Beethoven: Klaviersonate Nr. 8 in c-moll op. 13: "Pathetique"

  • Das ist alles gar kein Problem, lieber Jörn, du kannst auch noch im nächsten jahr, oder wenn du mal irgendwann eine neue Aufnahme bekommst, diese auch noch in jedwedem Thread einstellen. Ein ganz anderes Problem hatte ich vorhin bei der Mondscheinsonate: acht Wochen nicht gehört, schon hat mich Madame Pires aufs Glatteis geführt. Ich habe doch im Presto beim Probehören nicht mitbekommen, dass sie die Exposition nicht wiederholt hat. Aber beim zweiten Hören bin ich ihr dann doch draufgekommen. So erlebt man seine Überraschungen beim Hören.


    Liebe Grüße und angenehme Nacht


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Ich glaube, meine Eindrücke werden Dich besonders interessieren, lieber Willi (Mondscheinsonate und op. 7 werden folgen) ;)


    Selten hat mich ein Beethoven-Interpret, den ich bislang noch nicht kannte, auf Anhieb so für seine Qualitäten eingenommen wie Alfredo Perl: Sein Vortrag der Sonate op. 10 Nr. 3 offenbart einfach alles, was Beethoven haben muss. Da zeigt sich einmal der Sinn für Formklarheit, für filigrane grammatische Strukturen, für die Logik klassisch-musikalischen Denkens. Aber neben diesen „objektiven“ Eigenschaften ist da auch die Subjektivität präsent in allen ihren Facetten – besonders eindrucksvoll im perspektivenreichen langsamen Satz. Dazu kommt eine Gewissenhaftigkeit und Schlüssigkeit in der Auslotung des Notentextes, die auch wirklich jede einzelne Note Ernst nimmt und die Musik bis in ihre letzten Winkel ausleuchtet. Beeindruckend ist nicht zuletzt die Pianistik: immer klar und souverän, ohne jede Unschärfe oder Schludrigkeit, eine Bedachtsamkeit, die sich zudem verbindet mit der Fähigkeit, einen Klavierton abzutönen und auf diese Weise zum Leben zu erwecken.


    Dass Alfredo Perl mit Beethoven eine „Wahlverwandtschaft“ verbindet, zeigt er auch in der vielgespielten und vielgehörten Pathétique. Das Forte zu Beginn der Grave-Einleitung hat einen vollen und „saftigen“ Ton – ein Ausdruck von Schwere ohne jede Härte, die Essenz von Schwergewichtigkeit gleichsam, ohne aber wie bei Arrau bedrückend zu wirken. Der Ton bleibt klassisch vornehm und unaufdringlich. Gewichtiger Ton hat eindeutig das Übergewicht in dieser organisch und emotional schlüssig gestaltenden Einleitung. Perl betont den auf die Romantik vorweisenden Charakter einer einheitlichen Grundstimmung – die Kontraste stellen somit keine wirklichen dramatischen Gegensätze dar, sondern kolorieren gleichsam die durch das Grave-Motiv immer präsente düstere Stimmung durch lichtere Töne und verhaltene Strebungen. Sehr einnehmend und die alles durchziehende Gewichtigkeit unterstreichend bekommen die atmenden Pausen Bedeutung. Beim Hauptthema zeigt Perl seinen Sinn für das Denken in klassischen Kontrasten: In seinem zugleich durchaus nicht ohne Energie fortschreitenden aber zugleich fließend leichten Fortschreiten hebt das Hauptthema die regungslose Starre der Einleitung auf in eine erleichternd beschwingte Vorwärtsbewegung, die ihren Höhepunkt im Seitenthema findet. Indem Perl die Stimmungsaufhellung im Kontrast zur Einleitung betonend auf jede übertreibende, rhetorisch gewichtende Dramatik verzichtet, entsteht eine Finalität in der Setzungsqualität der Themen – Vorbereitung und Höhepunkt: Auf die Flüchtigkeit des vorwärtstreibenden Hauptthemas folgt die Deutlichkeit des Seitenthemas mit dramatisch prägnanter Kontrastierung von Melodik und Kontrapunktik. Ich kenne keine andere Aufnahme der Pathétique, die in dieser Weise – an Chopins Sonate op. 35 erinnernd – das Seitenthema als dynamischen Kulminationspunkt gestaltet. Die Reprise der Grave-Einleitung zu Beginn der Durchführung ist wunderbar nachdenklich besinnlich gespielt – mit einem wunderschönen Abgesang. Perl zeigt hier eine seiner großen Qualitäten: emotionale Sensibilität. Einmal mehr bewährt sich auch in der Durchführung Perls kluge Dramaturgie, das Hauptthema in seinem Gestus in keiner Weise übermäßig zu dramatisieren: durchgeführt bekommt es nun scharfe Kanten, wird deutlich markanter. Die Reprise der Einleitung zu Beginn der Coda verdichtet sich bei Perl zum konzentrierten Augenblick der Besinnung.


    Das Adagio cantabile beginnt bei Perl im langsam schreitenden Schrittmaß – dieser Rhythmus ist es, der beim melodischen Gesangsthema eindimensionale, selbstverliebte Melodieseligkeit gar nicht erst aufkommen lässt. Viele nehmen die Begleitfiguren nur als solche – und damit werden sie allzu leicht banal: eine Belanglosigkeit der Figuren in der linken Hand, die aus dem bloss Beiherspielenden zur einnehmend schönen Melodiestimme der führenden rechten nur um so peinlicher deutlicher wird. Nicht so Perl. Der pulsierende Rhythmus der Linken korrespondiert sehr fein mit der Rechten – die schreitende Bedächtigkeit verleiht so dem melodischen Ausdruck etwas Melancholisches. In diesem langsamen Satz kommt Perls ungemein gewissenhaftes Umgehen mit dem Notentext, seine Nachdenklichkeit und interpretatorische Achtsamkeit und Vorsicht voll zum Tragen: Das alles ist einfach bewundernswert sorgfältig durchgestaltet! So baut sich die dynamische Bewegung im Mittelteil sehr behutsam und quasi unauffällig auf – ohne dass etwas Wesentliches unterschlagen würde. Dieses Adagio cantabile hat bei Perl keine großen affektiven Pendelausschläge – es wird geprägt von einem insgesamt eher melancholisch-verhaltenen Ton. Dafür beeindruckt um so mehr Perls Sensibilität – eine Kunst der feinen Abstufung, höchster Aufmerksamkeit gerade in der Unauffälligkeit.


