Wenn der Mist überlebt - die überschätztesten Komponisten der Musikgeschichte

  • Beispiele sind für mich die Zwölftontechnik, atonale Musik, serielle Musik, elektronische Musik. Sie erreicht mich nicht oder sie erreicht nur meinen Intellekt. Das ist für Musik zu wenig. Viele Beispiele kann ich nicht geben, weil ich vor einiger Zeit aufgegeben habe, diese Sachen zu hören, nach dem Motto, dass ein oft bestätigtes Vorurteil schließlich zu einem Urteil wird. Damit will ich jetzt aber niemand missionieren.


    Hallo dr.pingel,


    Du kennst glaube ich meine Beiträge im Thread "Musik und Gehirnforschung...".
    Und der "rasche" Gewöhnungseffekt - den manche User in diesem Thread ansprechen - ???


    Ich will Dich natürlich auch nicht missonieren - aber was elektronische Musik anbelangt, werde ich Dir spätestens morgen (ich habe momentan keinen Zugriff darauf) mindestens 2 CD posten (Klangschnipsel bei "JPC"); es sollte mich wundern, wenn diese nur Deinen Intellekt ansprechen - vielleicht haben wir auch nur unterschiedliche Vorstellungen, was elektronische Musik ist.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Ich habe den begriff "konstruiert" in einem sehr engen Modus gebraucht, nämlich dass ein Komponist ein theoretisches Konzept verwendet, was er nicht in Klang, der den Hörer erreicht,umsetzen kann.


    Nun ja. Ob der Klang den Hörer erreicht, hängt ja nicht nur vom Komponisten ab. Mit maximaler Arroganz müsste man das so formulieren: "Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen, und es klingt hohl - liegt das dann allemal am Buch?" (Frei nach Lichtenberg)


    Es gibt Hörer, die von atonaler Musik, von Zwölftonmusik, von serieller Musik usw. erreicht werden. Auch emotional! Klar: Man muss dabei seine musikalische Sozialisation überschreiten.


    Es ist vielleicht ähnlich wie das Erlernen von Sprachen. Klar, man muss Vokablen und Grammatik lernen, was sonst. Genauso wie ein Zwölftonkomponist die Regeln dieser Musik erst einmal erlernen muss und sich erarbeiten muss, wie man eine Reihe baut (schon mal nicht ganz leicht), und wie man erkennt, ob eine Reihe etwas taugt oder nicht. (Das gilt für Fugenthemen ganz analog.)


    Eine Sprache "kann" man eigentlich erst dann, wenn man nicht mehr Wort für Wort übersetzt, sondern in der fremden Sprache denkt, versteht und fühlt.


    Ich erlebe hier gelegentlich, dass hier Forumsmitglieder, die diesen Schritt ganz offensichtlich noch nicht bewältigt haben, über atonale Musik, über Zwölftonmusik usw. usw. urteilen. Und zwar negativ und vereinfachend.


    Das ist so ähnlich, als wenn jemand, der fünfzig französische Vokabeln gelernt hat, über die "Recherche du temps perdu" urteilen würde.


  • Eine Sprache "kann" man eigentlich erst dann, wenn man nicht mehr Wort für Wort übersetzt, sondern in der fremden Sprache denkt, versteht und fühlt.


    Ich erlebe hier gelegentlich, dass hier Forumsmitglieder, die diesen Schritt ganz offensichtlich noch nicht bewältigt haben, über atonale Musik, über Zwölftonmusik usw. usw. urteilen. Und zwar negativ und vereinfachend.


    Das ist so ähnlich, als wenn jemand, der fünfzig französische Vokabeln gelernt hat, über die "Recherche du temps perdu" urteilen würde.


