Der Heldentenor, eine ausgestorbene Spezies?

  • Stephen Gould und Stuart Skelton sind zwei herausragende Vertreter des heldischen Wagnertenor-Fachs, beide im übrigen auch sehr gute Vertreter des Otello (das waren auch Max Lorenz, Franz Völker, Günter Treptow, Bernd Aldenhoff und Hans Hopf). Sie brauchen historische Vergleiche nicht zu scheuen. Andreas Schager habe ich live noch nicht gehört, seine Darbietung des Schlussteils Walküre 1. Akt in der Scala-Eröffnungsgala am 7.12. fand ich aber - vorsichtig gesagt- enttäuschend (hoffentlich nur der Tagesform geschuldet).


    Hinweisen möchte ich auf Tillmann Unger, den ich leider noch nicht live gehört habe (ich kam und komme stets selten nur in die Oper). Der BR-Rundfunk-Mitschnitt seines Siegmund aus Nürnberg vom 25.Mai 2017 ist allerdings ganz beeindruckend, eine klangvolle, ebenmäßig in allen Registern geführte, in der (beim Siegmund ja nur begrenzt erforderlichen) Höhe strahlende Stimme. U.a. hat er in Mannheim den Stolzing, in Leipzig den Max gesungen. Im kommenden Jahr sollen die beiden Siegfriede in Wiesbaden folgen. Vielleicht haben ihn ja Taminos bei seinen Gastspielen in Hannover, Gießen, Lübeck und Aachen schon einmal gehört.


    Seine website im Internet ist besuchenswert.


    Ein gesundes und friedvolles Jahr 2021 wünscht

    Otello50

  • Passend zum Thema:


    France Musique strahlt dieser Tage den konzertanten "Ring" aus der Opéra de Paris unter Philippe Jordan aus ("Rheingold" 26.12., "Walküre" 28.12, "Siegfried" 30.12., "Götterdämmerung" 02.01.).


    Stuart Skelton singt den Siegmund, Andreas Schager beide Siegfriede. Die Vorstellungen fanden pandemiebedingt ohne Publikum statt.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Andreas Schager habe ich live noch nicht gehört, seine Darbietung des Schlussteils Walküre 1. Akt in der Scala-Eröffnungsgala am 7.12. fand ich aber - vorsichtig gesagt- enttäuschend (hoffentlich nur der Tagesform geschuldet).

    Lieber "Otello50",


    diesen deinen Schager-Siegmund-Eindruck habe ich in meiner Kurz-Kritik zum Scala-Konzert nicht nur geteilt, sondern auch versucht die Ursache dafür zu nennen, die nicht der Tagesform, sondern der völlig ungeeigneten Partie geschuldet war:


    Eröffnungskonzert der Mailänder Scala


    Ich habe Schager inzwischen schon mehrfach live erlebt, u.a. als Florestan, Max, Parsifal und vor allem als Siegfried (beide Partien). Er ist so ziemlich der überzeugendste Siegfried, den ich je erlebt habe, weil er keinen Ton schuldig bleibt und ihm der Haudrauf-Charakter dieser Rolle einfach sehr entgegenkommt. Bei anderen Partien, wo man differenzierter singen muss, zeigt er hingegen Schwächen, weshalb ihm auch der Jung-Siegfried gerade im 2. Akt ("Waldweben") nicht annhähernd so gut liegt wie der "Alt"-Siegfried in der "Götterdämmerung". Beim Florestan hat er damals (nicht von mir) sogar ein Buh bekommen, möglicherweise, weil er die Partie gerade auch im lyrischen Mittelteil der Arie, aber aich im Terzett zu undifferenziert runter-"gerotzt" hat - nur mit Stimmprotzerei kommt man da nicht zum Ziel. Beim Max war das hingegen an vielen Stellen (natürlich nicht an allen) ziemlich beeindruckend, wenn da mal ein Tenor in der Arie nicht im Orchester untergeht und auch in der Wolfsschlucht stimmlich weit präsenter ist als üblich. Ein Siegmund ist er ganz sicher nicht, nicht nur wegen der für ihn zu tiefen Lage, sonder auch, weil man diese langen Erzählungen natürlich differenziert gestalten muss. Beim Tristan war das Echo auch durchwachsen, den hatte ich aber nicht von ihm. Hätte man ihn die Schmiede- und Schmelzlieder des Jung-Siegfried singen lassen, wäre das mit Sicherheit weit eindrucksvoller gewesen, als bei seinem (fehlbesetzten) Siegmund.

