Beethoven: Große Fuge B-Dur op.133

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    (Ich meine, daß online sogar mal eine HIP-Version mit dem Quatuor mosaiques (live) kursiert wäre. Von der war ich allerdings nicht so begeistert.)


    Komisch, daß es die nicht auf CD gibt. So schlecht finde ich sie nicht - mit knapp 16:30 eher gemächlich, auch gleich zu Beginn, nicht nur durch die langsamen Teile. Dafür aber auch im Vergleich zu anderen Einspielungen thematisch sehr transparent und die Mosaiques nehmen dem Stück das Schreckhafte [ob das so gut ist, weiß ich noch nicht]. Im Vergleich zu den nonHIPs eher weich als kratzig. Dafür ist der Cellotriller kurz vor Ende wunderbar!


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Ulli


    Komisch, daß es die nicht auf CD gibt. So schlecht finde ich sie nicht - mit knapp 16:30 eher gemächlich, auch gleich zu Beginn, nicht nur durch die langsamen Teile. Dafür aber auch im Vergleich zu anderen Einspielungen thematisch sehr transparent und die Mosaiques nehmen dem Stück das Schreckhafte [ob das so gut ist, weiß ich noch nicht]. Im Vergleich zu den nonHIPs eher weich als kratzig. Dafür ist der Cellotriller kurz vor Ende wunderbar!


    Es ist meines Wissens ein Konzertmitschnitt aus dem Herbst 2007. Keine Ahnung, wie oft sie das Werk schon live gespielt haben, vielleicht noch nicht so lange in ihrem Programm. Ist vermutlich noch zu knapp für eine CD-Produktion.


    (Wer den Mitschnitt haben will... PN)


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl


    Beethoven ist ja angeblich mit dem WTC aufgewachsen und er kannte auch weitere Clavierwerke JS Bachs, inklusive der Kunst der Fuge und der Goldbergvariationen.


    Ich glaube, man sollte bei dieser Tradition auch noch G. F. Händel auf der Rechnung haben, der in der unmittelbar nachfolgenden Zeit wohl geläufiger als J. S. Bach war. Glenn Gould erwähnt für die freie Schlussfuge von Beethovens Hammerklaviersonate op. 106 jedenfalls Händelschen Einfluss.
    Und immerhin hat ja Mozart im Kyrie seines Requiems auf eine Chorfuge des Messias zurückgegriffen, wenn ich mich recht entsinne.


    Viele Grüße


    :hello:

  • Zitat

    Original von Kontrapunkt
    Und immerhin hat ja Mozart im Kyrie seines Requiems auf eine Chorfuge des Messias zurückgegriffen, wenn ich mich recht entsinne.


    Vor allem aber übernahm Mozart fast textgetreu das Thema des Eingangschors von Händels Israel in Egitto für das Requiem aeternam. Die Doppelfuge des Kyrie entstammt m. W. eher Händels Funeral Anthem for Queen Caroline, wobei das "typische" Kyrie-Thema ja bereits vorher vielfach verwendet wurde:


    Das 'Kyrie' aus Mozarts Requiem und Reminiszenzen


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Salü,


    mit ist neulich beim Querbeethovenhören eine thematische Parallele der 'großen Fuge' mit dem Finalsatz von op. 59 III (letztes Viertel des Satzes) aufgefallen. Es gibt dort eine Halbtonfigur, welche auch in op. 133 zu hören ist (Allegro molto e con brio ab T. 533ff.). Kann jemand diese Ansicht teilen bzw. gibt es darüber Literatur?


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

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  • Hallo zusammen,


    op. 133 ist ein seltsames Stück. Ich habe mal "the 19th century most 20th century music" als Bonmot zu diesem Werk gehört, weiß aber nicht mehr, wo. Besser kann man es vielleicht nicht beschreiben.


