Bewegende Momente in Oratorien

  • Salut,


    immer wieder bewegt mich diese Stelle im von mir kürzlich entdeckten Oratorium ‚Der Tod Jesu’ von Joseph Martin Kraus:


    Das Baß-Rezitativ [Nr. 7] endet mit den Worten …und er gab seinen Geist auf. – und es gibt keinen obligatorischen Schlussakkord – die Worte verhallen, die Musik erstirbt, es herrscht im wahrsten Sinne des Wortes Totenstille – Kraus hat hier das Nichts komponiert. Erst nach einer bedächtigen Pause setzt das Intermezzo [Nr. 8] ein, in versöhnlichem Es-Dur…


    Wirklich bewegend.


    Empfehlung:



    Cordialement
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Hallo Ulli


    Zitat

    es gibt keinen obligatorischen Schlussakkord – die Worte verhallen, die Musik erstirbt, es herrscht im wahrsten Sinne des Wortes Totenstille – Kraus hat hier das Nichts komponiert.


    Leider kenne ich dieses Oratorium nicht. Aber Dank Deiner wirklich guten Beschreibung kann ich mir vorstellen, daß dies ein absolut bewegender Moment ist.


    Wieder ein Beweis dafür, wie stark Musik sein kann und welche Gefühle sie in uns auszulösen vermag - auch die Momente der Stille in einem Stück gehören da definitiv dazu.


    Viele Grüße Mimi

    che gelida manina....

  • Zitat

    Original von mimi


    Leider kenne ich dieses Oratorium nicht. Aber Dank Deiner wirklich guten Beschreibung kann ich mir vorstellen, daß dies ein absolut bewegender Moment ist.


    Salut Mimi [und Mitleser],


    das ist wahrlich in diesem Falle nicht sonderlich schwer - Kraus hat im gesamten Werk den Text vertont. Und der Textdichter war niemand aneres, als Kraus selbst. In dem Oratorium wimmelt es nur von ähnlich beschreibbaren Stellen, die oben genannte war bzw. ist für mich die [inhaltlich] ergreifendste.


    Zum Beispiel wird in selbigem Rezitativ auch das wilde Gelächter ["mit wildem Gelächter überlieferten seine Feinde ihn dem Tode"] orchestral dargestellt, wahrhaft höhnisch. Und nicht ganz ohne ist auch der Chor "Der Rächer kommt..." - das ist wirklich dermassen ermahnend, dass man die "Predigt" gefesselt über sich ergehen lässt, Hände an die Hosennaht, er könnte ja wirklich augenblicklich kommen 8o - man fühlt sich schon schlecht dabei... So eine Art Reality-Oratorium...


    Cordielament
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Hallo Ulli,


    ....was mich in dem Zusammenhang interessieren würde: Welche Textgrundlage verwendet Kraus für sein Oratorium? Doch sicher keinen "puren" Evangelien-Text - das war zu seiner Zeit ja bereits "außer Mode" gekommen...
    Was ich eigentlich schade finde, denn so nachgedichtete Texte à la "Brockes-Passion" oder "Der Tod Jesu" (ich kenne hier die Vertonungen von Telemann und Graun), die die Passionsgeschichte auch noch in gereimter Form darbieten, nehmen die ganze Direktheit und Dramatik aus der Geschichte und bieten als "Ersatz" nur geschmackvolle Reime und poetische Anteilnahme....

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Zitat

    Original von MarcCologne
    Hallo Ulli,


    ....was mich in dem Zusammenhang interessieren würde: Welche Textgrundlage verwendet Kraus für sein Oratorium?


    Salut,


    oben schrieb ich es - es hätte mich auch arg gewundert, wenn nicht:


    Zitat

    Und der Textdichter war niemand anderes, als Kraus selbst.


    Er hat sicher keine definierbare Textgrundlage umgebaut, sondern er war selbst literarisch sehr bewandert, schrieb Gedichte und Aufsätze, verfasste musiktheoretische [bedeutende!] Schriften. Er liebte das Wort - und das merkt man bei dieser Musik deutlich. Lediglich im Aufbau gibt es eine Parallele zu Pietro Metastasios =) La Passione di Nostro Signore Gésu Cristo - zwei Teile, der eine die Leidensgeschichte erzählend, der zweite kommentierend.


    :hello: and welcome back!


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • ... na, da lag ich dann ja doppelt "daneben" - als ich den Beitrag geschrieben hatte, fiel mir auf, dass der Titel von Kraus' Oratorium "Der Tod Jesu" darauf hindeuten könnte, dass er die gleiche Textvorlage wie die erwähnten Herren Graun und Telemann für ihre gleichnamigen Passionswerke verwendet haben könnte. Dann wäre meine Frage ja unnötig gewesen.
    Und dann stelle ich fest, dass Ulli die Antwort einen Eintrag höher bereits selber gegeben hat - ich brauche wirklich eine Brille :wacky:


    Um aber auf die Frage nach persönlich bewegenden Momenten in Oratorien zurückzukommen:


    Händels Israel in Ägypten: Die Schilderung der "thick darkness", die über das ganze Land kam und dann die letzte der 10 Plagen direkt unvermittelt im Anschluss: "He smote all the fristborn of Egypt" als wahrhaft unerbittlich wirkende Fuge - wow!!


    Im Messias bewegt mich der feierliche Abschluss immer sehr: "Würdig ist das Lamm, das da starb" - das ist als Schlusswort dieses großen Werks (mit dem anschließenden "Amen" natürlich) echt beeindruckend.


    Und dann natürlich die "Sterbemomente" in Bachs Matthäus- und Johannes-Passion - das ist schon sehr bewegend, obwohl man ja von Beginn des Stücks an weiß, worauf es hinauslaufen wird.
    In der MaPa außerdem die ohne jede Baßbegleitung sphärisch dahinschwebende Sopranarie "Aus Liebe will mein Heiland sterben" und -als Chorsänger bin ich darauf natürlich besonders erpicht - die vielen wundervollen Turbae-Chöre in beiden Passionen!! Da läufts mir immer eiskalt den Rücken runter und gerade in der Johannes-Passion mit ihren durch die Textvorlage vorgegebenen zahlreicheren Turbae-Chören baut sich dann in der Pilatus-Verhör-Szene eine immer aggressiver werdende Stimmung auf, das ist fast wie ein "Live-Protokoll" dieser Verhandlung und dürfte kaum einen Zuhörer (und Mitwirkenden) kalt lassen - Bach war halt auch ein hervorragender Psychologe!

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Einer der, für mich, packendsten und bewegendsten Momente in einem Oratorium ist die Szene des Elias von Mendelssohn-Bartholdy in dem Elias Gott bittet es regnen zu lassen, die Steigerungen im Gebet und die Zwischensätze des Knabensolos haben etwas magisches an sich.