• Hallo,


    ich habe eben mal einen Blick auf meine Opern-CDs (entschuldigung, Musikdramen-CDs), also meine Wagner-Aufnahmen geworfen. Und da ist mir aufgefallen, dass mir ein Name recht häufig begegnet, der sich hier in den Sängerportraits (so weit ich das gesehen habe) aber überhaupt nicht findet: René Kollo.


    Das wird natürlich an sich schon eine Wertung sein. Aber ich frage trotzdem mal: Was haltet Ihr von René Kollo?


    So wie ich es sehe, hat er es immerhin auf einige Aufnahmen von Wagners Werken geschafft, die, wenn nicht Referenz-Status, so doch einen guten Ruf haben (Karajans Meistersinger mit den Dresdnern, Kleibers Tristan als Beispiele).
    Wie konnte das passieren? Ich muss gestehen, dass er mich nicht immer überzeugt hat - und ich werde mich jetzt und in den nächsten Tagen mal daran machen, noch mal nachzuhören. Zuletzt habe ich seinem Tristan gelauscht - und fand ihn zu häufig irgendwie atemlos und an den Grenzen seiner Ausdruckskraft.


    Aber vielleicht könnt ihr das etwas profunder schildern.


    :hello:


    Gruß, l.

    "Jein".

    Fettes Brot

  • Das Problem ist, dass Kollo nicht wirklich ein schwerer Heldentenor ist. So wirken seine Rollenporträts mitunter zu leichtgewichtig....


    Sehr positiv sind sein Stolzing in den "Meistersingern" (unter Karajan / EMI), sein "Lohengrin" (unter Karajan / EMI) und sein "Parsifal" (unter Kegel / Berlin Classics) zu bewerten.



    Herzliche Grüße
    von LT :hello:

  • Hallo Lohengrins,


    bei mir scheint der Name Kollo auch oft auf. Wenn du einen besseren Tristan von ihm hören möchtest, kann ich dir unbedingt Ponnelles wunderschöne Bayreuther Tristan-Inszenierung empfehlen. Ich hab's auf Video und hoffe, dass es mittlerweile auch DVDs davon gibt. Er ist 1983 aufgenommen, Dirigent Daniel Barenboim.


    Leider habe ich Kollo auf der Bühne nie recht gut erlebt. Das große Tremolo hat mich als Klassik-Anfänger sogar mal fasziniert, aber mittlerweile höre ich das natürlich nicht mehr gerne. Ich habe zuletzt nicht verstanden, wieso ihm so applaudiert wurde, wo er doch gar nicht gut war, vor allem mit der Höhe. Auf der Bühne fand ich ihn auch schwerfällig, altmodisch. Es tut mir leid, dass ich hier so negativ schreibe. Von den Schallplatten her war ich Kollo-Fan, live war ich immer enttäuscht, entweder weil's nicht gut war oder weil er absagte. Er hat ja noch vor wenigen Jahren oft in Berlin gesungen, noch dazu Tristan. Aber seine alten Aufnahmen sind toll. Am besten gefällt er mir in folgenden:


    Freischütz (Kubelik)
    Parsifal (Solti, und vor allem Kegel)
    Tannhäuser (Solti)
    Lohengrin (Karajan)
    Meistersinger (Karajan)
    Ariadne auf Naxos (Solti-CDs, und Böhm-Video)
    Die tote Stadt (Leinsdorf)
    Tristan (Bayreuth-Video mit Barenboim)
    Beethovens Neunte (Wiener Staatsoper, Bernstein)
    Das Lied von der Erde (in Israel, Bernstein, Christa Ludwig) - das Video ist fantastisch!


    Und dann habe ich ihn auch noch in einigen Aufnahmen, wo er mir stimmlich aber nicht (mehr) so gut gefällt:


    Ring (Janowski)
    Tristan (Kleibers Studioaufnahme)
    Tristan (DVD, mit Jiri Kout, G. Jones als Isolde)
    Tannäuser (DVD, Mehta, mit W. Meier als Venus)
    Die Frau ohne Schatten (Sawallischs hervorragende Aufnahme)
    Rienzi (Hollreiser)
    Winterreise (brrrrr ! )


    Kennt jemand den Pariser Mitschnitt der "Frau ohne Schatten" mit Dohnany, Behrens, G. Jones?

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Hallo lohengrins,


    zu den empfehlenswerten Kollo-Aufnahmen (von denen es in der Tat nicht allzu viele gibt) zähle ich auch noch den Solti-"Tannhäuser" bei DECCA. Auch wenn die Partie für die nicht allzu große, weißlich-unsinnlich timbrierte Stimme sicher grenzwertig ist, zieht er sich hier doch nicht nur aus der Affäre. Zumindest weiß er, was er singt (im Gegensatz zu Domingo, der sicher die weitaus schönere Stimme besitzt). Als "Tristan" sollte man ihn am besten in der Ponnelle-Inszenierung aus Bayreuth unter Barenboim hören, da verhindert der gnädige Schallschutz über dem Orchestergraben, dass er von den Klangwogen verschlungen wird.


    Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Hallo,


    ich weiß,daß Kollo ein berühmter Sänger war.


    Warum er ein berühmter Sänger war?


    Das weiß ich nicht.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

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  • Wenn ich mir seine frühen Aufnahmen und frühe Videos anschaue, dann weiß ich es. Ich finde, er hatte eine schöne charakteristische Stimme, eine gute Technik und war hochmusikalisch. Aber er dürfte seiner Stimme auch zuviel zugemutet haben.

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Rene Kollo habe ich nur einmal, vor ungefähr 20 Jahren, live erleben dürfen: In den Meistersingern. Da hat er auf mich einen großen Eindruck gemacht.


    Die Meistersinger und Kollo - das passte.


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Kollo hat offensichtlich seine HOCH-zeit schon deutlich hinter sich gelassen. 2005 und 2006 trat er u. a. bei den Elblandfestspielen auf, anscheinend um seiner mitreisenden Tochter etwas von seinem alten Glanz zu verleihen.


