Operninszenierungen - modern vs. "altmodisch"

  • Lieber Farinelli,
    Deine Argumentation scheint mir etwas zu kurz zu greifen.
    Denn eine Frage lässt Du komplett ausser Acht: Für wen ist das Theater eigentlich gemacht.
    Doch wohl kaum für den Regisseur mit seinem "Genius", ebensowenig für den Kritiker, mit seinen jeweilig vom Haus bezahlten Plätzen.
    Einzig das zahlende Publikum bestimmt, was es sehen will.
    Dass die Regisseure, wie die Kritiker, eine Nische für die Alt-68er gefunden haben, ist kein Naturgesetz!
    Was, Bitte schön, heisst "heutiges Theater"? Schenk, Zeffirelli oder Bieito und Konwitschny?
    Wenn Du heutiges Theater sehen willst, dann geh ins KIno und betrachte, was die Mehrheit des Publikums sehen wil!
    Meinst Du wirklich beim Opernpublikum sei es anders? Das ist himmelweit von Brechts perversen Ideen und denen seiner Epigonen entfernt. Wenn er ein so schlechter Stückeschreiber, wie Theoretiker gewesen wäre, würde man ihn schon längst nicht mehr aufführen.
    Ich kenne in meinem, vielleicht nicht repraesantiven Bekanntenkreis eine einzige Person, die wegen der modernen Regie auf einem nicht bezahlten Opernstuhl Platz nimmt, der Rest nimmt es grollend in Kauf!
    Nun wird sich das Problem wahrscheinlich bald, wegen der fehlenden Subventionen ojhnehin und hoffentlich bald von selbst lösem und wir "Opernfreunde" müssen uns bald für eine akzeptable Regie, bzw .Auffführung ( Eurotrash) bald nicht mehr aus dem deutschsprachigen Raum entfernen!

  • Und auch wenn einige Zuschauer protestieren würden, hätten diese Protestes leider keine sofortige Wirkung. Wir wir alle wissen ist der Opernbetrieb sehr komplex, Und eine Rausnahme aus dem Spielplan in einer laufenden Spielzeit können sich nur große Opernhäuser wie die Wiener Staatsoper oder die Met leisten. Ich habe mir mal von einem Verantwortlichen der Rheinoper erklären lassen, wie Aufwendig so ein Vorgang ware. Und was macht man mit den Sängern die für diese Aufführungen gebucht sind. Und man muss dann auch an die Regisseure eine , ich kenne den Fachausdruck nicht genau aber ich meine es heisst Subentionalstrafe zahlen. Das alles würde einem Opernhaus viel mehr kosten, als wenn es weniger Zuschauer geben würde. Ein großes Problem sehe ich wie Farinelli schreibt, das eine Bühne keine Requisite braucht, das die Sänger nicht von sich aus agieren sondern nach den Vorstellungen des Regisseurs und praktisch fremdgesteuert werden. Sie bewegen sich nicht so und zeigen ihre Gefühle auf der Bühne wie sie es eigentlich wollen und deshalb wirkt eine Inszenierung ohne Requisiten immer etwas unglaubwürdig , es sei denn das die Sänger auch gute Darsteller sind.

  • Erstmal danke, lieber Farinelli für die sehr schönen Beiträge, die einmal wieder das gegenseitige Wundenlecken hier unterbrechen und wieder etwas Substanz anbringen.


    Für wen ist das Theater eigentlich gemacht...
    Einzig das zahlende Publikum bestimmt, was es sehen will.


    Und ich dachte immer Theater und Oper seien Kunst...na da habe ich mich wohl geirrt, Theater ist eine Ware (kein Wunder, dass Subventionen da unangebracht sind...


    Theater war schon im alten Griechenland Erziehungsmittel, die Tragödien sollten die Zuschauer (die meist auch noch kostenlos den Vorführungen beiwohnen durften) "Jammern und Schaudern" lassen, eine Art Katharsis, mehr als bloße Unterhaltung, Gleichnisse und Parabeln. Das ist die Ur-Form allen Theaters.
    Das es im Laufe der Geschichte auch mal reines Pläsir der Reichen und Mächtigen war, ist doch letztlich nur ein feudalistisches/absolutistisches Werkzeug zur Abgrenzung, Kunst ist letztlich aber keine Abgrenzung, sollte es zumindest nicht sein, weshalb Geld niemal über Kunst entscheiden sollte (was es aber heutzutage oft genug tut. Gut zu lesen in Rodolfos Kommentar über Absetzungen von Opern.)


    Aber ich vergas ja, dass Theater keine Kunst, sondern Kommerz ist und man sich seine Weltsicht kaufen kann...

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Zwischen eleos und phobos, bzw. Ekel und Langeweile ist ein himmelweiter Unterschied.
    Die Kunst wurde vom Komponisten, bzw. dem Librettisten geschaffen. Der selbsternannte Künstler Regisseur, der ev. Ein paar Semester Dramaturgie u.ä. studiert hat, wurde vom Intendanten auf das Publikum losgelssen.
    Sorry, lieber S.u.W., ich erspare mir die Frage, wie viele Inszenierungen des Regietheaters Sie schon gesehen haben, da ich von Ihren früheren Beiträgen weiss, dass Sie kaum in ein Operntheater gehen können.

