Der Einsteiger

  • Hallo Experten, Hallo Einsteiger,


    derzeit schießen sie hier im Tamino-Klassikforum wie Pilze aus dem Boden.


    Die Einsteigerthreads!


    Also Threads, in denen der Versuch unternommen wird, einem Einsteiger einen Komponisten oder eine Musikrichtung näherzubringen.


    Folgende Beispiele aus jüngster Vergangenheit wären hier zu nennen:
    Bruckner für Einsteiger-welche Einspielungen sind empfehlenswert?
    Schostakowitsch für Einsteiger
    Kammermusik für Einsteiger.


    Ich begrüße diese Entwicklung außerordentlich (noch mal Dank an alle, die mir bei meinen Einstiegen bisher halfen :hello: ). Ein Thema brennt mir allerdings schon lange unter den Nägeln. Nachdem ich nun den noch jungen Kammermusikthread angelesen habe, kann ich nicht mehr länger an mich halten. Sinngemäß lese ich aus vielen Beiträgen solcher Threads immer wieder eine Botschaft wie die folgende heraus:
    „Soooo, Du willst also einsteigen. Na dann suchen wir Dir doch mal ein besonders gefälliges, leicht zugängliches Stück heraus!“


    Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Bin unendlich dankbar für solche Threads und habe selber schon sehr viel raus gezogen. Aber der Ansatz, starken Tobak vermeiden und auf leicht zugängliche Werke verweisen funktioniert sicherlich nur sehr bedingt. Einige hatten behauptet, der Bruckner Thread sei an der einen oder anderen Stelle entgleist und ginge zu sehr in die Tiefe. Der Detailierungsgrad sei für einen Einsteiger oft zu hoch. Mir hat eben das gefallen. Diese zwanglose und uneingeschränkte Diskussion über das gesamte Werk eines Komponisten. Ich konnte dort rauslesen, was die Faszination Bruckner ausmacht und habe unendlich viele Anregungen bekommen. Und genau hierin sehe ich Sinn und Zweck solcher Threads. Einen Überblick schaffen. Nicht etwas Gefälliges für den unbedarften Einsteiger raus suchen. Den gibt es nämlich gar nicht, den Einsteiger. Es kommt nämlich immer darauf an, wo der Einsteiger herkommt, was er mitbringt und wo er hin will.


    Nehmen wir an Edwin möchte sich einer Musikrichtung nähern, die er bisher sträflich vernachlässigte (oder unterschätzte ;) ). Würdet Ihr ihm etwas leicht zugängliches oder nicht doch eher etwas künstlerisch wertvolles und musikhistorisch bedeutendes raus suchen. Ich weiß, das eine schließt das andere nicht aus, aber Ihr versteht sicherlich worauf ich hinaus will.


    Nehmen wir an, ein Freund von Bruckner, Mahler und Schostakowitsch, der sich in der Vergangenheit hauptsächlich den sinfonischen Werken dieser Komponisten widmete, möchte nun das Thema Kammermusik angehen. Würdet ihr ihm die Mozart Sonaten für Klavier und Violine oder nicht doch eher Schostakovitsch’s 8tes Streichquartett ans Herz legen?

    Ähnliches gilt für den Klassikeinsteiger an sich. Da hört man immer wieder „Zauberflöte“. Als ich in die Klassik einstieg, fand ich die Zauberflöte kindisch, naiv und kitschig. Heute sehe ich die Zauberflöte ganz anders und erkenne diese als Kunstwerk, welches seinesgleichen sucht, an, verstehe aber jeden, der heute so denkt wie ich damals. Ich war vorbelastet durch harte Stromgitarrenmusik, Hip Hop und Techno. Deswegen konnte ich mit Mahler erst mal mehr anfangen als mit Mozart. Den Mozart hab ich mir erarbeitet und erst über die Zeit das Schöne in der klassischen Musik entdeckt.


    Ich erhoffe mir ganz konkrete Dinge von solchen Einsteiger Threads. Ich einen Überblick. Viele Meinungen. Expertenmeinungen. Die Meinungen Gleichgesinnter. Was macht die Faszination Bruckner aus? Wieso liebt ihr Kammermusik? Wie habt ihr damals den Einstieg gefunden? Was war musikhistorisch bedeutend und warum. Hinweise auf Referenzeinspielungen. Prädestinierte Interpreten. Hinweise auf weiterführende Literatur. Werksbeschreibungen. Wie wirkt welches Werk auf Euch. Dieses Werk ist starker Tobak, dieses Werk ist sehr melodisch, dieses Werk ist sehr düster...


