Johann Sebastian Bach: Das Weihnachtsoratorium

  • Obwohl wir ja alle mit der Geschichte einigermaßen vertraut sind, war ich irgendwie sehr bewegt.

    Lieber Rüdiger,


    …. danke für die Einstellung, habe mir den Film heute mit größtem Vergnügen angeschaut. Vieles war bekannt, vieles aber auch (für mich) neu.

    Die schwarze Scheibe, inzwischen zu Silber mutiert, fasziniert nach wie vor.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Das freut mich, lieber nemorino. Ich habe nie zu denen gehört, die mit historischen Aufnahmeverfahren und entsprechenden Tondokumenten absolut nichts anfangen können. Nicht, dass ich hier wie Nipper vor dem Messingtrichter sitze. Ich bin sogar ziemlich zeitgemäß aufgestellt. Nur habe ich nie den Respekt vor jenen verloren, ohne deren Erfindergeist und Zukunftsgläubigkeit wir nicht hören könnten, was wir heute hören. Und ich habe immer wissen wollen, wie es im Laufe der Zeit geklungen hat. Was nun das "Weihnachtsoratorium", um das es hier geht, anbelangt, kann ich mit technisch perfekten Aufnahmen nicht so viel anfangen wie mit solchen, bei denen ich - ich sagt sagte es schon einmal - die harte Kirchenbank spüre. ;)

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich muss noch einmal auf die beiden Aufnahmen des WO unter Thomas und Richter zurückkommen. Beide Einspielungen habe ich mir nämlich noch einmal angehört und muss meine Beurteilung unter dem aktuellen Hörerlebnis doch teilweise revidieren.


    Erstens ist mir aufgefallen, dass die 1958er Aufnahme unter Thomas das wesentlich bessere Klangbild hat; die Thomaner bringen den gesungenen Text deutlich besser hervor, als es der Münchner-Bach-Chor bei Richter vermag - der kommt richtig „verwaschen“ an mein Ohr. Das erinnert mich an eine Aussage von Heinrich Ehmann, dem Sohn von Wilhelm Ehmann (mit ev. Kirchenmusik vertraute Musikfreunde wissen, dass Wilhelm Ehmann Leiter der Herforder Kirchenmusikschule war), seinerzeit Kantor der Johanniskirche in Hagen, der dem Münchner Bach-Chor keine gute Note gab - um es vorsichtig zu formulieren.


    Zweitens aber muss ich feststellen, dass Kurt Thomas seine Thomaner und das verkleinerte Gewandhausorchester - überprüft man die Interpretation aller sechs Kantaten des WO - vom Tempo her sehr ausgewogen hält. Höre ich „Jauchzet! Frohlocket“ gesondert, kommt der Satz mir - auch heute noch - sehr langsam vor; wenn ich jedoch die Gesamtaufnahme als Maßstab nehme, hält Thomas in allen Teilen ein ausgewogenes Tempo ein.


    Drittens: Während alle Aufnahmen, die ich vom WO besitze, jeweils zwei Kantaten auf einer CD unterbringen, muss man bei der Archiv-Aufnahme von Richter bei der zweiten Kantate einen Wechsel zur nächsten CD vornehmen. Das hat zwar nichts mit der Interpretation zu tun, empfinde ich aber technisch unbefriedigend gelöst.


    Fazit: Die Thomas-Aufnahme hat bei mir, so gesehen, einen klaren Vorsprung vor Richters Einspielung. Diese möchte ich jedoch wegen der vier Solisten in keinem Falle missen...


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Erstens ist mir aufgefallen, dass die 1958er Aufnahme unter Thomas das wesentlich bessere Klangbild hat

    Genau das war auch mein Eindruck beim direkten Vergleich. Die DDR-Produktion von 1958 klingt geradezu vorbildlich gut für das enorme Alter.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • . Was nun das "Weihnachtsoratorium", um das es hier geht, anbelangt, kann ich mit technisch perfekten Aufnahmen nicht so viel anfangen wie mit solchen, bei denen ich - ich sagte es schon einmal - die harte Kirchenbank spüre. ;)

    Das bringt mich auf eine neue Geschäftsidee. Die WOs auf Schellack oder Vinyl werden nur zusammen mit einer Kirchenbank verkauft, die in der Sitzanzahl 1-2 variiert (dass sich dafür mehr als 2 Musikfreunde interessieren, kann ich mir nicht vorstellen). Dazu könnte man sich vorstellen, dass als Zugabe noch ein Saale-Unstrut-Rotwein aus dem Jahre 1945 plus einer Packung Talcid-Tabletten angeboten wird. Die Raumtemperatur darf 13 Grad nicht übersteigen. Mützen sind verboten, denn die Ohren müssen ja frei bleiben.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Fazit: Die Thomas-Aufnahme hat bei mir, so gesehen, einen klaren Vorsprung vor Richters Einspielung.

