Auf den Spuren von Beethoven? - Franz Schubert: Sinfonie Nr. 9 C-Dur, D 944 "Die Große"

  • hm, meine derzeitige Hypothese ist, daß im Gegensatz zu den Beethovensymphonien, die auch lt. Beethoven für schnelle Tempi komponiert wurden und deshalb dann auch mehr "Sinn" ergeben (für mich z.B. aber auch für viele Andere) in der Leibowitz-Fassung (RPO London wohlgemerkt) , bei Schubert es genau umgekehrt sein könnte: Schubert hatte sie vermutlich für mittlere Tempi komponiert, womit sie am besten begreifbar sind und die Übertragung, daß bei Schubert hohe Tempi ebenfalls ein Gewinn bringen, könnte ein Irrtum sein.


    Ich habe gerade gemerkt, daß ich versehentlich in einem vorherigen Post geschrieben hatte, daß besonders der 2. Satz bei Leibowitz zu schnell sei, nach meinem Befinden, aber ich meinte vor allem den Schluß des ersten Satzes und den Dritten, der Zweite ist nicht ganz so schnell, wie schon von Dir bemerkt, sondern dann der Dritte ist aber wieder auffallend schnell bei Leibowitz. Habe eben nochmal die ganze Symphonie durchgehört und gewöhnte mich nun ein wenig an das Tempo, sehe auch mittlerweile einige Vorteile, aber es fühlt sich falsch an, da die strengeren Themen sehr mechanisch klingen und die ruhigen Zwischentöne im Kontrast gehen eher manchmal etwas lieblose in der Wirkung unter, wenn auch manchmal durch das Tempo die vergnügten Stellen herausgearbeitet sind. Zudem gehen manche Nebenstimmen wie verquirlt manchmal der Wahrnehmung verloren, aber nicht weil sie nicht detailgenau gespielt wären, sondern weil alles so schnell geht. Auch ist da ein statischer Gesamteindruck, wie ein Stahlgerüst, ohne organisches Atmen, fast wie von einem Automaten gleichförmig automatisiert gespielt. Mal davon abgesehen, ist der Sound bei Böhm/Berliner wärmer. Das Scherzo ist ja teilweise im 3/4 Takt, den könnte bei Leibowitz nur von trainierten Sportturnern getanzt werden, wohingegen bei Böhm ein vergnügtes Tanzpaar in den Sinn kommen kann. Nein ich bleibe dabei, da ist mehr Menschlichkeit und Herz bei Böhm, ohne daß es etwa kitschig oder süßlich klingen würde. Der Vierte Satz ist bei Böhm auch nicht gerade langsam, zwischendrin wird das Tempo angezogen...bei Leibowitz High-Speed...dadurch ernster, straffer. Respekt für die Genauigkeit des Spiels und die Durchsichtigkeit des Klangs. Wie gesagt irgendwann gewöhn ich mich noch an den Drive...denn es gibt auch erstaunlich vorteilhafte Stellen. Vielleicht ist ja die Einspielung mit dem "Vienna State Opera Orchestra", die langsamer ist, was für mich...

    Da wir uns hier im Kreis drehen: Mal schaun was Rene´L. selbst dazu zu sagen hat (=Buchlieferung noch abzuwarten).

  • Da in einem Parallelthread René Leibowitz erwähnt wurde: Er spielte innerhalb kurzer Zeit zwei Stereo-Aufnahmen ein. Wobei ich nicht sicher bin, ob die erste je auf CD herauskam.


    Ich weiß auch nicht, ob die erstgenannte Aufnahme jemals auf CD erschien,

    Danke Euch, diese erste Einspielung mit dem Wiener Orchester (Staatsoper) ist in der Tat nicht so nervös und sehr interessant; ich habe eben reingehört im Stream, ich habe nirgends eine CD-Fassung gefunden oder eine Erwähnung als CD, lediglich LP-Fassungen, die aber bei uns wohl nie erschienen sind und nur noch selten aus dem Ausland gebraucht (max. very good +) zu beziehen sind.

  • Schubert ist halt auch in der 9. (wie in den frühen) sehr "flächig", besonders in den schnellen Sätzen. Noch viel mehr natürlich in den früheren, die Unvollendete würde ich ein wenig ausnehmen, aber auch hier zeigt das "Motto" am Anfang im Bass, das in ganzen Takten geht, dass man nicht zu sehr schleppen sollte. (Ein Satz, bei dem viele Interpreten m.E. ein unplausibel breites Tempo nehmen, weil sie nicht die nächstgrößere Einheit als Maß nehmen, ist das Finale der 6.)

    Grob kann man sagen, dass die Große C-Dur als Vorbild Beethovens 7. nimmt, aber in den Ecksätzen mit noch einfacheren, manchmal obsessiv wiederholten, kleinen, oft rhythmisch bestimmten Motiven arbeitet. Die Beethovensinfonien, jedenfalls zB Eroica, Pastorale, 9. vertragen m.E. eher breitere Tempi, weil da einfach "mehr passiert". Die Musik ist nicht so breitflächig angelegt. Andererseits ist Beethoven meistens auch dramatischer, daher passen auch schnelle Tempi.

    Bei Schubert gibt es m.E. schon einige Sätze, wie etwa das Finale der 9. (noch mehr die Finali der Quartette d-moll und G-Dur), die "gehetzt", atemlos wirken können/sollen. Vieles andere scheint mir aber besser als "flüssig statt hektisch", zB der Kopfsatz der 9. Zu breit kann aber auch tödlich sein.

    Ich habe vermutlich schon ein paar mal geschrieben, dass ich die 9. für ein sehr schwierig zu treffendes Werk halte.

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  • ja, deshalb flüssige, mittlere, nicht zu langsame Tempi für die 9. besser, dann nämlich "flüssig" statt gehetzt, aber ob man so weit gehen muß wie Leibowitz mit dem RPO? Ich finde auch, daß Beethovens Symphonien eher (falsche) langsame Tempi vertragen als die von Schubert und Deine Begründung stimmt. Dennoch wird bei Beethoven dann mit zu langsamen Tempi zwar eine schöne, hörbare Musik, quasi hedonistisch genießbar draus, der geistige Gehalt wird aber durch Straffung erst deutlicher und bei Schubert kommt bei langsamen Tempi noch ein Nachteil zusätzlich dazu, daß es bräsig, statisch wirken kann.


    Schubert langsam gespielt ist also noch "falscher" als Beethoven langsam, könnte man sagen. Das sagt aber nichts über die Qualität, also wer besser komponiert hätte aus, sondern es sagt nur, daß das Werk Schuberts eben sicherer bestimmbar nicht für langsame Tempi komponiert wurde.


    Ich stimme Dir auch am anderen Ende zu, bei den schnelleren ist es genauso zu hören, denn Beethovens Symphonien vertragen auch höhere Tempi besser als jene Schuberts, was man dann bei der RPO-Leibowitz-Aufnahme bewiesen bekommen könnte, sofern es so wirkt, wie auf mich.


    Also Zwischenergebnis: Schuberts 9. ist besonders empfindlich, was das richtige Tempo angeht. Mit Blomstedts Gesamteinspielung bin ich deshalb nie bei Schubert reingekommen, erst als ich Böhm (etwas dichter und feiner modelliert) und nun die erste Version von Leibowitz (nicht RPO) hörte, zündete es.

  • Schubert langsam gespielt ist also noch "falscher" als Beethoven langsam, könnte man sagen. Das sagt aber nichts über die Qualität, also wer besser komponiert hätte aus, sondern es sagt nur, daß das Werk Schuberts eben sicherer bestimmbar nicht für langsame Tempi komponiert wurde.

    Schade dass Svjatoslav Richter zu früh gestorben ist, um sich im Tamino-Klassikforum über die richtigen Tempi bei Schubert zu informieren. Er hätte dann zweifellos auf seine falschen verzichtet.

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    "Mir nicht."
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  • Schubert langsam gespielt ist also noch "falscher" als Beethoven langsam, könnte man sagen. Das sagt aber nichts über die Qualität, also wer besser komponiert hätte aus, sondern es sagt nur, daß das Werk Schuberts eben sicherer bestimmbar nicht für langsame Tempi komponiert wurde.

    Lieber Gerd, wann ist ein Tempo "langsam falsch"?


    Colin Davis benötigte, da er alle Wiederholungen spielen ließ, für seine Aufnahme der 9. Sinfonie über 61 Minuten: 16:44, 13:54, 15:00 und 16:05. Er war somit ca. vier Minuten langsamer als Jos van Immerseel: 14:30, 13:10, 14:31 und 15:20 (wegen der besseren Vergleichbarkeit habe ich eine andere Einspielung genommen, bei der alle Wiederholungen beachtet wurden).


    Von Furtwängler oder Carlo Maria Giulini will ich da gar nicht erst sprechen, aber ich empfinde Colin Davis' Interpretation als ganz wunderbar, so wie ich viele seiner Aufnahmen deswegen so schätze, weil es ihm gelang, seine Liebe zur Musik, zu den gespielten Werken, dem Orchester und auch dem Publikum zu vermitteln. Es ist eine (mich) tief berührende, "schöne", verinnerlichte, warmherzige, mit ganz wunderbarem Orchesterspiel versehene Einspielung, die ich nicht missen möchte. Van Immerseel schätze ich für seine "schwungvolle Eleganz" aber die Aufnahme mit Colin Davis liebe ich wie kaum eine zweite dieses Werkes.


    Es gibt für mich keine Unterscheidung zwischen "schnell" und "langsam", sondern zwischen "passend" und "nicht passend".


    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Wann? Dann , wenn es nach bestimmten Kriterien viele Indizien dafür gibt:

    Aber wir sind durchaus einer Meinung, grundsätzlich gilt für alle Kompositionen: passend kann schnell, mittel oder langsam sein, nicht passend (als "falsch" empfunden) aber auch, Kriterium kann nur das eigene Anhören und die Erkenntnis, wie die Musik ihre Bedeutung entfaltet sein, es ist also im Grunde kein objektiver Maßstab, höchstens intersubjektiv, indem sich eine relevante Menge von Hörern (ggf. mit Klassikerfahrung) einig wäre. Wir hatten hier die Arbeit von Leibowitz (RPO 9.) unter die Lupe genommen und versucht, seiner Logik von falsch und richtig bei Schuberts 9. zu folgen, und dabei habe ich eben Zweifel bekommen. Im Grunde ist natürlich alles erlaubt was gefällt und was für einen falsch ist, ist für den Anderen richtig.


    Ich werde mir mal die von Dir gelobten Fassungen anhören, denn die bisher langsameren Einspielung der 9. Schuberts haben mich ratlos und desorientiert hinterlassen, deshalb war das Kriterium Tempo für mich erst mal wichtig, ich weiß natürlich auch, daß sich die Einspielungen noch hinsichtlich anderer Merkmale unterscheiden und das Tempo ja auch variabel modelliert sein kann. Allerdings habe ich bisher auch bei Mozart oder Beethoven letztlich die sehr langsameren Einspielungen nie behalten, weil sie für mich einfach nicht funktioniert haben und weniger geistige Anregung und Schlüssigkeit geboten hatten, wenn auch die Stimmen behaglich wunderschön herauszugenießen waren manchmal.

  • Schade dass Svjatoslav Richter zu früh gestorben ist, um sich im Tamino-Klassikforum über die richtigen Tempi bei Schubert zu informieren. Er hätte dann zweifellos auf seine falschen verzichtet.

    Ich glaube nicht, dass irgendein Dirigent bspw. die Große C-Dur Sinfonie auch nur annähernd so langsam dirigiert hat, wie Richter u.a. in seiner Nachfolge einige Sonatensätze spielen. Das hat schon auch was mit den konkreten Stücken zu tun. Die Sonatensätze, die ultralangsam gespielt werden, hauptsächlich die jeweils ersten von D 894 und 960 sind ja auch ziemlich anders als der Kopfsatz der Sinfonie.

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  • Ein gewähltes Tempo sollte immer zur Sicht auf das Stück passen. Insofern lassen sich absolute Äußerungen, was "zu langsam" oder "zu schnell" ist, pauschal kaum treffen. (Ich schaue jetzt mal auf die Uhr und zähle die Minuten, bis ein Naseweis mit dem Extrem-Gegenbeispiel ankommt, dass jemand aus einem Prestissimo ein Largo macht. ^^)


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Die Frage des "richtigen" Tempos gehört zu den schwierigsten interpretatorischen Entscheidungen überhaupt. Der wichtigste Grund dafür ist, dass sie nicht isoliert für sich getroffen werden kann sondern von unzähligen anderen Entscheidungen abhängt, die aber umgekehrt wiederum auch sie beeinflussen. Jede Änderung an einer Stelle hat also Konsequenzen an fast allen anderen. Hinzu kommen noch praktische Erwägungen wie die Saalakustik, Möglichkeiten und Grenzen des verwendeten Instrumentariums oder Fähigkeiten der mitwirkenden Musiker. Und als wäre das noch nicht genug, ist so gut wie kein Musiker in der Lage, ein bestimmtes, für "richtig" erachtetes Tempo unter allen denkbaren und vorkommenden Umständen, in jeder Stimmung, in jeder körperlichen oder mentalen Verfassung auch perfekt zu treffen - so etwas wie ein "absolutes Gehör für Tempi" gibt es höchstens extrem selten. Er wird also immer in der konkreten Siutation mit dem weiter arbeiten, es sinnvoll ausfüllen und fortsetzen müssen, was er sich selbst gegeben hat. Insofern wundere ich mich, dass immer noch mit Spielzeiten argumentiert wird, als würden die allein irgendetwas aussagen. Dasselbe gilt natürlich auch für Metronomzahlen, die schon deshalb nicht alle Fragen beantworten, weil die allermeisten Komponisten (wenn sie überhaupt metronomisieren) zusätzlich Tempo- oder Charakterbezeichungen schreiben. Rudolf Kolisch hat bekanntlich die - für sich genommen nicht besonders orginielle - These eines Zusammenhangs zwischen Tempo und Charakter aufgestellt, die zwar, weil der "Charakter" nicht allein vom Tempo abhängt, ebenfalls eine grobe Vereinfachung darstellt, die aber immerhin ein Einstieg in den Entscheidungsprozess sein kann (dass Kolisch bei Beethoven dann nur eine begrenzte Zahl wiederkehrender Charaktere behauptete, um auf diese Weise Tempo-Beziehungen quer über das Gesamtwerk zu ziehen, finde ich hingegen wenig überzeugend, und Leibowitz bezieht sich in dem weiter oben genannten Aufsatz in den "Musik-Konzepten" ausdrücklich auf Kolisch).

    Bei der großen C-Dur-Symphonie gibt es im ersten Satz immerhin mit dem "ma non troppo" einen Hinweis, dass Schubert ein zu schnelles Tempo befürchtet hat, denn sonst wäre dieser Zusatz überflüssig. Aber was heißt das konkret? Dazu muss man wie gesagt unzählige kleinere und größere Entscheidungen treffen, die dann ein hoffentlich stimmiges Gesamtsystem ergeben. Man müsste auch für sich entscheiden, ab wann denn das Allegro "troppo" wäre. Eine wichtige, größere Frage wäre, wie man die Beziehung von erstem und zweitem Thema gestalten will: Colin Davis hat sich bei der o.g. Aufnahme dafür entschieden, das zweite Thema im Grundtempo nur ganz leicht zurückzunehmen, wodurch man eine Beziehung zwischen den triolischen Repetitionen des ersten und den Viertel-Impulsen des zweiten hören kann, die beide Themen miteinander verbindet. Ich finde das ausgesprochen überzeugend, aber natürlich gibt es auch ganz andere, sogar entgegengesetzte Möglichkeiten. Oder das Finale: Ist "vivace" hier nicht doch vielleicht "lebhaft" im Sinne von Lebensfreude? Oder spricht die Coda mit den "Hammerschlägen" eher für eine Art Todesritt hin zu dieser Katastrophe? Was hat das dann jeweils für Auswirkungen auf den allerletzten Schluss? Und so weiter: Ich schlage vor, nicht die Spielzeiten zu diskutieren, die verschiedene Dirigenten brauchen, sondern das, was in dieser Zeit geschieht.


    Ich glaube nicht, dass irgendein Dirigent bspw. die Große C-Dur Sinfonie auch nur annähernd so langsam dirigiert hat, wie Richter u.a. in seiner Nachfolge einige Sonatensätze spielen. Das hat schon auch was mit den konkreten Stücken zu tun.

    Ja, aber hier war allgemein von Schubert die Rede ("Schubert langsam gespielt ist also noch 'falscher' als Beethoven langsam"). Außerdem: Auch wenn es bisher keine Große C-Dur-Symphonie in Richterscher Langsamkeit gibt, beweist das nicht, dass es nicht möglich wäre. Ich habe schon zu oft überzeugende, mitreißende, bewegende Dinge gehört, die ich zuvor für unmöglich gehalten hätte, um da vorschnelle Grenzen zu ziehen.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
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  • Sehr getragene Einspielungen (aufgrund der Wiederholungen oft nicht leicht zu ermitteln):


    Schippers/Cincinnati SO (Vox 1976): 14:34 - 14:34 - 10:59 - 12:04

    Giulini/BRSO (Sony 1993): 15:03 - 16:43 - 11:43 - 13:11

    Celibidache/MPhil (EMI 1994): 15:34 - 16:32 - 10:19 - 13:06

    Thielemann/MPhil (MPhil 2006): 18:27 - 17:14 - 16:06 - 12:12


    Wobei den mit Abstand langsamsten Beginn hiervon tatsächlich Schippers hat (eine seiner letzten Aufnahmen). Mehr Largo denn Andante.


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich schlage vor, nicht die Spielzeiten zu diskutieren, die verschiedene Dirigenten brauchen, sondern das, was in dieser Zeit geschieht.

    richtig, das reicht nicht aus, ist aber durchaus ein erstes Unterscheidungskriterium und aber dennoch wird dann eben differenzierter letztlich doch weiter auch über das Tempo gesprochen und entschieden und wenn es nur der Abstand zwischen 2 Noten wäre...

  • sondern das, was in dieser Zeit geschieht.

    ja, was in unseren Köpfen als Wirkung "geschieht" ist zu diskutieren, ok, für mich ist z.B. das Tempo von Leibowitz RPO beim 4. Satz "falsch", sagt mir mein Eindruck als Zuhörer (s. oben habe ich es detailliert beschrieben), während manche andere Versionen für mich zu langsam und bräsig wirken, deshalb bin ich auf der Suche nach der "richtigen" das ist natürlich subjektiv und nicht allgemeingültig! Eure Vorschläge abzuarbeiten dauert allerdings erstmal...Übrigens auch bei jedem noch so bewundernswerten "Meister"-Dirigenten, ist jede Einspielung doch eine subjektive Entscheidung. Schubert müßte man fragen können. Ich nehme aber erkenntnisgewinnend grade wahr, daß es sehr wohl, genau wie bei Beethovens Symphonien, sehr viele Anhänger von langsameren Einspielungen gibt, die bei den Hörern sehr wohl (irgendeinen) geistigen Sinn oder zumindest Wohlklang ergeben.

    Ich würde niemals es wagen, Dinge zu sagen wie: je schneller, desto weniger rührseelig-romantisch-hedonistisch-deutsch-gemütlich, denn das wäre zu platt und zu einfach und Einspielungen sind in der Tat einfach viel mehrdimensionaler. Wann kommt endlich das Büchlein mit den Beiträgen von Rene´L. endlich bei mir an...so lange erfreue ich mich an Böhms Version weiter...

  • ja, was in unseren Köpfen als Wirkung "geschieht" ist zu diskutieren, ok

    Du hast mich missverstanden: Bevor man über die Wirkungen irgendwelcher Dinge diskutieren will, muss man zuerst einmal die Dinge selbst erkennen, benennen, beschreiben, in ihrer Bedeutung und ihrem Zusammenhang verstehen. Was sie bei wem "bewirken" kann nicht diskutiert sondern höchstens gegenseitig mitgeteilt werden.

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  • genau so meinte ich es auch, Du hast es nur besser formuliert, ich habe bereits damit angefangen zu benennen und zu beschreiben weiter oben, ich freu mich auf Deine Beschreibungen, Du darfst für meinen Geschmack dann auch gerne es vermengen mit der Wirkung, die sich bei Dir persönlich einstellt, das stört mich nicht, das kann man ja erkennen dann.

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  • Sehr getragene Einspielungen (aufgrund der Wiederholungen oft nicht leicht zu ermitteln):


    Schippers/Cincinnati SO (Vox 1976): 14:34 - 14:34 - 10:59 - 12:04

    Danke für diesen Tipp: ein gutes Bespiel dafür, wie man sowohl ruhige, als auch flüssige Tempi mischen kann, je nach Absicht des Dirigenten, sehr interessant...ich werde mir die ganze Symphonie anhören müssen, es ist wirklich bemerkenswert, wie viele nützliche Anregungen und wieviel neue Perspektiven man hier so schnell bekommen kann! Man tritt dann nicht so lange auf der Stelle...

  • Das Buch "Musik Konzepte - Franz Schubert" mit Aufsätzen verschiedener Autoren, u.a. Leibwowitz "Tempo und Charakter in Schuberts Symphonien" wurde mir glücklicherweise hier vor einer Woche empfohlen. Ich habe es heute erhalten und den Aufsatz gelesen, vor allem genauer die Stellen, in denen es um die 9. geht. Ausgehend von dem Versuch, die Charakterbestimmungen der Symphonien unter Hinzuziehung der von Schubert angegebenen "tempi ordinari" zu erfassen und zu verstehen will Leibowitz dann in einem 2. Schritt die wesentlichen "metrischen Figuren" der jeweiligen Sätze anhand der von Schubert angegebenen metrischen Symbole einbeziehen. Beides führt ihn dann zu seinem Verständnis von Tempo und Charakter dieser Musik.


    Er stellt exemplarisch an einigen Beispielen und wichtigen Stellen (3 Stellen in der 9.) dar, wie eine ihm "falsch erscheinende" Art den Takt auf Halbe Einheiten zu schlagen, anstatt auf Ganze, eine Reihe von Folgeprobleme mit sich bringen würde, die gezwungenermaßen von Dirigentenseite zu willkürlichen Entscheidungen (ohne daß Schubert Hinweise dazu gegeben hätte) bei Rhythmuswechseln (z.B. falsche erscheinende dann notwendige Beschleunigungen und zu langsame gespielte Themen) führen würden. Beispiel zum ersten Satz: da es grundsätzlich ja kein Symbol, um einen einzähligen Takt zu bezeichnen gäbe und Schubert "allegro non troppo" vorgebe, verleite dies die Dirigenten dazu, ein relativ langsames Tempo zu nehmen, obwohl es sich auf den ganzen Takt beziehe und nicht auf die Halben. Also richtig seien ca. 84-88 Metronomeinheiten.


    Er hält sich also sehr wohl an die Tempobezeichnungen Schuberts genau, (wobei er oft ans obere Ende der Möglichkeit geht) aber meint, die richtige Art der Taktschlagung erkannt zu haben, im Gegensatz zu den meisten anderen Dirigenten, was z.B. u.a. im Schluß des 1. Satzes ein verdoppeltes Tempo nach Leibowitz bringt.

    Begründen kann er das mit Vergleichen aller Schubert-Symphonien, da er Gemeinsamkeiten systematisch auflistet in dem Aufsatz und dadurch, daß er den Charakter verschiedener Stellen analysiert und bewertend überprüft. Es ist wirklich sehr interessant wie er einige Beispiele genau analysiert und die Verbindungsstücke unter die Lupe nimmt, es lohnt sich sehr, das zu lesen, muß ich sagen.


    Beim Schlußsatz behauptet Leibowitz, daß die übliche erneute Taktschlagung auf den Halben dazu führt, daß "aufs neue eine totale Unsicherheit des Tempos, das den ganzen Satz hindurch unablässig Fluktuationen erleidet" ein "brutales Innewerden der disproportionierte Länge" erklärt, die der Satz "durch das verschleppte Tempo bekommt, so daß der natürliche Fluß der musikalischen Linien völlig auseinanderfällt".


    Klingt alles nach der Lösung für durchaus häufig geschilderten Probleme dieser Symphonie, die aber entgegen Leibowitz üblicherweise eher Schubert selbst, statt den Dirigenten angelastet werden. Auch über die Unvollendete schreibt er analog: Der erste Satz würde gewöhnlich zu langsam gespielt, wegen der Bezeichnung "Allegro moderato" bezogen auf die Viertel (3/4). Leibowitz erscheint aber besser, als grundlegende metrische Einheit die punktierten Halben anzunehmen. "Die ersten acht Takte müßten ausreichen, uns den Beweis dafür zu liefern, denn sie sind kaum verstehbar, wenn man sie in Vierteln liest". So vermeide man den herkömmlichen Eindruck, daß bei der Unvollendeten 2 langsame Sätze aufeinander folgten. Darüber habe ich mich in der Tat schon immer gewundert.


    Ich scheine allerdings von meinen Hörgewohnheiten her nicht immer schritthalten zu können mit Leibowitz, es ist nämlich bei mir so, daß genau manche (Schluß der Kopfsätze) dieser Stellen, die er bei der 9. als falsch empfindet, für mich auf Halbe geschlagen schlüssiger klingen (z.B. Böhm), während manche Übergänge und die schnelleren Zwischentempi, die eben durch Leibowitz schlüssiger erscheinen mir wiederum eher einleuchten wollen. Z.B. der Anfang der Symphonie ist für mich persönlich eine Sternstunde und seine Begründungen dazu leuchten mir sehr ein.

    Ich könnte aber meine als Raserei empfundenen Stellen auch (aber nicht immer) da orten, wo Leibowitz seine Theorie über die falsch geschlagene Takteinheit entfaltet. Die Lösung könnte sein, die Interpretation von Leibowitz einfach im Ganzen insgesamt langsamer zu spielen, dann wären die "schnellen" auf Ganze geschlagenen Stellen nicht so rasend, vielleicht hat ja irgendein neuerer Dirigent das Problem so gelöst.


    Was ich hier nicht aufführen kann, ist die lange "empirische" (wie er sagt) Begründung mittels Vergleich aller Schubertsymphonien.


    Der Aufsatz hat mir also einige Fragen beantwortet und bisher unbekannte Aspekte gezeigt, aber auch neue Fragen aufgeworfen, die noch komplexer ins Detail gehen. Also werde ich mich weiter darauf verlassen müssen, was sich für mich "falsch" oder "richtig" anhört. Oder um es mit den Worten von Leibowitz zu sagen: ich suche weiter "jene Interpretation, die ich als authentisch vertrete"n kann.


    Als nächstes werde ich - mit neuen Fragen - Marriners Lösungsversuch zur 9. unter die Lupe nehmen...und auch all die anderen Artikel zu Schubert nach und nach lesen.

  • Ich finde, dass der Leibowitz-Artikel zwar durchaus lesens- und bedenkenswert ist, dass er aber auch erkennbar ein Kind seiner Zeit (der späten 60er bzw. frühen 70er Jahre) ist. Das sieht man vor allem an seinem Versuch, interpretatorische Entscheidungen gewissermaßen zu "entsubjektivieren": Im ganzen Artikel, der sich doch laut Titel mit dem "Charakter" der Symphonien beschäfitgen will, ist mit keinem einzigen Wort von deren Ausdruck, Aussage, Inhalt oder Atmosphäre die Rede. Der "Charakter" wird einzig an Rhythmen, Tempoverhältnissen usw. festgemacht, also an Dingen, die eigentlich eher Strukturen als "Charaktere" beschreiben. Das passt in eine Zeit, die der Idee des gewissermaßen gottgegebenen "Einfalls" und dem Genie-Gedanken - durchaus zu recht - mehr und mehr kritisch gegenüber stand und statt dessen nach Verbindlichkeiten in der Struktur suchte bzw. strebte und sämtliche interpratorischen (bzw. kompositorischen) Entscheidungen "objektivieren" wollte. Etwas überspitzt gesagt war individueller, aus der Persönlichkeit des Musikers erwachsender "Ausdruck" suspekt, in der Interpretation (Guldas sachlich-strenge Beethoven-Sonaten) wie in der Komposition. Leibowitz selbst war es ja, der den kompositorischen Begriff der "musique sérielle" 1947 einführte, und Strawinsky behauptete sogar, Musik sei es nicht möglich, Gefühle zu vermitteln, sie könne vielmehr "nichts als sich selbst ausdrücken". Von diesem Zeitgeist ist Leibowitz' Artikel eindeutig geprägt, was auch nicht verwunderlich ist, allerdings hat man sich im Allgemeinen davon doch inzwischehn wieder ein gutes Stück entfernt. Hinzu kommen philologisch fragwürdige Schlussfolgerungen, wenn er z.B. argumentiert, dass in der Coda des ersten Satzes kein Ritardando zu spielen sei, weil es dort nicht steht, dabei aber außer Acht lässt, dass die Symphonie ja gar nicht bis zum Stadium der Druckreife zu Ende komponiert wurde, und dass bei dem Extrem-Vielschreiber Schubert manches "nicht da steht", was bei einer sorgfältig ausgearbeiteten Stichvorlage zu erwarten wäre.

    Die Zeitgebundenheit dieses Artikels gilt übrigens für weite Teile der seinerzeit einflussreichen "Musikkonzepte"-Reihe, in der er erschien: Im Beethoven-Band von 1979 erfahren wir z.B. nicht nur, dass "das Problem der Interpretation" bei Beethoven ausschließlich in der "richtigen" Tempowahl liegt, sondern (im Einleitungstext von Heinz-Klaus Metzger) dass die Aufgabe des "offiziellen Musiklebens" darin bestehe, Werken ihre "revolutionäre Funktion" zu nehmen und so zum "Fortbestehen der herrschenden Verhältnisse" beizutragen, weshalb es auch allein "zu diesem Zweck subventioniert" würde. Die übliche Betonung schwerer Taktteile sei "ein Überbauelement des monopolkapitalistischen Stadiums der Wirtschaft" (manchmal klingt es tatsächlich wie ein Text von Rudi Dutschke). Kolischs Theorie wird keine geringere Bedeutung zugemessen, als dass "sie doch allein es noch rechtfertigen könnte, ein Musikinstrument überhaupt zu berühren oder den Mund zum Singen zu öffnen". Und so weiter: Solche Sätze, von denen es noch unzählige weitere gibt, klingen inzwischen oft wie Boten aus einer fernen Vergangenheit. Manches, wie der Leibowitz-Artikel, ist wie gesagt dennoch nach wie vor lesenswert, aber man sollte sich dabei der Zeitumstände stets bewusst sein.

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  • ja, ich stimme zu, das fällt auch beim Anhören der Ergebnisse auf, dieser emanzipatorisch-kritische Zeitgeist damals. Man hatte den Wahnsinn des rechtsnationalen Denkens hinter sich, der ja auch eine Nähe zu pathetischen großen Gefühlen beim entsprechend interpretierten Aufführen von romantischen und klassischen Komponisten hatte und wollte mal durch andere, weniger emotionale Kriterien diese große Musik neu fassen und erforschen, befreit von dem Geist, der zur Katastrophe geführt haben könnte.

    Leibowitz hat dies bei seinen Beethoven-Einspielungen (mit Hilfe von Kolisch da noch, der ja bei der Schubertanalyse nicht dabei war!) sensationell geschafft und einen Ausgangspunkt geschaffen, wie Du ja auch ausführst (mit Deiner wunderbaren Sprache übrigens), von dem aus dann nach der emotionalen "Reset"taste wenn auch durch ein z.T. wie scheinwissenschaftlich-"empirisches" Verfahren neue, andere Wege gegangen werden konnten, quasi ohne die Lesart und Emotionen derjenigen, die die zivilisatorische Katastrophe verursacht hatten und die diese Musik vereinnahmt hatten. Das Ergebnis gab Leibowitz Recht. Unterschätzen würde ich aber Leibowitz nicht dahingehend, daß ihm nicht auch andere differenzierte Kriterien bewußt und wichtig waren, er weist in dem Aufsatz mehrmals explizit darauf hin, daß ein Dirigent nicht nur die im Aufsatz behandelten Kriterien beachten darf und er betont mehrmals die "Schönheit" der Schubert-Symphonien und am Ergebnis der Beethoven -Symphonien kann man ja genau hören, wie komplex in vielfältiger Hinsicht er die richtigen Entscheidungen traf. Er hat, für mein Auffassen, diese Musik mindestens von unnötigem emotionalen Balast befreit und sie wirkt tatsächlich eher als Musik von allein auf den Hörer, der die Emotion erst in sich ggf. auslösen kann, wenn er so gestrickt ist, aber es wird keine vom Dirigent modellierte Emotion absichtlich transportiert. Wobei Beethoven selbst ja grade immer wieder empört war, wenn die Hörer vor allem nur Emotionen aus seiner Musik heraushörten, mit Emotionen auf seine Musik reagierten, er haßte es oder bezeichnete sie als naiv wie Kinder wenn sie rührseelig wurden und aus der Fassung gerieten oder ä. und verlangte, wenn ich richtig erinnere, daß die Musik "wie Funken aus dem Geist eines Mannes schlagen solle" oder so ähnlich, das würde ja zu dem Ansatz der 60er Jahre, wie Du ihn skizziert hast, passen.


    Diese Leibowitz Schubert 9. (RPO) ist in ähnlicher Weise eingespielt, ich meine, daß es an den meisten Stelle recht gut funktioniert (im ersten Satz und am Anfang sogar sehr gut bis auf das bizarre Schlußtempo z.B.). Die damalige Herangehensweise hat auch m.E. heute noch ihre Berechtigung, bei Schubert hat sie aber nur teilweise sehr gut funktioniert, weil hier - irgendetwas verloren geht, aber was ist es? Vielleicht ist Beethoven derjenige, der mit seiner Musik revolutionär den Schritt herüber in "bürgerliche Musik" geschafft hat, von daher ist seine Musik mehr emanzipatorische Bewegung und Schubert findet diesen neuen bürgerlichen Raum vor und füllt ihn da mehr als Bleibender, als einer der Ersten Neuerer aus: Es fehlt ihm ein Stück revolutionär-emanzipatorische Stoßrichtung, vom Geiste (seiner Musik), sondern ist eher als Beethoven der sich neu auslebende Bürgerliche, damals ein Neuerer, von heute gesehen aber als konservativ betrachtet. Das könnte ein Grund sein, warum es hier nicht so geklappt hat mit der Beschleunigung der Aufführungspraxis. Beethoven war ein Revolutionär im Geiste der sich vom Adel emanzipierte und lebte zwischen den Haupt-Stilen, die er z.T. neu modellhaft "erfand" also eher in der Bewegung von etwas weg und deshalb paßte seine Musik zu dem von Dir so genial eben skizzierten 60er Zeitgeist und Schubert war zwar Neuerer im von Beethoven geschaffenen Raum aber kein Revolutionär, oder verrenne ich mich da vielleicht, ich bitte um Widerspruch, falls ich mich allzu arg irren sollte.


    Die Wiener Leibowitz-Aufnahme hab ich nun auch vollständig (nur youtube, aber reicht in diesem Fall aufnahmetechnisch, da eh dünner Sound) , da kommt mir der Schluß des ersten Satzes etwas weniger wie ein technischer Defekt eines Plattenspieler (doppelte Drehung) vor und es ist eine Möglichkeit, die funktioniert, klingt aber genauso "emanzipatorisch" und nicht pompös, wovor Leibowitz wohl zurückschreckte aus o.g. Gründen, aber wer sagt denn, daß Schubert nicht pompös an der Stelle klingen wollte? Auf jeden Fall ist es eine andere Geisteshaltung, die man hören kann, ob man diese Stelle langsam oder doppelt so schnell aufführt und darauf kam es Leibowitz an in seinem Umfeld. Vielleicht war für diesen Zweck Schubert da aber nicht so eindeutig "verwendbar" wie Beethoven.


    (Nachtrag: habe eben den vorletzten Absatz nochmal verändert)

  • Lieber Gerd,


    soeben habe ich Dir im Thread "Karl Böhm - meine liebsten Aufnahmen" zu Böhms legendärer Brahms 1 (Berliner Philh., 1959) eine Antwort geschrieben.


    Ich bin bekennender Böhm-Freund, mindestens 70 CDs mit seinem Namen befinden sich in meiner Sammlung. Auch Schuberts Neunte ist darunter, und ich zähle sie zu den besten mir bis heute bekannten.

    Trotzdem erlaube ich mir, Dich hier auf eine Alternative hinzuweisen, die nach meinem Empfinden sämtliche mir vorliegenden Aufnahmen des Werks übertrifft. Es ist diese hier:


    Schubert: Symphonies 8 & 9 7993622


    Ich besitze sie in der rechts gezeigten Ausgabe. Die Aufnahme wurde 1958 in bester DECCA-Stereo-Qualität aufgezeichnet.

    Weiter oben (Seite 14, Beitrag 394) habe ich sie mit folgenden Worten hervorgehoben:

    Josef Krips und das London Symphony Orchestra (Decca 1958, Stereo). Nach Furtwänglers berühmter Mono-Aufnahme von 1951 (DGG) mit den Berliner Philharmonikern war es meine erste Stereo-Version auf LP, und sie ist mir bis heute die teuerste geblieben, trotz mindestens 15 weiterer Aufnahmen in meiner Sammlung. Sie klingt nicht nur erstaunlich gut, sie ist auch in sich schlüssig, ausgewogen, voller Dramatik und doch von echt wienerischem Geist erfüllt. Eine Aufnahme für die Insel. Wenn Krips nur diese eine Aufnahme gemacht hätte, so wäre ihm ein Platz im Musik-Pantheon sicher!

    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

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  • Hallo Nemorino,


    oh, das ist aber sehr freundlich, ich bin ja eigentlich sehr zufrieden mit meiner Böhm /Berliner Einspielung der 9. nur bin ich doch wieder bei den Vorteilen verschiedener anderer Einspielungen gelandet, seit ich den Fehler gemacht habe, mehrmals diejenige von Leibowitz anzuhören :-) :-) , aber die Marriner-Aufnahme mag ich ebenfalls sehr, mittlerweile. Ich werde auf jeden Fall Deinen sehr interessant klingenden Tipp (Krips) schleunigst anhören und bin gespannt. Manche Decca ´58er Aufnahmen klangen schon gut, finde ich, also warum nicht...

  • René Jacobs hat 2021 seine Gesamtaufnahme der Schubert Sinfonien mit B'Rock Orchestra, einem HIP Orchester, abgeschlossen: Mit der Unvollendeten h-Moll und der Grossen C-Dur Sinfonie hat er die Reihe komplettiert. Die CD erschien 2022.


    Der Booklet-Text ist mit der sehr fundierten Analyse der Partitur durch den Dirigenten hervorzuheben. Der Dirigent geht auf jedes Detail der Partituren ein.


    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Ebenfalls neueren Datums ist diese SACD Aufnahme des Labels Tacet mit Concerto Budapest und dem Dirigenten Andras Keller.


    Diese Einspielung ist etwas für Audiophile: Der Hörer sitzt in der Mitte, falls er sie über eine Surroundanlage wiedergibt. Die Instrumente sind um ihn angeordnet. Wer mit einer gut kalibrierten Surround Anlage im Hörraum ausgestattet hat, kommt auf seine Kosten. Das Konzept nennt sich Tacet Real Surround Sound. Im Booklet-Text wird auf die Aufstellung der Orchestermusiker eingegangen.


    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Wer die Frage nach den Wiederholungen in den Einspielungen beantwortet haben will, kommt um die Anschaffung einer Studienpartitur nicht herum.


    Die Ausgabe des Bärenreiter Verlages folgt dem Urtext.


    Gewicht: 496 g

    Maße: 226 x 165 mm



    Etwas handlicher ist die Studienpartitur aus dem Eulenburg-Verlag. Inzwischen erscheint die preiswerte Reihe beim Schott-Verlag in der Auslieferung. Die Noten sind kleiner wiedergegeben.


    Gewicht: 324 g

    Maße: 192 x 136 mm


    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




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  • Die Frage, was authentisch zu gelten hat, lässt sich in allen Parametern nicht endgültig beantworten. Einzig die Partitur setzt den Masstab. Sie bietet dem Interpreten nach dem genauen Studium die Wahl der Möglichkeiten. Willkürlich sollte man nicht verfahren.


    Franz Schubert hat seine Sinfonie nie gehört. Es war ein Werk, das er für die Schublade komponiert hatte. Robert Schumann hat sie als erster ans Licht der Welt gebracht, als er die Partitur anlässlich seines Besuches beim Bruder Friedrich Schubert auf die Existenz hingewiesen wurde und sie in Händen hielt. Schumann gelangte sofort an den Verlag Breitkopf & Härtel, um ihre Veröffentlichung zu veranlassen. Am 21. März 1839 wurde sie im Gewandhaus in Leipzig unter der Leitung von Felix Mendelssohn Bartholdy uraufgeführt.


    Robert Schumann schrieb seinen legendären Artikel über Schuberts C-Dur-Sinfonie in der Neuen Zeitschrift für Musik, in dem er das Werk begeistert anpries. Daraus entstammt übrigens die bekannte Aussage Schumanns über die „himmlische Länge der Symphonie, wie ein dicker Roman in vier Bänden etwa von Jean Paul, der auch niemals endigen kann und aus den besten Gründen zwar, um auch den Leser hinterher nachschaffen zu lassen“.


    Zahllose Dirigenten haben sich seither an der Partitur versucht. Müssen alle Wiederholungen gespielt werden? Wie ist das Tempo des Alla Breve Beginns zu wählen? Wie lange hat die Generalpause zu dauern?


    Wie ist mit der Länge der Grossen C-Dur Sinfonie zu verfahren? ich bin dieser Meinung: Ein Blick in die Partitur lehrt, dass alle Wiederholungen gespielt werden sollen. Franz Schubert war in seinen Spielanweisungen sehr genau und die Konzeption hatte er im Kopf. Der Wille des Komponisten ist zu respektieren.

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Der Booklet-Text ist mit der sehr fundierten Analyse der Partitur durch den Dirigenten hervorzuheben. Der Dirigent geht auf jedes Detail der Partituren ein.

    Wow, wirklich auf jedes? Wie viele zehntausend Seiten hat das Booklet?

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Lieber ChKöhn


    Jedes Detail wohl nicht. Er kommt mit weniger als zehntausend Seiten aus. ;)

    Zu den wichtigsten musikalischen Parametern liefert René Jacobs aber eine musiktheoretische Begründung. Er lässt den Hörer in die Werkstatt eines Dirigenten blicken und man erfährt, dass seine Erkenntnisse auf der Analyse der Partitur beruhen. Das erwarte ich von jedem Dirigenten, der sein Metier ernst nimmt. Es übersteigt das übliche Mass, das man an Werkanalyse in Booklets findet.

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Jedes Detail wohl nicht. Er kommt mit weniger als zehntausend Seiten aus. ;)

    Zu den wichtigsten musikalischen Parametern liefert René Jacobs aber eine musiktheoretische Begründung. Er lässt den Hörer in die Werkstatt eines Dirigenten blicken und man erfährt, dass seine Erkenntnisse auf der Analyse der Partitur beruhen. Das erwarte ich von jedem Dirigenten, der sein Metier ernst nimmt. Es übersteigt das übliche Mass, das man an Werkanalyse in Booklets findet.

    Schön, wenn es das auch mal gibt, die meisten Booklet-Texte sind ja doch beklagenswert schwach. Ich habe vor einiger Zeit damit begonnen, meine CDs nach und nach zu verkaufen (weil ich inzwischen sowieso nur noch von Festplatte oder gestreamt höre) und mich dabei natürlich auch gefragt, ob nicht die Texte dagegen sprechen. Das war aber nur bei einer handvoll CDs der Fall, wie z.B. bei Hamelings Godowsky-Einspielungen (mit Texten von Hameling selbst) oder Nancarrows Studies for Player Piano.

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • als nächstes werde ich Günther Wand (Kölner), Böhm (1979er), Harnoncourt (1985) anhören, nachdem ich einen Großteil dieses Themas vom Anfang bis Mitte studiert habe...immerhin empfahl bekanntlich der Ersteller dieser unglaublichen Liste/Sammlung von CDs dieser Symphonie (der "Observer") diejenige von Harnoncourt u.a. am ehesten

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