SCHOSTAKOWITSCH, Dmitri: Streichquartett Nr.5 B-Dur op.92

  • Hallo Musikfreunde,


    ein besonderes Anliegen ist es mir, einem großen Werk, für mich vielleicht eines der beiden größten dieses Komponisten, eine eigene Plattform einzuräumen. Es handelt sich um das fünfte Streichquartett, op. 92, von Dimitri Schostakowitsch.


    DSCH komponierte dieses Werk hauptsächlich im Jahre 1952, kurz vor seinem „Schwesternwerk“ (aus zeitlichen wie auch inhaltlichen Gründen so genannt), der 10. Sinfonie. Dies geschah zu einer Zeit, in der fast alle seiner Werke beim Stalin-Regime als unerwünscht galten. Einerseits wurden, wie Edwin in der Beschreibung der Sinfonien bereits beschrieb, der Komponist und seine Werke seitens der „Macht“ denunziert und wenig gespielt, andererseits reiste er häufig im Namen seines Landes ins Ausland, um zu repräsentieren; in Europa hatte er schließlich einen guten Namen als Komponist. Während die Sinfonie nach dem Tod Stalins geschrieben wurde, verfasste DSCH das Quartett kurz vorher, wartete mit der Aufführung und Publizierung allerdings, wie bei manch anderen seiner Werke, bis zum Tod des Diktators.


    Das Streichquartett wurde gewidmet und in der Uraufführung gespielt von den Mitgliedern „seines“ Beethoven-Quartetts, und zwar zu deren 30-jährigem Jubiläum. Allerdings gab es eine zweite, versteckte Widmung: Im Quartett soll sich ein Thema von Schostakowitschs erfolgreicher Schülerin und Komponistin Galina Ustwolskaja, und zwar aus deren Trio für Violine, Klarinette und Klavier, finden. Da ich das Trio nicht kenne, weiß ich leider nicht, um welche Stelle es sich hier handelt, bin aber überzeugt, dass dies hier im Forum gelöst wird. Es soll hier erwähnt werden, dass Schostakowitsch seine Schülerin zeitweise umwarb – und zwar vergeblich.


    Das Streichquartett besteht aus drei Sätzen, die jeweils durch lang anhaltende Töne verbunden, also nicht durch Pausen getrennt sind. Der erste Satz (Allegro non troppo) besteht aus einer Sonatenform; der Satz ist voller Kraft und rhythmischen Finessen und Gegensätzen, wie z.B. die Grundcharaktere der beiden Hauptthemen. Die Bandbreite der Emotionen ist hier sehr groß; wie in den späten Streichquartetten Beethovens verschmelzen hier krasse Gegensätze zu einer Einheit – stets unter dem allgegenwärtigen Flügel der Melancholie.


    Der zweite Satz (Andante im Wechsel mit Andantino) ist wunderschön; es ist Melancholie, vielleicht auch mit Anteilen von Niedergeschlagenheit, von seiner gestalterisch schönsten Ausprägung – gipfelt aber nie in Hoffnungslosigkeit. Das ist Poesie.


    Der dritte Satz schließlich ist ebenso ausdrucksvoll wie die beiden vorangegangenen. Trotz tänzerischer und lustiger Themen und Passagen ist die „schostakowitschtypische“ Melancholie und Zartheit stets präsent. Der Schlussatz beinhaltet ein Wechselspiel mit den Ausdrucksweisen der beiden ersten Sätze – und geht am Schluss langsam in einen „Flüsterton“ über, womit er auch endet.


    Das Streichquartett ist ein Werk der großen Dimensionen; die Aufführungsdauer beträgt mehr als eine halbe Stunde.



    In meiner Lieblingsaufnahme des Borodin Quartetts kommen die beschriebenen Eigenschaften besonders gut zur Geltung. Ein miterlebtes Live-Konzert dieser Formation war, besonders beim fünften Streichquartett, ein ungemein fesselndes Erlebnis.


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Hallo, Uwe!


    Angeregt durch diesen thread habe ich mir heute besagtes Streichquartett vorgenommen. Es war mein erster Kontakt mit diesem Werk, da ich es bisher beim Kennenlernen meiner Gesamtaufnahme (Rubio Quartet) zugunsten des auf der selben CD befindlichen f-moll-Quartetts op. 122 (das wegen seiner sehr kurzen Formen als Einstieg in die Schostakowitsch-Quartette bestens geeignet war) links liegen ließ.


    Während des ersten und zweiten Satzes konnte ich noch ruhig und konzentriert sitzend zuhören, beim dritten Satz riß es mich aber vom Stuhl: Diese enorme Ausdrucksspanne zwischen gemütlichem Walzerklang und größter dissonanter Erregung ist wirklich mitreißend! Um so überraschter war ich über das leise Verklingen, aber auch dieses Ende paßt irgendwie.


    Im zweiten Satz fand ich die Passagen, in denen die Violinen in höchster und das Cello in tiefster Lage spielen, klanglichh sehr interessant. Und im dritten Satz habe ich das "Schicksalsmotiv" aus dem späteren c-moll-Quartett op. 110 an einer Stelle heraushören können.


    Zitat

    Im Quartett soll sich ein Thema von Schostakowitschs erfolgreicher Schülerin und Komponistin Galina Ustwolskaja, und zwar aus deren Trio für Violine, Klarinette und Klavier, finden. Da ich das Trio nicht kenne, weiß ich leider nicht, um welche Stelle es sich hier handelt, bin aber überzeugt, dass dies hier im Forum gelöst wird.


    Ich konnte nur herausfinden, daß dasselbe Zitat auch in der (mir unbekannten) Michelangelo-Suite von Schostakowitsch vorkommen soll. Vielleicht weiß Edwin die Antwort?


