=LPeOji77XQskMGDReCLGgiPdX3fESKLiL%2bphbtTnd5M%3d&risl=&pid=ImgRaw&r=0


    Schöne Grüße

    Holger

  • Da ich tatsächlich lieber den Zyklus anhöre als einzelne Stücke daraus - es ist wie in einem Wimmelbild - hier noch einmal Nelson Goerner über seine Einspielung von Iberia. Leider kommt Almeria unter den besprochenen Stücke nicht vor, aber man bekommt schon einen Eindruck von der Bedeutung des Werkes für den Pianisten


  • Da ich tatsächlich lieber den Zyklus anhöre als einzelne Stücke daraus - es ist wie in einem Wimmelbild - hier noch einmal Nelson Goerner über seine Einspielung von Iberia. Leider kommt Almeria unter den besprochenen Stücke nicht vor, aber man bekommt schon einen Eindruck von der Bedeutung des Werkes für den Pianisten


    Herzlichen Dank für das tolle Video! Dass Olivier Messiaen Iberia für die bedeutendste Klaviermusik des 20. Jhd. gehalten hat, war mir neu. Goerner ist Brasilianer - das erklärt manches. Die brasilianische Pianistenschule betont sehr das Melodische. ^^ Interessant auch, dass er die Partitur von Nikita Magaloff benutzt. Ich habe ja Magaloffs komplette Aufnahmen - da sind die Goyescas von Granados dabei, eine Mono-Aufnahme. Leider hat Magaloff Iberia nicht eingespielt. Das wäre spannend! (Magaloff gehört zu den in Deutschland immer noch sehr unterschätzten Pianisten!)


    Schöne Grüße

    Holger

  • Das ist wirklich lustig - Yuja Wang mit Albeniz - und es geht gar nicht. Das klingt ziemlich naiv kindlich um nicht zu sagen kindisch. ^^ Mich erinnert das an einen Film über sie, wo sie zuhause mit ihren Plüschtieren spielt... Daran merkt man, wie schwierig die Idiomatik zu treffen ist, wenn man diese Kultur nicht mit der Muttermilch eingesogen hat. :P


  • Das ist wirklich lustig - Yuja Wang mit Albeniz - und es geht gar nicht. Das klingt ziemlich naiv kindlich um nicht zu sagen kindisch. ^^ Mich erinnert das an einen Film über sie, wo sie zuhause mit ihren Plüschtieren spielt... Daran merkt man, wie schwierig die Idiomatik zu treffen ist, wenn man diese Kultur nicht mit der Muttermilch eingesogen hat. :P


    Yuja Wang: Albéniz Málaga & Lavapiés(from Iberia) - YouTube

    Die Einspielung finde ich auch interessant. Sie klingt in meinen Ohren weniger naiv, sondern eher wie eine Dekonstruktion der Musik. Sie legt rhythmische Muster frei, ohne sie in den idiomatischen (oder auch nur melodischen) Zusammenhang zu stellen. Ich vermute, dass sie mit der Idiomatik nichts anfangen kann und das Stück trotzdem interessant findet. Ob man ihr da folgen möchte, ist natürlich sehr geschmacksabhängig :)


    BTW Ich habe oben den YT-Link direkt eingefügt.

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  • Ich muss auch hier sagen, dass mir dieses Stück nicht zusagt. Aber ich denke, dass der Zuspruch der Klavierkenner hier echt ist und das Unverständnis bei mir liegt. Ich glaube, dass grundsätzlich die Pianisten hier einen anderen Zugang zu (für mich) sperriger Klaviermusik haben.

    Das beruhigt mich schon einigermaßen.

    Denn mir sagt es auch nicht zu (dennoch habe ich mir die Dippel CD mir Alice de Larrocha extra für diesen Thread gekauft. Das bereue ich nicht, denn - gefallen hin - gefallen her - es ist ein Stück Musikgeschichte. As war absehbar, daß es mir nicht gefallen würde, den ich mag auch Debussy, und den Impressionismus (betrifft auch die Malerei) nicht , jene (für mich) amorphen, unscharfen Werke ohne "oberflächliche" Brilianz und Prunk. Von den spanischen Zeitgenossen findet sich - soweit ich es in Erinnerung habe - kein einziges Stück. Ich hab mal in de Falllas "Der Dreispitz" hineinegehört - und mich gelangweilt Bei dieser Gelegenheit ist mir einemal mehr in diesem Thread bewusst geworden, wie fokussiert ich auc Werke des 18. und frühen 19 Jahrhunderts fixiert bin. Ich würde die Musik nicht wirklich als "sperrig" bezeichnen, eher als belanglos, langweilig und nichtssagend, Das liegt natürlich an mir. Ich kann weder mit "musikalischen Portraits" noch mit "musikalischen Landschaftsbeschreibungen" etwas anfangen - wohl aber mit verarbeiteter Folklore (Carmen, etc..) und ich bin versessen auf eingängige effektvolle Melodien

