Was macht Bach einzigartig?

  • Bach konnte Gefühle melodisch so stark verdeutlichen, dass es mir mitunter unheimlich wird und es mir den Atem verschlägt. Dann immer diese scheinbare Distanz und Kühle, die aber einfach nur erhabene Perfektion des Umgangs mit Tönen ist.


    Ich liebe Bach auch sehr sehr sehr.

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Dass Bach einzigartig ist, das kann ich unterschreiben, allein der Grund ist so subjektiv wie mein Schweißgeruch, um eine etwas unappetitliche Metapher zu wählen. Während viele andere Barockkomponisten (so ziemlich alle Italiener, Händel, Lully, Rameau etc.) mich sehr ansprechen und es vermögen, mich fröhlich zu stimmen, zum Weinen zu bringen, vor Spannung die Luft anzuhalten, so ist Bach für mich eigentlich der Einzige, der mich selbst über mich hinaushebt. Um dieses luftige Gleichnis etwas zu erden: Bach wirkt transpersonal auf mich, um das strapazierte Wort Transzendenz zu vermeiden. Wenn ich Bach höre, was ich nicht so nebenbei kann wie andere –was nicht heißt, dass ich andere Komponisten nur nebenbei höre – dann verschafft er mir Ruhe von mir selbst. Während andere „Effekt“ auf mich machen, ist Bach derjenige, der mich mich selbst vergessen läßt. Dann schweigen Freude, Trauer und sämtliche anderen Gefühle in mir, dann bin ich für einen Moment gar nicht existent. Und das Gefühl ist hervorragend. Aber ich genieße es wohldosiert. Aber am besten, ich sollte mit meinem Hausarzt darüber reden…

    Einmal editiert, zuletzt von Blackadder ()

  • Hallo, liebe Bachfreunde!


    Ein interessantes Thema, und ich wundere mich, weshalb ich den Thread noch nicht eher entdeckt habe.


    Warum ist Bach für mich einzigartig?


    1. Weil er der absolute und unerreichte Meister der Polyphonie, des Canons und vor allem der Fuge war.


    2. Weil hörbar ist, dass die Quelle seiner Inspiration unerschöpflich gewesen sein muss - die Qualität und die Vielfalt der Musik, die er z.B. Sonntag für Sonntag ablieferte, ist schlichtweg unfassbar. Dass viele der von ihm geschriebenen Kantaten für immer verloren gingen, ist für mich der grösste Verlust in der Musikgeschichte. Bei den heute bekannten Kantaten hat er sich m.E. keine Qualitätseinbrüche geleistet.
    Alle Aussagen, die ich von Leuten gelesen habe, die das Kantatenwerk eingespielt haben, gehen in diese Richtung.
    Alleine die 6 Brandenburgischen Konzerte sind hinsichtlich Besetzung und Komposition so unterschiedlich, dass es ein Jammer ist, dass er nicht gleich 60 davon geschrieben hat.
    Gewöhnlich ist an den Brandenburgischen Konzerten eigentlich nichts.


    3. Weil seine Musik bei mir in einzigartiger Weise den Intellekt, die Emotion und auch das Bedürfnis nach Spiritualität anregen und zufriedenstellen kann.


    4. Weil viele seiner Werke, die er für die verschiedenen Instrumente und Besetzungen schrieb, imho das Grösste darstellen, was jemals vorher und hinterher dafür geschrieben wurde ( Beispiele: Orgelwerk, die 6 Suiten für Violoncello, die Lautensuiten, die Orchestersuiten, die Messe h-moll, das W.O., das WTK I und II, die Gambensonaten, die Passionen, die Kunst der Fuge...)


    5. Weil er immer kontrapunktisch dicht komponiert hat. Allein seine Bässe finde ich schon interessant. Brahms soll in diesem Zusammenhang die Musik nach Bach als "die Zeit der faulen Bässe" bezeichnet haben.


    6.Weil seine Melodien von grosser Tiefe, Schönheit und Qualität geprägt sind ( Beispiel: Vorspiel zur Kantate BWV 156"Ich steh`mit einem Fuss im Grabe" oder das berühmte "Air" aus der Orchestersuite Nr. 3, D-Dur)


    7. Weil er harmonisch so kühn und einfallsreich schreiben konnte, dass er ganze Musikepochen einfach übersprang. Man höre nur in die Fuga a 3 Sogetti aus der "Kunst der Fuge" hinein, besonders in den Teil nach Einführung des B A C H -Themas bis zum Ende hin. Gould sagte hierüber einmal, dass man einige Takte hieraus durchaus für Musik von Alban Berg halten könnte, wenn man den Zusammenhang nicht hätte.