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Hallo Uwe und Pius,


    ich stoße gerade auf diesen alten Thread, weil er "fortgesetzt werden will". Ich habe ihn mir zum Anlass genommen, dieses Quartett zum ersten mal richtig zu hören.


    Die Frage bzgl. des Themas des Trios von Ustvolskaja (welches ich nicht kenne) kann ich beantworten, mit Hilfe meiner Literatur, in der beide Themen als Notenbeispiele angegeben sind. Zentraler Bestandteil dieses Themas, an dem man es gut erkennen kann, sind 6 aufeinanderfolgende hohe Viertelnoten der Violinen (schnell gespielt). (Bei Ustvolskaja sind es nur 5 Töne, insgesamt ist das Originalthema leicht modifiziert.) In meiner Aufnahme mit dem Borodin-Quartett (der späteren von 1983) erkenne ich es an folgenden Stellen (keine Garantie auf Vollständigkeit).


    1. Satz: ca. 7:20 (fff) und nochmal in der Coda ab ca. 10:30 und 10:40 (piano).
    3. Satz: ab ca. 4:50 (hier im Cello; aber hier scheinen es 7 statt 6 Töne zu sein), ab ca. 5:00 in den Violinen. ...
    Auch im 2. Satz soll es Anspielungen auf das Thema geben. Die Stelle ab 4:39 könnte eine Variation davon sein, mit den 6 Tönen als ein langer Ton gespielt, ich bin aber nicht sicher.


    Meine genannte Quelle ist übrigens der sehr empfehlenswerte The Cambridge Companion to Shostakovich, herausgegeben von Pauline Fairclough und David Fanning, Cambridge University Press 2008. (Ich wollte eigentlich immer schonmal ausführlicher über das Buch schreiben...)


    Das 5. Quartett selbst gefällt mir nach dem ersten Hören sehr gut, ich werde es bald nochmal hören.


    maticus

  • Inzwischen habe ich das 5. Quartett ein paar mal gehört, und es gefällt mir auch sehr gut, immer besser. Die ruhige, nachdenkliche Stimmung im zweiten Satz, eine beeindruckende Klangwelt. Die Steigerung und der Höhepunkt im dritten Satz :jubel: (leider nur zu kurz; wie so oft bei Schostakowitsch scheint auch dieser Höhepunkt zu nichts zu führen, es verrennt sich irgendwie).


    Nochmal zum Thema aus dem Ustvolskaja-Trio für Klarinette, Violine und Klavier (Takte 60-65). Das oben von mir genannte Buch gibt in einem anderen Kapitel noch weitere Informationen dazu, die genaue Taktangabe:


    1. Satz: Takte 261-282, 421-464
    3. Satz: Takte 283-288, 321-343


    In der Michelangelo-Suite kommt es im Lied "Nacht" vor (der Bass singt es gleich zu Beginn).


    maticus

  • Vielleicht ist es einigen schon aufgefallen - ich habe nun begonnen die Streichquartette von Schostakowitzsch zu hören und gelegentlich ein paar Zeilen darüber zu schreiiben. Auch plane ich einzelne Threads zu den Quartetten Nr 6-14 in frn nächsen Monaten (Jahren) anzulegen um dem übergroßen Interesse an diesem Genre und Komponisten Rechnung zu tragen

    Zum Streichquartett Nr 5 hat der Threadersteller indes schon das Wesentliche gesagt. Beeindruckend an diesem Werk ist der unglaubliche Kontrast zwischen betont rhytmisch stamfenden Stellen und lyrischen Passagen von geradezu überirdischer Schönheit. Bemerkenswert fand ich auch, daß ich das eher lange Werk als durchaus kurzweilig empfand, es erschien mir subjektiv kürzer als so mamches andere Quartett mit weniger Spielzeit.

    Der Bezug zur 10. Sinfonie - er wird überall - erwähnt. verdient es, daß man sich die Stellen heraussucht und anhört-

    Auf jeden Fall ist hier das Quartett der "Erstling", denn die Sinfonie wurde erst kurz nach dem Tod Stalins geschrieben.


    Im Quartett soll sich ein Thema von Schostakowitschs erfolgreicher Schülerin und Komponistin Galina Ustwolskaja, und zwar aus deren Trio für Violine, Klarinette und Klavier, finden. Da ich das Trio nicht kenne, weiß ich leider nicht, um welche Stelle es sich hier handelt, bin aber überzeugt, dass dies hier im Forum gelöst wird.

    Bislang ist das allerdings noch nicht gelöst, bzw. bestätigt.......


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Alfred Schmidt, liebe Tamino Mitglieder und Leser


    Das Tamino Mitgied Maticus gibt in Beiträgen Nr. 3 und 4 die genaue Taktangabe dieses Zitates bekannt.


    Des Rätsels Lösung, ist die Fussnote Nr. 4 in diesem Link, der allen Streichquartetten Dmitri Schostakowitschs in englischer Sprache gewidmet ist.


    http://www.quartets.de/compositions/ssq05.html#fn:SSQ05.04


    Judith Kuhn gives the position as rehearsal number 29 in the quartet and rehearsal number 30 in the trio. Judith Kuhn, 'The string quartets: in dialogue with form and tradition' in P. Fairclough and D. Fanning (eds.) The Cambridge Companion to Shostakovich (Cambridge University Press, 2008) p. 47.

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    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Somit ist - dank "moderato" - dieses Rätsel auch gelöst.

    Mit Galina Ustwolskaja wird man sich in den nächatwn Monaten ebenfall befassen. Es gibt immerghin einiger Aufnahmen von einigen ihrer Kompositionen.


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !