Operninszenierungen - modern vs. "altmodisch"


  • Balsam für die geschundene Seele.... :stumm: :untertauch: :D

  • Zitat

    Original von Joschi Krakhofer
    Balsam für die geschundene Seele.... :stumm: :untertauch: :D


    Die Inszenierung oder der Artikel? :D


    Der Autor versucht ja ein Phänomen herauszuarbeiten, das wir hier auch schon besprochen haben: Was heute den "Staubis" als wunderbar originalgetreue Inszenierung erscheint, war 1957 den Rezensenten zu wenig weihevoll und spiegelt bei genauem Hinsehen aus heutiger Sicht eher das Wagner- und Weltbild der 50er Jahre wider als irgendwelche Intentionen des Komponisten.



    Viele Grüße


    Bernd


  • Ich kann nur über den Artikel urteilen, die Inszenierung kenne ich aus geographischen Gründen nicht... :pfeif:

  • Zitat

    Original von Joschi Krakhofer


    Ich kann nur über den Artikel urteilen, die Inszenierung kenne ich aus geographischen Gründen nicht... :pfeif:


    Solchen intelligenten Opernhäuseren kann ich mich nur mit Beifall anschließen, :jubel: :jubel:


    man braucht nicht alle zwei Jahre eine "falsche" Neuinszenierung.


    Liebe Grüße Peter aus Wien. :hello: :hello:

  • Lieber Bernd,
    da fällt mir doch der Wiener "Parsifal" ein. Seinerzeit besorgte Everding eine absolut grauenhafte Inszenierung mit edel schreitenden Recken, Zypressenhainen und einem Plüsch-Puff als Blumengarten. Die harmlose Inszenierung wurde als Entstellung eines Meisterwerks niedergebuht. Es war an der Grenze zum Skandal. Und einer, der damals am heftigsten buhte, buhte bei der brillanten Neuinszenierung durch die Mielitz wieder und sagte allen Ernstes, er hätte so gerne den wunderbaren Everding zurück. Wie sich doch Staubis ändern - manchmal hat man den Eindruck, die Inzenierung selbst ist ihnen wurscht, Hauptsache, sie ist verstaubt genug (-> Kosename... :D)
    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Lieber Bernd,
    da fällt mir doch der Wiener "Parsifal" ein. Seinerzeit besorgte Everding eine absolut grauenhafte Inszenierung mit edel schreitenden Recken, Zypressenhainen und einem Plüsch-Puff als Blumengarten. Die harmlose Inszenierung wurde als Entstellung eines Meisterwerks niedergebuht. Es war an der Grenze zum Skandal. Und einer, der damals am heftigsten buhte, buhte bei der brillanten Neuinszenierung durch die Mielitz wieder und sagte allen Ernstes, er hätte so gerne den wunderbaren Everding zurück. Wie sich doch Staubis ändern - manchmal hat man den Eindruck, die Inzenierung selbst ist ihnen wurscht, Hauptsache, sie ist verstaubt genug (-> Kosename... :D)
    :hello:


    Lieber Edwin,
    diesem seltsamen Phänmen bin ich schon einige Male begegnet, dass plötzlich eine Inszenierung in nostalgischer Verklärung betrachtet wird, die bei der PR seinerzeit gnadenlos niedergemacht worden ist, und zwar von ein und demselben Menschen. Merke: Alles, was alt ist, ist gut! Aber das weiß man man nach zwei Jahren an Bord der HMS Tamino sowieso :wacky:
    lg Severina :hello:

  • Abendzeitung München vom 26.05.2009, Seite 15
    Schöner stirbt keine Mimì
    Anna Netrebko und Joseph Calleja in Puccinis "La Bohème" im Nationaltheater Wenn Otto Schenks unverwüstliche Inszenierung von 1969 auf dem Spielplan steht, leben alte Opernzeiten auf. Das Hirn muss keine schwer verständlichen Zeichen entschlüsseln. Gefühle beherrschen die Szene, und die Stimmen von Anna Netrebko und Joseph Calleja sorgten für jenes erregend-sinnliche Kribbeln, das einen im Nationaltheater wegen der schieren Größe des Raums nur selten erfasst.


    Wie wahr! Wie wahr! Eine Rezension ganz gegen den Trend! Hut ab!

  • Zitat

    Original von Knusperhexe
    Das Hirn muss keine schwer verständlichen Zeichen entschlüsseln.


    Dann wird es sich wahrscheinlich fragen: "Wozu bin ich überhaupt mit in die Oper gegangen?" ?(

  • Zitat

    Original von Zwischenrufer2


    Dann wird es sich wahrscheinlich fragen: "Wozu bin ich überhaupt mit in die Oper gegangen?" ?(


    Um das Genußzentrum einzuschalten.

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  • Zitat

    Original von Knusperhexe
    Abendzeitung München vom 26.05.2009, Seite 15
    Schöner stirbt keine Mimì
    Anna Netrebko und Joseph Calleja in Puccinis "La Bohème" im Nationaltheater Wenn Otto Schenks unverwüstliche Inszenierung von 1969 auf dem Spielplan steht, leben alte Opernzeiten auf. Das Hirn muss keine schwer verständlichen Zeichen entschlüsseln. Gefühle beherrschen die Szene, und die Stimmen von Anna Netrebko und Joseph Calleja sorgten für jenes erregend-sinnliche Kribbeln, das einen im Nationaltheater wegen der schieren Größe des Raums nur selten erfasst.
    Wie wahr! Wie wahr! Eine Rezension ganz gegen den Trend! Hut ab!


    So etwas ist ganz genau dieser geistlose, komerzielle Mainstream-Staub, der der Oper letzten Endes den Gar ausmachen wird. Netrebko, Calleja und Schenk, da bleibt einem echt die Spucke weg. Puccini hätte sich wahrscheinlich im Grabe umgedreht.

  • Also, da vertun Sie sich aber. Das Haus war voll, die Begeisterung groß. Mainstream-Staub? Was soll das sein? Ich sehe landauf und -ab nur Mainstream political correctness- und Mainstream-Skandalkostruktionsinszenierungen, die die Besucher aus den Häusern treiben. Wiederaufnahmen, wie die von Schenk, ziehen nun mal in ihrer Werktreue Besucher und Opernliebhaber an. Ob Ihnen das passt oder nicht, es ist nun mal Fakt. Und ob Puccini sich umdreht, das wage ich zu bezweifeln...

  • Ich wünsche mir, dass es im Tamino Klassikforum möglich ist, auch zu diesem Thema respektvoll zu formulieren, so dass denjenigen, die Oper in der Jugenzeit "so kennengelernt" haben und es von Herzen gern immer wieder so sehen wollen der gleiche Respekt entgegengebracht wird wie denjenigen, die es gern haben, wenn sich Kunst immer wieder spannend verändert, wenn das Publikum zum Nachdenken angeregt und vielfach auch provoziert wird. Ich glaube beides hat seinen Platz. Man kann das eine ablehnen, aber ich wünsche mir, man formuliert es so, dass der $Respekt dem anderen gegenüber gewahrt bleibt.
    Den Otto Schenk Gegnern empfehle ich übrigens das Kapitel über ihn aus Heinz Mareceks Buch "So ein Theater".

    Freundlicher Gruß
    Alexander

  • Schenk hat mit Werktreue nichts zu tun. Da passiert regietechnisch auf der Bühne überhaupt nichts, was jenseits der glanzvollen Oberfläche ist, die man Leuten wie Netrebko zumuten kann. Das Drama ist bei Schenk, Zeffirelli & Co. tot, deshalb wird der ganze Pomp auf die Bühne gebracht, um die gähnende Leere im Konzept zu kaschieren.


    Klar, daß bei dem anspruchslosen Zeug die Häuser voll sind. Gibt man der Vorliebe der Besucher für Schenk & Co. nach, gibt es bald nur noch La Traviata, Bohème und Aida für ein gut zahlendes Publikum, denn die Pomp-Inszenierungen treiben die Preise der Ausstattung mächtig in die Höhe.


    Ich liebe Leute wie Schenk, die sich immer auf die Werktreue und den Willen des Komponisten berufen, gerade so als hätten sie einen direkten Draht zu toten Maestri. Werktreue heißt nicht, immer alles so wie in der Uraufführung zu spielen - Werktreue heißt, das Werk immer neu zu interpretieren. Sonst ginge nach der 5000sten, überall auf der Welt immer gleich aussehenden Tosca niemand, aber auch niemand mehr hin.


    Das würde ich dann Staub nennen. Oder Mumifizierung. Schenk und Zeffirelli sind Meister der Mumifizierung. Das schadet der Oper mehr als alles andere, weil es sie endgültig museal macht.

  • Zitat

    Original von Alexander_Kinsky
    die es gern haben, wenn sich Kunst immer wieder spannend verändert, wenn das Publikum zum Nachdenken angeregt und vielfach auch provoziert wird.


    Ich finde die sogenannten "verstaubten" Inszenierungen spannend. Und sie sind es auch, die mich zum Nachdenken anregen, weil ich mir da meine eigene Meinung bilden kann und nicht manipuliert werde.


    Es ist schlichtweg falsch, das Regietheater als intellektuelle Schaubude und das traditionelle Theater als Komödienstadel hinzustellen.

  • Zitat

    Original von Mengelberg
    Werktreue heißt nicht, immer alles so wie in der Uraufführung zu spielen - Werktreue heißt, das Werk immer neu zu interpretieren.


    Lieber Mengelberg,


    Ist für Dich Werktreue gleich das Publikum coûte que coûte schockieren? Auf die eine oder andere Weise?
    Wenn nein, wo endet für Dich den "Wunsch" des Komponisten/Librettisten. Und beginnt eine "akzeptabele" Inszenierung?


    Um ein Beispiel zu geben: Mußte Florestan dann in einem KZ in Serbien gefangen sein.
    Ich denke zurück an das LdL in Berlin. Wo die verstorbenen Diktatoren (mögen sie brennen in der Hölle) herbeigeholt wurden: AH, Stalin, Mao, usw.
    Noch immer finde ich, daß damit die guten Sitten weit verlassen wurden. Und wenn 99 Menschen die Ausführung gut finden, dann noch sage ich "Geschmacklos".


    Ich denke, daß zwischen bewußt Provozieren und Wiederkauen eine große Bandbreite liegt.


    LG, Paul

  • Außerdem, diese verstaubten Inszenierungen bieten, wenn es Proben gegeben hat, auch den Raum für eigene Ideen und Rollengestaltung. Und zumindest sind die Sänger/innen so auch gesanglich gefordert. Während in einer modischen Inszenierung das Schummeln wesentlich leichter geht.

    Il mare, il mare! Quale in rimirarlo
    Di glorie e di sublimi rapimenti
    Mi si affaccian ricordi! Il mare, il mare!
    Percè in suo grembo non trovai la tomba?

  • Godwins Gesetz läßt mal wieder grüßen 8)

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Inszenierungen gehen mit der Zeit - in jedem Sinn !


    Manche gottseidank, manche leider - aber so ist`s und bleibt``s.


    Aber trotzdem liebe ich diese lieben, guten (!) alten Inszenierungen,
    denn z.B. die Tosca in der STOP kann Geschichten erzählen, von der Sängerin, bei der einem der Mund offen bleibt, wie sie Scarpia absticht oder von jener Primadonna, die im 3. Akt den Weg zum Absprung wegen kurzsichtigkeit nicht fand und von den Schergen fast hinaufgestossen wurde. Bei der nächsten Vorstellung faynden sich am Bühnenboden riesige Kreidepfeile, die den richtigen Weg angeben. Ich glaube, die gibt es immer noch.


    Es ist früher manchmal vorgekommen, dass einspringenden Sängern die Inszenierung bei der Fahrt vom Flughafen in die Oper erklärt wurde, und die Vorstellung wegen Flugverspätung etwas später begann.
    Aber da sieht man die Persönlichkeit und muß nicht sechs Wochen probieren, um das Werk nach 6 Vorstellungen abzusetzen und zwei Jahre später es wieder neu zu machen. :kotz:


    Einen guten Scarpia z.B. R.Raimondi kann man in jede Tosca-Inszenierung schmeissen und er wird sich immer behaupten. Mit oder ohne Regiekonzept !


    So, liebe Freunde, jetzt haben für heute genug Dampf abgelassen und bin - bis auf weiteres


    Euer Operngernhörer :hello:

  • Inszenierungen gehen mit der Zeit - in jedem Sinn !


    Manche gottseidank, manche leider - aber so ist`s und bleibt``s.


    Aber trotzdem liebe ich diese lieben, guten (!) alten Inszenierungen,
    denn z.B. die Tosca in der STOP kann Geschichten erzählen, von der Sängerin, bei der einem der Mund offen bleibt, wie sie Scarpia absticht oder von jener Primadonna, die im 3. Akt den Weg zum Absprung wegen kurzsichtigkeit nicht fand und von den Schergen fast hinaufgestossen wurde. Bei der nächsten Vorstellung faynden sich am Bühnenboden riesige Kreidepfeile, die den richtigen Weg angeben. Ich glaube, die gibt es immer noch.


    Es ist früher manchmal vorgekommen, dass einspringenden Sängern die Inszenierung bei der Fahrt vom Flughafen in die Oper erklärt wurde, und die Vorstellung wegen Flugverspätung etwas später begann.
    Aber da sieht man die Persönlichkeit und muß nicht sechs Wochen probieren, um das Werk nach 6 Vorstellungen abzusetzen und zwei Jahre später es wieder neu zu machen. :kotz:


    Einen guten Scarpia z.B. R.Raimondi kann man in jede Tosca-Inszenierung schmeissen und er wird sich immer behaupten. Mit oder ohne Regiekonzept !


    Die Wiener Staatsoper hat viele gute und auch einige weniger gute Inszenierung im Programm. Damit lebt und blüht sie und niemand kann ihr den garaus machen ! :angry:


    So, liebe Freunde, jetzt haben für heute genug Dampf abgelassen und bin - bis auf weiteres


    Euer Operngernhörer :hello:

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  • Zitat

    Original von musicophil

    ...
    Ich denke, daß zwischen bewußt Provozieren und Wiederkauen eine große Bandbreite liegt.


    LG, Paul


    Hauptsache gut - ist mein "bescheidenes Kriterium", das ich anlege beim Erleben von Operninszenierungen.
    Mir kommt es darauf an, dass die im Libretto und in der Musik vorhandenen Interaktionen der Personen der Handlugn sichtbar werden.
    Ich hasse es, wenn irgendein Star oder anderer Sänger- egal wie die sonstige Inszenierung aussieht - sich an die Rampe stellt und vor sich hinsingt, wenn er die Person, die er darstellt nicht begriffen hat, sondern mir nur zeigen will, wie toll er oder sie den einen oder den anderen Ton trifft, ist mir das zu wenig.
    Wenn ein Regisseur in der Lage ist, das Libretto zu lesen, aber die Musik nicht dazu zu begreifen, hat er im Musiktheater nichts verloren.
    Ich möchte dies jetzt mit ein paar Beispielen erläutern.


    Es ist über 25 Jahre her, da inszenierte John Dew den Ring in Krefeld. Ich sah nur die Aufführung des "Siegfrieds". 1. Akt, 1. Szene
    Mime spülte das Geschirr, Siegfried trocknete ab. OK, Mime hatte Siegfried ja gerade sein Essen bereitet - das war ja noch logisch. Wütend wurde ich allerdings, als bei den Worten Mimes "Ans Leben gehst du mir schier!" immer noch nichts an Interaktionen zwischen den beiden passiert war außer dem Spülen und Abtrocknen. Wenn Siegfried das Handtuch genommen hätte und Mime damit gewürgt hätte, dann hätte ich damit leben können, aber so wurde nur deutlich, dass der Regisseur allenfalls die Kurzzusammenfassung im Opernführer gelesen zu haben schien. Die Übertragung in ein heutigeres Ambiente, um Menschen einen Zugang zum Werk zu schaffen, darüber kann man mit mir reden, nur darf dies nicht bloßer Selbstzweck sein.
    Und wenn man dann das Symbol der Friedensbewegung, die Taube, an einer langen Angel als Waldvöglein auftreten lässt, geht das auch nach hinten los.


    Etwas weniger als 20 Jahre dürfte es her sein, als ein junges Opernensemble in Zusammenarbeit mit den Dusiburger Sinfonikern die Boheme (in einer für ein jugendlicheres Publikum gekürzten Version) in der damals noch nicht renovierten Gebläsehalle im Landschaftspark Duisburg-Nord aufführte. Da es keine Bühne gab und keinen Zuschauerraum, bewegten sich die Sänger im Publikum, das den Akteuren Raum gab, in dem sich die Handlung abspielte. Das fand ich sehr spannend.
    Ein Jahr später versuchte man sich an Tosca. Es gab mit der umgebauten Gießhalle von Hochofen 1 nun schon eine Bühne mit einem als Orchestergraben nutzbaren Raum und eine Tribüne für mehrer Hundert Zuschauer.
    Was habe ich da für einen wunderschönen Krach mit dem Regisseur gehabt! :D
    Wegen diverser Proteste kam es zu einem Gespräch zwischen dem Regisseur, den Sängern der Tosca und des Cavaradossis und interessierten Bürgern. Man hatte, um Jugendlichen das Stück nahezubringen, Angelotti mit Frau und Kind ausgestattet, und als Zwischenspiel zwischen den 1. und 2. Akt einige Folterszenen an diesen Personen eingebaut.
    Nun empfand ich die Qualität der Dialoge als eher Lieschen Müller mäßig. Klar, alle waren sehr bemüht, aber das war es dann auch schon.


    Dafür durfte Cavaradossi seine Arie im dritten Akt nur sprechen, um nicht die Erwartungen eines nur am Goutieren von Spitzentönen orientierten Publikum zu entsprechen.
    Ich bezweifelte damals an, dass diese Veränderungen irgendjemandem den Zugang zu Puccini erleichtern würde, und bekam insofern Recht, als man dann wieder die Boheme aufgriff.

    mit freundlichen Grüßen
    Martina
    Auf dem Rohre taugt die wonnige Weise mir nicht!

  • Zitat

    Original von Operngernhörer
    Bei der nächsten Vorstellung faynden sich am Bühnenboden riesige Kreidepfeile, die den richtigen Weg angeben. Ich glaube, die gibt es immer noch.


    Solche Geschichten finde ich klasse! Das gehört doch noch gleich in den Thread "The Fog - Pleiten, Pech und Pannen".


    Lieber Operngernehörer,


    ich sehe es genau wie Du: Alte Inszenierungen erzählen Geschichten, wecken Erinnerungen, unterstützen das "Wir"-Gefühl zwischen Publikum und Ensemble.


    :hello:
    Knuspi


  • Lieber Paul,


    ich bin ja mit Dir einer Meinung: natürlich heißt Provozieren nicht automatisch, daß etwas gut ist. Provozieren ja, wenn es witzig ist, Sinn macht und gut ist.
    Womit ich allerdings nicht viel anfangen kann, sind die Beispiele, die hier von vermeintlich "verrückten" Regietheatereinfällen gebracht werden. Man muß schon das gesamte Drama betrachten und nicht einzelne Beispiele herauspicken. Ich erinnere mich an eine Rezension, die ich einmal über eine "Fanciulla del West" las, wo sich ein Amerikaner lustig machte über Minnie, die Götterspeise in der Mikrowelle aufwärmte. Da dachte ich: so ein Unsinn. Unser Ex-Mitglied Alviano hatte allerdings der Aufführung beigewohnt - und fand die Inszenierung durchaus schlüssig.


    Etwas anderes: Viele glauben, daß traditionell daherkommende Inszenierungen eine größere Nähe an Werktreue mit sich bringen (der Begriff Werktreue ist schon sehr problematisch, aber das ist eine andere Diskussion). Das ist ein Trugschluß. Die Erfahrung zeigt, daß das breite Publikum den größten Quatsch kauft, wenn er nur hübsch genug verpackt ist - von der oft fehlenden Regie ganz zu schweigen.
    Zeffirelli behauptete, Tosca ersteche Scarpia, um der Versuchung zu entgehen, Cavaradossi zu betrügen - mit anderen Worten: Tosca liebt Scarpia und ersticht ihn deshalb. Maria Callas fand das zu dumm, weshalb Zeffirelli sie in einem Interview dann als "einfältig" charakterisierte. In Bussetto ließ Zeffirelli in Verdis "Aida" Radames Amneris abküssen - einmal direkt nach "Celeste Aida" und dann noch einmal im vierten Akt. Das alles war hübsch verpackt, und niemand hat den Unsinn bemerkt, der eigentlich dahinter steckte.


    Manchmal ist so einer wie Zeffirelli auf der Opernbühne ein größerer Rambo als Neuenfels oder Dew. Bloß merkt's kaum einer.


    :hello:
    M.

  • Ich glaube, dass viele Opernfreunde, die schon seit Jahrzehnten die gleichen Werke immer und immer wieder vorgesetzt bekommen - es hat einen Sinn, warum sich ein Kernrepertoire entwickelt hat.. - irgendwann einmal langweilen und wieder einen "Kick" brauchen. Diesen finden sie dann bei provokanten Produktionen. Soll sein.


    Auf der anderen Seite wird gejammert, dass das Opernpublikum überaltert ist (aber noch immer jung im Vergleich zum Abonnement-Publikum im Wiener Musikverein). Ich denke, dass es wichtig ist, wenn Opernanfänger die Chance haben, eine "klassische" Inszenierung zu sehen, um einmal in die Faszination der Oper reinzuriechen. Dass diese Art von Ästhetik ankommt merkt man, wenn man sich anschaut, wie Musicals inszeniert werden - oder beim Erfolg von "Lord of the Rings".


    Ich habe nach dem zweiten Durchlauf des Wiener "Rings" mit einem Herrn aus Deutschland gesprochen, der schon x-Produktionen davon gesehen hat und sehr negativ über die Inszenierung gesprochen hat - weil "Ich keine neuen Erkenntnisse daraus gewonnen habe". Auf mein Argument, dass dies m.E. nach ein toller Ring für Einsteiger ist, hat er dann nicht geantwortet und sich grummelnd verzogen...


    Ich würde es wirklich gerne sehen, wenn ein Opernhaus für ein Werk immer zwei Produktionen aktuell spielt - wäre es nicht spannend im Rahmen einer Serie z.B. 3 x die Wallmann-Tosca zu sehen und 3 x eine Neuinszenierung, die - unter Umständen - einen anderen Zugang zum Werk hat? Vielleicht sogar mit der selben Sängerbesetzung?? In diesem Fall hätten beide "Fraktionen" was davon - und jeder hat dann die Chance zu vergleichen!

    Hear Me Roar!

  • Lieber Dreamhunter !


    Den unerfüllbaren Wunsch, neben einer guten Standard-Inszenierung für einige Abende auch eine kontroversielle Sicht zu zeigen habe ich hier schon früher geäussert.


    Doch die heutigen Budgets lassen viele gute Ideen zerrinnen. Ich fürchte, es wird noch schlimmer.


    Wer kann im derzeitigen Lohengrin an der STOP eine neue Sicht oder irgendetwas positives erkennen ? Ich nicht.


    Ich bin aber sicher kein "Staubi-Fundamentalist", denn Qualität, Werktreue und Einfühlungsvermögen in die Musik sichern auch einem modernen Regisseur meine Sympathie.


    Eine Lanze muss ich noch für Otto Schenk brechen !
    Er ist sicher kein nur "Plüsch und Pomp" Regisseur - man erinnere sich an seine Jenufa, in der VOP Don Pasquale und IL Campiello, aber sicher kann er anders. Bitte keine Pauschalurteile !


    Liebe Grüße -


    Euer Operngernhörer :hello:

  • Wer kann im derzeitigen Lohengrin an der STOP eine neue Sicht oder irgendetwas positives erkennen ? Ich nicht.
    ------------
    Lieber Operngernhörer,


    ich auch nicht - das ist mit Abstand die schwachsinnigste Inszenierung, die wir am Haus haben. So lange diese gegeben wird, sieht man mich in keiner Lohengrin-Vorstellung an der STOP, aber angeblich soll es ja dann unter Meyer zu einer Neuinszenierung unter Thielemann kommen..
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    Eine Lanze muss ich noch für Otto Schenk brechen !
    Er ist sicher kein nur "Plüsch und Pomp" Regisseur - man erinnere sich an seine Jenufa, in der VOP Don Pasquale und IL Campiello, aber sicher kann er anders. Bitte keine Pauschalurteile !
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    Auch ich sehe gerne Schenk-Inszenierungen - sein Rosenkavalier und der Liebestrank gehören sicherlich zu den "Unverzichtbaren" an der STOP (obwohl - das gilt auch für die Traviata, die soll aber auch neu kommen, man die durchaus auffrischen könnte).


    Ein großer Vorteil an den klassischen Inszenierungen ist sicherlich der, dass man sich mehr der Musik und den Sängern widmen kann anstatt zu raten, was ein Regisseur so gemeint haben könnte. (und spätestens wenn man zum 15 x den Mielitz-Parsifal gesehen hat, wird das dann auch schon langweilig...).


    Aber wie Du mag ich auch gekonnte Neuinszenierungen - obwohl die Romeo & Juliette auch schon ein paar Jahre am Buckel hat, finde ich, dass durch das Licht-Design das ein wirklich gute Produktion ist!

    Hear Me Roar!

  • Ich finde, dass überhaupt auch zu berücksichtigen ist, um welches Opernhaus es sich handelt. Nicht jede Inszenierung (und ich blende hier einmal Notwendigkeiten wie Budget und Beschaffenheit der Bühne aus) ist für jedes Haus geeignet.


    Ein Opernhaus, wie die Wiener Staatsoper, zu dessen Aufgabe auch Repertoire-Pflege gehört und dass viele Operninszenierungen über Jahre spielen lässt, ist für Experimente oder Zeitgeist-Inszenierungen eher ungeeignet, da diese nun einmal rasch wieder aus der Mode und uninteressant sind. Vermutlich ist nicht einmal die Variante "neue, interessante Sicht" auf Dauer wirklich geeignet, da zum Kennenlernen von Opern (und auch anderen Werken) einfach eine gewisse Einhaltung der Originalfassung gehört.


    Bei einem Freilichtfestival ist die Variante Kammerspiel als Inszenierung sicher ebenfalls nicht geeignet. Mal ehrlich, vor einer Parkkulisse im "Freischütz" die Bäume abzudecken ist doch Verschwendung.


    Wenn in einer Stadt (bzw. in der unmittelbaren Nachbarschaft) mehrere Opernhäuser/Musiktheater sind und an allen ähnliche Werke gespielt werden, ist es dagegen eine gute Sache etwas Neues auszuprobieren und sich von den anderen Bühnen abzugrenzen.


    Und wenn eine Inszenierung ohnehin nur für eine Saison an einem Theater vorgesehen ist, dann spricht nichts dagegen, auch einmal etwas, vielleicht sogar ganz Verrücktes, auszuprobieren.


    Ein guter Spielplan ist ohnehin daran zu erkennen, dass er Vielfalt und Abwechslung bietet und verschiedenen Besuchergruppen anspricht.

    Il mare, il mare! Quale in rimirarlo
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    Mi si affaccian ricordi! Il mare, il mare!
    Percè in suo grembo non trovai la tomba?

  • Zitat

    Original von Waltrada
    Ich finde, dass überhaupt auch zu berücksichtigen ist, um welches Opernhaus es sich handelt. Nicht jede Inszenierung (und ich blende hier einmal Notwendigkeiten wie Budget und Beschaffenheit der Bühne aus) ist für jedes Haus geeignet.


    Drottningholm. :yes::jubel:

  • Hat gestern jemand den Rosenkavalier auf 3Sat geschaut?


    Wenn ja, dann bitte ich um Erklärungen: Was war das? Der Unterschied zwischen traditionellem Theater und Regietheater bestand hier doch nun wirklich nur in den von dem Libretto abweichenden Kostümen und dem Bühnenbild. Ansonsten hätte man das Ganze doch Eins zu Eins auch in historischem Ambiente spielen lassen können - und dann hätte es mir auch gefallen, zumal die sängerischen Leistungen grandios waren. Aber mit diesen geschmack- und fantasielosen Kostümen und dem kitschigen Bühnenbild konnte ich nichts anfangen. Ich verstehe das einfach nicht. Zumal wenn parallel der Film "Marie Antoinette" ausgestrahlt wird:-)

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