ZitatOriginal von Theophilus
So einfach ist es nun wirklich nicht. Um eine Medea zu singen, muss man eine wirklich tolle Sängerdarstellerin und versiert im italienischen Fach sein (obwohl es offiziell eine französische Oper ist).
Zunächst mal muss ich vorausschicken, dass ich die Partie der Medea nicht wirklich kenne, ich habe nur zwei Ausschnitte mit der Callas daraus, die sie allerdings sehr beeindruckend singt. Meine Einlassungen sind also allgemein zu sehen.
Wollte man aber obigen Anspruch Theophils wirklich beherzigen, müssten wohl sehr viele Opernhäuser ihren Betrieb drastisch reduzieren, vor allem die kleineren. Wann kann so ein Haus denn wirklich auch nur annähernd die ideale Besetzung anbieten? Grundsätzlich stimme ich durchaus zu, es gibt schwere und anspruchsvolle Rollen, die wirklich perfekt nur von wenigen Sängern auf der ganzen Welt gesungen werden können, aber bedeutet das dann, dass Opern in weniger idealen Besetzungen nicht mehr aufgeführt werden dürfen?
Meiner Meinung nach werden Perfektionismus und Spezialisierung heutzutage sowieso schon zu weit getrieben, ebenso halte ich es nicht für richtig, wenn (junge) Sänger in wenigen Paraderollen verheizt werden. Da plädiere ich eher für eine umfassende Ausbildung und einen langsamen Aufbau, mit durchaus auch vorsichtiger Auswahl der Rollen. Wenn die Stimmbildung aber erst mal halbwegs abgeschlossen ist und der Sänger über ausreichend Erfahrung verfügt, dann sollten auch schwere oder ungewohnte Partien die Stimme nicht mehr so leicht überfordern können.
Zu den Zeiten des Ensemble-Betriebes war es doch auch gar nicht anders möglich, als dass ein Sänger einen weiten Bereich an Partien in seiner Stimmlage abdecken musste, selbst größere Theater konnten sich nur eine begrenzte Anzahl an Solisten leisten. Entsprechend bunt sah auch das Repertoire mancher Sänger aus. Die Callas sang ja zum Beispiel auch nicht nur hochdramatische Sachen, sondern etwa auch die Rosina im Barbier.
Sänger wie Georg Hann oder Otto Edelmann sangen so ziemlich alles von tiefen Bassrollen bis zu Baritonpartien, also heute Ochs, morgen Pizarro und übermorgen Wolfram, und ich kann mich an ein Interview mit Edelmann erinnern, in dem er sich beklagte, dass die jungen Sänger von heute "nichts mehr aushalten". Aber okay, die Klage gibt es wohl, seit die Menschheit existiert.
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italienische Rolle im Repertoire, Hedwig Fassbender überhaupt keine, Renée Fleming wäre als Medea die Fehlbesetzung des Jahrhunderts (würde das Ansinnen aber wahrscheinlich als verrückt abtun; sie hat auch nie schwere Rollen gesungen; und du kannst sie dir als rachedürstende Furie vorstellen? - beeindruckend! ).
Mag durchaus sein, aber sehr vielen Darstellerinnen der Königin der Nacht nehme ich die Rachefurie auch nicht ab, es ist eben nicht jede eine Edda Moser oder eine Gruberova. Klar wäre es optimal, wenn Gesang, Ausdruck und schauspielerische Leistung harmonieren, aber sehr oft funktioniert das eben nicht perfekt und trotzdem wird eine ganz passable Aufführung daraus. Da kommt es schon sehr auch auf die gesetzten Ansprüche an, und die sind meiner Meinung nach heute sehr oft überzogen.
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Bleibt also Deborah Voigt, und ja, ich glaube, sie hätte das in ihrer "italienischen Zeit" recht gut hingekriegt, wenn sie gewollt hätte. Aber jetzt scheint sie sich ja vollständig auf das schwere deutsche Fach spezialisert zu haben. Und da führt kein Weg mehr zurück zur Medea.
Schon möglich, aber ganz sicher wäre ich mir da nicht. Ich habe zum Beispiel eine Aufnahme des Maskenballs mit Birgit Nilsson, ich finde sie singt sie gar nicht mal so schlecht. Ob da ein Weg zurückführt, liegt meiner Meinung nach vor allem an der Sängerin selbst und wie sie mit ihrer Stimme umgeht, eine Zeit der Umgewöhnung muss natürlich einkalkuliert werden. Aber vielleicht mangelt es heute ja gerade daran.
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Es könnte auch sein, dass diese Rolle sehr gefährlich für Stimmen ist, so daß niemand diese Partie anstrebt, wenn nicht ein persönliches Bedürfnis vorhanden ist. Die Karriere ist wichtiger. Auch eine Lucia Aliberti, die das mit Sicherheit vorzüglich gekonnt hätte, scheint einen weiten Bogen um die Partie gemacht zu haben.
Mag sein, dass manche Partien besonders dazu verführen, eine Stimme überzubeanspruchen, aber im Grunde droht diese Gefahr immer, wenn ein Sänger seine Grenzen überschreitet und ins Forcieren kommt. Da wäre zum einen eine solide Ausbildung gefragt, zum anderen aber auch Dirigenten, die ein Gespür dafür haben und die Sänger schonen. Leo Slezak schreibt ja in seinen Erinnerungen, dass er manchmal den Siegfried aktweise nur mit halber Stimme sang. Früher war das wohl noch möglich, da müssen ja auch in manchen Vorstellungen in den Zwischenakten die Ränge ziemlich leer gewesen sein und das Publikum tauchte erst zum Schluss wieder auf.
Heute scheinen die Sänger insgesamt mehr unter Druck zu stehen, wie in vielen anderen Bereichen des Lebens auch. Ich halte das für keine sehr gesunde Entwicklung und ich bin bereit, dafür meine Ansprüche an Perfektion und Höchstleistung herunterzuschrauben, auch wenn das heute für viele Menschen undenkbar zu sein scheint. Oper ist für mich eben vor allem auch eine Sache des Herzens, und nicht primär eine der perfekt funktionierenden Stimmbänder. Aber ich erwarte natürlich keineswegs, dass alle das so sehen.
Kurt