Alle sprechen über dasselbe Musikwerk

  • Friday Afternoons - Die Aufnahmen


    Die Liedersammlung wurde noch nicht übermäßig oft aufgenommen, zumindest nicht in vollständiger Form. Nicht vorbei kommt man an Brittens eigener, maßstabsetzender Ersteinspielung (von mir bereits als Youtube-Video im Eröffnungsbeitrag gepostet), auch im Rahmen mehrerer Boxen erhältlich:


    Britten erlaubt sich hier einige Freiheiten gegenüber seinem eigenen Notentext, insbesondere was die Verwendung von nicht notierten Gesangssoli angeht. Ich habe diese Aufnahmen so verinnerlicht, dass ich Brittens Änderungen, z.B. in 3. Cuckoo! zur Aufteilung hin zu der 1. Strophe: solistisch und 2. Strophe: tutti für unabdinglich halte.


    Die Kinder singen nicht perfekt zusammen und die Stimmen wackeln manchmal etwas oder sind in der Höhe eng, ich mag das aber. Dadurch wirkt diese Aufnahme ganz ungezwungen, natürlich und naiv-kindlich - ganz so, wie es sein soll.


    Das große Manko: Das 4. Lied "Eh-Oh!" wurde aus unbekannten Gründen nicht mit aufgenommen und fehlt. Im Rahmen der obigen "Complete works for voice"-Box, die ich besitze, wurde das Lied aus der DGG-Einspielung mit den Wiener Sängerknaben unter Peter Marschik (die wegen ihrer Affektiertheit/Knödeligkeit allgemein nicht zu empfehlen ist, es wird mit teilweise extremen Tempi und willkürlichen Solo-Änderungen versucht, Kinderchor-Kunstlieder zu erschaffen) ergänzt.


    Ronald Corps Einspielung bei Naxos ist eine wirklich gute, runde und empfehlenswerte Aufnahme, leider wie auch die folgenden Einspielungen ohne Brittens Solo-Änderungen:


    Denis Meniers belgische Aufnahme ist ebenfalls wirklich gut, sehr konstant und empfehlenswert, diesmal auch wieder "kindlicher", der Akzent/die Aussprache irritiert nur manchmal leicht (ist aber zu vernachlässigen):


    Edward Wickhams Einspielung ist insgesamt gut und hat viele Höhen (die letzten fünf Lieder) und einige Tiefen (ein schleppendes "A tragic story" und ein langsam-langweiliges "Cuckoo!"):


    Tigran Hekekyan mit seinem armenischen Chor ist der Exot: Blitzsauber, professionell, teils mit leichtem Akzent (Cuckoo!) und meist musikalisch super, nur ein extrem rasantes "Fishing Song" stört, dafür gibt es die vielleicht beste Version des Underdog-Liedes "The useful plough". Mir persönlich etwas zu "gut"/professionell gesungen:


    Weitere Einspielungen vom Tiffin Boys' Choir/Simon Toyne und Lichtfield Cathedral Choir/Andrew Lumsden kenne ich nicht.


    Außerdem existieren einige weitere Teilaufnahmen der Sammlung. Empfehlenswert ist vor allem die Aufnahme des Toronto Children's Chorus unter Jean Ashworth Bartle (ohne 2. "A tragic story", 6. "I mun be married on Sunday" und 9. "The useful plough"), die leicht auf Youtube zu finden ist. Sie hat ein generell sehr hohes Niveau und orientiert sich oft an Brittens Einspielung, 3. "Cuckoo!" ist vielleicht die beste Aufnahme dieses Liedes, auch wenn man ihr "zu viel Professionalität" vorwerfen könnte. Exemplarisch hier der Youtube-Link zu "Cuckoo!":



    Leider sind die Aufnahmen generell nicht so leicht oder nicht ganz günstig neu auf CD zu bekommen, der Weg über den Gebrauchtmarkt kann Abhilfe schaffen. Vielleicht schlägt ja jemand z.B. bei der empfehlenswerten Naxos-Aufnahme zu.


    Liebe Grüße

    Amdir

  • Danke für die vielen Angaben, werter Amdir! Mal schauen, ob und was mir noch einfällt! Aber es gibt ja hier noch weitere Interessierte!


    :) Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Lieber Amdir, was für ein außergewöhnlicher Vorschlag! Britten kenne ich außerhalb seines Opernschaffens kaum (War Requiem, Young Persons Guide, Simple Symphony mal ausgenommen).

    Kinderlieder bzw. Lieder von Kindern gesungen sind im Ouvre großer Komponisten rar, du hast darauf hingewiesen. Schon deshalb ist dieser Vorschlag interessant. Ich höre englischsprachige Lieder von der Sprachmelodie gerne. Beim Hören der Lieder waren meine ersten Assoziationen Weihnachtslieder bzw. Christmas Carols - weil das wohl der häufigste (einzige?) Anlass ist, zu dem ich englische Lieder höre (damit meine ich nicht englishsprachige Opern- oder Chormusik). Besonders Nr. 9, "The useful plough" löst bei mir diese Assoziationen aus. Gemeinsam mit Nr. 5, "A new year carol" finde ich es besonders anrührend. Die ruhige Klavierbegleitung, der schwingende Gesang der hellen Kinderstimmen - und ganz wie du sagst in Nr. 3: Das leichte Wackeln bei "to worship God with this happy new year" stört nicht, sondern ist eher sogar schön - so singen Kinder. In diesem Lied fällt mir auch besonders die typische Melodik anglikanischer Carols auf - sie hat immer zugleich etwas tröstendes und hymnisch-erhabenes!

    Nr 2, "A tragic story" hebt sich finde ich mit seiner fahlen Begleitung und dem Effekt des Schnellerwerdens recht deutlich ab. Es könnte auch ein Trinklied o.ä. sein. Darin ist es ähnlich zu Nr. 12 "Old Abram", welches aber mit seinen kanonischen Einsätzen und seiner kraftvollen Steigerung eine betörendere Wirkung und damit einen anderen Effekt hat. Das fällt durchaus auf: Die Bandbreite der Emotionen und Effekte ist in diesen kleinen Miniaturen durchaus sehr breit. Siehe auch Nr. 10 "Jazz-Man", welches dem Inhalt gemäß wieder etwas völlig anderes darstellt.

    Nr. 6 "I mun be married" erinnert mich an irgendein anderes englisches Lied, auf das ich grade nicht komme. Gemeinsam mit Nr. 3 "Cuckoo" gefällt es mir etwas weniger.

    Bemerkenswert finde ich noch Nr. 8 "Fishing Song". So könnte auch ein Schubert-Lied beginnen, zumindest in der Klavierbegleitung. Die Melodielinie finde ich sehr anglikanisch. Und das ergibt für mich eine tolle Mischung. Ein großartiges Lied!


    Musik sicherlich, die ich nie gehört hätte ohne den Thread. Die aber anrührend ist und meine Kenntnis englischer Musik erweitert.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Lieber Tristan2511, vielen Dank für deinen schönen Beitrag, freut mich sehr, dass dir das Stück zusagt!

    Ich werde mithilfe meines Klavierauszuges in den nächsten Tagen in kleinen Päckchen nach und nach alle Einzellieder vorstellen, möchte aber trotzdem schon einmal auf deine Kommentare eingehen, weil sich vieles davon auch mit meinen Empfindungen deckt.

    Beim Hören der Lieder waren meine ersten Assoziationen Weihnachtslieder bzw. Christmas Carols - weil das wohl der häufigste (einzige?) Anlass ist, zu dem ich englische Lieder höre (damit meine ich nicht englishsprachige Opern- oder Chormusik). Besonders Nr. 9, "The useful plough" löst bei mir diese Assoziationen aus. Gemeinsam mit Nr. 5, "A new year carol" finde ich es besonders anrührend. Die ruhige Klavierbegleitung, der schwingende Gesang der hellen Kinderstimmen - und ganz wie du sagst in Nr. 3: Das leichte Wackeln bei "to worship God with this happy new year" stört nicht, sondern ist eher sogar schön - so singen Kinder. In diesem Lied fällt mir auch besonders die typische Melodik anglikanischer Carols auf - sie hat immer zugleich etwas tröstendes und hymnisch-erhabenes!

    Die Weihnachtsassoziation kommt nach Wolfgang jetzt schon zum zweiten Mal und ich kann sie gut nachvollziehen. Ich höre (mit Ausnahme der "Friday Afternoons") wie du quasi fast nie englische Lieder, außer zur Weihnachtszeit. Auch ich fühle mich hin und wieder an typische englische Weihnachtschorstücke wie den Holst-Satz von "In the bleak midwinter" oder Peter Warlocks raueres "Bethlehem Down" erinnert, auch wenn ich ehrlich gesagt sonst wenig Ahnung von englischer Chormusik bzw. anglikanischen Carols habe. "A New Year Carol" gibt das natürlich schon thematisch gut her (der Text ist als "Levy-Dew" übrigens in GB enorm populär, weshalb das Lied auch gerne ausgekoppelt aus der Sammlung einzeln aufgenommen wird), interessant, dass du das auch bei "A useful plough" so empfindest. In meiner Vorstellung der mir bekannten Aufnahmen schrieb ich von diesem Lied als "Underdog-Lied", weil ich ganz lange bei jedem neuen Hören zunächst vergaß, dass es in der Sammlung enthalten ist und dann jedes Mal überrascht war, dass auf den "Fishing Song" nicht direkt der "Jazz-Man" folgte. So ging es mir bis vor ein paar Wochen (ich höre das Stück seit August immer wieder, weil ich von da an wusste, dass ich dieses Stück als nächstes vorstellen wollte), mittlerweile hat sich das aber gelegt und ich würde "A useful plough" zu meinen Lieblingsliedern der Sammlung zählen, die lange Melodie ist großartig!