    Hilfe zur Selbsthilfe ist meiner Meinung nach angesagt.
    Nicht,
    Brukner? Ganz klar: 4-7-3-9-5-8…


    Wie seht Ihr das?
    Als Experten, als Einsteiger.


    Auf eine angeregte Diskussion freut sich
    Euer GalloNero

    ... da wurde mir wieder weit ums Herz ... (G. Mahler)

  • Ein wunderbarer Thread, zumindest liebe ich Meta-Kommunikation :wacky:
    Aber ich muss zugeben, mir geht es ähnlich wie GalloNero, was meiner Meinung nach an zwei Punkten liegt.
    A: Der Fortgeschrittene ist oftmals gar nicht mehr imstande, ein Einsteigergefühl nachzuvollziehen. Sicher weiß jeder, wie er angefangen hat, aber da gerade bei Musik so viel mit biographischen Einzelheiten verbunden ist, kann man "allgemeingültige" Empfehlungen gar nicht geben. Wobei dann nahtlos Punkt 2 anknüpft.
    B: Sind Einsteiger-Threads nicht eigentlich überflüssig? Wenn man sich klassischer Musik nähert, aus welcher Ecke auch immer, so kann man gerade hier im Forum durch reines wochenlanges Stöbern "seinen" Einstieg finden. Ich bin nicht unbedingt ein kompletter Einsteiger gewesen, als es mich hierher getrieben hat, aber allein mein Entdeckungswille hat mich durch mehrere Epochen gejagt, hat mich in Richtungen getrieben, die mir so ganz nebenbei Einblicke im Sinne einer "Einführung" gegeben haben. Und vor allem so, dass ich sie mir selbst habe maßschneidern können. Und den Weg, den meine Augen hier im Forum gehen, ist sicherlich von allen anderen verschieden, so wie alle anderen voneinander verschieden sind. Ich habe Mitglieder "kennen" gelernt, deren Musikgeschmack meinem ähneln, habe mich vorsichtig ihren Empfehlungen anheim gegeben, wurde meistens belohnt, selten enttäuscht, habe Risikobereitschaft gezeigt, bei mir schlüssigen Argumentationen, oder einfach, weil mir der Schreibstil eines Mitglieds gefallen hat...
    "Wahrlich, ich sage euch, wer nicht selbst hinaus geht und sich selber nähret, der wird genährt werden, und vielleicht schmecket es ihm nicht!" (Buch Blackadder, 3, 4-5)

  • Zitat

    Original von GalloNero
    Ich erhoffe mir ganz konkrete Dinge von solchen Einsteiger Threads. Ich einen Überblick. Viele Meinungen. Expertenmeinungen. Die Meinungen Gleichgesinnter. Was macht die Faszination Bruckner aus? Wieso liebt ihr Kammermusik? Wie habt ihr damals den Einstieg gefunden? Was war musikhistorisch bedeutend und warum. Hinweise auf Referenzeinspielungen. Prädestinierte Interpreten. Hinweise auf weiterführende Literatur. Werksbeschreibungen. Wie wirkt welches Werk auf Euch. Dieses Werk ist starker Tobak, dieses Werk ist sehr melodisch, dieses Werk ist sehr düster...


    Hilfe zur Selbsthilfe ist meiner Meinung nach angesagt.
    Nicht,
    Brukner? Ganz klar: 4-7-3-9-5-8…


    Du hast in sehr vielen Dingen völlig recht. Es kommt aber, glaube ich, in den meisten derartigen threads schnell heraus, dass große Uneinigkeit besteht, was nun besonders eingängig oder zum Einstieg geeignet ist. Das ist ja auch eine wichitge Information ;) Und natürlich kommen dabei die persönlichen Vorlieben zum Tragen. Ich mag bis heute Bruckners 4. nicht, daher werde ich sie niemals einem Einsteiger empfehlen, wohl aber erwähnen, dass sie oft als "Einsteigerwerk" gehandelt wird.


    Ein wichtiger Punkt, den ich auch oft vergesse, ist den Einsteiger, sofern er kein völliger Neuling ist, zu fragen, was er denn sonst so kennt und schätzt.
    (Das hat niemand Manni im Kammermusik-thread gefragt?!)
    Selbst daraus folgen natürlich keine eindeutigen Empfehlungen; Alfred hat z.B. zu Recht darauf hingewiesen, dass einem nicht notwendig die Kammermusik eines Komponisten zusagen muß, wenn einem die Orchestermusik gefällt (ich halte das aber doch für eine Ausnahme). Bedingte Empfehlungen: Wenn dir X gefällt, probier mal Y sind aber gewiß sinnvoll.