    8. Weil seine Musik in rhythmischer Hinsicht so pulsierend, swingend und groovend ist, wie man es nur von heutiger Jazz- oder Popmusik kennt.
    Sie hat oft "Drive".
    Man höre nur das c-moll-Doppelkonzert, bearbeitet für Oboe und Violine...


    9. Weil seine Musik die Stilformen der Vergangenheit aufgreift, respektiert und zu neuen Höhepunkten führt ( Beispiel: doppelchörige Motetten, oder Stilelemente frühbarocker Canzonen in Fugen)
    Ich jedenfalls meine diese Wurzeln in seiner Musik herauszuhören.


    10. Weil seine Musik einerseits Barockmusik ist und ich generell Barockmusik mag.
    Sie sollte m.E. historisch informiert und vor allem musikantisch beseelt gespielt werden, um für den heutigen Hörer so verständlich und aktuell wie möglich zu sein. Die alten Instrumente können Vieles erleichtern, ( z.B. barocker Mischklang, Klangbalance, Glockentondynamik bei Barockbögen) man kann sehr viel von ihnen lernen, aber sie sind m.E. nicht die wichtigste Voraussetzung für eine gute Bachinterpretation. Sinngemäss möchte ich hierzu Frans Brüggen zitieren: "20% Instrument / 80% Musiker"


    11. Weil in seiner Musik die Vorzüge verschiedener Stilformen vereinigt werden. Hierbei denke ich an den eruptiv-konzertanten italienischen Stil, den architektonisch strengen französischen Stil mit Ouvertüre und Suite, den norddeutschen Orgelstil Buxtehudes, etc. .....
    Er konnte in allen Stilen schreiben und sie in typisch bachscher Mischung miteinander verbinden und versöhnen.


    12. Weil seine Musik andererseits nicht nur Barockmusik ist, sondern oft einen zeitlosen Charakter hat. Zwar hört man der Kunst der Fuge oder den Cellosuiten an, dass sie Barockmusik sind, aber sie verlassen -für mich- sehr oft diesen zeitlichen Rahmen. Am besten lässt sich diese Musik m.E. wie folgt beschreiben: "Es ist - Bach"
    Bachs Zeitlosigkeit lässt sich auch daran erkennen, dass sich auch immer wieder Jazzer oder Elektroniker damit befassen.
    Chick Corea ( Grossmeister des Modern-Jazz) übt und spielt privat gerne Bach ( auf einem Video kann man beobeachten, wie er neue Stücke übt - er wählte die erste Variation der Goldberg Variationen und spielte das ziemlich gut, wie ich finde)
    Wendy Carlos` Klassiker "Switched on Bach" war eine der Lieblingsplatten meiner Kindheit ( die analogen Sounds stören mich heute weniger als die konventionelle, wenig sprechende Interpretation)


    13. Weil er ein Meister der Klangrede war. Seine Musik ist plastische Sprache in Tönen ( z.B. erster Satz 3. Brandenburgisches Konzert)


    14. Weil er ein Meister der versteckten Zahlensymbolik und anderer mystischer "Spielereien"war. Das Erstaunlichste hieran ist jedoch, dass die klingende Musik unter all diesen Bibelzitaten und Hinweisen überhaupt nicht leidet.


    15. Weil seine Musik zwar als "gearbeitete" Musik bezeichnet wurde, aber für mich viel mehr ist: Sie kommt irgendwie entspannt von oben herab.
    Bei Beethovens Neunten hört man, wie nach dem Prinzip "durch Kampf zum Sieg" komponiert wurde. Bei Bach ist der Frieden schon da.
    Die Neunte gehört zu meinen absoluten Lieblingsstücken, aber ich kann sie stimmungsmässig nur relativ selten hören. Bach kann ich eigentlich immer hören.