    Die Schwierigkeiten, dieses Stück mit einem Streichquartett zum Klingen zu bringen, sind immens. Einiges braucht quasi-orchestrale Fülle, ohne die Durchsichtigkeit der polyphonen Strukturen zu beeinträchtigen. Dennoch bedarf es absoluter Homogenität der vier Streicher. Wo sich diese nicht einstellt (Norbert Brainin beim Amadeus-Quartett ...), ist eine der Voraussetzungen des Gelingens nicht gegeben, wie man sofort hört. Die handwerklichen Anforderungen sind gewaltig, die Anforderungen an die Klanglichkeit nicht minder. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es für dieses Stück eine überzeugende Aufführungen mit historischen Instrumenten geben kann, doch ich lasse mich gerne belehren. - Beethoven war bekanntlich zur Zeit der Komposition op. 133 taub, den hat es vielleicht nicht gekratzt, wie es klingt.


    Ich habe in dieser Woche anlässlich meiner Neuanschaffung der späten Beethoven-Quartette mit dem Takacs-Quartett ein Vergleichshören zu op. 133 veranstaltet. Dabei waren:


    - Busch Chamber Players, 02. Oktober 1941 (hors concours, da Kammerorchester im Arrangement von Weingartner)
    - Budapester Streichquartett, 07. Mai 1951
    - Amadeus-Quartett, Sept/Okt 1962
    - Alban-Berg-Quartett, (P) 1983 (Studioaufnahme bei EMI)
    - Emerson String Quartet, April 1994
    - Takacs Quartett, Nov 2003 oder Mai 2004 oder Juli 2004


    Die Aufnahme mit den Busch Chamber Players klingt tadellos. Das Kammerorchester kann einfach mehr Register ziehen als die Quartettensembles und wird klanglich offenbar nicht vor so viele Probleme gestellt wie vier Solostreicher. Eine gute Beigabe in der Box der späten Quartette mit dem Busch-Quartett (EMI, 3 CDs). (Das Busch-Quartett spielt "nur" das nachkomponierte Finale zu op. 130.)


    Irgendwie kann ich den bittersüßlichen Ton von Norbert Brainin, dem Primgeiger des Amadeus-Quartettes, nicht ertragen. Schon gar nicht auf der e-Saite. Erst recht nicht bei dieser Musik, wo die Struktur im Vordergrund steht. Bei Brahms gehts ja noch ... Sorry, ich bin hier nicht urteilsfähig.


    (Fast) ähnliches trifft auf das Alban-Berg-Quartett zu, das - man höre und staune - bei op. 133 zeigt, dass es auch Intonationsprobleme haben kann. Günter Pichler ist mir hier nicht die klangliche Erfüllung.


    Eine rundum gelungene Wiedergabe bietet das Budapest String Quartet. Die Dramaturgie des Werkes ist gut geplant, am Anfang klingt einiges noch zurückhaltend, doch man steigert sich bis zum Schluss. Bei einem gut viertelstündigen Werk ist das für vier Streicher eine Riesenleistung. Keine offensichtlichen Intonationsprobleme, gut ausgewogener Quartettklang - toll!


    Meine beiden Favoriten sind die beiden jüngsten Aufnahmen: Emerson String Quartet und Takacs Quartett. Brilliant in der Spieltechnik, blitzsauber in der Intonation, mit vollem, satten Klang in den entsprechenden Abschnitten und herrlich verschattet in den "sotto voce"-Stellen. Ich kann mich zwischen beiden nicht entscheiden. Das Emerson Quartett spielt eventuell etwas energievoller, kontrastreicher, zugespitzter; bei Takacs klingt das Werk etwas einheitlicher. Was besser gefällt, ist wohl Geschmacksfrage.

  • Ein Nachtrag: Ich habe jetzt auch die Aufnahme des Hagen-Quartettes.


    Auf der strukturellen Ebene bleiben keine Wünsche offen. Themen, obligate Kontrapunkte, alles ist an seinem Platz und präsent, ohne sich billig in der Vordergrund zu spielen. (Also keine Zeigefinger-Fugen-Pädagogik.)


    Klanglich wird eine hervorragende Balance zwischen Transparenz und Volumen erzielt, auch die Fortissimi sind sehr gut durchhörbar. Intonation und Dramaturgie sind tadellos.


    Diese Interpretation gehört für mich mindestens auf eine Stufe mit Emerson und Takacs.