    Mein Einstieg in die Klassische Musik fand ab ca. 1987 statt, vielleicht sogar schon 1986; daher sei mir nachgesehen, dass ich mich nicht mehr an alle Details erinnere. Ich hatte wenig Geld, keine Bibliothek etc. und lief daher nicht Gefahr, zu schnell zu viel Musik kennenzulernen. Ich hatte das Radio, eine recht kunterbunte Anzahl LPs meiner Eltern und einen sehr guten Freund, der schon etwas tiefer eingeweiht war (einige Jahre später kam ein weiterer Kamerad dazu, dessen Eltern eine gigantische Plattensammlung hatten).
    Meine allerersten Eindrücke waren hauptsächlich Tschaikowsky (Klavierkonzert, 5. & 6. Sinfonie, kleinere Stücke, Dvoraks 9). Dann aber bald Sinfonien von Haydn, Mozart und hauptsächlich Beethoven, Beethoven, Beethoven. Natürlich zuerst Orchestermusik. Ich weiß nicht mehr genau, wann ich das erste Streichquartett gehört habe, vermutlich 88/89, also ca. 2 Jahre nach dem Einstieg, der Kumpel hatte eine Kassette mit op.127 & 135. Im Spätsommer 1989 kaufte ich eine CD mit Beethovens op. 59, 2+3 (bei einem sehr großen gutsortierten Laden in Stuttgart), knapp ein Jahr später eine Gesamtaufnahme der Beethovenquartette: Monatelang gespart, DM 150, ein Angebot zum Jubiläum des Melos-Quartetts, die GA des ABQ kostete das Doppelte! Die Verkäuferin fragte mich, ob ich selbst so etwas spielte, sie war offenbar perplex, dass so ein Jungspund (gerade 18, wirkte aber vermutlich jünger) so was kauft.
    Ich fand es völlig selbstverständlich nach den Sinfonien etc. nun auch die Quartette zu hören, wo überall stand, wie toll die wären. Etliche kannte ich jedoch aus Radio-Mitschnitten (z.B. Bernsteins hyperromantische Streichorchesteraufnahme von op.131).
    (zum Vergleich: in der Orchestermusik war ich inzwischen mit den wichtigsten Bruckner-Sinfonien vertraut und kannte auch Mahlers 2. 4. und 5. Am wenigsten begeisterte mich damals reine Klaviermusik; ich fand noch ca. 1995 Bachs Klaviermusik ziemlich langweilig und erst ca. 1997 kaufte ich die erste GA der Beethovensonaten, wobei ich allerdings viele davon seit Jahren kannte.)
    Natürlich hört man am Anfang Stücke auch hauptsächlich deswegen, weil sie berühmt sind. Ich habe gewiß nicht viel mitgekriegt, als ich mit 16 die Hammerklaviersonate hörte. Aber mit der Zeit wird man eben vertraut damit.
    Und ich war von Beginn an "analytisch" interessiert. Ich habe gerade einen Zettel vom Februar 1989 gefunden, auf dem ich versuchte (bloß hörend) das Finale von Beethovens 9. in Abschnitte zu gliedern, ob man eine Rondoform o.ä. findet. Das hatte ich offenbar meinem Freund geschickt, der hatte die entsprechenden Abschnitte, sofern korrekt anhand der Partitur identifiziert u.a Anmerkungen und Korrekturen hinzugefügt.


    Der langen Rede kurze Sinn: Jede Hörbiographie ist anders und unbefangenes Selberhören ist durch keinerlei (Meta)Kommunikation zu ersetzen!


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Für mich habe ich oft festgestellt, dass es nicht das Werk ist, dass einem vielleicht den "Zugang" vorerst verbaut sonder die Interpretation.


    Ich denke man kann sich durchaus auch gleich einen "brutalen Brocken" ins Haus holen, wenn die Interpretation gut ist, dann dauert es nicht lange bis man Feuer fängt.
    Nur muß man eben ohne Vorurteile an die Sache herangehen.