    Lieber Wolfram,


    du hast natürlich mit allem, was du hier schreibst, vollkommen recht. Meine Pointe war nur eine andere. So urteile ich nicht über die angesprochene Musik, das wäre wirklich anmaßend, sondern sage nur, dass ich diese Sprache nicht lernen will. Ich sage also ganz klar, dass "ich diesen Schritt noch nicht bewältigt habe", aber ich sage auch deutlich, dass ich es, hervorgehend aus meiner persönlichen Erfahrung, auch nicht will, weil mir das Verhältnis von Aufwand zu Ergebnis nicht lohnend erscheint.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Wenn der Mist überlebt


    Ein falsches sprachliches Bild in meiner bescheidenen Einschätzung. "Mist" ist das Produkt eines Fäulnisprozesses, dessen Bestandteile die unverzichtbare Grundlage liefern, dass Neues entstehen kann. Die Zersetzung von komplexen organischen Molekülen führt zu einfacheren, elementaren Bestandteile, welche dann von den Lebewesen aufgenommen werden können.


    Mit dem herabsetzenden Ausdruck "Mist", der olfaktorisch negativ besetzt ist, beschreibt der Threaderöffner musikalische Werke, die ihm unverständlich sind, die sich seinem Empfinden wie seiner gedanklicher Durchdringung widersetzen. In einem zweiten Schritt geht er zur Überschätzung gewisser Werke und Komponisten über.


    Ich gebe zu Bedenken, dass Komponisten in einen gesellschaftlichen Kontext eingebettet sind, auf den sie reagieren und der zu ihren musikalischen Aussagen führt. In der aktuellen Rezeption wie im historischen Rückblick vollziehen sich dann die Bewertungen der Hörer, die sie zur Ablehnung oder Bejahung des musikalischen Gehalts bewegen. Innerpsychische Vorgänge, die den Komponisten zu einer Komposition veranlassen oder drängen, seien auch erwähnt.


    Ich mag mich an eine Dokumentation aus den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts über die Probenarbeit Leonard Bernsteins mit den Wiener Philharmonikern erinnern, die eine Mahler-Sinfonie einstudierten. Der Widerwille und Ablehnung der Orchestermitglieder diese Musik einzustudieren war im Bild deutlich zu sehen. Der Dirigent hatte Überzeugungsarbeit zu leisten, worin die Grösse dieser Musik liegt. Heute hat Mahler in der Wertschätzung einen hohen Rang erreicht.


    Ich mag nicht urteilen, ob ein Komponist überschätzt oder unterschätzt wird. Ich kann nur sagen, ob ein musikalisches Werk mir gefällt oder nicht. Das ist ein persönliches Urteil. Alles andere ist Anmassung.


    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




    Einmal editiert, zuletzt von moderato ()

  • Hallo moderato,


    unter Hinweis auf meinen Beitrag hier Nr. 203 - Du nimmst das (von mir erhoffte) Ergebnis vorweg!


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

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  • Ich hatte dazwischen schon mal anflugsweise den Verdacht, Deinen Beitrag missverstanden zu haben. Aber sei's drum.


    Es freut mich, dass wir uns dann ohnehin einig sind.


    Wahrscheinlich hast Du umgekehrt meine Äußerung über Janaceks Opern missverstanden. Das Problem ist, dass ich eigentlich zu selten die Zeit (oder ehrlicher gesagt, nicht immer die Geduld :D) finde, mehr Oper überhaupt zu hören. Ansonsten ist die Oper mit Sicherheit das Sujet, an dem sich Janaceks Originalität am spürbarsten entfaltet, eben hinsichtlich der Sprachdeklamatorik seiner musikalischen Formgebung. Das gute Dutzend seiner Orchester- und Kammermusikwerke, aber auch die Messe höre ich gerne immer mal wieder.


    Interessant genug, aber im Vergleich noch am wenigsten interessant sind die Nicht-Spätwerke, die von ihm aufgeführt werden (ein Vielschreiber war er ja ohnehin wahrlich nicht), also etwa die "Lachischen Tänze".


    :) Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Hallo dr.pingel,


    hier nun die avisierten CDs mit elektronischer Musik.


    Es sprechen auch mich nicht alle Stücke an, Manches ist auch "seicht" (aber für mich besser als die meisten Operetten) - hör' dir doch einfach die Musikschnipsel auf "JPC" an, es kann ein Einstieg sein? Über eine Antwort freut sich


    zweiterbass





    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Es gibt Hörer, die von atonaler Musik, von Zwölftonmusik, von serieller Musik usw. erreicht werden. Auch emotional! Klar: Man muss dabei seine musikalische Sozialisation überschreiten.


