Anna Netrebko - Einzigartig oder nur Marketing?

  • Und genau das wird jetzt wieder Künstlern zugemutet. In einem Rechtsstaat zählen für mich Gesetze, an die sich alle zu halten haben. Hat die Netrebko bei ihren Auftritten im Westen dagegen verstoßen? Nein. Hört man ihrem Gesang an, wo sie steht? Singt jemand, der zu Putin hält, anders als jemand, der fest an der Seite der Ukraine steht?

    Lieber Rüdiger,


    im Unterschied zur DDR sind in der BRD die allermeisten Konzertveranstaltungen nicht staatlich, sondern privat. Der Staat kann deshalb auch kein Auftrittsverbot erlassen. Konzertveranstaltungen sind letztlich privatrechtlich organisiert. Ein Konzertveranstalter kann - rechtlich zulässig - sehr wohl ein Engagement kündigen, wenn es dafür Gründe gibt, das Ansehen des Veranstalters gefährdet ist, ein öffentliches Ärgernis vorliegt, etwa das Publikum ein Konzert boykottiert und erhebliche finanzielle Einbußen zu erwarten sind usw. Natürlich kann der Ausgeladene dagegen klagen und etwa Schadenersatz verlangen je nach Art des Vertrages. Bezeichnend hat das aber keiner der Betroffenen getan. Der Veranstalter trägt das unternehmerische Risiko der Veranstaltung, kann also auch im Prinzip bestimmen, ob er das zu übernehmen bereit ist, wenn sich die Bedingungen ändern. Bei Ausländern gilt zudem das Gastrecht. Gäste verlieren ihr Gastrecht, wenn sie sich nicht wie Gäste benehmen, etwa im Krieg sich für den Feind positionieren.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Frau Netrebko besitzt seit 2006 neben der russischen auch die österreichische Staatsbürgerschaft und ist somit Unionsbürgerin der EU. Welches "Gastrecht" könnte man ihr ggf. überhaupt entziehen?

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Gäste verlieren ihr Gastrecht, wenn sie sich nicht wie Gäste benehmen, etwa im Krieg sich für den Feind positionieren.

    Welches "Gastrecht" könnte man ihr ggf. überhaupt entziehen?

    Sowohl Angela Merkel, Armin Laschet, der Berliner SPD-Fraktionschef Raed Saleh wie auch Sarah Wagenknecht („Wer Gastrecht missbraucht, hat Gastrecht verwirkt“) und Forummitglieder sprechen von einem Gastrecht. Wollen die Politiker mit dieser Rhetorik eine juristisch begründete Anspruchshaltung vermitteln? Ein gesetzlich geregeltes Gastrecht gibt es heute nicht in Deutschland, im Gegensatz zu einem Asylrecht, das in der deutschen Verfassung verankert ist. Von 1938 bis 1965 galt die Ausländerpolizeiverordnung der Nazis, die eine Ausweisung ermöglichte, wenn der Ausländer „der ihm gewährten Gastfreundschaft nicht würdig“ war. Gott sei Dank sind das "tempi passati".


    Dürfen die Deutschen (oder Österreicher) von Ausländern erwarten, dass sie sich richtig verhalten nur weil sie Gäste sind? Richtiger wäre, dass die Deutschen bzw. Österreicher und die hier lebenden Ausländer von jedem erwarten dürfen, dass er sich richtig verhält, weil es Gesetze gibt. Nur ist eben das „Gastrecht“ nicht juristisch geregelt. Jedes Land hat das Recht (und die Pflicht), dafür zu sorgen, dass Gesetze beachtet und befolgt werden. Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung des Gastlandes gefährdet, kann schon jetzt mit Auftrittsverbot belegt werden und sogar abgeschoben werden.


    Aber haben die betroffenen russischen Künstler hier jemals die freiheitliche demokratische Grundordnung gefährdet?

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Anna Netrebko ist jetzt auch in Mailand an der Scala mit dem Pariser Programm aufgetreten.


    Die Meinungen gehen von "gefeiert" bis zu "ein Triumph war es nicht" und können hier nachgelesen werden.


    https://www.derstandard.at/sto…mailaender-scala-gefeiert


    https://www.bluewin.ch/de/ente…vation-nicht-1237712.html


    https://www-connessiallopera-i…&_x_tr_hl=de&_x_tr_pto=sc


    https://tg24-sky-it.translate.…&_x_tr_hl=de&_x_tr_pto=sc mit kurzem Video-Clip:

    https://video.sky.it/news/spet…la-e-trionfa-video-752762

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

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  • Aber haben die betroffenen russischen Künstler hier jemals die freiheitliche demokratische Grundordnung gefährdet?