    Bei Thielemann in Dresden soll er mal so geschmissen haben (allerdings in einer Vorstellung, in der ich nicht war, in meinen beiden "Götterdämmerungs"-Vorstellungen dort war er wirklich großartig), dass dieser sich angeblich inzwischen weigern soll, mit Schager zusammenzuarbeiten (ist aber nur Gerüchteküche).

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich habe Schager inzwischen schon mehrfach live erlebt

    Als ich den Tenor das erste mal gehört habe, hieß noch Andreas Schlager!
    Das war 2012 in Minden, einem Stadttheater mit nicht mal 500 Plätzen, wo er den Tristan sang: Ring-Inszenierung in Minden

    Damals hatte er noch die Fähigkeit, gut geformte Legato-Kantilenen zu singen.

    Phrasen wie

    es ist das dunkel
    nächt'ge Land,
    daraus die Mutter
    mich entsandt,
    als, den im Tode
    sie empfangen,
    im Tod sie ließ
    an das Licht gelangen.
    ....

    habe ich kaum je schöner gehört!

    Auch im dritten Akt konnte er mit bewegenden Piano-Phrasen überzeugen.

    Besonders eindrücklich:

    Wie sie selig,
    hehr und milde
    wandelt durch
    des Meers Gefilde?
    Auf wonniger Blumen
    lichten Wogen
    kommt sie sanft
    ans Land gezogen.
    Sie lächelt mir Trost
    und süsse Ruh',
    sie führt mir letzte
    Labung zu.
    Ach, Isolde, Isolde!
    Wie schön bist du!


    Aber auch für die Ekstasen der Fieberträume hatte der junge Schlager frappierende Kraft und verzehrendes Feuer! Die Schmerzenstöne eines Vickers aber standen ihm nicht zu Gebote. Seine Gestaltung der Partie war eher jugendlich naiv!

    Seither habe ich ihn als Tristan nicht mehr gehört. Es wäre schon interessant, zu hören, was er gewonnen und was er verloren hat.


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Danke für den Hinweis auf diesen interessanten Sänger, mit dem ich mich auch vermehrt beschäftigen möchte. Laut Wikipedia heißt er übrigens Andreas Schagerl im originalen Wortlaut, warum er das "l" am Ende weggelassen hat, können vielleicht unsere österreichischen Freunde erklärten? Viele Grüße

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  • Jetzt haben wir bereits drei Varianten: Schager, Schlager und Schagerl. Kurios!

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Meines Wissens heißt der Tenor bürgerlich Schagerl, bei "Schlager" dürfte es sich um einen Tippfehler von "Caruso41" handeln.


    Einen guten Rutsch allen hier!


    P.S.: Habe Schager in Berlin zwei Mal als Tristan erlebt und ich muss sagen, ich habe selten einen einfältigeren und undifferenzierteren Interpreten in dieser Partie erlebt. Noch immer höre ich "Noch losch das Licht nicht aus..." vor meinem inneren Ohr und frage mich bis heute: Wie um Himmels Willen kommt man auf die Idee, an dieser Stelle zu brüllen? Wie?

  • Jetzt haben wir bereits drei Varianten: Schager, Schlager und Schagerl. Kurios!

    Schlagt nach bei Gregor! Und kommt anschließend gut in neues Jahr.:)


    88845378

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Meines Wissens heißt der Tenor bürgerlich Schagerl, bei "Schlager" dürfte es sich um einen Tippfehler von "Caruso41" handeln.

    Hättest Du Dir mal das Programm und die Rezensionen des Mindener TRISTAN (2012) angeschaut, würdest Du wissen, dass es sich bei 'Schlager' nicht um einen Tippfehler handelt!

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Hättest Du Dir mal das Programm und die Rezensionen des Mindener TRISTAN (2012) angeschaut, würdest Du wissen, dass es sich bei 'Schlager' nicht um einen Tippfehler handelt!

    Ok, sorry, dann habe ich mich geirrt.


    In folgenden Rezensionen steht allerdings "Schager":


    https://onlinemerker.com/minden-tristan-und-isolde/

    https://mariellavequel.de/prod…/oper/tristan-und-isolde/


    ...und in dieser gar "Scharger":


    https://www.rondomagazin.de/artikel.php?artikel_id=1796

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  • weil er die Partie gerade auch im lyrischen Mittelteil der Arie, aber aich im Terzett zu undifferenziert runter-"gerotzt" hat - nur mit Stimmprotzerei kommt man da nicht zum Ziel.

    Lieber Stimmenliebhaber,


    ich habe bewußt nur diese Passage zitiert, weil sie ein - jedenfalls aus meinen Live-Eindrücken her - vorhandenes Grundproblem bei Schager beschreibt, er haut gerne mal drauf (obwohl er das überhaupt nicht nötig hätte), ist aber bei einem Dirigenten, der da ein bißchen aufpasst, auch zu anderem fähig.

    ich hörte ihn zuerst in einem konzertanten "Rienzi" in der Hamburger Musikhalle im Frühjahr 2013, wo er den ganzen Abend "volle Pulle" sang, wobei zu seiner Ehrenrettung gesagt werden muß, daß er ansonsten gegen die Lautstärke, die Simone Young hinter ihm auf dem Podium entfachte, keine Chance gehabt hätte.

    Dann kam der Parsifal unter Barenboim am Schillertheater, und auf einmal sang er lyrisch, schön phrasierend und war obendrein auch noch darstellerisch gut - einfach klasse.

    Mit dem Eindruck bin ich ein Jahr später in Hamburg in den "Fliegenden Holländer" gegangen und bekam einen Tenor, der - mit Verlaub - brüllte und dermaßen forcierte, daß ihm das B und das A in der Arie derart wegkrachte, wie ich es noch selten gehört habe. Der Parsifal im Herbst 2017 in Hamburg war dann sehr viel besser aber nicht so schön wie in Berlin, wobei Barenboim in Berlin seine Sänger auch garantiert besser geführt hat als Nagano in Hamburg.

    FafnerHH

    Es gibt nichts Gutes, außer man tut es! (Erich Kästner)

  • Mit dem Eindruck bin ich ein Jahr später in Hamburg in den "Fliegenden Holländer" gegangen und bekam einen Tenor, der - mit Verlaub - brüllte und dermaßen forcierte, daß ihm das B und das A in der Arie derart wegkrachte, wie ich es noch selten gehört habe.

    Interessant, aber das passt ins Bild, dass ich bislang weit mehr mehr Erik-Einbrüche als Siegfried-Einbrüche erlebt habe. Der Erik ist wirklich gerade für ausgewachsene Heldentenöre eine äußerst undakbare Partie.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Lieber Melomane!

    Ok, sorry, dann habe ich mich geirrt.

    Nicht weiter schlimm!


    Es ist ja auch verwirrend, wo Herr Schagerl/Schlager/Schager/Schrager jeweils Konsonanten einbaut. Jetzt zumindest scheint er sich seit einiger Zeit noch noch Schager zu nennen!


    ***************************************

    Lieber FafnerHH!

    und auf einmal sang er lyrisch, schön phrasierend und war obendrein auch noch darstellerisch gut - einfach klasse.

    Mir hatte sich schon langsam der Eindruck aufgedrängt, ich sei der Einzige der "gut geformte Legato-Kantilenen" und "bewegende Piano-Phrasen" von diesem Tenor gehört hat.


    Einen gute Start ins NEUE JAHR!

    Liebe Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


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  • Es ist ja auch verwirrend, wo Herr Schagerl/Schlager/Schager/Schrager jeweils Konsonanten einbaut. Jetzt zumindest scheint er sich seit einiger Zeit noch noch Schager zu nennen!

    Nichts ist verwirrend, lieber Caruso.


    Nicht umsonst hatte ich auf das Buch "Magische Töne" unseres Tamino-Mitglieds greghauser verwiesen, das 2020 erschienen ist und auch hier im Forum viel Aufmerksamkeit fand. Gleich auf Seite 15 dieses Buches heißt es: "Der spätere Heldentenor wurde am 14. September 1971 als Andreas Schagerl geboren." Drei Seiten weiter: "Hans Peter Haselsteiner, der Präsident der Tiroler Festspiele, riet ihm zu seinem Trick. Er solle doch das "l" fallenlassen und sich "Schager" nennen. Dann habe er keinen belasteten Lebenslauf mehr, wenn man seinen Namen in diverse Suchmaschinen eingebe. So geschah es." Offenbar hast Du von diesem Buch noch nie etwas gehört, sonst hättest Du nicht auf ein Programmhefts aus der Provinz zur Findung der richtigen Schreibweise verwiesen. Das wundert mich dann schon.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Teuerster Rheingold!

    Offenbar hast Du von diesem Buch noch nie etwas gehört, sonst hättest Du nicht auf ein Programmhefts aus der Provinz zur Findung der richtigen Schreibweise verwiesen. Das wundert mich dann schon.

    Mich wundert die etwas pampige Attacke!

    Tatsache ist doch, dass der Tenor im September 2012 sechs Aufführungen von TRISTAN UND ISOLDE unter dem Namen Schlager gesungen hat. Wann immer ihm der Tiroler Festspiel-Präsident eine Namensänderung angeraten hat, weiß ich nicht. Es scheint auch in dem erwähnten Buch nicht zu stehen. Ich habe ihn zweimal als Andreas Schlager gehört. Eleonore Büning von der FAZ übrigens auch. Manuel Brug von der WELT aber hatte in seiner Kritik "Scharger" stehen. Der Tenor war den meisten Besuchern damals noch völlig unbekannt. Dass man den Namen dann schrieb, wie er am Plakat und im Programmheft stand, ist wohl verständlich. Ich zumindest habe das getan.


    Apropos Buch: Die Diskussion über das Buch von Gregor Hauser ist an mir nicht vorbei gegangen. Du wirst es nicht glauben, aber ich habe es mir dennoch nicht gekauft.



    Nun wünsche ich Dir ein Jahr in dem alle Namen immer richtig geschrieben werden.

    Aber ich fürchte das wird nichts.


    Liebe Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

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  • Wie kommt aus grauer Vorzeit dieser Tenor hierher?

    Mich verwundert vielmehr, warum nun offenbar Künstlergedenken in verschiedenen Rubriken nach Stimmgruppen geordnet erfolgen soll. Aber solange "Caruso41" meint, ihn in der neu geschaffenen Gedenkrubrik nicht ergänzen zu müssen, werde ich ihn dort auch nicht aufnehmen.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Liebe Leutchen,


    jetzt hört bitte mit dieser persönlichen "Korinthenkackerei" und den Empfindlichkeiten auf!!! So ist doch keine sachliche Arbeit möglich. ich bin diverse Jahre genau aus diesem Grund in SÄMTLICHEN Foren, in denen ich mal war, verschwunden gewesen. Wenn es hier genauso weitergeht, dann bin ich hier genauso schnell wieder weg!!!

    Sorry, aber SO macht es keinen Spaß

    FafnerHH

    Es gibt nichts Gutes, außer man tut es! (Erich Kästner)

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  • Bravo, lieber FafnerHH,

    wir kennen und schätzen Andreas Schager, egal mit "l" oder anderen Buchstaben. Wichtig doch nur seine Stimme für uns!


    Und die gefällt!


    Erich

  • wir kennen und schätzen Andreas Schager, egal mit "l" oder anderen Buchstaben. Wichtig doch nur seine Stimme für uns!


    Und die gefällt!



    Mit dem Eindruck bin ich ein Jahr später in Hamburg in den "Fliegenden Holländer" gegangen und bekam einen Tenor, der - mit Verlaub - brüllte und dermaßen forcierte, daß ihm das B und das A in der Arie derart wegkrachte, wie ich es noch selten gehört habe.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Jetzt haben wir bereits drei Varianten: Schager, Schlager und Schagerl. Kurios!

    In der Tat kurios. Aus dem Schagerl wurde schon vor langer Zeit - der Einfachheit halber - Schager. Schlager hieß er nie. So hieß er vielleicht in Rezensionen, wenn der Schreiber nicht genau auf den Namen achtete. Also bei sogenannten Schlampigkeits- oder auch bei Tippfehlern.


    Mich verwundert vielmehr, warum nun offenbar Künstlergedenken in verschiedenen Rubriken nach Stimmgruppen geordnet erfolgen soll.


    Ach, wird das gefordert? Zu welchem Zweck?



    Gregor

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  • Hallo,


    als Heldentenor-Fan wundere ich mich, daß ich diese Diskussion erst jetzt richtig gemerkt habe ! Schande über mich ! Es ist hier die Meinung vertreten worden, daß Wieland Wagner nicht für die Verdrängung des schweren baritonalen Heldentenors aus Neubayreuth verantwortlich zu machen sei. Der Meinung möchte ich als Historiker, Wagnerianer und Heldentenor-Fan energisch widersprechen ! Wahr ist, daß Wieland Wagners Inszenierungen spielfähige SängerInnen verlangten, aber seine "naturbedingte Entfettungskur" Wagnerscher Helden hatte meines Erachtens nach 1945 eine deutliche, politische Zielsetzung, was zeithistorisch auch verständlich ist. Wieland Wagner wollte Bayreuth als deutschnationale Weihestätte zerstören, indem er Wagners Opern und Figuren entheroisierte. Zwar sangen in den 50igern und 60igern noch Tenöre wie Lorenz, Suthaus, Aldenhoff und Hopf in Bayreuth, aber die Stoßrichtung ging zu Zwischenfach-Tenören wie Windgassen und Josef Traxel. Beispielsweise ist auch bekannt, daß nur dessen Unfalltod das Engagement von Peter Anders in Bayreuth verhinderte, und schon 1956 wollte Wagner den von mir hoch verehrten Fritz Wunderlich als Lohengrin ! Rudolf Schock berichtet, daß Wagner ihm gegenüber das Engagement von 1959 als Bayreuther Stolzing zwar mit der Gesamtaufnahme unter Kempe begründete, aber auch damit, konservative Wagnerianer mit einem Tenor ärgern zu wollen, der sich durch Kinofilme sang ! Schock sang dann 1959 übrigens einen beachtlichen Stolzing. Es gab immer noch baritonale Heldentenöre in Bayreuth, aber als Symbole gewollter Internationalisierung der Festspiele waren es Nicht-Deutschsprachige: Ramon Vinay, Jean Cox, James King, Jess Thomas, Spas Wenkhoff, auch bei Mario del Monaco wurde angefragt, der allerdings ablehnte. Natürlich fügte auch Domingo als Parsifal Bayreuth in seine Fabelkarriere ein. Es gibt keine echten Heldentenöre mehr, weil die Stimmen physiologisch immer kleiner zu werden scheinen, aber der Hauptgrund ist meiner Ansicht nach, daß man seit den 50iger Jahren der schwer realisierbaren Wunschvorstellung des ausschließlich "lyrischen Heldentenorgesanges" nachspürt. Nur so ist die Karriere von Klaus-Florian Vogt, des "Knabensoprans in Ritterrüstung" zu erklären !

  • Wieland Wagner wollte Bayreuth als deutschnationale Weihestätte zerstören, indem er Wagners Opern und Figuren entheroisierte.

    Lieber Antalwin!


    Dieser These stimme ich vorbehaltlos zu. Probleme habe ich eher damit, Wolfgang Windgassen und Josef Traxel "in einen Topf zu werfen". Obwohl beide sich einen Teil ihres Repertoires teilten (so sang Windgassen auch Tamino!), so würde ich Traxel als lyrischen und Windgassen als jugendlichen Helden- oder (wie Du sagst) Zwischenfachtenor bezeichnen. Ramon Vinay und Spass Wenkoff als baritonale Tenöre = Zustimmung, nicht jedoch Jean Cox, Jess Thomas und James King (auch wenn King früher Bariton gewesen ist).


    Bei Wunderlich Lohengrin 1956 handelt es sicherlich um einen Tippfehler.


    Wieland Wagner hatte oft uns heute merkwürdig anmutende Besetzungsideen, mit denen er herkömmliche Klischees konterkarieren wollte. So hatte es ihm bei einem Calaf-Gastspiel in Hamburg der amerikanische Tenor William Olvis angetan, den er für 1965 als Froh und Erik engagierte. Als Olvis aber so gar nicht auf seine Ideen einging und nicht in der Lage war, seine gewohnte Gestik abzulegen, war es mit ihm nach einem Sommer vorbei.


    Beste Grüße aus Finnland


    Peter Schünemann

  • Lieber Peter Schünemann,


    vielen Dank für Ihre Antwort ! Die Einordnung von Josef Traxel war ein Fehler von mir, Sie liegen richtig: Wolfgang Windgassen war ein jugendlich-dramatischer, Josef Traxel ein lyrischer Tenor, der aber im Laufe seiner Karriere neben Steuermann auch Erik, Lohengrin, Stolzing und Siegmund sang. Nein, Wunderlich ist kein Tippfehler: In Werner Pfisters Wunderlich-Biographie findet sich, daß Wieland Wagner Fritz Wunderlichs Werdegang von Beginn an genau verfolgte und ihn schon ganz jung als Lohengrin einsetzen wollte !


    Gruß,

    Antalwin

  • Lieber Antalwin!


    Meine Skepsis wegen Wieland Wagners Interesse an einem Lohengrin Fritz Wunderlichs bezog sich hauptsächlich auf die Jahreszahl 1956. Bei einem flüchtigen Überfliegen der Pfister-Biografie fand ich diverse Verweise auf Wieland Wagner, doch keine bereits aus 1956, statt dessen auf eine Anfrage von 1965 für den "Tristan" - Seemann 1966. Falls ich hier etwas übersehen oder falsch verstanden habe, bitte ich um einen kurzen Hinweis, wo ich diese Textstelle bei Pfister finden kann. Danke.


    Beste Grüße aus Finnland


    Peter Schünemann

  • Zwar sangen in den 50igern und 60igern noch Tenöre wie Lorenz ...

    Das war nach meiner Einschätzung ja wohl ehr ein Desaster. Lorenz, den ich sehr zu schätzen weiß, war nicht mehr passgerecht. Er konnte sich nicht mehr einlassen auf das, was in Bayreuth nach dem Krieg angesagt, nicht mehr gewollt und unmöglich geworden war. Die Helden waren gefallen. Man höre sich mal die "Walküre" an, in der die Mödl, die die neue Zeit verkörperte und Lorenz, der die Vergangenheit war, aufeinandertreffen. Die können nicht miteinander, singen aneinander vorbei. Der Mitschnitt ist für mich nur als Dokument eines Scheitern interessant. Wieland war also gut beraten, sich nach einem neuen Tenortyp umzusehen. Und war damit nach meiner Überzeugung viel ehr bei seinem Großvater. Der wollte nämlich auch keine Stimmenbesitzer. Eigentlich hat sich das Fragezeichen hinter der Eröffnungsüberschrift inzwischen erübrigt.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

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