    Hallo Wolfram,


    einverstanden und zwar völlig, aber:


    Dieses Überschreiten ist ein verstandesmäßiger Vorgang und hat mit Emotion Nichts zu tun; erst wenn dieses Überschreiten gelungen ist, diese Musik also vom verstandesmäßigen Gehirnbereich in den emotionalen Gehirnbereich überwechseln konnte, dann entsteht Emotion. Ich verweise dazu auf den Thread "Fragen und Antworten der Gehirnforschung..."


    Wann und wie schnell und ob dies geschieht? Das hängt davon ab
    1. wie lange und wie intensiv man in den alten Gleisen gefahren ist
    2. wie lange und wie intensiv man sich mit den neuen Klängen verstandesmäßig befasst hat
    3. wie es dennoch gelingt, sich den ungewohnen Klängen zu öffnen und dabei bestimmte Gehirnregionen/-funktionen verstandesmäßig zu "überlisten".


    Besonders 3. ist von Bedeutung, wenn es nicht gelingt; deswegen glaube ich, dass man Menschen, die dieses Überspringen, -schreiten, -listen nicht zustande bringen, nicht entgegnen kann, sie mögen/wollen nicht - es funktioniert einfach nicht. (Wie heißt es im Volksmund: "Der Weg vom Bauch zum Kopf kann sehr lang sein".)


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Dieses Überschreiten ist ein verstandesmäßiger Vorgang und hat mit Emotion Nichts zu tun; erst wenn dieses Überschreiten gelungen ist, diese Musik also vom verstandesmäßigen Gehirnbereich in den emotionalen Gehirnbereich überwechseln konnte, dann entsteht Emotion. Ich verweise dazu auf den Thread "Musik und Gehirnforschung..."


    Lieber Zweiterbass,


    ich meine, dass dies einen möglichen Weg zu atonaler Musik beschreibt.


    Grundsätzlich meine ich aber, dass manche atonale Musik aber auch mit einem rein emotionalem Zugang oder bildhaften Zugang verstanden werden könnte. Z. B. Le sacré du printemps. Oder der Wozzeck. Messiaen wiederum bietet sich für mystische Zugänge an. Usw. - Hat man gar keinen Zugang, kann man sich immer noch vorstellen, das Gehörte zu tanzen.

  • Ja - aber Wozzeck war für mich zwar äußerst schwierig, aber nicht "total atonal".


    Viele Grüße
    zweiterbass

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  • Ich möchte hier den Vorschlag machen, dass man mir, so wie es Zweiter Bass dankenswerterweise schon getan hat, einfach mal ein paar Werke nennt, zwölftönige, serielle oder atonale, die ich mir anhören könnte, um diese Barriere von Kopf zu Bauch zu überspringen. Die bisher genannten Beispiele taugen dazu nicht: Le sacre du printemps kann ich pfeifen und singen (na ja), Alban Bergs Wozzeck habe ich damals 5x in Düsseldorf gesehen (mit der unvergesslichen Hildegard Behrens) und Messiaens "Quatuor" habe ich schon ein paarmal live gehört und es sehr gemocht, genau so wie seine Orgelmusik. In meinem alten Essener Vokalensemble haben wir damals zwei schwere moderne Werke gesungen, Pendereckis "Agnus Dei" und Karl Amadeus Hartmanns "Friede 48", nicht gerade atonal, aber mit schwierigsten Intervallen und vielen Dissonanzen. Ich wollte damals erst aussteigen und Pause machen, aber dank intensiver Probenarbeit haben wir es geschafft, und ich liebe diese Stücke bis heute. Da ist mir der Sprung vom Bauch in den Kopf tatsächlich gelungen, da stimmte das wirklich, was Zweiter Bass oben beschrieben hat.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Antwort zu 217 (Zweiter Bass)


    Ich habe jetzt mal in alle drei CDs hineingehört. Irgendwie verbindet sich das nicht bei mir mit elektronischer Musik, sondern (sei mir nicht böse) mit dem, was man "easy listening" nennt. Das zu hören macht keine Schwierigkeiten, und das ist gerade das Problem. Ich finde es doch sehr seicht, Hintergrundmusik. Übrigens ist bei der ersten CD "Out Asia" schon der Titel falsch, es müsste "Out of Asia" heißen.