    16. Weil er in unterschiedlichsten Interpretationen gut klingt.
    Von Kindheit an bis zur Jugend war ich ein glühender Fan der Interpretationen Karl Richters. Seine hochemotionalen und manchmal auch rhythmisch mitreissenden Einspielungen haben meine Liebe zu Bachs Musik vertieft. Ab dem 12.Lebensjahr entdeckte ich die Klangrede Harnoncourts, die Klarheit Gustav Leonhardts und die Genialität Goulds. Hinzugekommen sind bis heute noch einige andere prägende Interpreten, wie Herreweghe, Koopman, Bernius oder auch Müller-Brühl, der ein HIP-Pionier auf heute gebräuchlichen Instrumenten ist.
    Auch Angela Hewitts Bach wird für mich immer interessanter.
    Eines haben alle hier genannten und auch viele der nicht genannten Bachinterpreten gemeinsam: Sie haben mit den Aspekten, die sie beleuchten, fast immer recht. Es ist in Bachs Musik alles enthalten.
    Sie ist viel zu gross, um durch eine Interpretation mustergültig und für alle Zeiten dargestellt zu werden.
    Manchmal bedeutet die Beleuchtung des einen Aspektes, dass der andere im Dunkeln verschwindet und umgekehrt.
    Deswegen ist muss weder das eine noch das andere falsch sein, obwohl es bei aller Freiheit auch Irrtümer geben kann, die man als solche erkennen und bezeichnen darf.
    Ich kenne z.B. keinen anderen Komponisten, bei dem ein Stück in dramatisch voneinander abweichenden Tempi gleichermassen gut klingen kann.
    ( Beispiel: die im Stil eines Chorwerks früherer Epochen komponierte Fuge E-Dur aus dem WTK II)
    Die vielen Interpretationsmöglichkeiten machen Bachs Musik für mich als Musiker absolut spannend.


    18. Weil jeder Ton seiner Musik für mich immer so klingt, als wenn er so sein müsste.
    Dabei schafft er es immer wieder, in mir Erwartungen zu erwecken, die er dann angenehm enttäuscht. Der von mir schon erwartete Schluss kommt dann tatsächlich noch einige Takte später, anders und besser, als ich es durch die vorher einkomponierten Andeutungen erwartet hätte.


    19. Weil seine Musik echte Tiefe hat.


    Die Liste könnte ich noch sehr lange weiterführen.
    Sie hat auch nur die Form einer nüchternden Aufzählung.
    In Wirklichkeit ist sie eine Liebeserklärung.


    Es war für mich ein emotional-unvergesslicher Moment meines Lebens, vor seinem Grab in der Thomaskirche zu stehen.


    Bach ist in der Tat einzigartig: :jubel: :jubel: :jubel:



    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Hallo Glockenton,


    Nach diesem Credo ist es eine lange Weile stille. Du hast soviel geschrieben.


    Zitat

    Weil er in unterschiedlichsten Interpretationen gut klingt.


    Darf ich das etwas weiter interpretiern, als Du meintest?
    Ich glaube sogar, daß Bachs Musik so schön ist, daß - selbst wenn sie benützt wird für einen Schlager - es trotzdem schöne Musik bleibt. Die unglaublich wunderbaren Melodien gehen nicht verloren.


    Oder bist Du Purist?


    LG, Paul

  • Hallo Paul,


    Zitat

    Ich glaube sogar, daß Bachs Musik so schön ist, daß - selbst wenn sie benützt wird für einen Schlager - es trotzdem schöne Musik bleibt. Die unglaublich wunderbaren Melodien gehen nicht verloren.


    dem stimme ich grundsätzlich zu.
    Wenn ich mir aber vorstelle, dass gewisse Schlagergrössen mit entsprechender Schlagerbegleitung etwas von Bach verunstalten, dann trotzdem :kotz: ( mir fallen da schon gewisse Namen ein, die ich öffentlich jedoch nicht nenne)
    Wenn Du das gemeint hast, dann wäre ich ein Purist.


    Jacques Loussier kann ich dagegen alle paar Monate schon hören, da ich ja auch Jazz mag; und von Wendy Carlos habe ich ohnehin viele "Bäche" im CD-Schrank.


