Der Goldene Klang der Wiener Philharmoniker - Realität oder Legende ?

  • Liebe Taminoianer,


    Heute will ich mal ein heißes Eisen anfassen:
    "Das beste Orchester der Welt", wie es in Wien hinter vorgehaltener Hand genannt wird (und in Japan natürlich ohne vorgehaltener Hand :D ) :


    Die Wiener Philharmoniker.



    Von diesem Thread erwarte ich mir eine hohe Beteiligung, weil spätestens bei dieser Behauptung jeder aufrechte Berliner widersprechen wird :D


    Auch die Leipziger oder Dresdner könnten reagieren.. :D




    1842 von Otto Nicolai und anderern, aus dem Zusammenschluß mehrerer Orchester geschaffen, gab es sein Debüt am 18.3.1842 im Großen Wiener Redoutensaal.Abonnementskonzerte gab es seit 1860.
    Nach Fertigstellung des Musikvereinsgebäudes 1870 fanden die meisten Konzerte im großen Musikvereinssaal statt.


    Die Wiener Philharmoniker regieren sich in Eigenverwaltung. Seit 1997 verzichten sie freiwillig auf jede Subvention, um sie so jedem Zugriff auf ihre Repertoirpolitik zu entziehen.


    Ebensowenig gibt es die Position eines Chefdirigenten.


    Aber was das Wichtigste ist, ist ja wohl der Klang:
    Immer wieder wurde vom "Goldenen Klang" der "Wiener" gesprochen, nie belegbar, nie meßbar.
    Auch die Wiener Philharmoner selbst wissen nicht woraus der spezifische Klang resultiert, abgesehen von einigen speziellen Instrumenttypen, die hier zum Einsatz kommen. Die Streichinstrumente jedoch sind gute Qualität, aber keine "Sonderstücke"


    Viele Zweifel wurden laut, Ob es den "Wiener Klang" überhaupt gäbe, Untersuchungen, mit unterschiedlichen Ergebnissen wurden angestellt, auch in einigen Foren.


    Auch die Schallplattenfirmen, so sie es sich leisten konnten, griffen überdurchschnittlich oft auf dieses Orchester zurück


    Und jetzt seid Ihr gefragt Eure Statements abzugeben
    Für Schreibfaule hab ich schon drei alternative Antworten vorbereitet:


    A) Die Wiener Philharmoniker sind das beste Orchester der Welt.


    B)Für mich existiert diese Frage nicht, klar sind sie die Besten.


    C)Natürlich die Wiener, alles Andere ist Gaslicht.



    Wie ihr seht bin ich ein großer Verfechter von Meinungsvielfalt :D


    Aber nun im Ernst: Was ist Eure Meinung. ???


    Weil das Thema ein heikles ist, weise ich darauf hin, daß das Werfen von Tomaten und faulen Eiern im Forumsbereich verboten ist :D


    Freundliche Grüße
    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Wahrlich, wahrlich, die Geister, die Alfred rief,
    wird er (vielleicht) nicht mehr los ;)


    Nun aber zum Thema, mit dem ich mich schon seit Jahren aus beschäftige, hat nicht zuletzt mein Nickname etwas damit zu tun...


    Eines vorweg: ich werde nicht Stellung nehmen zu Themen wie "wer ist das bessere/beste Orchester",
    sind die Musiker der "Wiener" die Besten, usw...
    IMO gibt es - was das Können am jew. Instrument betrifft - in dieser absoluten Oberliga keine Unterschiede mehr.
    Weiters kommen die Probanden zum Probespiel mittlerweile aus den unterschiedlichsten Ländern der Erde.
    Nikolaus Harnoncourt hat dazu eine sehr gefestigte Meinung, in dem er sagt, man muss in Zeiten der Internationalisierung sehr bedacht darauf sein, die ursprünglichen klanglichen Eigenschaften des jeweiligen - nicht nur Wiener ! - Orchesters beizubehalten.


    Zum Thema Klang werde ich mich also ebenfalls outen:
    ich bin der absoluten Überzeugung, dass man den "Wiener Klang" hört.
    Und da rede ich nicht von elementaren Unterschieden wie etwa W.Ph. vs Chicago SO oder LSO - der Blechbläserklang hier ist IMO elementar verschieden.
    Nein, ich denke an W.Ph. vs Berliner Ph. oder Dresden.
    Ich denke, dass einen wesentlichen Beitrag dazu der Klang der eigenen Wiener Instrumente beisteuert: Wiener Horn - welches zum Glück nun auch bei den Wiener Symphonikern wieder eine Renaissance erlebt*,
    die Wiener Oboe, die Wiener Pauken.
    Weiters der unverwechselbare "Zug" und folglich auch die sensationelle Dynamik, zu welcher die Streicher in der Lage sind.
    Ich empfehle hier Blindtests, um etwaigen Vorurteilen vorweg den Wind aus den Segeln zu nehmen.


    *: es gibt eine neue Reihe auf Naxos: Philharmonic Soloists. Neben der Klarinette gibt es seit kurzem auch eine CD über das Wiener Horn (Wolfgang Tomböck jr), ich kann diese nur wärmstens empfehlen.
    Als nächstes ist im Übrigen die Viola an der Reihe, danach glaube ich Trompete...


    Was die Trompete betrifft gibt es im Vergleich zur Deutschen Trompete ebenfalls erhebliche Unterschiede, das fängt beim Mundstück an und geht über unterschiedliche Mensuren, Blechstärken, Oberflächenbeschichtungen (Gold vs Silber) bis hin zur Becherweite.
    Von Dreh- vs Perinetventilen rede ich hier gar nicht...
    Was sich halt im speziellen Orchester des jeweiligen Landes etabliert hat.
    Das geht soweit, dass man beim Probespiel nur Chancen hat, wenn man einem gewissen klanglichen Ideal (dunkel, aber Obertonreich, im Falle der Wiener) entspricht. DANN erst wird auf die technische Ausführung, Ausdauer, usw. geachtet.


