• Hallo Edwin


    Zitat

    Hallo Dieter!
    Das sind ziemlich genau jene Stellen, die auch ich ins Treffen führen würde: Kollo zeigt hier eine fulminante Gestaltungskraft. Eine weitere Stelle, die mir sehr entgegenkommt, ist das "Waldweben" in dieser Aufnahme. Da haben wir eben den Vorzug der schlanken, sensibel geführten Stimme: Ein berührendes Selbstgespräch, von geradezu raffinierter Schlichtheit. Auch wunderschön, was Janowski macht: Dieses durchsichtige Glitzern, dieser leichte Duft, der vom Orchester ausgebreitet wird, ist fabelhaft! Da spürt man, welch unglaublicher Komponist Wagner war: Eben nicht der pathetische Romantiker, sondern ein ungeheuer sensibler, mit feinsten Schattierungen arbeitender Neuerer der Musik!


    Schau, schau! Jetzt ist er dir plötzlich gut genug? Wenn ich daran denke, wie abfällig du dich einmal über Janowskis Ring geäußert hast...


    :D

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Lieber Edwin,


    das Beharren meinerseits auf der Verwirklichung des von Wagner Geforderten ist mitnichten bloße Nostalgie (zu der ich ohnehin nicht neige), sondern nichts weiter als Protest gegen das, was man heute allzuoft als "Wagnergesang" vorgesetzt bekommt, nämlich Gebrüll, Schreierei und häßliche Töne. Ich möchte einfach nur Fach-gerechte, gesunde Stimmen von intelligent phrasierenden Sängern hören. Guter Gesang und gute Interpretation - das muss doch möglich sein! Vielleicht wäre ein Weg, sich an der historischen Aufführungspraxis zu orientieren, die Orchester weniger laut und vor allem weniger brilliant spielen zu lassen (niedrigere Stimmung), dann wären auch die eher "lyrischen" Stimmen in der Lage, die Partien ohne Forcieren oder gar Schreien zu singen. Aber da ist ja wohl die Eitelkeit der vermeintlichen Pultstars davor... :rolleyes:


    Grüße


    GiselherHH


    P.S.: Melchior hat die "Waldweben"-Szene genauso gesungen, wie Du sie haben willst - weich, zurückgenommen, innig, mit sehr schön eingesetzter Kopfstimme und mit Humor


    P.P.S.: Wenn Du mit dem Wagnergesang in Wien so zufrieden bist, warum gefällt Dir dann der Wiener "Parsifal"-Mitschnitt unter Thielemann so wenig?

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Zitat

    Original von GiselherHH


    Wenn Du mit dem Wagnergesang in Wien so zufrieden bist, warum gefällt Dir dann der Wiener "Parsifal"-Mitschnitt unter Thielemann so wenig?


    Wenn da jetzt ich angesprochen wäre, würde ich antworten: Weil wir in letzter Zeit in Wien mitunter auch schon bessere Besetzungen gewohnt waren und sind. Wir hatten diese Parsifal-Produktion schon mit Johan Botha, Angela Denoke, dirigiert hat Donald Runnicles - alle besser als ihre KollegInnen der Aufführungen, die auf CD konserviert wurden.

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Hallo Theophilus!
    Das ist ein Paradebeispiel, wie sehr die Erinnerung trügt bzw. der Geschmack sich ändert. Ich habe im Zusammenhang mit dem Kollo-Thread den Janowski-"Ring", der ungeliebt verräumt war, erst auszugsweise, dann schließlich bei "Siegfried" und "Götterdämmerung" in größeren Zusammenhängen wieder gehört. Janowski ist noch immer nicht mein idealer Wagner-Dirigent, und die meisten Frauenstimmen sind eine Zumutung. Bei den Männern finde ich Schreier, Kollo und Salminen gut, Adam ist hier leider nicht ganz mein Fall, aber zumindest ist er wortdeutlich.