    Du hast völlig Recht! Um zu Anna Netrebko zurückzukommen: In einem Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit" bekennt sich die Sängerin zu ihrem Heimatland Russland. Wer will ihr dies verdenken? "Ich liebe mein Land, meine Kultur, die Menschen. Ich finde es nicht richtig, was dort jetzt gerade passiert, aber ich bleibe eine Russin." Zugleich bestritt sie erneut eine ihr - von wem auch immer - nachgesagte Nähe zum russischen Präsidenten Putin und verurteilte den russischen Angriffskrieg. "Ich bin natürlich gegen diese schreckliche Gewalt", sagte sie.

    Russen haben, vielleicht anders wie viele Deutsche, ein ausgeprägtes Nationalgefühl. Im übrigen, Auftrittsverbote gegenüber russischen Künstler/innen, die sich nicht wohlfeil verhalten, erinnern mich an eine sehr dunkle Zeit unserer Geschichte. Daraus sollten wir alle gelernt haben. Leider ist es nicht so.

    :hello:

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

  • Wenn ich in den heutigen Nachrichten lese, dass die Mailänder Scala die nächste Saison mit "Boris Godunov" öffnet, und zwar mit ANNA NETREBKO IN DER HAUPTROLLE, so erinnert mich dieser Lapsus an eine Ankündigung des Mariinsky-Theaters vor vielen Jahren auf seiner englischen Webseite : "Anna Netrebko in the title role of Don Giovanni". Wer nun auf einen Fach- oder gar Genderwechsel gehofft hatte, sah sich enttäuscht. Offenbar war dem Administrator der Webseite zumindest im Englischen der Unterschied zwischen title und main role nicht geläufig. Genauso lustig war "Olga Borodina AS Khovanshchina".


    Beste Grüße aus Finnland


    Peter Schünemann

  • Wenn ich in den heutigen Nachrichten lese, dass die Mailänder Scala die nächste Saison mit "Boris Godunov" öffnet, und zwar mit ANNA NETREBKO IN DER HAUPTROLLE, so erinnert mich dieser Lapsus an eine Ankündigung des Mariinsky-Theaters vor vielen Jahren auf seiner englischen Webseite : "Anna Netrebko in the title role of Don Giovanni".

    Abgesehen mal davon, halte uch diese Ankündigung für einen sehr bemerkenswerten und hoffnungsvollen Schritt.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Zu all den Spitzfinidgkeiten.


    Fürs erste gerhörten Doppelstaatsbürgerschaften abgeschafft. Deren Träger ist - vom Anlassfall mal abgesehen - in der Lage die betroffenen Staaten gegeneinander auszuspielen und sich von überall die Rosinen herauszupicken.

    "eingebürgerte" Österreicher werden nie "vollwertig sein. Ähnich wie bei den IMO völlig wertlosen "Ehrendoktoraten" die man nach Lust und Laune verleihen und wieder aberkennen kann - bei Bedarf auch sogar posthum.


    Sebstverständlich kann man einmal verliehene Staatsbürgerschaften nicht so mir nix dir nix wieder rückgängig machen.

    Aber man kann einer unerwünschten Person das Leben so schwierig wir möglich machen, der Staat kann beispielsweise (vermutlich wir das abgestritten werden) Das Engagement eines unerwünschten Künstlers an eimem staatlichen Theater oder Opernhaus blockieren oder erschweren. Natürlich geht das hinter den Kulissen ab - nicht wie in der "internationalen Politik", wo man Berichte von Geheimdiensten in jeder Tageszeitung und im Internet nachlesen kann. Bei uns wird Dir ins Gesicht gelächelt, während man Dich verhungern lässt. Das ist, das, was als "Wiener Charme" bezeichnet wird. Da brauchen wir keine gesetzlichen Grundlagen. Auch auf private Konzertveranstalter kann man - natürlich (sanften) Druck ausüben - nicht in Form eines Befehls oder einer Anordnung - Gott bewahre !! - sondern durch eine bescheidene Bitte, Es wird dann auch nicht mit einer Kürzung von Subventionen gedroht - sie werden ganz einfach aus "budgetären Gründen" langsam stufenweise auf ein Minimum zurückgefahren.