    Bachs Musik geht durch so etwas nicht kaputt, dass stimmt schon.
    Aber ich meine nicht, dass sie durch Loussiers Bearbeitungen, Bobby McFerrins Scateinlagen oder auch Gabriela Monteros Improvisationen für die Gegenwart erst richtig verständlich oder gar besser gemacht wird.
    Obwohl ich mich vor der hohen Kunst dieser Musiker/innen verneige, höre ich doch viel viel lieber Bach pur.
    Auch in diesem Sinne wäre ich also eher ein Purist.
    Die von Alfred Brendel gespielten Orgelbearbeitungen Busonis liebe ich hingegen über alles.
    Wenn dann einer daherkäme und sagt, dass müsse unbedingt auf einer norddeutschen Barockorgel vom Barockspezialisten xy gespielt werden, dann wäre mir diese Art von Purismus aber doch zu eng.


    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

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  • Ich glaube, Paul meinte aber auch so Schoten wie "Sweetbox", die ihr "Everything's gonna be alright" gleich mit dem kompletten "Air" unterlegten. Ich hab's nachgeprüft: gerade mal 9 Jahre ist es her, daß ich mir sowas noch gekauft habe... Aber man muß der Gruppe auch dankbar sein: auf der Maxi war das komplett unbearbeitete Stück auch noch drauf. Auf die Art und Weise sind doch einige auf die Klassik gestoßen (worden).

    Ich brauche keine Millionen, mir fehlt kein Pfennig zum Glück...

  • Glockenton:


    Zitat

    1. Weil er der absolute und unerreichte Meister der Polyphonie, des Canons und vor allem der Fuge war.


    Eine schöne, wenn auch für meinen Gusto etwas zu emphatische Definition Bachs und seines Schaffens. Die Folgepunkte kann ich so, wie sie dastehen, beinahe unterschreiben, bei Punkt 1 jedoch legt sich begründbarer Widerspruch:


    Palestrina, Gabrieli und Schütz stehen in der polyphonen Meisterschaft Bach um nichts nach; WAS Polyphonie ausmacht, ist bei ihnen eher noch deutlicher erkennbar und ausgeprägter als bei Bach, weil ihr Schaffen im ZENTRUM einer Entwicklung steht, Bach dagegen mit seinem Werk in der Mitte des 18. Jahrhunderts einen Schlusspunkt setzt.


    Dieselbe Höhe beim Komponieren von Canons wie Bach erreicht sein "Kurzzeit-Lehrer" Dieterich Buxtehude mühelos; hier findet immer noch zu wenig Beachtung, was und wieviel Bach von ihm gelernt hatte.


    Die durch seinen 2. Sohn Emanuel überlieferte "Rang-Liste" der Komponisten, die Bachs ganz besondere Wertschätzung genossen, nennt an 1. Stelle
    den Wiener kaiserlichen Oberkapellmeister Johann Joseph Fux, dessen Fugen
    zu den großartigsten Schöpfungen in diesem Bereich gezählt werden dürfen.
    Fux hatte übrigens eine besondere Vorliebe für das B-A-C-H - Motiv !
    Daß die Werke Buxtehudes und nochmehr jene Fuxens einem breiteren
    Publikum kaum bekannt sind , erschwert die Einordnung zusätzlich.


    Was Bach einmalig macht, ist wohl eher die Synthese von alledem als das Auflisten einzelner Aspekte oder der Hinweis auf Techniken, die andere ebenso gut beherrschten.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Eigentlich wollte ich ja gerade anfangen... aber Glockenton's "Credo" bringt es wirklich auf den Punkt :yes: - dem kann ich nichts mehr hinzufügen und kann das alles einfach nur bestätigen.


    Benjamin :)

  • Zitat

    Original von Hans Sachs
    Ich glaube, Paul meinte aber auch so Schoten wie "Sweetbox", die ihr "Everything's gonna be alright" gleich mit dem kompletten "Air" unterlegten.


    Hallo Hans Sachs,


    Ich dachte dabei tatsächlich an zB Jaques Loussier. Oder Louis van Dijk, Raymond Guyot, et al.
    Sweetbox ?( ?( Ist das wie die Swingle Singers?
    Dagegen hat Tom Parker m.E. gelungene Bearbeitungen von großen Meister c.q. Großmeister gemacht. Ich mag z.B. das "Stay with me till the morning" auf Mozarts Musik (Dove sono? Klarinettenkonzert? Vergessen). :yes:


    LG, Paul

  • Zitat

    Original von musicophil
    .
    Sweetbox ?( ?( Ist das wie die Swingle Singers?