  • Zitat SchallundWahn:

    Zitat

    Theater war schon im alten Griechenland Erziehungsmittel, die Tragödien sollten die Zuschauer (die meist auch noch kostenlos den Vorführungen beiwohnen durften) "Jammern und Schaudern" lassen, eine Art Katharsis, mehr als bloße Unterhaltung, Gleichnisse und Parabeln. Das ist die Ur-Form allen Theaters.


    Hallo, SchallundWahn!


    Abgesehen davon, daß die Zeiten des alten Griechenland wohl ein paar Jährchen vorbei sind, kann ich Deiner Meinung nichts abgewinnen. Ich habe mich hier im Forum schon mehrfach dazu geäußert. Ich wiederhole mich nur ungerne: Für mein sauer verdientes Geld möchte ich im Opernhaus Vorführungen erleben, die dem Libretto und den Wünschen des Komponisten entsprechen, und keine Sänger auf Klobrillen ( das wären dann auf der Bühne richtige "Donnerbalken") und Schlimmeres! Ich denke mal, dies ist für einen zahlenden und opernbegeisteten Menschen nicht zuviel verlangt. Für den anderen Sch..... kann sich interessieren, wer dies nötig hat. :cursing:





    Gruß Wolfgang

    W.S.

  • Aber ich vergas ja, dass Theater keine Kunst, sondern Kommerz ist und man sich seine Weltsicht kaufen kann...


    Tatsächlich ist diese Frage wohl kaum trivial zu entscheiden: Die Idee, dass die "hehre Kunst" für sich selber und insbesondere ohne die Berücksichtigung jedweder Ökonomie existieren muss, und also deshalb zwangsläufig der (staatlichen) Subvention bedarf, ist in diesem Umfang wohl eher eine Erscheinung unserer Zeit. Die angesichts leerer Haushaltskassen zunehmende Diskussion darüber, inwieweit sich auch Kunst und (Hoch-)Kultur an ganz profanen wirtschaftlichen Aspekten, wie z.B. Angebot und Nachfrage auszurichten haben, kann - sofern ideologiefrei geführt - durchaus hilfreich für alle sein. - Durchaus erhellend hierzu ist das aktuell erschienene Buch


    ,


    welches aufgrund der üblichen Beißreflexe leider eine eher weniger ideologiefreie Debatte ausgelöst hat ... :wacko:

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Zitat

    Zitat von SchallundWahn: Und ich dachte immer Theater und Oper seien Kunst...na da habe ich mich wohl geirrt,

    Liebe SchallundWahn,


    wenn du das Werk des Librettisten und Komponisten meinst, dann irrst du dich nicht. Wenn du aber die Machwerke vieler Regisseure, die nicht das Werk, sondern nur ihre irren Fantasien verwirklichen wollen und diese noch unter der Mogelpackung des echten Werkes verkaufen, dann hast du dich tatsächlich geirrt. Kunst ist für mich das Original, also das, was der Autor/die Autoren des Werks geschaffen haben, so war das auch im alten Griechenland und das Erziehungsmittel lag in der eigentlichen Tragödie oder Komödie. Ich glaube nicht, das diese damals so völlig entstellt wurden. Was die Regisseure aber hier veranstalten ist für mich genau dasselbe, wie wenn ein moderner Rowdy daher kommt und das Kunstwerk eines alten Künstlers verschmiert und es dann auch noch als Werk dieses Künstlers losschlagen will.
    Und wenn du von Ur-Form sprichst, stelle ich noch einmal die schon mehrfach gestellte Frage, die mir noch kein Regietheateranhänger bisher plausibel beantwortet hat: Warum darf das Werk nicht mehr in seiner Ur-Form und mit seiner Ur-Handlung aufgeführt werden? Ist unsere Generation - wir alle, du selbst eingeschlossen - zu dumm, das in seinem geschichtlichen Ambiente zu verstehen?


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Hallo Wolfgang,


    Ich wiederhole mich nur ungerne: Für mein sauer verdientes Geld möchte ich im Opernhaus Vorführungen erleben, die dem Libretto und den Wünschen des Komponisten entsprechen,

    ich kann Deinen Wunsch akzeptieren. - Jedoch einen Anspruch daraus abzuleiten, dass man ja mit seinem sauer verdienten Geld dafür bezahlt, ignoriert m.E. vollkommen die wirtschaftlichen Zusammenhänge. Vielmehr erinnert mich dieser vermeintliche Anspruch immer an den Privatpatienten, der ja auch aus seiner "Bezahlung" gerne ein quasi unumstößliches Anrecht auf ein Einzelzimmer und gesonderte Behandlung ableitet und dabei gänzlich außer Acht läßt, dass dieses Einzelzimmer integraler Bestandteil eines Krankenhauses ist, welches im Wesentlichen nur durch die Krankenkassenbeiträge des ganz normalen Kassenpatienten, mithin also durch die Solidargemeinschaft finanziert wird.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Sorry, lieber S.u.W., ich erspare mir die Frage, wie viele Inszenierungen des Regietheaters Sie schon gesehen haben, da ich von Ihren früheren Beiträgen weiss, dass Sie kaum in ein Operntheater gehen können.

    Ich muss nicht alle Inszenierungen dieser Welt gesehen haben um zu wissen, dass die Kunst frei (in D sogar Grundrecht) ist und in diesem Sinne auch frei rezipiert und interpretiert werden darf, völlig egal ob es ihnen oder mir gefällt. Und eine Inszenierung auf DVD ist keine andere als im Theater (höchstens musikalisch kann ein Unterschied bestehen).
    Abgesehen davon wird sich hier mehrheitlich über Inszenierungen aufgeregt, die die meisten nur von Bildern kennen und nie selbst besucht haben, wo ist da dann meine Verfehlung?



    ie Kunst wurde vom Komponisten, bzw. dem Librettisten geschaffen

    Musik, die es in der Oper ja auch noch gibt, bedarf immer Interpretation, sonst könnten wir uns ja alle am Lesen der Partituren ergötzen. Kunst ist (und sollte) lebendig sein, eine Erstarrung, die immer vorgefertigte Bilder reproduziert ist das genaue Gegenteil, das Leben verändert sich, die Zeiten und ebenso die Kunst (Romane von anno dazumal werden heute auch anders gelesen als heute, ebenso Gemälde) und da Theater bzw. Musiktheater von den aufführenden Menschen lebt (lebendig eben) spiegelt sie immer diese Menschen wieder und keine vorherigen Zeiten, Entwicklung und Veränderung kann auch etwas Positives sein...und wer weiß, vielleicht stimmt es ja, dass in ein paar Jahren die Inszenierungen wieder traditioneller aussehen, warum auch nicht, sage ich, so ist das eben und ich sehe nichts Schlimmes daran.



    Für mein sauer verdientes Geld möchte ich im Opernhaus Vorführungen erleben, die dem Libretto und den Wünschen des Komponisten entsprechen, und keine Sänger auf Klobrillen ( das wären dann auf der Bühne richtige "Donnerbalken") und Schlimmeres! Ich denke mal, dies ist für einen zahlenden und opernbegeisteten Menschen nicht zuviel verlangt.

    Das mit den Klobrillen nagt wohl an dir...
    Davon abgesehen, hat niemand (ich) hier behauptet, dass ich gerne Klobrillen auf der Bühne sehen will (ich finde auch nicht alles gut, was heute gemacht wird, ganz sicher nicht), aber ich bitte einfach um einen differenzierten Blick.
    Und das mit dem Geld...Kunst für die man bezahlt, damit sie genauso ist, wie man sie gerne hätte, die bestellt man und stellt sie sich zu Hause hin bzw. lässt sie sich daheim vorführen, aber Kunst für alle, hat keine Erwartungen zu erfüllen auch nicht, wenn man dafür bezahlt, das ist eben das Kreuz mit der Kunst, sie ist kein simples Tauschgeschäft.



    Warum darf das Werk nicht mehr in seiner Ur-Form und mit seiner Ur-Handlung aufgeführt werden?

    Lieber Gerhard,
    dazu sage ich erstmal : es DARF alles, das Werk darf so aufgeführt werden, warum auch nicht, wer bin ich denn, dass ich das verbiete, aber genauso DARF es auch interpretiert werden, ein Kunstwerk und dessen Verarbeitung KANN und DARF alles, aber es MUSS nichts (auch nicht für Geld).
    Mir geht es doch einfach darum, dass man endlich dieses Freund-Feind / Gut-Schlecht-Schema aufbricht und sich sozusagen leben lässt.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Auch wenn heute fälschlicherweise immer wieder der Eindruck entsteht: Nicht alles, was uns vorgaukelt, Kunst zu sein, ist auch tatsächlich Kunst.


    Früher war man da viel rabiater, was Kunst sei und was nicht. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde plötzlich jeder Humbug zur Kunst erklärt — was bekanntlich abstruse Blüten trieb, auf die ich an diese Stelle nicht näher eingehen will. Das ist wohl ein Nebeneffekt der sog. Toleranz gegenüber allem und jedem, egal, wie unsinnig es eigentlich ist. Jede Hinterfragung dieser "Kunst" wird heute im besten Falle mit der Unterstellung des Banausentums, im schlimmsten Falle mit der Unterstellung extrem(istisch)en Gedankenguts beantwortet.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Liebe Strano Sognator,


    ich liebe das Theater in all seinen Formen und Spielarten; nur eben empfinde ich die eine nicht als eine Limitation der anderen, sondern mag alle zugleich. Die "Würde" allerdings, die du ins Spiel bringst, empfinde ich als problematisch, da sie nur dazu dient, den ästhetischen Wert von dir mißfallenden Regiekonzepten herabzusetzen. Ebenso ist es mit der angeblichen "Entstellung" von Bühnenwerken, die lediglich in analytischer Weise dargestellt werden. - Jedermann weiß, daß die Struktur selten mit der Erscheinung zusammenfällt, daß aber das Theater über das Sinnfällige ebenso hinausgelangt ist wie die Malerei, die Dichtung oder selbst die visuellen Medien.