    Überrasch hat mich der Hinweis, daß die Werke bis hin zur (beahuptete) Unspielbarkeit schwierig seien - Der Laie hört das nicht wirklich. Immerhin habe ich das Werk mehrmals gehärt, so daß ich zumindest den Beginn wiedererkenne. Der gesamte Wiedererkennungswert ist indes eher mäßg, einen Ohrwurm habe nicht finden können.


    mfg aus der Metropole Wien

    Alfred

    POLITIKER wollen stets unser Bestes - ABER WIR GEBEN ES NICHT HER !!!



  • Der gesamte Wiedererkennungswert ist indes eher mäßg, einen Ohrwurm habe nicht finden können.

    Wenn man Almeria ein wenig verlässt und El puerto mit einbezieht, gibt es schon etwas Ohrwurmcharakter mit spanischem Timbre


    Hier spielt Alicia de Larrocha




    Überrasch hat mich der Hinweis, daß die Werke bis hin zur (beahuptete) Unspielbarkeit schwierig seien


    Goerner nennt explizit das neunte Stück Lavapiés. Hier in der Liveeinspielung mit Yuja Wang kann man die Handgreiflichkeiten gut sehen. Anfänger werden sich da sicher die Finger verhakeln ;)


  • Hier spielt Alicia de Larrocha

    Wozu der Aufmarsch fast sämtlicher Vorzeichen, die dann sowieso wieder aufgelöst werden? :/

    Cnusper, cnusper, cnasam, qui cnusperat meam casam?
    (Hexa dixit)

  • Wozu der Aufmarsch fast sämtlicher Vorzeichen, die dann sowieso wieder aufgelöst werden? :/

    Gute Frage :) Kann ich Dir aber nicht beantworten. Ich weiß nicht einmal, ob wir die Noten einer Urtextausgabe sehen und wie weit Verleger sich trauen in den Notentext einzugreifen ...

  • Wozu der Aufmarsch fast sämtlicher Vorzeichen, die dann sowieso wieder aufgelöst werden? :/

    Das Stück steht halt in Des-Dur und macht dann verschiedene Ausweichungen nach Fis, H usw., aber ohne Modulation sondern nur als vorübergehende Entfernung unter Beibehaltung harmonischer Spannung zur Grundtonart ("Ausweichung"). Das zeigt man üblicherweise durch die beibehaltene Vorzeichnung der Grundtonart an.

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  • Das zeigt man üblicherweise durch die beibehaltene Vorzeichnung der Grundtonart an.

    Es ändert aber am Klang nichts, wenn stattdessen die b-Vorzeichen komplett aufgelöst und gegen vier bis sechs ## ersetzt würden; wäre einfacher zu lesen. 8-) Selbst Schubert macht das in seiner B-Dur-Sonate.

    Cnusper, cnusper, cnasam, qui cnusperat meam casam?
    (Hexa dixit)

  • Es ändert aber am Klang nichts, wenn stattdessen die b-Vorzeichen komplett aufgelöst und gegen vier bis sechs ## ersetzt würden; wäre einfacher zu lesen. 8-) Selbst Schubert macht das in seiner B-Dur-Sonate.

    Es ändert am Klang erst einmal nichts, kann aber ein Hinweis an den Interpreten sein, die Grundtonart nicht ganz vergessen zu machen und statt dessen die "Fremdheit" der Ausweichung hervorzuheben - z.B. durch den Klang. Dass das nicht alle Komponisten so machen, zeigt nur, dass sie halt unterschiedlich schreiben.