    Glaub mir, Du willst das nicht kennen, falls Du es nicht schon kennst. Und falls hier allgemein bekannt wird, daß ich sowas noch zuhause stehen habe, fliege ich wahrscheinlich hier sowieso wieder raus... :D


    Sweetbox haben sich "Air" geschnappt, einen Beat druntergelegt und dann noch ein paar Verse drübergerappt. :no:Sehr viel einfallsloser geht's eigentlich nicht, aber das Stück ist der ultimative Beweis für die These, daß man Bach nicht kaputtkriegt.


    :hello:Jürgen

    Ich brauche keine Millionen, mir fehlt kein Pfennig zum Glück...

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  • Was Bach auch einzigartig macht, ist dass er auch heute noch durchaus modern klingt :yes: Ich habe heute im Zug das musikalische Opfer angehört. Das ist der pure Wahnsinn! Solche Musik ist doch einfach zeitlos!


    Seit heute ziert auch eine kleine Bachbüste meinen Computerschreibtisch :jubel:

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Hallo, Masetto!


    Zitat

    Original von Masetto
    Seit heute ziert auch eine kleine Bachbüste meinen Computerschreibtisch :jubel:


    Das erinnert mich an diesen alten thread. Gibts da bei den Neulingen was Interessantes zu berichten?


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Zitat

    Original von Blackadder
    Dann schweigen Freude, Trauer und sämtliche anderen Gefühle in mir, dann bin ich für einen Moment gar nicht existent. Und das Gefühl ist hervorragend. Aber ich genieße es wohldosiert. Aber am besten, ich sollte mit meinem Hausarzt darüber reden…


    Das hast Du sehr schön gesagt!


    Ich denke heute schon den ganzen Vormittag über diese Frage nach. Bachs Musik ist für mich eine absolute. Es ist reinste Musik. Ich stellte zwar oben darauf ab, dass er mich mit Melodien gefühlsmäßig in den Bann ziehen kann, aber zu dem ist bei mir eine weitere Ebene gekommen. Nämlich besagte Absolutheit in Bachs Musik. Jede Note passt in den Kontext. Egal wo man beginnt, es ist diese Musik, die SOFORT da ist und sich nicht erst im Laufe des Werks entwickelt.


    Und wie Blackadder sagte, nimmt Bach wenn ich ihn höre auch allen Raum in Anspruch. Da bleibt kein Platz mehr für was anderes, da ist nur Bachs Musik!

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

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  • Zitat

    4. Weil viele seiner Werke, die er für die verschiedenen Instrumente und Besetzungen schrieb, imho das Grösste darstellen, was jemals vorher und hinterher dafür geschrieben wurde ( Beispiele: Orgelwerk, die 6 Suiten für Violoncello, die Lautensuiten, die Orchestersuiten, die Messe h-moll, das W.O., das WTK I und II, die Gambensonaten, die Passionen, die Kunst der Fuge...)


    Der Bachbewunderung alle Ehre, aber diesem Punkt muß nun entschieden widersprechen :D - das muß leider sein.



    Gerade was Kompositionen für die Lauteninstrumente und die Gambe anbelangt, könnte man eine ganze Latte Komponisten aufzählen die wesentlich großartigere Musik für diese Instrumente verfasst haben. Ganz zu schweigen von den übrigen Musikgattungen.


    Bachs Lautensuiten würde ich niemals mit den Meisterwerken von Dowland, den Gaultiers, de Visées oder den Werken von Weiss gleichsetzen (die Wissenschaft tut dies auch nicht mehr), da sind diese Herren dem alten Bach doch um einiges überlegen.


    Dann die Gambe, die 3 Sonaten für Gambe und Cembalo sind zwar ganz nett, aber doch niemals auf dem Niveau der Werke von Marin Marais um nur mal einen der großen Meister zu nennen.




    Die Einzigartigkeit von Bach ist allein in seinem Kompositionstil zu sehen, doch das ist wiederrum überhaupt nicht einzigartig, da jeder große Komponist seinen eigenen Stil hat und hatte.



    :hello:

  • vielen Dank, Glockenton, Du hast zu vielem, das ich bisher nur "gefühlt" habe, eine überzeugende Verbalisierung geliefert.