    Lieber Farinelli - meine Vorredner haben darauf eigentlich schon geantwortet, aber da du mich explizit ansprichst, möchte ich dir auch keine Antwort schuldig bleiben. Ich denke, wir werden da nie zu einem Konsens kommen, weil unsere Vorstellungen diametral auseinandergehen. Was du als Darstellung in "analytischer Weise" betrachtest, sehe ich allerdings oftmals als Entstellung an. Daran gibt es nichts zu deuteln. Ich habe aber positiv zur Kenntnis genommen, dass du mein "Würde"-Thema nicht als persönlichen Angriff auf dich betrachtest (was ja auch kompletter Unsinn wäre), sondern mich sehr richtig verstanden hast. Auch wenn dazu offenbar nicht jeder in der Lage ist - du als Adressat warst es.



    Zitat

    Zum anderen wird gar nichts zerstört. Auch im Ballett hat die Abkehr vom klassischen Stil vielmehr dazu geführt, daß der Tanz sich auf seinen ursprünglich elementaren Ausdrucksgehalt besinnt. Oder in der Literaturwissenschaft wurden mit dem Methodenpluralismus zum Ausgang der 60er Jahre Texten neue Wirklichkeitsdimensionen eröffnet, die die Literatur enger an die Erfahrungswelt rückten.

    Oh doch, es wird eine ganze Menge zerstört. Was allerdings das Ballett betrifft: Auch da bin ich nicht ganz deiner Meinung. Der klassische Stil gilt im Ballett als Maßgabe, als Richtschnur, an dem sich alles andere messen lassen muss. Es gibt ihn sehr wohl, und es gibt modernes Tanztheater. Man kann sich aussuchen, was man bevorzugt und bekommt das, was man sich ausgesucht hat. Man kann z.B. Schwanensee in vielerlei Sujets inszenieren, wenn es gelingt, das starke romantisch-märchenhafte Element gekonnt herauszuarbeiten. Meistens spielt das Ballett ja in einer mittelalterlichen Märchenwelt. Ich habe aber in Berlin eine Version von Patrice Bart gesehen, der das Ganze am russischen Zarenhof angesiedelt hat. Sehr geschmackvoll, sehr gelungen, sehr sehenswert. Welche Version nun auch immer gezeigt wird - Matthew Bournes Männerballett wird sich nicht durchsetzten, das mag allenfalls als Gag durchgehen.



    Zitat

    Der Ort der theatralischen Bildfindungen ist an keine Vorschriften geknüpft, sondern unterliegt der Freiheit der Einbildungskraft, was immer in den Regienaweisungen steht. .

    Mit welchem Recht? Muss ich nochmals fragen, wozu es dann überhaupt Regieanweisungen gibt? Nein, ich denke, wir lassen das, denn - wie ich schon sagte - das führt zu nichts, unsere Meinungen darüber gehen zu weit auseinander. Aber damit kann ich mich arrangieren:hello:

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • @Joseph
    Interessanter Weise scheinst du also ganz genau zu wissen, was Kunst ist und was nicht, wie kommt's dass die Welt das nicht ebenso erkennt?
    Im 19.Jh. hat man lange auch zb Monet und co. nicht für Kunst gehalten, nur weil sie anders und neu war.
    Wären wir bei der allseits akzeptieren akademischen Salonmalerei stehengeblieben, wie schön würden unsere Interieurs heute aussehen, anstatt das die "Guernica" im UNO-Gebäude hängt.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Lieber Michael,


    ich glaube, dass der Vergleich mit dem Privatpatienten ein wenig hinkt. Die meisten Opernbesucher, die ich kenne, sind keine Hochintellektuellen und Snobisten, sondern einfache Bürger, die - wenn sie einmal herangeführt wurden(was ja leider heute in den Schulen auch vielfach versäumt wird) - die Oper schätzen und lieben gelernt haben und sich für ihr sauer verdientes Geld auch ab und zu den Besuch einer Oper gönnen. Ich kann dazu nur sagen, das viele von ihnen - wie auch ich - finanziell nur hin und wieder in der Lage waren, sich diesen Genuss zu gönnen. Aber sie stellen den Anspruch, dass sie das richtige Werk zu sehen bekommen und auch verstehen können, d. h. Text, Musik und Geschehen auf der Bühne in Einklang bringen können. Und das ist heute in den meisten Fällen nicht mehr der Fall, weil hier einige Selbstherrliche ihre irren Fantasien ausleben

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)


  • Lieber Gerhard,
    dazu sage ich erstmal : es DARF alles, das Werk darf so aufgeführt werden, warum auch nicht, wer bin ich denn, dass ich das verbiete, aber genauso DARF es auch interpretiert werden, ein Kunstwerk und dessen Verarbeitung KANN und DARF alles, aber es MUSS nichts (auch nicht für Geld).
    Mir geht es doch einfach darum, dass man endlich dieses Freund-Feind / Gut-Schlecht-Schema aufbricht und sich sozusagen leben lässt.

    Aber anscheinend DARF in Deutschland gar nicht mehr klassisch inszeniert werden. Die Suche nach dem Neuen, Hässlichen, Absurden, Pseudointellektuellen hat in Deutschland manische Züge angenommen. Von einer Vielfalt und Lebendigkeit ist zur Zeit keine Spur zu sehen....Soll das die viel beschworene Freiheit der Kunst sein?

  • @Joseph
    Interessanter Weise scheinst du also ganz genau zu wissen, was Kunst ist und was nicht, wie kommt's dass die Welt das nicht ebenso erkennt?
    Im 19.Jh. hat man lange auch zb Monet und co. nicht für Kunst gehalten, nur weil sie anders und neu war.
    Wären wir bei der allseits akzeptieren akademischen Salonmalerei stehengeblieben, wie schön würden unsere Interieurs heute aussehen, anstatt das die "Guernica" im UNO-Gebäude hängt.

    Kunst ist für mich, was ästhetisch ist. Auch "hässliche" Gemälde wie jene von Hieronymus Bosch oder El Greco sind ästhetisch, das meint also nicht unbedingt, dass Kunst "schön" sein müsste. Die Welt sah das bis ins 19. Jahrhundert auch so.


    Nun ja, Monet würde ich jetzt nicht als unästhetisch bezeichnen, aber vieles von Picasso (meine Meinung, und das sage ich als studierter Kunsthistoriker).


    Bzgl. der "Guernica": Mir wäre im UNO-Gebäude z. B. Rubens' "Raub der Europa" lieber. ;) :P

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Mir geht es doch einfach darum, dass man endlich dieses Freund-Feind / Gut-Schlecht-Schema aufbricht und sich sozusagen leben lässt.

    Eine schöne Utopie, SchallundWahn, die du da aufzeigst. Sag das doch mal den Intendanten und den Regisseuren, die das Publikum als "Feind" betrachten und sich an dessen Buh-Chören weiden.. :jubel:

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Kunst ist für mich, was ästhetisch ist

    Da ich gerade wöchentlich ein Ästhetik-Seminar besuche, glaube ich, dass dieser Begriff äußert schwammig und zwiespältig ist und niemand eigentlich so richtig (abseits persönlicher Befindlichkeiten) sagen kann, was genau ästhetisch ist.
    Was Picasso angeht, ich habe nichts dagegen, dass du einige seiner Bilder hässlich findest (ebenso wie manche Inszenierungen), aber was mich stört ist, dass daraus viel zu oft ein Allgemeinanspruch hergeleitet wird und hier durch die Bank alles und jeder verunglimpft wird, der nicht persönlichen Vorstellungen entspricht.



    Die Suche nach dem Neuen, Hässlichen, Absurden, Pseudointellektuellen hat in Deutschland manische Züge angenommen. Von einer Vielfalt und Lebendigkeit ist zur Zeit keine Spur zu sehen....Soll das die viel beschworene Freiheit der Kunst sein?

    So schlimm es für dich klingen mag, aber Ja, wenn die Freiheit im Moment eben das hervorbringt, dann ist das so (es steht ja auch allen frei traditionelles zu machen, warum es viele nicht tun, das liegt nicht bei mir)...das ist es ja mit der Freiheit, es ist deine eigene, aber auch die der anderen und das muss man akzeptieren, ob man das nun gut findet oder nicht.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Zitat

    Zitat von SchallundWahn: dazu sage ich erstmal : es DARF alles, das Werk darf so aufgeführt werden

    Liebe SchallundWahn,


    ich sage ja nicht dass du es verbietest. Aber was sollen denn solche blöden Argumente der Regietheaterbefürworter wie "museal, altbacken, nicht mehr zeitgemäß, kann man heut niemand mehr zumuten, muss neu interpretiert werden, muss in unsere Zeit versetzt werden" usw. Und unter diesem Motto wird doch heute fast alles verunstaltet, eintönig, stinklangweilig oder einfach albern. Ich glaube, dass diese ganze Diskussion nicht so heftig wäre, gäbe es bei allen Opernhäusern ein ausgewogenes Verhältnis zwischen beiden Richtungen. Dann mögen die, die sich diese verunstalteten Werke ansehen wollen, gerne dahinströmen (ich glaube, der Strom wäre recht klein) und die Zuschauer, die ich hier schon mehrfach genannt habe und von denen es auch hier im Forum die Mehrzahl ist, kämen auch zu ihrem Recht. Aber das ist leider nicht der Fall. Heute wird Oper für eine weit kleinere Minderheit als früher gemacht und eine Menge ehemaliger Zuschauer - zu denen ich und auch viele andere hier im Forum gehören - vertrieben. Ob es durch das sogenannte Regietheater die Zahl an Interessenten für die Oper gewachsen ist, bezweifle ich sehr. Dafür aber sind von den potenziellen Interessenten eine große Menge vertrieben worden. Und ich glaube, dass viele, die den Unsinn heute wegen der Musik zähneknirschend ertragen, sehr schnell wieder zu den werkgerechten Operninszenierungen zurückkehren würden.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Hallo Gerhard,


    Lieber Michael,


    ich glaube, dass der Vergleich mit dem Privatpatienten ein wenig hinkt. Die meisten Opernbesucher, die ich kenne, sind keine Hochintellektuellen und Snobisten, sondern einfache Bürger, die - wenn sie einmal herangeführt wurden(was ja leider heute in den Schulen auch vielfach versäumt wird) - die Oper schätzen und lieben gelernt haben und sich für ihr sauer verdientes Geld auch ab und zu den Besuch einer Oper gönnen. Ich kann dazu nur sagen, das viele von ihnen - wie auch ich - finanziell nur hin und wieder in der Lage waren, sich diesen Genuss zu gönnen. Aber sie stellen den Anspruch, dass sie das richtige Werk zu sehen bekommen und auch verstehen können, d. h. Text, Musik und Geschehen auf der Bühne in Einklang bringen können. Und das ist heute in den meisten Fällen nicht mehr der Fall, weil hier einige Selbstherrliche ihre irren Fantasien ausleben


    dass alles - bis auf den letzten Satz :pfeif: - will ich gar nicht in Abrede stellen. Nichtsdestotrotz wird heutzutage niemand dazu gezwungen, in eine Opern-Inszenierung zu gehen, die ihm nicht gefällt (die Möglichkeiten, sich vorher zu informieren sind dafür wohl ausreichend gegeben). Und auch der - zumindest subjektiv - wahrgenommene Mangel an Alternativen ändert daran nichts.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Zitat

    Davon abgesehen, hat niemand (ich) hier behauptet, dass ich gerne Klobrillen auf der Bühne sehen will (ich finde auch nicht alles gut, was heute gemacht wird, ganz sicher nicht), aber ich bitte einfach um einen differenzierten Blick.


    Hallo, SchallundWahn!


    Du scheinst es nicht zu verstehen (wollen), daß Klobrillen, die ich hier anführte, wohl das geringste Übel sind zu dem Porno, der teilweise unsere Bühnen heimgesucht hat. Das hat mit Oper und Künstlerischer Freiheit nicht das Geringste zu tun! Auch Opern, die durch irgendwelchen märchenhaften Klamauk ins Lächerliche gezogen werden, gehören auch nicht dazu. Es ist einfach nur VERARSCHUNG, die man da geboten bekommt. Dafür bin ich mir zu schade und viele andere Opernfreunde sehen das genauso. Auch sprichst Du mir indirekt das Recht auf eine konservative Opernaufführung, wie ich sie vor Jahren dutzendweise mit Freuden erleben durfte, ab.

    W.S.

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  • "So schlimm es für dich klingen mag, aber Ja, wenn die Freiheit im Moment eben das hervorbringt, dann ist das so (es steht ja auch allen frei traditionelles zu machen, warum es viele nicht tun, das liegt nicht bei mir)...das ist es ja mit der Freiheit, es ist deine eigene, aber auch die der anderen und das muss man akzeptieren, ob man das nun gut findet oder nicht." Nun, da diese Dinge meist unter dem Druck der Medien und Kritiker zustandekommen, kann man doch nicht ernsthaft behaupten, diese Inszenierungen seien "frei" entstanden. Vielmehr wurde seitens der Intendanten dem Zwang, der durch pro-Regietheater eingestellte Kritiker ausgeübt wurde, nachgegeben....Freiheit ist das leider keine. Es gehört übrigens zu den Prinzipien einer Demokratie, dass Freiheit dort Grenzen hat, wo sie die Freiheit anderer Menschen einschränkt. Das gilt für jede Freiheit, auch für die Freiheit der Kunst. und für mich ist es auch ein Teil meiner Freiheit keine Nackten, Urinierenden oder Kopulierenden etc. auf der Opernbühne sehen zu müssen. Ebenso ist des Teil meiner Freiheit, wenn ich mir selbst über ein Werk Gedanken machen will, ohne irgendeine Interpretation eines Regiesseurs aufoktroyiert zu bekommen und ich deshalb das Originale Werk sehen möchte.....

  • Hallo Figarooo,


    Nun, da diese Dinge meist unter dem Druck der Medien und Kritiker zustandekommen, kann man doch nicht ernsthaft behaupten, diese Inszenierungen seien "frei" entstanden. Vielmehr wurde seitens der Intendanten dem Zwang, der durch pro-Regietheater eingestellte Kritiker ausgeübt wurde, nachgegeben....Freiheit ist das leider keine.

    nur, um diese These richtig einzuordnen: Angenommen, es würde auf langanhaltende Intervention wertkonservativer Kreise (bitte nicht wertend zu verstehen, mir ist nur auf die schnelle kein besserer Begriff eingefallen) - wie es hier im Forum ja durchaus als Idee formuliert wird - der Schwenk zurück zum nicht-Regietheater vollführt, so wäre dieser aus denselben Gründen doch ebenso "unfrei"?!

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Zitat

    Zitat von M.Schenk:Nichtsdestotrotz wird heutzutage niemand dazu gezwungen, in eine Opern-Inszenierung zu gehen, die ihm nicht gefällt

    Lieber Michael,


    das ist durchaus richtig, aber es wird ihm auch keine Alternative mehr angeboten. Das ist nicht nur ein subjektiv wahrgenommener Mangel, sondern eine Tatsache. Gezwungen wurde auch früher niemand, aber viele gingen oder würden gerne gehen, die heutzutage dem Theater den Rücken gekehrt haben. Während es in allen Dingen heute eine große Auswahl an Dingen für jeden Geschmack gibt, wird auf diesem Gebiet nur - zumindest in der näheren Umgebung - einen ungenießbaren, öden, langweiligen oder albernen Regietheatereinheitsbrei. "Vogel friss oder stirb, aber nimm uns nicht die Chance, nur uns selbst zu verwirklichen."


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Hallo Figarooo,


    nur, um diese These richtig einzuordnen: Angenommen, es würde auf langanhaltende Intervention wertkonservativer Kreise (bitte nicht wertend zu verstehen, mir ist nur auf die schnelle kein besserer Begriff eingefallen) - wie es hier im Forum ja durchaus als Idee formuliert wird - der Schwenk zurück zum nicht-Regietheater vollführt, so wäre dieser aus denselben Gründen doch ebenso "unfrei"?!


    Da ist zwar durchaus was dran - aber warum darf nicht für die eine Seite gelten was auch für die andere gilt?

  • Nichtsdestotrotz wird heutzutage niemand dazu gezwungen, in eine Opern-Inszenierung zu gehen, die ihm nicht gefällt ...

    Binsenweisheit! - Das Problem ist ja ein ganz anderes: Wenn ich auf dem Viktualienmarkt Brot der Firma XX kaufen will, dieses im Moment aber nicht vorhanden ist, dann nehme ich das Brot der Marke YY - Fall erledigt.


    Natürlich gehe ich nicht in die Oper, wenn ich beispielsweise "Freischütz" in einer verfremdeten Regieparodie über mich ergehen lassen müßte. Aber welche Alternative, von der hier so oft vollmundig brambassiert wird, habe ich denn?


    Nennt mir bitte auch nur e i n Opernhaus, das (als Beispiel für viele) den "Freischütz" sowohl in werkgetreuer als auch in regieverbalhornter Fassung anbietet. Ich kenne keines!

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Die Frage "modern" vs "altmodisch" trifft nicht den Kern des Dilemmas, denn wahrscheinlich wird sich niemand der als "altmodisch" Punzierten dagegen sträuben, Opernproduktionen vermittels zeitgemäßer Technik erleben zu wollen. Die Crux ist doch, dass heutzutage auf den Bühnen Jux und Tollerei als Freibrief für exzentrische Selbstdarsteller wuchern.


    Andernorts wurde abwertend bis abfällig über die "konservative" Geisteshaltung die Nase gerümpft und gemeint, die Bühnen haben jetzt gottseidank dieser Dilettanz durch ihre tiefgeistigen Neorgisseure den Beelzebub ausgetrieben.


    Nehmt bitte zur Kenntnis, dass es auch in den vergangenen Jahrzehnten sehr wohl ausserordentlich großartige Regieleistungen zu bewundern gab, dazu Sing-Schauspieler, denen man Freiraum zur Entfaltung ihrer Persönlichkeiten gewährte. Aber das alles wird von den mainstreamigen Zeitgeistern verächtlich heruntergemacht. - Erst am Samstag erlebte ich eine Veranstaltung zum 95. Geburtstag "unserer" Hilde Güden, bei der Filmausschnitte von "Figaro", "Rosenkavalier" usw. als Live-Produktionen von diversen Opernhäusern präsentiert wurden, und alle waren begeistert von den wunderbaren Regieleistungen, den herrlichen Bühnenbildern und den zauberhaften Kostümen, die man da zu sehen bekam.


    Muß ich noch den Adoranten der gegenwärtigen Gerümpelproduzenten in Erinnerung rufen, wie hochklassig die Regisseure dazumal waren? Von Felsenstein über Hartmann, Rott, Wallmann, Zeffirelli, Visconti, Praetorius, Schneider-Siemssen, Wieland Wagner bis zu Schenk ...


    Ich vermute, dass diejenigen, die behaupten, wirkliche Regie habe sich erst in den letzten Jahren entwickelt, die großartigen Leistungen unserer Altvorderen gar nicht kennen!


    All diese von mir Genannten haben die Werke zuförderst aus der Musik in Verbindung mit dem Text realisiert und die Atmosphäre mit all ihren subtilen Stimmungen auf der Bühne zum Leben erweckt.

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Muß ich noch den Adoranten der gegenwärtigen Gerümpelproduzenten in Erinnerung rufen, wie hochklassig die Regisseure dazumal waren? Von Felsenstein über Hartmann, Rott, Wallmann, Zeffirelli, Visconti, Praetorius, Schneider-Siemssen, Wieland Wagner bis zu Schenk ...


    Ich vermute, dass diejenigen, die behaupten, wirkliche Regie habe sich erst in den letzten Jahren entwickelt, die großartigen Leistungen unserer Altvorderen gar nicht kennen .


    Dieser Aussage kann ich mich nur 100 % anschließen und bedauern von den oben genannten Namen nur wenige alte Inszenierungen gesehen zu haben....

  • Nennt mir bitte auch nur e i n Opernhaus, das (als Beispiel für viele) den "Freischütz" sowohl in werkgetreuer als auch in regieverbalhornter Fassung anbietet. Ich kenne keines!

    Ich würde eine nicht unerhebliche Geldsumme verwetten, dass es auf der ganzen Welt auch keines gibt, lieber Milletre. ;)



    Zitat

    Erst am Samstag erlebte ich eine Veranstaltung zum 95. Geburtstag "unserer" Hilde Güden, bei der Filmausschnitte von "Figaro", "Rosenkavalier" usw. als Live-Produktionen von diversen Opernhäusern präsentiert wurden, und alle waren begeistert von den wunderbaren Regieleistungen, den herrlichen Bühnenbildern und den zauberhaften Kostümen, die man da zu sehen bekam

    .Da hattest du ganz bestimmt ein tolles Erlebnis, das ich gerne geteilt hätte.


    Hier wurde vorhin viel über Zeitgeist und wandelnde Interpretationen gesprochen. Auch das ist eine Binsenweisheit, denn jede Epoche hat ihre spezifische Kunstform gefunden, etwas Neues erschaffen. Glücklicherweise, denn sonst hätte es nie eine Romanik, Gotik, Renaissance, Barock usw. gegeben. Alle diese Epochen haben ihre Zeugnisse hinterlassen, die noch Jahrhunderte später Bewunderer finden, Kunsthistorikern Studien-und Arbeitsplätze sichern, Museen füllen und Städten ihr charakteristisches Aussehen verleihen. So unterschiedlich nun ein romanischer, gotischer oder barocker Dom sein mag - es bleibt ein Dom und ist nicht plötzlich ein Toilettenhäuschen.
    Jetzt wird mir sicherlich sofort wieder vorgehalten, dass ich Architektur nicht mit "lebendigem Theater" vergleichen könne. Direkt sicherlich nicht, worum es mir aber geht, ist die ebenfalls schon vorhin erwähnte Ästhetik, der Mut zu Eleganz, Geschmack und Subtilität. Das geht den meisten der heutigen Inszenierungen gründlich ab, und auf einen solchen "Zeitgeist" mögen wir gewiss verzichten können.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • @ La Strana (Ladys first!) + Figarooo!


    Danke herzlichst für Eure zustimmenden Antworten, die mich in dieser scheußlichen Regieepoche doch sehr getröstet haben.

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • So unterschiedlich nun ein romanischer, gotischer oder barocker Dom sein mag - es bleibt ein Dom und ist nicht plötzlich ein Toilettenhäuschen.


    Es hat freilich auch die Bilderstürmer gegeben, und den WK II, und als Folge die Ruine der K.W.-Gedächtniskirche in ihrer heutigen Form, mit dem grandiosen Kirchenraum von Eiermann. - Die Neogotik hat Einzug in die Industriearchitektur gefunden, und deren Dome sind die malerischen Ruinen unserer Zeit ("Kathedralen der Neuzeit"). Es gibt noch immer die traditionelle Inszenierung eines katholischen Gottesdienstes, neben vielfältigen Formen der Spiritualität. Von Shakespeare bis C.D. Friedrich reicht die Ästhetisierung der gothischen Chorruine; die Vollendung des Kölner Doms gehört eigentlich in die Bühnenbildarchitektur von Neuschwanstein. - Eine "fortgeführte Metapher", denn der Zerstörung der Kirchen durch die alliierten Fliegerbomber ging die Zerstörung der christlichen Idee durch das NS-Regime voraus. Auch in Zeiten vermehrter Kirchenaustritte und einer Akzeptanzkrise der Instutution Kirche stehen die musealen Gebäude quer zu ihrem gesellschaftlichen Zweck (und in den Etats wird über die Unterhaltspflichten gerungen). Manche Dorfkirche wurde bereits veräußert und dient als Architektenloft (Rondorf) oder als Wirtshaus (Willingen). - Und bereits beim mittleren und späten Rilke werden christliche Topoi für einen ästhetischen Stoizismus in Dienst genommen (L´ange du méridien, Nonnen-Klage, An den Engel usw.), der den subtilsten Blasphemien Raum gibt. Und wie steht es mit den Bühnen-Kircheninnenräumen in den Meistersingern und Tosca? Sind es noch die alles umschließenden, alle Widersprüche aufhebenden Herbergen, oder längst zweckentfremdete Äußerlichkeiten?


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

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