    Nr 2, "A tragic story" hebt sich finde ich mit seiner fahlen Begleitung und dem Effekt des Schnellerwerdens recht deutlich ab. Es könnte auch ein Trinklied o.ä. sein. Darin ist es ähnlich zu Nr. 12 "Old Abram", welches aber mit seinen kanonischen Einsätzen und seiner kraftvollen Steigerung eine betörendere Wirkung und damit einen anderen Effekt hat. Das fällt durchaus auf: Die Bandbreite der Emotionen und Effekte ist in diesen kleinen Miniaturen durchaus sehr breit. Siehe auch Nr. 10 "Jazz-Man", welches dem Inhalt gemäß wieder etwas völlig anderes darstellt.

    Spannend, ich hätte den Vergleich bei "A tragic story" eher zu Nr. 11 "There was a monkey" gezogen, das von Strophe zu Strophe lauter und experimenteller in der Klavierbegleitung wird. Schaut man sich den Text an, ist das stete accelerando sehr passend, die Geschichte ist ja eher humorvoll als "tragisch" gehalten (mMn ein ironisch-übertreibender Titel), das immer schnellere Tempo passt zu den vergeblichen Bemühungen und Verrenkungen des vermeintlichen Weisen, von dem der Text handelt und stellt darüber hinaus das Komödiantische heraus. Da schließt sich auch der Kreis zu "Jazz-Man", wo ja auch fröhlich karikiert und überzeichnet wird (ich zitiere: "Twenty children couldn't make as much noise as The Howling Pandemonium of the One-Man-Jazz!" :hahahaha:)

    Ich stimme auch vollkommen zu, was du zum Emotions- und Effektgehalt der Stücke schreibst, dieser ist auf jeden Fall bemerkenswert reichhaltig!


    Nr. 6 "I mun be married" erinnert mich an irgendein anderes englisches Lied, auf das ich grade nicht komme. Gemeinsam mit Nr. 3 "Cuckoo" gefällt es mir etwas weniger.

    Bemerkenswert finde ich noch Nr. 8 "Fishing Song". So könnte auch ein Schubert-Lied beginnen, zumindest in der Klavierbegleitung. Die Melodielinie finde ich sehr anglikanisch. Und das ergibt für mich eine tolle Mischung. Ein großartiges Lied!

    Bei "I mun be married on Sunday" kann ich leider nicht weiterhelfen. Ich würde dieses Lied trotz seiner schönen Frage-Antwort-Effekte gegen Ende des Liedes ("Sunday" - "Sunday") ebenfalls etwas tiefer ranken. Verwundert bin ich, dass dir "Cuckoo!" weniger gefällt, es handelt sich dabei um das mit Abstand bekannteste Lied aus der Sammlung (und auch mein persönliches Lieblingslied, die Melodie ist wunderschön :love: Über dieses Lied habe ich das Stück erst kennen- und lieben gelernt).

    Der "Fishing Song" gehört auch zu meinen Favoriten und wie es der Zufall will, muss ich jedes Mal an Brittens Orchesterarrangement von Schuberts "Forelle" denken, insofern decken sich da unsere Assoziationen sehr.


    Liebe Grüße

    Amdir

  • Ist Euch mal aufgefallen, daß eine bestechende Mehrheit der berühmten aber auch weniger bekannten Komponisten im Nachnamen mit B beginnt? Beethoven, Backofen, Benda, Balbastre, Biber, Brahms, Bellini, Bruckner, ... hab ich einen vergessen? Bändel, nein Bach natürlich: Johann Christian und Carl Philipp Emanuel. 8-) Das passt doch Britten gut und schmeichelnd daher!


    In der Tat mag ich das, was ich von Britten kenne, sehr gern. Das War Requiem zwar in nicht allen Teilen, umso mehr aber die Serenade für Tenor, Horn und Streicher op. 31 (die war auch schon einmal in der näheren Auswahl für diesen Thread!) und in der Tat gehört The Turn of The Screw zu meinen Lieblingsopern.


    Den hier zur Diskussion gestellten Werkkomplex kenne ich bislang noch nicht wirklich; meine aber, den durchaus schon einmal wahrgenommen zu haben. Da z. Zt. andere Dinge anliegen, befasse ich mich in den kommenden Tagen damit.


    :hello:

    Cnusper, cnusper, cnasam, qui cnusperat meam casam?
    (Hexa dixit)

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  • Ist Euch mal aufgefallen, daß eine bestechende Mehrheit der berühmten aber auch weniger bekannten Komponisten im Nachnamen mit B beginnt? Beethoven, Backofen, Benda, Balbastre, Biber, Brahms, Bellini, Bruckner, ... hab ich einen vergessen? Bändel, nein Bach natürlich: Johann Christian und Carl Philipp Emanuel. 8-) Das passt doch Britten gut und schmeichelnd daher!



    :hello:

    Dazu gibt es in meiner alten Satire-Seite, also nicht im jetzigen Schreibtisch, sondern im Hauptthema "Satire" , zwei längere Texte: Alle (!!) Komponisten fangen mit B an.

    Manchmal ist wenig immer viel! (Thorsten Legat)

  • Heute starte ich mit der Vorstellung der einzelnen Lieder. Den Anfang macht 1. Begone, dull care!



    Das Lied entstand laut meinem Klavierauszug am 30. Juli 1935 und vertont einen anonymen Text aus dem 17. Jahrhundert:


    Begone, dull care! I prithee begone from me!
    Begone, dull care! You and I shall never agree.
    Long time hast thou been tarrying here
    and fain thou woulds't me kill,
    but, i' faith, dull care,
    thou never shalt have thy will.


    Too much care will make a young man turn grey,
    and too much care will turn an old man to clay.
    My wife shall dance and I will sing
    And merrily pass the day,
    for I hold it one of the wisest things
    to drive dull care away.


    Inhaltlich geht es also um das Vertreiben negativer Gedanken, die hier sogar personifiziert und angeredet werden. Dementsprechend energiegeladen ist auch das Lied in C-Dur, welchem Britten passenderweise die Vortragsbezeichnung "With spirit" zuschreibt. Der Blick in den Klavierauszug zeigt zudem, dass diese Liedersammlung trotz ihres simplen Höreindruckes anspruchsvoller ist, als man es beim Hören vermuten würde. Die Gesangsstimme hat es von den Tonhöhen her zwar nicht schwer, dafür aber vom Rhythmus, der aufgrund der vielen kurzen Sechzehntel- und Achtelnoten einen präzisen Vortrag und eine klare Aussprache erfordert. Auch die Klavierstimme ist nicht ganz einfach sondert bietet gerade in der zweiten Liedhälfte Tücken.


    Das Hauptklaviermotiv aus Sechzehnteltriole, vier Sechzehnteln und abschließender Achtel eröffnet das Lied und verdeutlicht durch seine positive, verspielte Grundstimmung sofort zu Beginn das textlich gefestigte Vertreiben der negativen Gedanken. Die Gesangsstimme setzt mit dem kurzen Ausruf "Begone!", also "Verschwinde!/Fort!" ein, einfach aber wirkungsvoll umgesetzt. Die erste Strophe bietet dabei nur kurz Abwechslung, wenn das Motiv der personifizierten schlechten Gedanken, das Töten des lyrischen Ichs, erwähnt wird (0:22-0:27).


    Nach einem kurzen Zwischenspiel folgt die zweite Strophe, die trotz der selben Melodie der Gesangsstimme einen ganz anderen Effekt hat, eine spannende Kompositionstechnik (ab 0:38)! Nachschlagende Akkorde der Klavierstimme, ein verlängerter Vorschlag der Gesangsstimme und eine Rücknahme der Dynamik zu einem piano verdüstern die Stimmung und textlich werden die schlimmen Auswirkungen negativer Gedanken erläutert. Dem entgegen steht aber der Rat des lyrischen Ichs, zu singen und zu tanzen (ab 0:49, unterlegt durch noch lebhaftere Klavierläufe), um verlässlich negativem Denken entgegenzuwirken. Ein schöner Meta-Ratschlag in diesem Gute-Laune-Lied zu Stückbeginn, folgen doch noch 11 weitere Lieder ;)

  • 2. A tragic story



    Dieses Lied vom 13. November 1933 vertont einen Text von William Makepeace Thackeray, in dem ein Weiser versucht, seinen Zopf durch wilde Drehungen und Verrenkungen vom Hinterkopf ins Gesicht zu versetzen:


    There liv’d a sage in days of yore,
    and he a handsome pigtail wore,
    but wonder’d much and sorrow’d more,
    because it hung behind him.