    Dazu gibt es Stellen, die macht Janowski wirklich fabelhaft, besonders der "Siegfried" ist, wie ich jetzt merke, speziell im ersten und zweiten Akt sehr gut dirigiert. Problematisch finde ich über weite Strecken nach wie vor die "Götterdämmerung", ein so leichtes Parlandostück wie bei Janowski im ersten Akt ist das auch wieder nicht. Der zweite Akt ist interessant, aber für mich nicht wirklich gut: Ich habe das Gefühl, daß die angestrebte Deutlichkeit nicht herauskommt. Dritter Akt: Recht gut, aber der Trauermarsch könnte, ebenso wie das Finale, mehr Gewicht haben.




    Hallo Giselher,
    in diesem Punkt verstehen wir uns: Auch ich beharre auf dem von Wagner Geforderten. Dazu gehören u.a. auch die korrekten Tonhöhen, mit denen etlich der von Dir genannten Heldentenöre größere Probleme hatten als Kollo.
    Ein "humorvolles" Waldweben finde ich grauenhaft. Das ist lyrisch, schlicht. Humorvoll wird es erst dann, wenn Sänger (und heute Regisseure) echte Naivität nicht verstehen bzw. nicht ausdrücken können.
    Der Thielemann-"Tristan" ist, wie auch der "Parsifal", etwa das durchschnittliche Wiener Niveau. Das sind zum Teil Stimmen und Interpretationen, die ich nicht schätze - aber besser als Bayreuth ist das wohl noch allemal. Und vor allem: Welch Glanzpunkt gegen früher, als man etwa einen Hans Beirer als Siegfried erleiden musste.


    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner.
    Ein "humorvolles" Waldweben finde ich grauenhaft. Das ist lyrisch, schlicht. Humorvoll wird es erst dann, wenn Sänger (und heute Regisseure) echte Naivität nicht verstehen bzw. nicht ausdrücken können.


    Hallo Edwin,


    ich hätte präziser sein sollen. Ich meine die Stelle, wo Siegfried sich aus dem "Rohre" seine Flöte schnitzt und den Waldvogel zu imitieren versucht: "Das tönt nicht recht. Auf dem Rohre taugt die wonnige Weise mir nicht. Vöglein, mich dünkt, ich bleibe dumm. Von dir lernt sich´s nicht leicht." Das wird von Melchior mit einem halb resignierenden, halb humorvollem Ausdruck gesungen, was m.E. wunderbar paßt. Ähnlich Alberto Remedios bei Goodall. Wenn er nach dem Gequäke singt "Well, that´s not right", brechen die Zuschauer in Gelächter aus, von wegen "stating the obvious"... Bei uns lacht da niemand. Muß wohl am Wagnerklischee des ausschließlich Feierlich-Erhabenen liegen. Nicht-Deutsche haben da vielleicht weniger Berührungsangst.


    Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

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  • Hallo Giselher,
    das führt jetzt etwas weg vom Hauptthema des Threads, aber zumindest ich habe damit kein Problem.
    Ich dachte mir schon, daß Du diese Stelle meinst. Ich halte hier eine humorvolle Interpretation für falsch - auch dann, wenn ein Goodall sie zuläßt.


    Die Situation ist meiner Meinung nach völlig anders: Siegfried ist der "Naturbursche" in dem Sinn, daß er die Natur verstehen will bzw. sich der Natur verständlich machen will. Die Natur ist schließlich sein "Gegengift" zu Mime, Siegfried versucht, in der Natur seine Mutter zu finden. Gerade im "Waldweben" wird ihm die Unmöglichkeit dieses Ansinnens klar, obwohl er es intellektuell nicht begreift. Siegfried ist eben (noch) nicht wissend.
    Der richtige Ausdruck ist daher fast etwas wie ein vorweggenommener Mahler: Eine schmerzliche Naivität (nur Mahlers "Anführungszeichen", die ironische Brechung fehlt noch). Humor hat hier ebensowenig Platz, wie der - vor allem von Sängern früherer Tage - immer wieder als Gag gebrachte Ausruf "Das ist kein Mann" im 3. Akt. In Wirklichkeit ist das ein Erschrecken, totale Verwirrung, auf einmal weiß Siegfried nicht mehr, wo vorne und hinten und oben und unten ist. Er beginnt, "wissend" zu werden.
    Gerade Kollo hat diese Stelle höchst intensiv und ohne Witz gesungen - noch besser brachte dieses Detail aber Siegfried Jerusalem, der im Bayreuther Kupfer-"Ring" eine atemberaubende Leistung hinlegte, die ihm vorher niemand (auch ich nicht) zugetraut hätte und die er nachher noch einmal in einem "Ring" in Wien wiederholen konnte (und sicher nicht nur in Wien - aber als ich ihn etwa zwei Jahre später wieder hörte, hatte er schon gewaltig abgebaut.)