    Es gibt soviele preisgünstige "Schnupperangebote" da herrscht weiß Gott kein Mangel, so kann man sich eigentlich jeder musikalischen Sparte nähern.
    Die eigene Offenheit und das persönliche Interesse ist da eben entscheidend.
    Ich habe mir z.B. die 27 CD Box von Shostakovich gekauft - ich kannte nix vorher von ihm, aber ich dachte mir an der Begeisterung muß ja was dran sein
    :D jetzt bin ich auch begeistert :D


    Vielleicht fällt es mir leichter auf unbekanntes zuzugehen, da ich durch mein Studium soetwas ständig "durchmachen" muß, aber ich finde das ist ein ganz großer Reiz für mich - das Unbekannte zu entdecken -


    Es gibt nur wenige Komponisten die mich bisher auch nach mehrmaligen Versuchen nicht ansprechen, Keiser, Locatelli, R. Strauss und Ligeti sind jetzt diejenigen die mir auf Anhieb einfallen.
    Aber vielleicht ändert sich das ja noch.
    Nur im Moment habe ich an den Werken dieser Leute kaum mehr Interesse.


    Generell finde ich es sehr schade wenn man sich nur in einem bestimmten Bereich bewegt, denn da entgeht einem wirklich ein ganzes Universum an Großartigkeiten - und das möchte ich nicht an mir vorüber ziehen lassen.
    Mein Einstieg zu rekonstruieren fällt mir jetzt nicht so leicht, klassische Musik habe ich schon als Kind gehört, meine ersten CD's waren das Requiem von Mozart+ Te Deum von Charpentier (Malgoire) Beethovens 5. (Bernstein) und ein Mozart Digest von Sony....
    Viel kam auch durch das Interesse an einer bestimmten Epoche, immerhin ist die Musik die lebendigste Kunstform und läßt auch in gewissem Maße Rückschlüsse auf die Geisteshaltung und Gefühle der damaligen Menschen zu.
    Für mich gehört der historische Kontext also auch immer dazu.



    Und wie Anfangs schon gesagt, ich bin davon überzeugt, dass man auch dem Anfänger alles vorsetzen kann, sofern es gut gespielt (und gesungen) ist (und die Offenheit da ist)


    :hello:



    Ich denke die Liste der Unverzichtbaren ist da ein wichtiges Element dieses Forums und ich denke da sind wirklich nur Spitzenaufnahmen die garantiert nicht enttäuschen gepostet.

  • Ich möchte hier mal grob trennen zwischen MÜNDIGEM Einsteiger - und HILFSBEDÜRFTIGEM Einsteiger.
    Wo liegt der Unterschied ?


    Wenn beispielsweise Edwin (oder aber auch ich) neues Terrain erarbeiten möchte, so ist er sich über seine Person völlig klar, weiß was er will, was er vermeiden - was suchen wird.


    Mit anderen Worten, dieser Typ Einsteiger hat ein gewisses System - was noch lange nicht heisst, daß der Einstieg auch glücken muß
    Und hier könnte man noch die Frage nachstellen : Ist das eigentlich von elementarer Bedeutung ?
    Es wird immer Leute geben die mit Klassik nichts anfangen können, solche die hilflos vor dem Computer sitzen, welche die als Sportler eine lächerliche Figur machen etc etc. Sie können auf anderen Gebieten ein Spezialist sein.



    Anders gelagert ist die Sache, wenn jemand, der der Klassik bis dato gleichgültig oder gar ablehnen gehenüberstand, plötzlich mit "einem Ohrwurm aus der Werbung" (um ein beliebtes Cliche zu nehmen) konfrontiert wird, dem er hilflos gegenübersteht. Mit seinen Freunden kann er nicht drüber reden, die würden ihn auslachen . Und er fürchtet zu recht (?) daß ihm das in der "Klassikwelt" auch passieren wird - vorzugsweise dann venn er sich einer falschen Terminologie bedient,
    ("Wie heißt das schöne Lied aus der Mozart-Oper, die gestern im Fernsehen war?" - ganz am Anfang ??)


    Was erwartet solch ein Einsteiger ?
    Eigentlich eine Sammlung "schöner Lieder"
    Genau das was die Tonträgerindustrie mit Instinkt für Geld - aber weniger für Kunst und Musik - immer wieder anbietet.


    Klassikfreunde reagieren nun verschieden.


    Die einen (alte Schule) gehen den Weg des geringsten Widerstandes und empfehlen eine Palette von hitverdächtigen Arien etc.


    Das das Erfolg hat beweisen hja Compilationen aller Art.
    Letztlich Die "gesamte klassische Musik" auf 10 CDs.