  • hier eine Bearbeitung f. Klavier zweihändig, gespielt auf einem histor. Broadwood. Ziemlich faszinierend, obwohl ich die Quartettversion doch vorziehe:


    "http://www.youtube.com/watch?v=4gRLbxLr4ik&feature=related"

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • "Gemütlich" kommen mir das Gewandhausqaurtett, Suske und Amadeus daher, das ist mir zu wenig dramatisch.r
    Gut gefallen mir Lindsays, Juilliard, Takacs, Talich, ABQ, Qu.italiano

    hallo,


    ich habe nur die aufnahme des Gewandhausquartetts - und gerade das "gemütliche" gefällt mir so gut. ich fühle mich bei mehr dramatik irgendwie "überrannt". ich kann der musik besser folgen - naja - ich bin schon ein schönklang anhänger, da reicht dann mein beschränktes musikalisches wahrnehmungsvermögen.


    gruss


    kalli

  • Wem die Große Fuge ein Buch mit 7 Siegeln ist und gut Englisch versteht, dem möchte ich diese großartige Einführung in das Werk empfehlen:


    "When I was deep in poverty, you taught me how to give" Bob Dylan

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  • In seinem Bestseller "Keine Angst vor klassischer Musik" nennt Michael Walsh Beethovens "Große Fuge" ein "ausladendes, häßliches Mammutwerk" und gibt seiner Genugtuung Ausdruck, daß der Komponist sie später durch einen anderen, leichter zugänglichen Satz ersetzt hat. Darüber kann man sicher geteilter Meinung sein, aber auch ich schätze das nachkomponierte Finale von Op. 130 mehr. Doch von "häßlich" zu sprechen, halte ich schon sehr gewagt.

    Allerdings gibt es eine Orchesterbearbeitung dieses Op. 133, die mir persönlich zu massig, zu wuchtig und fast unnahbar klingt. Sowohl Otto Klemperer als auch Herbert von Karajan haben Aufnahmen davon hinterlassen:

    41CQmsDX-AL._SX300_.jpg


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    Klemperer koppelt mit der "Eroica", während Karajans Version zusammen mit Schuberts Neunter veröffentlicht wurde. Beides sind Stereo-Produktionen, von 1956 (Klemperer) und 1970 (Karajan).


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Der Mann, der das youtube-Video gemacht hat, zieht als Finale ebenfalls das nachkomponierte Finale vor. Ich höre das Stück seit über 30 Jahren, aber in so einem Analysevideo kommt es mir eher noch irrer vor, weil man stärker auf Details aufmerksam wird, während man (jedenfalls ich) sich bei normalem Hören eher mitreißen lässt

    Die Analyse ist übrigens nicht sehr technisch (harmon. Analyse kommt praktisch nicht vor und auch bei der Kontrapunktik wird nicht wirklich ins Detail gegangen), aber sie zeigt sehr schön den Aufbau und die fast unzähligen Metamorphosen des thematischen Materials. Vermutlich findet man in der Renaissance und bei Bach raffinierteren Kontrapunkt, aber eine ähnliche Verdichtung über so ein langes Stück hinweg dürfte schon selten sein und die Kombination mit der Rhythmik (die Stravinsky in dem berühmten Zitat hervorhob) und dem Ausdruck macht das Stück einzigartig.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Worauf die Analyse auf youtube gar nicht eingeht (wiewohl es am Anfang kurz erwähnt wird), ist, wie man op.133 als Sonatensatz oder als quasi-mehrsätziges einsätziges Werk interpretieren kann. Das ist ja eine Gemeinsamkeit mit dem Finale der 9. Sinfonie, wobei dort der Variationencharakter dominiert. Schubert hatte mit der Wandererfantasie schon 1822, also kurz vor Beethovens 9. ein ähnlich integriertes Werk komponiert, wenn auch umgekehrt, also 4 pausenlose, eng thematisch zusammenhängende Sätze anstatt einen Satz mit Unterabschnitten, die den typischen Sätzen eines mehrsätzigen Werks ähneln. Atkinson betrachtet das Werk eher als einzigartig und deutet nur an, wie die Abschnitte mit den üblichen eines Sonatensatzes zusammenhängen.