    Vielleicht hast du noch andere Beispiele. Welche Titel etwa von Ligeti sind empfehlenswert (ich kenne nur "Lontano", das ich toll finde)?

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Na sehr schön, mit Bergs Wozzeck und Ligetis Lontano haben wir ja zwei sehr schöne und beliebte atonale Werke.
    Habt Ihr Euch das mühsam mit dem Verstand erarbeiten müssen, bevor da ein Gefühl entstehen konnte?
    8|
    Bei mir war es nicht so.
    Also wie ist das jetzt mit Eurer lustigen These aus dem "Hirn-Thread"?

  • Ich denke auch, dass die Verstandesarbeit nicht unbedingt notwendig ist.


    Mir fallen noch ein: Ligeti, "Apparition" und "Atmosphères"


    Als Analogon in der Malerei fallen mir z. B. Bilder von Maurits Cornelis Escher ein. Man kann sie natürlich analysieren und versuchen zu verstehen, wie sie "gemacht" sind. Aber wirken tun diese Werke auch so. Irgendwie haben diese Bilder etwas mit serieller Musik gemeinsam.


    Zitat

    Prinzip 2: Konstruierte Musik (lieber sage ich noch "gebastelt". Brahms: wenn mir nichts mehr einfällt, dann "arbeite" ich!) Das gilt besonders für Schönberg (der hier durchaus sein Fett abbekam) und für einen großen Teil der modernen Musik. Wie Zweiter Bass in seinem thread über Hirnforschung dargelegt hat, könnte die Erklärung die sein, dass konstruierte Musik nicht in die emotionalen Tiefenregionen dringt, wie man (na gut, ich) das von Musik erwarte.


    Zunächst: Brahms bietet m. E. sehr wohl viele Ansatzpunkte für einen (überwiegend) emotionalen Zugang zu seiner Musik. Das gilt für jugendliche Werke wie das Klaviertrio op. 8 oder das Klavierquintett op. 34 nicht minder als für die altermilderen Werke wie das zweite Streichquintett op. 111 oder das Klarinettenquintett op. 115. - Zudem sehe ich die Meisterschaft Brahms' auch eher in der kleinen Besetzung, wie dem Lied und in der Kammermusik. Rein numerisch sind die geringbesetzten Werke ja auch weitaus in der Überzahl. Den vier Sinfonien, den vier Konzerten, dem Deutschen Requiem und mehreren kleineren Chorwerken mit Orchester stehen ja Dutzende geringbesetzter Musiken gegenüber.


    Das "Gearbeitete" in Brahms' Stil war richtungsweisend. Man höre alleine die Exposition des ersten Satzes der 4. Sinfonie e-moll. Schon in der Exposition werden Durchführungstechniken für das erste Thema eingesetzt. Was dann in der "echten" Durchführung geschieht, ist nochmals etwas anderes. Oder alleine die Wunder, die Brahms kurz vor der Reprise vollbringt, wenn er ein kleines Motiv in immer neuen Beleuchtungen per Instrumentierung vorführt. Das grenzt schon an Schönbergs "Farbenstück" aus op. 16. - Bezeichnenderweise hat ja gerade Schönberg die Modernität von Brahms gerühmt und viel von dieser durchführenden Variationstechnik übernommen.


    Das Gearbeitete ist halt so gut, dass es schon wieder Kunst ist. Es ist nicht primär dafür entscheidend, dass der Zugang des Hörers ein emotionaler ist. Auch das hat einen Berührungspunkt mit Escher!