    Im Orchester selbst wird es wohl so eine Art Eigendynamik geben, sprich, die "alten Hasen" ziehen die jüngeren Orchestermitglieder mit, bis letztlich alle "wienerisch" spielen.


    Um es zu Ende zu bringen: ich habe gleiche Werke in Aufnahmen verschiedener Orchester zu Hause, ja ich kaufe oft bewusst auch CD's "kleinerer" Orchester.


    Aber ich finde den Klang der Wiener Philharmoniker
    in der Tat einzigartig und begeisternd, auch wenn ich die Dresdener und Berliner schätze.


    Im Zuge meiner Suche, ob dies auch wissenschaftlich zu ergründen ist, bin ich vor 2 oder 3 Jahren auf diese Website gestoßen: http://iwk.mdw.ac.at/index.htm


    Aber das werden ohnehin viele wissen, denke ich.


    Ich wünsche ein schönes Wochenende,


    DS

  • Nikolaus Harnoncourt gab irgendwann in den letzten Jahren sinngemäß die Äußerung von sich, es gäbe nur noch 3 Orchester, welche sich in der zunehmenden ´Globalisierung´ ihren eigenen Klang bewahrt hätten. Es seien dies das Concertgebouw Amsterdam, die Wiener Philharmoniker und die Berliner Philharmoniker. Folglich arbeite er auch nur noch fast ausschließlich mit diesen.
    In einem der letzten Programmhefte des BPO äußerte sich Zubin Mehta, dass die Berliner Philharmoniker früher einen vielleicht noch individuelleren Klang gehabt hätten. Allerdings seien damals auch leider sowohl Bach, als auch Beethoven und Strawinsky mit diesem einheitlichen Klang gespielt worden, was heute glücklicherweise anders ist.


    Ich selbst bin bei Leibe kein Lokalpatriot. Natürlich sind die Berliner mein Lieblingsorchester, was sich fast zwangsläufig ergibt, wenn man eines der weltbesten Orchester fast wöchentlich live erleben darf. Man hat ´seine´ Lieblingssolisten u.s.w. Aber ich würde mich nie an ´Ranglistendiskussionen´ beteiligen. ( Ein gutes Antibeispiel hierfür sind z.B. die berühmten ´Big Five´ - die angeblich besten amerikanischen Orchester - , deren Hervorhebung gegenüber anderen mir nicht mehr in jedem Falle gerechtfertig erscheint. )


    Neben den elementaren Unterschieden - wie z.B. amerikanisches Blech gegenüber ´deutschen ´ Blechbläsern - die hört meist selbst der Unerfahrene - gibt es sicher weitere feinere klangliche Unterschiede. Ich würde mir aber nicht anmaßen, diese in jedem Falle im Blindtest herauszuhören. Die typischen Beispiele in ganz außergewöhnlichen Fällen vielleicht - aber beileibe nicht immer. Das ist wie mit den Weinproben: Früher waren die wenigen guten Bordeaux unverwechselbar, heute kommen aus vielen Teilen der Welt ähnlich gemachte gute Weine. Die Profis liegen meist daneben.


    Aber wie gesagt, die Unterschiede sind trotzdem sicher da, sie müssen da sein: Das fängt mit den Instrumenten an, dem Konzertsaal in dem täglich geprobt wird, geht über Herkunft, Ausbildung, Alter der Musiker, bis hin zu den Chef - und Gastdirigenten, dem gespielten Repertoire, der Tradition.
    Auch die eigentliche ´Formation" : Die Wiener sind ja sozusagen eine Eliteauskopplung des Opernorchesters der Wiener Staatsoper. Das heisst, viele Mitglieder spielen täglich in der Oper. Im Vergleich mit den Berlinern geben sie so viel weniger sinfonische Konzerte, während diese aber wiederum nur ein- bis zweimal im Jahr eine Oper aufführen. All das ergibt eine andere Art des Musizierens, und da Musik in erster Linie die Erscheinung von Klang in der Zeit ist, muss das natürlich im Klang manifestiert sein.


    Ich muss aber gestehen, dass ich beim Kauf einer CD keinen so großen Wert auf das Orchester lege, da in der Regel ein mittelmäßiges Orchester unter erstklassiger Leitung bessere Ergebnisse erzielt, als die Berliner Philharmoniker unter einem Provinzkapellmeister.
    Trotzdem gibt es einige Favoriten, so kaufe ich z.B. Brahms sehr gerne von den Berlinern. Und wenn ich Wiener Walzer kaufen würde, würde meine Wahl sicher nicht auf Chicago fallen. :)


    Gruß
    Anti











    [Dieser Beitrag wurde am 09.07.2004 - 18:35 von Antracis aktualisiert]

  • Ich würde auch behautpen, dass man ab einem gewissen die Güte eines Orchesters rein technisch nicht mehr beurteilen kann. Bei den Wiener oder Berliner Philharmonikern sind wir sicherlich auf solch einer Stufe.
    Ich habe die Wiener Philharmoniker nie live gehört und auf CDs ist mir kein typischer Klang aufgefallen, das sind wohl eher die Klänge der einzelnen Plattenfirmen.
    Was mir bei gewissen Aufnahmen immer wieder auffällt, ist, wenn einzelne Orchestergruppen besonder hervorstechen. Das ist manchmal dann aber nur bei einer einzigen Aufnahme so, sodass ich das nicht wirklich unter "typisch..." abordnen könnte.
    Bei den Wiener Philharmonikern sind mir besonders die Bläser bzw. Holzbläser positiv aufgefallen: Bei der Aufnahme der Beethoven Klavierkonzerte mit Brendel/Rattle sowie der Gesamtaufnahme der Beethoven-Symphonien mit Rattle. Es ist einfach ein sehr spezieller Klang. Woher der kommt, kann ich nicht beurteilen.
    Grüsse...Cliowa

  • Liebe Forianer,


    aus gegebenem Anlass hole ich diesen Thread wieder hervor, habe aber auch hier einges entdeckt, was ich beim ersten Lesen nicht so wahrgenommen habe, und worauf ich gerne antworten würde.


    Zunächst aber zum auslösenden Statement, das mich animiert hat, diesen Thread erneut aufzugreifen.


    Thorsten Müller schrieb: (an petemonova)


    Zitat

    Ich würde an Deiner Stelle zumindest versuchen, von der Fixierung auf das Orchester Abstand nehmen. Es sind nicht die Wiener Philharmoniker sondern die von BERNSTEIN dirigierten WP, die Deine Referenz sind. Sanderlings Brahms wäre mit den WP genauso wenig explosiv wie seine tatsächlichen Aufnahmen

    .


    Das würde ich für die meisten Orchester tatsächlich unterschreiben, viele, nein sogar die meisten, sind weitgehend an ihren Dirigenten gebunden. Wenn der Chefdirigent wechselt, sinkt oder steigt das Niveau des Orchesters. Unter Gastdirigenten werden Höchstleistungen erbracht (wenn der Gast hochkarätig ist) die ansonst kaum oder nicht errreicht werden.


    Nicht so bei den Wiener Philharmonikern.
    Sie haben keinen Chefdirigenten, verwalten sich selbst, verzichten auf Subventionen und lassen sich von niemanden was dreinreden.
    Dennoch halten sie seit über einem Jahrhundert ihren hervorragenden Ruf.


    Überliefert ist ein Zornausbruck Bernsteins, der es nicht verstehen konnte, daß die "Wiener" Mahler nicht anders spielen konnten (oder wollten :D , als "klangschön") und sich seinem Wunsch auch mal "ordinärer" zu spielen, standhaft widersetzten.


    Die Wiener sind überhaupt, so sagt man, ein "widerspenstiges " Orchester, und ich meine das als Kompliment.


    ----------------------------------------------------
    In Wien gibt es ein "geflügeltes Wort":


    Zitat

    Die Wiener Philharmoniker brauchen eigentlich gar keinen Dirigenten, wenn ein mittelmäßiger , aber sympathischer Dirigent am Pult steht, spielen sie "wie immer"


    Wenn ein hervorragender Dirigent am Pult steht, mit dessen Intentionen sie d.accord sind, dann folgen sie seinen Anweisungen.


    Wenn ein miserabler Dirigent (warum das kaum vorkommt folgt später)
    am Pult steht, den sie gar nicht mögen - - - DANN SPIELEN SIE GENAU DAS, WAS er DIRIGIERT. :D:D


    ----------------------------------------------------


    Es ging eigentlich darum, ob man sich einen Dirigenten oder ein Orchester als Referenz wählen sollte.



    Die Wiener Pilharmoniker als Referenz ?


    Warum nicht. Im Gegensatz zu anderen Orchestern sind sie selbst es, die bestimmen, wer sie dirigieren darf und wer nicht.
    Dabei gibt es lediglich Gastdirigenten, also keine Prägung durch einen "Chef"
    Als Konsequenz folgt daraus, daß sie nie gezwungen sind, mit Dirtigenten zusammenzuarbeiten, die sie nicht wollten.


    Ihre "Macht" in künstlerischer und finanzieller Hinsicht demonstrierten sie vor etwa 2 Jahren, als Teldec die geplante (und geprobte) Einspielung der 9.(?) Bruckner unter Nikolaus Harnoncourt überraschend absagte.
    In einer ausserordentliche Vorstandssitzung entschloß man sich, die Produktion auf eigenes Risiko zu wagen und sie dann an den Meistbietenden (das war in diesem Falle offenbar RCA-Victor) zu verkaufen oder zu lizenzieren.



    Es gibt allerdings Musik, wo die "Wiener" nicht als Referengz gelten können, und das ist jene der Moderne, resp teilweise auch der "Klassischen Moderne" hier gibt es "rabiatere" Orchester, der "goldene Klang steht der typgerechten Aufführung dieser Werke weitgehend im Wege.


    -----------------------------------------------------------------
    cliowa schrieb:


    Zitat

    Bei der Aufnahme der Beethoven Klavierkonzerte mit Brendel/Rattle sowie der Gesamtaufnahme der Beethoven-Symphonien mit Rattle. Es ist einfach ein sehr spezieller Klang. Woher der kommt, kann ich nicht beurteilen.


    Meiner Meinung nach ist es allerdings nicht der spezifische Klang der "Wiener Philharmoniker", sondern ein Versuch "neue Wege" zu gehen, wobei gesagt werden muß, daß Rattle und das Orchester hier einvernehmlich handelten.


    Ich weiß nicht wer derzeit die Favoriten der "Wiener" sind, Christian Thielmann ist jedoch ganz vorne mit dabei, die Zusammenarbeit mit ihm wurde als "schlechthin ideal" bezeichnet.


    Beste Grüße


    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Dann lag ich ja mit meiner Einschätzung gar nicht so falsch. :D


    Trotz alledem ist meine Referenz der Zweiten Brahms Leonard Bernstein mit den Wiener Philharmonikern. Und zwar beide zusammen.

  • Hallo Alfred,


    da haben wir in einigen Punkten eine gänzlich entgegengesetzte Auffassung die wohl maßgeblich von der Tatsache geprägt sein dürfte, dass ich trotz naturgemäß vorhandener Präferenz keinem Orchester einen derartig sakrosankten Ausnahmestatus zubillige, wie Du Ihn den Wienern einräumst.


    Auch unter der Leitung eines unfähigen Taktklopfers noch ein akzeptables Niveau abzuliefern ist eine charakteristische Eigenschaft aller großen Klangkörper, nicht nur der Wiener Philharmoniker. Ebenso kommen aber die herausragenden Leistungen, die man nun mal von diesen Spitzenensembles erwartet, nur unter der Leitung berufener Interpreten zustande. Die Fixierung auf den Dirigenten hat aus meiner Erfahrung durchaus seine Berechtigung. Ich habe uninspirierte, schlicht den Ansprüchen ungenügende Wiedergaben großer Musikwerke schon von allen Spitzenklangkörpern erlebt, egal ob live oder aus der Konserve. Wirklich große musikalische Ergebnisse werden nur im hochqualifizierten Zusammenwirken erbracht.


    Das bei aller Prägung durch den handwerklichen Zugriff des Dirigenten immer noch die Eigenart des Orchesters hörbar ist, sollte ebenfalls nicht nur in Wien hörbar sein, sondern an vielen anderen Orten der Welt. Dies ebenfalls als Kennzeichen für hohe künstlerische Qualität des Klangkörpers.


    Das die Wiener "widerspenstig" sind (manche nennen das auch unflexibel :D), ist sicher eine charakteristische Eigenart des Orchesters. Über Vor- und Nachteile könnte man gerne jahrelang diskutieren. Ich nehme das klangliche Ergebnis dankend an, welches einzigartig ist und zu manchem Werk passt, zu manchem auch nicht.
    Es gibt flexiblere große Orchester, wenn es darum geht, das Klangbild optimal an bestimmte vor allem moderne oder "alte" Epochen zu verändern. Aber auch die haben noch nicht die Eierlegende Wollmilchsau erfunden. Darüberhinaus ist dies wohl auch nicht erstrebenswert.


    Letztendlich tue ich mich eh immer schwer mit "Referenz"-Debatten. Die kann man natürlich gerne für sich definieren und nach Belieben auch für den Rest der Welt verbindlich festschreiben. Ob man sich einen Gefallen damit tut bei der wundervollen Interpretationsvielfalt, werde ich immer bezweifeln. Über die Jahre wirkt es dann auch ziemlich komisch, wenn man 5 Referenzzyklen der Beethovensinfonien im Regal hat. Erinnert mich auch irgendwie an im agitatorischen Überschwang neu erfundene Superlative, welche von Kritikern gerne benutzt werden.


    Ich las neulich mal in einer Kritik, Furtwänglers Deutung werde immer die einzigste bleiben, die der Kritiker gelten lasse.
    Hier zeigt sich schon Freud in seiner bösesten Form. Offenbar weiß das Unterbewußtsein des Autors doch, dass es eventuell mehrere lohnenswerte Ansätze geben könnte, so dass er sich genötigt sahSteigerungsformen zu nutzen, welche sich der sprachlichen Logik eigentlich widersetzen. :D



    Gruß
    Sascha

  • Hallo Alfred,


    unbestritten, dass die WP ihren eigenen Weg gehen. Das machen aber die Berliner auch. Der einzige Unterschied ist, dass die Berliner einen Chefdirigenten haben, die Wiener nicht - auch wenn der Chefdirigent der Berliner - so war es vom 1923 bis 2002 - immer auch der heimliche Chefdirigent der Wiener war (Furtwängler/Karajan/Abbado).


    Deine Argument vom eigenen Kopf zielt jedoch ausschließlich auf den Klang, nicht jedoch auf die Struktur der Interpretation - sonst würden alle Beethoven-Aufnahmen der Wiener Philharmoniker die gleichen Tempi, die gleichen Phrasierungen etc. haben. Haben sie aber nicht, was schon ein oberflächlicher Vergleich offenbart. Allen Aufnahmen gemein ist jedoch der spezifische Klang der Hörner oder der Streicher - und der hat wirklich nichts mit dem Dirigenten zu tun.


    Meine Kritik an den Sanderling-Aufnahmen zielt jedoch nicht auf den Klang sondern auf die Struktur der Interpretation. Die Tempi etc. wären von Sanderling genauso gewählt worden, hätte er die WP oder die Berliner zur Verfügung habt - und dann wäre das Resultat genau so enttäuschend wie die tatsächlichen Aufnahmen.


    Zitat

    Warum nicht. Im Gegensatz zu anderen Orchestern sind sie selbst es, die bestimmen, wer sie dirigieren darf und wer nicht.


    Das machen die Berliner Philharmoniker auch.


    Zitat

    Es gibt allerdings Musik, wo die "Wiener" nicht als Referengz gelten können, und das ist jene der Moderne, resp teilweise auch der "Klassischen Moderne"


    Also mir gefallen die Abbado-Aufnahmen "Wien modern" ausnehmend gut. :D


    Zitat

    Ich weiß nicht wer derzeit die Favoriten der "Wiener" sind, Christian Thielmann ist jedoch ganz vorne mit dabei, die Zusammenarbeit mit ihm wurde als "schlechthin ideal" bezeichnet.


    Ich glaube, dass hat CT selbst zumindest auch für die Strauss-Aufmahmen gesagt. Kann ich zumindest teilweise nachvollziehen. ;)

    Gruß,
    Gerrit

  • Zitat

    Original von Thorsten_Mueller
    Meine Kritik an den Sanderling-Aufnahmen zielt jedoch nicht auf den Klang sondern auf die Struktur der Interpretation. Die Tempi etc. wären von Sanderling genauso gewählt worden, hätte er die WP oder die Berliner zur Verfügung habt - und dann wäre das Resultat genau so enttäuschend wie die tatsächlichen Aufnahmen.


    Hallo Thorsten,


    eine Frage:


    Woher willst du wissen, welche Tempi Sanderling wann wählt bzw. "genauso" wählt?


    Gruß

  • Aus der Erfahrung. Er hat die Tempi so mit dem Philharmonia Orchestra gewählt, einem Orchester, das eigentlich nicht dafür bekannt ist, den Anforderungen eines Dirigenten nicht gewachsen zu sein. Ich glaube nicht, dass Sanderlings Brahms so breit geworden ist, weil das Philharmonia nicht schneller spielen konnte - dann hätte er es sicher gelassen, so viel künstlerische Integrität setze ich voraus. Von einem Dirigenten erwarte ich, dass er sich seine Vorstellungen nicht von einem Orchester diktieren lässt.


    Gegenfrage: Welche Anhaltspunkte hast Du, die Dich dazu verleiten können, einen anderen Brahms von ihm zu erwarten?

    Gruß,
    Gerrit

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  • Ich habe immer noch nicht verstanden, welche Sanderling-Aufnahmen hier kritisiert werden und wofür. Bis jetzt wurde nur eine einzige erwähnt.

  • Zitat

    Original von peet
    Ich habe immer noch nicht verstanden, welche Sanderling-Aufnahmen hier kritisiert werden und wofür. Bis jetzt wurde nur eine einzige erwähnt.


    Also, diskutiert werden die Brahms-Aufnahmen von Thomas Sanderling mit dem Philharmonia Orchestra (es gibt auch keine anderen von ihm). Erhältlich momentan in der hochwertigen, dennoch preisgünstigen Ausgabe eines italienischen Labels. petemonova hat sich die Aufnahmen gekauft, um die Brahms-Sinfonien einmal komplett zu haben, da er bis dahin nur die 2. mit Bernstein und den Wiener Philharmonikern hatte. petemonova war von den Sanderling-Aufnahmen angetan, bezeichntete die Wiener Philharmoniker-Aufnahmen dennoch als seine Referenz. Worauf ich darauf hinwies, dass die Aufnahmen grundsätzlich auch von Bernsteins Einfluss als Dirigent abhängen. Ein wenig verklausuliert habe ich dann darauf hingewiesen, dass Sanderlings Brahms, wäre er mit den Wienern aufgenommen worden, auch nicht die Bernstein-Referenz ersetzt hätte. Warum? Weil sich die Werkauffassung, die Sanderling mit dem Philharmonia verwirklichte - und die mir nicht gefällt - nicht geändert hätte, nur weil er auf einmal die Wiener zur Verfügung gehabt hätte. Geändert hätte sich nur der Klang.

    Gruß,
    Gerrit

  • Hallo


    Die Sanderling-Aufnahmen kenne ich (leider) noch nicht, sie wurden mir aber vor Jahren in der intenationalen, sprich amerikanisch domionierten NG wärmstens empfohlen (wobei gesagt werden muß, daß unsere Ansprüche hier generell höher liegen). Es gab aber, so wie hier auch, Gegner der Aufnahme.


    Auch die Bernstein-Aufnahmen (mit den Wienern, es gibt ja auch noch die mit den New Yorkern)wurde seinerzeit bei ihrem Erscheinen einerseits sehr geobt und die erste (oder der ganze Zyklus ?) mit einem Fono-Forum Stern ausgezeichnet, andererseits wergen ihrer relativ breiten tempi und dunklen Klangabstimmung arg zerzaust.


    Dazu muß man sich vor Augen halten, daß bei der Beurteilung einer Brahms-CD, üblicherweise drei relvante Kulturkreise aufeinanderstoßen :


    1) der Deutsche:


    Hier sieht man Brahms als norddeutschen Landsmann, voller Ecken und Kanten, forsch und rauh, und so will man ihn auch interpretiert wissen.



    2) der Österreichische:


    Brahms lebte lange Zeit in Wien, einer Stadt der synthetischen Gemütlichkeit und Freundlichkeit (Man sagt bei uns, wenn man einen Befehl formuliert, nicht : "Machen Sie das" sondern "Würden die die Freundlichkeit haben das zu tun " - Nichts destoweniger ist es ein Befehl.
    Andererseits ist es aber auch eine Stadt der Schwermut, etwas das Brahms gelegen haben muß. Wie dem auch sein - Er entschied sich für Wien (mehr oder weniger freiwillig) und - das ist wichtig - machte hier Karriere. Somit gibt es eine über ein Jahrhundert alte Aufführungspraxis und ein Brahmsbild, das weicher, breiter und dunkler ist, als das Norddeutsche.


    3) der Englischsprachige.


    Bedingt durch die Zeitschrift "Gramophone" wird hier Geschmack aus England auf die gesamte engflischsprechende Welt übertragen, und die Engländer sind hier den Österreichern sehr ähnlich, sie sind eher verbindlich als schroff, lieber "ausgewogen" als kantig schroff.


    Auch ich bekenne, daß ich eher ein Klangfetischist bin, als ein Strukturfanatiker, viele Interpretationen legen die Struktur eines Werkes frei wie ein Gerippe, siche notwendig für Musikstudenten, manchmal aber fast ungustiös für Musikikhörer.


    @ petemonova


    Ich hoffe die Diskusson verdirbt Dir nicht die Freude an Deinen CDs, dazu besteht nämlich kein Grund. Ich möcht nicht so weit gehen, daß ich sage, für den Einsteiger sei jede CD geeignet, aber die Interpretationsunterschiede, so wichtig sie sind, zählen doch eher zu den Feinheiten, die man sich im Laufe der Zeit selbst aneignet.
    Wie Du schon den Diskussionen entnehmen konntest, gibt es keine absolute "Wahrheit" in Bezug auf musikalische Wiedergabe, es sind zumeist Geschmacksfragen (wird eine eigener Thread !!), die sehr vom Umfeld abhängig sind.



    Gruß aus Wien


    Alfred




    PS: Bitte hier heine Grundsatzdiskussion über Interpretationen im allgemeinen, das wird ein wunderschöner Thread.... :D

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    PS: Bitte hier heine Grundsatzdiskussion über Interpretationen im allgemeinen, das wird ein wunderschöner Thread.... :D


    Dann bitte ich um schnellstmögliche Eröffnung eines neuen Threads, denn in Deiner Antwort sind ziemlich viele Allgemeinplätze, die meiner Meinung nach zu pauschal sind um einer eingehenden Prüfung standzuhalten. :D :stumm:

    Gruß,
    Gerrit

  • Meinerseits gibt es keinen Bedarf an weiteren Vertiefung der Diskussion: Für mich ist "Sanderling" der Kurt. Söhne bleiben für mich erstmal im Schatten des Vaters. :-)


    Danke für die Präzisierung.

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  • können wir uns trotz aller Vorliebe einigen?


    es gibt Unterschiede zwischen einem Orchester mit langer Tradition und eigenen Gesetzen und Zufallsensembles, die für ein Projekt engagiert werden.


    Obwohl die projektbezogenen vielleicht eher den Willen eines Dirigenten vollführen werden,


    das Argument "die Musiker sind 'zusammengespielt', aufeinander eingestellt - ist umstritten.


    Einzelleistungen in den Orchestern gibt es in beiderlei Hinsicht. Auch in guten Orchestern gibt es weniger gute Musiker und umgekehrt


    ein guter Dirigent kann in relativ kurzer Zeit ein gutes Ensemble formen.
    nicht umsonst hört man von Dirigenten, die mit unbekannten Orchestern gute Ergebnisse erzielen...


    einige Orchester sind eine Klasse für sich, aber sie spielen nicht alles gut :D

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Hallo Wolfgang,


    Allses sehr schön, trotzdem has Du dich an der eigentlichen Kernfrage (elegant wienerisch natürlich ;) ) "vorbeigemogelt, wobei ich einräume daß wie als Wiener so ziemlich die einzigen sind die das nicht beantworten können. Die Wiener Philharmoniker wissen es selbst nicht.


    Die Frage war eigentlich was das "Besondere" bzw den "besonderen Klang" ausmacht. Untersuchengen haben ergeben, daß es NICHT die Intrumentenwahl ist, zumindest nicht hauptsächlich.


    Freundliche


    Grüße

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • :]


    Hallo Alfred,


    vielleicht ist es auch unmöglich, das zu beschreiben.
    technische Daten ließen sich schon erstellen - wäre das aussagekräftig?


    vielleicht hängt es zusammen mit:


    der Verkettung von Wiener Musikuniversität und WP, wodurch die Ausbildung eisern im SInne "unserer Sache" geregelt wird.
    Wenn man einen umfassenderen Unterricht haben will, muß man raus aus Wien...
    Meine Schwester - Bratschistin derzeit in Linz - hat diesen Schritt gemacht und ist zu einem russischen Lehrer gegangen. Man könnte ja meinen, daß sie das zusätzlich qualifiziert - im Gegenteil, man sieht in WIen einen Makel darin, da sie eine andere Technik gelernt hat und nicht der Tradition folgt...


    diese Unterschiede sind in Fingersätzen, Hand- und Bogenhaltungen meßbar.


    Ich hätte selbst nicht gedacht, daß es diese Unterscheidungen in "nationale Schulen" heute noch gibt...


    Ein weiterer Punkt kann in der Eigenart der Philh. sein, Kontakte zur Unterhaltungsmusik zu pflegen.
    schwer zu beschreiben
    bis vor wenigen Jahren - Stichwort Kurorchester - gab es die Tradition der Kurmusik, die an einen Musiker gewaltige Anforderungen stellte, aber gleichzeitig die ideale Berufsvorbereitung war (täglich 3 Konzerte...).
    Berichten zufolge (weiß ich nur aus Erzählungen) waren die meisten Philh. früher regelmäßig in solchen Orchestern - wenn man bedenkt, daß auch Wagner und R. Strauß Arrangements gespielt wurden, wurde dort höchstes Niveau verlangt.
    Nicht nur die Philharmonia Schrammeln oder im einfachsten Fall der Erfolg des Neujahrskonzerts beweisen, daß es hier eine (traditionelle) Musizierhaltung gibt, die (nur?) hier existiert.


    Dann natürlich die Eigendynamik innerhalb des Orchesters, die alles "artfremde" eliminiert...
    Wahrscheinlich auch das gesteigerte Selbstbewußtsein, das weltbeste Orchester zu sein trägt dazu bei...


    Zufrieden?


    lg,
    Wolfgang

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Zitat

    Wahrscheinlich auch das gesteigerte Selbstbewußtsein, das weltbeste Orchester zu sein trägt dazu bei...


    Führen sie diesen Titel jetzt offiziell ? Auf der Homepage habe ich Ihn noch nicht entdecken können! ;):D :stumm:


    Gruß
    Anti

  • Zitat

    Führen sie diesen Titel jetzt offiziell ? Auf der Homepage habe ich Ihn noch nicht entdecken können! :D


    Natürlich nicht.


    In Wien würde man allerdings in Musikerkreisen sagen:


    "Das weiß doch eh ein jeder " :P :stumm: :D :hello:




    Beste Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Ich persönlich liebe dieses Orchester abgöttisch, um nicht zu sagen, es ist meine „große“ Liebe. Andere große Orchester zu hören ist schließlich nicht verboten. Nur: wie soll man den Klang dieses Orchesters physikalisch messen? Vielleicht indem man die Gehirnströme, Puls- und Herzschlag des Publikums einzeln während eines Konzertes misst? Dauer EEG, BelastungsEKG? Holter?
    :rolleyes:

  • Zu der Thematik, ob die Wiener Philharmoniker einen eigenen „goldenen“ Klang haben, habe ich keine abschließende Meinung, obwohl ich dazu tendiere, dass es einen ‚individuellen’ Orchesterklang gibt.


    Trotzdem fällt es mir als Laien zugegebenermaßen meist schwer einen „Eigenklang“ auszumachen.


    Nachfolgend habe ich versucht ein Pro und Contra zu erstellen:


    Pro: Die Wiener haben einen spezifischen Eigenklang:
    1.
    Auch wenn die Wiener Philharmoniker „Hauptdirigenten“ und Gastdirigenten haben, ist ihre Eigenständigkeit doch größer als bei anderen Spitzenorchestern, somit haben diese auch einen „Eigenklang“.
    2.
    Die Konzertmeister, Solomusiker etc. sind entscheidend bei der Auswahl neuer Musiker bei Vakanzen. Sie suchen diese gemäß „ihrer Ohren“ aus. Da die Konzertmeister, Solomusiker etc. besonders lang dem Orchester verbunden sind, wird die Auswahl immer im Hinblick auf Klangtradition ausgeführt.
    3.
    Vakanzen treten seltener auf; hierdurch ist die Fortsetzung der Tradition gewährleistet.
    4.
    Die Wiener Philharmoniker bevorzugen in einigen Musikergruppen bestimmte Instrumente. Die Bespielung von F-Hörnern, statt sonst üblichen B-Hörner kann sofort herausgehört werden, da diese in der Musikliteratur der Klassik und Romantik so prägnant sind.
    5.
    Darüber hinaus sind die ‚Wiener Oboen’ und ‚Wiener Pauken’ derart hervorstechend, dass diese zum spezifischen Wiener Klang beitragen.
    6.
    Gegebenfalls sind große Teile des besonderen Instrumenteninventars Eigentum des „Vereins“ und nicht der Musiker. Das heißt, diese werden immer weiter gegeben. So sind m. E. 5 Stradivari-Violinen im Gebrauch (Leihgabe) der Wiener Philharmoniker („Hämmerle“, „Smith-Quersin“, „Viotti-Stradivarius/Rose“, „Chaconne“, „Halphen Violíne“). Wenn man einen typischen Stradivari-Klang unterstellt, müsste sich hieraus auch ein bestimmter Violinen-Klang bei den Wiener Philharmonikern ergeben (?).
    7.
    Eventuell ist die Basis der Wiener Philharmoniker, das klassische und romantische Werk arg – hier im guten Sinn – konservativ, so dass hieraus eine besondere Klangtradition erwachsen ist und weiter gepflegt wird.
    8.
    Selbst die Dirigenten der Wiener Philharmoniker haben nur begrenzten Einfluss auf den Klang und somit auf die Interpretation. Gegen abweichende Klangvorstellungen des Dirigenten wird Widerstand geleistet (z. B. Bernstein – Mahler etc.). Interpretation und Klang sind weitestgehend unabhängig voneinander.


    Contra: Die Wiener haben einen spezifischen Eigenklang:
    1.
    Der sogenannte „goldene“ Wiener-Philharmoniker-Klang ist reine Fiktion und wird auch durch die Begeisterung/Bewunderung der jeweiligen Dirigenten ob ihrer Perfektion und Spielkultur manifestiert, d. h. insbesondere die Dirigenten sind selbst verantwortlich für diesen Irrglauben.
    2.
    Musiker kommen heutzutage von überall her und werden international ausgebildet, von einem spezifischen Klang kann demnach keine Rede mehr sein.
    3.
    Aufgrund der großen Verbreitung von Schallplatten und CDs und deren Zugänglichkeit und Vergleichbarkeit hat dieses zu einem vereinheitlichten internationalen Stil geführt, der einen spezifischen Klang nicht mehr identifizierbar macht („Globalisierung der Hörgewohnheiten“).
    4.
    Die Einflussnahme des Dirigenten auf die Interpretation ist weit höher anzusiedeln, als dass von einem individuellen Orchesterklang gesprochen werden kann.
    5.
    Die meisten Hörer kennen die Wiener Philharmoniker lediglich von Schallplatten und CDs. Vielleicht ist der Einfluss der Tontechniker wesentlich größer als angenommen und übersteigt den individuellen Klang einer Streichergruppe in ihrem originären Spiel. Der Klang ist nicht vorhanden, sondern wird beim „Mischen“ oder beim „Schnitt“ von den Verantwortlichen künstlich erzeugt (?).
    6.
    Man kann die hohe Spielkultur bzw. die Könnerschaft der Wiener Philharmoniker nicht abstreiten; so dass das ‚wissentliche’ Hören dieses Orchesters (und anderer) gegebenenfalls zur Selbstsuggestion des Hörers führt...“Perfekt = besonderer, eigener Klang“ (?).
    7.
    Versuch: Ein Dirigent dirigiert parallel-abwechselnd (taktgruppenweise) zwei Spitzenorchester am gleichen Ort zur gleichen Zeit gemäß seiner Anweisungen. Ein Unterschied lässt sich nicht ausmachen (?).
    8.
    Von Seiten des Orchesters gibt es ‚geheime Spielanleitungen’, welche selbst dem jeweiligen Dirigenten nicht bekannt gegeben werden;...dieser würde diese Erfahrungen ansonsten selbstverständlich bei anderen Orchestern umsetzen (??).
    9.
    Es gibt zwar einen eigenen Wiener-Philharmoniker-Klang, dieser ist aber nur von absoluten „Hör-Experten“ auszumachen. Der Rest will diesen dann ebenfalls identifiziert haben, sonst würden sich diese „Normalhörer“ als „unwissend outen“ (Des-Kaisers-neue-Kleider-Phänomen).


    Bis dann.

    2 Mal editiert, zuletzt von keith63 ()

  • Zitat

    Original von keith63
    Zu der Thematik, ob die Wiener Philharmoniker einen eigenen „goldenen“ Klang haben, habe ich keine abschließende Meinung, obwohl ich dazu tendiere, dass es einen ‚individuellen’ Orchesterklang gibt.


    @Alfred, ich beneide dich wahrlich nicht um den Start dieses Threads, mir fällt dabei nur die Bemerkung einer Bekannten aus London ein, die zu Wien sagte: „Aha, das musikalische Zentrum der Welt“, was ich aus London nie im Leben vermutet hätte, da London immerhin wirtschaftlich gesehen lange Zeit das Zentrum dieser Welt war, aber anscheinend nicht im Bereich der klassischen Musik. Dazu gehören wohl auch die Philharmoniker, die ein Erbe weiterführen, um das ich sie auch nicht beneide.


    LG Micha

  • Hallo Alfred,



    dafür, dass es tatsächlich einen besonderen Klang der WP gibt, spricht - neben den "Wiener Hörnern" - dass die Mitglieder der WP im Rahmen des Staatsopernorchester tätig werden. Es gibt glaube ich sonst keine bedeutendes Orchester, das derart regelmäßig als "Opernorchester" wirkt.


    Weiters dürfte das Fehlen eines Chefdirigenten auch eine Auswirkung haben. Chefdirigenten erziehen Orchester ja auch zu einem bestimmten Klang. Die BP würden wahrscheinlich anders klingen, wenn sie statt Rattle Chailly, Thielemann oder Welser-Möst als Chefdirigenten gehabt hätten.


    Ich tendiere eher zu glauben, dass es sich bei dem besonderen Klang um eine gut gepflegte Legende handelt - gepflegt von den Wiener Musikkritikern und den Abonnenten. Wie vermutlich der Großteil der Österreicher habe ich die WP noch nie live gehört - abgesehen von der Staatsoper als Staatsopernorchester. Durch das Abonnementsystem sind ja fast alle Konzerte im Prinzip geschlossene Veranstaltungen (anders als zB bei den NYP oder LPO, für welche man Konzertkarten eher leicht bekommt).


    Ein Vergleich der Orchester nur via CDs sagt wohl nicht so viel aus, da hier doch viel von der Aufnahmetechnik und der Akustik abhängt.


    Liebe Grüße,
    Christoph


    :hello:

    "Das Leben ohne Musik ist einfach ein Irrtum" - Nietzsche

  • Lieber Alfred,


    als Neu-Berliner (seit nunmehr 13 Jahren) umweht mich schon etwas Lokalpatriotismus und ich fühle mich ob Ihrer Frage durchaus angesprochen. In dieser Spielzeit hatte ich in der Berliner Philharmonie mehrfach das Vergnügen mit mit den BP, aber auch einmal mit den WP (Bruckners 8. unter Thielemann). Eigentlich finde ich das gegenseitige Frotzeln zwischen Wien und Berlin ganz witzig. (Hat nicht erst Sir Simon die WP als von gestern angefrotzelt?) Ich schätze den besselten und einzigartigen Klang der WP sehr. In meiner bescheidenen CD-Sammlung ist viel aus Wien dabei und ich kann den typischen Klang der WP nur bestätigen. Genau diese Charakteristik (die Seele) habe ich anfangs bei den BP vermisst. Dabei erkenne und liebe ich mittlerweile den Charakter der BP sehr. Bei den BP ist es in der Tat essentiell wer am Pult steht. Das kann wahrhaft berauschend sein wie letztens Brahms 3. unter Abbado oder Mahlers 1. unter Janssons oder Brahms 1. unter Thielemann, etc. oder zum Weglaufen wie Brahms 2. (schon wieder Brahms..) unter Haitink.
    Aber kurz zurück zu den WP: deren Auftritt in Berlin (20.3.07) war schon denkwürdig. Einen derartigen Eingangssapplaus habe ich noch nicht erlebt. Scheinbar lieben wir Berliner Euch Wiener... Doch nach einem grandiosen 1. Satz, hat der Berliner Thielemann das Scherzo (ausgerechntet das Scherzo) derart vermasselt, dass die Freude nicht ungetrübt war. Spieltechnisch wars dennoch perfekt. Auch wenns langweilig ist, hier mein Vorschlag zur Güte: Die weltbesten Orchester sind die Wiener und die Berliner Philharmoniker. Lasst uns mal gemeinsam gegen die Amis (NYP, BSO, CSO...) sticheln!


    Beste Grüße, Roman:pfeif:

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  • Hi!


    Zitat


    Original von RomanTiker


    Die weltbesten Orchester sind die Wiener und die Berliner Philharmoniker. Lasst uns mal gemeinsam gegen die Amis (NYP, BSO, CSO...) sticheln!


    Dem kann ich leider nicht zustimmen :no:


    Zweifellos sind die BP und die WP sehr gut, aber die amerikanischen spitzenorchester müssen sich IMO nicht im geringsten vor ihnen verstecken. :yes:


    Vor allem bei mahler ziehe ich amerikanische orchester vor :lips:


    LG florian


    :hello:


    P.S.: Aber nix gegen die philis :D

    Gustav Mahler: "Das Wichtigste in der Musik steht nicht in den Noten."

  • Zitat

    Original von RomanTiker
    Lasst uns mal gemeinsam gegen die Amis (NYP, BSO, CSO...) sticheln!


    Hallo Roman,


    hätte ich nicht schon mal so etwas in der Richtung im Zusammenhang mit den Schumann-Symphonien geschrieben...


    :D
    Stefan


    PS: Natürlich gibt es auch auf dem Kontinent noch etliche andere Spitzenorchester, z.B. im Concertgebouw :beatnik:

    Viva la libertà!



  • Hallo Florian,


    wie schon eingangs geschrieben finde ich diese Diskussion eher witzig und sie ist m. E. von Alfred wohl kaum mit vollem Ernst gestartet worden. Ich habe nun schon einige der großen Orchester live gehört und würde nicht ernstlich behaupten, dass es da eine Rangfolge geben sollte. Lustigerweise wird dennoch jedes Jahr eine Rangfolge von Journalisten erstellt, die dann wieder von anderen Journalisten schmollend niedergeschrieben wird. Letztens wurden ja die WP vor dem CGO und dann mit Abstand die BP als bestes europäisches Orchester gekürt. Die Reaktionen in den Berliner Presse waren entsprechend.


    X( :angry: :kotz:


    Aber warum schreibe ich hier trotzdem dazu? Weil das Sticheln die Stimmung hebt.


    Cheers, Roman

  • Hi , RomanTiker!


    Wenn du das so siehst, dann stimme ich dir natürlich zu ;)


    Eine Reihung ist eigentlich auch gar nicht sinnvoll. :yes:


    LG florian


    :hello:

    Gustav Mahler: "Das Wichtigste in der Musik steht nicht in den Noten."

  • Ich persönlich würde auch keine Rangordnung aufstellen.


    Die WP haben vielleicht einen leicht slawischen Orchesterton, der Nähe zum Osten wegen wohl. Ich bin auch nicht wenig erstaunt, wie toll die Budapester Philharmoniker spielen, noch dazu in einem irre schönen Haus.
    Die Amsterdamer unter Haitink find ich natürlich auch traumhaft gut. Mir fällt es schlicht schwer da Beste zu küren, da es viele sehr gute gibt. Die Philharmonie der Mailänder Scala etwa hatte in Frankfurt einen atemberaubenden Erfolg, obwohl sie keine so lange Tradition hat, und die Berliner sind natürlich weltweit sehr geschätzt.


    LG Michael

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