Johann Sebastian Bach: Matthäus-Passion

  • Guten Tag


    Zitat

    Original von Siegfried
    Danke, Bernhard, für diesen Tipp. :hello:


    Manchmal bringt das gute alte Dampfradio doch interessante Sendungen.
    Die MP war/ist


    "Themenschwerpunkt diese Woche im SWR.


    Gruß aus der Kupfalz


    Bernhard
    *jetztaufSWRderMPmitgardinerlauschend*

  • Am Mittwochabend (4.4.) habe ich in der Berliner Philharmonie eine Aufführung von Bachs Matthäuspassion mit folgenden Mitwirkenden gehört:


    Deutsches Symphonieorchester Berlin
    Windsbacher Knabenchor


    Dirigent: Kent Nagano


    Evangelist: Martin Petzold
    Christus: Dietrich Henschel
    Sopran: Annette Dasch
    Alt: Bernarda Fink
    Tenor: Steve Davislim
    Bass: Detlef Roth


    Nagano orientierte sich erwartungsgemäß an HIP-Erkenntnissen: kleine Besetzung, entsprechende Tempi und Spieltechniken. Hochkonzentriertes Spiel des Orchesters (hervorragende Instrumentalsoli), makelloses Zusammenwirken mit Chor und Solisten.


    Bezüglich des Chors war ich vorher skeptisch - Knabenchöre waren (bisher) nicht mein Ding und man kennt ja auch von Tonträgern diverse Enttäuschungen. Aber hier wurde ich eines Besseren belehrt: Ein solches Maß an Transparenz und Perfektion in allen Stimmlagen bei ausgeklügelter, aber nicht manierierter dynamischer Differenzierung: Chapeau! Der (in der Vergangenheit nicht ganz unumstrittene) Chorleiter Beringer hat den Chor offenbar erstmalig an einen anderen Dirigenten "abgegeben" (Nagano hat die Chorproben nicht erst in Berlin, sondern schon in Windsbach geleitet).


    Markanteste Erscheinung bei den Solisten war Martin Petzold als Evangelist. Zunächst relativ unauffällig beginnend, steigerte er sich besonders im zweiten Teil in eine virtose Affektdramatugie hinein: Abrupte Wechsel von Tempo und Dynamik (bis hin zu Flüstern oder Schreien), auf totale Verinnerlichung ("und weinte bitterlich") folgte süffisantester Spott ("Denn er wusste wohl, dass sie ihn aus Neid überantwortet hatten"). Ich fand teilweise frappierend, aber nichtsdestotrotz brillant, wie sich der zunächst neutral referierende Erzähler in einen Mitfiebernden verwandelte (andere mögen das manieriert nennen).


    Ganz im Gegensatz dazu Dietrich Henschel als Christus: zurückgenommen und schlicht, dabei sehr überzeugend. Die Gesangssolisten agierten insgesamt auf hohem Niveau, am wenigsten vielleicht noch der etwas farblose Tenor Steve Davislim. Sehr schön der Bass Detlef Roth und Bernarda Fink, die mich allerdings auf hohem Niveau etwas enttäuschte: zu sehr verließ sie sich für meinen Geschmack auf den Schöngesang. Eine echte Entdeckung für mich war die Sopranistin Annette Dasch, die ihren Part sehr engagiert und souverän bewältigte - teilweise in Richtung "Furie" tendierend (Koloraturen in ihrer ersten Arie), aber auch zu engelsgleichen Tönen fähig ("Aus Liebe will mein Heiland sterben").


    Das war eine Aufführung, die mich wieder nachhaltig in meiner Überzeugung bestärkt hat, dass ein "normales" Sinfonieorchester Musik des Barock aufführen soll und muss. Aufführungen von Bach-Passionen im Stil von Klemperer oder Karajan kann ich nur noch schwer ertragen. Aber es geht auch anders, wie Nagano zeigt. Die Gräben zwischen "historischen" und "modernen" Aufführungen scheinen mir in der Praxis heute flacher zu sein als früher (auch wenn man hier im Forum manchmal einen anderen Eindruck gewinnt).


    Dem sind sicherlich Beschränkungen auferlegt - frühbarocke (oder gar aus Mittelalter und Renaissance stammende) Musik ist schon wegen des anderen Instrumentariums nur schwer in "Sinfoniekonzerte" zu integrieren. Allerdings hat gerade Nagano immer wieder solche Experimente unternommen, u.a. in Berliner Abo-Konzerten auch Josquin oder kürzlich Orlando di Lasso in München aufgeführt.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Ich habe die Matthäuspassion am Karfreitag unter Kent Nagano gehört und war genauso beeindruckt. Die schlcihte aber dadurch nicht weniger ergreifende Aufführung war ein tolles Erlebnis und Solisten und Chor waren überzeugend. Ich habe vor zwei Jahren bereits die JohannesPassion mit dem DSO und Nagano und damals dem Berliner Rundfunkchor gehört, das war auch sehr gut.
    Leider hat mein Videorecorder versagt - hat vielleicht jemand eine Aufnahme, die er mir kopieren kann?


    Überhaupthöre ich Konzerte unter der Leitung von Kent Nagano sehr gerne und wundere mich, dass er in diesem Forum kaum vorkommt.

  • Zitat

    Original von Eva
    Überhaupthöre ich Konzerte unter der Leitung von Kent Nagano sehr gerne und wundere mich, dass er in diesem Forum kaum vorkommt.


    Er lebt ja auch noch :stumm:


    Willkommen im Forum, Eva!


    :hello:Jürgen

    Ich brauche keine Millionen, mir fehlt kein Pfennig zum Glück...

  • Zitat

    Original von Eva
    Ich habe die Matthäuspassion am Karfreitag unter Kent Nagano gehört und war genauso beeindruckt. Die schlcihte aber dadurch nicht weniger ergreifende Aufführung war ein tolles Erlebnis und Solisten und Chor waren überzeugend. Ich habe vor zwei Jahren bereits die JohannesPassion mit dem DSO und Nagano und damals dem Berliner Rundfunkchor gehört, das war auch sehr gut.


    Hallo Eva,


    freut mich, dass es Dir auch gefallen hat!



    Zitat

    Überhaupt höre ich Konzerte unter der Leitung von Kent Nagano sehr gerne und wundere mich, dass er in diesem Forum kaum vorkommt.


    Ich habe schnell mal die Suchfunktion betätigt und immerhin 198 Beiträge gefunden, in denen Nagano erwähnt wird. Gut, für Karajan gibt's fast 3000 Treffer - allerdings dürften davon ca. 2500 eher negativ ausfallen :D.


    Kürzlich wurde Nagano immerhin in einem Thread zu den hundert bedeutendsten lebenden Interpreten gezählt. Einen Nagano-Thread gibt's allerdings leider noch nicht.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Liebe Forianer,


    kennt jemand diese Aufnahme?



    J. S. Bach: Matthäus-Passion mit Hermann Scherchen


    3 CD-Box. Aufnahmejahr: 1953


    Chor und Orchester der Wiener Staatsoper, Solisten u. a. Helga Glöckner, Elli Hofstätter, Magda László, Laurence Molden, Elfi Monsberger, Hilde Rössel-Majdan, Hugues Cuénod, Kurt Equiluz.


    Da ich mich seit Wochen für Scherchens Beethoven-Einspielungen begeistere, würde mich auch interessieren, was er mit Bach gemacht hat. Allerdings scheint diese Aufnahme so gut wie nicht zu bekommen sein.


    Sachdienliche Hinweise/Meinungen usw. sind herzlich willkommen.

  • Was haltet Ihr von dieser Einspielung:

    Meine bisherige Einschätzung:
    Sehr langsame Tempi, ein sehr unsauberer Chor, die Solisten sind eigentlich ganz in Ordnung (nur der Sopran :motz:, es ist teilweise wirklich ein Gekreische, zudem null Textverständlichkeit)
    Die gesamte Aufmachung ist wie zu erwarten sehr billig, das Libretto ist nicht vorhanden, der Einführungstext recht kurz aber es ist meine erste Matthäuspassion und zum Kennenlernen ganz in Ordnung.


    Trotzdem ist bald eine Neuanschaffung (HIP) geplant, was sind da Eure Favoriten?

    "Phantasie ist unser guter Genius oder unser Dämon."
    - Immanuel Kant (1724-1804)

  • Hallo!


    Zitat

    Original von Heliaster
    Trotzdem ist bald eine Neuanschaffung (HIP) geplant, was sind da Eure Favoriten?


    ThomasBernhard und ich hatten neulich beschlossen, daß dies die beste Matthäuspassion ist, die es gibt: 8)



    Im Ernst: Die Aufnahme ist wirklich großartig und ich habe noch keine andere Aufnahme gehört, die an sie ranreichen kann. :jubel::jubel::jubel:


    Da ich gerade Herreweghe sehr gerne mit Bach höre, wäre dessen Matthäuspassion natürlich auch eine Überlegung wert (habe ich aber noch nie gehört) - macht mir jemand den Mund wässerig? :D


    Viele Grüße,
    Pius.


  • Das dürfte so ziemlich die beste (Nicht-HIP-)Aufnahme sein - sieht man mal von der Ramin (1941) ab.
    Harnoncourt kenne ich allerdings nicht. :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Guten Tag


    seit paar Tagen ist eine Neueinspielung der MP



    auf dem Markt; eine Version von 1742 mit Bachs "finalen" Revisionen.


    Interpretiert von Dunedin Consort & Players; Leitung: John Butt.


    Gruß aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Zitat

    Original von Bernhard
    seit paar Tagen ist eine Neueinspielung der MP auf dem Markt; eine Version von 1742 mit Bachs "finalen" Revisionen.


    Interpretiert von Dunedin Consort & Players; Leitung: John Butt.


    Und wer sagt mir jetzt, ob ich die neben Harnoncourt, Koopman, McCreesh und Suzuki auch noch unbedingt haben muss? :wacky:

  • Guten Tag


    Zitat

    Original von Hildebrandt


    Und wer sagt mir jetzt, ob ich die neben Harnoncourt, Koopman, McCreesh und Suzuki auch noch unbedingt haben muss? :wacky:


    Hab mal rein gehört (und auch ein Cembalo ausgemacht), muss diese Einspielung nicht unbedingt haben, klang mir auch etwas bedächtig.
    Und mit Harnoncourt und Herreweghe bin ich m.E. gut bestückt.
    Dann bieten die Radiosender um die Passionszeit traditionell einige MPs an.


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Guten Tag


    Zitat

    Original von Bernhard
    Dann bieten die Radiosender um die Passionszeit traditionell einige MPs an.


    z.B. am 16.03.08 auf SWR-2 mit dem Bach-Collegium Japan und dem
    Orchester des Bach-Collegium Japan
    Leitung: Masaaki Suzuki



    -> "Mattäus-Passion".



    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Zitat

    Original von Bernhard


    z.B. am 16.03.08 auf SWR-2 mit dem Bach-Collegium Japan und dem
    Orchester des Bach-Collegium Japan
    Leitung: Masaaki Suzuki


    Ist das die normale CD-Einspielung?
    Wenn ja, mach Dich auf Bach mit japanischem Akzent gefasst. :D
    Die Einspielung ist sehr schön, aber da hapert es manchmal doch deutlich mit dem Deutschen. Das stört mich ziemlich.

  • Guten Tag


    Zitat

    Original von Hildebrandt


    Ist das die normale CD-Einspielung?


    Es ist die Aufzeichnung eines Konzertes vom 2. August 2007
    im Heiligkreuzmünster; ob dieses Konzert auf CD eingespielt wurde ?



    Zitat

    Wenn ja, mach Dich auf Bach mit japanischem Akzent gefasst. :D
    Die Einspielung ist sehr schön, aber da hapert es manchmal doch deutlich mit dem Deutschen. Das stört mich ziemlich.


    zumindest die Solisten scheinen doch der deutschen Sprache mächtig zu sein :D:


    Carolyn Sampson (Sopran)
    Robin Blaze (Countertenor)
    Gerd Türck (Tenor) - Evangelist
    Peter Kooij (Bass) - Jesus
    Dominik Wörner (Bass)


    Beim Chor ?( :


    "Chor des Bach-Collegium Japan"


    (Warten wir den 16.03.08 ab :pfeif: )


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Zitat

    Original von Bernhard
    Es ist die Aufzeichnung eines Konzertes vom 2. August 2007
    im Heiligkreuzmünster; ob dieses Konzert auf CD eingespielt wurde ?


    Die CD-Aufnahme stammt aus dem Jahr 1999.



    CD-Besetzung:
    Argenta, Blaze, Türk, Kooij,
    Sakurada, Urano,
    Suzuki, Hida, Hagiwara, Odagawa, Solleck-Avella


    + Bach Collegium Japan



    Zitat

    Warten wir den 16.03.08 ab


    Hoffentlich bekomme ich bis dahin Audacity wieder zum Laufen. :wacky:

  • Liebe Passions-HörerINNEN!


    GEGEN DIE HÖRIGKEIT auf die INTERPRETEN:


    Und wieder mal, -jetzt 2008-, wird's KARFREITAG. Und im Jahreslauf der Themen ist wiedermal der geschundene und mißverstandene Mensche dran? Wie soll man das Thema heute verstehen und für sich selbst-, was für jeden heilsam ist, incorpuorieren? Ich selbst versuchte es diesmal mit der Schütz-Passion oder den Karfreitags-Responsorien von Zelenka, doch ich bin zu Bach zurückgekehrt. Allein er vermittelt mir die Gewißheit, dass mit dem Thema 'Passion' ein umfassendes und allgemeines menschliches Thema angesprochen ist. Keiner, auch Pendereckis Lukas-Passion nicht und auch im bildnerischen Bereich nicht Francis Bacon's Kreuzigung, vermitteln die Einsicht, dass der vor Menschen so aussehende Verlierer vor der Wahrheit der wirkliche Sieger sein kann. Diese Einsicht, sowohl Jugendlichen, als auch Erwachsenen immer wieder zu vermitteln, ist ein WICHTIGES BILDUNGSTHEMA. Solches Menschheitsdrama hat Bach m.Mg. bis heute unübertroffen dargestellt.


    Ab Gründonnerstag möchte ich in einer 4-tägigen Radwanderung bis hin zum Kreuzberg in Bonn auch selbst 'ein kleines Teil Entsagung' auf mich laden. Kraft und Stärke flößt mir dabei mein mp 3-Player zu, aus dem die Matthäus-Passion von Bach entströmt. Welche Aufnahme und welcher Dirigent dabei in mich strömt, ist drittklassig. Hauptsache, es ist die von Bach -, nicht nur vom Dirigenten secundär interpretierte, sondern von ihm glaubhaft vermittelte Passion.


    Adamo

    Magnificat anima mea

  • Zitat

    Original von Pius
    ThomasBernhard und ich hatten neulich beschlossen, daß dies die beste Matthäuspassion ist, die es gibt: 8)



    Lieber Pius,


    Ich habe gerade Hörproben "genossen", und bin damit nicht einverstanden. Ich störte mich so an Pregardiens Darstellung als Evangelist, daß ich es bei einigen Proben ließ. In dieser Aufnahme ist seine Stimme m.E. zu dünn. Und er konnte einen guten Evangelisten singen, erinnere ich mich.
    Schade.


    LG, Paul

  • Sagitt meint:


    So ein Gross-Werk wie die Matthäus-Passion in allen Teilen zu erfassen, ist eine Herausforderung. Ich habe noch keine gehört, die mir unter allen Aspekten gefiel. Viele mit grossartigen Solisten haben teilweise grauenhafte Chöre. Die mit den hervorragenden Chören teilweise zweitrangige Solisten.
    Die Tempi sollten möglichst jedem Stück angemessen sein. Auch das finde ich eigentlich überhaupt nicht.Entweder sind sie sehr breit genommen oder durchweg zu flott- bei der Matthäus-Passion ein ebenso schwerwiegender Mangel.


    Nicht, weil ich provozieren will, aber eine Aufnahme, die einen Mittelweg findet: sehr gute Solisten, brauchbarer Chor, differenzierte Tempi ist von Solti- bestimmt kein Bach-Spezialist. In einen solchen Bereich gehören sicher auch Herreweghe 1984, Rilling 1994,Koopman 1993.
    Wenn ich nur die Solisten betrachte, ist für mich Richter 1959 immer noch ganz weit vorne,teilweise auch Münchinger.


    Wenn ich nur eine mitnehmen dürfte, würde ich erst gar nicht auf die Insel fahren...

  • Hallo!


    Heute habe ich mir den ersten Teil der Matthäuspassion in folgenden beiden Einspielungen angehört: Harnoncourts neuere Aufnahme, die meine bisherige Referenz ist/war und die frisch-ausgepackte vokal solistisch besetzte McCreesh-Aufnahme.



    Zunächst hatte ich einen Blick auf die Zeiten der McCreesh-Aufnahme geworfen, die ja auf nur zwei CDs verteilt ist und als recht rasant beschrieben wurde. Allerdings ist sie dann doch weniger als eine Minute kürzer als die von Harnoncourt (und das sind bei ca. 160 Minuten Spielziet klar weniger als ein Prozent), die man ebenfalls hätte auf 2 CDs unterbringen können.


    Mein erstes Vergleichshören galt natürlich dem Eingangschor, den ich bei McCreesh dann doch unerhört schnell fand (6:06 Minuten im Vergleich zu 6:46 bei Harnoncourt, der ja auch schon recht schnell unterwegs ist). Zudem ging bei der solistischen Besetzung der "O Lamm Gottes unschuldig"-Choral (den bei normalen Aufnahmen der Knabenchor singt) ziemlich unter (war kaum zu hören, eine der Sopranistinnen hat ihn wohl gesungen). Die gegenseitigen Einwürfe der beiden Chöre klingen bei den Solisten sehr unmittelbar, das Klangbild ist transparenter, an Dramatik fehlt es nicht.
    Soweit war ich einigermaßen zufrieden mit der McCreesh-Aufnahme, aber nicht wirklich angetan.


    Dies sollte sich nun ändern. Die solistische Besetzung mag im Eingangschor ihre Grenzen haben, ansonsten eröffnet sie aber ein faszinierendes Neu-Hören dieser Passion. Bereits nach einigen Nummern habe ich den Chor schon nicht mehr vermißt. Insbesondere bei Nr. 27 ("So ist mein Jesus nun gefangen" - "Sind Blitze, sind Donner..."),wo ein Chor doch unverzichtbar scheint, war ich von der Dramatik der Interpretation sehr positiv angetan.
    Mit dem transparenten, sehr direkten Klangbild der kleinen Vokalgruppe und des auch nicht gerade üppigen Orchesters gelang unter dem sehr feinsinnigen Dirigat von McCreesh eine sehr gute Aufnahme, die ich nun (allerdings nur den ersten teil gehört habend) als ideale Zweitaufnahme zu Harnoncourt empfinde (die freilich meine Referenz bleibt). Der Kauf hat sich auf jeden Fall gelohnt und ich kann die McCreesh-Aufnahme allen empfehlen, die mal die Matthäus-Passion etwas anders hören möchten oder einfach eine weitere gute Alternativ-Aufnahme suchen. Nur solchen, die die Matthäuspassion kennenlernen möchten, würde ich doch eher zunächst zu einer Aufnahme mirt Chor raten.


    Nochmal zur Tempofrage: Der Respekt für die und der religiöse Gehalt der Musik werden durch die flotten Tempi IMO sowohl bei McCreesh als auch bei Harnoncourt gewahrt (außer dem Eröffnungschor empfand ich sonst nur noch "Ich will dir mein Herze schenken" einen Tick zu flott bei McCreesh). Die Musik bekommt so einen sehr lebendigen, dramatischen, leidenschaftlichen (Passion!) Charakter. Wer einen eher meditativen Zugang sucht, wird sicher mit beiden nicht glücklich (ich suche hier keinen, dafür habe ich ja Haydns "Sieben letzte Worte").


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Hier gibt es die Spieldauern der einzelnen Stücke von 10 Aufnahmen, wen's interessiert. Die Unterschiede sind teils erheblich, teils eher geringfügig.


    Ich werde mir morgen wohl mal Harnoncourts Pionieraufnahme von 1970 vornehmen (irgendwann mal günstig erwischt, aber noch nie gehört). Seine neuere gefällt mir zwar auch, aber ein oder zwei der Solisten (IIRC die Bass-Solisten) sind nicht besonders toll...


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Sagitt meint:


    War die erste nicht mit Knaben ?


    Aus Liebe will mein Heiland sterben, von einem Knaben ?


    Erbarme Dich von sein Haus-counter Paul Esswood ?


    Schon diese Annahme würde mich von dieser Aufnahme fernhalten.


    Eine kleine Provokation am Donnerstagabend- dem Gründonnerstag.


    Heute mal wieder Rilling 2 gehört- 1994. Eine wirklich gut anhörbare Aufnahme. Grossartige Solisten, Quasthoff, Goerne, Schade, Danz,Oelze.
    Der Chor nicht so gross.
    Rilling hat unglaubliche Erfahrung mit dem Stück.
    Der Einfluss von Harnoncourt ist bei Rilling 2 unüberhörbar.


    Das könnte Ärger geben- ich weiss.

  • Kennt einer von euch die neue Liveaufnahme unter Koopman?
    Ich habe sie mir jetzt bestellt (bei dem Preis bei jpc kann man doch nicht nein sagen), und hoffe, dass ich es nicht bereuen werde.


    Hoffentlich zerstört ich jetzt nicht meine Hoffnungen :untertauch:

    "Phantasie ist unser guter Genius oder unser Dämon."
    - Immanuel Kant (1724-1804)

  • Hallo Pius,


    Danke für den Vergleich! Puh, da bin ich aber froh, dass es dir nich miissfällt!
    Zum Kennenlernen würde ich, genau wie du, McCreesh warscheinlich auch nicht empfehlen - Harnoncourt kenne ich nicht, aber überlege sie mir zuzulegen.
    Habe bisher nur die sehr gute und hübsch Aufgemachte Version die mit den Mauersbergern sowie die gar nicht so üble aus der Brilliant-Box.


    Die Neue Koopman-Aufnahme würde mich auch sehr interessieren - hab sie diese Woche bei jpc im Laden gesehen aber erstmal liegen lassen...


    LG
    Raphael

  • Zitat

    Original von raphaell
    Zum Kennenlernen würde ich ... McCreesh warscheinlich auch nicht empfehlen -


    Warum eigentlich nicht? Was ist falsch daran, wenn jemand eines von Bachs großartigsten Werken zum ersten Mal in etwa so hört, wie es in der Thomaskirche geklungen haben mag, anstatt mit wesentlich mehr Instrumentalisten und Sängern und einer läppischen Truhenorgel?
    McCreeshs Aufnahme kam gestern hier an und läuft gerade bei mir, und da ich nicht so sehr von konventionellen großbesetzten Aufnahmen "verdorben" ;) bin, finde ich das sehr innig und dramatisch. Die Musik ist so gut, da braucht es keine Massenchöre. Die Transparenz ist toll, trotzdem ein homogener Gruppenklang. Ich wüsste nicht was da fehlt, außer dem gewohnten Klang ...

  • Zitat

    Original von miguel54


    Warum eigentlich nicht? Was ist falsch daran, wenn jemand eines von Bachs großartigsten Werken zum ersten Mal in etwa so hört, wie es in der Thomaskirche geklungen haben mag, ...


    Na ja, ich dachte immer, eine Besetzung von ca. 12-16 Knaben wäre wohl sehr nahe am Original (auch in den Soli! oder?)
    Mag sein das Mc Creesh mit seiner solistischen Besetzung da näher dran ist als ein Philharmonischer Chor+Sinfonieorchester, ich habe auch nix gegen eine (feine) kammermusikalische Matthäus-Passion (und ich mag Knabenchöre nur in Ausnahmesituationen hören), nur das Argument der Authentizität hier erscheint mir etwas zweifelhaft.


    Gruß pt_concours

    Hören, hören und nochmals hören: sich vertraut machen, lieben, schätzen.
    Keine Gefahr der Langeweile, im Gegensatz zu dem, was viele glauben, sondern vielmehr Seelenfrieden.
    Das ist mein bescheidener Rat. (S. Richter, 1978)

  • Zitat

    Original von miguel54
    Was ist falsch daran, wenn jemand eines von Bachs großartigsten Werken zum ersten Mal in etwa so hört, wie es in der Thomaskirche geklungen haben mag


    Meinst Du im Ernst das "Bach so geklungen haben mag?" Der Klang einer Aufnahme in einer leeren Kirche? Aufnahmetechnisch für wenige Sänger "optimiert"? Mit pro Stimme je einem Sänger bzw. SängerINNEN? Meinst Du wirklich dass "ovpp" ("one voice per part") ertwas anderes ist als eine zwar schwer zu widerlegende aber ferner liegende Hypothese?


    Ich finde auch das Ergebnis der McCreeschen Aufnahme hörenswert, ein Ohrenöffner, gerade die Durchsichtigkeit der Musik ist ein großer Pluspunkt. Ich empfinde sie als eine echte Bereicherung. Aber mit einer wirklichen historischen Praxis hat dies wohl wenig zu tun. Eher erinnert mich das mit genau umgekehrtem Vorzeichen an die m.E. grandiosen Klavieraufnahmen Glenn Goulds mit dem modernen Flügel. "Historisch" kaum vertretbar, aber wunderbare, anrührende Musik.


    Beste Grüße, García

  • Guten Abenfd


    Zitat

    Original von miguel54
    [Warum eigentlich nicht? Was ist falsch daran, wenn jemand eines von Bachs großartigsten Werken zum ersten Mal in etwa so hört, wie es in der Thomaskirche geklungen haben mag, anstatt mit wesentlich mehr Instrumentalisten und Sängern und einer läppischen Truhenorgel?.


    Sehen wir mal von der Truhenorgelthematik ab; ich meine, dass Bach für die Aufführungen seiner Matthäuspassion ein weitaus größerer Klangapparat zur Verfügung stand und er diesen auch einsetzte, als der in der McCreesh Einspielung. Klar, gemessen an unsererem heute teilweise gebrauchten Chor- und Orchesterklang hatten Bachs Passionaufführungen wirklich ein ausgesprochenes solistisches Klangbild, aber rein"solistische" Aufnahmen ala McCrees etc. sehe ich nicht als das an, was Bach mit seinem "Großprojekt Matthäuspassion" zur Aufführung brachte.


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Wie schneidet denn da im Vergleich die Veldhoven-Edition ab? Ich kenne nur die h-moll-Messe mit den Paulanern und die hat mich ziemlich begeistert.



    ?(

    Cnusper, cnusper, cnasam, qui cnusperat meam casam?
    (Hexa dixit)

  • Mit Rifkin, Parrott, McCreesh und Kuijken haben jetzt vier renommierte Ensembleleiter der HIP die solistische Besetzungsform übernommen. Mich persönlich überzeugt dieser Ansatz, und wenn ich wie McCreesh an die alltäglichen aufführungspraktischen Realitäten in der Thomaskirche denke - da drängte sich alles auf der Orgelempore, zumindest Chor I der Matthäuspassion, wo Chor II positioniert war, weiß ich nicht auswendig.
    McCreesh sagt übrigens ausdrücklich, dass er sein Konzept nicht für das allein seeligmachende hält. Eine valide Alternative ist es allemal. Dass die Kirche bei der Aufnahme leer war, halte ich für ein etwas kleinliches Argument - das machen alle so außer bei Live-Aufnahmen. Und im Rahmen der Liturgie führt es heute doch kaum noch jemand auf, und da gehörte es ursprünglich hin - aber da kommen schnell vier Stunden und mehr in der Kirche zusammen ... wer mag die heute dort verbringen?
    Wesentlich größer als McCreeshs Ensemble war Bachs nicht. Der Begriff "Chor" bedeutet eben in der Barockzeit etwas anderes, als was seit Mendelssohns Wiederbelebung darunter verstanden wird. McCreesh und sein Organist Timothy Roberts stellen fest, dass dieses liebgewonnene Ziehkind der Aufführungspraxis barocker Kirchenmusik weitaus weniger gern in Frage gestellt wird als andere.
    Ich finde die Dynamik und Dramatik von McCreeshs Aufnahme frappierend, und sie begeistert mich für diese Musik genau wie Kuijkens neuere Kantateneinspielungen, was vorher kaum jemand geschafft hat. Mir g'fallts. Was will ich mehr, wenn's mir obendrein historisch plausibel erscheint?