    1. Die Overtura/Einleitung ist immer gleich

    2. Allegro 4/4 B-Dur mit punktiertem Kontrasubjekt entspricht "1. Thema" (was natürlich irre lange für einen Hauptthemaabschnitt wäre) bzw. dem "ersten Satz"

    3. ab T. 159: Meno mosso Ges-Dur entspricht "2. Thema" oder langsamem Satz

    4. ab T. 233: Allegro molto e con brio 6/8 B-Dur zuerst: 4a kurzes "Scherzando"-Intermezzo bis Buchstabe F T. 272, dann 4b As-Dur-Vorzeichnung mit dem ersten Auftreten der breiten ff-Themengestalt seit der Overtura, nun als Thema der nächsten Fuge. 4c ab T 414 Vorzeichnung Es-Dur mit einer neuen Themengestalt (zuerst in der Vl.1) Das wäre in der Mehrsatzdeutung sozusagen alles "Finale".
    5. T. 493 Meno mosso 2/4 As-Dur "Reprise der "langsamen Themengestalt aus ", allerdings noch nicht B-Dur erreicht.

    6. ab T. 533 Allegro molto e con brio B-Dur 6/8 "Reprise" des Scherzando 4a und Weiterverarbeitung (u.a. mit dem Grundthema in einer pizzicato-Variante)
    T. 657-62 Zitate des Beginns von 2 und 3. Das ist wieder eine Gemeinsamkeit mit dem Finale der 9., nur an ganz anderer Stelle, wie eine "Erinnerung" (so machen das ja später Schumann und Brahms manchmal).

    7. T. 662-741 Coda


    Für die Themengestalten und -metamorphosen ist das Video kaum zu schlagen.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Daniel Barenboim hat kürzlich in den Salzburger Festspielen mit seinem West-Eastern Divan Orchestra die Große Fuge in einer fantastischen Orchesterfassung aufgeführt . Klanglich so meisterhaft, wie ich es bisher in noch keiner anderen Orchesterversion gehört habe. Nur ausgerechnet der Climax des Werkes 34:38 - 35:12 kommt leider viel zu schwach und zurückhaltend rüber.

    --> ab 22:10 : https://www.arte.tv/de/videos/…chestra-daniel-barenboim/

    "When I was deep in poverty, you taught me how to give" Bob Dylan

  • Ich möchte noch auf eine Einspielung der "Großen Fuge" hinweisen, die ziemlich neu und IMHO sehr gut gespielt ist. Das Tetzlaff Quartett hat mit



    eine sehr überlegte und, besonders was die Fuge angeht, eine wirklich polyphone Einspielung geliefert, der ich mittlerweile schon mehrfach (allerdings immer zusammen mit op. 130) mit Freude gehört habe.

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  • Erhellend für das Verständnis ist die in Beitrag 40 von gerdprengel gepostete You Tube Analyse "Entmystifizierung der Grossen Fuge op. 133".


    Der Autor Richard Atkinson hat sich 20 Jahre mit diesem Werk auseinandergesetzt. Eine vorbildliche Analyse.


    Prädikat: sehr empfehlenswert :!:


    Die farbigen Markierungen habe ich in meine Partitur übertragen.


    Auch die Anmerkungen von Johannes Roehl sind für das Verständnis hilfreich. :jubel:

    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Es hat unter den komponisten immer schon welche gegeben, die in der Großen Fuge mehr sahen, als den Schlusssatz von Op. 130 (Ich fand das immer schon ausreichend :)) Die Orchestrierungen bieten den Vorteil, die Stimmen klangfarblich zu unterscheiden.


    Zwei Orchestrierungen habe ich gefunden. Eine von Felix Weingartner mit dem WDR Symphonie Orchester unter Hans Swarowsky



    und eine etwas jüngere des Spaniers Manuel Hidalgo aus dem Jahre 1992. Es spielt wieder das WDR Symphonie Orchester, diesmal unter der Leitung von Lothar Zagrosek



    Jeder kann so entscheiden, ob ihm die Orchestrierungen gefallen und welche von beiden ggf. besser ...

  • M.E. sollte die Große Fuge nicht nur mit Streichorchester sondern mit einem Sinfonie Orchester gespielt werden, um der gigantischen Dimension dieses Werkes gerecht zu werden:

    "When I was deep in poverty, you taught me how to give" Bob Dylan