  • Die bisher genannten Beispiele taugen dazu nicht: Le sacre du printemps kann ich pfeifen und singen (na ja), Alban Bergs Wozzeck habe ich damals 5x in Düsseldorf gesehen (mit der unvergesslichen Hildegard Behrens) und Messiaens "Quatuor" habe ich schon ein paarmal live gehört und es sehr gemocht, genau so wie seine Orgelmusik. In meinem alten Essener Vokalensemble haben wir damals zwei schwere moderne Werke gesungen, Pendereckis "Agnus Dei" und Karl Amadeus Hartmanns "Friede 48", nicht gerade atonal, aber mit schwierigsten Intervallen und vielen Dissonanzen.


    Hallo dr.pingel,


    wenn ich das gewußt hätte, würde ich Dir die (tatsächliche) Hintergrundmusik "zum Einstieg" nicht angeboten haben - tut mir leid!


    Viele Grüße
    zweiterbass

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  • Das "Gearbeitete" in Brahms' Stil war richtungsweisend. Man höre alleine die Exposition des ersten Satzes der 4. Sinfonie e-moll. Schon in der Exposition werden Durchführungstechniken für das erste Thema eingesetzt. Was dann in der "echten" Durchführung geschieht, ist nochmals etwas anderes. Oder alleine die Wunder, die Brahms kurz vor der Reprise vollbringt, wenn er ein kleines Motiv in immer neuen Beleuchtungen per Instrumentierung vorführt.


    Hallo Wolfram,


    Du hast ja völlig recht, nur:
    Das hat mit der 1.Verarbeitung im Gehirn Nichts zu tun; Dein Beispiel läuft nur mit sehr viel Verstandesarbeit und die erfolgt erst um Einiges später, nach dem emotionalen "Check".


    Dass es betimmte Musik gibt, auf die sofort emotional reagiert werden kann, weil erschrocken reagiert und nicht sofort als Musik erkannt wird, ist unbestritten.


    Viele Grüße
    zweiterbass

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  • Ich möchte hier den Vorschlag machen, dass man mir, so wie es Zweiter Bass dankenswerterweise schon getan hat, einfach mal ein paar Werke nennt, zwölftönige, serielle oder atonale, die ich mir anhören könnte, um diese Barriere von Kopf zu Bauch zu überspringen.


    Die Barriere scheint ja nicht vorhanden zu sein, da Wozzeck und Lontano jenseits der Barriere liegen müssten.
    Dennoch poste ich jetzt zwei CD-Empfehlungen:

    Herbert Kegel dirigiert Schönberg, Berg, Webern
    hervorragende Aufnahmen zu einem extrem billigen Preis.
    In der Box sind enthalten:
    Schönberg: Gurre-Lieder; Moses & Aron (Gesamtaufnahme); Ein Überlebender aus Warschau op. 46
    Berg: Wozzek (Gesamtaufnahme); 3 Fragmente aus Wozzek; Violinkonzert "Dem Andenken eines Engels"; Lulu-Suite
    Webern: Orchesterstücke op. 6 Nr. 1-6; op. 10 Nr. 1-5; Passacaglia op. 1; Sätze für Streichquartett op. 5 (in der Version für Orchester); Symphonie op. 21
    Also tonale, frei atonale und zwölftönige Werke der drei zentralen Klassiker.



    Pierre Boulez dirigiert Webern, Varèse, Berio
    Hier sind Weberns Gesamtwerk und sämtliche Instrumentalwerke von Varèse vorhanden.


    Für die Nachkriegs-Avantgarde gibt es keine so praktischen preiswerten Boxen. Die seriellen Stücke, die man kennen sollte, sind etwa "Le marteau sans maître" von Boulez, "Gruppen" von Stockhausen und "Il canto sospeso" von Nono, leider nur teuer zu bekommen.

  • Antwort zu 217 (Zweiter Bass)


    Ich habe jetzt mal in alle drei CDs hineingehört. Irgendwie verbindet sich das nicht bei mir mit elektronischer Musik, sondern (sei mir nicht böse) mit dem, was man "easy listening" nennt. Das zu hören macht keine Schwierigkeiten, und das ist gerade das Problem. Ich finde es doch sehr seicht, Hintergrundmusik. Übrigens ist bei der ersten CD "Out Asia" schon der Titel falsch, es müsste "Out of Asia" heißen.