    In Chaussons Poéme für Violine und Ochester gibt es ein Orchesterzwischenspiel, das (im Klavierauszug) so aussieht:


    Auch da wäre es natürlich "einfacher", drei Kreuze für fis-Moll vorzuschreiben und damit z.B. den Akkord im dritten Takt als A-Dur-Dreiklang und den im vierten als fis-Moll zu schreiben statt als Heses-Dur bzw. ges-Moll bei Vorzeichnung Ges-Dur. Aber im Gesamtzusammenhang des Stückes ist es so logischer, wie der Komponist es geschrieben hat.

  • für Violine

    Das ist was anderes; bei Streichern ist ein fis ≠ ges. Ein Unterschied im Klangcharakter ist hier vorstell-, aber wohl nicht real messbar. Bei Tasteninstrumenten kann es diesen Unterschied heute nicht mehr geben. Beim Spielen von Schubert D960 weiß auch ein jeder, daß die Sonate in B-Dur steht, während man den fis-moll-Teil spielt; hätte auch unter Zuhilfenahme einiger mehr bs und Doppel-bs in ges-moll stehen können: klanglich dasselbe, durch die bs in gewisser Weise „logischer“, aber sehr unübersichtlich eben.


    Aber ich mag den Rahmen der Diskussion hier nicht sprengen.

    Cnusper, cnusper, cnasam, qui cnusperat meam casam?
    (Hexa dixit)

  • Das ist was anderes; bei Streichern ist ein fis ≠ ges.

    Das Chausson-Beispiel stammt wie gesagt aus seinem eigenen Klavierauszug.


    Das ist was anderes; bei Streichern ist ein fis ≠ ges. Ein Unterschied im Klangcharakter ist hier vorstell-, aber wohl nicht real messbar. Bei Tasteninstrumenten kann es diesen Unterschied heute nicht mehr geben. Beim Spielen von Schubert D960 weiß auch ein jeder, daß die Sonate in B-Dur steht, während man den fis-moll-Teil spielt; hätte auch unter Zuhilfenahme einiger mehr bs und Doppel-bs in ges-moll stehen können: klanglich dasselbe, durch die bs in gewisser Weise „logischer“, aber sehr unübersichtlich eben.

    Um die Sache bei Schubert zu verstehen, müsste man zunächst schauen, wie er an anderen Stellen mit entfernten Tonarten umgeht. Und da stellt man sehr leicht fest, dass es bei ihm Gepflogenheit ist, die Vorzeichnung anzupassen, wenn eine Tonart über mehr als ein paar Takte stabil bleibt. Das ist auch kein Wunder, weil der Gang durch engere und weitere terzverwandte Tonarten verschiedener Grade bei ihm nicht die Ausnahme sondern allgegenwärtig ist. Vor allem aber betonen Stellen wie das fis-Moll-Seitenthema der B-Dur-Sonate oder der cis-Moll-Beginn der Durchführung bei ihm die harmonische Distanz zur Grundtonart, nicht wie bei Albeniz die gespannte Verbindung zu ihr. Das geht bei Schubert so weit, dass man kurz vor der Reprise zwar wieder in B-Dur ist, es aber so komponiert ist, dass man das gar nicht als Grundtonart hört, weil man die inzwischen innerlich längst verloren hat. Es hat also keineswegs nur praktische Gründe, dass Schubert die Vorzeichnung mehrfach wechselt. Ob es umgekehrt "unübersichtlich" ist, sie z.B. bei Albeniz beizubehalten, ist Geschmacks-, Erfahrungs- und Gewohnheitssache. Von dem besagten Chausson-Poéme gibt es auch einen "vereinfachten" Klavierauszug, bei dem mich diese Stelle eher aus der Bahn wirft, weil sie nicht "stimmt".

  • Mal wieder auf den letzten Drücker noch mein Beitrag zu "Almería":


    Zuallererst war ich überrascht, dass dieses Mal nur ein Teil eines größeren Werkes auf dem Programm steht. Da bin ich nicht so wirklich der Freund von, ich bevorzuge Sätze im Zusammenhang des kompletten Werkes. Deshalb habe ich mir auch das komplette Werk "Iberia" zu Gemüte geführt, komplett jedoch auch nur ein Mal. "Almería" habe ich aber mehrfach gehört, mangels CD-Aufnahme per Youtube mit Alicia de Larrocha und Noteneinblendungen.