    Jedenfalls: Wenn das Publikum bei der genannten "Waldweben"-Stelle und bei "Das ist kein Mann" zu lachen beginnt, ist meiner Meinung nach etwas in der Darstellung daneben gegangen.



    Übrigens: Du bringst Remedios ins Spiel: Ein Sänger mit interessantem Material, zweifellos. Aber leider auch einer, der keinen Ton klar ansingt, sondern von unten anschleift. Und in der VIII. Mahler unter Boulez legt Remedios eine Leistung hin, die an unfreiwilligen Humor grenzt. Ich glaube, ich habe innerhalb einer Aufführung nie so viele falsche Töne von einem einzigen Sänger gehört - außer von Lorenz und von Beirer vielleicht. (Remedios ist allerdings sehr gut in "The Midsummer Marriage" von Michael Tippett, wo er mit den Koloraturen erstaunlicher Weise wesentlich besser zurecht kommt als mit der Wagner'schen Deklamation.)
    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner


    Der Thielemann-"Tristan" ist, wie auch der "Parsifal", etwa das durchschnittliche Wiener Niveau. Das sind zum Teil Stimmen und Interpretationen, die ich nicht schätze - aber besser als Bayreuth ist das wohl noch allemal.


    Hallo Edwin,


    da hast du leider recht, was den Vergleich Wien-Bayreuth betrifft.


    Was einen ebenfalls traurig stimmt, ist die Tatsache, dass es ja noch bessere Sänger im Wiener "Tristan" gegeben hat, die aber leider nicht aufgenommen worden sind. Ich kann z.B. verstehen, dass die Namen Thielemann und Domingo mehr "ziehen" als Runnicles und Botha. Aber warum man Struckmann Quasthoff vorgezogen hat, insbsondere da sein Amfortas ein selten hohes Mass an Öffentlichkeit genoss...? (Selbst mein opernunkundiger Herr Papa hat mich darauf angesprochen.)
    Manchmal glaube ich, dass es keine richtige Wagnersängerkrise gibt, sondern dass viele kompetente Sänger meistens erst dann auf Platte gebannt werden, wenn sie ihren Zenit schon überschritten haben oder einfach nicht ausreichend Marketing für sie betrieben wurde.


  • Hallo ulf,


    welche Sänger meinst du denn, die im Wiener Tristan besser gewesen wären als auf der Aufnahme? Die Tristan-CDs mit Thielemann, Moser, Voigt, Holl sind von der ersten Aufführungsserie. Ich glaube, was besseres ist nachher nicht mehr gekommen, außer Welser-Möst. Oder meintest du Ben Heppner? Den habe ich leider nicht mehr gesehen bzw. gehört.


    Ich finde die Tristan-CDs ausgezeichnet. Ist sicher auch Geschmackssache - und ich habe auch das Glück, dass ich Thomas Moser sehr gerne mag und ich auch an Deborah Voigt nichts auszusetzen habe, obwohl ich ihre Kritiker hier verstehe. Irgendwie schade, dass ich's ein paar Male auch live gesehen habe. Jetzt habe ich beim Anhören immer die entsprechenden Bilder im Gedächtnis - deswegen höre ich vielleicht am häufigsten nur den 2. Akt bis zum Ende der Nacht, denn da war's finster, und sie sangen vor einem Gaze-Vorhang.


    Thomas Moser ist natürlich "kein Kollo" (wenn man sich mal Kollos Bayreuther Video mit Barenboim anhört ...), aber darum geht es ja auch nicht. Moser hat die Partie nicht nur durchgestanden sondern auch durchgesungen wie kaum jemand - wenn auch nicht so durchschlagend und dramatisch überzeugend wie Kollo in seiner besten Zeit.