    Nicht, daß man so etwas für sich selbst bräuchte - man weiß halt, was man will, auch wenn man es nicht immer sofort zu begründen vermag - aber dafür, es anderen zu erklären, oder, besser, einfach auf Deinen Beitrag zu verweisen zu können.


    Aus meiner Sicht hast Du mir in beinahe allen Punkten aus der Seele gesprochen.

  • Zitat

    Original von Glockenton


    Es war für mich ein emotional-unvergesslicher Moment meines Lebens, vor seinem Grab in der Thomaskirche zu stehen.


    Glockenton


    Habe in Köthen bei der profanen Arbeit, dort eine Hochschule zu gründen, vor dem Cembalo gestanden, auf dem er gespielt hat - einer der wirklich unvergeßlichen Momente, bewegend und einzigartig ! -Thomaskirche steht mir noch bevor ...

  • Ich glaube, es wurde noch nicht geschrieben:


    Das Vermeiden von Langeweile.


    Vielleicht ist es das, was ihn noch ein wenig abhebt von
    den anderen Großmeistern. Bei Beethoven warte ich oft auf eine thematische Weiter-
    entwicklung. Eine gewöhnliche Fuge aus dem WTK nimmt eben nur ein paar Minuten
    in Anspruch. Bevor das Thema sich abnutzen kann hört Bach auf. Dadurch schafft er
    IMO eine auf geniale Weise eine durchgehende Spannung. Kann natürlich sein, dass Bach
    auch so eine Fuge noch auf interessante in die Länge hätte ziehen können


    Nun hat Bach aber die Kunst der Fuge auf Basis einer Idee komponiert,
    mag man einwenden. Aber er stellt ja auch allerlei an mit der Idee und er fügt andere
    Gedanken ein. Langweilig wird es mir zumindest dabei nicht.


    Aber auch Bach ist nicht vom Himmel gefallen: Seine frühen Tokkaten schließe ich
    nicht in meine Argumentation mit ein.


    :pfeif:

    "Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten" Gustav Mahler

  • Zitat

    Original von SMOB
    Das Vermeiden von Langeweile.


    Verstehe: Bach ist der einzige Komponist, bei dem man nicht einschläft.
    Also hat sich der Goldberg-Typ den Falschen angestellt.

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  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Verstehe: Bach ist der einzige Komponist, bei dem man nicht einschläft.
    Also hat sich der Goldberg-Typ den Falschen angestellt.


    Ungeachtet der Zuverlässigkeit der Legende, sollten die Variationen jedenfalls wohl nicht als Schlafmittel, sondern als Zerstreuung für den schlaflosen Grafen dienen.
    Und ungeachtet der Tatsache, daß die Langeweile meist eher am Hörer liegt, wäre mir Bach auch nicht als Kandidat, der diese am besten vermeidet, eingefallen (dann doch eher z.B. Beethoven).


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Beethoven hat IMO etliches geschrieben, bei dem Langweile aufkommen kann (z. B. Violinkonzert), zumindest wenn es nicht 1a dargeboten wird.
    Das liegt natürlich auch einfach am Zeitstil, die Sätze sind ja auch größtenteils viel länger.


    Mir ist bei Bach wirklich noch nie Langweile aufgekommen, da man auf Grund der meisterhaften Polyphonie immer das Gefühl hat (im Vergleich zu Werken anderer Komponisten), zumindest 2 (Oberstimme+Bass) Stücke gleichzeitig zu hören. Zu jeder Zeit ist mindestens eines davon interessant und meistens die Kombination von beidem noch einmal...

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • Zitat

    Original von rappy
    Mir ist bei Bach wirklich noch nie Langweile aufgekommen,


    Echt jetzt? Bei mir ist's genau umgekehrt...


    :beatnik:

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl


    Ungeachtet der Zuverlässigkeit der Legende, sollten die Variationen jedenfalls wohl nicht als Schlafmittel, sondern als Zerstreuung für den schlaflosen Grafen dienen.


    Wie schon im Thread über die Friedemann-Variationen erwähnt (denn das wäre aller Wahrscheinlichkeit der korrektere Name), hat Forkel da wohl eine ihm von Wilhelm Friedemann kolportierte Geschichte verdreht. S. Peter Williams, Bach: The Goldberg Variations.
    Wenn ich im Sommer Zeit habe, werde ich die zwei Seiten aus seinem Buch darüber mal für diesen Thread übersetzen.