    Zusätzlich habe ich die 13-minütige Folge des Podcasts "WDR 3 Meisterstücke" zum Werk als Einstieg gehört. Im Gegensatz zum wirklich tollen Vorgängerformat "Werkbetrachtung", bei der Musikerinnen und Musiker Stücke erklärten und dabei meist großen Wert auf die Besprechung einzelner Passagen des Werkes legten, konzentriert sich das Format "Meisterstücke" mehr auf historische Hintergründe, Biografisches, Klangbeschreibungen und Fun-Facts und nur sporadischer auf die genauere Betrachtung einzelner musikalische Passagen, was ich als Einführung in das Werk aber passend fand, obwohl "Almería" in der Folge unter den Tisch fällt. Vielleicht ist die Folge trotzdem für jemanden hier interessant.


    Nun zur Musik:

    Das Stück beginnt ruhig mit einem ungewöhnlichen Wechsel aus 6/8- und 3/4-Takten. Dieser Beginn klingt für mich sonderbar altertümlich (im positiven Sinne) und erhaben, gleichzeitig aber auch träumerisch und melancholisch. Über die rechte Hand hellt sich der Klang allmählich etwas auf und tänzerische Elemente kommen hinzu. Über eine staccato-Bassfigur wird die Stimmung kurzzeitig ausgelassener, bevor es zurück zum ruhigen Element des Beginns geht. Spannend finde ich, dass Albéniz teilweise 6/8-Takte schreibt, notierte Akzente in der rechten Hand aber den Eindruck eines gleichzeitig erklingenden 6/8- und 3/4-Taktes erzeugen.

    Die Musik steigert sich dynamisch, bevor ein ruhigerer Teil folgt, der von einer markanten Bassfigur und gehaltenen Akkorden der rechten Hand geprägt ist. Hier kam bei mir zeitweise der Eindruck von Minimal Music auf, die mokierten Einwände von zu oft wiederholten Motiven kann ich nachvollziehen, finde es hier aber noch im Rahmen.

    Bei rhythmisch gleichbleibender Bassfigur fächert Albéniz die Partitur in ungewöhnliche drei Notenzeilen auf, davon zwei im 6/8-Takt und einer im 4/4-Takt, immer zwei 6/8-Takte pro 4/4-Takt - wilder Einfall und verrückte Notation! Daraus ergibt sich eine spannende Polyrhythmik zwischen der wundervollen Melodiestimme und den Begleitstimmen, toll! Die auftauchenden schnellen Triolen/64-tel und 128-tel klingen für mich als Laien hier auch richtig schön "spanisch".

    Zurück zu einer weiteren Passage mit Liegeakkorden, die einen kleinen Ruheteil bietet. Ein einziges Mal erklingt noch einmal die "spanische" Melodie, erneut in drei Notenzeilen, bevor ein bewegterer, "jazzigerer" Teil folgt, den ich sehr überraschend fand, gefällt mir aber gut. Toll und beeindruckend finde ich den großen Aufschwung zur Klimax mit anschließendem dynamischen Abgang. Erneut eine kurze Akkordpassage (wäre sie länger, würde sie mich langweilen, die sechs Takte hier sind aber voll ok), anschließend wieder der komplexe "spanische" Teil, diesmal aber spürbar auf das Ende zuleitend. Das abschließende Andante überrascht mit unerwartet tonartfremden Akkorden und einem kurzen, vorübergehenden Trugschluss im sechstletzten Takt. Ein sonderbares Ende, das für mich trotz der dynamischen Zurückgenommenheit jedes Mal bizarr und fremd klingt.


    Mir hat das Stück insgesamt gut gefallen, lustigerweise habe ich es am meisten genossen, als ich es vor einer Woche auf dem Fahrrad hörte. Auch komplett "Iberia" ist auf jeden Fall eine Entdeckung wert - mir persönlich nur zu viel Soloklavier, um es an einem Stück runterzuhören. Vielleicht ist es mein Way-to-go, die einzelnen Bücher zu hören. Zwischen "Rondeña" und "Triana" macht sich "Almería" als weitgehender Ruhepol auf jeden Fall sehr gut. Auch weil ich die Satzbezeichnung abseits meiner spanischen Assoziationen nicht nachvollziehen kann, ist mir in diesem Stück nicht zu viel Lokalkolorit vorhanden.


    Danke für den Vorschlag, ich werde mir irgendwann in Zukunft wahrscheinlich eine CD des Zyklus zulegen.


    Liebe Grüße

    Amdir

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