    Irgendwie ist das gar nicht so falsch - haben sie doch immer wieder dieselben Stücke als "Reisser" und "Renner" durchsetzen können.


    Die neue Schule versucht, den "Neuling" gleich aufs schlimmste vorzubereiten - und bietet "spröde Kost"
    Dabei wird übersehen, daß das vorgeschlagene Programm eher für "mässig fortgeschrittene" geeignet ist.


    Man sollte aber stets nachfragen WARUM der jenige überhaupt "einsteigen " will......


    HIER im Forum handelt es sich ja eigentlich um keine Einsteigerthreads - und wenn - dann werden sie für Mitleser - die an sich gar nicht fähig wären hier ädiquat aktiv teilzunehmen - geschrieben - als Service sozusagen.


    Wer hier bereits mitmacht - ist (wir hatten einige wenige Ausnahmen in der Vergangenheit) in der Regel kein "Einsteiger" mehr, sondern ein "mässig fortgeschrittener, der seinen Horizont erweitern will.


    Das ist unter anderem sehr gut zu beobachten, beim Jazz-Thread.
    Obwohl jeder schrieb er habe null Ahnung - schlagen sich die einzelenen Teilnehmer recht tapfer........


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Ich habe mehrmals die Erfahrung gemacht, dass gewisse Werke jahrelang verschlossen bleiben, bis sie sich mitunter durch ein entscheidendes, faszinierendes Detail von einem kleinen Punkt aus öffnen. So ging es mir mit Bruckners 8. Sinfonie, an der ich immer wieder an den rätselhaften letzten Takten des ersten Satzes hängen geblieben bin, dann kamen die letzten Takte des Finales dazu, wo sich die Themen übereinander stapeln usw. So ging es mir auch (vor vielen Jahren) mit Beethovens Streichquartetten, die ich über die späten Quartette, also die vermeintlich sperrigen, kennen gelernt habe, weil ich in einem damals gängigen Kundera-Buch etwas über op. 135 gelesen habe, was ich dann auch unbedingt hören wollte usw. Es ist oft das kleine Detail, das einem eine Welt aufmacht, und ich glaube, dass der Reiz eines 'Einsteiger-Threads' in solchen Hinweisen liegen kann. In der Tat können die Werke dann durchaus auch komplexerer Natur sein, entscheidend ist oft nur, einen Zugang zu finden, bei dem man nicht umkehren will.
    Es gibt allerdings auch 'Einstiege', die niemals zu einem konkreten Hörerlebnis führen und also Sackgassen sind: ich erinnere mich noch gut, wie verzweifelt ich mal war, als ich feststellen musste, dass ich die Werke von Vinteuil aus Prousts "Swann" nie hören werde, weil sie eine Erfindung des Autors sind. Das wäre ein genialer Einstieg gewesen... (Im "Fluss ohne Ufer" von Jahnn gibt es ähnliche Beispiele...)
    Anderseits gibt es auch falsche Einstiegsmöglichkeiten, die es zu vermeiden gilt. So habe ich nach Mahlers 3. Sinfonie mir gleich seine 9. zugelegt, die in einer Live-Aufnahme von Karajan damals in aller Munde war. Der erste Satz war großartig, aber Satz 2 und 3 bleiben mir lange trotz wiederholter Versuche ein Buch mit mindestens 7 Siegeln. Bis ich eines Tage gelesen habe, dass Karajan dazu geneigt hat, die Schroffheiten in Mahlers Musik glatt zu bügeln. Das betrifft in erster Linie seine Studio-Einspeilung, aber eben auch die Burleske in der Live-Aufnahme. Erst anderen Aufnahmen (Boulez, Abbado, Bernstein) haben mir den unglaublichen Reiz gerade dieser Sinfonie nahe gebracht, und der in vielen Dingen geschätzte Karajan ist hier nun mal ein gewaltiger Fehlgriff.
    Fazit: Manche Einstiege brauchen eben Zeit, da mir die aber nicht unendlich zur Verfügung steht, freue ich mich wie Gallo sehr über die eine oder andere "Erfahrungsperle".

