Und dieser jüdisch-christliche Trostbegriff ist vor allem empirisch geprägt und funktioniert über die Anteilnahme Gottes am Schicksal des Volkes, selten auch des Individuums. Paulus spricht später daran anknüpfend vom "Gott des Trostes" (2. Kor 1), der die Fähigkeit verleiht Anfechtung zu ertragen und zu durch-leiden. Und dieser paulinische Trost-Begriff, der noch keinen Boethius kennt, hat eine eigene Wirkungsgeschichte. Kennst du zufällig das benediktinische Werk "Consolatio de morte amici" des Laurentius von Durham? Der bezieht sich ganz konkret auf Boethius und christianisiert ihn gewissermaßen in die mittelalterliche Theologie hinein.
Lieber Tristan,
das ist alles für mich hoch interessant und ich lerne immer gerne etwas dazu in fachtheologischer Hinsicht. Für Theologie habe ich eine Schwäche - das kommt von meiner Walberberger Zeit während des Studiums her. Nein, das benediktinische Werk kenne ich nicht!
Diese gipfelt bei Luther (freilich stark ausdiffernziert) in der Kritik der "billigen Gnade". Daran anknüpfend geht es für mich im Christentum nicht lediglich um Trost im paulinischen Sinne.
Jetzt verstehe ich zumindest die Richtung besser, was Du meinst.
Du brauchst mir durchaus nicht zu unterstellen, ich hätte den theologischen Trostbegriff "missverstanden". Ich kenne meine Theologiegeschichte. Du hast in deinen interessanten Ausführungen philosophisch recht, übergehst aber einen Teil der christlich-jüdischen Begriffsgeschichte. Für mich überschätzt du ein wenig den Neuwert der Fragen des 19. Jhs., sind doch antiken jüdischen Weisheitsschriften Teile dieser Gedanken gar nicht so fremd. Der Skeptizismus im Kohelet kommt da schon nah dran ("alles ist eitel" --> das Leben muss nicht notwendig einen guten Sinn haben). Es gibt sogar eine nihilistische Scheol-Lehre, welche die Scheol als Ort der Abwesenheit des Göttlichen sieht. Somit als einen im wahrsten Sinne des Wortes "trostlosen" Ort. So radikal finde ich Rückert dann gar nicht mehr.
Ja, aber auch in der Philosophie ist das mit den geschichtlichen Untersuchungen so eine Sache. Es gibt immer wieder solche von der Art: Das Neue der Neuzeit war gar nicht so neu, es war der Gedanke im Mittelalter schon da. Das ist natürlich richtig, sowas lässt sich finden, und es ist auch hoch interessant und erhellend (etwas "absolut Neues" gibt es in der Tat nicht, Kontinuität und Diskontinuität gehören immer zusammen), nur ist die Relativierung des Neuen auch wieder problematisch. Letztlich kommt es auf den wirkungsgeschichtlichen Zusammenhang an. Schon in der griechischen Antike findet man den Gedanken, dass die Erde eine Kugel und keine Scheibe ist. Nur hat dieser geniale Gedanke keine Wirkungsgeschichte gestiftet. Das berühmteste Beispiel ist der Atomismus. Er stammt aus der frühgriechischen Philosophie, blieb aber Jahrhunderte wirkungslos, weil man ihn für eine unbrauchbare physikalische Theorie hielt. Bis dann Newton kam... Von heute aus gesehen ist es faszinierend, den Nihilismus im AT zu finden. Nur konnte er sich im Christentum unserer Geschichte nicht wirkungsgeschichtlich entfalten. Das hat der Einfluss des Platonismus und Neuplatonismus verhindert. Erst als dieser im 19. Jhd. in die Krise gerät (Friedrich Nietzsche, der Pfarrerssohn, wusste das, wenn er vom Christentum als "Platonismus für´s Volk" sprach), taucht das Nihilismusproblem als beherrschendes Thema auf. Insofern ist Rückert dann letztlich doch radikal - in diesem historischen Kontext. Im ersten Lied taucht ja die platonisch-neuplatonische Lichtmetaphysik auf.
Aber das führt uns kaum weiter. Interessant ist doch, ob der Trostlosigkeit der Kindstoderfahrung und des Textes ein Trost der Musik von Mahler entgegengesetzt wird. Im von mir referierten paulinischen Sinne des Wortes "Trost" ist das kaum der Fall und wäre zudem ein aussichtsloses Unterfangen. Es würde sofort als "billiger Trost" oder wie du es nennst "Trostpreis" demaskiert werden.
Ja, letztlich kommt es darauf an, was das im Kontext von Mahlers Werk bedeutet. Er wollte mit seinen Symphonien eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens geben. Für mich weisen die Kindertotenlieder auf das Lied von der Erde voraus. Das werde ich in meinem Fortsetzungsbeitrag auch andeuten.
Musikalisierungen von Hoffnungsfetzen, erlernten Trostsymbolen, Einsamkeit, Unsagbarkeit und auch dem Beginn der Verarbeitung - das alles kann Mahler anbieten um gleichsam die Trostlosigkeit tröstend zu vertonen. Das absolut erschütternde aber ist - dass es hier keinen echten Trost gibt. Aber die Unmöglichkeit des Trosts - dafür findet Mahler durchaus Klänge.
Auch darauf müsste man noch vertiefend eingehen. Ich finde gerade im ersten Lied einen Bezug zum Lied von der Erde. Die Erschütterung ist so groß, dass sie zu einem Sich-selber-Fremdwerden, der Fremdheit seiner selbst, führt. Im Lied von der Erde ist das der Einsame im Herbst. Das lyrische Subjekt steht gleichsam neben sich, die Tröstung wird also gar nicht erlebnismäßig mit affektiver Anteilnahme realisiert (was ja in der Liedvertonung die Aufgabe der Musik wäre), sondern die Trostlosigkeit der Musik steht in bemerkenswerten Kontrast zur Trostbeschwörung des Textes. So ähnlich wie im "Tambourgesell´, wo der Sänger mit tiefdunkler Stimme die Zeile singt "Ich sing mit heller Stimm..."
Schöne Grüße
Holger