John Cage (1912 - 1992) - 4'33" (1952)

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    ich frage mich angesichts Loges Stellungnahme gerade, ob man Cages Ansatz nicht eigentlich als eine konsequente Weiterführung von Saties "Musique d'ameublement" verstehen kann.


    Du meinst, weil in Loges "Bearbeitung" von 4'33" Bach zum Möbel wird?
    :D
    Ich habe gerade erst im Internet Bekanntschaft mit Saties Möbeln gemacht, aber in dem Sinne, dass er "keine falsche Musik mehr" fordert und die Entscheidungen des Komponisten reduziert (dasselbe 800x wiederholt) könnte ich es auch als Vorstufe ansehen. Der große Unterschied ist aber wohl, dass Satie will, dass man nicht bewußt hinhört während Cage will, dass man bewußt hinhört, und das, obwohl bei ihm noch weniger Entscheidungen des Komponisten hörbar sind.
    :hello:

  • Hallo Wulf,
    unbestritten. Nur habe ich persönlich mit diesen Kunstwerken sehr ähnliche Probleme wie mit 4'33". Wenn die Negation der künstlerischen Absicht zur Kunst erklärt wird, ist das eigentlich eine Unmöglichkeit, weil sich dahinter natürlich ebenfalls eine Absicht verbirgt (nämlich die Negation der Kunst). Wenn meine Absicht aber die Negation der Kunst ist, wieso erkläre ich diese Absicht der Negation von Kunst für Kunst?


    Allerdings hat der KSM bereits erklärt, daß ihn die Absichten des Komponisten weniger interessieren als die Ergebnisse, also die Werke. Und im Fall von 4'33" ist eigentlich schon die Diskussion das Werk wert.


    --------------------------


    Hallo Loge,

    Zitat

    Was wäre eigentlich, wenn man während der Aufführung von 4'33'' nebenbei (also für die Dauer von 4:33) Bachs Chaconne spielen ließe?


    Oder, um das Problem profaner, aber anschaulicher zu machen: Was wäre, wenn der Pianist, also der Ausführende, vorschriftsmäßig keinen Finger rührt, aber ein im Publikum zufällig anwesender Sänger im Rahmen dieser 4'33"-Aufführung eines der Vokal-Soli von György Kurtág singt. Wer bekommt die Tantiemen?


    :hello:

    ...

  • Hallo KSM,
    blendendes Argument.
    Dennoch gibt es die Kompenente des Einbeziehens zufälliger Geräusche in ein Werk.
    Wobei mir interessant erscheint, daß sozusagen Gegenpositionen in diesem Punkt eine Überschneidung haben.
    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Dennoch gibt es die Kompenente des Einbeziehens zufälliger Geräusche in ein Werk.


    Ich dachte, bei Satie soll die Musik (der keine zufälligen Geräusche angehören) als Hintergrundgeräusch wahrgenommen werden. Satie bezieht keine zufälligen Geräusche mit ein sondern "degradiert" seine Musik zum Geräusch.


    Cage hingegen wertet das Hintergrundgeräusch zur Musik auf.

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Nur habe ich persönlich mit diesen Kunstwerken sehr ähnliche Probleme wie mit 4'33".


    Ich hatte mit diesen Nullpunkten auch lange Zeit Probleme. Sie bekommen für mich erst Bedeutung, wenn man sie im musik-/kunstgeschichtlichen Kontext betrachtet.


    Eine weiße Leinwand hätte im 17. Jahrhundert keinen Sinn gehabt. Zum Zeitpunkt der Zerstörung der Illusionen auf den Leinwänden ist sie als Radikalversion interessant.