    He mus’d upon this curious case,
    and swore he’d change the pigtail’s place,
    and have it hanging at his face,
    not dangling there behind him.


    Says he, "The mystery I’ve found,
    I’ll turn me round,"
    he turn’d him round,
    (he turn’d him round, he turn’d him round,)
    but still it hung behind him.

    Then round and round,
    and out and in,
    all day the puzzled sage did spin;
    in vain it matter’d not a pin,
    the pigtail hung behind him.

    And right and left,
    and round about,
    and up and down,
    and in and out, he turn’d,
    but still the pigtail stout hung steadily behind him.


    And though his efforts never slack,
    and though he twist, and twirl, and tack,
    Alas! Still faithful to his back,
    the pigtail hangs behind him.


    Im Text geht es reichlich absurd und humorvoll zu, der Titel "A tragic story" ist also sicher ironisch gemeint.

    Musikalisch hat das Lied zwei Gimmicks: Ein fast stetiges accelerando um die immer wilderen Bemühungen des (Nicht-ganz-so-)Weisen zu verdeutlichen und dazu passend eine nach und nach immer stärkere Bewegung der Klavierstimme.

    Die Melodie ist dabei trotz ihrer modalen Färbung (das Lied steht in g-dorisch) sehr einfach gehalten und basiert größtenteils auf auf- und absteigenden Tonleitern auf unterschiedlichen Tonhöhen mit einigen wenigen Tonsprüngen dazwischen. Die Klavierstimme setzt zweitaktige Quinten als Orgelpunkte darunter und geht in der rechten Hand vereinfacht die Gesangsstimme mit (schon direkt in der Soloquinte der linken Hand zu Liedbeginn hörbar). Je weiter das Lied fortschreitet, desto kürzer und bewegter werden die Begleitmotive der Klavierstimme, bis zum Ende entgegengesetzt laufende Tonleitern in rechter und linker Hand verwendet werden (ab 1:22 bis 1:33).

    Zur Mitte der letzten Strophe gibt es eine Zäsur (1:25), bevor mit dem Ausruf "Alas!"/"Ach!" in plötzlich langsamem Tempo mit abschließendem "resolutely!" (meist wieder schneller genommen) das "tragische" Ende der Geschichte erzählt wird - der Zopf ist noch immer am Hinterkopf - wer hätte es gedacht!

  • Vielen Dank, Amdir!


    Das sind ja geradezu enzyklopädische Erläuterungen, die man dann hörend sehr gut nachvollziehen kann!


    Was die Klavierstimmen anbelangt, habe ich ja oben geschrieben, dass ich vielleicht hätte begleiten können bzw. wollen. Mein Eindruck! Leider habe ich mich da schon oft in der Schwierigkeit, wenn nur vom Hören her einzuordnen, getäuscht - leider öfter als eher nicht schwer genug befunden denn umgekehrt.


    Die Meisterschaft Brittens besteht gewiss auch in der relativen Unabhängigkeit der Stimmführungen im Unisono-Chor und in der Begleitung. Aber das hatte ich, glaube ich, auch schon angemerkt.


    Bemerkenswert unterschiedlich im historischen Bezug scheinen auch die Textquellen zu sein. Thackeray ist ja bereits quasi heutiges Neuenglisch, der erste Text noch in etwa die Sprache Shakespeares, also Frühneuenglisch.


    :hello: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Sehr gerne! Ich habe mir überlegt, bei den von mir genannten Stellen zusätzlich noch Zeitangaben zum verlinkten Video hinzuzufügen, damit man eine zusätzliche Orientierungsmöglichkeit hat.


    Oh, vielleicht erscheint es in meinen Beiträgen zu den ersten Liedern auch so, als wäre die Klavierstimme schwer, das würde ich hier nicht sagen. Bei "Begone, dull care!" hat die Klavierstimme mehr zu tun als in vielen anderen der Lieder und rangiert im Vergleich der Lieder untereinander vom Schwierigkeitsgrad sicher in der oberen Hälfte, im Vergleich zu "echten" Klavierstücken ist das aber wahrscheinlich gut zu spielen (meine Einschätzung als Hobbypianist). Das 2. Lied "A tragic story" ist hingegen recht einfach zu spielen.


    In Bezug auf die Eigenständigkeit möchte ich dir zumindest teilweise zustimmen. Bei relativ vielen Liedern ist erkennbar, dass die Klavierstimme entweder zwischen Melodiedopplung (teilweise auch nur bei einigen Tongruppen der Melodie) und Begleitung hin- und herwechselt oder zum Teil aber etwa die rechte Hand die Melodie doppelt und die linke Hand begleitet. Oft ist gerade erstere Variante nur nicht so leicht zu hören, weil gut einkomponiert. Es gibt auch manche von Britten geschickt komponierte Hilfestellen für den Gesang, wo das Klavier zu Beginn eines Liedes die Melodie doppelt (damit die Kinder die richtigen Töne treffen) und anschließend rein bei der Begleitung bleibt - wir kommen direkt in Lied 3 "Cuckoo!" im Falle der Oberstimme dazu. Nichtsdestotrotz gibt es wie du schreibst auch viele Lieder und Passagen, in denen das Klavier eine Unabhängigkeit beweist, z.B. Teile von Nr. 8 "Fishing song" oder die Nummern 10 "Jazz-Man" und 11 "There was a monkey". Diese Lieder gehören dann auch direkt zu den anspruchsvolleren ^^ Ich versuche auf jeden Fall, diesen Punkt der Eigenständigkeit bei den nächsten Liedvorstellungen stärker zu berücksichtigen.


    Volle Zustimmung zu den Texten. Hier gibt es eine große stilistische zeitliche Bandbreite, bei der Nr. 6 "I mun be married on Sunday" sogar aus dem frühen 16. Jahrhundert. Britten scheint sich gerne an älteren Texten bedient zu haben, in der "Ceremony of Carols" etwa hauptsächlich an solchen auf Mittelenglisch.


    Liebe Grüße

    Amdir

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  • @ Amdir Toller Beitrag, der Britten, den ich gar nicht kannte! Und dann noch mit den dazugehörigen ausführlichen Erläuterungen! Tamino-Luxus! Herzlichen Dank dafür! :thumbup:


    Die Amarus-Aufnahme mit Neumann habe ich inzwischen... :)


    Schöne Grüße

    Holger

  • 3. Cuckoo!



    Entstanden am 11. November 1933, Text vermutlich von Jane Taylor.


    Cuckoo, Cuckoo, what do you do?
    "In April I open my bill;
    in May I sing night and day;
    in June I change my tune;
    in July Far-far I fly;
    in August away I must."
    Cuckoo, Cuckoo!

    Cuckoo, Cuckoo!


    Inhaltlich geht es um einen Kuckuck, der aus seiner jährlichen Routine von April bis August erzählt und in letzterem fortfliegen muss, um im nächsten Jahr wiederzukommen.


    Im Werkszusammenhang stellt dieses Lied eine große Besonderheit dar, denn es ist das erste Lied (und nur eins von zweien), welches nicht unisono, sondern mehrstimmig komponiert ist, die zweite Stimme, die ein immer fortwährendes "Cuckoo!" auf einer Achtel c und einer Viertel as intoniert, ist dabei ad libitum notiert, kann also weggelassen werden, was mir in der Realität allerdings noch nicht begegnet ist.


    Das Lied steht in As-Dur im 6/8-Takt, changiert aber relativ häufig zur Tonikaparallele f-Moll. Überschrieben mit "Quietly" beginnt es pianissimo im Unisono mit dem erwähnten Kuckucksmotiv in beiden Gesangsstimmen und der rechten Hand des Klaviers. Durch das Unisono ist die Harmonik hier noch unklar. Ab Takt 3 (0:07) beginnt die 1. Gesangsstimme mit einer richtigen, ansteigenden Melodie mit langem, hohen Halteton, das Klavier doppelt dabei bis einschließlich Takt 6 (Ende "What do you do?") beide Gesangsstimmen gleichzeitig. Anschließend bricht die Dopplung der 1. Gesangsstimme in der rechten Hand des Klaviers ab, war vorher also nur dafür da, der Hauptmelodie eine anfängliche Hilfestellung zu leisten. Die Dopplung des gleichbleibenden "Cuckoo!" bleibt weiter bestehen. In Takt 4 wird durch die Kombination der Stimmen vorläufig As-Dur gefestigt. Mit einer Achtel Auftakt erzählt der Kuckuck in Takt 7 seine Lebensgeschichte (ab 0:14), hier findet durch fis-Moll-Akkorde in der linken Hand des Klaviers eine erneute Destabilisierung der Tonalität statt, was sich bei gleichbleibender Melodie in Takt 9 mit dem Akkord As-Dur mit großer Septime und Quinte Es im Bass fortsetzt, ehe im nächsten Takt erneut f-Moll folgt.