    Wer braucht da Gesetze ? - Lächerlich...


    mfg aus Wien :saint::hello:

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Der Name Nebtreko lockt halt immer noch die Besucher ins

    Ins Opernhaus. Ich vermute mal das die meisten hauptsächlich wegen ihr und nicht wegen dem Boris in die Scala gehen werden. Und Herr Meyer wird wohl auch an die fehlenden Einnahmen gedacht haben, wenn Frau Nebtreko nicht singt.

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  • Also diese und jene werden wohl auch "wegen dem Boris" anreisen. ;) Ich würde sie gern hören als Marina. Eine - wie ich finde - ideale Besetzung ist zu erwarten. Und sie, die Netrebko, wird gewiss alles geben.

    .

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Wenn Frau Netrebko also nicht den Boris, sondern die Marina singt, erübrigt sich wenigstens die Frage, ob eine Fassung mit oder ohne "Polen"-Akt gegeben werden soll ...

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Ich nehme an, dass im Falle des Boris mit Anna Netrebko viele deutschsprachige Zeitungen und Nachrichtendienste einer von einer österreichischen Zeitung verbreiteten Ente aufgesessen sind.

    In auslãndischen Medien wird nur berichtet, dass Netrebko an der Scala singen wird, und zwar in Macbeth.


    Euronews: La Scala's 2022-23 calendar will also feature a host of Russian stars singing roles in ‘Boris Godunov’ as well as other titles, including soprano Anna Netrebko in ‘Macbeth.’

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • Lady Macbeth Ekaterina Semenchuk (17, 21 June) / Anna Netrebko (26. 29 June and 4, 8 July) 2023

    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

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  • Das Sängerehepaar Anna Netrebko und Yusif Eyvazov tritt am 29. 8. 2022 in der Kölner Philharmonie auf und singt "Die schönsten Arien und Duette der Oper"; begleitet werden sie von der Nordwestdeutschen Philharmonie unter der Leitung von Michelangelo Mazza. Ein weiteres Konzert ist für den 7. 9. 2022 in der Hamburger Elbphilharmonie angekündigt.


    Bei ihrem Konzert bei den Schlossfestspielen in Regensburg am 22. 7. 2022 gab es einige zahme Proteste gegen den Auftritt der Sopranistin.


    Carlo

  • Der Vorwurf, dass es Künstlern angeblich nur ums Geld ginge, ist nichts Neues.

    "Karajan dirigiert Geldscheine", Salzburger Festspiele, 1980er Jahre:


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    "Protz und Spiele", keift die FPÖ hinsichtlich von Millionensummen für die Salzburger Festspiele. "Eine halbe Milliarde Euro für Prestigeprojekte in Zeiten, in denen sich die Leute Strom und Gas nicht mehr leisten können." Und die Partei MFG spricht von "sinnbefreiten Ausgaben" für die Salzburger Festspiele, fürs Museum Belvedere und die Sanierung der Neuen Residenz. (Quelle)

    Dagegen ist Anna Netrebkos Auftritt an der Wiener Staatsoper ein "Lercherlschas".

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Ich wäre nich in die Boheme hingegangen. Deshalb schreib ich ja auch hier immer das all die Aufregung nichts nützt, wenn in ein paar Monaten eh alles wieder vergessen ist

  • Hallo zusammen,


    da dies mein erster Beitrag in diesem Forum ist möchte ich gerne etwas positives schreiben. Ich bitte daher um Verständnis wenn ich auf die politischen Aspekte, die sich - sehr zu meinem Leidwesen - um die Person Anna Netrebkos ranken nur sehr knapp eingehe.


    Ich habe meinen Frieden damit gemacht, nicht zu wissen, ob wir uns über politische Themen einig würden. Ich weiß nicht ob es eine moralische Verpflichtung zum Boykott ihrer Kunst gäbe. Sollte es sie geben und meine Weigerung eine solche Maßnahme mitzutragen als dickes Minus in der finalen Abrechnung meines Lebens stehen, so hoffe ich bis dahin genug Gutes getan zu haben um es wieder ausgleichen zu können.