    Lieber musikwanderer,


    das kann ich so nicht bestätigen, aber jeder hört ja wahrscheinlich ein bißchen anders. Mir liegt die Richter-Aufnahme, was die Klangtechnik angeht, besser "im Ohr", sie klingt nach meinem Empfinden weicher, allerdings stimme ich zu, daß der Thomanerchor textdeutlicher singt. Inwieweit das mit der Aufnahmetechnik zu tun hat oder mit der Eingenheit des jeweiligen Chores , vermag ich nicht zu beurteilen. Da ich in diesem Jahr nur die Teile IV-VI gehört habe, ist mir die unvorteilhafte Einteilung von Teil II gar nicht aufgefallen. Doch ich denke, daß dies kein entscheidender Punkt ist; manchmal sind die Entscheidungen der Hersteller schwer nachvollziehbar.

    Doch wenn ich vom direkten Vergleich zwischen Karl Richter und Kurt Thomas absehe, so muß ich Joseph II. in dieser Hinsicht Recht geben:

    Die DDR-Produktion von 1958 klingt geradezu vorbildlich gut für das enorme Alter.

    Manche moderne Digitalproduktion könnte sich da eine Scheibe abschneiden!


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Was nun das "Weihnachtsoratorium", um das es hier geht, anbelangt, kann ich mit technisch perfekten Aufnahmen nicht so viel anfangen wie mit solchen, bei denen ich - ich sagt sagte es schon einmal - die harte Kirchenbank spüre. ;)

    Elf Mal - Rheingolds Bemerkung hat mich dazu veranlasst, in meinen Erinnerungen zu kramen - habe ich das Weihnachtsoratorium auf einer "harten Kirchenbank" gehört, - und es war jedes Mal etwas ganz anderes, viel tiefer unter die Haut Gehendes als meine jetzige - aus der Not geborene - Gepflogenheit, es nur noch am Heiligen Abend von der CD zu hören (die übrigens, lieber dr. pingel, eine von mir hergestellte Überspielung von der Kurt Thomas- Schallplatten-Kassette ist).


    Das erste Mal - und deshalb schreibe ich das hier - war es in der Katharinenkirche in Frankfurt, und der Dirigent und Interpret war … Kurt Thomas. Ich kannte Bachs Werk zuvor gar nicht in seiner Gänze, nur - wie auch bei der Matthäus-Passion - einzelne Choräle vom Gemeindegesang in der Kirche her. Allein das schon brachte für mich so etwas wie eine Erleuchtung mit sich.

    Übrigens: In meiner Konfirmandenzeit - ich erinnere mich genau - wunderte ich mich und wurde höchst nachdenklich, als ich erst an Weihachten und dann vor Ostern zwei völlig verschiedene und eigentlich nicht miteinander zu vereinbarende Texte auf dieselbe Melodie singen sollte. Ich schaute im Gesangbuch nach dem Verfasser, und fand den Namen Johann Sebastian Bach, mit dem ich damals als Vierzehnjähriger allerdings nicht viel anfangen konnte.


    Also fragte ich meinen Pfarrer, und der gab mir eine Antwort, die mich noch mehr verwirrte und in weiteres Nachdenken stürzte: "Bach wollte schon bei der Feier der Geburt Jesu darauf hinweisen, dass diesem der Kreuzestod bestimmt war" (so ungefähr meine Erinnerung). Solche Pfarrer gab´s noch in meiner Jugendzeit.


    Als ich dann viel später in den Erinnerungen von Hermann Hesse las, dass diesem als Kind von seinen streng pietistischen Eltern das Weihnachfest dadurch "verdorben" wurde, dass er an diesem Tag immer wieder gemahnt wurde, "an den Tod des Herrn" zu denken und deshalb nicht hemmungslos fröhlich zu sein, fügten sich all diese Erinnerungen zu einem höchst erfreulichen Bild zusammen.