    Mit der Ankündigung der Melodieänderung des Kuckucks im Text ändert sich auch der Tonfall (ab 0:22), die Dynamik steigt zum poco più f bzw. f an und der Melodieendton Es in Takt 12 bzw. 14 sorgt für eine klangliche Aufhellung. Mit dem letzten Twist des Textes (ab 0:31) schwingt sich die Melodie anschließend bis zum F auf und verdeutlicht das nun folgende Fortfliegen durch Legato-Umspielungen des wortes "away". Die Takte 19-21 sind durch einen vergleichsweise tiefen Halteton F in der Melodiestimme seltsam losgelöst vom Rest der Melodie und zeigen, dass der Kuckuck nicht gerne fortfliegt, sondern sich eben an seine Natur halten muss. In den Takten 22-23 erfolgen erneut zwei Unisono-"Cuckoo!"s, bis es zu einer Wiederholung ab Takt 3 kommt. Britten merkt dabei an, dass bei einer Aufführung mit zwei Gesangsstimmen beide Stimmen nun ad libitum ihre Stimme tauschen können.

    Nach der Wiederholung werden zwei letzte Takte angefügt, in denen noch ein verlängertes, letztes Unisono-"Cuckoo!" mit Fermate und Diminuendo auf dem letzten Ton bei erstaunlich hohem Schlussklang As-Es-As in der rechten Hand des Klaviers erklingt. Befriedigend nach As-Dur klingt dieses Ende nicht, was nur zu gut zum Text passt. Mit der Weigerung, eine Tonart vollends zu etablieren und zu stabilisieren, sondern stattdessen zwischen den Tonzentren As-Dur und f-Moll zu wechseln, wird der bittersüße Charakter des Textes umso deutlicher.


    Ich schrieb schon, dass es sich bei diesem Lied um das bekannteste der Sammlung (und mein persönliches Lieblingslied) handelt. Die Bittersüße bei gleichzeitig einfacher, aber wunderschöner Melodie bekommt mich jedes Mal. Durch die Verwendung in Wes Andersons großartigem Film "Moonrise Kingdom" aus dem Jahr 2012 (in dem generell sehr viel Musik von Britten verwendet wird, "The Young Person's Guide to the Orchestra" bildet einen Handlungsrahmen und im Abspann liefert Filmmusikkomponist Alexandre Desplat eine schöne Hommage an dieses Stück) wurde dieses Lied international bekannter.

    Der Kinderreim "Cuckoo, cuckoo, what do you do?", der auf dem Text basiert, inspirierte außerdem Paul Simon zur Komposition seines wunderbaren Songs "April Come She Will", der in der Simon-&-Garfunkel-Version bekannt wurde.


    Brittens eigene Einspielung (siehe oben) weist die von mir schon erwähnte Besonderheit auf, dass die Einleitung und der erste Durchlauf bis einschließlich Takt 21 in beiden Gesangsstimmen solistisch gesungen werden, ehe in Takt 22 in der 2. Stimme und ab der Wiederholung auch in der 1. Stimme weitere Sänger hinzukommen. Für mich gewinnt das Lied damit unglaublich an Stimmung, der emotionale Touch wird nur noch mehr verstärkt. Deshalb bin ich auch immer etwas enttäuscht, wenn das Lied von vorne bis hinten in voller Kinderchorbesetzung gesungen wird.

    Klaviertechnisch ist dieses Lied wieder recht einfach gehalten, besticht aber durch ihre einfache, emotionale Melodie und stellt damit einen großen Kontrast zum Vorgänger- und Nachfolgelied her.


    Liebe Grüße

    Amdir

  • Hier mein versprochener, nachträglicher Beitrag zu "Amarus". Meinen Dank nochmals an Dr. Pingel für seine Wahl - die mir geholfen hat, einen "blinden Fleck" meiner Janacek-Begeisterung auszuleuchten! :)


    Kopfhörer-Klausuren. Dr. Kalethas esoterisches Hörtagebuch


    :hello:

    "Hier muss er Dank nun sagen..." so spricht Amarus - und ich auch. Nach der ersten Amarus-Woche war es "der Hölle Rache kocht in meinem Herzen", aber dann habe ich gedacht "ich selber brauch ja auch immer lange", wie jetzt bei Britten. Daher ist die 14tägige Dauer eine gute Idee. Jetzt zuletzt war jetzt der Beitrag von Holger dran, der mir, obwohl ich Amarus mitsingen kann, viele neue Einsichten eröffnet hat, vor allem bei den Parallelen zu Kafka.

    Es ist ja doch eine tolle Idee, dass man einem Stück, das man bestens kennt, noch einmal Neues erfährt und dann die Liebe sich noch mal erhöht.

    Die Art der Janacekschen Komposition hat Holger sehr schlüssig erklärt. Ich hätte es nie so ausdrücken können, aber ich habe es immer genau so verstanden.

    .

    Manchmal ist wenig immer viel! (Thorsten Legat)

  • 4. Ee-Oh!



    Entstanden vom 15.-20. Dezember 1933, anonyme Textherkunft.


    The fox and his wife they had a great strife

    they never eat mustard in all their whole life;

    they eat their meat without fork or knife

    and lov'd to be picking a bone, ee-oh!

    And lov'd to be picking a bone!


    The fox jump'd up on a moonlight night;

    the stars they were shining, and all things bright;

    "O-ho!" said the fox, "It's a very fine night

    for me to go through the town, ee-oh!

    For me to go through the town!"


    The fox, when he came to yonder stile

    he lifted his lugs' and he listen'd a while!

    "Oh, ho!" said the fox, 'it's a very short milе

    from this unto yonder wee town, ee-oh!

    From this unto yonder wee town!"


    The fox when hе came to the farmer's gate

    who should he see but the farmer's drake;

    "I love you well for your master's sake

    and long to be picking your bone, ee-oh!

    And long to be picking your bone!"


    The grey goose she ran round the farmer's stack,'

    "Oh, ho!" said the fox, "you are plump and fat;

    you'll grease my beard and ride on my back

    from this into yonder wee town, ee-oh!

    From this unto yonder wee town!"


    The farmer's wife she jump'd out of bed

    and out of the window she popp'd her head!

    "Oh, husband! oh, husband! The geese are all dead

    for the fox has been through the town, ee-oh!

    For the fox has been through the town!"


    The farmer he loaded his pistol with lead
    and shot the old rogue of a fox through his head;
    "Ah, ha!" said the farmer, "I think you're quite dead;
    and no more you'll trouble the town, ee-oh!

    And no more you'll trouble the town!"


    Hier wird es wirklich interessant, dieses Lied ist in mehrerer Hinsicht speziell. Einerseits wurde es als einziges der 12 Lieder aus Brittens Einspielung ausgelassen, andererseits gibt es hier viele variierte Wiederholungen und zahlreiche Taktwechsel zwischen einem 2/2-Takt und einem 3/2-Takt, die zusätzliche Bewegung in die Musik bringen.


    Für die doch eher ernste Thematik inklusive Tod des Fuchses ist das Lied sehr fröhlich-leicht gehalten, wozu insbesondere die Vortragsbezeichnung "Lively", die Tonart D-Dur und die locker-amüsanten "Ee-Oh!"-Ausrufe jeder Strophe beitragen. Das Lied ist von zwei rhythmischen Figuren geprägt, einmal einer punktierten Halben + zwei Achtel und einmal zwei Achteln + drei Viertel bzw. Viertel + Halbe. Die Melodie steigt dabei nach und nach an, zwischendurch wird auch mit einigen Sprüngen und die Phrasenenden verlängernden Taktwechseln Abwechslung geschaffen. Das Klavier doppelt dabei in der rechten Hand die Gesangsstimme und setzt mit der Linken nachschlagende Akzente.

    Die Strophen 2 (ab 0:22) und 3 (ab 0:42) sind beinahe exakte musikalische Wiederholungen, nur die Dynamik sinkt graduell (Str. 1: f, Str. 2: mf, Str. 3: p), um die nächtliche Handlung und das Schleichen des Fuchses zu untermalen. Strophe 4 (ab 1:02) ist dann konsequenterweise im pp gehalten, die Klavierstimme doppelt nicht mehr den Gesang und setzt leise Legatoachteleinwürfe und spärliche Akzente, steigert sich aber zum Strophenende mit abfallenden Achtelfiguren (1:19) bis zum mf, wenn der Fuchs seine Beute erblickt.


    Die Strophen 5 (ab 1:21) und 6 (ab 1:40) sind im mf bzw. f und mit "very lively" überschrieben, hier unterstützt die rechte Hand mit akzentuierten Halben sowie die linke Hand mit springenden Begleitfiguren die steigende Dramatik der Handlung, das Fliehen der Gänse und das aufgeregte Aufspringen der Farmersfrau. Zwischen 5. und 6. Strophe gibt es einen Übergang über eine Achtellinie, der Übergang zu 7. und letzten Strophe hingegen wird durch eine Verstärkung der springenden Begleitfigur durch Übernahme in die rechte und linke Hand gleichzeitig geschaffen (1:57). Da diese hier mit "heavy" bezeichnet ist, wird hier in quasi allen Aufnahmen ordentlich verlangsamt. Im Fortissimo und mit Oktaven bzw. vollen Akkorden im Klavier geht es auf das Ende des Fuchses zu. Dieses wird durch eine Fermate auf dem Ausruf des Farmers dramatisiert (2:11), danach geht es in den meisten Aufnahmen wieder schnell weiter (2:13).


    Eine letzte Besonderheit vor dem Schluss gibt es noch: Britten gibt der Gesangsstimme eine kurze ad-libitum-Mehrstimmigkeit auf dem Höhepunkt des letzten "Ee-Oh!"(2:17, a statt wie zuvor fis --> Höhepunkt, Steigerung zu zuvor, das fis ist als ad-libitum-Teilung zusätzlich singbar), bevor das Lied zu seinem für die Menschen guten, für den Fuchs schlechten Ende gelangt.

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  • Jetzt zuletzt war jetzt der Beitrag von Holger dran, der mir, obwohl ich Amarus mitsingen kann, viele neue Einsichten eröffnet hat, vor allembei den Parallelen zu Kafka.

    Es ist ja doch eine tolle Idee, dass man einem Stück, das man bestens kennt, noch einmal Neues erfährt und dann die Liebe sich noch mal erhöht.

    Das freut mich, lieber Dr. Pingel :)! Dabei habe ich es gestern Abend versäumt, etwas zu dem wunderbaren Epilog zu sagen und es heute nachgetragen:


    (Ergänzung 27.1.): Der Epilog im Tempo eines Trauermarsches beklagt nicht den Tod, sondern feiert gerade angesichts des Todes das Leben. Das Glockengeläute zu Beginn mit seinem festlichen Tonfall erinnert an das Glockenspiel („Carillon“) aus der Arlésienne-Suite Nr. 1 von Georges Bizet. Bei Janáček ist die Parallele das Finale des dritten Satzes von „Taras Bulba”. Auch da läuten angesichts des Todes von Taras Bulba wie zum Osterfest die Glocken. Für Janáček ist der Tod nicht einfach das Ende des Lebens, sondern das Zeichen für die unauslöschliche Lebenskraft, die Fähigkeit zur Wiedergeburt.

    :hello:

  • Es ist einer der Liedzyklen, die ich bei Britten so schätze. Die "Serenade für Horn, Tenor und Streicher" war 2009 mein Einstieg hier ins Forum. Ich denke, auch die "Ceremony of Carols" ist sehr bekannt. Frauenchor plus Harfe: wer schmilzt da nicht dahin?

    Diesen kleinen Zyklus hier muss ich noch öfter hören. Aber eine Reminiszenz an ein anderes Stück kommt mir dabei: "Das schlaue Füchslein" von Janacek.

    Der "revirnik" (tsch. für Förster)schläft im Wald, wacht auf und fängt ein Füchslein (ein weibliches). Er sperrt es zu den Hühnern und dem Dackel. Eines Tages rebelliert die Füchsin, beißt alle Hühner und den Hahn tot. Die Förstersfrau kommt zeternd heraus, der Förster schießt. Anders als hier kann die Füchsin entkommen. Aber nicht endgültig; da erschießt der Wilderer Haraschta "the cunning little vixen"!

    Manchmal ist wenig immer viel! (Thorsten Legat)

  • 5. A New Year Carol



    Entstanden am 15. Mai 1934, anonyme Textherkunft.


    Here we bring new water from the well so clear,
    for to worship God with, this happy New Year.
    Sing levy dew, sing levy dew, the water and the wine;
    the seven bright gold wires and the bugles that do shine.

    Sing reign of Fair Maid, with gold upon her toe,
    open you the West Door, and turn the Old Year go.
    Sing levy dew, sing levy dew, the water and the wine;
    the seven bright gold wires and the bugles that do shine.

    Sing reign of Fair Maid, with gold upon her chin,
    open you the East Door, and let the New Year in.
    Sing levy dew, sing levy dew, the water and the wine;
    the seven bright gold wires and the bugles that do shine.


    Das Lied steht in Es-Dur im 3/4-Takt und beginnt "Quietly" mit arpeggierten Es-Dur- und As-Dur-Akkorden im Klavier. Der Klavierrhythmus aus Halbe + Viertel zieht sich dabei mit nur zwei Abweichungen durch das gesamte Lied. Im Gesang dominiert hingegen rein Rhythmus aus zwei Achteln und zwei Vierteln, was einen schönen rhythmischen Kontrast bildet. Die Strophen sind von wellenartigen Melodieverläufen geprägt, der kleine Höhepunkt in der zweiten Phrase wird melodisch in der rechten Hand mit einer der wenigen rhythmischen Abweichungen (hier drei Viertel) unterstützt (0:22).

    Der Refrain (ab 0:27) beinhaltet ein langes Crescendo hin zum großen Höhepunkt auf dem hohen E mit anschließendem Diminuendo und anknüpfender Klavierüberleitung. Kompositorisch ist das alles wirklich simpel gehalten, entfaltet aber gerade durch diese Einfachheit eine wohlige, warme Wirkung.

    Die dritte Strophe (ab 1:25) wird in Brittens Einspielung entgegen der Partitur als Solo gesungen, der letzte Refrain dann wieder im Tutti (1:41), was die Schlusswirkung noch weiter verstärkt. Der letzte Refrain ist generell abgeändert, so spielt das Klavier vollere Harmonien, erfährt in Takt 29 seine zweite rhythmische Änderung hin zu drei Vierteln (1:57, abermals zur Steigerung der Schlusswirkung) und es wird ein dickes Schlussrallentando hinzugebastelt.


    Insgesamt zwar keine kompositorische Glanztat, dennoch ein Lied, was durch seine Einfachheit besticht und tatsächlich auch außerhalb des Zyklus recht bekannt geworden und aufgenommen worden ist. Als "Levy-Dew" erfreut sich der Text (und auch das Stück) in Großbritannien großer Beliebtheit. Mir gefällt das Lied auf jeden Fall sehr, sehr gut, ein schön unaufgeregtes, ruhiges, behagliches und wie schon erwähnt weihnachtliches Lied.

  • 6. I mun be married on Sunday



    Entstanden am 2. November 1933, Text von Nicholas Udall.


    I mun be married on Sunday,
    I mun be married on Sunday,
    Whosoever shall come that way,
    I mun be married on Sunday.

    Roister Doister is my name;
    Roister Doister is my name,
    A lusty brute I am the same,
    I mun be married no Sunday.

    Christian Custance have I found,
    Christian Custance have I found,
    A widow worth a thousand pound,
    I mun be married on Sunday.

    Custance is as sweet as honey,
    Custance is as sweet as honey,
    I her lamb and she my coney,
    I mun be married on Sunday.

    When we shall make our wedding feast,
    When we shall make our wedding feast,
    There shall be cheer for man and beast,
    I mun be married on Sunday.

    I mun be married on Sunday, (Sunday!)
    I mun be married on Sunday, (Sunday!)
    Whosoever shall come that way,
    I mun be married on Sunday.


    Das Lied steht im 6/8-Takt in F-Dur und beginnt "Lively" überschrieben mit der zweifachen fallenden Terz A-F, ehe - gedoppelt vom Klavier - der Gesang einsetzt. Die Melodie ist dabei recht unspektakulär gehalten, interessant wird es aber im melodischen Mittelteil, der stärker rhythmisch orientiert ist (ab 0:17). Spannend ist, dass Britten zwar auf wiederkehrenden melodischen Teilen aufbaut, diese jedoch unregelmäßig setzt, so dass keine klare Aufteilung in Strophe und Refrain erkennbar wird. Nach und nach trennt Britten Melodie und Begleitung, die zunächst nach einer kurzen akkordischen Begleitphase in den Takten 30-32 (ab 0:28) noch einmal die Melodie doppelt und anschließend in ein Achtelbegleitmuster verfällt (ab 0:38). Die Gesangsstimme variiert die Strophen darüber über starke dynamische Kontraste. Besonders wird es ab Takt 55, Britten erzeugt hier über eine Ad-libitum-Stimmgruppe aus wenigen Sängerinnen und Sängern zweimal einen Echoeffekt auf dem Wort "Sunday", der wirklich einen schönen Kontrast erzeugt (ab 0:58). Spannend sind außerdem die einigen tonartfremden Töne und Akkorde, die ein bisschen mehr Spice in die Thematik einbringen. Das letzte "mun" in Takt 63 ist so weit verlängert, dass ein Taktwechsel hin zu einem einzigen 9/8-Takt notwendig wird (ab 1:05), ehe es sofort wieder zurück zu dem bekannten 6/8-Takt geht, um ein Ende einzuläuten, bei dem das Klavier wie zu Beginn Solotakte spielt und anschließend das letzte Wort hat, um das Lied abzuschließen.

  • Das ist eine Entdeckung! Ich kenne ja viel von Britten und bewundere seine Zyklen, so etwa die Serenade op.31, "A Ceremony of Carols", die mit Kinderstimmen noch schöner ist, "Rejoice in the Lamb", "Les Illuminations". Ich habe jetzt mal ein Werkverzeichnis eingesehen, da gibt es noch viel mehr Zyklen.

    Irgend ein Kommentar wies zu Recht darauf hin, dass Kinderstimmen eine große Rolle in Brittens Schaffen spielen.

    Dieser Zyklus hier erinnert mich immer an meinen Lieblingschor "Hymn to St. Cecilia", op. 27.

    Die Hymn habe ich in drei verschiedenen Vokalensembles gesungen, wobei Nr. 2 und 3 natürlich auf meine Veranlassung genommen wurden, bei Chor 3 erst murrend, dann begeistert. Der dritte Teil ist im Tonfall ähnlich wie dieser Zyklus: "O dear white children...". Hier gibt es ein Solo, das von einer ganz jungen Sängerin gesungen werden muss. Britten schreibt hier vor, dass die Solisten aus dem eigenen Chor stammen müssen. Ich werde eine schöne Aufnahme im Metathread einstellen.

    Sehr schön finde ich, dass man in dieser Anordnung den Text mitlesen kann!

    Eine kritische Anmerkung: der Kinderchor hier ist wunderbar, aber der Dirigent hat eine Unart durchgehen lassen. In diesem Lied machen die Kinder am Ende jeder Zeile eine Schnappatmung, um dann sofort die nächste Zeile zu beginnen. Das bringt Unruhe und ist außerdem leicht zu vermeiden.


    Also, Amdir, eine große Bereicherung. Ich werde erstmal alle einzeln hören und dann nochmal den Zyklus ganz.

    Manchmal ist wenig immer viel! (Thorsten Legat)

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  • 7. There was a man of Newington



    Entstanden am 11. Mai 1934, anonyme Textherkunft.


    There was a man of Newington,

    And he was wondrous wise,
    He jump’d into a quick-set hedge,
    And scratch’d out both his eyes.


    But when he saw his eyes were out,
    With all his might and main
    He jump’d into another hedge,
    And scratch’d them in again.


    Das 7. Lied des Zyklus vertont den wohl bescheuertsten Text der Sammlung, in dem ein weiser Mann aus Newington in eine Hecke springt und sich dabei unbeabsichtigt die Augen auskratzt. Als er dies "sieht", springt er in eine andere Hecke und kratzt sich die Augen wieder ein. Joa. Eines der typischen sinnfreien Kindergedichte eben ^^


    Das kürzeste der 12 Lieder steht in E-Dur im 4/4-Takt und beginnt mit dem Klavier, das im Oktavabstand die erste Phrase der Gesangsstimme vorwegnimmt. Die erste Strophe ist dabei in Wellenform absteigend angelegt, das Klavier pickt sich einzelne Melodieachtel heraus und harmonisiert sie auf akkordische Art und Weise (ab 0:07). Ansonsten hält sich das Klavier als Begleitinstrument fein heraus, stattdessen lebt das Lied von einem melodischen Ping-Pong-Spiel zwischen Gesang und Klavier. Am Ende der 1. Strophe übernimmt das Klavier den letzten Phrasenteil, wiederholt diesen in Oktaven (0:16) und leitet so zur zweiten Strophe über (ab 0:18).

    Im Gegensatz zur 1. Strophe steigt diese in Wellen an, ehe sie zum Grundton E zurückfindet. Das Klavier übernimmt die Melodie der letzten beiden Textzeilen, wiederholt sie und setzt damit den Schlusspunkt (ab 0:26).


    So seltsam der Text und so einfach das Lied auch komponiert ist, merkt man an der Form doch, wie geschickt Britten vorgeht. Gedicht und Lied zeichnen jeweils einen schönen Spannungsbogen mit "Spiegel" in der Mitte. Das Klavier nimmt als Einleitung die spätere Melodie vorweg - der Mann im Gedicht springt in die Hecke und kratzt sich die Augen aus - die Melodielinie bewegt sich abwärts. Das Zwischenspiel bezieht sich auf den vorherigen Textpart mit dem Auskratzen der Augen und der Mann im Gedicht merkt, dass er sich die Augen ausgekratzt hat. Hier ist der Mittelpunkt des Liedes und der Handlung. Dann geht es "rückwärts" weiter: erst bewegt sich die Melodie aufwärts (der Mann springt in die nächste Hecke und kratzt sich die Augen wieder ein, dann folgt der Rückbezug des Klaviers auf die direkt zuvor gehörte Melodie und das Lied endet damit. Schön gemacht! Ansonsten musikalisch aber nicht sonderlich spannend.

  • 8. Fishing song



    Kein Entstehungsdatum angegeben, Text von Izaak Walton.


    Oh, the gallant fisher’s life,
    It is the best of any!
    ’Tis full of pleasure, void of strife,
    And ’tis belov’d of many;
    Other joys, are but toys;
    Only this lawful is,
    For our skill, breeds no ill,
    But content and pleasure.


    In a morning up we rise,
    Ere Aurora’s peeping,
    Drink a cup to wash our eyes,
    Leave the sluggard sleeping;
    Then we go to and fro,
    With our knacks at our backs,
    To such streams, as the Thames,
    If we have the leisure.


    If the sun’s excessive heat,
    Makes our bodies swelter,
    To an osier hedge we get
    For a friendly shelter:
    Where in a dyke, perch or pike,
    Roach or dace, we go chase
    Bleak or gudgeon, without grudging;
    We are still contented.


    Das vielleicht schönste der zwölf Lieder steht in C-Dur und ist im ungewöhnlichen 5/8-Takt gehalten (Aufteilung hier: 2+3), der für den besonderen Schwung des Liedes sorgt (wie auch die Spielanweisung "Flowing"). Dieses Lied kommt was seine Klavierstimme angeht dem romantischen Kunstlied wohl am nächsten. Bis einschließlich Takt 10 ahmt die linke Hand schön die Wellenbewegung des Wassers nach, während die rechte Hand verzögert akkordisch begleitet und mit Einsetzen der Melodie zusätzlich einzelne Melodiefragmente doppelt. Passend zum fröhlichen Text gibt es in der Melodie viele Sprünge, die erste Strophenhälfte ist durch die Anweisung "cantabile" dabei etwas weicher gehalten als die "lightly" überschriebene zweite Strophenhälfte, bei der zwei staccato-Achtel hervorstechen (ab 0:25). Hier ist der Rhythmus der, der vorher als Wellennachahmung in der linken Hand des Klaviers auftauchte, nur durch eine Punktierung leicht verfremdet. In der zweiten Hälfte doppelt die rechte Hand die Melodie komplett und begleitet zeitgleich, die Rechte-Hand-Begleitung aus der ersten Strophenhälfte wird hier zusätzlich auch in die linke Hand verfrachtet.


    Nach zwei Strophen bremst das Lied und die dritte Strophe beginnt "slower - lazily", begleitet von breiten, arpeggierten Akkorden, wobei Britten hörbar ganz und gar nicht an Vorzeichen spart (ab 1:16). Hier nimmt die brütende Sonne Einfluss auf die Musik, die durch die drückende Hitze auf einer Fermate auf dem Wort "get" trotz eines 32tel-F-C-Arpeggios über zahlreiche Oktaven im Klavier ins Stocken gerät (1:41). "Very slow" folgt der Phrasenabschluss (1:47), begleitet und gedoppelt vom Klavier, welches das Tempo wieder anzieht (1:53), bevor es wieder in den bekannten zweiten Strophenteil geht, schließlich sind die Fischer, die dieses Lied singen, schlussendlich doch zufrieden. Doch Halt! - eine Sache ist anders: Die rechte Hand klimpert fröhliche wassertropfenartige Verzierungen vor sich hin und die letzte Zeile wird von einer aufsteigenden Basstonleiter zum Stückende geführt (2:06).


    Eines meiner Lieblingslieder aus dieser Sammlung, hier ist wirklich was los! Britten verstärkt in seiner eigenen Einspielung den Kontrast zwischen den Strophen 1+2 zu Strophe 3 noch mehr, indem er die erste Hälfte der 3. Strophe wieder solistisch besetzt, was mMn (mal wieder) fabelhaft funktioniert. Ansonsten begeistert mich hier besonders die Entwicklung der Klavierstimme, die einleitende Funktion übernimmt, melodisch tätig wird oder die Gesangsstimme doppelt, gleichzeitig aber auch begleitet und in der 3. Strophe auch große Eigenständigkeit beweist. Ein echtes Juwel innerhalb der Schatzkiste dieses Zyklus.

  • Ich denke, dass das nur ein weiteres Beispiel kindlicher Grausamkeit ist, über die Kinder gleichgültig hinweglesen. Beispiele finden sich dafür bei "Max und Moritz", dem "Struwwelpeter" und vielfach in Grimms Märchen.

    Der Zyklus gefällt mir immer besser, vor allem weil er "das Einfache, das so schwer zu machen ist" darstellt.

    Manchmal ist wenig immer viel! (Thorsten Legat)

  • Freut mich sehr, dass dir (und anscheinend auch einigen weiteren hier) der Zyklus so gut gefällt, das macht mich froh, ich hatte mir als Ziel gesetzt, wenigstens einem Mitschreiber das Werk nahezubringen :)


    Zu der "Unart": Mir ist es erst durch deinen Kommentar aufgefallen, ich habe zwar auch Chorerfahrung, allerdings nicht in deinem Ausmaß. Bei diesem Stück habe ich keine Probleme damit, es singt ja ein Schulchor und ich finde bei diesem Zyklus die ganzen Fehlerchen, Unsauberheiten, nicht zusammen abgesprochenen Schlusssilben, etc. sehr sympatisch und natürlich. Bei einem professionellen Chor und einem anderen Stück aber sicherlich ;)


    Ich denke, dass das nur ein weiteres Beispiel kindlicher Grausamkeit ist, über die Kinder gleichgültig hinweglesen. Beispiele finden sich dafür bei "Max und Moritz", dem "Struwwelpeter" und vielfach in Grimms Märchen.

    Der Zyklus gefällt mir immer besser, vor allem weil er "das Einfache, das so schwer zu machen ist" darstellt.

    So verstehe ich die grausamen Textstellen wie etwa auch in "Ee-Oh!" auch (es wird ja auch immer so unschuldig-fröhlich dazu gesungen), ich finde diesen Text halt so herrlich unlogisch: Der Typ kratzt sich die Augen in einem Busch aus, merkt es erst nicht, springt nach Bemerken in einen anderen (!) Busch und kratzt sich die Augen wieder rein, was zum Teufel?:/ Ich finde den Text aber sehr lustig, auch wenn mein Beitrag vielleicht einen anderen Eindruck gemacht hat.


    Volle Zustimmung beim letzten Satz, das schätze ich auch sehr an dem Zyklus. Die nächsten zwei Lieder sind auch wieder gute Beispiele dafür, da folgen im Laufe des Abends meine nächsten zwei Liedvorstellungen.


    Liebe Grüße

    Amdir

  • Für einen Schulchor ist das aber doch sehr ordentlich. An meiner alten Schule waren die Chöre nicht halb so gut. Außerdem schimmert das Kindliche immer durch, was einen besonderen Reiz hat. Ich freue mich jetzt auf den Rest, immer schön mit Text, und dann alle zusammen auf einmal.

    Wenn ich den kindlichen Klang höre, denke ich, dass das für Britten ein besonderen Reiz hatte. Der dritte Teil von Hymn to St. Cecilia ("Oh dear white children...") verlangt eine sehr junge Sängerin. Im Metathread zitiere ich mal dieses Werk.

    Manchmal ist wenig immer viel! (Thorsten Legat)

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  • 9. The useful plough



    Entstanden am 14. Mai 1934, anonyme Textherkunft.


    A country life is sweet,
    In moderate cold and heat,
    To walk in the air, how pleasant and fair,
    In ev’ry field of wheat.
    The fairest of flowers adorning the bowers
    And ev’ry meadow’s brow;
    So that, I say, no courtier may

    Compare them who clothe in grey,
    And follow the useful plough.

    They rise with the morning lark,
    And labour till almost dark,
    Then folding their sheep, they hasten to sleep,
    While ev’ry pleasant park,
    Next morning is ringing with birds that are singing,
    On each green tender bough,
    With what content and merriment,
    Their days are spent, whose minds are bent,
    To follow the useful plough.



    Schrieb ich gestern zum Fishing song "das vielleicht schönste der zwölf Lieder"? Naja, das trifft auf dieses Lied auch zu, also:


    Das vielleicht schönste der zwölf Lieder steht in D-Dur, was ich dank Mahlers 1. und Sibelius 2. Sinfonie immer ein wenig mit Natur, Ländlichem und Tieren verbinde. Das passt sehr gut zum Text, der sich mit den anstrengenden, aber schönen Seiten der Landwirtschaft und dem titelgebenden nützlichen Pflug befasst.

    Das Lied beginnt im 2/2-Takt mit der wohl unspektakulärsten Klavierstimme der gesamten Sammlung, denn mit Ausnahme der letzten fünf Takte ganz am Liedende hat das Klavier in beiden Händen nur Halbe zu spielen. Diese "with regular movement" gespielt werdenden Halben stellen die langsamen, gleichmäßigen Schritte des singenden Landwirts hinter seinem Pflug dar. Es fällt auf, dass diese Halben meistens einen gleichbleibenden Liegeton beinhalten, so etwa von Takt 1 bis Ende Takt 9 ein D, dann von Takt 10-15 ein E. Gerade zu Beginn sind diese Halben auch nur Akkordpendel, Akkordwechsel nach unten werden wieder nach rückwärts nach oben zurückgeführt.

    Mit Auftakt zu Takt 5 beginnt "very smooth" die wunderschöne, schwelgende und langgezogene Melodie (ab 0:11), die von einigen Taktwechseln zum 3/2-Takt und wieder zurück zum 2/2-Takt geprägt ist. Bezeichnend ist dabei das stetige Auf und Ab der Melodie mit teilweise sogar Oktavsprüngen (z.B. 0:17-0:19) über den immer gleichbleibenden Klavier-Halben, das Landleben bietet Höhen und Tiefen. Das verdeutlicht auch die Klavierstimme, manchmal passen die sich jetzt stetig ändernden Akkorde nicht ganz zu den Melodietönen. Außerdem wird fast ohne Pause gesungen, erst im 20. Takt (ab 0:46) gibt es eine kurze Verschnaufpause, was sich wieder gut auf den Text beziehen lässt (z.B. den Beginn der zweiten Strophe). Nach diesem kurzen Luftholen bleibt die Melodie über einen längeren Zeitraum vergleichsweise hoch und mit vier ruhelosen Takten voller Viertel, bevor die titelgebende Zeile den Melodiefluss beruhigt und schnell wieder Richtung tiefere Töne lenkt (ab 0:58) - passend, immerhin geht es ja um den erdgebundenen Pflug. Ein kurzes Zwischenspiel (ab 1:04) leitet zur zweiten Strophe über (ab 1:11), die sich nur im Text und in einer verkürzten Pause in Takt 19/20 von der 1. Strophe unterscheidet (1:46). Nach der zweiten Strophe gibt es im Klavier endlich etwas Abwechslung, in den letzten fünf Takten verdoppelt das Klavier seine Notenwerte (ab 2:08), spielt plötzlich ganze Noten und wird stetig leiser und führt so das Lied zu seinem Ende.


    Dieser fast meditative Charakter und die schier endlose Melodie mit titelgebender Schlussphrase haben es mir wirklich angetan. Obwohl ich das Lied lange Zeit vergaß, ist es jetzt eines meiner liebsten geworden.

  • 10. Jazz-Man



    Entstanden am 15. November 1933, Text von Eleanor Farjeon.


    Crash and Clang! Bash and Bang!


    And up in the road the Jazz-Man sprang!
    The One-Man-Jazz-Band playing in the street,
    Drums with his Elbows,
    Cymbals with his Feet,
    Pipes with his Mouth,
    Accordion with his Hand,
    Playing all his Instruments to Beat the Band!


    Toot and Tingle! Hoot and Jingle!


    Oh, What a Clatter!
    How the tunes all mingle!
    Twenty children couldn’t make as much Noise as

    The Howling Pandemonium of the One-Man-Jazz!


    Das ist mal ein Liedtext! Keine aus- und wieder eingekratzten Augen, keine erschossenen Füchse oder philosophischen Ergüsse über das Fischen oder das Landleben, stattdessen pure Freude. Ich finde den Text großartig, mein liebster in der Sammlung. Und der wird auch schön lautmalerisch umgesetzt, das Klavier spielt immer neue gefühlt zufällig ausgewählte oder gewürfelte Begleitmuster, nur die zwei Trillertakte auf dem Ton Es kommen zweimal vor, ansonsten gibt es alle paar Takte eine neue Klavierbegleitung, was wunderbar das instrumentale Sammelsurium der "One-Man-Jazz-Band" widerspiegelt, das einem hier in 50 Sekunden Lieddauer um die Ohren gehauen wird.


    Das Lied steht im 2/2-Takt, und soll "Quick, with fire" beginnen. Die Tonart ist offiziell As-Dur, für den "jazzigeren", dissonanteren Klang wird die Terz C im Klavier durch die Sekunde B ersetzt. In Takt 3 verdeutlicht der Chor die lautmalerischen Chaosgeräusche durch wilde Oktavsprünge (ab 0:06). Nach zwei Takten Klaviertriller geht dann die richtige Melodie los, unterstützt von Offbeat-Akkorden (ab 0:11). Nach drei Takten übernimmt die linke Hand zusätzlich melodische Funktion (0:15), außerdem ändert sich über die Aufzählung der verschiedenen Instrumente taktweise die Begleitung, sodass die aufgezählten Instrumente nachgeahmt werden. Bei der Erwähnung der Drums (0:16) spielt die linke Hand passende tiefe Basstöne, bei den erwähnten Becken (0:17) hohe arpeggierte Akkorde im fz (darunter in der linken Hand übrigens eine kleine Melodiedopplung). Die anschließend erwähnten Flöten (oder meint "Pipes" hier Bagpipes, also einen Dudelsack?) werden über legato-Achtel der rechten Hand (0:19) und das Akkordeon danach (0:20) mit vollen Akkorden in beiden Händen umgesetzt. Generell wimmelt es in diesem Teil nur so vor Vorzeichen, in Takt 15 gibt es auch eine lustige Polyrhythmik mit Achteln im Gesang, Achteltriolen in der rechten Hand und Vierteln in der linken Hand (0:21).


    Der Übergang zur zweiten Strophe wird vom Klavier über stampfende Viertel (ab 0:23) und ein gediegenes Glissando (0:26) vorbereitet, die erneut lautmalerischen Ausrufe des Chors werden melodisch von der rechten Hand zunächst vorweggenommen und mit Einsetzen der Stimmen gedoppelt.

    Ein kleines kompositorisches Easteregg kann uns Britten nicht vorenthalten, bei der Textzeile "Oh, What a Clatter!" mit herrlich langgezogenem "Oh" im Gesang (ab 0:32) hört man nach dem Ende des Trillers im Klavier in der rechten Hand eine kleine Reminiszenz an die zweite Textzeile, denn die rechte Hand spielt exakt die Melodie, zu der der Kinderchor die Worte "up in the road the Jazz-Man sprang!" sang. Ein schöner kontrapunktischer Kniff!


    Zum Liedende gibt es die beiden besten Textzeilen der Sammlung: "Twenty children couldn’t make as much Noise as The Howling Pandemonium of the One-Man-Jazz!" (ab 0:38). Fabelhaft! Auch hier wechselt die Begleitung von Bass-Vierteln mit grollenden Vorschlägen über On- und Offbeatakkorde und kleineren bis größeren Melodiedopplungen (wie beim "Pandemonium of the One-Man-Jazz") endet das Lied mit einem letzten, dissonant-jazzigen As-Dur-Akkord, diesmal weit gefächert, ohne Terz, dafür mit hinzugefügter Sexte F. Interessant auch, dass bei "make as much Noise as The" das Taktschema zugunsten eines einzelnen 3/2-Taktes aufgebrochen wird. Und schöner könnte das "Howling" nicht umgesetzt werden, als es die Gesangsstimme hier mit einem vollen Takt voller Achtel im Wechsel zwischen Es und F tut, schauderhaft gut (ab 0:41)!


    Ein tolles Gute-Laune-Lied, das bei näherem Hinschauen eine Menge zu Entdecken bietet!

  • Wieder zwei richtig schöne Lieder. Du machst ja immer eine richtig tiefschürfende Analyse, von der ich nichts verstehe, aber den Klavierpart finde ich schön, vor allem, weil er sich nicht zu kunstvoll vor den Chor schiebt.

    Kannst du noch was zum Chor sagen? Boys? Girls? Mixed?

    Manchmal ist wenig immer viel! (Thorsten Legat)

  • 11. There was a monkey



    Keine Entstehungszeit angegeben, anonyme Textherkunft.


    There was a monkey climb’d up a tree,
    When he fell down, then down fell he.

    There was a crow sat on a stone,
    When he was gone, then there was none.

    There was an old wife did eat an apple,
    When she’d ate two, she’d ate a couple.

    There was a horse agoing to the mill,
    When he went on, he stood not still.

    There was a butcher cut his thumb,
    When it did bleed, the blood did come.

    There was a lackey ran a race,
    When he ran fast, he ran apace.

    There was a cobbler clouting shoon,
    When they were mended, they were done.

    There was a chandler making candle,
    When he did strip, he did them handle.

    There was a navy went into Spain,
    When it return’d, it came again.


    Abermals ein interessanter Text, jede der 9 Strophen hat ein eigenes Szenario folgt einem Aufbau aus einer einleitenden, erklärende Zeile und einer tautologischen zweiten Zeile. Dadurch der von der Handlung her zusammengestückelte Text ein verbindendes Element.

    "Quick and gay" (letzteres Wort bedeutet hier "fröhlich") beginnt das Lied in G-Dur im 4/4-Takt mit dem melodischen Hauptmotiv im Klavier, das aus einem wellenartigen Auf und Ab besteht. Der letzte Takt wird dabei eine Oktave tiefer noch einmal wiederholt.


    Mit immer derselben Melodie in der Gesangsstimme (jeweils leicht auf den jeweiligen Text/die Silben angepasst) werden nach und nach die einzelnen Strophen vorgetragen. Dabei wird die Musik nach und nach lauter, die 1. Strophe im piano, die 3. im mezzoforte, die 5. im forte, die 7. im piú forte und die 8. im fortissimo. Außerdem ändert sich die Klavierbegleitung immer mehr, gleichbleibend ist der in eine Oktave tiefer piano wiederholte Schlusstakt jeder Strophe.

    In der 1. Strophe besteht die Begleitung aus einfachen nachschlagenden akkordischen Vierteln mit zusätzlicher Melodiedopplung in der zweiten Strophenhälfte (ab 0:12).

    Die 2. Strophe nutzt aufsteigende Achtelketten der rechten Hand, um zusätzliche Bewegung zu schaffen (ab 0:20).

    In der 3. Strophe werden Halben im Bass triolische, abfallende Oktav- und Quintbrechungen entgegengesetzt (ab 0:29).

    Bei der 4. Strophe nutzt Britten Sechzehntelpakete und angesprungene Oktaven zur Verdeutlichung der sprunghaften Natur des beschriebenen Pferdes (ab 0:37).

    Die 5. Strophe enthält eine Viertelfigur im Bass und volle, rhythmisch versetzte Akkorde in der rechten Hand, die durch eine punktierte Achtel mit nachfolgender Sechzehntel die rohe Kraft des Schlachters abbilden (ab 0:46).

    Ab der 6. Strophe wird es vogelwild: Der Chor singt weiter die Melodie in G-Dur, während das Klavier in zwei Oktaven eine lange, aufwärtsstrebende As-Dur-Tonleiter spielt, ordentlich dissonant (ab 0:54)!

    Daran anknüpfend wird die 7. Strophe von rhythmisch quasi zufällig platzierten Akkorden begleitet, diese sind dafür zur Gesangsstimme harmonisch umso unpassender und dissonanter (ab 1:02).

    Die 8. Strophe ist ein Kuriosum, hier platziert Britten zum einzigen Mal eine sogenannte "ossia", also eine alternative, vereinfachte Version der Klavierstimme, denn diese ist wirklich schwer ( WolfgangZ ;)). Die originale Stimme ist durch extrem dissonante, schnelle Achteltriolen in teils Sekundabständen die harscheste Begleitform dieses Liedes, gegen Ende hört man ein dickes, ansteigendes Glissando. In der ossia gibt es stattdessen ansteigende Achtel mit Dissonanzen (meist kleine Sekunden) über die Bassnoten auf den Zählzeiten 1 und 3, das Glissando ist vereinfacht und ausnotiert. In der Gesangsstimme ist eine Häufung von zusätzlichen Akzenten gegen Strophenende beachtenswert (ab 1:11).

    Die 9. und letzte Strophe geht wieder einige Schritte zurück, sie ist nur noch im forte gehalten und mit einer schönen, konsonanten Achtelbegleitung in der rechten Hand und Stride-Piano-artigen Viertelbegleitung der linken Hand versehen (ab 1:19). Das letzte "came again." ist dabei doppelt verlängert, einmal durch Halbe anstatt der bisherigen Viertel, zudem durch ein angegebenes Ritardando (ab 1:24). Das Nachschlagen des Klaviers ist erstmals nicht piano, sondern fortissimo. Ein toller Schlusseffekt!


    Ich finde dieses Lied großartig. Nach und nach wird das Lied immer lauter und die Begleitung immer chaotischer, was wirklich beeindruckend und spannend ist. Die letzte Strophe setzt dann einen wirklich gelungenen Schlusspunkt, ich freue mich immer auf die Verbreiterung in den Schlusstakten, das ist echt toll gemacht!

  • Wieder zwei richtig schöne Lieder. Du machst ja immer eine richtig tiefschürfende Analyse, von der ich nichts verstehe, aber den Klavierpart finde ich schön, vor allem, weil er sich nicht zu kunstvoll vor den Chor schiebt.

    Kannst du noch was zum Chor sagen? Boys? Girls? Mixed?

    Danke :)

    Ja, die Analysen (die auch gefühlt von Lied zu Lied ausführlicher werden :stumm:) sind vielleicht etwas zu kompliziert, vielleicht helfen sie trotzdem dem einen oder anderen Leser/Hörer weiter :)


    Komponiert ist das Stück wohl "for children" (auf dem Klavierauszug steht sogar nur „Unison Voices“), gewidmet allerdings "R. H. M. Britten and the boys of Clive House Prestatyn", also nur den Jungen der Schule. Ob es sich damals rein um einen Knabenchor handelte, kann ich leider nicht sagen.


    In Brittens Aufnahme hört es sich für mich rein nach Jungenstimmen an, ich kann mich aber auch täuschen. Zumindest die Soli werden in Brittens Aufnahme immer von einem Jungen gesungen.

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