Der Schock meines Lebens oder: André Rieu sen.

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl


    Eine solche Übertragung ist Unhistorisch und unsinnig. (wenn Mozart heute leben würde wäre er dann Mick Jagger oder Stockhausen? Beides ist wohl quatsch, oder?) Die Walzer sind zwar wohl seinerzeit schon als Unterhaltungsmusik zu werten, aber die Grenzen waren damals gerade erst im Entstehen (und außerdem kann man, was ich anderswo getan habe, dafür plädieren, dass Strauß in seinen gelungensten Stücken das Genre transzendiert) und sie waren eben aktueller Ausdruck der Zeit.


    Hallo Johannes,
    im Grunde hast Du Recht. unhistorisch sind solche Überlegungen zweifelsohne. Unsinnig? Na ja, vielleicht wenn man versucht, darin eine Rechfertigung für Herrn Rieus Tun zu finden. Das möchte ich aber nicht unbedingt. Ich möchte auch nicht die Musik der Firma Strauß GmbH & Co.KG, wie sie Stefan die Strauß Familie so treffend tituliert, grundsätzlich schlecht machen. Ich mag das Genre Walzer, mit Ausnahmen, grundsätzlich erst mal nicht besonders. Subjektiv! Ich ordne den Walzer der Unterhaltungsmusik zu, das ist richtig, das ist aber nicht der Grund warum ich ihn nicht sonderlich mag. Ich komme regelmäßig auf dem Neujahrskonzert in Ulm mit der Gattung Walzer in Kontakt. Wenn sie Suppé spielen geht mir das jedes Mal irgendwie rein. Wenn sie dann den 5ten Straußwalzer spielen beginne ich mich zu langweilen. „Suppé ist Kunst und Strauß ist Kitsch“, würde mir nie über die Lippen kommen. Von Strauß fühle ich mich aber allein schon durch die Neujahrskonzerte irgendwie überschwemmt. Und wenn ich den Ausführungen unseres ehemaligen Operndirektors Glauben schenken darf, dann war für mich die "Firma Strauß GmbH & Co.KG" eine Walzermaschinerie.


    So ein Straußwalzer für sich betrachtet kann auch für mich ein schönes Stück klassische Musik sein. Aber ich habe den Eindruck, dass hier ab einem bestimmten Zeitpunkt nur noch beharrlich an einem Erfolgskonzept festgehalten wurde. Ob nun aus kommerziellen Gründen oder um ein Publikum zu bedienen, dass einfach nicht mehr erwartet. Jedoch, egal ob bei Vater oder Söhnen, es war zeitgemäß! Was Rieu heute macht geschiet vielleicht aus einer ähnlichen motivation heraus, ist aber leider ein billiger Abklatsch. Wir brauchen somit nicht über Kunst oder Nichtkunst zu debattieren sondern nur darüber ob Rieu verfremdet oder ob er Zeitgemäß ins 21te JH überträgt und wenn, ob er das überhaupt darf. Was ist wichtiger, Pauls MAMA (Paul, sorry nochmal) glücklich zu machen oder verhindern, dass sich die Sträuße im Grabe herumdrehen.


    Liebe Grüße
    GalloNero

    ... da wurde mir wieder weit ums Herz ... (G. Mahler)

  • Gut gefallen hat mir der Beitrag von Alfred. Er bringt es auf den Punkt. André Rieu ist ein Entertainer; nicht mehr und nicht weniger. Alfred hat gut herausgearbeitet, wer Rieu hört und warum er ihn hört. Unabhängig von Bildungstand ist es derjenige, der bei "leichter Kost" die Alltagssorgen vergessen möchte.


    Sympthomatisch ist für mich in dieser Diskussion, dass all diejenigen an dieser Fragestellungen scheitern, die (so scheint es mir) keinen näheren Kontakt zu Menschen haben, die Rieu hören. Wer, wie Paul, seine kranke Mutter pflegt (dazu möchte ich am Rande sagen, dass ich dieses sehr großartig finde :jubel: ), die Rieu gerne hört, kann nachempfinden und auch erkennen, auch wenn er selbst diese Musik nicht mag, warum er so beliebt ist.


    Wenn Johannes Roehl unter anderem "...den verheerenden Einfluß des Privat("Unterschichten")fernsehens auf alle möglichen Gebiete (nicht zuletzt der[den] folgende[n] massive Niveauverlust des öffentlich-rechtlichen Fernsehens) ..." dafür verantwortlich macht, dass André Rieu so beliebt ist, dann muss ich ihm leider sagen, dass er irrt und vermutlich wenig über Menschen weiss, die dessen Walzermelodien so lieben.
    Nicht nur, dass die angestellte Vermutung sich überhaupt nicht mit den Marktforschungsergebnissen deckt, die das Segment volkstümliche Musik, Lotti, und Rieu etc. beleuchtet, sie stimmt auch nicht mit meinen (natürlich subjektiv empfundenen) Kenntnissen über Rieu-Fans überein. Ich kenne derer nämlich viele, sehr viele sogar und kann das gezeichnete Bild von Unterschichtsfernsehkonsumenten daher nur aufs deutlichste bestreiten.


    Gerade Rieu-Hörer zeichnen sich dadurch aus, dass sie vermeintliche "Trash-Formate" nicht konsumieren. Gerichtsshows, Krawalltalkshows und derbe Reality-Formate werden von ihnen fast durchgehend abgelehnt. Dies sind nämlich Formate, die das, was Rieu ihnen darbietet, nämlich das Abtauchen in "seichtes, warmes und entspannendes Gefilde" nicht im geringsten bietet.


    Da ich während meines Studiums in der ambulanten Pflege gearbeitet habe und sowohl alte, kranke, behinderte und psychisch kranke Menschen gepflegt und betreut habe, unter denen sich unzählige Rieuverehrer befinden, weiss ich aus eigener Anschauung, wovon ich spreche. Die Flucht aus dem "Ist" in ein "Ach, wenn doch" ist die große Gemeinsamkeit, die diese Menschen haben. Weder besteht ihre Gemeinsamkeit darin, dass sie ungebildet sind, noch darin, dass sie Arbeiter sind. Sie möchten einfach für 90 Minuten in eine andere Welt eintauchen. Was sie eint, sind oft Einsamkeit und Schmerzen.


    Ich kann sogar ein Beispiel anführen für jemanden, der sowohl klassische Musik, als auch Rieu hört. Meine Oma. Sie liebt Bach und Händel aber eben auch Rieu. Sie sieht und hört ihn, obwohl sie weiss, dass das, was er produziert, nicht im Entferntesten an die Qualität von klassischer Musik herankommt. Da sie auch heute noch Albtträume von Flucht und Vertreibung hat, hört und sieht sie gerne etwas vor dem Einschlafen, dass sie an die heiteren Tage Ihrer Jugend erinnert.


    Wer versucht, mit Hilfe seines Verstandes zu ergründen, warum Rieu gehört wird, wird zwangsläufig scheitern. Akademische Diskussionen können das Verstehen von Menschen nur ergänzen und nicht ersetzen.



    Ich finde André Rieus Musik furchtbar. Ich sehe seine Sendungen nicht und besitze keine CDs von ihm.
    Doch vielleicht wird sich dies einmal ändern, wenn ich alt, krank und einsam in einem Altenheim vor dem Fernseher sitze.


    Wer weiss das schon...


    Gute Nacht


    Mignon :hello:

    Maybe the nation has found peace from its sins... I. A. a. W.E.B. Du Bois

  • Zitat

    Original von Mignon
    Ich kann sogar ein Beispiel anführen für jemanden, der sowohl klassische Musik, als auch Rieu hört. Meine Oma. Sie liebt Bach und Händel aber eben auch Rieu. Sie sieht und hört ihn, obwohl sie weiss, dass das, was er produziert, nicht im Entferntesten an die Qualität von klassischer Musik herankommt. Da sie auch heute noch Albtträume von Flucht und Vertreibung hat, hört und sieht sie gerne etwas vor dem Einschlafen, dass sie an die heiteren Tage Ihrer Jugend erinnert.


    Liebe Mignon,


    Was Du da sagst, kann ich nur unterschreiben. Auch meine Mutter ist eine Liebhaberin von klassischer Musik.
    Auch sie hat sehr viel Elend erlebt. Vermutlich mehr als die meiste Menschen. Um nur drei der viele Punkte zu nennen:
    1. 1932, als sie auf einem Schif nach Holland fuhr. Indische Ozean. Ein Brand. 100 Menschen sind dabei gestorben. Die ganze Nacht sah meine Mutter das brennende Schiff und den Glut auf dem Wasser. Als 14-Jährige sah und hörte sie den Haien Menschen verschlingen.
    2. Welkrieg II. Da brauche ich nichts weiter mehr zu sagen.
    3. ± 1950-1955, als wir in Indonesien wohnten. Da wurden wir sehr oft beschossen. Meine jüngste Schwester wurde einmal getroffen, ebenso wie mein Stiefvater. Auch ich habe noch manchmal Alpträume, wenn ich mich eine schreckliche Nacht erinnere.


    Ich schrieb bereits "Nostalgie". Zurückgehen zu glücklicher Zeiten; Zeiten die wir nicht kennen und uns kaum vorstellen können.
    Wenn das dulden von Rieu den Preis ist um meine Mutter länger bei mir zu behalten, dann bezahle ich die (gerne).
    Und vermutlich wird eine Mehrheit der Menschen so denken. Gallos Beispiel mit dem Wein zeigt, daß jeder etwas aufbringen muß.


    LG, Paul

  • Sehen wir's doch einfach mal positiv!


    Wenn es nach jedem RIJÖH-Konzert 1, 2, 3 Leute gibt, die es zur ernsthaften Beschäftigung mit der Musik animiert hat, dann hat es doch auch sein Gutes. Und Menschen, die sich an solch (simpler, volkstümlicher?) Form klassischer Musik erfreuen, finden, denke ich, einen leichteren Zugang ins ernsthaftere Fach - sympathischer als umgkehrt.


    Übrigens hat die Wissenschaft festgestellt, daß zweifelsfrei klassische Musik die Intelligenz fördert. Musikunterricht hat deshalb einen (leider häufig vernachlässigten) hohen Stellenwert in der Schul- und Vorschulbildung. Tatsache ist, daß die klassische Musik weitaus mehr intelligentes, gebildetes Publikum (oder solche, die sich dafür halten) hat, als die anderen Sparten - vermutlich eben, weil sie den Intellekt anspricht und animiert. Ich verdamme keineswegs die anderen Sparten, aber den Unterschied muß man schon erkennen.


    Schlimm finde ich, im Sinne der Qualitätssicherung, daß sich heute jeder Schlagerfuzzi und Volksfestmusikant berufen fühlt, sich z. B. als Operettensänger zu demonstrieren. An sich ist das kein Problem, wenn jemand (etwa aus dem Musikantenstadl) Operettenmelodien trällert - schlimm ist, daß die dann noch denken und so tun, als wären sie langjährig studierten Sängern ebenbürtig.


    RIJÖH jedenfalls will nur unterhalten, ohne höheren Anspruch, aus Spaß an der Unterhaltung, der umfangreichen Publikumsresonanz - und natürlich auch wegen der damit verbundenen monetären Pfründe.


    Also, laß' mer ihm die Freud' :yes: und denk' mer uns unsern Teil. :baeh01:



    Ciao :angel: Principe

  • Zitat

    Original von der Lullist
    Ist das Kunst ? Nein natürlich nicht


    Bravo! :jubel: Ganz meine Meinung. :D

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Ach, das muss man pragmatischer sehen.


    Kunst ist eine Art sich vom Elend seines ungewollten Daseins abzulenken.
    Dann zählt auch Kitsch dazu. Natürlich nicht für alle :beatnik:


    P.S. ich habe keinen Depri!


    :hello:
    Wulf.

  • Zitat

    Original von Wulf
    Ach, das muss man pragmatischer sehen.


    Kunst ist eine Art sich vom Elend seines ungewollten Daseins abzulenken.
    Dann zählt auch Kitsch dazu. Natürlich nicht für alle :beatnik:


    P.S. ich habe keinen Depri!


    Aber zuviele (französische) Bücher, die vor ca. 40-50 Jahren mal en vogue waren, gelesen? ;)


    (Es gibt immer irgendeine Perspektive, unter der unterschiedliche Dinge gleich sind...man muß nur ausreichend ungenau hinschauen)


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Lieber Johannes,


    nicht gleich, aber gleich in der Wirkung, von seinem Elend abzulenken ;)


    Was für französische Bücher? Ich kann gar kein Französisch. :baeh01:


    LG
    Wulf.

  • Zitat

    Original von musicophil
    Hey Wulf,


    Was bist Du wieder nett. Du meinst in diesem Falle nur mahlen und nicht Musik, was?


    LG, Paul


    Lieber Paul,


    ob mahlen eine Tätigkeit, die einem angenehme Abwechslung bringt, ich weiß nicht.
    Wenn dann meine ich schon eher malen :baeh01: .


    Ich beziehe das auch gerne auf die Musik - jedem das Seine (und mir das Meiste) :beatnik:


    :hello:
    Wulf.

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  • Zitat

    Original von Wulf
    Lieber Paul,


    ob mahlen eine Tätigkeit, die einem angenehme Abwechslung bringt, ich weiß nicht.
    Wenn dann meine ich schon eher malen :baeh01: .


    Hallo Wulf,


    ich schlage mich einfach mal auf die Seite von Paul: Nein, Paul hat keinen Fehler gemacht, als er mahlen schrieb. Es hat nichts mit einem Versehen zu tun oder mit dem Umstand, dass er Deutsch als Fremdsprache beherrscht. Nein, er hat sich anders verschrieben; es muss heißen mahlen und Musik. Denn welcher Maler macht schon Musik wie Mahler :baeh01:


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

  • Ach Stefan,


    Ich bekomme von Wulf eine Menge PNs.
    (Fast) immer beginnen sie mit "Lieber Paul". Und wenn ich das Lesen beendet habe, habe ich oft das Gefühl einen Dolchstoß bekommen zu haben. :D
    So ist Wulf, und ich warte auf dem Moment, daß ich mit einem Schwert ihn kopflos machen kan. :baeh01:
    Wir kennen uns; er ist ein anerkannter "agent provocateur". :D


    LG, Paul

  • Zitat

    Original von musicophil


    Wir kennen uns; er ist ein anerkannter "agent provocateur". :D


    Hallo Paul,


    Das hab ich damals auch mitbekommen, da warst Du aber der Schelm :hahahaha:


    LG,
    Stefan

    Viva la libertà!

  • Sein Unterhaltungs-Imperium ist beeindruckend, seine CD-Verkäufe selbst für leichte Klassik exorbitant. Dennoch schreibt der populäre Geiger und Orchesterleiter André Rieu offenbar rote Zahlen. Wie man hört, hat seine Firma 2008 einen Verlust von 14 Millionen Euro eingefahren.


    Rieus Firmengeflecht umfasst rd. zehn Unternehmen. Verluste entstanden unter anderem durch die Rekonstruktion eines Dornröschen-Schlosses und Fehlinvestitionen in die Büheninfrastruktur.


    Das Fortbestehen der Unternehmen hänge nun vom Goodwill der Banken ab, nachdem Rieu bereits seine Stradivari als Sicherheit und seine Immobilien mit Hypotheken belastet habe, heißt es in informierten Kreisen.


    (Quelle: cf)


    LG


    :pfeif: :pfeif: :pfeif:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Hallo,


    ich mag Holländer, besonders Fußballspieler, Fußballtrainer und holländische Tenöre. Aber Rieu - muss das sein.


    Für mich klingt das so, als wenn Roy Black das Wolgalied singt, das hat NDR I auch gesendet. Ich habe abgeschaltet.


    Gruß aus Burgdorf


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


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