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Hallo Edwin,


    ich habe im Netz nochmal die Stelle im Libretto nachgeschaut ("Siegfried", 2. Akt, 2. Szene):


    (Er eilt an den nahen Quell,
    schneidet mit dem Schwerte ein Rohr ab
    und schnitzt sich hastig eine Pfeife daraus.
    Währenddem lauscht er wieder)
    Es schweigt und lauscht:
    so schwatz' ich denn los!

    (Er bläst auf dem Rohr.
    Er setzt ab, schnitzt wieder und bessert.
    Er bläst wieder. Er schüttelt mit dem Kopfe und bessert wieder.
    Er wird ärgerlich, drückt das Rohr
    mit der Hand und versucht wieder.
    Er setzt lächelnd ganz ab)

    Das tönt nicht recht;
    auf dem Rohre taugt
    die wonnige Weise mir nicht.
    Vöglein, mich dünkt, ich bleibe dumm:
    von dir lernt sich's nicht leicht!


    Siegfried hat also resignierend-lächelnd eingesehen, dass er den Waldvogel nicht imitieren und dadurch mit ihm ins "Gespräch" kommen kann (und so singt Melchior das auch). Danach kommt dann ein Stimmungsumschwung, Siegfried glaubt sich durch den "schelmischen Lauscher" verspottet, fühlt sich herausgefordert und bläst zur Selbstvergewisserung seine "lustige Waldweise" auf dem Horn, auch um "andere Gesellen" anzulocken. Die schmerzlichen Untertöne der versuchten Vergegenwärtigung seiner Mutter sind da schon vergangen. Siegfried ist geistig gesehen eben fast noch ein Kind, dessen Instinkte sich in der Natur gebildet haben, nicht durch Mimes Erziehungsversuche, und der schnellen Stimmungsschwankungen unterliegt. Nach der Erschlagung des Drachen überfällt ihn dann wieder die Einsamkeit, bis ihm der Vogel von Brünnhilde erzählt und ihn dann der "Wonneschreck", wie Wagner das nennt, übermannt und er loseilt. Aber auch die Begegnung mit Brünnhilde, also die Entdeckung des "Weiblichen" und der eigenen Sexualität, macht ihn nicht "wissend", er wird vielleicht körperlich ein Mann, nicht aber geistig. Da er nicht unter Menschen großgeworden ist, versagen seine natürlichen Instinkte dort, wo aus Natur erst Kultur und dann Politik wurde, nämlich am Gibichungenhof. Erst als er durch seine Naivität stirbt, wird ihm auch die spirituelle Dimension seiner Liebe zu Brünnhilde begreiflich und er wird "wissend". Aber da ist es dann schon zu spät...


    Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Hallo Melot,


    der Fehler liegt ganz auf meiner Seite. Ich meinte natürlich den "Parsifal". Damit wollte ich deiner Aussage hinsichtlich der guten Qualität von Botha, Denoke, Quathoff, etc. beipflichten. Sorry...

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  • Hallo,
    die Diskussion um Qualitäten des Wagnergesangs einst und jetzt wird ja in verschiedenen Threads geführt.


    Kollo war zweifellos einer der führenden Wagnertenöre der 70er und 80er Jahre, dann gings mit ihm doch hörbar abwärts, wie ich in diesem Threads bereits beschrieben habe. Dennoch verdanken wir ihm einige hervorragende Wagnerraufnahmen, die für mich, ich möchte es noch einmal wiederholen - zu den zeitlos besten Wagneraufnahmen zählen.


    Jürgen Kesting wurde hier mehrfach erwähnt, der Kollo ziemlich vernichtend berurteilt hat. Zu Kesting gibts auch einen schlagfende Threads, den man evtl. mal reaktivieren sollte. Ich möchte kurz anführen, dass sein "großes" Werk aus den 80er oder frühen 90er Jahren stammt, als Kollo als Wagnersänger noch aktiv war. Kesting, dem ich seine Kompentenz nicht absprechen möchte, ließ an praktisch keinem gegenwärtigen Sänger erin gutes Haar, er vergleicht halt sehr stark mit dem gewesenen und bedient sich der Sänger vergangener Zeit als Maßstab. Lediglich für Sänger des Belcantofaches macht er gewisse Ausnahmen, das boomt zur Zeit allerdings, so dass man da an heutigen Interpreten einfach nicht vorbei kommt.


    Wieder zu Kollo: ich habe ihn zweimal erlebt: 1988 in Hamburg als Stolzing, wo ich ihn sehr eindrucksvoll fand. (Er war nämlich auch ein sehr guter Darsteller, was für einen Wagnersänger durchaus nicht unwichtig ist). Dann Mitte der 90er Jahre in Berlin als Fürst Schuisky, als er kluger Weise sein Repertoire dem vorangeschrittenen Alter angepasst hatte.


    Ich persönlich finde, dass über keinen zweiten Sänger (außer vielleicht über Theo Adam) so viel ungerechtes geschrieben wurde wie über Kollo.


    Gruß, Dieter

  • Hallo Dieter,
    unter dem Kesting-Syndrom leiden relativ viele Musikkonsumenten, Kritiker inklusive.
    Kestings Fehler ist, etwas als absolute Wahrheit festzusetzen und alles abzuurteilen, was dieser Wahrheit nicht entspricht - wobei er nicht ansatzweise zugeben kann, daß diese Wahrheit in Wirklichkeit nur sein Geschmack ist.


    Kollo wurde von Anfang an durch den Kakao gezogen, und ich glaube nicht, daß auch nur 10 Prozent derer, die er geradezu in Raserei versetzte, überhaupt einen wirklichen Grund dafür nennen konnten. Was man ihm zum Vorwurf machte, war natürlich seine Schlager- und Operettenvergangenheit. Das freilich sagte niemand offen (das hätte dann in einer Zeit, als das U-und-E-Borderlinesyndrom jeden befiel, der "modern" sein wollte, vernichtend gewirkt). Also legte man sich Erklärungsmodelle zurecht, die bei kaum einem Sänger der Vergangenheit in dieser Weise angewendet wurden. So hörte ich mit eigenen Ohren seitens eines fanatischen Lorenz-Anhängers, Kollo nehme es in tiefer Lage mit dem Rhythmus nicht so genau. Als ob es Lorenz jemals in irgendeiner Lage mit der Tonhöhe, dem Rhythmus oder mit sonst irgendwas vom Komponisten Notierten genau genommen hätte...


    Für mich war ein Erlebnis in Wien erhellend: Nach einem von Kollo fulminant gesungenen "Tristan" saß eine Runde zusammen, bei der ich der jüngste war - und der einzige, der Kollo mochte. Die große Abrechnung mit Kollo umfasste folgende Punkte:
    - Er klebt zu sehr an den Noten und singt nur, was dasteht, ohne jede Interpretation
    - Er nimmt sich zu viele Freiheiten mit den Noten, Interpretation darf nicht zur Veränderung des Notentextes führen
    - Er hat eine viel zu kleine Stimme
    - Er singt viel zu laut
    - Seine Wortdeutlichkeit ist maniriert
    - Man versteht kein einziges Wort
    usw. usw.
    Ich wagte diverse Einwände - und dann brach es aus einem der Runde endlich heraus: "Du hast ja keine Ahnung, wie weh das einem Wagnerianer tut, wenn ein hergelaufener Schlagerfuzzi einen Tristan singt."
    Das also war's - und das ist es geblieben: Der Schlagersänger soll bitteschön seine Stimmbänder von Wagner lassen.
    Gleichzeitig pilgerten gestandene Wagnerianer in die jämmerlichen Rock-Konzerte von Peter Hofmann.
    Auch das war eine Marketingfrage: Hofmann, der tatsächlich vom Rock kam, wurde ganz anders, nämlich aggressiv als Cross-Over-Künstler, promotet, während Kollos Schlagervergangenheit immer als Peinlichkeit, über die man lieber nicht spricht behandelt wurde - und natürlich seinen Gegnern Munition lieferte. Zumal er bzw. sein Management ungeschickt genug war, weiterhin für Illustrierte à la "Neue Post" etc. zur Verfügung zu stehen, was eine Optik lieferte, die einem Opernsänger damals nicht zustand.


    Übrigens gebe ich Dir auch in dem Punkt recht: Adam war der zweite Sänger, der auf eine Weise unfair behandelt wurde, die jeder Beschreibung spottet. Kollo hatte das Manko, nicht Max Lorenz zu sein und Adam hatte das Manko, nicht Hans Hotter zu sein.
    Ich persönlich habe diese Mankos freilich immer als Vorteil begrüßt...!


    :hello:

    ...

  • Hallo Giselher,

    Zitat

    Das wird von Melchior mit einem halb resignierenden, halb humorvollem Ausdruck gesungen, was m.E. wunderbar paßt. Ähnlich Alberto Remedios bei Goodall. Wenn er nach dem Gequäke singt "Well, that´s not right", brechen die Zuschauer in Gelächter aus,


    Da saß ich in Unkenntnis der Melchior-Aufnahme einem Mißverständnis auf: Ich schloß aus dem "ähnlich", daß auch er eine Interpretation von natürlich lyrischer Grundhaltung wählt, bei der die Zuschauer aber auch etwas zum Lachen serviert bekommen.
    Wenn wir einer Meinung sind, daß zwar Siegfried halb entsagend lächelt, es aber für das Publikum nichts zum Lachen geben sollte, dann sollten wir über diese Szene des von mir hochgeschätzten Goodall-"Rings" lieber den Mantel des Schweigens breiten als sie als beispielhaft hinzustellen...


    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von ulfk179
    Hallo Melot,


    der Fehler liegt ganz auf meiner Seite. Ich meinte natürlich den "Parsifal". Damit wollte ich deiner Aussage hinsichtlich der guten Qualität von Botha, Denoke, Quathoff, etc. beipflichten. Sorry...


    Ach so, dann ist es klar.
    :hello:

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Hallo Edwin,


    die Qualitäten von René Kollo habe ich nie angezweifelt, besitze ich doch eine große Anzahl von Aufnahmen von ihm.


    Allerdings gibt es dann noch die Komponente des persönlichen Geschmacks:


    Für den Tristan, aber auch für den Otello bevorzuge ich persönlich ein Timbre a la Jon Vickers oder Spas Wenkoff.



    Herzliche Grüße
    von LT :hello:

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  • Hallo Liebestraum,


    für mich war Wenkoff überhaupt der Tristan, Vickers als Otello - unübertrefflich. Allerdings hat Kollo den Otello meines Wissens nach erst zu einer Zeit gesungen, als er das bereits besser gelassen hätte.


    Einen interessanten Vergleich zwischen Vickers und Kollo bot mir der "Peter Grimes": Beide steigerten sich in eine Verzweiflung, die unbeschreiblich war. Das ist Singen als letzte Übersteigerung des Ausdrucks. Dennoch: Völlig unterschiedlich in der Gestaltung: Vickers, der den Getriebenen am Rande des Wahnsinns darstellte - und Kollo, der versuchte, einen skrupellos harten Kerl mit sympathischen Facetten auszustatten als wolle er zeigen, daß kein Mensch nur gut oder nur böse ist. Für mich zwei Spitzeninterpretationen dieser Rolle, die ich nicht missen möchte. (Ewig schade, daß es die Aufführung mit Kollo nicht auf CD gibt!)
    Herzliche Grüße
    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Allerdings hat Kollo den Otello meines Wissens nach erst zu einer Zeit gesungen, als er das bereits besser gelassen hätte.


    Hallo Edwin,


    so sieht es aus. Begonnen hat er damit in Frankfurt ca. Mitte der 80er. Ich hatte das "Vergnügen", ihn in Hamburg zu hören, ein, zwei Jahre nach seinem Debut.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • ... und schon in Frankfurt war er ziemlich grauenvoll ...


    Allerdings fand ich auch nicht ohne, wie im Münchener "Rienzi" Cheryl Studer René Kollo schlicht an die Wand gesungen hat...


    Gruss

  • Nun gut, wir sind uns alle ausnahmslos einig, daß Kollo ab Mitte der 80er-Jahre abgebaut hat und ab Anfang 90er-Jahre ungenießbar wurde. Ich finde es nur etwas unfair, permanent diese letzte Zeit ins Treffen zu führen.
    Ebenso könnte ich, da ich in Wien ja reichlich Gelegenheit hatte, auf den letzten Jahren Hans Hotters herumreiten. Oder auf den späten "Leistungen" von Sängerinnen und Sängern wie Gwyneth Jones, Birgit Nilsson, Cheryl Studer, James King, Hans Beirer, Anton Dermota, Jess Thomas, Heinz Zednik, Donald McIntyre etc. etc.
    Und was bringt's - außer der Erkenntnis, daß sie alle es wie Kollo gemacht haben und aufgetreten sind, als sie es längst besser gelassen hätten?

    ...

  • Hallo,


    ich bedaure wie alle anderen auch, dass einige (große) Sänger einfach nicht wissen, wann Zeit ist, aufzuhören. Bei Kollo ist gewiss auch das Problem, dass er irgendwie reichlich präsent war, beispielsweise in Talk-Shows, wo er immer wieder verschiedenste Projekte vorstellte und nicht immer sympathisch rüberkam.


    Gleichwohl ist mir der eher lyrische Tenor bei Wagners Helden irgendwie lieber, irgendwie sympathischer, auch glaubwürdiger (dröhnende, bierfass-verwandte Großgewächse sind als von der reinen Liebe Hingeraffte eben etwas schwerer zu verkraften). Insofern weiß ich schon, warum so viele Kollos bei meinen Wagner-Aufnahmen zu finden sind. Aber man lernt ja nicht aus, mal sehen, welche Sänger es noch zu entdecken gilt - der Hinweise und Anregungen gibt es hier ja genug. Wenkoff zum Beispiel.


    :hello:


    Gruß, l.

    "Jein".

    Fettes Brot

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  • Zitat

    und nicht immer sympathisch rüberkam.


    Hallo Lohengrins,
    von sympathisch war bei mir auch nie die Rede. Wer seine Autobiografie gelesen hat, weiß, daß dieser Kollo ein ziemlicher :kotz:-Brocken sein muß: Wahnsinnig leicht beleidigt, wenn mal was schiefgeht, sind andere schuld etc. etc. Mehrfach hält der dem Leser seine Spitzengagen unter die Nase und tut dabei ganz auf bescheiden - natürlich diese falsche Bescheidenheit, hinter der die totale Überheblichkeit steckt.
    Aber was hat man von einem Sänger, der sympathisch ist und dafür blökt wie ein Schaf bei der Schur?
    :hello:

    ...

  • Hallo,


    für die Kollo-Liebhaber (ich mußte in diesem Forum ja feststellen, dass es tatsächlich welche gibt :D) dürfte von Interesse sein, dass 2001 ein 1975er Wagner-Recital mit ihm, begleitet von der Staatskapelle Dresden unter Suitner, für 2 Euro verhökert. Wobei ich mir jetzt eine Bemerkung darüber verkneife, ob Kollo damit unter Wert gehandelt wird... :baeh01:


    Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    [...]Wer seine [Kollos] Autobiografie gelesen hat, weiß, daß dieser Kollo ein ziemlicher :kotz:-Brocken sein muß: Wahnsinnig leicht beleidigt, wenn mal was schiefgeht, sind andere schuld etc. etc. Mehrfach hält der dem Leser seine Spitzengagen unter die Nase und tut dabei ganz auf bescheiden - natürlich diese falsche Bescheidenheit, hinter der die totale Überheblichkeit steckt.


    Ich habe seine Autobiografie noch nicht gelesen, aber in einem Interview, dass er im Rahmen der Erscheinung des Buches führte, erwähnte er folgende Anekdote, die auch im Buch zu finden sei:


    Zitat

    Mein erster "Tristan" in Bayreuth. Im dritten Akt kommst du kaum mehr von der Bühne. Der Hals wird immer trockener, besonders bei einem Debüt. Da fiel mir ein Trick ein. Ich ließ unter den Spalten am Bühnenboden Radfahrerflaschen mit Trinkhalm befestigen. Es gibt drei Stellen, wo "Tristan" zusammenbrechen muss. Ich brach natürlich dort zusammen, wo die Halme waren. Während der Chor sang, saugte ich mein Wasser ein.
    http://www.nachrichten.at/kult…9ad397fe83c515c7bc3b90271


    Tja... ;)


    Gruß
    Karsten

  • Oder Kollo ist schon ist ersten Akt zusammengebrochen... :hahahaha:

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


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  • IMO hatte Kollo in seiner besten Zeit kaum Konkurrenz. Er gefällt mir auf CD als Tannhäuser, Stolzing und auch als Siegfried(ich ziehe seine jugendliche Frische Windgassens, der auch nicht mehr Material hatte, ältlich säuerlichem Timbre bei Solti und Böhm bei weitem vor). Der Tannhäuser gehört ebenso wie Meistersinger zu den Referenzaufnahmen. Er war ein sehr guter Darsteller: Ich habe ihn vor 20 Jahren als Tristan und Stolzing in D'dorf bzw. Köln erlebt und war begeistert. Allerdings wusste man nie, ob er auch wirklich auftritt.
    Wolfgang Wagner, sonst eher diskret, widmet Kollos Launenhaftigkeit, Unkollegialität und Unzuverlässigkeit in seiner Autobiografie vergleichsweise breiten Raum....

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • Hallo Misha,
    Wagner und Kollo dürften Intimfeinde sein - Kollo haut in der Autobiographie auf Wolfgang W. hin, daß es eine Freude ist. Aber Wagner war ihm ausgeliefert, weil die Brüllaffen, äh, Heldentenöre längst alle ausgesungen hatten und das Publikum obendrein froh war, einmal einen Siegfried, Lohengrin, Parsifal und Stolzing zu erleben, der nicht nur die richtigen Töne traf, sondern auch ein fulminanter Darsteller war.


    Hallo Giselher,
    mit Deinem Preis-Argument bei Kollos Wagner-Rezital machst Du mir große Freude! Erstens kann man hier um wenig Geld ein tiolles Rezital bekommen - was übrigens auch an Suitner liegt. Aber stell Dir vor: In meinem CD-Fachgeschäft liegt ein ein "Tristan" mit Melchior zu einem wesentlich günstigeren Preis als der "Tristan" mit Kollo. Und das ist, Dir zufolge ja ein Qualitätsnachweis - im konkreten Fall eben für Kollo! :D


    :hello:

    ...

  • Na, na, Erwin, das war aber ein leicht regelwidriges Reingrätschen von hinten. ;)


    Melchiors Aufnahmen sind doch schon rechtefrei, also ohne Lizenzgebühren für jedes Label zu haben. Dadurch können seine "Tristan"-Mitschnitte aus den 30ern und 40ern mittlerweile sehr billig angeboten werden. Und gekauft werden sie wohl, denn sonst gäbe es nicht so viele Ausgaben davon. Ob sich in 30 Jahren allerdings genauso viele Leute für die angestrengten und anstrengenden Tristan-Hervorbringungen des René K., angeblich Heldentenor, interessieren werden? :P O.k., für 2 Euro kommt er mit auf meine nächste Bestellliste, ich habe ja ein weiches Herz...


    Eine Frage habe ich allerdings noch an Dich, den Kegel-Experten (Dirigent, nicht Bowling): da gibt es auch noch "Gianni Schicci" und "L´enfant et les sortilèges" für je 5 Euro auf deutsch. Sind die zu empfehlen?


    :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Hallo Giselher,
    jetzt holen wir uns einen Verweis von Alfred S., weil wir nicht beim Thema bleiben. Aber ich will's mal riskieren: Ob es den "Gianni" und das "Enfant" noch gibt, weiß ich nicht. Ich habe beide Aufnahmen, bin aber von keiner der beiden restlos begeistert. Wobei der "Gianni" noch recht gut ist, nämlich sehr detailfreudig, aber für mich nicht so toll gesungen - etwas farblos.
    Beim "Enfant" hatte Kegel offenbar eine schwache Stunde, da fehlt es, was bei ihm ganz eigentümlich ist, an Tempo, die Konturen sind seltsam unscharf, das Ganze wirkt auf mich ein wenig lustlos heruntergepinselt.Für mich ist das die schwächste Kegel-Aufnahme überhaupt.
    :hello:

    ...

  • Danke, Edwin (und pace, caro Alfredo)!


    :hello:


    GiselherHH

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