    Vielleicht hast du noch andere Beispiele. Welche Titel etwa von Ligeti sind empfehlenswert (ich kenne nur "Lontano", das ich toll finde)?


    Auch für elektronische Musik gibt es eine preiswerten Kompilation einiger Klassiker:

    Ich nenne nur die berühmtesten Werke hieraus:


    Varèse: Poème Electronique
    Cage: Fontana Mix
    Xenakis: Diamorphoses
    Ligeti: Artikulation
    Stockhausen: Studie 1; Gesang der Jünglinge
    Pousseur: Scambi


    Das hat dann mit "easy listening" weniger zu tun.
    :D

  • Ich bin überrascht, wie sich dieser thread, offensichtlich durch meine Beiträge, von einer "Mistliste" zu einer Positivliste gewandelt hat. Ich selber habe davon außerordentlich profitiert. Ich wusste zwar vorher schon, dass ich nicht so ganz der klassische konservative Hörer bin (das ist man wohl doch nicht, wenn man Janacek, Strawinski, Prokofiew und Schostakowitsch ausgesprochen gerne hört). Aber hier wurden jetzt doch viele Beispiele genannt für neuere Musik, von denen ich mir bestimmt einiges besorgen werde (wahrscheinlich werde ich mit Ligeti beginnen). Ich danke allen, die hier dazu beigetragen habe. Das sind so Dinge, die man nur hier im forum bekommt.


    An spezielles Wort an Dich, lieber Zweiter Bass. Ich habe überlegt, ob ich meine Meinung zu deinen drei Vorschlägen offen sagen sollte oder nicht. Ich habe mich dann entschieden, das klar zu sagen, denn ich kenne sehr viele von deinen Beiträgen hier, die ich wegen ihrer Sachkenntnis, Originalität und nicht zuletzt wegen ihrer gekonnten Formulierungen schätze. Also, wenn du hier mal daneben gegriffen hast, was ist das im Vergleich zu dem, was ich von dir schon gelernt habe?

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

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  • Hallo lieber zweiterbass!


    Ich muss ganz am Anfang gestehen, dass ich noch nie ein Werk gehört habe, zu dem ich überhaupt keinen Bezug hatte.
    Gut, ich finde die Opern von Richard Strauss überschätzt (liebe aber seine Sinfonischen Dichtungen) und möglicherweise auch viele VKs von Vivaldi,
    aber dass ich jetzt wirklich von einem Werk sprechen könnte, wo ich gesagt habe: "das ist ein Blödsinn", das hab ich noch nie gehabt. :S


    Mein Zugang zur Musik, oder zur gesamten Kunst ist der, dass ich Kunst immer mit Beschäftigung verbinde.
    Ich halte nichts von dem heutigen Gesellschaftsdenken, einfach in ein Konzert zu gehen und sich "berieseln" zu lassen, oder sich unterhalten zu lassen, weil man diese Musik schön findet.
    Soll nicht heißen, dass Musik für mich keine Unterhaltung ist, sie ist es nämlich, aber die Unterhaltung ist für mich das ERLEBEN der Musik. Wenn sich ein Ton nach dem anderen meinem Bewusstsein enthüllt, und sich immer mehr, Stück für Stück das gesamte Werk als ein riesiges Kunstwerk entpuppt, das ist für mich die Unterhaltung an der Musik.


    Wenn ich die transzendente Kraft der Musik spüren kann, wenn ich fühle, wie durch sie meine Umwelt beseelt und besser wird, es ist einfach wunderschön.


    Ich habe hier kein richtiges "Rezept", keinen Geheimtipp, aber die Beschäftigung mit Musik beginnt in meinen Augen damit, dass ich die Musik über meine Erwartungen stelle.
    Dass ich nicht Musik höre, weil ich gerade diesen Komponisten oder diese Epoche mag, sondern ich will es hören, weil es Musik ist.


    Und diese Musik ist so etwas wunderbares, dass die Beschäftigung mit ihr etwas Essentielles für mich ist, was auch von Werk zu Werk verschieden ist.
    Manchmal blättere ich die Partitur durch (wenn ich sie habe) oder hole mir Hintergrundinformationen aus Internet oder Büchern.
    Je mehr man sich mit einem Werk beschäftigt, desto mehr Bindung verspürt man zu diesem Werk und es verändert sich auch die Sichtweise darauf.


    Ein gutes Beispiel dafür ist das Requiem von Mozart. Es gibt IMO kein anderes Werk in der Musikgeschichte, das so "ver-romantisiert" worden ist wie dieses Meisterwerk.
    Hier hat sich meine Sichtweise auf das Werk und seiner vielen Fassungen mit der Zeit radikal verändert.


    Aber das ist ja das Schöne an der Kunst - sie sagt uns immer etwas Anderes.


    Gruß :hello:

    Komponiert ist schon alles - aber geschrieben noch nicht. (W.A. Mozart)

  • Hallo lieber.....(ich bitte um Entschuldigung, aber ich weiß nicht, wie ich Dich ansprechen kann?),


    Deine späte - aber lieber spät als garnicht - Antwort freut mich. Ich mußte erst im Thread zurückblättern, um den Zusammenhang wieder parat zu haben.


    Für mich gibt es vier Wege:


    1. Wenn Du magst, dann lies doch den von mir eröffneten Thread "Morten Lauridsen" quer oder u.U. ganz.
    Lux aeterna habe ich inzwischen sicher schon 50x gehört und mir vertraut gemacht, ebenso die 3 Vertonungen lat. Texte; auch die Madrigali und die Vertonungen der Gedichte von Rilke und Graves kenne ich nun ganz gut.


    2. Als Jugendlicher bin ich so langsam in die Klassik hineingeschliddert - eine Kindergartenleiterin* - Nachbarin im Mietshaus - hat mir LP-DG-Archivaufnahmen mit Bach vorgespielt...


    3. Da ich schon mit 15 Jahren in einem sehr guten Privat-A-cappella-Chor im Baß mitgesungen habe (durfte),
    war ziemlich bald die 45-er LP "Missa papae marcelli" eine meiner wenigen LPs... Und eines meiner seltenen damaligen Konzerterlebisse (Spende von*) war Fischer-Dieskau - siehe meine Beteiligung am Thread "Schuberts Winterreise..."


    4. Mit meinem heute 19-jähriger Sohn höre ich gemeinsam über Kopfhörer die von ihm ausgesuchten Komponisten des 20. Jahrhunderts und er hat von mir meine Liebe zur franz. Orgelmusik auch für sich entdeckt. Ich muß/will ein Werk oft hören, um die anfängliche Emotionalität mit Verstehen zu vereinen, aber auch umgekehrt, ein mir fremdes Werk auch emotional zu erschließen.



    Herzliche Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler


  • hallo Zweiterbass,


    vielen Dank für diesen Link, ich habe mir eben den Download aller 3 CDs dieser Formation 'Light Out Asia' (die Gruppe kann sich doch nennen wie sie will) bei Amazon vorgemerkt. Diese Musik ist (neben der Klassischen natürlich) einfach meins.


    rolo :jubel:

    Es wird immer weitergehn, Musik als Träger von Ideen.

    Kraftwerk

  • Hallo rolo betman,


    besonders mein Sohn (19) hat sich über Deine Antwort gefreut - ich nat. auch - von ihm stammen die Hinweise auf die 3 CDs, die ich eingestellt habe. Wir teilen uns nämlich "die Musik" auf, er gibt mir Hinweise auf Musik des 20. Jahrhunderts und auf elektronisch erzeugte Musik, dafür habe ich bei ihm Interesse an Orgelmusik geweckt.


    Ich habe soeben eine Antwort auf Deinen Beitrag "Miaskowsky 19. Sinfonie für Blasorchester" eingestellt.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler