Hallo, liebe Musikfreunde,
John Adams ist ein typischer amerikanischer Babyboomer wie sonst nur Clinton oder Bill Gates. 1947 in einer Kleinstadt in New England geboren – der Vater spielte Klarinette, die Mutter sang Musicals – fühlte er sich schon im Alter von 8 oder 9 Jahren zum Komponisten geboren, dirigierte früh kleine Laienorchester, studierte 1965 – 1971 in Harvard, wurde um diese Zeit von Leonard Beinstein zu einem Dirigier-Workshop nach Tanglewood eingeladen – und sagte ab, weil ihm Komponieren wichtiger war.
In dieser geschützten Umgebung trafen ihn gleichzeitig der verspätete Schock der Atonalität durch seinen Lehrer Leon Kirchner, der noch Schönberg aus gemeinsamen Studienzeiten kannte, wie auch die Studentenbewegung mit Jazz, Rock, den Beatles, Marihuana und der drohenden Gefahr Vietnam. Das eine sprach eher den Intellekt an, das andere war wie eine persönliche Befreiung. Noch passte es nicht zusammen, aber damals konnte jeder mit einigermaßen stabilem Hintergrund sicher sein, seinen Weg zu machen.
Nach Studienabschluss brach er 1971 in einem VW Käfer nach Kalifornien auf. Die 1970er brachten die Erfolge der Minimalisten, und er selbst bezeichnet einen Besuch in Europa mit Besichtigung der Architektur von Florenz als den zweiten Durchbruch zum eigenen Stil: eine am klassischen Schönheitsideal orientierte, gleichwohl ironisch distanzierte Verknüpfung von modernen Rhythmen und spätromantischem Orchesterklang. Das wurde ein Erfolgskonzept. Heute ist er einer der wenigen Komponisten, die ausschließlich von ihren Werken leben können, und das ohne sich an die Filmindustrie verkaufen zu müssen. Zum Komponieren zieht er sich von Berkeley in eine kleine Wohnung in der Nähe der Highway One an der kalifornischen Küste zurück, mehr im Stil einer gemütlichen und mit allen Komforts ausgestatteten Hippie-Landkommune – mit Platz für sich und seine Familie - als die kargen Komponierhäuschen von Mahler.
Mit sich selbst im reinen, hat er zu allen Fragen der Musikkultur überzeugende Antworten und eine desillusionierte Sicht. Das große Zeitalter des Orchesters hat um 1900 seinen Zenith überschritten und niemand kann mehr Werke schreiben wie die Sinfonie fantastique oder das Sacre du Printemps. Und doch lässt sich zumindest in USA in einer Spätblüte gut leben.
Die „Harmonielehre“ ist eine 40-minütige Sinfonie mit 3 Sätzen und spielt im Titel ironisch an das Werk von Schönberg an, das 1911 erschien, bevor Schönberg dann den atonalen Weg einschlug. Offenbar will Adams an diesem Verzweigungspunkt anders weiter machen.
Am besten kam bei einem Konzert in Heidelberg vor wenigen Tagen (mit Steven Sloane und dem Bundesjugendorchester) der erste Satz an. Er hat keinen Titel, doch hat Adams an einen Traum gedacht, bei dem ihm ein Supertanker erschienen ist, der die San Francisco Bay in den Himmel hinein verlässt.
Das klingt schon fast peinlich und geradezu im Übermaß allen amerikanischen Klischees verpflichtet, und doch ist dies ein mitreißendes Stück, von den im Durchschnitt vielleicht 18 Jahre alten Jugendlichen begeistert gespielt. Nachdem es spontanen Pausenapplaus gab, wurde es als zweite Zugabe wiederholt.
Der zweite Satz „Amfortas Wunde“ greift Mahlers 10. Sinfonie auf, Sibelius und Richard Strauss, sucht sie in den Effekten teilweise noch zu überbieten, und offenbart damit ungewollt eine geradezu existenzielle Leere, die sich auch nicht mit dem Argument der ironischen Distanz herausreden kann.
Anders als die meisten zeitgenössischen Komponisten (anders auch als Mark-Anthony Turnage, Shooting-Star und Arsenal-Fan aus England, dessen Violakonzert von Tabea Zimmermann am gleichen Abend überzeugend vorgetragen wurde) gelingt es ihm durchaus, das Lebensgefühl der Nach-1945-Ära oder wenigstens wichtige Seiten dieses Lebensgefühls zu gestalten, ohne es jedoch je auch nur im Ansatz infrage zu stellen.
Tabea Zimmermann spielte als Zugabe ein für die Bratsche transkibiertes Stück aus den Violin-Solo Werken von Bach, und der Abend wurde eröffnet mit dem Adagio aus Mahlers 10. Sinfonie. Das war eine gelungene Gegenüberstellung. Zimmermann spielte den Bach mit einer Meisterschaft, die das Ideal dieser Musik so gut traf, wie ich es selten gehört habe. Und Mahlers 10. Sinfonie: Während sich Adams in den Klängen seiner Zeit einfach wohl fühlt, ist bei Mahler die ihm falsche Haut der Spätromantik immer zu spüren, und vermag er aus dieser Bedrängnis Klänge zu finden, die den Hörer nicht mehr loslassen.
Um möglichen Missverständnissen zu begegnen: Einen solchen Konzertabend ziehe ich bei weitem rein klassischen Programmen vor. Er lässt viel über das eigene Leben und Erlebte nachdenken, was nicht immer angenehm ist, aber doch auf ganz andere Art berührt und anregt, als ausschließlich ein Besuch – etwa in Florenz, so schön es dort auch sein mag. Und wie schon das Bruckner-Konzert wenige Tage zuvor mit dem Orchester der Mannheimer Musikhochschule hat es erneut bestätigt, welcher Elan von Musikern ausgeht, die noch dabei sind, die Musik zu entdecken.
Viele Grüße,
Walter