Alle sprechen über dasselbe Musikwerk

  • Musik unterliegt dem Wechsel zwischen Spannung und Entspannung, sie hat damit einen Rhythmus.


    Entspannung suchen wir, sie entsteht in der Musik durch die Tonalität.


    Repräsentiert durch den Dur-Dreiklang, Referenz ist hier der Es-Dur-Akkord am Anfang von Bruckners 4.Sinfonie.


    Das ist musikalische Entspannung in Vollendung.


    Und nach der Entspannung kann nun Spannung aufgebaut werden, die am Schluß zum Ausgangspunkt zurückkehrt.


    So unser allgemeines Musikverständnis, so gefällt es uns, weil es dem Lebensrhythmus selbst entspricht.


    Abweichungen davon, die in Orientierungslosigkeit dahingleiten, mögen intellektuell hochwertig sein, für unser Musikverständnis werden sie aus vorgenannten Gründen eher als minderwertig empfunden.

  • Man will sich von der Vergangenheit um jeden Preis abheben und mit ihr brechen -

    Diese Gruppe gibt es, nur glaube ich, dass sie wesentlich kleiner ist, als manche so denken. Schließlich kann man die Vergangenheit ja nicht abschütteln. Sie ist der Ursprung aus dem man kommt und jeder muss sich mit ihr auseinandersetzen.



    bis hin zu den Gesellschaftregeln (dem vermutlichen Ursprung all dieses Übels, weil die Geschichte eine Gruppe der Gesellschaft nach oben gespült hat, die früher in der Gosse beheimatet war und niemand von ihr Notiz nahm.

    Das Problem mit diesen Urteilen ist, dass man irgendeine Zeit als "gut" bewertet und daraus dann Folgerungen für andere Zeiten ableitet. Aber am Ende kommt jede irgendwann geführt habende Gesellschaftsschicht aus dieser Gegend her, die Du so illuster benennst. Die Gründe, warum sich Gesellschaften ändern, sind mit Sicherheit komplex. Zu einer gewissen Zeit, sagen wir der Zeit des Feudalismus, war es nicht zuletzt auch aus Stabilitätsgründen opportun, Nachfolger für bestimmte führende Positionen aus dem Geburtsrecht abzuleiten. Eine solche Strategie verböte sich heute, angesichts der Komplexität bestimmter Aufgaben, geradezu. Man kann das, wenn ich etwas böse formulieren darf, sehr schön am jetzigen britischen König sehen. Zum Winken und Wirken in einem schönen Anzug reicht es schon, aber darüberhinaus will ich nicht wissen, was er von den jetzigen Problemen der Gesellschaft versteht.


    Dass man Altem nachtrauert, hat es immer schon gegeben. Ich verstehe aber Konservativismus etwas anders. Hier geht es darum Werte und nicht Regeln zu erhalten. Die Aufgabe unterscheidet sich grundlegend.

  • Wir kommen hier immer mehr vom Thema ab - vielleicht ist das aber bei diesem Thema unvermeidlich (?)

    In der Tat gab es eine andauernde Entwicklung in der Musik.

    Aber wie schon in alten Kulturen, später auch in Firmen und Konzernen, der katholischen Kirche etc etc.

    gab es irgendwan einen Zenit - wenn der überschritten war - ging es bergab. Im Falle der "klassischen Musik" war der Zenit etwa um 1780- 1830 - danach ging es - vor erst langsam - bergab bis sich die Talfahrt immer mehr beschleunigte und ab ca 1916 dank der Avantgarde und dem Dadaismus in einen rasanten Talsturz überging.

    Wikipedia schreibt hierzu (erstaunlich neutral):


    Zur Avantgarde zählen politische und künstlerische Bewegungen, zumeist des 20. Jahrhunderts, die eine starke Orientierung an der Idee des Fortschritts gemeinsam haben und sich durch besondere Radikalität gegenüber bestehenden politischen Verhältnissen oder vorherrschenden ästhetischen Normen auszeichnen.


    Bei Bedarf kann diese Diskussion von der Moderation gelöscht oder in einen neuen Bereich verschoben werden. Als "Beteiligter" werde ich das nicht tun - ich bin nicht neutral


    mfg aus Wien

    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Mich würde interessieren, wie Kurzstückmeister den Ligeti beurteilt. Er ist musikalisch sehr erfahren, soweit ich weiß atonal-hart (analog zu tempohart im Radfahren) und hat sich doch auch bisher mit profunden Beiträgen beteiligt. Immerhin gibt es bis heute Abend noch das Kommentarfenster, danach sollten wir uns dann auf das neu vorgestellte Stück konzentrieren.

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Danke der Nachfrage, aber mir ist die Lust an diesem Austausch vergangen, wollte wieder mal längere Abstinenz einlegen, ich sehe hier nichts, was mir persönlich etwas bringen würde, auch nicht was ich anderen bringen könnte, wenn man bspw. aus Begleitheften nichts "mitnehmen" kann, was soll man dann von mir "mitnehmen". Also, wenn ich einen Komponisten auswählen müsste zwischen 1960 und 2000, dann wäre Ligeti die Nummer eins, vor Stockhausen, Lachenmann, Reich oder anderen. Mit Leuten, die das als "Lärm statt Musik" bezeichnen, rede ich dann lieber übers Wetter. Heute war das Wetter echt schön.

  • Nach einer Woche bei der Familie mit dem Höhepunkt der Hochzeit meines Bruders in München bin ich grade noch rechtzeitig wieder zu Hause um (vorm Tatort-Schauen) meiner Verpflichtung nachzukommen.

    Ich habe den Thread nur überflogen, bin aber wiedereinmal über die doch recht deutliche Blockbildung gestolpert, die mich immer wundert. Ähnlich wie bei RT-Fragen stehe ich vielleicht doch eher in der Mitte. Ich bin ein durchaus konservativer Mensch mit Vorlieben von Barock bis Spätromantik. Aber eben auch mit einer großen Neugier und Interesse an der Musikgeschichte. Ligeti ist ein großer Name der Moderne und einer, den ich definitiv noch besser kennenlernen möchte. Aber mir ist klar, dass Ligeti sehr weit außerhalb meines bevorzugten Spektrums liegt.


    Das Klavierkonzert hat bei mir einen sehr gespaltenen Eindruck hinterlassen. Habe ich doch ein großes Interesse an Klavierkonzerten der Romantik und Spätromantik, kann ich im wesentlichen sagen, dass mir das Ligeti-Konzert nicht sehr gefallen hat. Ich empfinde ein relativ großes musikalisches Durcheinander, das ich nicht so recht deuten kann. Die komplexen rhythmischen Strukturen sind dabei nur eine Herausforderung. Hinzu kommt die für mich ungewohnte und sperrige Melodik, die teilweise Kakophonie und die Klang-Ästhetik. Insgesamt gefallen mir I und III am besten. I weil ich hier noch eine relativ konservative, an die Geschichte des Klavierkonzerts gemahnte Tonsprache feststelle und III weil es einen guten 'Drive' hat. Die Motivfetzen und teilweisen Extrem-Klänge in II und IV sind hingegen gar nicht mein Fall. Und ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass mir das jeweils gefallen wird. Aber ich pflege keine Abneigungen, vielleicht üverzeugt es mich irgendwann. Es ist nicht schön, aber in seiner (von mir so gehörten) Beliebigkeit und chaotischen Zusammenstellung auch nicht lange interessant. Im Grunde entsprechen solche Abschnitte genau dem Klischee der unschönen und chaotisch klingenden modernen Musik.

    In V reibe ich mir verwundert die Ohren und höre eine Melodie, die mich noch dazu an Mahler erinnert. Klanglich natürlich sehr farbenprächtig orchestriert - ohnehin eine Stärke der Neuen Musik. Ein guter Abschuss!


    Eine Kleinigkeit, die mir noch aufgefallen ist, wurde von Ulli schon erwähnt: Die extreme Breite der dynamischen Vorschriften wird in keiner Weise abgebildet bzw. umgesetzt. Vielleicht weil es kaum möglich ist - dann wäre es aber eher albern so etwas zu notieren.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Lieber Tristan,


    bezüglich deines letzten Punktes: Gibt es nicht in einem von Schumanns Klavierwerken die Tempoanweisung „So schnell wie möglich“, der dann kurz darauf die Anweisung folgt: „Noch schneller!“? Insofern ist es bei Ligeti vielleicht auch nur eine Hommage an schon klasissch gewordene romantische Überspanntheit.

    Herzliche Grüße

    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Insofern ist es bei Ligeti vielleicht auch nur eine Hommage an schon klaissch gewordene romantische Überspanntheit.

    Das kann natürlich sein ^^

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Ich habe lange gewartet, bis ich meinen Beitrag zu diesem Stück abgebe. Einerseits liegt das an meinem aktuellen Zeitmangel, andererseits aber auch daran, dass ich direkt nach Bekanntgabe des Stückes schon einmal in das verlinkte Youtubevideo reingehört und etwas durchgeskippt habe. Das Gehörte schreckte mich so ab, dass ich mir erst einmal etwas Zeit mit dem Ersthören lassen wollte. Zeitbedingt ist es der letzte Tag geworden, ich hoffe trotzdem, dass ich einiges zu dem Stück schreiben kann.


    Ligeti gehört ganz sicher nicht zu den Komponisten, die ich oft oder gerne höre. Im Konzert sind mir nur vor ein paar Jahren in Bielefeld seine Ramifications einmal begegnet, die mir zwar nicht besonders zusagten, mich im Gegensatz zu einigen anderen Menschen aus dem Publikum aber auch nicht dazu verleiteten, fluchtartig den Raum zu verlassen. Ich bin auch kein großer Klavierkonzertfan, auch wenn ich das Grieg-Konzert sehr liebe und das Schumann-Konzert schätze.


    Nun also das Ligeti-Klavierkonzert. Gehört habe ich die Boulez-Aimard-Aufnahme, die soweit ich weiß einzige Aufnahme des Werkes, die ich auf CD besitze (in der großen DG-Boulez-Box). Wie schon oben beschrieben, ging ich mit Skepsis in die heutige Hörsitzung.


    Diese Skepsis konnte der Beginn des 1. Satzes direkt schmälern. Der rhythmische Satz konnte mich trotz der vielen Dissonanzen direkt packen und ging schneller vorbei, als ich erwartet hatte. Nicht gerechnet hatte ich mit den erstaunlich "melodiösen" (mir fällt kein Wort ein, das meine Eindrücke besser beschreibt) Stimmen der verschiedenen Instrumente, die eher durch die verschachtelten Rhythmen auf schräg getrimmt werden. Das hat wirklich Drive und ich bin positiv überrascht! Ein erster Lichtblick?


    Der zweite Satz beginnt mit schaurigen Klängen, die mich an einen nächtlichen Wald mit Käuzchenschreien und Wolfsgeheul erinnern. Nach und nach ändert sich dies aber subtil (ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung wie), sodass die gleichen Klänge bei mir eine seltsam beruhigende Wirkung ausstrahlen. Da war ich beim Hören wirklich verwundert, jedoch auch direkt gefesselt und interessiert. Mit den folgenden schärferen Dissonanzen und deutlich lauteren Passagen überwiegt wieder der gruselige Eindruck des Satzbeginns, diesmal aber deutlich bedrohlicher und in die Horrorfilm-Richtung gehend. Das "deserto" der Satzüberschrift kann ich durchgängig nachvollziehen, die geforderte Stimmung wird herausragend gut transportiert, klasse!


    Dritter Satz, flirrender Beginn mit überlagerten Rhythmen. Das vorgezeichnete "Vivace cantabile" entlockte mir erst einmal ein spöttisches Lachen - was soll da gesanglich sein? Die rechte Hand des Klaviers belehrte mich da aber geschickt eines Besseren. Nach und nach wandelt sich der Satz dann, der Klang wird chaotischer, wuseliger, unerwartete Bongos kommen dazu und ich fühlte mich durch stärker rhythmisiertere Passagen an den 1. Satz erinnert. Auch wenn mMn die gesanglichen Passagen in dem Gewusel verschwimmen (liegt es an der Aufnahme?), sind sie immer noch und immer wieder hörbar. Der Satz endet ähnlich wie er begann, der flirrende Klavierrhythmus wird allerdings durch auskomponiert größere Notenwerte raffiniert gebremst und zum Satzende gebracht.

    Beim ersten Hören war ich mit diesem Satz ehrlich gesagt überfordert, beim Zweithören mit Noten hat dieser Satz allerdings SEHR gewonnen.


    Der vierte Satz lässt mich ratlos zurück. Von Bruckner bin ich blockhafte, teils fast zerrissene Kompositionen gewöhnt, hier wird mir das aber zu sehr auf die Spitze getrieben. Laut dem englischen Wikipedia ist dieser Satz nach Ligeti von "computergenerierten Bildern von Fraktalen" inspiriert. So wie ich beim Lesen dieses Satzes keine Ahnung hatte, was er bedeutet, ging es mir beim Hören dieses Satzes genauso. Auch wenn ich jetzt weiß, was Fraktale sind - diesen Satz verstehe ich leider auch nach mehrmaligem Hören nicht. Mir ist er zu grell und zerstückelt.


    Auch mit dem letzten Satz kann ich leider nicht zu viel anfangen. Auf mich wirkt er wie eine Kombination von Merkmalen der vorherigen Sätze, was bei mir allerdings dazu führt, dass ich überfordert und zugleich enttäuscht bin. Er ist mir zu wenig rhythmisch fokussiert, was ich am ersten Satz schätzte, das Unheimliche des zweiten Satzes geht mir zu sehr unter, so wie auch die flirrenden Klaviersechzehntel und das Melodische des dritten Satzes. Das (klanglich) chaotische Element dieses Satzes ist dafür (leider) sehr dominant. Auch wenn er mich klanglich auch an die Zerrissenheit des vierten Satzes erinnert, lassen die Noten doch deutlich Strukturen erkennen. Das Satz- und Konzertende mit dem Holzblock kommt für mich zu überraschend und ohne richtige Schlusswirkung, sodass mich auch dieser Satz leider ernüchtert und voller Fragen hinterlässt.


    Ein wirklich interessantes Stück, von dem ich nach den ersten Hörschnipseln nicht gedacht hätte, dass mir drei der fünf Sätze so gut gefallen würden. Vielleicht schafft ja eine andere Aufnahme Abhilfe?


    Liebe Grüße

    Amdir


    P.S.: Da es schon mehrfach erwähnt wurde: Auch mir sind die krassen Dynamikvorgaben aufgefallen. Im Studium habe ich während der Besprechungen zu meiner Bachelorarbeit einmal stundenlang mit meinem Professor über Dynamikbezeichnungen diskutiert. Ist innerhalb eines Stückes ein forte für eine Trompete gleich laut wie ein forte für die Violinen? Ist ein forte in jedem Stück gleich laut? Oder ist die höchste Dynamikvorgabe innerhalb eines Stückes das Maximum an Lautstärke, die auf einem Instrument möglich ist (und genauso bei der niedrigsten Dynamikvorgabe), ist also z.B. ein fffff in einem Stück gleich laut wie ein f in einem anderen Stück? Falls ja, wie ist es in diesem Fall, wenn diese höchste Dynamik z.B. ein mf ist? Fragen über Fragen, bei vielen davon waren wir unterschiedlicher Ansicht. Obwohl ich Musik studiert habe, habe ich auf die meisten dieser Fragen keine zufriedenstellende Antwort. Oder muss sich das jeder Komponist, Instrumentalist, Sänger, Dirigent, etc. selber überlegen oder gibt es doch einen Konsens unter Musikerinnen und Musikern? Falls ja - ich kenne ihn leider nicht. Da würde mich die Fachexpertise von ChKöhn interessieren.

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  • So jetzt habe ich auch das Stück angehört, mit dem ich früher etwas gefremdelt habe, ab dem zweiten Satz war ich „drin“, wunderbar, ist doch sehr attraktiv, wüsste nicht, wie man im späten 20. Jahrhundert das „besser“ hätte machen sollen.

  • Ist innerhalb eines Stückes ein forte für eine Trompete gleich laut wie ein forte für die Violinen? Ist ein forte in jedem Stück gleich laut? Oder ist die höchste Dynamikvorgabe innerhalb eines Stückes das Maximum an Lautstärke, die auf einem Instrument möglich ist (und genauso bei der niedrigsten Dynamikvorgabe), ist also z.B. ein fffff in einem Stück gleich laut wie ein f in einem anderen Stück? Falls ja, wie ist es in diesem Fall, wenn diese höchste Dynamik z.B. ein mf ist? Fragen über Fragen, bei vielen davon waren wir unterschiedlicher Ansicht. Obwohl ich Musik studiert habe, habe ich auf die meisten dieser Fragen keine zufriedenstellende Antwort. Oder muss sich das jeder Komponist, Instrumentalist, Sänger, Dirigent, etc. selber überlegen oder gibt es doch einen Konsens unter Musikerinnen und Musikern? Falls ja - ich kenne ihn leider nicht. Da würde mich die Fachexpertise von ChKöhn interessieren.

    Ich würde sagen: Es kommt immer auf den Einzelfall an. Man muss herauszufinden versuchen, wie ein Komponist dynamische Zeichen verwendet, und zwar sowohl in seinem Gesamtwerk als auch im konkreten Stück und an der konkreten Stelle. Nehmen wir mal an, ein Komponist würde in seinem Gesamtwerk vom pp bis zum ff gehen, dann aber in einem Stück nur bis zum mf: Dann würde ich daraus schließen, dass er sich hier bewusst auf die untere Dynamikhälfte beschränkt. Das mf wäre dann also als höchste Dynamikstufe in diesem Stück deutlich unter der möglichen Maximallautstärke (so etwas gibt es z.B. in "Wiegenlieder für Christinchen" von Giselher Klebe). Bei Beethoven ist der gänzliche Verzicht auf die Zwischenstufen mf und mp ein Hinweis auf die Bedeutung scharfer Kontraste in seinem Gesamtwerk, während die bei ihm sehr häufigen crescendi, die zum p führen, in den meisten Fällen Spannungszuwachs und plötzliche Entspannung bedeuten. Bei Schubert kann wiederum die Bezeichnung ppp > auch bedeuten decresc. zum dreifachen pianissimo. Die bei ihm extrem häufigen Akzente würden bei wörtlicher Ausführung jede kantable Linie zerstören, was ganz sicher nicht so gemeint ist; man muss sie also eher als metrische oder melodische Schwerpunkte verstehen, deren Gewicht man sehr oft z.B. auch agogisch statt nur dynamisch hervorheben kann. Das vier- und mehrfache ffff bedeutet auf dem Klavier in der Regel neben äußerster Kraftentfaltung auch eine musikalische Geste, manchmal, vor allem in der höchsten und deshalb von Natur aus eher schwachen Lage auch nur das. Die erkennbare Anstrengung, so laut wie möglich zu spielen, ersetzt dann beinahe die reale Lautstärke. Man kann das z.B. mit anderer Balancierung zwischen den Stimmen, mit leichter agogischer Unterstützung und im Konzert sogar mit der Körpersprache zeigen. Selbst ein ppp bedeutet in der Regel nicht automatisch, an die Hörbarkeitsgrenze zu gehen: Wenn das gewollt ist, schreiben Komponisten zusätzlich so etwas wie "quasi niente" (Brahms' Horntrio) oder "wie aus der Ferne" (Schumanns Davidsbündler-Tänze). Sonst heißt ppp nur: so leise wie musikalisch (!) möglich, also unter Berücksichtigung des Gesamtklangs, der Tragfähigkeit der Linie, der Saal-Akustik usw.. Bei Orchesterpartituren ist es mindestens bis zur Romantik üblich, Akkorde dynamisch einheitlich zu bezeichnen, was aber natürlich in der Praxis von den Musikern bzw. vom Dirigenten angepasst werden muss. Wenn die komplette Posaunen- und Trompetengruppe wirklich ff spielte, hätte der Rest des Orchesters sonst keine Chance. Bei moderner Musik wird die Notation in dieser Hinsicht meist differenzierter und präziser, bis hin zu acht- oder zehnstimmigen Klavierakkorden, deren einzelne Töne jeweils unterschiedlich bezeichnet sind (z.B. bei Stockhausen).

    Bei Ligetis Klavierkonzert müsste ich erst sehr viel genauer die Partitur studieren, um die Dynamik im Einzelnen zu verstehen. Am Anfang scheint mir klar zu sein, dass die Oktaven im Vergleich zu den Achtelketten sehr deutlich abgesetzt werden sollen, dabei aber noch spielerisch leicht bleiben sollen (deshalb pp für die Achtel und nur mf für die Oktaven). Ganz allgemein finde ich wichtig, dass man Dynamik nicht als bloßes Laut-Leise-Spielen versteht sondern als Gestaltungsmittel im Dienste des jeweiligen musikalischen Ausdrucks. So wie alle anderen Zeichen einer Partitur müssen auch Dynamikzeichen im Zusammenhang verstanden und gedeutet werden, erst dann kann man sie "richtig" ausführen.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Weil die schwierige Rhythmik dieses Werks häufiger Bestandteil der Auseinandersetzung war, noch ein kleiner Hinweis: Er bezieht sich zwar auf die ersten Etüden, aber im Verlauf der Diskussion ist ja die Nähe zum Klavierkonzert deutlich geworden.


    Banfield schilderte die monatelange Mühe, die es ihn gekostet habe, nur einige Minuten dieser gänzlich neuen, rhythmisch hochvertrackten Musik zu erarbeiten. Dabei sei es notwendig gewesen, vertraute Schemata auszublenden, um das faszinierende Spiel mit afrikanischen Pulsationsrhythmen zu erfassen und das mehrdimensionale Zeitgeschehen realisieren zu können.


    Ein Zusammenfassung eines Vortrages von Volker Banfield über den Einfluss subsaharischer Rhythmik und der Musik Nancarrows auf die Musik Ligetis findet sich hier


    https://banfield.de/download/LIGETI_V.pdf

  • Ein Zusammenfassung eines Vortrages von Volker Banfield über den Einfluss subsaharischer Rhythmik und der Musik Nancarrows auf die Musik Ligetis findet sich hier


    https://banfield.de/download/LIGETI_V.pdf

    Banfield hat ja nicht nur die ersten Etüden uraufgeführt sondern ihm sind auch drei gewidmet (Fanfares, Fém und L'escalier du diable). Allerdings hat Ligeti das anscheinend nicht davon abgehalten, bei späteren großen Anlässen vor allem Aimard als Pianisten vorzuziehen. Man kann vielleicht sagen, dass Aimard (oder das Superhin Fredrik Ullen) aus den Etüden noch mehr herausgeholt hat, aber erstens hat Banfields Einspielung (leider nur der ersten sechs Etüden) durchaus eigene Qualitäten, und zweitens muss man natürlich berücksichtigen, dass er der erste war, der sich auf dieses neue Gebiet gewagt hat. Das finde ich nach wie vor eine bewundernswerte Leistung. Er ist ein hervorragender Pianist und gilt als "Spezialist für Unspielbares". Sehr gut ist z.B. auch seine Einspielung des Pfitzner-Konzerts. Im Vergleich kriegt man mit Tzimon Barto (unter Thielemann) fast Mitleid, weil er so hörbar überfordert ist. Dass Ligeti gegenüber Pianisten wirklich gnadenlos sein konnte, belegt auch eine Anekdote, die sich seinerzeit unter Musikern sehr schnell verbreitet hat: Ein international bekannter Pianist (ich nenne keinen Namen...) spielte ihm ein paar der Etüden vor. Ligeti nahm daraufhin einen Band Schubert-Sonaten, setzte sich selbst ans Klavier und begann seinerseits zu spielen. Nach ein paar Takten fragte er den Pianisten: "Wie fanden Sie das?" Der wollte nicht unhöflich sein und antwortete so etwas wie "Man merkt natürlich, dass Sie kein professioneller Pianist sind, aber dafür hört man Ihr unvergleichliches musikalisches Verständnis" usw.. Ligeti unterbrach ihn und sagte "Nein, Sie meinen doch eigentlich, dass ich keinen Schubert spielen sollte, und Sie haben recht." Und dann kam's: "Und Sie sollten keinen Ligeti spielen."

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
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    (Theodor W. Adorno)

  • Ich hab da jetzt mal reingehört, also in Ligetis Klavierkonzert.


    Ganz ehrlich: Nach der hitzigen Diskussion hätte ich es mir deutlich schlimmer vorgestellt. Das kann man doch problemlos hören. Ok, es ist ein unbedeutendes Werk ohne Wikipedia-Eintrag. Etwas aufgemotzt durch absurde Details in der Partitur, die dann einfach ignoriert werden, weil das beim Publikum eh nicht ankommen würde. Und das Werk ist ein Unikat, womit es dem Wettbewerb mit vergleichbaren Kompositionen entgeht. Es hat zwar Qualität, aber ohne den berühmten Namen wäre es heute gänzlich unbekannt.


    Aber es ist seriös und problemlos hörbar.


    Jetzt stellt sich mir aber eine interessante Frage. Es gibt ja auch prominente Kritiker dieser Art von moderner Musik. Sie sagen, wenn Mozart vor über 200 Jahren es schaffte, "schöne" Musik zu schreiben, dann muss das auch heute möglich sein. Einer dieser Kritiker ist das "Wunderkind" Alma Deutscher. Und im Gegensatz zu den üblichen Kritikern schritt sie auch zur Tat und komponierte ein Klavierkonzert:


    Frage 1: Ist das jetzt besser oder schlechter als das Werk von Ligeti?


    Wichtiger wäre mir aber folgendes Gedankenspiel. Ihr seid verpflichtet, 100 Euro auszugeben, und ihr habt 3 Möglichkeiten:


    (1) Das Geld wird einfach verbrannt, also ihr bekommt nichts dafür.

    (2) Ihr geht in ein Konzert mit dem Klavierkonzert von Ligeti und ähnlichen Werken. Genauer: Modern, abstrakt, bekannter Komponist, aber Werk ohne Wikipediaeintrag. Also nix "Violinkonzert von Berg" oder so.

    (3) Ihr geht in ein Konzert mit dem Klavierkonzert von Deutscher und ähnlichen Werken. Also alles aus dem 21. Jahrhundert und "schön" klingend. Und natürlich ebenfalls ohne Wikipedia-Eintrag. Komponisten ungefähr so bekannt wie Alma Deutscher, also wesentlich unbedeutender als Ligeti und Co.


    Frage 2 also: Für welche der 3 Optionen würdet ihr euch entscheiden?


    Ich selbst würde wohl Option (2) nehmen, auch wenn mir "schöne" Musik besser gefällt. Grund: Ich kenne bereits reichlich "schöne" Musik. Und habe immer noch nicht alle Klavierkonzerte von Mozart in meiner Sammlung. Mit Alma Deutscher und Co. warte ich, bis sie wirklich berühmt werden.


    Was wäre eure Wahl?

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  • Ich weiß nicht, warum ein Wikipediaeintrag ein entscheidendes Kriterium für Relevanz sein soll. Den kann jeder erstellen, wenn er dir z.B. zu Ligetis Klavierkonzert fehlt, auch du.


    Ich würde ohne zu zögern Option 3 nehmen, und danke dir für den Hinweis auf Alma Deutscher.


    Gutes Hören

    Christian Hasiewicz

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Frage 1: Ist das jetzt besser oder schlechter als das Werk von Ligeti?

    Dazu kann ich nicht wirklich etwas sagen. Je nach Zweck kann das Urteil sich ändern. Erst einmal zolle ich einen gewissen Respekt vor der jungen Künstlerin. Sie sieht aus, als wäre sie 14. Dafür ist dieses Werk allemal beachtlich.


    Welchen Eindruck macht das Werk auf mich? ( ich habe den ersten Satz vollständig, das Adagio nur noch sporadisch gehört und den Beginn des dritten Satzes) Es ist auf jeden Fall gefällig. Als Werk an sich hinterlässt es bei mir keinen besonderen Eindruck. Dafür müsste ich es sicher häufiger hören. Hier fehlt mir ehrlicherweise die Lust.


    Insgesamt wirkt es wie eine Mischung von Stilkopien von Mozart, Rachmaninoff (allerdings nicht im Klaviersatz!), Glass (ja, den kann man manchmal auch hören) mit ein wenig Ballade pour Adeline .... ohne etwas grundlegend Neues daraus zu machen .... Der Orchestersatz wirkt über große Strecken vollständig abgekupfert. Hin und und wieder vernehme ich einzeln eine interessante Posaune.


    Bei interesse an "romantischen" Konzerten der Moderne höre man vielleicht mal in das von Daniil Trifonov hinein. Hier spielt das Klavier musikalisch aber auch technisch eine interessantere Rolle. Romantische Klavierkonzerte - Jenseits der Hyperion Serie


    Da packt mich der Ligeti doch deutlich stärker. Wie sagte noch Alfred? Das Werk hat Charakter. Das hat für mich Alma Deutschers Werk nicht.


    Frage 2 also: Für welche der 3 Optionen würdet ihr euch entscheiden?

    Für mich klar die 2. Option

  • Ich würde ohne zu zögern Option 3 nehmen, und danke dir für den Hinweis auf Alma Deutscher.

    Ich kann verstehen, wenn jemand keinen Ligeti hören will; niemand mag alles gleichermaßen. Ich hatte z.B. ziemlich lange Probleme mit Wagner, höre bis heute kaum Hindemith oder Strauss usw.. Aber dass sich jemand statt dessen freiwiliig länger als fünf Minuten dieser sterbenslangweiligen Ansammlung von beliebig aus der Musikgeschichte abgekupferten Versatzstücken aussetzen will, ist mir wirklich vollkommen unbegreiflich.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • OT Beiträge wurden gelöscht - Thread wird ab Montag in einer Woche wieder geöffnet.

    Der Zeitraum für Johannes Roehl bleibt ungenutzt


    Es folgt dann der KURZSTÜCKMEISTER


    bis dahin bleibt der Thread GESCHLOSSEN

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Die Diskussion über Ligeti mit dem inzwischen gelöschten Alma-Deutscher-Anhang motiviert mich, uns über ein Musikstück reden zu lassen, das zwar nicht besonders bedeutend ist, aber in Hinblick auf unsere Hörberichte interessanter sein dürfte als irgendein Konsens-Meisterwerk.


    Ich will zu dem Stück nur die Eckdaten angeben, um die Höreindrücke nicht zu beeinflussen.


    Ernst Pepping (1901-1981)

    2. Sinfonie (1942)


    Am besten in der Aufnahme unter Furtwängler:

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  • Ein interessanter und spannender Vorschlag, danke dafür! Peppings Sinfonien habe ich vor einigen Jahren einmal in der cpo-Ausgabe unter Werner Andreas Albert gehört, seitdem aber nicht wieder hervorgeholt. Erinnerungen daran habe ich nur ganz dunkle, ich freue mich auf eine hoffentlich intensive Wiederbegegnung mit der 2. Sinfonie und bin auch gespannt, was Furtwängler im Vergleich zu Albert aus dem Werk holt.


    Liebe Grüße

    Amdir

  • Werter kurzstueckmeister , ich gehe einmal davon aus, dass dir dieses Werk gefällt. Ich habe es mir jetzt von Furtwängler vollständig angehört.


    Ich kann nur von ein paar ersten Eindrücken berichten, die ich hoffe, in den nächsten zwei Wochen vertiefen oder auch korrigieren zu können.


    1. Das Werk ist seeehr eingängig. Die musikalischen Elemente meint man alle schon zu kennen. Am Anfang dräuender Wagner, zwischendurch verspielter Strauss, das wird immer wieder vermischt. usw. Für ein musikalisches Werk, auch beim Vergleich mit Haydn, doch ziemlich viel gute Laune, was überrascht, wenn man die Entstehungszeit mit hineinbringt ...


    2. Massive Dominanz der Blechbläser, die am Ende alles im Untergrund Drohende einfach heroisch wegblasen ... ;) Tatsächlich ist diese Blechdominanz für mich auf die Dauer etwas ermüdend. Es will mir nicht gelingen, über 35 Minuten konzeptionell wiederkehrende erhabene Dauerfreude bei der Rezeption zu generieren ....


    3. Absolut überraschend und interessant fand ich allerdings das Ende, wo ich, durch die vorhergegangenen musikalischen Erfahrnisse, nun ein kulminierendes Tutti mit fröhlichem Gebläse erwartet hätte, was aber trotz mancher dahinzielenden Anläufe doch eher bescheiden und plötzlich daherkommt. Das hat mich tatsächlich zum Nachdenken angeregt.


    Das Werk scheint harmonisch eher einfacher zu sein als manche sinfonischen Vorläufer bei Strauss. oder gar Pfitzner. Überhaupt gibt ihm die Einfachheit eine erstaunliche Modernität. Man würde es nicht siebzig Jahre früher verorten, was man ja eigentlch würde, sondern das Ganze wirkt wie eine "moderne " Hollywoodmusik zu einem Ritterfilm der Zeit, wo man aber nachher über den Sieg des Helden doch etwas unschlüssig zurückbleibt. ;)


    Ich werde mir das Werk aber sicher noch einmal anhören.


    BTW ich habe noch die vom Kollegen Amdir erwähnte Einspielung der Nordwestdeutschen Philharmonie unter Werner Andreas Albert gefunden, aber noch nicht angehört


  • Wenig überraschend, daß wieder ein Werk ausserhalb des mainstreams gewählt wurde - und wieder eines des 20. Jahrhunderts, Der Tamino Mitgliedergeschmack gewinnt allmählich an Kontur.

    Aber ich bin gewappnet. Flugs hole ich die Doppel Cd aus meiner umfangreichen CD-Sammlung mit Werken des 20. Jahrhunderts und lege sie in den Player....:yes::baeh01:

    Ich besitze die Aufnahme mit Albert. Gehört habe ich sie vermutlich anlässlich des Kaufes - vor ewigen Zeiten.

    Es ist unmöglich einen Höreindruck eines Werke zu schilderen das man bewusst das erste mal hört, daher wir eine weitere Hörsitzung nachgeschossen.

    Wenn man wenigen Minuten zuvor eine Sinfonie von Joseph Haydn gehört hat und der Musik des 20. Jahrhunderts sowieso kritisch bis ablehnend gegenübersteht, dann muß man versuchen möglichst diszipliniert und "neutral" zu hören.

    Nach den ersten Takten war mein Urteil blitzschnell gefält: Ein Trauermarsch

    Aber das legte sich nach kurzem. Zweiter Eindruck: Na ja - etwas nichtssagen, aber immerhin tonal.

    Dritter Eindruck: Immerhin - einige eindrucksvolle Cluster - leider zu viele - und zu wenig auf den großen Bogen achtend.

    Vierter Eindruck: "Seehr eingängig", wie astewes es besschreibt ist wohl sehr übertrieben - aber immerhin nicht verstörend

    Fünfter Eindruck - nachdem ich einige Minuten gehört habe: Eigentlich doch recht gut - interessante Orchestrierung mit ebensolchen Effekten - allerdings nicht übertrieben.

    Nun habe ich mich eingehört. Ich stelle fest, daß das Stück etwas mehr Lautstärke verträgt, bzw graucht, die Wirkung ist dann intensiver.

    Ich habe meinen Frieden mit dieser Sinfonie gemacht, sie gefällt mir von Minute zu Minute besser.

    Inzwischen habe ich begonnen auch über den Komponisten nachzulesen (um die Beeinflussung gering zu halten, mach ich das erst nach den ersten 10-15 Minunten des Hörens)

    Hier bietet sich das Booklet an, wo erwähnt wird daß um ca 1939 (erste Sinfonie) ein Stilwandel von Pepping stattgefunden hat und er jetzt - gegenüber früher - "eingängiger und volkstümlicher" schreibt.

    Seine Verleger sind entzückt und teilen ihm das auch mit. Seine "Weggefährten" der damals zeitgenössischen Musik indes weniger. Pepping spöttel über sich selbst und bezeichnet sich im Scherz als "braven Langweiler" Die erste Sinfonie erlebt ihre Uraufführung unter Karl Böhm. Die zweite ihre "repräsentative" (eine andere war vorausgegangen) unter Wilhelm Furtwängler

    Die Furtwängler Aufnahme stammt zeitnah von der Uraufführung von 1942 oder 1943. Sie ist - ebenso wie jene von Werner Andreas Albert - noch erhältlich

    Auf Grund der antiquerten Schallack-Aufnahmetechnik ziehe ich persönlich die von Albert vor. Auch wenn der historische Faktor nicht ausser acht gelassen werden sollte, so ist eine moderene Stereoaufnahme speziell bei einem Werk mit sehr prägnannten Klangfarben sicher von Vorteil

    Der Themenstarte Kurzstürkmeister räumte ein, es müsse sich hier nicht unbedingt um ein "bedeutendes Werk" handeln. Wie man's nimmt: Einerseits wurden unbedeutende Sinfonien nicht von Furtwängler oder Bühm aus der Taufe gehoben, andrerseits fanden weder der Harenberg-Konzertführer, noch der von Csampai/Holland Pepping eine Erwähnung würdig - auch nicht als Fußnote.

    Im Propyläen Musiklexikon finden wir ihn, mit einem längeren Hinweis auf seine evangelische Kirchenmusik und den Hinweis, daß seine sonstige Musik wenig bekannt sei. Überraschenderweise widmet der Reclam Komponistenführer ihm ebenfalls einen Eintrag.

    Pepping sitz (ausserhalb der Kirchenmusik) IMO zwischen zwei Stühlen: Den Anhängern der Avantgarde erscheint er als zu gemäßigt , die konservativen Musikfreunde versuchen gar nicht erst in eines seiner Werke hineinzuhören, bzw - sie kennen ihn nicht - weil er ihn "ihren" Nachschlagwerken nicht mal namentlich aufscheint....


    mfg aus Wien

    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • An den Ausdrucksgehalt würde ich mich mal mit Versuchen wie „subtiler Heroismus“ oder „aufgeräumtes Pathos“ heranschleichen - eventuell ähnlich wie bei Kabalewskis 2. Klaviersonate?

  • Das Werk ist seeehr eingängig. Die musikalischen Elemente meint man alle schon zu kennen.

    Ich würde sagen, die Vertrautheit der Stilingredienzien bedeutet noch keine Eingängigkeit. Pepping hat sich laut MGG "gegen das Sentimentale, schlicht Liedhafte, gegen das Populäre und gegen das Individualistische" abgegrenzt. Leitbegriffe bei Pepping waren "Ordnung", "Bindung", "Gesinnung" und "Gemeinschaft".

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  • Ich würde sagen, die Vertrautheit der Stilingredienzien bedeutet noch keine Eingängigkeit.

    Da hast Du selbstverständlichrecht. Allerdings war mein Beitrag auch nicht so gemeint. Sorry, wegen der Verwirrung.


    Pepping hat sich laut MGG "gegen das Sentimentale, schlicht Liedhafte, gegen das Populäre und gegen das Individualistische" abgegrenzt. Leitbegriffe bei Pepping waren "Ordnung", "Bindung", "Gesinnung" und "Gemeinschaft".

    Hörst Du das aus der Musik heraus?


    Sentimentales höre ich auch weniger als Populäres, wobei sich das hier für mich mit Filmmusik deckt. Es ist ja eher das "Erhabene", was sich hier lautstark zur Geltung bringt :)

  • Diese Mischung aus Ernsthaftigkeit und verhaltenem Optimismus, die weitgehend traditionelle Tonsprache dezent modernisiert, der Mangel an Ohrwürmern und plakativen Effekten, das passt schon zum Ziel, eine "Gemeinschaft" anzusprechen, ohne dabei "trivial" zu werden, und das eigene Ausdruckswollen hintanzuhalten. Das passt trotz des mitunter massiven Pathos zu neusachlichen Bemühungen, die ja durchaus zeittypisch waren.

  • Seine Verleger hingegen sahen das anders. Die schrieben, daß sie erfreut seien, über seine Stilwandel hin zum Stilwandel hin zum "Eingängigen, volkstümlichen" Schon die ersten Eindrücke seien positiv. Das alles muß man in Relation zur "experimentellen" Phase Peppings sehen. Der Wandel muß um 1939 herum stattgefunden haben, also etwa zur Zeit der ersten Sinfonie.

    Diese war allerding leichter und "fröhlicher als seine hier zur Diskussion stehende zweite. Allerdings sind Pepings Sinfonien innerhalb eines realtiv kurzen Zeitraums entstanden (1939, 1943 und 1944)

    danach hat er sich mit diesem Genre nicht weiter auseinandergesetzt. In Erinnerung ist er heute - wenn überhaupt - als Kirchenmusiker, obwohl sich seine geistliche und weltliche Musik in etwa die Waage hält. In wieweit sich Peppings Leitbegriffe mit seiner 2. Sinfonie in Einklang bringen lassen muß ich mir erst näher anhören. Beim Ersthören hatte ich stellenweise allerding den Eindruck von Clustern, die ziemlich willkürlich aneinandergereiht sind. Es fehlt (im ersten Augenblick) der "große Bogen" der alles Überspannt, ein Leitmotiv. Ich würde auch keine "Eingängigkeit" feststellen wollen, wobei man den Begriff vermutlich verschieden definieren kann. Ich verbinde damit immer ein wenig den "Erinnerungswert"., das Nachklingen eines Themas im Kopf, eine Art Vortufe des "Ohrwurms". Das scheint mir (Ersteindruck !) hier nicht gegeben. In gewisser Weise sitzt Pepping hier zwischen zwei Stühlen. Er hat es im Rahmen der weltlichen Musik IMO weder zur Begeisterung, noch zur Ablehnung geschafft.

    Die englische WIKIPEDIA erwähnt allerding eine frühere Phase mit Kompositionen mit "kompromisslosen Dissonanzen" - Aber auch diese Werke sind vergessen.

    Immerhin ist die zweite Sinfonie insgesamt nur 2 Mal auf Tonträger erschienen: Auf der von mir im Beitrag vom. 7. 10. 2024 gezeigten cpo Aufnahme von 2006 und auf jener mit den Berliner Philharmonikern unter Furtwängler von 1943.(!!)


    mfg aus Wien

    Alfred

    Die Tamino Moderation arbeitet 24 Stunden am Tag - und wenn das nicht reicht - dann fügen wir Nachtstunden hinzu.....



  • Seine Verleger hingegen sahen das anders. Die schrieben, daß sie erfreut seien, über seine Stilwandel hin zum Stilwandel hin zum "Eingängigen, volkstümlichen" Schon die ersten Eindrücke seien positiv.

    Das sehe ich nicht unbedingt als Widerspruch, er hat sich in die Richtung bewegt, aber vorsichtig.


    Cluster gibt es keine, aber einige dissonante Akkorde. Ob man diese als Abweichung von einer sonst gewahrten traditionellen Tonalität hört oder umgekehrt die ganz konventionellen Takte als zitatähnlich innerhalb einer gemäßigt modernen Musiksprache, bleibt dem Hörer überlassen. Ich finde, dass da doch immer wieder überraschende Nahtstellen zu hören sind, die das Stück natürlich klar im (weit gefassten) Neoklassizismus verortet. Dass der Neoklassizimus für romantische Elemente offen war, ist ja auch kein Geheimnis. Ich nehme das Ergebnis eher als kleingliedrig wahr, der grove nennt lyrische Weitläufigkeit als Charakteristikum.

  • Ich beziehe mich auf den Albert, der Furtwängler ist tontechnisch doch recht unterirdisch.


    Normalerweise wäre ich sehr mißtrauisch, wenn ich ein Werk sähe, das 1942 komponiert worden ist. Ich würde vorurteilsbeladen einen weiten Bogen darum machen.


    Wäre in diesem Fall aber grundverkehrt. Das Stück ist sehr anständig komponiert, hat viele schöne Melodie-Momente und gar keine schrecklichen. Die Grundstimmung ist heiter und die Chaos-Fallen, also der unmotivierte Wechsel von Stimmung, Tempo und Lautstärke, halten sich in Grenzen.


    Insgesamt ist es dann doch nicht meins, weil es sich teilweise erheblich zieht, ab und zu sogar schleppt, bis mal wieder ein Durchschnaufplateau erreicht ist. Das trifft vor allem auf den zweiten Satz zu, den ersten Satz finde ich weitgehend makellos. Die Ländler-Stimmung im dritten ist dafür weniger mit schönen Melodien behaftet, es hoppelt so vor sich hin. Zum Teil fühle ich mich an "Bilder einer Ausstellung" erinnert.


    Der vierte Satz fängt dann etwas bedrohlicher an, erinnert an wagnersche Motivsetzungen, das Horn nimmt aber schnell die düstere Stimmung weg und auch Streicher und Bläser stimmen entsprechend ein. Der vierte Satz ist zwar am zerfurchtesten, das Chaosmeter schlägt aber auch hier nur leicht aus. Ab 37:15 baut sich dann eine schöne Klangkulisse auf, die auch zu einem Film paßte. Das Ende kommt dann doch etwas überraschend.


    Insgesamt eine 2,5.

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