    Nein, er selbst ist wirklich kein Highlight mehr! Er brummt, gurgelt und knödelt sich zur tenoralen Karikatur. Und das kecke, optisch reizvolle (aber wenig damenhafte) Töchterlein taugt wohl auch mehr für Opas und Großonkels volkstümliche Melodien, als für wirklich Anspruchsvolles.



    Ciao :untertauch: Principe

  • Nathalie Kollo?


    Zitat

    "Ich singe alles, was meine Eltern nicht singen"


    "http://www.morgenpost.de/content/2004/06/27/berlinboulevard/687162.html
    "http://www.mdr.de/hier-ab-vier/promiadressen/843806.html
    ..........................................


    [zitat]...Zwar neigt der US-Amerikaner Robert Dean Smith beim Forcieren zu metallischer Schärfe, zu Kälte, auch zur Kraftmeierei. Aber das nimmt gerne in Kauf, ... Überhaupt singt dieser Tenor weitestgehend das, was in den Noten steht. Was man beispielsweise von René Kollo in dieser Partie kaum je behaupten konnte. ...


    Peter Korfmacher - Kulturressortleiter LVZ - 2005[/zitat]
    "http://www.lvz-online.de/download/dokus/06_07_24_Tristan%20(1).pdf


    [zitat]Bayreuth 1981 - René Kollo als umjubelter Tristan
    ... Daniel Barenboim debütierte als Dirigent in Bayreuth mit einer lyrischen, kammermusikalischen Interpretation, die manch einem nicht dramatisch genug klang. Rene Kollo war ein umjubelter Tristan. ...
    FAZ[/zitat]


    [zitat]Genießen Sie einen der größten Sänger unseres Jahrhunderts!
    Wenige Künstler der Gegenwart können auf eine derartige stilistische Bandbreite zurückblicken wie der Startenor René Kollo. Sein Ruf eilt ihm zu Recht voraus - geschmackvoll und stilsicher interpretiert er die unterschiedlichste Kompositionen. Seit seinem Durchbruch bei den Bayreuther Festspielen gilt René Kollo als „bester Wagner-Tenor der Welt“. Vor allem in „Tristan und Isolde“ begeistert Kollo sein Publikum von London bis Paris, ja sogar bis in die USA. Nach mehr als einem halben Jahrhundert ständiger Bühnenpräsenz zählt er immer noch zu den populärsten Interpreten seines Fachs. Denn kaum einer versteht es, seine faszinierende Stimme mit solcher Samtheit zum Ausdruck zu bringen wie René Kollo.
    Rene Kollo - CD: Seine Lieder seine Zeit[/zitat]


    .........................................
    [zitat]...ja sogar bis in die USA.[/zitat]
    Sind die USA was besonderes?
    .........................................


    Und er singt noch: "http://www.bubu-concerts.de/kollo/kollo.htm

  • Hallo Melot,


    vielen Dank für Deine Anmerkungen. Da ich gerade in einer schweren Tristan-Phase bin - dies also mit einer gewissen Hartnäckigkeit höre, bin ich für Deinen Tipp sehr dankbar.


    Zitat

    Original von Melot1967
    ...
    bei mir scheint der Name Kollo auch oft auf. Wenn du einen besseren Tristan von ihm hören möchtest, kann ich dir unbedingt Ponnelles wunderschöne Bayreuther Tristan-Inszenierung empfehlen. Ich hab's auf Video und hoffe, dass es mittlerweile auch DVDs davon gibt. Er ist 1983 aufgenommen, Dirigent Daniel Barenboim.
    ...


    Und wenn ich mich wieder anderem zuwende, dann werde ich auf jeden Fall den Solti-Tannhäuser anhören. Danke für den Tipp, Giselher.


    Ich mochte Kollo eigentlich immer recht gern, weil er mir sehr flexibel, schnell und nicht so pathos-dröhnend daherkam wie manch anderer Wagner-Tenor. Dass er nicht den klassischen Anforderungen des Heldentenors entsprach, war mir - namentlich zum Wagner-Einstieg - durchaus lieb. Nur eben der Kleiber-Tristan, da war ich doch ziemlich enttäuscht (und wenn ich das richtig gehört habe, Kleiber selbst auch).


    Noch mal allen Dank für Anregungen und Tipps.


    :hello:


    Gruß, l.

    "Jein".

    Fettes Brot

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  • Hallo Lohengrins
    meinnt Du mit flexibel und schnell daherkommend einen
    körperlich,sportlichen Gestus? Das musikalische Tempo bestimmt
    ja meistens der Dirigent.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Hallo Lohengrins!


    Du sprichst mir aus der Seele!


    Übrigens: Kollo selbst haßt den Kleiber-"Tristan". Die Techniker der DG haben versucht, die Möglichkeiten der relativ neuen Digitaltechnik voll auszuschöpfen und haben diverse Tricks mit den Stimmen gemacht. Was dabei herausgekommen ist: Eine Aufnahme, die den Klang der Stimmen teilweise völlig verfälscht. Kollo sagte einmal überspitzt, er würde im 3. Akt seine Stimme selbst nicht erkennen.
    Soviel dazu.


    Nun zu meiner Bewertung Kollos.
    Er konnte faszinierend sein und jämmerlich leider auch. Beides habe ich live erlebt. In der Regel sagte er 50 Prozent der Aufführungen, für die er angesetzt war, ab; und in 50 Prozent der Aufführungen, die er sang, ließ er sich als indisponiert ansagen.
    Ich denke, das war eher eine Nerven- als eine Stimm-Sache. Zumal ich erlebte, daß er einen hypernervösen 1. Akt "Tristan" gesungen hatte, sich vor dem 2. Akt ansagen ließ - und einen hinreißenden 2. und 3. Akt lieferte.


    Kollo hat so polarisiert wie nur wenige Sänger seiner Generation. Wer ihn prinzipiell ablehnt(e), führte schnell die "zu kleinen" Stimme ins Treffen - und obendrein Kollos Schlager- und Operettenvergangenheit. Zu letzterer: Na und?


    Aber es stimmt auch die "zu kleine" Stimme nicht wirklich. Kollo konnte mühelos ein Orchester übersingen - und zwar nicht nur in der Bayreuther Schon-Akustik, sondern auch in der Wiener Staatsoper, wo ihm Dirigenten wie Peter Schneider und Horst Stein gewaltige Klangmassen entgegenschleuderten, ohne ihn in Bedrängnis zu bringen. Ich habe an diesem Haus gestandene Heldentenöre eingehen gehört: King, Thomas, Beirer u.a. Durchgehalten haben immer Kollo (auch, wenn er "angesagt" war) und Wenkoff. Sonst eigentlich niemand.


    Weshalb ich Kollo mochte, war folgendes: Er war etwas wie ein "Gegenentwurf" zum herkömmlichen Heldentenor. Statt eines relativ undifferenzierten Gebrülls hörte man einen Sänger mit schlanker Stimme, der den Ausdruck fein differenzierte. Das "Siegfried"-"Waldweben" etwa konnte er singen fast wie ein Schubert-Lied, "Siegfrieds Tod" bekam bei ihm einen erschütternden Ausdruck, bei dem es nicht mehr um die Töne selbst ging, sondern um den durch sie vermittelten Inhalt. Auch als Tristan war Kollo einzigartig, übertroffen nur von Spas Wenkoff, der die Rolle mit mehr Leidenschaft erfüllte, während Kollo zurückhaltender agierte.
    Vor allem aber war Kollo ein Sänger, der es mit den Noten genau nahm (die oben stehende gegenteilige Kritik ist mir unverständlich, vielleicht sollte der Autor dieser Worte einmal mit einem Klavierauszug oder einer Partitur in der Hand überprüfen, was denn ein Beirer und ein Lorenz so alles gesungen haben, von Treptow und Co. nicht zu reden).
    Kurz: Kollo war für mich nicht der Inbegriff des Heldentenors, sondern des flexiblen modernen Sängers, der sein Material ausdrucksspezifisch disponierte.


    Leider, und das gehört zu der Geschichte dazu, ist auch Kollo einer jener Sänger, die nicht abtreten können sondern weitermachen, bis sie nur noch eine Karikatur ihrer selbst sind. Man braucht sich nur die grauenhafte "Winterreise" anhören um zu wissen, was los ist. Und die Rettung in die Operette und das Musical klappt mit einer so kaputten Stimme natürlich auch nicht mehr.


    Ich behalte Kollo aber lieber in jenen Rollen im Gedächtnis, in denen er mich wirklich faszinierte: Siegfried, Stolzing, Parsifal, Tristan, Peter Grimes, Paul ("Tote Stadt"), Laca ("Jenufa"), "Lied von der Erde".


    :hello:

    ...

  • kurze Zwischenfrage:


    Was bedeutet in diesem Zusammenhang, daß ein Sänger "angesagt" wird?
    Ist das so, wie angezählt beim Boxen?

  • Es ist fast wie beim Boxen. :D
    Wenn sich der Sänger nicht wohl fühlt, tritt ein Angehöriger des Opernhauses vor den Vorhang und informiert das Publikum, der Sänger xy sei indisponiert, habe sich aber bereit erklärt, die Rolle ungeachtet dessen zu singen.
    Soll heißen: Liebes Publikum, der xy singt heute so wie sonst auch, hätte es aber gerne, wenn er dafür nicht schon wieder ausgebuht wird.
    :untertauch:

    ...

  • Hallo Edwin,
    ein Sänger,der seine geringe Resonanz durch forcieren ersetzen muß,
    um eine gewisse Lautheit zu erreichen,der sich auf fast jeden
    etwas höheren Ton raufschrauben muß(z.B......vom Himmel eine Taube),der eine minimale Dynamik hat,der eine "weiße" Stimme hat.
    Das ist also ein moderner Sänger?Da bleibe ich lieber bei den nicht modernen Sängern.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

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  • Hallo Edwin,


    in Sachen "Kollo" werden wir uns zwar wohl nie einig werden, aber ich versuch´s trotzdem noch mal :baeh01: :


    Zunächst will ich Dir gern konzedieren, dass Kollo ein sehr reflektierter und intelligenter Sänger ist (mit einem allerdings manchmal doch etwas übertrieben großen Selbstbewußtsein). Und seine Schlager- und Operettenvergangenheit ist für mich kein Negativum (die wahrlich große Kirsten Flagstad ist auch jahrelang mit kleinen Operettenpartien übers Land getingelt, bevor sie entdeckt wurde). Innerhalb der ihm von der Natur gesetzten recht engen Grenzen hat er das ihm Mögliche aus der Stimme herausgeholt. Bei Aufbietung seiner Kräfte konnte er in den Spitzentönen dank der schneidenden Intensität der Stimme (sie saß gut "in der Maske") durch das Orchester durchdringen.


    Allerdings fehlten ihm jenseits dieser Tugenden die wesentlichen stimmlichen Voraussetzungen, um etwa die schweren Heldentenorpartien Wagners mit musikalischen Mitteln hinreichend auszufüllen. Sicher, er bringt viel an Ausdruck zustande. Aber dies eben vor allem durch naturalistische Methoden wie Flüstern, Sprechen, manchmal auch Schreien, Methoden, die Du selbst zu Recht an den veristisch geprägten Sängern kritisiert hast. Dass er eine substanzarme voce bianca besitzt, ist nicht seine Schuld, die ist ihm nun einmal in die Wiege gelegt worden. Aber das ist eben der Grund dafür, dass er nicht durch das Changieren der Stimmfarbe eine Partie gestalten konnte, sondern dafür auf außermusikalische, realistische Gestaltungsmittel zurückgreifen musste. Oder, um Deine Formulierung abzuwandeln: ein flexibler moderner Sänger, dessen spezifischer Ausdruck durch sein Material disponiert wurde. Aber das hat eben nichts mehr mit einer sängerischen Gestaltung und auch nichts mehr mit den Noten der Partitur zu tun. Dass er überall von New York über Wien, München bis Tokyo die Wagnerschen Heldentenorpartien gesungen hat, beweist noch nicht die Eignung Kollos. Er war eben als Einäugiger unter den Blinden der "Wagnerkönig" der 70er und 80er.


    Viele Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Zitat

    Holger Grintz schrieb:
    Was bedeutet in diesem Zusammenhang, daß ein Sänger "angesagt" wird? Ist das so, wie angezählt beim Boxen?


    Zitat

    Edwin Baumgartner schrieb daraufhin:
    Es ist fast wie beim Boxen. Wenn sich der Sänger nicht wohl fühlt, tritt ein Angehöriger des Opernhauses vor den Vorhang und informiert das Publikum, der Sänger xy sei indisponiert, habe sich aber bereit erklärt, die Rolle ungeachtet dessen zu singen.
    Soll heißen: Liebes Publikum, der xy singt heute so wie sonst auch, hätte es aber gerne, wenn er dafür nicht schon wieder ausgebuht wird.


    Hallo Ihr Beiden,


    das hat mir jetzt echt diesen tristen Nachmittag versüßt - danke dafür :hahahaha::hello:


    Aber mal von Wagner abgesehen - ich kenne Herrn Kollo vor allem aus folgender Aufnahme aus dem Jahr 1977 (die hier noch gar nicht erwähnt wurde):



    Und ich muss sagen - da gefällt er mir als Florestan eigentlich sehr gut: Schlanke Stimme, gar nicht angestrengt klingend, sehr angenehm anzuhören und gerade im Duett mit Gundula Janowitz eine tolle Kombination :yes:


    Davon abgesehen:
    Ich glaube, Herr Kollo polarisiert aufgrund seiner Ausflüge ins "seichtere Repertoire" aus heutiger Sicht mindestens genauso, wie Anneliese Rothenberger, Rudolf Schock oder (wenn auch mit größeren Abstrichen, weil seltener der Fall gewesen) Hermann Prey.
    Irgendwie habe ich bei einer Beurteilung dieser SängerInnen immer auch deren teilweise wirklich gruseligen "Abwege" im Ohr (und vor Augen natürlich) - und damit tut man ihnen eigentlich ziemlich Unrecht...

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Kollo habe ich in etlichen Rollen gehört, vor allem mit Wagner. Wirklich glücklich war ich selten mit ihm, aber mit Ersatz sah es eben oft schwierig aus. Aber an einen tollen Abend erinnere ich mich doch: eine Aufführung von "Peter Grimes", bei dem er sich wirklich engagiert in die Rolle hineinwarf und auch die angesprochenen stimmlichen Schwächen nicht mehr ins Gewicht fielen. In solchen Patien konnte er in der Tat Überdurchschnittliches leisten...

  • Hallo,


    wie ich schon anderswo geschrieben habe, habe ich Herrn Kollo in zwei Rollen live erlebt. Sein Tristan war gut bis sehr gut, ungemein beeindruckend die Selbstverleugnung, mit der er sich in das Delirium des 3. Aktes gestürzt hat (für mich ohnehin ein Wunder, wie lange er derartiges Singen durchgestanden hat!). Kein Vergleich und fast wunschlos beglückend hingegen sein Stolzing, an dem ich vor nun rund 30 Jahren nichts auszusetzen fand. Eine tolle Leistung.


    Noch früher hat er einiges an Operette gesungen, und ich meine, dass der lyrische Operettentenor eigentlich die Bestimmung für seine Stimme war. Er hatte eine wunderbar weiche lyrische Tenorstimme mit großen Reserven für die dramatischen Momente. Wenn um 1970 irgendein Bedarf für einen Richard Tauber der Neuzeit bestanden hätte, wäre es zwangsläufig René Kollo geworden. Da es diesen Bedarf aber nicht gab, während die Wagner-Tenöre fast alle abgetreten waren, orientierte er sich am Angebot und schraubte seine Stimme auf Wagner-Dimensionen hinauf. Da er das Glück eines recht robusten Organs hatte, konnte er diese Rolle auch sehr lange ausfüllen. Seine nicht zu leugnende sängerische Intelligenz erlaubte es ihm, auch dann noch recht interessante Rollenporträts zu liefern, als die Stimme schon unüberhörbar gelitten hatte.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hallo Giselher,

    Zitat

    Aber dies eben vor allem durch naturalistische Methoden wie Flüstern, Sprechen, manchmal auch Schreien, Methoden, die Du selbst zu Recht an den veristisch geprägten Sängern kritisiert hast.


    Methoden, deren Dauereinsatz ich kritisiere.


    Womit auch ich einen weiteren Versuch mache, Dir zu erklären, warum Kollo für mich ein sogar ganz ausgezeichneter Sänger war.
    Es ist meine unumstößliche Meinung: Mir ist völlig egal, ob ein Sänger eine "weiße Stimme" hat, ein dunkles Fundament oder was man sonst von Heldentenören verlangt oder an ihnen ablehnt. Mir ist ehrlich gestanden auch nicht so wichtig, ob er bei den Schmiedeliedern jeden hohen Ton mit Perfektion trifft. Ich gehe ja nicht wegen ein paar Spitzentönen in den "Siegfried".
    Mich interessiert, ob ein Sänger seine Rolle gestalten kann. Dazu gehört mehr, als die Schmelz- und Schmiedelieder herunterzubrüllen oder "Wähääääääääääääääääääääää-lse" zu rufen, daß es geradezu zur Karikatur wird. Solche Zurschaustellung vokaler Fähigkeiten hat IMO nichts mit Wagner zu tun. Bei Wagner steht für mich nicht die vokale Qualität im Mittelpunkt, sondern ob ein Sänger seiner Rolle gerecht wird. Das hat Kollo für mich in einem wirklich erfreulichen Ausmaß geschafft.


    Es mag sogar sein, daß er sich seiner stimmlichen Mankos bewußt war und daraus einen vokalen Stil entwickelt hat, der für mich die hohe Schule der Differenzierungskunst in Wagnerrollen war. Bei Kollo steigerten sich die "Tristan"-Fiebermonologe nicht nur an Lautstärke (so wie beispielsweise bei Treptow in der Kna-Aufnahme), sondern auch an Intensität, die Kollo dadurch erzielte, daß die Bandbreite der vokalen Möglichkeiten, überspitzt: die Schere zwischen Flüstern und Schrei, immer größer wurde. Kollo hat damit in der Wiener Staatsoper sogar Skeptiker überzeugt: Derart exzessives Singen ist auch an diesem Haus nicht der Alltag.


    Theophilus' Formulierung "lyrischer Tenor mit großen Reserven für dramatische Momente" finde ich sehr treffend - und genau das kommt meinem Verständnis der Wagnerrollen auch am ehesten entgegen: Lyrisches Singen, das sich zu großen dramatischen Höhepunkten aufstaut. Aber kein durchgänges Schreien in verschiedenen Stimmlagen. Kollo war einer von jenen Tenören, die vielleicht wirklich aus der Not eine Tugend machten - und damit das Bild vom lauten, üppigen und schwerfälligen Wagner positiv veränderten.


    Wenn ich mir anhöre, wie früher von Tenören Wagner gesungen wurde (auch von Sängern, die großes Differenzierungsvermögen hatten, etwa Set Svanholm) und wie Wagner jetzt von Tenören gesungen wird, sehne ich, ehrlich gesagt, die große Vergangenheit der großen Heldentenöre wirklich nicht herbei.


    :hello:

    ...

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  • Hallo Edwin,


    dann können wir unsere ästhetischen Differenzen den Wagnergesang betreffend folgendermaßen zusammenfassen:


    Du präferierst eher schlanke, "lyrische" Stimmen ín Wagners Heldentenorpartien, wobei Dir stimmliche Unzulänglichkeiten solange nichts ausmachen, wie der Charakter der Rolle zutreffend gestaltet wird. Die hierzu vom Sänger verwendeten Mittel müssen nicht rein musikalischer Art sein, sie können auch, wenn auch nicht hauptsächlich, aus dem Bereich naturalistischer, realistischer Darstellung inklusive Sprechen, Flüstern, Schreien stammen. Exzessives, also über sängerische Grenzen hinausgehendes Singen gilt Dir als vorbildhaft.


    Ich bevorzuge dagegen eher baritonal fundierte, gewichtige Stimmen in den schweren Wagner-Partien, die mir der stimmlichen Umsetzung des im Notentext Geforderten keine Schwierigkeiten haben, sondern soviel "Reserve" besitzen, dass sie sich ganz auf die Gestaltung der Rolle konzentrieren können, ohne durch technische Hindernisse beeinträchtigt zu werden. Dabei kommt es mir ebenso auf eine differenzierte Gestaltung wie Dir, nur dass ich eine Darstellung mit außermusikalischen Mitteln grundsätzlich ablehne und nur eine mit inhärent musikalischen Mitteln gutheiße.


    Viele Grüße :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Hallo Giselher,
    das ist auch meine Meinung,die Musik sollte nicht durch
    naturalistische Effekte,die mangels gesangstechnischer
    Möglichkeiten entstehen ,vernachlässigt werden.
    Es wurde auch schon bei Gerhard Stolze kritisiert,daß
    Partien wie Mime oder Herodes sehr von der musikalischen
    Linie abwichen.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Hallo Giselher,
    Du bringst es ziemlich genau auf den Punkt. Ich würde nur nicht sagen, daß mir exzessives Singen ideal erscheint, sondern expressives Singen, in dessen Rahmen die eigentliche Qualität der Stimme für mich peripher ist.
    Der Unterschied zum exzessiven Singen besteht für mich darin, daß beim expressiven Singen diese Facetten der vokalen Ausdrucksmöglichkeiten nicht als Selbstzweck eingesetzt werden, sondern, ganz im Gegenteil, einer genauen Rollendisposition unterliegen.


    Dabei kann ich der "klassischen" Gestaltung einer Wagner-Rolle durchaus auch etwas abgewinnen: Der Klang eines Tenors mit baritonalem Fundament ist auch für mich nicht ohne Reiz.
    Mein Problem besteht nur darin, daß nahezu alle Sänger, die mit diesen Stimmen begabt waren, auf mich den Eindruck eines relativ eindimensionalen Singens machen, d.h., daß sie als nahezu einzige Differenzierungsmöglichkeiten die Dynamik verwenden und kaum von den Möglichkeiten der Stimmfärbung und der Aussprache Gebrauch machen. Selbst Svanholm erscheint mir gegen die Wagner-Tenöre von heute oder der jüngsten Vergangenheit relativ eindimensional.


    Und genau das ist der Punkt, wo Du und ich einen offenbar unterschiedlichen Ansatz haben: Für mich steht das Werk und die Idee hinter dem Werk höher als die Stimmfärbung, mit der das Werk ausgeführt wird.
    Soll heißen: Du hast recht, ich akzeptiere in den Wagner-Tenorrollen mit Freude einen Sänger, dessen Stimme nicht in der Linie Melchior-Lorenz-etc. steht, wenn mir dieser Sänger seine Rolle innerhalb des Werkes vermitteln kann. Also lieber ein Sänger mit guter Rollengestaltung und schwächerer Stimme als ein Sänger mit idealem Heldentenor und schwacher Rollengestaltung.


    Oder, um es mit Namen zu belegen: Lieber Sandor Konyas Parsifal als der von James King (Boulez-Aufnahme - da kommt King mit Boulez' Interpretation nicht zurecht); aber lieber René Kollos Parsifal (als ideale Ergänzung zu Kegels Dirigat) als der von Sandor Konya.
    Du siehst: Es geht mir gerade bei Wagner mehr um die Gesamtwirkung eines Konzepts, nicht um einzelne vokale Leistungen. Und dieses Einfügen in ein Konzept bezeichne ich z.B. als jene Wendigkeit, über die Kollo verfügte.
    Und wenn es ihm nicht passte, dann probierte er es aus, ob er sich damit anfreunden könne - und wenn nicht, dann ging er eben (z.B. Chéreau-"Ring"). Auch das halte ich für durchaus imponierend.


    :hello:

    ...

  • Hallo Edwin,


    um eventuellen Mißverständnissen Deinerseits zu begegnen: mir geht es nicht um das bloße Zurschaustellen von vokaler Pracht als Selbstzweck. Das mag bei manch anderem Komponisten genügen, bei Wagner hingegen wäre das eine völlige Themenverfehlung. Nein, mir geht es darum, dass die Heldentenorpartien Wagners höchst expressiv mit rein stimmlichen Mitteln dargestellt werden können, ohne zu naturalistischem Ausdruck Zuflucht nehmen zu müssen. Lauritz Melchior hat in seinen besten Aufnahmen Mitte der 20er bis Mitte der 30er Jahre (zugegebenermaßen) fast unerreichbare Maßstäbe gesetzt, sowohl im Hinblick auf Klangentfaltung und -schönheit als auch in expressiver Hinsicht. Wie er beispielsweise bei "Brünnhilde, heilige Braut!" nicht nur dynamisch fein abstuft, sondern auch die Stimme schmerzlich einfärbt, fast stockend die Erinnerung wiederkehrt und beim Wiedererleben von Brünnhildes Erweckung die Stimme in alter Begeisterung aufstrahlt wie die Sonne, die durch die Wolken bricht. Oder die "Romerzählung" aus Tannhäuser, wo die Stationen der Pilgerfahrt mit den entsprechenden vokalen Stimmungen nachvollzogen werden. Die Stimme ist mal verzweifelt, dann hoffnungsvoll, exstatisch ("Da jauchzt es auf!"), flehend, streng und entsetzt - und das alles mit den rein musikalischen Mitteln einer gesunden Stimme. Der Sinn des Gesungenen teilt sich schon im Klang mit und muß nicht erst durch das Wort "erklärt" werden. Kollo standen solchen Mittel auch nicht einmal im Ansatz zur Verfügung, insofern ist der Vergleich ein wenig unfair. Aber weil Kollo eben eine farbarme Stimme besitzt, stehen ihm diese stimmlichen Valeurs nicht zur Verfügung und deshalb muss er auf außermusikalische Mittel ausweichen, faute de mieux.


    Wenn ich mir - wie jetzt wieder anläßlich der Bayreuther Festspiele - das durchschnittliche Niveau des dortigen Wagnertenorgesangs vor Ohren führe, kann ich beim besten Willen keinen "Fortschritt" erkennen. Da laden sich Steuermannstenöre Partien auf, denen sie schlicht nicht gewachsen sind. Das Resultat sind defizitäre, kranke Töne ohne jegliche Expressivität. Es gibt natürlich bessere Rollenvertreter wie West, Heppner, Franz, Botha und Seiffert, aber auch da muss man entweder hinsichtlich Stimmschönheit oder Expressivität Abstiche machen. Beides zusammen ist heute wohl nicht zu haben.


    Grüße


    GiselherHH



    P.S. Das große Vorbild René Kollos war - Max Lorenz

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Bei Kollo kann ich schon oft ins Schwärmen geraten. Ich glaube nicht, dass es viele (von den bekannten Sängern) gibt, die nach ihm die Partie des Bacchus besser gesungen haben. Vielleicht noch Thomas Moser oder der Heldentenor Ben Heppner.


    Diese Aufnahme (1979) hier habe ich vor langer Zeit in einem Plattenladen in Wien günstig gekauft. Leontyn Price als etwas herbe Ariadne, Gruberova als Zerbinetta (gefällt mir besser als in der Aufnahme von Masur), Tatiana Troyanos als Komponist, Walter Berry als Musiklehrer, Heinz Zednik als Tanzmeister.




    und hier mit anderem (späterem) Cover



    Und Böhms fantastische Aufnahme mit Janowitz als Ariadne, noch mal Gruberova als Zerbinetta, Trudeliese Schmidt als Komponist, Berry als Musiklehrer, Zednik als Tanzmeister. Grauenhaftes Video, fabelhafter Soundtrack!


    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

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  • Hallo Giselher,
    ich weiß, daß ich jetzt gesteinigt werde - sei's drum: Melchior ist nicht mein Fall. Ich anerkenne ihn als einen bedeutenden Vertreter seines Fachs. Aber von mögen ist keine Spur.
    Ich muß allerdings zugeben, daß ich ihn vor sehr wenigen Aufnahmen kenne, da mir die technische Qualität nicht genügt, um ihn in seiner Glanzzeit wirklich beurteilen zu können.
    Wenn ich allerdings den technisch ziemlich guten 1. Akt "Walküre" unter Walter nehme, fange ich an Melchior zu zweifeln an. Nicht an seinem Material. Zum Unterschied von Dir mache ich ja dem Sänger den Klang seiner Stimme nicht zum Vorwurf. Mich interessiert, was er denn damit macht.
    Und was macht Melchior damit? - Für mich: Zu wenig. Das ist genau jener Typus des schweren, nur dynamisch differenzierten Wagnergesanges, der mir so veraltet vorkommt. Abgesehen davon: Beim "Wälse" fange ich persönlich zu lachen an: Das ist ein 15 Sekunden oder noch länger ausgehaltener Brüllton, der für mich eine Karikatur von Wagnergesang ist. Ich weiß schon: Da steht eine Fermate über dem Ton. Aber den Zusatz: "So lange aushalten als der Atem reicht" konnte ich bisher nicht entdecken. Sicherlich aber auch ein Fehler Walters, der eine solche Unart gestattete. Es lag in der Zeit - womit wir wieder dabei sind: Die Zeit solcher Wagner-Aufführungen ist (für mich Gott sei Dank) vorbei.


    Und was Melchior im "Tannhäuser" (Szell-Aufnahme) betrifft: Findest Du wirklich, daß er durchgehend mühelos diese expressive Höhe hat? Ich weiß schon, daß der "Tannhäuser" teuflisch zu singen ist, aber er besteht nun einmal nicht nur aus der Rom-Erzählung. Daß Melchior punktuell grandios ist, leugne ich nicht. Aber auf die gesamte Dauer ist mir die Stimme zu unflexibel, zu eindimensional. Kollo ist auf der Sawallisch-Aufnahme genau an den Stellen, wo Melchior auftrumpft, sicherlich schwächer, aber der Gewinn auf weite Strecken ist für mich ehrlich gestanden größer als der Verlust. (Es mag aber, wie gesagt, auch an der Technik liegen, daß für mich Melchiors Stimme nicht so herüberkommt, daß ich die Feinheiten merke.)


    Damit will ich nicht sagen, daß Kollo der bessere Sänger war. Ich sage lediglich, daß ich Melchior live gar nicht und auf Aufnahmen nur so ungenügend beurteilen kann, daß ich mich weigere, apodiktische Urteile zu fällen auf der Basis "da kann Kollo nicht mit" oder "da kann Melchior nicht mit".


    Abgesehen davon: Ich bitte Dich zu bedenken, wie sehr sich der Wagner-Stil nicht nur im Gesang gewandelt hat. Der Wagner-Sound mit wabernden Streichern, dickem Holzgemisch und aufgeblähtem Blech, dazu Rückungen des ohnedies zerdehnten Tempos aus dem Bauch heraus ohne die geringste Rechtfertigung in der Partitur, dieser Wagner-Sound also ist vorbei - es sei denn, man erblickt in Barenboim das Heil der Wagner-Interpretation.
    An die Stelle dieses romantisch ausufernden Wagner ist eine präzise umrissene Expressivität getreten, die aus der Analyse der Partitur gewonnen wird. Schon Böhms und Soltis Wagner ist abgeschlankt, aber noch weiter gehen Carlos Kleiber, Kubelik, Kegel, natürlich auch Boulez, von den jüngeren Dirigenten, die teilweise aus der Ecke der Alten Musik kommen oder sich zumindest damit befaßt haben, ganz zu schweigen. Zu diesem Wagner-Stil passen agile, wendige Stimmen besser als die schweren Kaliber. Ich glaube, daß eine Stimme von der Art Melchiors, Lorenz' oder Treptows in einer von Boulez oder Nagano dirigierten Wagner-Aufführung einfach ein Anachronismus wäre.
    Kollo zusammen mit Boulez oder Nagano kann ich mir da schon eher vorstellen (obwohl Kollo ja aus Bayreuth verschwunden ist - allerdings nicht wegen Boulez sondern wegen Chéreau).
    Wahrscheinlich läuft es darauf hinaus, ob man subjektiv den schweren Wagner mit den heldischen Posen mag oder den einzigartig kühnen Vorboten der Neuen Musik, als den ich ihn verehre.


    :hello:

    ...

  • Hallo,


    ich bin überzeugt, dass Kollo als Sänger zu allen Zeiten zu den führenden Wagnertenören gehört hätte.


    Er war fraglos kein Sänger mit besonders großer Farbpaklette, eher eine "weiße" Stimme, aber das ist lediglich eine Feststellung, keine Beurteilung oder Kritik. Wenn ich ihn als Sänger beurteile, muss ich betrachten, was er aus seinen Möglichkeiten macht und wie weit er damit kommt. Und das ist enorm viel: er verstand es, ungemein differenziert zu singen und zu gestalten, war musikalisch meist sehr genau (vielfach genauer als Melchior, geschweige denn als der meist im "freestyle" singende Lorenz), die Stimme an sich empfinde ich als sehr angenehm, sein Durchhaltevermögen, gerade, wenn man bedenkt, dass er keine Riesenstimme hatte, war oft beeindruckend.


    Natürlich hatte er Schwächen: Legato war nicht sein Ding, in spätere Jahren (etwa ab Mitte der 80er Jahre; da war er bereits um die 50), wurde die Höhe immer kürzer und Töne oberhalb des Systems konnte er nur noc kehlig verzerrt produzieren. (Anmerkung: die Karriere des so hochgerühmten Franz Völker war in diesem Alter bereits vollständig zuende!)


    Wenn man große Stimmen für den Wagnergesang liebt oder gar als alleiníge Gestaltungsmöglichkeit dieser Musik einschätzt (ich bin diesbezüglich eher d'accord mit Edwin), so sollte man weniger Melchior nennen, er war ein einmaliges Stimmphänomen, auch zu seiner Zeit, sondern sich eher an Sänger wie Hans Beirer halten. Und da ist mir Kollo wirklich tausendmal lieber ...


    Wenn ich meine (zahlreichen) historischen Sängeraufnahmen betrachte, so finde ich in der "goldenen Zeit" des Wagnergesangs, ich nenne hier mal die 20er bis 50er Jahre, nur wenige Sänger, deren legendärer Ruf einer kritischen Betrachtung, gerade auch im Vergleich zu den so gern geschmähten Sängern späterer Jahre einschließlich heute, wirklich standhält. Wir dürfen dabei auch nicht übersehen, dass Wagneropern in diesen "goldenen Jahren" fast immer nur mit drastischen Strichen aufgeführt wurden, wir z.B. weder von Melchior, noch von Lorenz einen vollständigen Tristan haben (und die Striche im zweiten und dritten Akt betreffen ja überwiegend die Partie des Tristan).


    Kollo, er ist ja Thema dieses Threads, ist eigentlich in keiner seiner (Wagner-)Aufnahme wirklich schwach (beim Kleiberschen Tristan wurde er eher von der Klangtechnik im Stich gelassen). Er hatte aber wirklich großartige Momente, von denen die meisten schon erwähnt wurden.


    Mein persönlicher Favorit:


    Siegfried unter Janowski


    Hier singt Kollo wunderschön, die Phrase "vieles lehrtest du, Mime..." gestaltet er mit einer Empfindsamkeit, die ich bei keinem andere Sänger auch nur annähernd erlebt habe, etwas später "so starb meine Mutter an mir" halte ich pesönlich für einen der größten Momente des Wagnergesangs.


    Gruß, Dieter

  • Hallo Edwin,


    ich finde es etwas merkwürdig, wenn Du einerseits die Übererfüllung des in den Wagnerschen Partituren Geforderten durch Melchior als "altmodisch" kritisierst (die "Wälse"-Rufe in der Walter-Aufnahme sind übrigens mit prächtiger Entfaltung der Stimme gesungen, brüllen tun da eherTenorinos, die ihre Finger von der Partie lassen sollten), andererseits aber die vermeintliche Kompensation sängerischer Defizite durch Kollo als vorbildlich "modern" anpreist. Natürlich war auch Melchior Tenor und wollte seine Prachtstimme zu Geltung bringen. Wenn Du Deine Linie konsequent verfolgen würdest, müsstest Du auch die in der Partitur nicht notierte Fermate in "Nessun dorma" oder das Forte-Singen des hohen B am Schluß von "Celeste Aida" ablehnen. Von Tenören im italienischen Fach habe ich jedenfalls schon weit größere "Sünden" wider die Partitur gehört.


    Ich habe auch nie behauptet, dass Melchior nun in allen Abschnitten seiner Sängerlaufbahn immer gleicht gut und engagiert gesungen hat. Selbstverständlich gibt es auch hier Routine, manchmal rhythmische Ungenauigkeiten und falsche Tempi. Nur: von dieser Routine können heutige Möchtegern-Heldentenöre nur träumen Natürlich war Melchior stimmlich gesehen ein Ausnahmefall, auch zu seiner Zeit. Aber wenn ich mir das durchschnittliche Niveau des damaligen Wagnergesanges anhand von MET-Mitschnitten mit Sängern wie Melchior, Schorr, Flagstad, Lehmann, Leider, Lawrence, Traubel, Steber, Janssen, Thorborg usw. anhöre (und das sind wohlgemerkt Repertoirevorstellungen, also Alltag) und dann mit dem vergleiche, was uns heute oft als "Wagnergesang der Weltspitzenklasse" angeboten wird (O-Ton Thielemann in Bayreuth), dann liegen die heutigen Defizite klar zu Tage. Oder was soll man z.B. von einem "Holländer" halten, dessen Titelpartie von einer ausgebrannten Stimmruine herausgeschrieen wird, dessen Daland mulmig-hohl und desinteressiert seine Partie herunterleiert, dessen Senta schrill distonierend das Trommelfell der Zuhörer quält, dessen Erik einfach nur rumbrüllt und dessen Mary schlichtweg ins Altersheim gehört? Na ja, der Steuermann war ganz passabel und die Chöre waren hervorragend. Aber ist das "Festspielniveau"?


    Der von Dir erwähnte Szell-"Tannhäuser" stammt von Ende 1942, da war Melchior schon fast 53 Jahre alt und sicher nicht mehr in absoluter Top-Form. Ich schrieb ja schon, dass seine Glanzzeit von Mitte der 20er bis Mitte der 30er ging und ich bezog mich mit meinen Bemerkungen auf Studioaufnahmen von Mitte/Ende der 20er (also bereits elektrisch, so dass man Timbre, Technik und Artikulation problemlos beurteilen kann). Aber stimmlich eingebrochen ist Melchior meines Wissens nach nie. Und in seinem gesamten Sängerleben hat es nur vierzehn Absagen gegeben (und das bei fast 700 Vorstellungen nur an der MET, insgesamt werden es weit mehr gewesen sein). Es gibt sogar einen 1. Akt "Walküre" von 1960 zu seinem 70. Geburtstag, wo er den Siegmund noch einmal singt. Natürlich mit altersbedingten Einschränkungen, aber doch noch so gut, dass er 80% der heutigen Rollenvertreter aus dem Felde schlagen würde. Kollo möchte ich 2008 als Siegmund jedenfalls nicht hören...


    Eigentlich wollte ich noch ein paar Ausschnitte aus dem Abschnitt über Kollo aus Jürgen Kestings "Die großen Sänger" anbringen, aber das lasse ich lieber mit Rücksicht auf die Kollo-Fans. Ich möchte schließlich noch ein bißchen weiterleben... :D :untertauch:


    Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Hallo Giselher, hallo Herbert,
    es hat IMO absolut keinen Sinn, diesen Wagnergesang von früher als das Ideal zu preisen. Noch einmal: Diese Zeiten sind vorbei. Dass sich einzelne nach ihnen zurücksehnen, sei ihnen unbenommen. Aber ebenso muß es Zuhörern unbenommen sein, lieber einer agilen, wandlungsfähigen Stimme zuzuhören als den "Schlachtrössern" des Wagnergesanges. Meinem ästhetischen Empfinden kommen die meisten dieser schweren, wenig wandlungsfähigen und oft erstaunlich distonierenden Stimmen nicht entgegen.
    Wenn Ihr sagt, Kollo habe seine stimmlichen Defizite durch intelligente Rollengestaltung kompensiert, stört mich das überhaupt nicht. Es ist mir wesentlich lieber, als wenn ein Sänger die Unfähigkeit zu intelligenter Rollengestaltung durch Zurschaustellung von vokalen Fähigkeiten kompensiert.


    Die Bayreuth-Schelte kann ich indessen nachvollziehen. Nur ist das nicht mehr die Spitze der Wagner-Interpretation, man hat sich dort ja ganz auf Regie als Zentrum der Botschaft verlegt. Und die Topstars wollen halt auch nicht für relativ geringe Gagen einen Sommer in einer Kleinstadt verbringen.
    Was Wagnergesang anlangt, habe ich in Wien hingegen keinen Grund zu Klage. Wenn ich an meine "Anfänge" in der Oper zurückdenke: Da ist es jetzt um Klassen besser! Das einzige, was fehlt, sind die großen Wagner-Dirigenten. Aber wirklich schlecht ist das, was aus dem Graben dringt, auch nicht.


    :hello:


    P.S.: Den Kesting lehne ich keineswegs ab, im Gegenteil: In Sachen Netrebko ("Die ideale Sängerin für ein Publikum, das mit den Augen hört") ist er mein Verbündeter. Ich gestatte ihm aber, so wie jedem, einen meinem eigenen Empfinden völlig entgegengesetzten Geschmack zu haben. :D





    Hallo Dieter!
    Das sind ziemlich genau jene Stellen, die auch ich ins Treffen führen würde: Kollo zeigt hier eine fulminante Gestaltungskraft. Eine weitere Stelle, die mir sehr entgegenkommt, ist das "Waldweben" in dieser Aufnahme. Da haben wir eben den Vorzug der schlanken, sensibel geführten Stimme: Ein berührendes Selbstgespräch, von geradezu raffinierter Schlichtheit. Auch wunderschön, was Janowski macht: Dieses durchsichtige Glitzern, dieser leichte Duft, der vom Orchester ausgebreitet wird, ist fabelhaft! Da spürt man, welch unglaublicher Komponist Wagner war: Eben nicht der pathetische Romantiker, sondern ein ungeheuer sensibler, mit feinsten Schattierungen arbeitender Neuerer der Musik!
    :hello:

    ...

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