    Nachdem das also hinreichend geklärt wurde muss ich gestehen, dass Frau Netrebko wohl die Hauptverantwortung dafür trägt, dass ich mich für eine Mitgliedschaft bei Tamino zu interessieren begonnen habe. Ich habe zu Beginn der Pandemie begonnen mich intensiver für klassische Musik zu interessieren. Man erinnert sich vielleicht an die grässliche Covid-Situation in Italien. Damals haben ja viele Italiener von ihren Balkonen aus den Gefangenenchor aus Nabucco gesungen. Ich kannte das Stück bereits (es war das Lieblingsstück meines verschiedenen Opas) aber damals war ich gerade in einer Übergangsphase zwischen Schule und Studium und hatte endlich einmal genügend Zeit mir die ganze Oper anzuhören (und anzusehen. Gott sei Dank für YouTube). Ich war ziemlich begeistert und je öfter ich es anhörte (Sinopoli Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin. Capuccilli, Dimitrova, Domingo) desto besser gefiel es mir. Die Oper hatte damit bei mir einen Fuß in der Tür. Als ich ein paar Monate später Netrebko in La Traviata hörte und sah, war dieser Fuß nicht mehr nötig. Sie hat diese metaphorische Tür einfach eingetreten.


    Ich weiß, Oper ist kein Einzelsport und ein ganzes Heer von Orchestermusikern, Kostümbildnern etc. pp. Stand hinter den Sängerdarstellern, aber trotzdem hat mich ihre Darstellung der Violetta zutiefst bewegt, mehr als irgendein anderes Kunstwerk das ich mich erinnern kann erlebt zu haben. Nach dieser Erfahrung war ich zunächst auf der Suche nach dem richtigen Vokabular und Wissen um meine Gefühle, die ich selber längst nicht alle verstand, ausdrücken zu können. Bei dieser Suche stieß ich auf das Tamino-Forum. Ich habe seither einiges gelernt über Operngesang und Musik im Allgemeinen. Ich habe mir eine ganze Reihe von Referenz-Traviaten angehört und noch immer bewegt mich keine sosehr wie Anna Netrebko. Wegen dieser Inszenierung habe ich das Buch La Dame aux Camélia gekauft und es gelesen.


    Weitaus klügere Menschen haben hier in diesem Thread manche Interpretation kritisiert. Ich behaupte nicht, dass Netrebkos Interpretationen immer die tiefschürfendsten oder notwendigerweise die besten sind, aber ich hatte immer das Gefühl, dass sie die Figuren, die sie darstellt ernstnimmt und es ihr nicht in erster Linie darum geht „schön zu singen“ und ja jeden Triller und jede Ornamentierung unterzubringen. Ich nehme Anteil an diesen Personen in einem Ausmaß wie ich es bei Gheorghiu oder auch Sutherland nie getan habe obwohl beide technisch sauberer sangen bzw. singen. Und ja ich habe mich redlich bemüht, jede ihrer Aufnahmen anzuhören.


    Musikalisch liebe ich ihre Vielseitigkeit und umfangreichen „Werkzeugkasten“ in Ausdrücken. Es sind nicht nur Veristisches Husten und Aufschluchzen, sie moduliert Lautstärke, sie phrasiert geschickt. Es klingt vielleicht absurd aber, wenn jemand sich berufen fühlt noch einmal ihr „Teneste la promessa… Addio del Passato“ aus Salzburg anzuhören, so möchte er oder sie auf das zittrige Luftholen vor dem „E tardi!“ achten, das für mich mehr ausdrückt als es ein tränenreiches Geschniefe während der Arie könnte.


    Inzwischen habe ich Netrebko in Regensburg Live gesehen und wenn Sie ein bisschen Schwulst von einem verkappten Romantiker ertragen wollen so ist hier im folgenden Absatz das (leicht zusammengekürzte) Fazit meiner Überlegungen nach dem Konzert:


    Als ich über meine erste Aufnahme von Anna Netrebko stolperte war ich auf der Suche nach einem Fluchtweg aus einer zunehmend unerträglichen Realität. Ich bekam ihn nicht. Weder damals noch an diesem Abend. Frau Netrebkos Darstellung war damals wie heute von einer erschütternden und Mitreißenden emotionalen Wahrhaftigkeit und so voll von Menschlichkeit, dass es wehtat. Sie lehrte mich einsehen, dass es keinen Ausweg gab. Doch zugleich versöhnte sie mich damals wie heute mit dieser Erkenntnis indem sie mir etwas anderes zeigte und Mitgab: Hoffnung. Hoffnung darauf, dass es in der Menschlichen Natur ein Potential für Güte und Schönheit gibt. Dass es noch ein Später geben kann, in dem nicht mehr gehasst wird. Klügere Menschen mögen so viel sie möchten über die Musikalischen Spitzfindigkeiten und die Realpolitischen Implikationen debattieren. Aber egal wie kritisch dieses Urteil ausfallen mag: Ich habe ihr geglaubt und für einen wundervollen Moment war ich glücklich.


    Ist sie Einzigartig? Für mich, ja. Verständigere Forumsmitglieder haben weit differenziertere und wohl objektiv richtigere Antworten auf diese Frage gegeben. Da Kunst aber subjektiv ist, denke ich, die Position, Sie bewegt mich wie keine Andere und ist darin einzigartig, ist durchaus vertretbar.


    Was die Bohème in Wien angeht so habe ich bisher nur den ersten Akt gesehen und fühlte mich den Charakteren noch nie so nahe. Das könnte aber auch daran gelegen haben, dass ich beim Anhören in einer 9 Grad warmen Studentenbude mit abgedrehter Heizung saß und dringend einen Essay für die Uni fertig schreiben musste. Nur Essen hatte ich genug Bei mir stand aber halt auch keine Mimi vor der Türe. Nun ja, man kann nicht alles haben. Im Ernst gesprochen, was ich hörte hat mich sehr überzeugt. Anfangs hatte ich einige Bedenken weil ich der Meinung bin, dass sie ihren Fachwechsel aus guten Gründen vorgenommen hat und ich begrüße ihn im Großen und Ganzen. Ich war jedoch angenehm überrascht. Das „Mi chiamano Mimi“, fand ich persönlich fantastisch. Und den leisen Spott in „Curioso?“ bei „O Soave fanciulla“ fand ich unbezahlbar.


    Da ich neu in diesem Forum und - wie mir gesagt wurde – einer der Jüngsten bin, wollte ich mich erkundigen, ob es für Alle in Ordnung ist, wenn ich mich innerhalb des Forums des „Du“ als Anrede bediene. Ich selbst bitte darum, von allen geduzt zu werden. Was ich bisher im Forum gelesen habe, scheint dies die Norm zu sein, doch halte ich es für ein Gebot der Höflichkeit und des Respekts Ihnen das letzte Wort in dieser Frage zu überlassen.


    Mit besten Grüßen,


    Niklas Netzer.


    Post Scriptum: Eine Bemerkung zu den (offenbar kaum mehr existenten) Standards in der deutschen Presse: Wenn ich eine Konzertkritik lese, rangiert auf der Liste der Dinge, die mich interessieren die Farbe des Kleides der Solistin so weit unten, dass es auf einer Relevanzskala von 1-10 gar nicht mehr sinnvoll abgebildet werden kann. Auf einer Skala von 1-10 sind wir hier bei -10. Aber damit bin ich wohl in der Minderheit. Gefühlt die einzige Info außerhalb der zahmen Proteste, die die Zeitungen mitzuteilen hatten war, dass Frau Netrebko vor der Pause ein glitzernd dunkelgrünes und nach der Pause ein mintgrünes Kleid trug. Das stand dafür dann in allen Zeitungen. Halleluja.

  • Willkommen im Forum, lieber Niklas,


    was AN betrifft, so habe ich deine Begeisterung lange Zeit geteilt. Ich habe sie sogar 2x live erlebt, als Donna Anna in Zürich und als Manon an der MET.

    Ebenfalls aus der MET habe ich eine Kino-Live-Übertragung der Adriana Lecouvreur gesehen und war total begeistert. Über das politische Thema äußere ich mich nicht.

    Negativ muss ich anmerken, dass sie immer häufiger Angebote ablehnt, wenn ihr Mann Yusif Eyvazov nicht auch engagiert wird. Und diesen Möchtegern-Caruso habe ich gefressen wie Schmierseife.

    Aber das ist nur meine persönliche Meinung.

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Man kann über das Phänomen Anna Netrebko seit gut 20 Jahren viel nachdenken und schreiben.

    Da ich in Salzburg lebe, habe ich ihren kometenhaften Aufstieg hier ab 2004 ziemlich nahe miterlebt. Im Laufe dieser Jahre habe ich sie öfter gehört und gesehen und auch ich verdanke ihr einige meiner schönsten Opern-Live-Erlebnisse.

    Dass sie mit ihrer Kunst imstande ist, jemand die Tür zur Welt der Oper zu öffnen, steht für mich außer Frage.


    Dennoch war und bin ich kein echter Fan von ihr. Ich werde immer ein bisschen wehmütig, wenn ich an die lebendige und schöne Frau denke, die ich 2005 zum ersten Mal live sah. Auch ihre Stimme hat mir früher, als sie noch nicht gar so dunkel klang, besser gefallen.

    Und nicht zu vergessen, die Rolle der Medien in der ganzen Causa Netrebko - dieses unglaubliche Pushen und letztliche Fallenlassen. "Cunctator" hat das ja schön angedeutet.

  • Lieber Niklas,


    herzlich willkommen im Forum. Selbstverständlich ist die Anrede mit "Du" mir recht, auch wenn ich ein "alter Sack" bin.

    Ich glaube nicht, daß hier im Forum jemand mit "Sie" angesprochen werden möchte.


    Herzlichst La Roche (der aus Capriccio)

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

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  • Ebenfalls aus der MET habe ich eine Kino-Live-Übertragung der Adriana Lecouvreur gesehen und war total begeistert.

    Ja, das war wirklich begeisternd! Ihre Kontrahentin, Anita Rachvelishvili, war ebenfalls atemberaubend gut.

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • Vielen lieben Dank für den warmen Empfang Euch allen.


    Lieber Siegfried,


    auf diese Erfahrungen bin ich mehr als ein wenig neidisch 😊. Was Herrn Eyvazov angeht, so stimme ich Dir zu dass, das sicher kein Vorteil für Netrebko ist. Ich halte ihn zwar nicht für so schlimm wie manch einer aber er ist definitiv kein Ausnahmesänger und ich fürchte, er wird es auch nicht mehr werden. Er ist aber nicht so schlecht, dass er mir mit seiner Darbietung die ganze Aufnahme verhagelt. (Allerdings ist das überhaupt erst einmal vorgekommen. Vielleicht bin ich zu unkritisch.) Ich nehme ihn gerne billigend in Kauf, nicht mehr aber auch nicht weniger.


    Diese Adriana Lecouvreur habe ich in den Tiefen des Internets gesucht, aber ich fürchte es gibt keinen legalen Weg für mich diesen Auftritt zu sehen. Oder weißt Du einen?



    Lieber Greghauser2002,


    letztlich ist es glaube ich bis zu einem gewissen Grad Geschmacksache. Auch mir fällt es schwer nicht nostalgisch zu werden, wenn ich mir beispielsweise ihren Wiener Liebestrank wieder ansehe (oder so ziemlich alles andere gemeinsam mit Villazon, um ehrlich zu sein). Für mich ist das beste Gegenmittel dagegen ihre neuen Aufnahmen anzuhören. Besonders hervorheben möchte ich an dieser Stelle ihre „Giovana D’Arco“, die hier meines Wissens nicht ausführlicher Thematisiert wurde und die ich für eine ihrer schönsten Interpretationen halte. Ich meine die Aufnahme (Ich glaube von 2017, aber nagelt mich bitte nicht darauf fest) aus der Scala mit Francesco Meli und in der Baritonpartie Carlos Alvarez. (Ich möchte sie gerne ausführlicher vorstellen möchte sie davor aber noch einmal anhören.) Auch ihre Aida hat mir sehr gut gefallen. Und schließlich muss ich gestehen, dass durch Netrebkos Rollen der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart auch ich meinen Horizont erweitert habe. Ohne die „Amata Dalle Tenebre“ wäre ich im Traum nicht auf die Idee gekommen mir freiwillig Wagner anzuhören. Inzwischen kann ich über diese Arroganz und Engstirnigkeit meinerseits nur den Kopf schütteln. Nun ja. Wie gesagt, es bleibt Geschmackssache.


    Lieber La Roche,


    vielen Dank für die Klarstellung. « La Roche Du bist Groß,Du bist Monumental ! ». 😉



    Beste Grüße,


    Niklas Netzer

  • Diese Adriana Lecouvreur habe ich in den Tiefen des Internets gesucht, aber ich fürchte es gibt keinen legalen Weg für mich diesen Auftritt zu sehen.

    Legal? Illegal? Vollkommen egal?

    Hier ist die Adriana Lecouvreur!


    https://m.bilibili.com/video/BV1ep4y1S7D7


    契莱亚《阿德里亚娜.勒库芙露尔 Metropolitan Opera HD Live - Cilea: Adriana Lecouvreur 原版无字-哔哩哔哩"

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

  • vielen Dank für die Klarstellung. « La Roche Du bist Groß,Du bist Monumental !

    Nur als Hinweis - es gibt noch eine Gräfin "de la Roche" in den "Soldaten" von Zimmermann. Das ist allerdings nicht meine Musik.

    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

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