  • Für Einsteiger aber auch Fortgeschrittene hätte ich einen interessanten Tipp: Eine Orchesterprobe, mit den dazugehörigen Kommentaren des Dirigenten, anhand eines leicht verständlichen Werkes. Es geht um keinen geringeren Dirigenten als (dem leider viel zu früh verstorbenen) Ferenc Fricsay +1964, mit Smetanas “Moldau” und dem Rias Sinfonieorchester. Entstehung ca. 1960.
    Anlässlich eines Musik-Seminars brachte der Kursleiter dieses Band als Lehrbehelf mit, eine wahre Fundgrube für die aussergewöhnliche Auffassung eines der tollsten Dirigenten seiner Zeit.
    Wie er die Einleitung mit den 2 Flöten erklärt, die kleinen Bächlein als Ursprung der Moldau die sich nach der Einleitung vereinigen, weiterfließen . . . es folgt die Bauernhochzeit - wo die Leute “hörbar” mit Holzschuhen auf dem Podium stampfend tanzten und das Orchester entsprechend rhythmisch zu spielen hat, (Karajan bringt - o jeh - diese Stelle leichfüßig, als wären Balletttänzer unterwegs) die Jagd, bei welcher er plausibel erklärt, wie wichtig “ihm” die Rolle des 3. Hornes erscheint, Mondaufgang, Elfernreigen, die Stromschnellen, usw, Nach Abschluss der Probe erfolgt die Aufführung dieser sinfonischen Dichtung. Fricsay erklärt auf eine so einfache, aber überaus überzeugende Weise dieses Werk, dass ich jedem, der haranwachsende musikalische Kinder hat, oder auch für den Selbstgebrauch nur empfehlen kann, sich dieses Werk anzuschaffen. Man lernt absolut “neu” zu hören.
    Es müsste aufgrund seines hohen musikalischen Wertes als (CD) Neuauflage im Handel zu bekommen sein.

  • Hallo GalloNero,


    als ich diesen Thread eben erst gelesen habe, war ich doch etwas erschrocken darüber, das ausgerechnet mein gestarteter Thread im Kammermusik Forum, der Auslöser für Deine Schreibwut war.


    Aus Deinem Posting herausgegriffen:


    Zitat

    Original von GalloNero
    Ich begrüße diese Entwicklung außerordentlich (noch mal Dank an alle, die mir bei meinen Einstiegen bisher halfen ). Ein Thema brennt mir allerdings schon lange unter den Nägeln. Nachdem ich nun den noch jungen Kammermusikthread angelesen habe, kann ich nicht mehr länger an mich halten. Sinngemäß lese ich aus vielen Beiträgen solcher Threads immer wieder eine Botschaft wie die folgende heraus:
    „Soooo, Du willst also einsteigen. Na dann suchen wir Dir doch mal ein besonders gefälliges, leicht zugängliches Stück heraus!“


    Alfred hatte dazu auch schon ein annähernd nachvollziehbares Häpchen in die Runde geworfen.


    Ich muß mich dennoch immer wieder darüber wundern, das der Begriff "Einsteiger" hier so kontrovers behandelt wird, obwohl GalloNero als Beispiel eigentlich nur Threads von "mündigen" Einsteigern genannt hat. Na gut, es war als Aufhänger gedacht.


    Da ich nur für mich sprechen kann, folgendes:


    Ich höre seit über 30 Jahren auch klassische Musik.
    Anfangs ( ich sag mal, die ersten 10 Jahre davon) weniger intensiv und ohne Orientierung.
    An Orientierung fehlt es mir heute zwar immer noch ;), aber ein Forum wie dieses bietet sich deshalb auch an, Wege zu finden, seinen Horizont doch noch entscheidend erweitern zu können.
    Das man dann auch mal geneigt ist, einen Thread zu starten, der einiges auf den Punkt bringen soll und darüber hinaus auch Interesse für die nur mitlesenden Augen dieses Forums wecken möchte, also nicht nur mir allein was bringt, fand ich es normal, den "Einsteiger" im Titel zu integrieren.
    Genauso gut hätte es auch heißen können, "Kammermusik - was könnt ihr mir empfehlen?".
    Blablablup ... usw.


    Also GalloNero, mache Dir in meinem Fall mal keine Sorgen, ich weiß mit den mir gegebenen Antworten umzugehen und das für mich wichtige daraus zu ziehen.
    Es ist aber dennoch schade, das die hier mitlesenden absoluten Neulinge vielleicht doch abgeschreckt werden, ihren Einstieg zur Klassik oder in dieses Forum zu finden.


    Also Leute, nur keine Hemmungen und meldet euch und fragt dem Forum große Löcher in den Bauch.


    Es bringt beiden Seiten was.

    Liebe Grüße
    der Manfred