    (Bitte Nachsicht walten lassen, dass ich - von Prinzipien hier im Forum abweichend - ins Plaudern verfallen bin)

  • Das mit dem "Hören auf harten Kirchenbänken" kann ich nur bestätigen und nachvollziehen. Noch mehr geht unter die Haut, wenn man am Continuoinstrument sitzt und mitspielt (der Stuhl ist auch nicht bequemer ;)).

    wunderte ich mich und wurde höchst nachdenklich, als ich erst an Weihachten und dann vor Ostern zwei völlig verschiedene und eigentlich nicht miteinander zu vereinbarende Texte auf dieselbe Melodie singen sollte.

    Die Antwort des Pastors war und ist barer Unsinn, typisch Pietismus, mit dem Bach bekanntlich wenig am Hut hatte. Dem Paul Gerhardtlied "Wie soll ich dich empfangen" hat Bach eine eigene Melodie geschaffen, die schon damals in den 50ern im Gesangbuch stand (zumindest im Hannöverschen). Von wegen "Hinweis auf den Kreuzestod!!" Die meisten Gesangbücher der Barockzeit hatten keine Melodien, aus gutem Grund, da die Gemeinden jeweils die ihnen "passenden" Melodien sangen. Hauptsache das Versmaß und Zeilenzahl stimmte.

    Wer in einer "streng lutherischen" Gemeinde groß wurde, konnte sich ausgiebig auf Weihnachten freuen und das auch kundtun.

  • Ach, lieber Bachianer, -

    von der für den lutherischen Glauben konstitutiven und eine zentrale Rolle in ihm einnehmenden "Theologia crucis" scheinst Du - mit Verlaub - keine so große Kenntnis zu haben.

    Nimm´s mir nicht übel, wenn ich in dieser Weise auf Deinen Kommentar zu meinem Beitrag reagiere.


    "Barer Unsinn" war diese Antwort des - übrigens ein striktes, hoch reflektiertes Luthertum verkörpernden und auf seine Konfirmanden weitergebenden - Pfarrers auf die damalige Frage eines jungen Menschen in gar keiner Weise. Für Luther hatte das Feiern der Geburt Jesu keine Bedeutung. Sein Tod am Kreuz war für ihn das theologisch relevante Ereignis.

    Bach war Lutheraner, und die Texte seiner Oratorien, insbesondere der der Matthäus-Passion, aber auch der des Weihnachtsoratoriums, verraten in der affektiv aufgeladenen, immer wieder in den Diminutiv ausbrechenden und mit lieblichen oder schmerzlichen Adjektiven und Adverbien hoch angereicherten Sprache eine ausgeprägte Nähe zum Pietismus. Die Matthäus-Passion ist - theologisch betrachtet - geradezu die musikalische Verkörperung der "Theologia crucis".


    Aber das gehört nicht hierher und ist deshalb mein letztes Wort dazu.

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  • Die Antwort des Pastors war und ist barer Unsinn

    Lieber Bachianer,


    ob und was Bach mit dem Pietismus am Hut hat, vermag ich nicht zu sagen, aber die Aussage des Pastors als baren Unsinn zu bezeichnen, scheint mir doch mehr als gewagt - es sei denn, man ist Atheist oder zumindest ein Agnostiker.

    Für Luther hatte das Feiern der Geburt Jesu keine Bedeutung. Sein Tod am Kreuz war für ihn das theologisch relevante Ereignis.

    Lieber Helmut Hofmann,


    "Keine Bedeutung" würde ich vielleicht doch als etwas übertrieben betrachten, jedoch ist die Geburt Jesu nur vom Ende her zu beurteilen. Ich bin kein Lutheraner, sondern katholisch erzogen, aber die zentrale Aussage "Die Verkündigung der Geburt und der Kindheit Jesu kann nicht losgelöst werden vom Kreuz und von der Erhöhung. Wir müssen wissen, daß bereits über die Geburt Jesu die Schatten des Kreuzes wie das Licht der österlichen Glorie fallen", zählt zu den Grunddogmen der römisch-katholischen Theologie. Und ich denke, daß in diesem Punkt beide große christliche Konfessionen, zumindest offiziell, übereinstimmen. Daß es heutzutage viele modernistische Theologen gibt, auf beiden Seiten, die praktisch alle Kernaussagen in Zweifel ziehen, ist bekannt.

    Die Matthäus-Passion ist - theologisch betrachtet - geradezu die musikalische Verkörperung der "Theologia crucis".