    Ich werde mich bald etwas bezüglich Duchamp einlesen. Er ging meines Wissens am weitesten, als er lange Zeit absichtlich gar nichts produzierte. Als Bestandteil seines Lebenswerkes ist bei ihm dieses Schweigen auch etwas ganz anderes, als wenn sich irgendein älterer Maler oder Komponist zur Ruhe setzt (und z.B. nur mehr kocht).
    :hello:

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  • Noch eine kleine Differenzierung zwischen Malerei und Musik: Cages Credo ist "Kunst ist für jedermann und kann von jedermann gemacht werden" . Insofern ist 4'33'' tatsächlich von jedem realisierbar, genau so wie es Cage ja wollte.
    Auch in der Malerei gab es in verschiedenen Richtungen Kunst eine Einheitlichkeit abzugewinnen, die wie eine Bedienugnsanleitung für jedermann zum Selbermachen geeignet sein sollte (der Urspruing liegt wohl im Pointilismus eines Seurat). Doch ihre bedeutensten Vertreter schufen Werke, die vom grßen Können ihrer Schöpfer zeugen und eben nicht von jedermann gemacht werden können (trotz der populistischen "Das kann ich auch"-Sprüche). So gilt vielleicht Mondrian - ich meine den späten, DeStijl-Mondrian, als einer der am schwersten kopierbaren Maler überhaupt. Man vergleiche nur mal mit seinen Zeitgenossen. Schnell stellt man die Einzigartigkeit von Mondrian fest (Tatsächlich gibt es für mich ein kaum harmonischeres Bild als die "Komposition Nr. 2, so doof das klingen mag).


    Die angesprochene Negation der Kunst war in der Malerei des 20. Jhd. in den Köpfen der Maler gar nicht so verankert, wie man vielleicht zunächst annehmen mag. Mondrian wollte "nichts weiter" als Gemälde für die in Harmonie und Frieden zukünftig lebende Menschheit - ihm kam es weniger auf die Zerstörung der bestehenden Kunst an. Yves Klein wollte unendliche Tiefe darstellen - schwarz mied er, weil es für ihn das Nichts repräsentierte - dieses Nichts wurde in der Malerei weitgehend vermieden.


    :hello:

  • Zitat

    Original von Wulf
    Insofern ist 4'33'' tatsächlich von jedem realisierbar, genau so wie es Cage ja wollte. [...]
    Doch ihre bedeutensten Vertreter schufen Werke, die vom großen Können ihrer Schöpfer zeugen und eben nicht von jedermann gemacht werden können[...]
    Die angesprochene Negation der Kunst war in der Malerei des 20. Jhd. in den Köpfen der Maler gar nicht so verankert, wie man vielleicht zunächst annehmen mag.


    Hallo Wulf,


    das kann man wohl nicht so sagen.
    Das weiße Quadrat auf weißem Grund kann jeder malen.
    Das Pissoir kann jeder mit "R.Mutt" signieren und aufhängen.
    Sich selbst kann jeder in eine Vitrine stellen und als Ausstellungsobjekt dienen.
    :hello:

  • Hallo KSM,


    nun gut - ich vergaß die Ausnahmen. Aber Vorsicht: Einen Mark Rothko z.B.
    wirst Du nicht so schnell malen können.


    Und der übrige Malewitsch ist mit Sicherheit auch nicht von jedermann zu malen....


    :hello:

  • Zitat

    Original von Wulf
    nun gut - ich vergaß die Ausnahmen. Aber Vorsicht: Einen Mark Rothko z.B.
    wirst Du nicht so schnell malen können.


    Und der übrige Malewitsch ist mit Sicherheit auch nicht von jedermann zu malen....


    Schon richtig. Und Cage hat auch nicht nur 4'33" gemacht.


    Siehe den ungemein frequentierten Thread:
    John Cage


    :rolleyes:

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  • Zitat

    Original von Wulf
    Sind wir uns also einig.


    Ich denke schon. Außerdem kommt es ja gar nicht darauf an, ob Hinz oder Kunz "das auch machen könnte". Wenn er es nachmacht, macht er es ja "nur" nach, was nicht mit der "Erst"leistung des schaffenden Künstlers gleichzusetzen ist sondern etwas anderes und somit anders zu beurteilen, nämlich als Kopie (Duchamp hat in späten Jahren seine älteren bedeutenden Werke in Serienfertigung kopiert - das Nachmachen kann also auch wieder Kunst sein, ist dann aber eben etwas anderes als das Original).
    :hello:

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Ich denke schon. Außerdem kommt es ja gar nicht darauf an, ob Hinz oder Kunz "das auch machen könnte". Wenn er es nachmacht, macht er es ja "nur" nach, was nicht mit der "Erst"leistung des schaffenden Künstlers gleichzusetzen ist sondern etwas anderes und somit anders zu beurteilen, nämlich als Kopie...
    :hello:


    Absolut. Denn auf die Idee von 4'33'' muß man ja erst einmal kommen. Es ist ja mit Sicherheit nicht so - und dieses Fehlargument spukt glaube ich in vielen Köpfen als Prämisse herum - daß eine Menge Leute die Idee hatten und sich nun blau ärgern, daß irgend ein anderer diese relaisiert hat. ("Ach Mensch, das hätte ich nun auch gekonnt " - "Ja, aber Du hast es nicht gemacht, vermutlich weil Du gar nicht auf die Idee gekommen bist"...) Und die Idee fällt wie wir ja bereits klargestellt haben bei Cage auch nicht vom Himmel und ist auch keine Eintagsfliege, die aus dem Nichts geboren wurde....


    :hello:
    Wulf

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Ich dachte, bei Satie soll die Musik (der keine zufälligen Geräusche angehören) als Hintergrundgeräusch wahrgenommen werden. Satie bezieht keine zufälligen Geräusche mit ein sondern "degradiert" seine Musik zum Geräusch.


    Cage hingegen wertet das Hintergrundgeräusch zur Musik auf.


    So gesehen im Grunde eigentlich die Gegenposition. Einverstanden! :yes:


    :hello:

    ...

  • Viel ist in diesem Strang schon gesagt.


    Vielleicht noch ein paar erhellende Zitate von Cage zur Frage: Ist das Kunst? oder Ist das Musik?


    "If you celebrate it, it´s art." (Für mich die beglückendste Kunstdefinition überhaupt)


    "You don´t have to call it music, if the term shocks you." (Auch toll, oder? Darüber brauchen wir uns also gar keine Gedanken zu machen. Übrigens gibt es in der Malerei die "white paintings" von Rauschenberg, die oft im Zusammenhang mit Cages 4´33´´ Erwähnung finden: weiße Leinwände [auf denen die Schatten der Umgebung das Kunstwerk ergeben, wie man analog schließen könnte])


    Jetzt zur in meinen Augen umfassendsten und gehaltvollsten Erklärung hier im Strang:


    Zitat

    Original von Wulf
    Kommen wir zum ersten Aspekt: John Cage entdeckte in den 40ern das I Ging und die buddhistische Lehre von der Absichtslosigkeit der Dinge. Diese Lehre beindruckte ihn tief und fortan war er bestrebt den Klang nicht als "Sklaven" einer aufzubauenden Harmonie oder im Dienste eines entwickelnden Themas zu sehen. Vielmehr sollte seinen eigenen Aussagen nach der Klang wieder zu sich selbst kommen - er dient nur sich selbst - diese Absichtslosigkeit erlebt ihren Gipfelpunkt genau in diesen 4 Minuten und 33 Sekunden - John Cage bemerkt dazu in der Partitur, daß den Instrumenten absichtlich keine Töne zu entlocken seien.
    Zweite Perspektive: Schweigen - John Cage experimentierte viel mit Klang und Klangeigenschaften. In mehreren Experimenten in schalldichten Räumen stellte er fest, daß es so etwas wie "absolute Stille" nicht gibt. Abgeschnitten von jeglichen äußeren Klangeinflüssen entstehen im Kopf hörbare Muster. In diesen vier Minuten 33 Sekunden bringt uns Cage das Schweigen wieder - das bewußte(!) Wahrnehmen der Stille und zeigt uns zugleich die Unmöglichkeit der Realisierung totaler Geräuschlosigkeit.
    Dritte Perspektive: Daß ich das Wort Werk in Anführungszeichen gesetzt habe, hat seinen Sinn und seine Berechtigung. Cage wollte bewußt mit der romantisch verklärten Vorstellung des vom Himmel gesandten Genies reinen Tisch machen - für ihn galt die These - Kunst ist für jedermann und kann von jedermann gemacht werden. Auch diese Maxime gipfelt in diesen 4 Minuten und 33 Sekunden. Aus dieser Forderung Cages erwächst auch seine eigene Relativierung als Komponist. Im oben genannten thread wurde vollkommen zurecht und sogar in Cages Sinne(!!) das Wort Komponist in Anführungszeichen gesetzt. Es entspricht genau Cages Sinn als Individuum komplett in den Hintergrund zu treten.


    Ich antworte darauf mit rein subjektiven Gedanken.
    ad 1: Was die Absichtslosigkeit von Cages Klängen angeht: Ich persönlich will manchmal etwas beabsichtigen dürfen! Es geschehen auch Dinge um mich herum, bei denen der Klang einfach ein Teilaspekt ist (und nicht für sich steht). Wenn ich beispielsweise die Klänge einer Auseinandersetzung auf der Straße höre, dann kann zumindest ich mich nicht an deren "reinem Klang" erfreuen, denn der Klang hat eine nicht von ihm selbst abtrennbare soziale Komponente.
    ad 3: Hier kommt der Tabubrecher Cage zur Geltung. Ein historisch sicher interessanter Aspekt, seit Beginn der Postmoderne aber in meinen Augen nicht mehr ganz so spannend.
    ad 2: Und dies ist das, was ich bei 4´33´´ den "pädagogischen Aspekt" bezeichne. Das Stück ist für mich nämlich vor allem Hörschule. Wem bewusst (!) wird, was während einer Aufführung an sich zufällig ergebenden Klängen gehört werden kann, der kann ein bewussteres Ohr für seine Umwelt allgemein erlangen.


    Herzliche Grüße,


    Tharon.

  • Hallo Tharon,


    zunächst mal ein herzliches Willkommen zumindest von meiner Seite aus und danke für die wirklich schönen Zitate. Schön auch, daß Du gleich in die Vollen gehst und dann noch zu Komponisten bzw. zur Musik postest, die mir nahe steht. Die für Dich beglückendste Kunstdefiniton hat in der Tat etwas Bezwingendes und ungemein Sympathisches, ich wittere aber Gefahr im Verborgenen. Denken wir - auch wenn wir es hier im Forum eigtl. nicht sollen - einmal an die Diskussion um den Kunstcharakter der Anschläge vom 11. September 2001. Zelebrierte ich es, wäre es dann Kunst?


    Nun, ich überlasse Dir wieder das Feld - der Abend ist zwei Flaschen Wein, einige Flaschen Gerstenkaltschale und einen Speielabend spät, ich glaube, für mich besteht jetzt erstmal die Kunst darin, den geordneten Rückzug anzutreten. :P


    :hello:
    Wulf

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  • Du meine Güte: Mein erster Beitrag und ich bin in einer Politik-Diskussion... aber o.k.: Cage ist irgendwie auch ein politisches Thema.


    Hier ein paar Gedanken, die mir, völlig ungeordnet, dazu zuerst in den Sinn kommen:


    Gibt es jemanden, der das, was am 11. September geschehen ist als Kunst bezeichnet? Ich kenne die von Wulf angedeutete Diskussion um den "Kunstcharakter" der Anschläge vom 11. September nicht. Vielleicht kann mir diesbezüglich jemand auf die Sprünge helfen?


    Zuerst mal ist das natürlich gleich eines der extremsten Beispiele, die man sich denken kann. Man darf auch kleinere Brötchen backen, finde ich. Zu Cage hat nach 4´33´´ (oder von mir aus auch nach 0´00´´) ja auch niemand gesagt: Jetzt darfst du einpacken. Du hast alles gesagt.


    Aber o.k.: Mal angenommen, es käme jemand daher und würde behaupten, der 11. September sei Kunst gewesen, er habe sie mittels der gesamten Medienmacht des Erdballes zelebriert: Ich würde ihn ins Gefängnis bringen wollen, ich würde auch seine Kunst verabscheuen, seinen Kunstanspruch muss ich ihm aber nicht unbedingt absprechen. Kein Künstler, denke ich, ist immun gegenüber der Gesetzgebung. Er trägt einen Großteil der Verantwortung für sein Werk und dessen Folgen. So sehe ich die Sache.


    Jetzt aber: In gewisser Weise bin ich in meinem Beitrag ja schon deiner, Wulfs, Kritik zuvorgekommen: Wer Cages Denken unbedingt bis in solche Extremszenarien treiben muss, der denkt dann vielleicht auch irgendwann: Ich muss alle Klänge möglichst absichtslos annehmen, auch den Krach, den ein einstürzendes World Trade Center erzeugt. Ich sage deshalb: Ich möchte auch hin und wieder etwas beabsichtigen dürfen. Und sei es, zu verhindern, dass von mir möglicherweise erzeugte Klänge Schaden verursachen.


    Ich glaube, letztendlich ist das ein Konflikt zwischen westlichem Denken und ostasiatischer Philosophie. Solange für uns Amerikaner und Europäer der 11. September ein mahnendes Datum ist, werden wir das Tao nicht erreichen. Da muss man Prioritäten setzen... und Cage hat andere gesetzt, als ich es tue.


    Tharon.

  • Zitat

    Original von Tharon
    Gibt es jemanden, der das, was am 11. September geschehen ist als Kunst bezeichnet? Ich kenne die von Wulf angedeutete Diskussion um den "Kunstcharakter" der Anschläge vom 11. September nicht. Vielleicht kann mir diesbezüglich jemand auf die Sprünge helfen?


    Es ging um Äußerungen von Karlheinz Stockhausen, die damals, weil unverstanden und aus dem Zusammenhang gerissen zitiert, damals für viel Wirbel sorgten.


    Liebe Grüße Peter

  • @ pbrixius:
    ich habe ein bisschen zu Stockhausen und dem 11. September recherchiert. Was ich gefunden habe, ähnelt in der Tat ein wenig dieser Diskussion hier. Fand ich interessant, vielen Dank.


    Noch eine kleine Anmerkung zu 4´33´´, an die ich mich wieder erinnerte, als ich den Strang zur Zahlensymbolik in der Musik von Bach gelesen habe:


    Wenn man 4´33´´ in Sekunden umrechnet, ergibt das 273´´. 273 K ist der absolute Temperaturnullpunkt. Ein schönes Symbol, wie ich finde.


    Tharon.

  • Zitat

    Original von Tharon


    Ich antworte darauf mit rein subjektiven Gedanken.
    ad 1: Was die Absichtslosigkeit von Cages Klängen angeht: Ich persönlich will manchmal etwas beabsichtigen dürfen! Es geschehen auch Dinge um mich herum, bei denen der Klang einfach ein Teilaspekt ist (und nicht für sich steht). Wenn ich beispielsweise die Klänge einer Auseinandersetzung auf der Straße höre, dann kann zumindest ich mich nicht an deren "reinem Klang" erfreuen, denn der Klang hat eine nicht von ihm selbst abtrennbare soziale Komponente.


    4'33 finde ich ja durchaus spannend und wichtig, aber auch dieses Werk, nicht bloß die Kunst-Definition mit dem Zelebrieren, ist fragwürdig bis abstoßend.
    Denn eigentlich ist Absichtslosigkeit nie möglich. Ich denke da an Kant, der seinen langjährigen Diener entlassen hat, weil der Alkoholiker geworden ist. Kant hat sich dann extra auf einem Zettel aufgeschrieben, dass er sich vorgenommen hat, den Ex-Diener zu vergessen.
    Absichtslosigkeit als Wunsch oder sogar moralische Forderung bedeutet für mich bedingungslose Unterordnung und ist außerdem ziemlich antiintellektuell ("Ihr sollt wieder werden wie die Tiere!").


    Dabei hatte Cage wohl eher das Gegenteil im Sinn:


    Zitat

    Original von Wulf
    Dritte Perspektive: Daß ich das Wort Werk in Anführungszeichen gesetzt habe, hat seinen Sinn und seine Berechtigung. Cage wollte bewußt mit der romantisch verklärten Vorstellung des vom Himmel gesandten Genies reinen Tisch machen - für ihn galt die These - Kunst ist für jedermann und kann von jedermann gemacht werden.


    Das klingt nach Befreiung von Zwängen und Hierarchien und nach dem Wunsch nach einer unreglementierten Fülle von Ausdruck.


    Jedenfalls hat Cage Begriffe, die man mit der Vorstellung von einem Kunstwerk verknüpft, ziemlich an ihre Grenzen geführt.


    Viele Grüße


  • Hallo Kontrapunkt,


    das sind die Lehren, die Cage für sich aus dem Zen-Buddhismus zog. Natürlich sollte man sich über das Wort "Absicht" und "Intention" zunächst klarer werden.
    Denn die ostasiatischen Philosophien bzw.Lehren des Zen-Buddhismus, haben nichts antiintelektuelles bzw. tierisches. Ich denke, Absicht und Intention sind - Kenner des Buddhismus mögen bitte widersprechen, wenn ich Quark erzähle - im Zen-Buddhismus nicht als absolute Intentionslosigkeit im weitesten Sinne zu verstehen, sondern mehr in dem Sinne eines ungestörten Einsseins mit der Natur, das Verinnerlichen, daß wir ein Teil von ihr sind, ohne daß wir zu Tieren würden.


    :hello:
    Wulf

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  • Zitat

    Original von Wulf
    Denn die ostasiatischen Philosophien bzw. Lehren des Zen-Buddhismus, haben nichts antiintelektuelles bzw. tierisches. Ich denke, Absicht und Intention sind - Kenner des Buddhismus mögen bitte widersprechen, wenn ich Quark erzähle - im Zen-Buddhismus nicht als absolute Intentionslosigkeit im weitesten Sinne zu verstehen, sondern mehr in dem Sinne eines ungestörten Einsseins mit der Natur, das Verinnerlichen, daß wir ein Teil von ihr sind, ohne daß wir zu Tieren würden.


    Hat jetzt vielleicht was damit zu tun ...


    Luciers Hirnwellenstück setzt eine gewisse Intentionslosigkeit voraus, damit überhaupt was erklingt (außer dem "Cage" im Hintergrund). Erst dann entstehen nämlich gewisse Aktivitäten im Gehirn, die gemessen und in Klang umgesetzt werden.


    Als (klanglich wohl weniger) interessante Variante des Intentionslosigkeitskonzepts.

  • Das Stück hat etwas mit der Dekadenz übersättigter Gesellschaften zu tun. Ich finde solche Auswüchse abstoßend, aber unvermeidlich.

  • EIN TIPP:


    Cage Under Ground
    Zum 100. Geburtstag von John Cage
    14.09. bis 21.09.2012 im Magazin 4 der Staatsoper Hannover
    Eine Kooperation der Staatsoper Hannover mit Musik 21 Niedersachsen und der Stadt Hannover


    Konzert-Happening: Zufallsbekanntschaft John Cage | Mit Steffen Schleiermacher (Klavier) | Eine Veranstaltung der Stadt Hannover



    Termine


    Fr, 14.9. Eröffnung 20 Uhr
    John Cage, eine Zufallsbekanntschaft
    Frei nach John Cage wird das Programm nach Zufallsprinzipien vom Publikum erstellt.
    Mit Steffen Schleiermacher, Klavier/präpariertes Klavier
    Ort Magazin 4 der Staatsoper Hannover, 20 Uhr
    So, 16.9. Being Prepared 20 UhrJohn CageKonzert für präpariertes Klavier und Orchester
    Suite für Toy piano
    Fourteen für Klavier und 13 Instrumentalisten


    Solist Steffen Schleiermacher (Klavier/präpariertes Klavier), Dirigent Benjamin ReinersNiedersächsisches Staatsorchester
    Ort Magazin 4 der Staatsoper Hannover, 20 Uhr




    Mo, 17.9. Garten Ryoanji 20 Uhr
    John Cage
    Four für Streichquartett
    Aria in Kombination mit Solos aus dem Konzert für Klavier und Orchester
    Child of tree
    Garten Ryoanji
    Song Books

    Fontana Mix
    Tanzperformance
    über die Zeit und den Zufall mit Mikael Honesseau
    Giacinto Scelsi Hyxos für Querflöte und Percussion
    Mit dem ENSEMBLE MEGAPHON, Julia Mihály (Sopran)
    Ort Magazin 4 der Staatsoper Hannover, 20 Uhr



    Di, 18.9. Lecture on Music

    Vortrag von Prof. Dr. Helga de la Motte-Haber (19 Uhr)
    Gesprächskonzert mit der Schlagzeugerin Robyn Schulkowsky (20 Uhr)


    Ort Magazin 4 der Staatsoper Hannover, 19 Uhr

    Mi, 19.9. SurrOUND 20 Uhr
    John Cage
    Living-room-music für Schlagzeugensemble
    The Wonderful Widow of Eighteen springs für Stimme und Klavier
    30 pieces for String Quartett
    Five

    Lecture on the weather
    für 12 Sprecher33 1/3 für Publikum, Plattenspieler und 300 Platten
    Mit Musikern des Niedersächsischen Staatsorchesters und der Sängerin Mareike Morr
    Ort Magazin 4 der Staatsoper Hannover, 20 Uhr


    Do, 20.9.VARIATIONS 20 Uhr


    John Cage
    Variations II
    Variations IV
    Etudes Boreales für Cello I-IV
    Time length pieces for a string player


    Mit Studenten der HMTM Hannover und Ulrike Brandt (Violoncello)


    Ort Magazin 4 der Staatsoper Hannover, 20 Uhr


    Fr, 21.9. Open Cages 20 Uhr
    Abschlusskonzert Ensemble S und Saisoneröffnung »Mobile Musik 2012/13« 20 UhrOpen Cages, a closed CIRCUS ON Silence


    a means of translating a book into a performance without actors, a performance which is both literary and musical



    mit Werken von John Cage
    composed Improvisation Nr. 2 (1990) for snare drum


    composed Improvisation Nr. 3 (1990) for one-sided drum


    Branches(1975) for amplified plant materials



    und Vinko Globokar
    Toucher(1973) Vortrag eines Theaterstücks durch einen einzigen Darsteller.


    Texte aus »Leben des Galilei« von Bert Brecht


    Corporel (1985) für einen Schlagzeuger auf seinem Körper


    Mit dem Ensemble S


    Ort Magazin 4 der Staatsoper Hannover, 20 Uhr

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker am 31. Oktober 2020.


    Die Berliner Philharmoniker schreiben dazu:


    Aufgrund der Maßnahmen der Bundes- und Landesbehörden in Deutschland zur Eindämmung der Corona-Pandemie bleibt die Philharmonie Berlin vom 2. bis 30. November 2020 geschlossen. Vor diesem Hintergrund haben die Berliner Philharmoniker und ihr Chefdirigent Kirill Petrenko ein weiteres Werk hinzugefügt, 4' 33'' von John Cage, zu ihrem Konzert vom 31. Oktober.


    Publikum und Musiker wissen, worum es geht. Grosser Ernst und Konzentration. Die Stille ist eine bedrückende Gewissheit.


    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




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  • Vor 70 Jahren am 29. August 1952 wurde 4'33'' aufgeführt.


    Dieser You Tube Beitrag erklärt.


    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Einige Gedanken zur Stille


    John Cages 4'33'' war und ist eine Provokation.

    Stille.

    Auskomponiert, mit Spielanweisungen sind die drei mit Tacet überschriebenen Sätze versehen.


    Die Stille kann Ausdruck grössten Respektes sein. Gestern verstarb Queen Elisabeth II. Auf der ganzen Welt, im Commonwealth of Nations, werden in ihrem Gedenken zwei Schweigeminuten gehalten werden.


    Es gibt in Franz Schuberts Grosser C-Dur Sinfonie eine Generalpause. Alle Instrumente ruhen für eine lange Zeit, ehe die Musik wieder einsetzt. Diese Stille ist meine persönliche Gänsehautstelle. Welche Gedanken gehen dem Zuhörer in diesen Sekunden durch den Kopf?


    im Zen geht es um Stille, das Loslassen.

    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Ich löke mal wider den Stachel. Ich empfinde die meisten der Beiträge hier als Mystifizierung.

    1. Ein Gedankenexperiment. Ein Pianist, der nicht weltbekannt ist, kündigt innerhalb eines Klavierprogramms am Schluss eine eigene Komposition an und nennt sie 4' 33'' und nichtspielt sie wie vorgesehen. Reaktion: Stille? Subtilität? Yoga? Buddhismus? Doch wohl eher - und zwar schon während des Stücks - Gelächter, Pfiffe, Türenknallen, was sich steigert, als der Pianist sein Stück erklären will. Danach erklärt er, das Stück sei gar nicht von ihm, sondern von John Cage. Den kennen von 500 Zuhörern gerade mal drei, daher geht alles im Getöse unter.

    2. Ein Konzertraum ist normalerweise für längere Stille nicht geeignet.

    3. Mein wichtigstes Argument: Es handelt sich um einen Gag. Um die von John Cage angestrebte Absicht zu erkennen, muss man entweder eine Einführung haben oder im Programmheft nachlesen. Die Pointe ist nicht selbsterlärend.

    4. Wie in der Comedy wirken auch in der Kunst Gags meist nur einmal.

    5. moderato zitiert die Wirkung einer Generalpause. Das ist 4'33'' absolut nicht. Generalpausen finden wir in "Sind, Blitze, sind Donner..." (Bach) oder in Händels Messias.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Stille - 4'33'' ist Stille.


    Abwesenheit von Tönen - angekündigt


    Stille ist Stille. - in einer Generalpause wie in 4'33''


    Im You Tube Beitrag im Scharoun Bau, im Konzertsaal der Berliner Philharmoniker ist Stille. Es funktioniert auch im Konzertraum mit Publikum, obwohl der Dirigent abkürzt. 4'33'' ist im Moment entstanden. Allen im Publikum ist bewusst, was diese Stille bedeutet.


    Zitat aus Beitrag 1 von kurzstueckmeister "(gewöhnlich zeigt er die Beginne der Sätze durch Schließen des Klavierdeckels an, die Enden durch Öffnen desselben)"


    Im Zen ist nicht der Schlag auf den Gong massgebend für die Stille, sondern der Zustand zwischen zwei Schlägen.

    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Doch wohl eher - und zwar schon während des Stücks - Gelächter, Pfiffe, Türenknallen, was sich steigert, als der Pianist sein Stück erklären will. Danach erklärt er, das Stück sei gar nicht von ihm, sondern von John Cage. Den kennen von 500 Zuhörern gerade mal drei, daher geht alles im Getöse unter.

    Wie auch immer. Das Stück thematisiert auf einer Metabebene auch den Umgang des Hörers mit dem gerade ästhetisch Erlebten. Wenn nicht mehr als Gelächter herauskommt, sagt das eben auch schon viel. Unabhängig davon, ob ich Cage kenne oder nicht. Die Reaktion des Interpreten hier am Ende, etwas erklären zu wollen, erscheint mir schwach. Es ist eben Aktionskunst. Das Stück erklärt sich offensichtlich durch die Aufführung selbst.


    Wer keine Stille aushält ...

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