    -------------------------------------------------------------------------


    Das beiseite, finde ich jeden, wirklich jeden Komponisten der Musikgeschichte einzigartig, und kann es zwar nachvollziehen, daß ausgerechnet bei Bach immer wieder diese Frage gestellt wird - aber ungerecht finde ich es trotzdem.
    So wie die Frage nach der Einzigartigkeit hier gestellt wird, schwingt immer implizit mit, daß er der Bewundernswerteste war oder was auch immer. Unter Meistern gibt es nur Meister ... "Warum mich Bach berührt" - das fände ich eine eher angemessene Frage, die weniger Bewertung impliziert.

  • Zitat

    Original von Ulli


    Echt jetzt? Bei mir ist's genau umgekehrt...


    8o 8o 8o 8o 8o


    Und so jemand lebt in derselben Stadt wie ich :D

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

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  • Ich hab mich schon bei beiden gelangweilt, leb' aber auch nicht in eurer Stadt (ich darf das :D ).


    :hello:


    P.S. Kenne bisher überhaupt keinen Komponisten, bei dem mir nicht schon mal Langeweile aufkam (ja, Dvorak und Debussy eingeschlossen).

  • Karlsruhe ist eh die Händelstadt, da hat Bach nix verloren :P (falls Du's nicht glaubst, marschier mal durch die Innenstadt und berichte, über wieviele Bachbüsten Du gestolpert bist).


    Und bei Händel geht ja nun wirklich der Punk ab, ne?


    :baby:

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Original von Ulli


    Und bei Händel geht ja nun wirklich der Punk ab, ne?


    :baby:


    Händel war n Checker. Hör Dir ma allein die Bourree aus der Feuerwerksmusik an, hätte Bach nie im Leben komponieren können (ich verschweige an dieser Stelle, daß Händel vermutlich auch so einiges von Bach nicht hätte komponieren können :P ).


    Grüße an die Händel-Stadt
    Wulf

  • Zitat

    Händel war n Checker. Hör Dir ma allein die Bourree aus der Feuerwerksmusik an, hätte Bach nie im Leben komponieren können (ich verschweige an dieser Stelle, daß Händel vermutlich auch so einiges von Bach nicht hätte komponieren können Zunge raus ).


    Hallo Wulf,
    in einem anderen Thread hast Du Dich mal mit Amfortas darüber gestritten, dass andere Komponisten im Mahler/Spätwerk-Thema nix verloren hätten.
    Jetzt geht's bei der Einzigartigkeit Bachs bei Dir darum, dass Händel vieles konnte, was Bach niemals hätte erreichen können. ;-)
    Dem möchte ich übrigens voll zustimmen und mehr noch dem Einschub, dass es sich andersrum ebenso verhielte. ich denke Bach ist einfach die kompletteste Figur der von mir soweit zu überblickenden Musikgeschichte. Seine Universalität spiegelt sich zb auch in seiner Expertise auf anderen Instrumenten, seinen Fähigkeiten im Orgelbau bzw. seinen ratgeberischen Tätigkeiten. Für Bach schien Musik in allen Feldern natürlich zu sein. Es gab keine Berührungsängste und keine Unsicherheiten mit gar nichts in bezug auf das große Feld der Musik. Diese Natürlichkeit ist in seiner Musik auf schon fast magische Art und Weise integriert.
    Heute gibt es kaum noch vergleichbare Menschen. Im Jazz geht Pat Metheny in die Richtung, der sowohl kompositorisch, improvisatorisch, virtuos und auch viel Pionierarbeit (siehe Bach!!!) im Instrumentenbau/Entwicklung und dem Erkunden neuster Technologien macht. Dennoch wäre es albern, irgendjemanden mit dem übergroßen Bach auf eine Stufe stellen zu wollen...


    Ansonsten sag ich lieber nix zu Bach, weil ich sonst Jahre bräuchte, und ich mach in der Zeit lieber selbst Musik oder arbeite an meinen eigenen Stücken.
    Ich wundere mich manchmal freudig, wie viel Intensität manche Forumsteilnehmer in ihre Beiträge stecken. Da gibt's ja manchmal mehr zu entdecken als im Internet ;-) ?!?!


    Beste Grüße,
    Lars

    Laurentius



    Man benutze seine Ohren wie Augen.

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