    So ist es. Im übrigen schließe ich mich an, das gehört nicht in dieses Forum, und deshalb sollte es damit auch sein Bewenden haben.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Lieber Maestro_Peter,


    zu Deinen Beiträgen Nrn. 326 und 327: die Aufnahme von Günther Ramin (Hamburg 1955) mit Helga Gabriel (Sopran), Ursula Boese (Alt), Leo Larsen (Tenor) und Jakob Stämpfli (Bass) mit dem Leipziger Thomanerchor und dem Hamburger Kammerorchester ('Concert Hall' SMS 2057/58, 2 LPs) habe ich auch; sie umfasst aber nur die Kantaten I bis III. Die zwei Platten sind bereits sterophon gepresst, aber der Zweikanaleffekt ist sehr rudimentär. (Günther Ramin ist zehn Wochen nach dieser Schallplatten-Einspielung gestorben.)


    Ich habe mir heute noch einmal den kompletten 'Faden' zu diesem Werk durchgelesen und festgestellt, dass es doch noch ein paar Aufnahmen mehr gibt.


    In meinem Regal stehen neben den Schallplatten-Aufnahmen von Kurt Thomas (Leipzig 1958), Fritz Werner (Pforzheim 1963) und Karl Richter (München 1965) und den CDs von Ralf Otto (Köln 1990) noch folgende Ausgaben:


    Kantaten I – VI: Elly Ameling (Sopran), Helen Watts (Alt), Peter Pears (Tenor), Tom Krause (Bass-Bariton) / Lübecker Knaben-Kantorei / Chorltg.: Hans-Jürgen Wille / Das Stuttgarter Kammerorchester / Dirigent: Karl Münchinger (Ludwigsburg, Juli 1966) 'Decca' SET 346/48 (3 LPs). Diese Aufnahme wurde hier bisher nur zweimal erwähnt.


    Kantaten I – III: Teresa Zylis-Gara (Sopran), Eva Bornemann (Alt), Helmut Kretschmar (Tenor), Horst Günter (Bariton) / Der Knaben- und Jugendchor St. Michaelis / Die Hamburger Symphoniker / Dirigent: Friedrich Bihn (Hamburg, 1966) 'Somerset' 606 (2 LPs).


    Kantaten I- VI: Kurt Equiluz (Evangelist), Heather Harper (Sopran), Ruth Hesse (Alt), Thomas Page (Tenor), Kieth Engen (Bass) / Der Wiener Kammerchor / Chorltg.: Hans Gillesberger / Das Österreichische Symphonie-Orchester Wien / Dirigent: Hans Swarowsky (Wien, Mai-Juni 1968) 'Concert Hall' SMS 2585 (3 LPs).


    Ausschnitte: Elly Ameling (Sopran), Brigitte Fassbaender (Alt), Horst R. Laubenthal (Tenor), Hermann Prey (Bariton) / Der Tölzer Knabenchor / Chorltg.: Gerhard Schmidt-Gaden / Der Chor und das Symphonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks / Chorltg.: Josef Schmidhuber / Dirigent: Eugen Jochum (München, 1973) 'Philips' 6575 506 (1 LP)


    Viele Grüße!


    Carlo

  • Ach, lieber Helmut Hofmann,

    so leid es mir tut, hierauf muss ich antworten.

    Das angeblich "hoch reflektierte Luthertum" dieses Pastors ist nicht mehr als "hoch reflektiertes, subjektives Wunschdenken" dieses Herrn. Was hat denn eine vom Textdichter nicht vorgegebene Choralmelodie mit Luthers theologia crucis zu tun? Paul Gerhardt hat keine Melodie zu seinem Choral "O Haupt voll Blut und Wunden" vorgegeben. Da kamen mehrere Melodien ins Spiel. Durchgesetzt hat sich (bis heute) eine äusserst weltliche Weise von Leo Hassler "Mein Gmüt ist mir verwirret", 1601, aus seinem "LUSTGARTEN neuer teutscher Gesäng". Andere Gemeinden sangen dieses Lied mit der Melodie "Innsbruck, ich muss dich lassen", auch weltlichen Ursprungs. Eine wirklich tolle Realisierung der Kreuzestheologie. Einfache Erklärung: die Leipziger Gemeinde sang den Choral "Wie soll ich dich empfangen" mit Hasslers Melodie, also hat Bach sie dementsprechend eingesetzt. Punkt.

    In diese "Rubrik" passt dann auch das bekannte Gelaber über die Eröffnungstakte des WO. Die Paukenschläge symbolisieren die Hammerschläge der Kreuzesannagelung Christi. Jaja, "Tönet ihr Pauken"......wohl völlig übersehen.....

    Offensichtlich hat Bach, wohl nach Auffassung dieses Pastors, auch keine hohe Meinung über die theologia crucis Luthers, sonst hätte er doch nicht eine neue Melodie für "Wie soll ich dich empfangen" komponiert, die heute in den Gesangbüchern steht. Subjektiv kann und darf man alles behaupten, nur richtiger wird es dadurch nicht.

  • In diese "Rubrik" passt dann auch das bekannte Gelaber über die Eröffnungstakte des WO. Die Paukenschläge symbolisieren die Hammerschläge der Kreuzesannagelung Christi. Jaja, "Tönet ihr Pauken"......wohl völlig übersehen.....

    Mir war es nicht bekannt, aber das sind ja ganz neue Ansätze. So erfahren wir aus der Tenor-Arie "Frohe Hirten", dass die Hirten Flöte gespielt haben, und das im Laufen! Und "Lasset uns nun gehen" ist ja "Alle meine Entchen", wobei dieses "gehen" dann den watschelnden Entchen nachempfunden wurde.:pfeif: Ich glaube, da ist noch mehr.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Mir war es nicht bekannt, aber das sind ja ganz neue Ansätze. So erfahren wir aus der Tenor-Arie "Frohe Hirten", dass die Hirten Flöte gespielt haben, und das im Laufen! Und "Lasset uns nun gehen" ist ja "Alle meine Entchen", wobei dieses "gehen" dann den watschelnden Entchen nachempfunden wurde.:pfeif: Ich glaube, da ist noch mehr.

    Da ist noch viel mehr, gleich ob Werke oder Komponisten. Was alles so Esoterikern oder entsprechend "angehauchte" Wissenschaftler einfällt, spottet jeder Beschreibung.....und all das mit dem Brustton der Überzeugung "höhere" Erkenntnisse zu vermitteln. (Auch hier im Forum kann man ab und an so etwas finden).

    Das Witzige an o.a. Besipiel ist, dass die "Hasslermelodie" in vielen Chorälen (gleich, welchen Sujets) eingesetzt wurde, nicht nur für "O Haupt voll Blut und Wunden". Der Textdichter der Bach´schen Matthäuspassion, Picander, hat die Strophe "Wenn ich einmal soll scheiden" völlig folgerichtig für gläubige Christen nach Matth.27,50 "Aber Jesus schrie abermals laut und verschied" eingefügt. Erst die Romantik hat aus diesem Moment etwas Besonderes gemacht: der Choral wurde im Pianissimo gesungen, und a capella, weil ja bekanntlich Instrumente die Gefühlsduselei stören. Von Bach war das nicht vorgesehen. Das führt dann zu solch abenteuerlichen Behauptungen des o.a. Pfarrers.

  • Ich Wünsche euch allen noch schöne Weihnachten und genießt noch die schönen Tagen!

    Vorweg ein Wort zum "Originalklang" : Gerade die Komponisten der Barockzeit haben ihre Werke ständig verändert und an die Möglichkeiten der Musiker des Aufführungsortes angepasst. Da wurde sogar der Solopart auf ein anderes Instrument umgeschrieben - wenn kein Solist für das vorgesehene Instrument aufzutreiben war. Sie litten oft an den schlecht ausgebildeten und kleinen Orchestern ihrer Zeit. Ist es nun "Originalklang", wenn man ihre seinerzeitigen dürftigen und unbefriedigenden Aufführungsmöglichkeiten künstlich wiederholt ? Ich vermute, Bach hätte übers ganze Gesicht gestrahlt, wenn er einmal so ein großartiges Ensemble wie Bachorchester und Bachchor zur Verfügung gehabt hätte.

    Das Bedürfnis der Barockkomponisten war es, ihre Werke möglichst schön und wirkungsvoll aufzuführen. Insoferne ist Richters Aufnahme durchaus als "Originalklang" (im tieferen Sinne) zu verstehen. Bach hätte über die heutige "Originalklang-Askese" wahrscheinlich verständnislos den Kopf geschüttelt.


    Diese Aufnahme dürfte einzigartig sein. Beschwingt, strahlend und lebendig vermittelt sie die Freude über die Geburt Jesu. Richter dirigiert flott und straff. Die einzelnen Stimmen sind detailreich durchgezeichnet, die Soloinstrumente treten klar hervor. (Verbeugung vor der seinerzeit herausragenden Aufnahmetechnik der DGG.) Das Orchester klingt schlank und wendig. Das Solistenquartett gehört zu den Besten ihrer Zeit.Karl Richter sei ein großer Dank dafür ausgesprochen, dass er in den 60'er Jahren das Werk von J.S.Bach in den Konzertsälen und auf Schallplatten wieder zur verdienten Wertschätzung verholfen hat.

    :jubel::jubel::jubel::jubel::jubel:

    Musik ist höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie. Wem meine Musik sich verständlich macht, der muß frei werden von all dem Elend, womit sich die anderen schleppen.

    Ludwig van Beethoven


    Bruckner+Wand So und nicht anders :)

  • Die Aufnahme des Weihnachtsoratoriums von Karl Richter ist auch meiner Ansicht nach die Reverenzaufnahme des Werkes schlechthin. Wenn Klassikfan 1 meint, Richter dirigiere flott und straff, bin ich indes anderer Ansicht. Er dirigiert eher langsam und weich und ausgesprochen romantisch unter Auskostung der Fermaten - ganz anders als z. B. Hellmuth Rilling, der eher straff, markant und ziemlich rasch dirigiert und die Fermaten nur andeutet. Zutreffend ist indes, dass bei Richter das Solistenensemble größtenteils unübertroffen ist. Wunderlich, Crass und die Ludwig singen allesamt ganz hervorragend mit wunderbarer italienischer Technik. Nur Gundula Janowitz mit etwas härterem Sopran fällt ab.


    Herzliche Grüße


    Lustein

  • Die Aufnahme des Weihnachtsoratoriums von Karl Richter ist auch meiner Ansicht nach die Reverenzaufnahme des Werkes schlechthin.

    Lustein

    Die Reverenzaufnahme (Reverenz=Verehrung) mag es sein, aber Referenz? In meiner Rubrik "Dr. Pingel´s Miniaturen" gibt es eine kleine Geschichte dazu (zu finden in Dr. Pingel´s Schreibtisch). Hier der Anfang:

    In ganz Deutschland wird jedes Jahr zu Weihnachten das Weihnachtsoratorium aufgeführt... In ganz Deutschland? Nein, eine verschworene kleine Truppe aus dem feindlichen Ausland (Österreich)...:pfeif:

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)


  • Karl Richters (zweite) Einspielung von 1964 ist natürlich ein absoluter Klassiker (die ältere Einspielung datiert auf 1955 und ist noch in Mono, siehe oben). Mein Favorit bleibt indes die etwas ältere ost-westdeutsche Koproduktion von Eterna unter Kurt Thomas von 1958. Agnes Giebel, Marga Höffgen, Josef Traxel und Dietrich Fischer-Dieskau sind in der Summe unüberbietbar, trotz angeblich fehlender "italienischer Technik". Die führenden deutschen Sänger/innen für Alte Musik dieser Zeit singen ein Hauptwerk des deutschen Spätbarock auf Deutsch. Punkt.


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich muß mal diesen Thread wieder hochkramen. Und wie es der Zufall so will, steht der Anlaß meines Beitrags gleich eines drüber, Karl Richters Einspielung betreffend.

    Es geht um diese, von Joseph erwähnte:

    Zitat

    die ältere Einspielung datiert auf 1955 und ist noch in Mono

    7507265

    Meine Frage an Euch: Wer kennt sie und viel wichtiger, wie findet ihr sie?

    Ich will einfach nur wissen, ob mit meinem musikalischen Geschmack noch alles in Ordnung ist. :untertauch:


    Noch mal die Mitwirkenden:

    Gert Lutze

    Cloë Owen

    Herta Töpper

    Horst Günter

    Wieth Engen

    Münchener Bach-Chor

    Münchener Bach-Orchester

    Karl Richter

    1955

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

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  • Lieber Reinhard,


    ich habe die Aufnahme vor einigen Jahren das letzte Mal gehört. Ich erinnere mich aber, dass ich maßlos enttäuscht war, dass bei einigen Arien das gesungene da capo fehlt, d.h. nach dem B-Teil folgt nur noch die Wiederholung des instrumentalen Vorspiels des A-Teils, welches mit einer langen Fermate abgeschlossen wird. In den 1920iger Jahren war dies bei den Bearbeitungen der Händel-Opern eine gern geübte Praxis...

    (Vielleicht ist dies aber nur bei meiner Billig-Ausgabe der Fall?)

  • ... dass bei einigen Arien das gesungene da capo fehlt

    Dem ist so, lieber Calatrava. Ein Sytem erkenne ich darin allerdings nicht, weil nicht alle Arien betroffen sind. Warum sich Richter noch 1955 für diese Praxis entrschied, kann ich nicht nachvollziehen. Wurde sie seinerzeit auch noch in München gepflegt? Der Dirigent war erst vier Jahre zuvor aus Leipzig, dem er den Rücken gekehrt hatte, dort angekommen und musste sich wohl erst durchsetzen. Aus Leipzig liegt mir ein Mitschnitt von 1963 aus der damals noch nicht abgerissenen Universitätskirche vor. Wie bei Richter in München - um mal zwei Beispiele zu nennen - gibt es bei der ersten Alt-Arie "Bereite dich, Zion" keine Wiederholung, während sie der Bass bei "Großer Herr, o starker König" singen darf. Allerdings habe ich solche Kürzungen noch sehr viel später bei Darbietungen in Stadtkirchen erlebt. Ich fremdele aber auch aus anderen Gründen mit dieser Richter-Aufnahme, die ich as alter Änhänglichkit an den Tenor Gert Lutze mit der besondetren Vita in meiner Sammlung bewahre. Sie erscheint mir etwas trocken und stumpf, woran auch Lutze seinen Anteil zu haben scheint.


    Meine Frage an Euch: Wer kennt sie und viel wichtiger, wie findet ihr sie?

    Das wäre auch meine Antwort auf Deine Frage, lieber Reinhard. Mit anderen Worten ausgedrückt: Ich höre dieses "Weihnachtskratorium" nie, habe es aber gestern, angeregt durch Deinen Beitrag, wieder mal hervorgeholt.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber Reinhard, meine Vorliebe für HIPe Bach bzw. Barockaufnahmen ist dir ja vielleicht bekannt. Ich höre so gut wie Karl Richter, was nicht bedeutet, dass ich seine Verdienste um die Bach-Pflege nicht anerkennen und bewundern würde.

    Speziell die 1955er-Aufnahme gefällt mir nicht. Dass ich mit dem Klang nicht zufrieden bin meine ich damit gar nicht (ich habe immer so meine klanglichen Probleme mit Aufnahmen aus dieser Zeit). Dass, wie erwähnt, viele Da Capo fehlen stört mich sehr. Eine Unart, die nicht nur bis in die 20er, sondern teilweise weit bis in die 80er anzutreffen ist. Dass Richter, der das zuvor schon anders gemacht hatte, sich hier evtl. "anpasst", ist schade. Mit Töppers und Günters Darbeitung bin ich auch nicht durchgehend zufrieden, das klingt für mich phasenweise zu sehr nach Oper, auch wenn ich nicht allgemein etwas gegen dramatischere Bach-Interpretationen habe. Lutze gefällt mir hier leider ebenfalls nicht; ist nicht sehr präsent.

    Gut finde ich, dass Richter hier ein wenig schneller bzw. flüssiger zu Werke geht, als in vielen anderen seiner Aufnahmen. Es gibt zwar Arien ("Schließe mein Herze"), die er mir hier zu sehr verschleppt, der Gesamteindruck ist in dieser Kategorie aber recht positiv bei mir.

    Kurzum, ich höre Richter sehr selten und dieses WO quasi nie. Ich bleibe bei meinen geliebten Aufnahmen von Flämig, van Veldhoven, Otto, Herreweghe, Jacobs, Koopman, Lutz und weiteren.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Zitat

    Warum es soviele gute Rezenssionen (vor allem aus dem nichtdeutschsprachigem Raum) zu Butts Aufnahmen gibt, wird mir immer rästelhafter.

    Der Verfasser hat einen Geschmack, den wohl viele andere nicht teilen.


    Die Aufnahme wirkt sehr frisch und lebendig gegenüber manch hochgelobter älteren deutschen Fassung, die ich kenne und als recht statisch und fast langweilig empfinde.

  • Zwei Stimmen aus dem "großen Fluss" sind ja auch deutlich positiver :


    Ein Richard schreibt:


    " Diese Aufnahme des Weihnachtsoratoriums macht den besten Interpretationen alla John Eliott Gardiner oder Renee Jacobs echte Konkurrenz ! Die Gesangsleistungen, Chor, Soliten und Orchester bieten höchsteQualität ! Die Aufnahme ist in allen Aspekten (auch akustisch tontechnischen) wirklich überragend und 100% überzeugend ! Als Pluspunkt ist erwähnenswert die große Ruhe des Ausführung ! Eine ganz besondere Interpretation die mich echt überrascht hat ! "


    Und Sagittarius ( der ist oder war doch auch hier vertreten ) :


    " Betrachtet man die Repertoireentwicklung dieses Ensembles, war vorhersehbar, dass seine Aufnahme des Weihnachtsoratoriums geben würde. Diese liegt nunmehr vor.
    Vorab ist darauf hinzuweisen, dass sie klanglich hervorragend ist. Ebenso kann vorab erwähnt werden, dass die Umsetzung durch das Orchester sehr gut gelungen ist, man beachte die herrlichen Hörner in der vierten Kantate.

    Die Besonderheit und zugleich die Problematik liegt bei den Stimmen. Für mich ist offenbar, dass die Solisten ein gutes Niveau haben, aber in keiner Weise mit den schon vorhandenen großartigen Wiedergaben konkurrieren können. Da die Solisten zugleich die chorischen Teile singen, war es sicher von großer Wichtigkeit, dass sie als Ensemble zusammenpassen. Ich bin nicht sicher, ob die herrlichen Solisten von Karl Richter als Ensemble so gut zusammen gepasst hätten? Oftmals ist festzustellen, dass Stimmen, die im Ensemble ausgezeichnet zusammenpassen, als Solisten weniger beeindruckend sind, ja, eine Enttäuschung darstellen können. Als Enttäuschung sollen diese Solisten keinesfalls bezeichnet weden;ich, könnte aber diese Aufnahme wegen der Solisten alleine nicht empfehlen; da gibt es zahlreiche bessere Aufnahmen.

    Also die Frage, ob die solistische Besetzung der Chorteile überzeugend ist? Ist das Werk nur beeindruckend, wenn es von beachtlichen Chören gesungen wird? Durch die Aufnahmetechnik ist man heute in der Lage, auch Kleinst – Ensembles den Eindruck einer Fülle zu verschaffen. Bei dieser solistische Besetzung bekommen die Chöre eine große Durchsichtigkeit. Es sind nicht mehr die Soprangeschwader, die aufgrund der zahlenmäßigen Stärke dem Rest des Chores quasi plattmachen. Im Gegenteil, alle vier Stimmen sind durch hörbar, manchmal hat der Sopran sogar Schwierigkeiten, sich gegen die anderen Stimmen durchzusetzen (Eingangschor der dritten Kantate) ich finde die Konzeption eine durchaus anhörbare Alternative, in jedem Falle besser als der Einsatz von Riesenchören.

    Die gewählten Tempi sind durchaus angemessen: beschwingt, aber nicht gehetzt.

    Insgesamt eine interessante Aufnahme, ohne Referenzstatus erreichen zu können."

  • Ich sage nur das, was Tamino auch gesagt hat, vielleicht pointierter. Richter (ohne seine Verdienste in seiner Zeit zu schmälern) gehört ins Museum.

    Es gibt eine Parallele. Einer meiner großen Komponisten in der Nachfolge von Monteverdi ist Francesco Cavalli. Entdeckt und aufgeführt (Glyndebourn) hat ihn Raymond Leppard, dem als Entdecker aller Ruhm gebührt. Trotzdem fällt es mir nicht ein, seine Aufnahmen wieder zu hören.

    Ein Tamino hier hat dieses schöne Wort gesagt: "Ich bewundere die ärztliche Kunst des Operierens mit dem Skalpell, wie es die römischen Ärzte gemacht haben. Aber so mich selber operieren lassen? Niemals!"

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Wenn Richter museal ist, so ist das für mich persönlich kein Grund zum Verzagen, ziehen mich Museen doch magisch an. ;) Auf eine Art ist das Museale also eine Nobilitierung. Nun lese ich hier, ein schottisches Barockensemble, dessen Namen ich noch nie hörte, sei die neue Messlatte. Die Chöre dort offenbar solistisch besetzt. Früher hätte man es Sparmaßnahmen genannt. Einer Rezension zufolge merke man, dass hier Engländer singen, sprich: mit deutlichem Akzent, was laut des Rezensenten aber nicht weiter schlimm sei. Die Textverständlichkeit bei Bach scheint also nicht mehr so wesentlich. Dann doch lieber ab ins Museum. Aber suum cuique gilt selbstredend auch hier.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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