    Das Rondo nimmt Perl in einem flotten Tempo – die Musik hat innere Bewegung, ist quirlig, aber fließt zugleich klassisch entspannt dahin. Offenbar versteht der Interpret dieses Satz als ein Kehraus-Finale. Dies fügt sich bruchlos und schlüssig ein in den schon im Verhältnis von Einleitung und Exposition erkennbaren Ansatz, das „Pathetische“ im Wechsel der Affekte in Gestalt von Stimmungsgegensätzen zu gestalten. Aus dem entspannten Fließen in seiner zügigen Vorwärtsbewegung heraus versteht es Perl aber, dynamische Steigerungen aufzubauen, die sich sehr organisch als Intensivierungen des Bewegungsflusses ergeben. Was so erscheint ist ein insgesamt wunderbar ausgewogenes Rondo mit einem fast schon an Mozart erinnernden feinen Ton. Zum Schluss demonstriert Perl seine emotionale Sensibilität: Beim letzten Auftritt bekommt das Rondo-Thema etwas mehr melodische Weichheit, so dass die Schlusssteigerung im Kontrast dazu ihre dramatische Wirkung um so intensiver entfalten kann.


    Das Bild der Pathétique, das Perl musikalisch zeichnet, ist freilich nicht das eines großen menschlichen Dramas, in dem elementare Kräfte wie Urgewalten entfesselt werden. In seiner sensiblen Behutsamkeit unterschlägt eine solche Sicht aber auch nichts – untergründig und hintergründig ist alles, was zu sagen ist, präsent. Beglückend ist nicht zuletzt die unglaubliche Ehrlichkeit und Authentizität dieses Klavierspiels – was Perl auch macht, es vermag den Hörer immer zu überzeugen. Die Hochschule für Musik in Detmold kann sich glücklich schätzen, einen solchen Lehrer zu haben, welcher seinen Studenten sicher eines vermitteln wird: Klavier spielen vor dem Publikum ist eine Frage nicht primär des Erzielens von berauschenden Effekten, sondern des musikalischen Gewissens. :)


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Lieber Holger,


    schönen Dank für diese hervorragende Rezension. Es freut mich wirklich sehr, dass mein Tipp in Richtung Perl dich nun veranlasst hat, sich seinen Interpretationen der Beethoven-Sonaten zuzuwenden. Deine Rezension zeigt mir, dass ich, zumindest, was die Pathétique betrifft, nicht zu viel versprochen habe, als ich in einem anderen Thread etwas über Perl gesagt habe und dazu auch den hier im Forum ja nicht unumstrittenen Joachim Kaiser zitiert habe. Nun bin ich natürlich auch auf deine anderen beiden Rezensionen gespannt.
    Was die Mondschein-Sonate betrifft, so muss ich noch Vladimir Ashkenazy, Rudolf Buchbinder, Gerhard Oppitz und Peter Rösel nachliefern, außerdem von Oppitz noch Waldstein, und von Buchbinder und Ashkenazy noch Nr. 13, op. 27 Nr. 1 und Waldstein.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Ein Pianist der hier anscheinend noch gar nicht ins Gespräch gebracht wurde, ist der Amerikaner Richard Goode. Ich hatte in meiner New Yorker Zeit die Gelegenheit, ihn in mehreren Konzerten eines ausschließlich Beethoven gewidmeten Programms zu hören und war damals sehr beeindruckt. Ich besitze auch die GA der Beethoven Sonaten von ihm, habe aber lange nichts mehr daraus gehört. Kennt einer der Fachleute hier diese Aufnahmen?

  • Ich habe Richard Goode vor Jahren auf dem Klavierfestval Ruhr kennengelernt, und da hat er nach meiner Erinnerung Beethoven und Schubert gespielt. Ich war damals von dem Konzert sehr angetan, habe aber deswegen hier noch nichts von ihm erwähnt, weil ich noch keine Aufnahmen von ihm besitze. Ich muss sagen, dass sie mir im Moment auch noch zu teuer sind. Aber es stimmt schon, dass er es wert wäre, hier vorgestellt zu werden, wenn einer von ihm Aufnahmen der Sonaten hat.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Nun bin ich natürlich auch auf deine anderen beiden Rezensionen gespannt.

    Da bin ich selbst gespannt, lieber Willi! :)


    Ein Pianist der hier anscheinend noch gar nicht ins Gespräch gebracht wurde, ist der Amerikaner Richard Goode.

    Der Name sagt mir natürlich etwas, lieber Lutgra. Aber ich kenne von ihm auch leider gar nichts. Das schöne an solchen Interpretationsvergleichen ist, daß man auf Interpreten aufmerksam wird, die man sonst eher links liegen gelassen hat. Die Welt ist halt zu groß, um sie zu umfassen! :D


    Herzlich grüßend
    Holger


  • Andras Schiff möchte offenbar der Grave-Einleitung das Gequält-Pathetische, den Muff eines etwas zu fett gemalten Ölgemäldes austreiben – auf die durchaus gravitätisch und durch den Bösendorfer-Bass auch massig auftrumpfenden Akkorde der Eröffnung folgt eine rhythmisch „frisierte“ Antwort – nach altbackener Virtuosenmanier, Punktierungen länger zu halten und die kurzen Vorschlagsnoten noch kürzer zu spielen, als sie eigentlich sind – so, als wolle sie sagen: Glaubt nur nicht, was ihr gerade gehört habt! Es ist doch gar nicht so schwer! Die Folge davon ist allerdings, dass diese Grave-Einleitung eine klare und einheitliche Linie vermissen lässt. Zu diesem Bild trägt nicht zuletzt noch das wenig organische Rubato-Spiel bei. Die klanglichen Eigenheiten des Bösendorfer versucht Schiff allerdings zu nutzen – indem er etwa den zur Exposition hin abstürzenden Lauf im glitzernden Piano spielt. Das Hauptthema nimmt er „locker“ ohne eindeutigen Vorwärtsdrang. Dadurch fehlt etwas die Entschiedenheit. Man weiß nicht so Recht, was der Interpret eigentlich wollte. Das Seitenthema wirkt leider sehr hölzern und ungelenk. Seine Stärken zeigt Schiff dann aber in der Durchführung: eine Rhythmisierung, die der Musik Intensität und Charakterwechsel verleiht mit bohrenden Bässen.


    Das Adagio ist eigentlich schön ausgesungen – wenn da nicht dieses wirklich störend-aufdringliche „Klappern“ wäre, die Pianistenmarotte aus alten Zeiten, den Melodieton immer zeitversetzt dem Bass hinterherhinken zu lassen. Dazu kommen die Tücken des Instruments: Der kräftige Bösendorfer-Bass wird sehr schnell aufdringlich, wenn man ihn nicht wo es darauf ankommt dezent zurücknimmt. Bisweilen „poltern“ die begleitenden Bässe doch zu sehr und insgesamt fehlt der Melodik etwas die fließende Natürlichkeit. Seine starken Momente hat Schiff wieder dort, wo er die Musik rhythmisieren kann: im Mittelteil. Dort zeigt er auch eine wirklich „klassische“ Tugend: das empfindsame Spiel.


    Das Finale überrascht mit „federleichtem“ Beginn, der aber auch unter einer in ihrer Pointierung etwas eigenbrötlerischen Phrasierung leidet und die schwebende Feder dann doch wenig elegant zu Boden zwingt. Dass Schiff dieser Satz gelingt, liegt einmal mehr an seinem Sinn für Bewegungsrhythmus: Die Musik entfaltet sich motorisch aus einer rhythmischen Keimzelle heraus. Dazu kommt allerdings eine „Individualisierung“, die ein wenig an den Stil von Cyprien Katsaris erinnert in der Hervorhebung von musikalischen Nebengedanken, die eigentlich besser Nebensachen geblieben wären. Die Fugenpassage – mit fürchterlichem Nachklappern der Melodietöne – ist wenig gelungen, tritt auf der Stelle ohne Dynamik entwickelnde Dialektik. Zum Schluss allerdings kommt der Satz bei Schiff so richtig in virtuosen Schwung. Ein sicher interessanter Beethoven, den man allerdings mögen muss.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Eine sehr interesssante und wie immer fachlich hochstehende Rezension, lieber Holger, die mir aber zeigt, dass du dich langsam Schiff annäherst oder er sich dir. Wie dem auch sei, wenn Beethoven nicht so viele schöne und lange Sonaten geschrieben hätte und wenn ich davon nicht so viele hätte und immer noch mehr bekomme, dann könnten wir uns demnächst ja mal über seinen Mozart oder Schubert unterhalten. Aber ich fürchte, bis dahin ist es noch ein Weilchen.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Eine sehr interesssante und wie immer fachlich hochstehende Rezension, lieber Holger, die mir aber zeigt, dass du dich langsam Schiff annäherst oder er sich dir. Wie dem auch sei, wenn Beethoven nicht so viele schöne und lange Sonaten geschrieben hätte und wenn ich davon nicht so viele hätte und immer noch mehr bekomme, dann könnten wir uns demnächst ja mal über seinen Mozart oder Schubert unterhalten. Aber ich fürchte, bis dahin ist es noch ein Weilchen.


    Mal sehn, lieber Willi! :D Bei Sterneköchen ist es ja so, dass wenn sie sagen, das schmeckt "interessant", dann meinen sie eigentlich: na ja.... ;) Bislang hat mich Schiff einfach noch nicht vom Stuhl gehauen, wie man so schön sagt. Ganz anders ist es mir da gleich auf Anhieb mit Alfredo Perl ergangen, der für mich eine wirkliche Neuentdeckung war, wo man gleich "Feuer" fängt. Die "Pathetique" von Schiff bleibt doch sehr "durchwachsen", da haben andere finde ich überzeugendere und alles in allem geschlossenere Darstellungen zu bieten. Heute nehme ich mir die schwierige Sonate op. 7 mit Schiff und Buchbinder vor - von letzterem auch noch die Pathetique. Ich lasse mich überraschen.... :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger


  • In der Gestaltung der Grave-Einleitung erweist sich Buchbinder als Antipode von Andras Schiff: Nicht nur, dass beim Einleitungmotiv die Punktierungen und 32tel-Vorschläge zur nahezu gleichlaufenden Bewegung assimiliert und entrhythmisiert werden, wodurch der Eindruck von Statik entsteht. Die melodischen Bögen sind organisch rund gespielt. Insgesamt hat diese Einleitung Profil und „Linie“, ist in sich schlüssig – wenn sie auch was die Ausdrucksdimension angeht eher reduktionistisch wirkt. In den Motiven („Motiv“ kommt schließlich von lat. movere = bewegen) ist wie Buchbinder sie vorträgt keinerlei Drang zu spüren. Die thematischen Entgegensetzungen sind freilich alle da – nur regt sich in der Musik nichts, sie bleibt ohne Innenleben. Bezeichnend auch, dass Buchbinder keine dynamische Intensivierung Takt 7 ff. gelingt. Zwar notiert Beethoven erst Takt 8 ein cresc., das zum Höhepunkt in Takt 9 (dem sfp) zuläuft. Doch diese dynamische Steigerung muss man vorbereiten, sonst wirkt sie nicht organisch entwickelt. Genau diese Vorbereitung fällt bei Buchbinder aus. Auch der zur Exposition hin abfallende Lauf bringt bei Buchbinder keine Spannung – er ist zudem für die 64tel und 128tel, die da notiert sind, viel zu langsam gespielt.


    Wieder einmal notiert Beethoven über einen Satz ein Allegro di molto e con brio, doch von innerem „Feuer“ kann bei Buchbinder keine Rede sein. Man muss Buchbinder zugute halten, dass er wirklich etwas von klassischem Formaufbau versteht. Hier ist sein Beethoven wahrlich souverän und ohne Fehl und Tadel. Dieses Klavierspiel erweckt den Eindruck, dass es keine „metaphysischen“ Probleme kennt. Das rustikal gespielte Hauptthema hat Bewegung, aber auch nur das. Dasselbe gilt für das sehr bäuerlich wirkende Seitenthema, dem man auch nicht den kleinsten Anflug von Anmut nachsagen kann. Die Befindlichkeit des musikalischen Subjekts gleich hier dem Helden in dem bekannten Grimmschen Märchen Von einem der auszog, das Fürchten zu lernen. Was sich da regt, das ist die Empfindungswelt eines etwas einfältigen Jungburschen, der besitzt jede Menge unverbrauchte Energie und derbe Kraft – existenzielle Krisen und damit auch echte Leidenschaft dagegen kennt er nicht, noch nicht einmal in Gestalt der Ahnung. Formal betrachtet kann man an Buchbinders Spiel sicher nichts aussetzen – die Durchführung etwa gestaltet sehr souverän die thematischen Kontraste. Aber wirklich innerlich tief zu bewegen vermag dieser Zugang zu Beethoven auch nicht.


    Im Andante cantabile zeigt sich finde ich besonders deutlich die Grenze von Buchbinders Aneignung dieser Sonate. Das ist zweifellos sehr bemüht gespielt. Aber diese Anstrengung kompensiert letztlich nur das fehlende Vermögen, diese Musik von innen heraus zu beseelen. Dass Buchbinder Beethovens Musik beseelen kann, das zeigt er etwa in der Sonate op. 7 – aber leider nicht hier. Warum betont er das Es gleich in der ersten Phrase – das wie „gestoßen“ wirkt? Weil die Melodie zwar keineswegs unschön gespielt ist, aber auch nicht wirklich „atmet“. Da fehlt das innere Leben – das ist einfach kein cantabile wie Beethoven es sich wünscht. Also muss ihm dieses gleichsam von außen aufgepresst werden durch eine rhetorische Geste. Dazu kommen die begleitende Bässe, die nichts Eigenes zu sagen haben, wodurch der Eindruck von Fadheit entsteht. Der Mittelteil mit den rhythmischen Triolen wirkt einfallslos um nicht zu sagen banal – das setzt im Ton den burschikosen Gestus des Kopfsatzes fort. Bezeichnend, dass die aus der Tiefe aufsteigenden Bässe Takt 48 rein gar nichts Dämonisches haben. Man muss Buchbinder freilich zugute halten, dass er sich um differenziertes Spiel bemüht. Insgesamt fällt dieser Satz nicht wirklich unangenehm auf in seiner etwas ernüchterten und erblassten Schönheit. Nur kompensiert das leider keine fehlende Innerlichkeit. Merkwürdig, warum er zum Schluss Takt 48 ff. die kurzen Vorschläge nicht auch kurz spielt, wie es geschrieben steht.


    Und das finale Rondo? Das Rondo-Thema habe ich kaum jemals so „positivistisch“ gehört: reizlos, hölzern und ohne jede Anmut. Die Fuge ist zweifellos gut gespielt – aber nicht zu denken etwa an Emil Gilels, der ihr einen barocken Ton des Erhabenen verleihen kann. Was ich bei Buchbinder vermisse ist ein Klavierspiel mit „Aura“ – gerade bei dieser Sonate gebe ich mich ungern mit pianistischer Reizlosigkeit zufrieden. Da gibt es nichts irgendwie Betörendes und wirklich tief Anrührendes, sondern statt dessen gesund-deutsches Musikantentum – zweifellos intellektuell höchst versiert. Bei Buchbinder ist das Lustige eben nur lustig und sonst nichts – Ausdruck bleibt bei ihm reiner Vordergrund ohne jeden Hintergrund. (Noch auffälliger ist das vielleicht in der Klaviersonate op. 10 Nr. 3, wenn man hier Buchbinder etwa mit Alfredo Perls eindringlichem Spiel vergleicht.) Mit Wehmut denkt man da an die Musikalität eines Wilhelm Kempff – der Musik stets in Bewegung bringt, das Starre flexibilisiert. Die Rondo-Leichtigkeit, zum Leben erweckt kann sie über das Lustige hinaus nur ein leises, verhaltenes Lächeln zeigen, oder überschwänglich auftreten, oder befreit und ausgelassen, von jeder Erdenschwere erlöst – oder gar leidende Leidenschaft unterdrücken. Solche Zwischentöne und Hintersinnigkeiten – sie sucht man in einem solch vernünftig „gesunden“ Klavierspiel wie dem von Buchbinder vergeblich. Mir persönlich ist das eindeutig zu wenig.


    Schöne Grüße
    Holger

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  • Lieber Holger,


    vielen Dank für deine wiederum herausragende Rezension, die aber auch zeigt, dass man als Praktiker, der du einer bist und das Ganze sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen hat, einen viel differenzierteren Zugang zu einem solchen Stück hat, als jemand wie ich, der nur mit seinem theoretischen, erworbenen Wissen nicht so tief in die Materie eindringen kann. Insofern mache ich mir keinen Kopf mehr, wenn wir bei ein und der selben Sonate und ein und dem selben Pianisten zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Entscheiden iet, wie einem die Aufnahme gefällt.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • vielen Dank für deine wiederum herausragende Rezension, die aber auch zeigt, dass man als Praktiker, der du einer bist und das Ganze sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen hat, einen viel differenzierteren Zugang zu einem solchen Stück hat, als jemand wie ich, der nur mit seinem theoretischen, erworbenen Wissen nicht so tief in die Materie eindringen kann.


    Lieber Willi,


    ich glaube, Du brauchst Dich hier nicht so klein zu machen. Im Endeffekt hat jeder Mensch nur eine Meinung bzw. einen Geschmack - ungeachtet wie viel Spielpraxis oder musikalische Bildung er hat. Ferruccio Busoni, bspw., hielt Beethoven für einen Dilettanten mit guten Ideen aber mangelnder kompositorischer Technik. Diese Meinung erscheint uns irgendwie bizarr, aber dass Busoni Klavier spielen konnte (eventuell sogar besser als Holger ;) ), wird man ihm nicht absprechen können. Jemandem wie Buchbinder, der sich seit 60 Jahren intensiv mit Beethoven beschäftigt und dessen Einspielung nicht nur von Joachim Kaiser sondern praktisch allen Rezensenten in den Himmel gelobt wurde, "Musikalität" abzusprechen erscheint mir ebenso bizarr wie Busonis Diktum.



  • Serkins Mono-Aufnahme aus der Nachkriegszeit ist wirklich hörenswert – ein ungemein aufrüttelnd und mitreißend gespielter Beethoven! Dazu ist das alles noch ungemein klug und feinfühlig gestaltet. So beginnt die Grave-Einleitung keinesfalls mit brachialer Gewalt oder den Hörer überfallender Wucht und Schwere. Der fp-Gegensatz erscheint in seinem Kontrast eher mäßig. Dafür bekommen aber die Motive Takt 3 einen vorwärtsdrängenden Impuls. Serkin versteht es, in dieser Einleitung eine kontinuierliche dramatische Entwicklung aufzuzeigen – man möchte fasst an eine mehr in sich ruhende Exposition und dann die Spannungen intensivierende Durchführung denken. Der Beginn gibt sich eher neusachlich ernüchtert – dann aber entfaltet sich um so eindringlicher Expressivität. Das Fortissimo Takt 5 und 6 bildet bei Serkin den Höhepunkt – setzt sich von dem fp des eröffnenden Akkords als deutlich gewichtiger ab, wo viele Andere mit allzu viel Anfangsgewicht im ersten Takt den Eindruck von lastender Schwere erzeugen. Was an Serkins Gestaltung dieser Grave-Einleitung gefällt ist Klarheit, die sich im wesentlichen einer stabilen Rhythmik verdankt, die sich bis zum Schluss durchhält. Der finale Lauf schließlich stürzt wie ein Wasserfall dynamisch aufspritzend in eine bodenlose Tiefe – die schwindelerregende Dynamik des Hauptthemenkomplexes ahnungsvoll andeutend. Das Hauptthema mit viel Schwung und Energie im flotten Tempo gespielt reißt den Hörer mit – das ist drängend und stürmisch, aber ohne jede Aufdringlichkeit, bewahrt in seiner Ausgelassenheit stets die Leichtigkeit. Das Seitenthema tritt im Gestus sehr energisch auf, zeigt sich aber im Innern ungemein kontrastreich, hat dramatische Gegenzügigkeit – eine Exposition, mitreißend gespielt wie aus einem Guss. Serkin wiederholt (auch in der späteren Studioaufnahme) nicht nur die Exposition, sondern mit ihr die Grave-Einleitung. Zu Beginn der Exposition bleibt der neusachliche Ton der kurzen Reprise der Einleitung erhalten – Serkin versteht es aber, in ihrem Verklingen einen wunderbar innigen und besinnlichen Ton zu erzeugen. Die Durchführung selber „brennt“ vor leidenschaftlicher Energie. Serkin gelingt es hier trefflich, den Sinn der Kontrastschärfung durch dynamische Intensivierung deutlich zu machen – eben weil die Exposition zwar dynamisch mitreißend, aber unaufdringlich ist, bleibt noch „Luft“ für eine Steigerung. In der Reprise überträgt sich beim Seitenthema die Erregung des Interpreten auf die Musik – was aber nicht störend, vielmehr authentisch sehr wirkt.


    Im Adagio cantabile meldet sich Serkins expressionistische Haltung: Melodieseligkeit als narzistischer Selbstgenuss wird nicht zugelassen, statt dessen jeder Melodieton in die Tasten „gestoßen“. Das wirkt freilich ein wenig verstörend – soll es aber wohl auch sein. Gleichwohl gelingt es dem Altmeister, das Melodische nicht zu zerstören, trotz alledem auf dem Klavier zu singen. Aus dem Adagio wird ein schreitendes Andante – ein behutsames Marschieren gleichsam. Dabei wird die Musik sehr einfühlsam in allen ihren Winkeln ausgehorcht und der Wechsel der Empfindungen trefflich charakterisiert. Der dynamische Mittelteil mit den Triolen beginnt sehr sensibel, um sich dann zur Heftigkeit zu steigern. Ein zugleich ungemein empfindsam und mit Klarheit gespielter langsamer Satz, den Serkin hier vorführt. Das Rondo lässt aufhorchen und nimmt gefangen mit einem nicht nur ungewöhnlich schnellen, sondern von Anfang an stürmendem Tempo. Serkin gehört zu den Interpreten, welche die Fortsetzung des dramatischen Gestus des Kopfsatzes und nicht den Sinn eines die Spannungen lösenden Kehraus-Finales betonen. Dabei ebnet Serkin die komplexe Struktur des Satzes durch seine dynamisch mitreißende Spielart keineswegs ein. So ist die Fuge vorbildlich klar und schlicht gespielt. Sehr effektvoll erscheint die letzte Wiederkehr des Rondo-Themas zarter als zuvor – wodurch sich die dynamische Schlusssteigerung um so eindrucksvoller darstellt. Mit einem Wort: Von Anfang bis Ende ist das fesselndes, mitreißendes Klavierspiel!


    Die spätere Studioaufnahme von 1962 beginnt in der Grave-Einleitung sehr ähnlich. Die entscheidenden Unterschiede liegen dann in der Gestaltung der Exposition. Schon der abstürzende Lauf zum Ende der Einleitung hört sich deutlich weniger spektakulär an. Das Hauptthema bewegt sich nun deutlich „moderater“ vorwärts – gegenüber der älteren Aufnahme fehlt hier der sprichwörtliche zündende Funke. Das Seitenthema als eine sich fortsetzende Belebung der Kräfte fügt sich sehr organisch an das Hauptthemas an. In der Durchführung gelingt es Serkin auch hier, noch einmal die Dynamik zu steigern. Insgesamt ist das nun ein deutlich abgeklärterer Vortrag, der mehr Wert auf klassische Ausgewogenheit legt, ohne dabei aber die dramatischen Akzente zu unterschlagen. Das Andante cantabile nimmt Serkin jetzt deutlich langsamer und „kantabler“ – die gestoßenen Akzente sind so gut wie nicht mehr zu hören. Das alles gestaltet der Altmeister sehr empfindsam und dabei völlig unaffektiert – der Charakter eines schreitenden Andante ist auch hier zu verspüren. Der Mittelteil beginnt wiederum sehr verhalten mit schönem Ton, um sich dann zu steigern – die aufsteigenden Bässe Takt 48 ff. sind sehr sensibel gespielt. Eine sehr geschlossene Gestaltung. Das finale Rondo ist zwar immer noch flott, aber gegenüber der alten Aufnahme doch deutlich entspannter in Richtung eines gelassenen Kehraus-Finales, ohne die Dramatik zu unterschlagen, denn es zeigen sich immer wieder aufrüttelnde, beunruhigende Züge. Die Fuge ist wiederum vorbildlich und tadellos gespielt. Der Satz wirkt im ganzen moderater als in der früheren Aufnahme – ohne der Musik allerdings den Biss zu nehmen. Insgesamt erscheint Serkins spätere Aufnahme deutlich weniger spektakulär, aber keineswegs spannungslos, vielmehr als eine gelungene Mischung aus klassischem Formkalkül und Emotionalität.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Jemandem wie Buchbinder, der sich seit 60 Jahren intensiv mit Beethoven beschäftigt und dessen Einspielung nicht nur von Joachim Kaiser sondern praktisch allen Rezensenten in den Himmel gelobt wurde, "Musikalität" abzusprechen erscheint mir ebenso bizarr wie Busonis Diktum.

    Dieser Kommentar erscheint mir nicht gerade als ein starker Moment: Erstens einmal ist allein die Tatsache, wie lange sich ein Interpret mit einem Werk beschäftigt, noch keine Garantie für absolute Qualität. Zum zweiten interessieren mich pauschalisierende Rezensionen reichlich wenig, wenn es um eine Einzelbeurteilung geht. Ich selbst habe habe ja eine durchweg sehr positive Rezension von Buchbinders op. 7 geschrieben. (Dort steht u.a., dass Interpreten nicht zu allen Regionen von Beethovens Sonatenkosmos einen gleich guten Zugang haben.) Und ich habe Buchbinder keineswegs die Musikalität abgesprochen. Da sollte man schon etwas genauer hinschauen beim Lesen. Ich habe einen Vergleich gezogen mit Wilhelm Kempff - der für mich der Inbegriff von Musikalität ist und in dieser Weise viele Andere überragt, was ja nicht heißt, dass sie deshalb alle unmusikalisch sind. Hier ging es um einen Vergleich der Extreme - einen eher hölzernen im Vergleich mit einem höchst flexiblen Vortrag.


    Schöne Grüße
    Holger



  • Wieder einmal ist man verblüfft, wie „treffsicher“ der große alte Kempff in Sachen Beethoven war: Die Grave-Einleitung ist zugleich absolut zwingend und einnehmend natürlich gestaltet. Das zentrale Motiv folgt in seiner musikalischen Logik dem klassischen Antwort-Prinzip „schwer-leicht“. Insgesamt drängt diese Einleitung nicht über sich hinaus, ruht mit ihren kontrastierenden Gegensätzen in sich selbst, entfaltet dabei aber eine spannend anzuhörende Binnendynamik. Das Hauptthema im eher gemächlichen Thema setzt das „Grave“ der Einleitung fort – klaviertechnisch ist das freilich etwas unpräzise. Atemberaubend dann das Seitenthema: wie Kempff da äußerst einfühlsam zögert, eine subjektive Reaktion andeutet, wunderbar! Kaum jemand spielt zudem die Frage-Antwort-Spiele des Seitenthemas so „sprechend“ und expressiv aus. Das ist wirklich berührend! Das finale ff der Coda nimmt Kempff zurück ins subtile Piano und spart sich die Expositionswiederholung. Die kurze Reprise der Grave-Einleitung zu Beginn der Durchführung beeindruckt durch poetische Ausstrahlung. Die Durchführung ebenso trefflich, die Gesten subtil und unaufdringlich rhetorisch gesteigert zu sprechenden, mehr akzentuierten Phrasen. Das ist ein wunderbar klassisch und zugleich poetisch-einfühlsam gespielter Satz!


    Das Adagio cantabile hat eher das Tempo eines flüssigen Andante, ist aber mit wunderbar singendem Ton und atmender Phrasierung gespielt: klavieristischer Gesang ohne jedes selbstverliebte Schwelgen, mit einer gewissen jugendlichen Kernigkeit im Ton. Kempff versteht es, empfindsam zu spielen mit betörenden Abstufungen und wie im wahren Leben gibt es keine tote Reproduktion, keine identische Wiederholung. In der Wiederholung klingt das Liedthema zugleich zarter mit schärfer hervorgehobenen Akzenten, mit klangperspektivischen Laut-leise-Kontrasten. Im Mittelteil mit den Triolen kommt Atmosphäre auf, um sich dann energisch zupackend zur Leidenschaft zu steigern. Töne werden wie mit dem Malerpinsel getupft – Kempff becirct den Hörer mit wahrlich zauberhaftem Klavierspiel. Dies setzt sich im Rondo-Finale fort. Geschwind und leicht ist das eine Art zauberhafter Spuk mit dahingehauchten, funkensprühenden Läufen – wie es sich für Beethoven gehört bleibt dabei die Phrasierungen immer deutlich. Wunderbar immer wieder die sich dazwischen regenden empfindsamen, leise drängenden Töne. Die Fuge im Tempo bedächtiger mit nachdrücklichem Ton, fein und empfindsam gespielt, mit sprechenden Frage-Antwort-Spielen und einer dynamischen Steigerung bis hin zum leidenschaftlichen Ausbruch. Dieses Rondo-Finale bildet gleichwohl den Gegenentwurf zu Rudolf Serkin (Besprechung s.o.!): nicht pathetisch aufwühlend, den Ton des Kopfsatzes fortsetzend, sondern den formalen Sinn des Kehraus-Finales poetisch transzendierend zu einer romantischen Fantasie- und Zauberwelt. Einmal mehr nimmt der Wilhelm Kempff der 30iger Jahre gefangen durch sein hochpoetisches, zauberhaftes Klavierspiel.


    Die letzte Studioaufnahme – wiederum bei der DGG – entstand fast drei Jahrzehnte später. Wieder beeindruckt die Grave-Einleitung durch ihre idiomatische Treffsicherheit. Aber es kommen beim alten Kempff nun neue Töne hinzu: Die Motive sind eine Spur drängender, die Phrasierung – etwa der schwergewichtigen Bässe Takt 5 – rhythmischer mit deutlich aufgesetzten Sforzati. Schon hier deutet sich der Stilwandel gegenüber der dreißig Jahre älteren Aufnahme an: Es meldet sich nicht nur Subjektivität in der aufkommenden Unruhe, sondern vor allem in einer gestenreichen, rhetorischen Phrasierung. Das Allegro molto e con brio bewegt sich nun noch bedächtiger aber auch rhythmischer und akzentuierter. Es fehlt jedoch jeglicher dramatische „Zug“, die dynamische Vorwärtsbewegung. Das Seitenthema tritt nun unspektakulärer und biederer auf – Kempff erlaubt sich das Tempo konstant haltend keine poetische Freizügigkeit zögerlicher Zurücknahme mehr. Dafür wirken die rhetorischen Gesten nun doch etwas aufgesetzt – der späte Kempff neigt zur „Überpointierung“. Auch die Aufnahme von 1965 lässt die Expositionswiederholung aus. Die Durchführung rhythmisch prägnant. Aber es stört doch immer wieder die aufdringliche Rhetorik, die etwas unmotiviert und „herrisch“ wirkenden Akzentuierungen.


    Das Adagio cantabile ist auch in der 1965iger Aufnahme sehr flüssig – wirkt aber fast schon ein wenig blass und indifferent mit etwas langweiligen Begleitfiguren. Aber auch hier versteht es Kempff, die Musik zu beleben durch das Prinzip melodischen An- und Abschwellens. Die rhetorischen Akzente auf der ohnehin schon betonten >1< wirken allerdings eher tautologisch. Sehr schön, wie er die aufsteigende Basslinie Takt 48 klangfarblich abschattiert. Das Rondo-Finale erscheint nun weniger geschwind aber immer noch sehr natürlich flüssig. Den Fluss stören allerdings die für meinen Geschmack zu aufdringlichen, manierierten rhetorischen Akzente. Da die Fuge im mäßigen Tempo keine Vorwärtsbewegung einer dialektischen Antwortreaktion entfaltet, wirkt die darauf folgende dynamisch-leidenschaftliche Steigerung wie ein Bruch statt sich kontinuierlich zu entwickeln – wo man nicht zuletzt spürt, dass dem alten Kempff die Kraft in den Fingern fehlt. Eine immer noch schöne Aufnahme, die allerdings den Zauber und die poetische Aura der 1936 Aufnahme verloren hat.


    Schöne Grüße
    Holger

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  • Schönen Dank für deine wiederum wunderbare Rezension, lieber Holger.
    Ich habe leider (oder Gottseidank) keine Vergleichsmöglichkeiten in Sachen Kempff, und dabei soll es auch bleiben. Ich will ihn so, wie der die Aufnahmen aus Hannover gespielt hat, in Erinnerung behalten, ihn, der wie kaum ein anderer seinen Flügel zum Singen bringen konnte.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich will ihn so, wie der die Aufnahmen aus Hannover gespielt hat, in Erinnerung behalten, ihn, der wie kaum ein anderer seinen Flügel zum Singen bringen konnte.


    So hat mein Lehrer mir Kempff auch immer charakterisiert - und genau dafür bewundere ich ihn! :)


    Herzlich grüßend
    Holger


  • Vgl. den Beitrag von Willi Nr. 72


    Goethes Ausspruch „das Romantische nenne ich krank, das Klassische gesund“ könnte man als Motto über Backhaus´ Zugang zur Pathétique schreiben. Die Grave-Einleitung beginnt geradezu aufreizend unromantisch. Derart kernig gesund, mit vollem runden Ton und bar jedes affektiven Ausdruckswertes bekommt man sie sonst wohl nirgendwo zu hören: junonische Ernüchterung statt appollinisches Pathos. So weit geht die Entromantisierung bei Backhaus, dass das Figurenwerk schon fast kindliche Verspieltheit annimmt – klassische Kunst als eine Variante von ästhetischem Spiel. Dabei kommen leidenschaftliche Töne sehr wohl auf, aber immer klassisch gefasst und ohne jegliche formzerstörerische Sprengkraft. Darauf folgt ein wirklich tadellos gespieltes Hauptthema – kräftig, wuchtig und dabei völlig unexaltiert. Schön ausgespielt auch das Zögern vor dem Eintritt des Seitenthemas. Dieses selbst erscheint dann zäh und farblos mit viel zu lang gespielten Vorschlägen. Die Musik tritt auf der Stelle. Insgesamt wirkt Backhaus´ völlig unaffektiertes, uneitles Spiel immer organisch rund mit einer sich durchhaltenden klaren Linie, den Blick für das große Ganze, der keinerlei Ziselierungen im Detail erlaubt. Wie Wilhelm Kempff spart sich auch Backhaus die Expositionswiederholung. Die Durchführung integriert sich zwar vorbildlich in den musikalischen Zusammenhang, bringt aber auch der Exposition gegenüber keinerlei dramatisierende Kontrastschärfung. Warum er wohl zu Beginn, in der kurzen Reprise der Grave-Einleitung, das Tempo hastig anzieht?


    Auch im Adagio cantabile meidet Backhaus jegliche romantisierende Dekadenz. Das Thema singt zwar, aber die Melodik schwingt auch nicht wirklich frei aus. Mit seinen leicht gestoßenen Akzenten und allerdings unaufdringlichem Nachklappern der Melodietöne will es wohl sagen: Das Klassische ist das Ethische, Gefasste, Deutliche eines festen Charakters, der Ausschweifungen sinnlichen Genusses mit gutem Gewissen verabscheut. Merkwürdig sind die wiederholten Unebenheiten im Rhythmus, leicht unruhige Abweichungen im Tempo. Den dynamischen Mittelteil mit den Triolen zieht Backhaus deutlich im Tempo an, was für meinen Geschmack nicht zu dem eher ernsten und getragenen Ton, der klassischen Zügelung des Vorherigen, passt. Die aufsteigenden Bässe Takt 48 zeigen Backhaus´ Sinn für die harmonische Austarierung der Gewichte.


    Eindeutig am besten gelungen ist Backhaus das finale Rondo. Er trifft hier für seinen klassischen Ansatz das „richtige“ Tempo: kernig und leicht zugleich, vorbildlich deutlich phrasierend und charakterisierend und dabei immer völlig natürlich, den Fluss der Musik wahrend, so dass man dem Geschehen einfach nur erfreut und innerlich entspannt zuhört. Die Fuge ist vielleicht etwas schwächer – tritt ein wenig auf der Stelle mit deutlichem „Klappern“ (ob Andras Schiff in dieser Hinsicht wohl Backhaus verinnerlicht hat?). Danach belebt sich die Musik aber sehr organisch. Wirklich schön der Schluss: Das sf Takt 201 nimmt Backhaus dezent zurück für einen poetischen Abgesang. Diese Pathétique mit ihrer klassischen Gesundheit fügt sich sicher bruchlos ein in Backhaus´ Beethoven-Bild, bleibt als Einzelerscheinung aber auch eher farblos.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Schönen Dank für die aufschlussreiche Rezension, lieber Holger, in der ich vieles gelsen habe, was ich auch so empfunden habe.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).



  • Zwischen der ersten und letzten Aufnahme von Alfred Brendel (im Rahmen der jeweiligen Gesamteinspielung aller Beethoven-Sonaten) liegen immerhin drei Jahrzehnte. Bemerkenswert, dass der Meister im Falle der Pathétique seinem frühgefundenen Ansatz ein Leben lang treu geblieben ist – mit einem doch signifikanten Unterschied allerdings, von dem noch zu sprechen sein wird.


    Die Gestaltung der Grave-Einleitung der Vox-Aufnahme von 1962-64 gehört für mich zu den besten überhaupt. Brendel beginnt nicht nur mit einem vollen und gewichtigen Ton, ohne in irgend einer Weise übermäßig schwerfällig oder gewaltsam hart zu sein. Durch das bemerkenswerte Portato-Spiel zieht sich die verhaltene Gewichtigkeit auch durch das antwortende Motiv hindurch. Das verleiht dem Satz insgesamt eine getragene Stimmung. Die Musik tritt durch das insistierende Gewicht auf den einzelnen Tönen pochend auf der Stelle – ein eher statisches Stimmungsbild, in dem die Motivdynamik keinerlei aufrührerischen Vorwärtsdrang entfaltet. Die massigen Bassakkorde ziehen, die Vertikale der linear fortschreitenden melodischen Horizontale gegenüber betonend, den Hörer gleichsam in die Tiefe. Damit korrespondieren dann in luftiger Höhe die sehr sinnlich und fein gespielten Oktaven im Diskant als leise Regungen von Sehnsucht als in ihrer Überhöhe unerreichbare, unerfüllbare Wünsche, unfähig, der Fesselung durch das statuarisch Gravitätische zu entkommen. Die Phrasierung ist insgesamt sehr „sprechend“ – Musik gibt sich expressiv nicht durch dynamische Kräfte, sondern rhetorische Präsenz. Wunderbar der abstürzende Lauf in die Tiefe zum Schluss. Das Hauptthema erscheint in vollem Ton verhalten gewichtig, welches von einem leicht dahinfließenden Seitenthema abgelöst wird, das doch ein bisschen unprofiliert wirkt – allerdings in seiner Fortsetzung mit einigen Widerborstigkeiten Zäsuren setzt. Insgesamt wirkt die gesamte Exposition einschließlich der Coda etwas zu homogen und arm an dramatischen Kontrasten. Die kurze Reprise der Grave-Einleitung zur Eröffnung der Durchführung beginnt mit einer Arpeggierung. Wirklich pianistische Extraklasse ist der verhalten gespielte Ausklang im feinsten Pianissimo. In der Durchführung arbeitet Brendel sehr behutsame Kontrastierungen durch das Mittel rhetorischer Phrasierung heraus. Zwar soll die Reprise die Kontraste der Durchführung versöhnen, aber auch nicht wie im Falle dieser Aufnahme einförmig wirken. Das ist einfach zu blass und kontrastarm – die Musik fließt so dahin wie ein Fluss vor der Mündung ins Meer, welcher alle Kraft des reißenden Gebirgsbaches, der er einmal war, unterwegs verloren hat. Für eine „pathetischen“ Stil fehlen diesem doch sehr entspannten Vortrag die großen seelischen Bewegungen und Aufregungen.


    Im Adagio cantabile zeigt Brendel seine überragenden Qualitäten, die ihn auszeichnen: Das ist im höchsten Maße sinnlich-kultiviertes Klavierspiel! Den Melodietönen treibt er das Leicht-Gefällige aus durch leichten Nachdruck, eine sachte „stoßende“ Phrasierung, aber mit feinen Nuancen. In der Begleitung holt er sehr eloquent die Stütztöne im Bass heraus, so dass die Phrase Profil bekommt. Insgesamt hat dieses Adagio den Fluss eines schreitenden Andante in getragener Stimmung. Die Anschlagskultur ist atemberaubend – das Pianissimo in der Wiederholung des Liedthemas wahrlich aufregend! Auch in all seinen Fortspinnungen behält das Liedthema seinen nachdrücklich pointierten Ton bei. Der Mittelteil mit den belebenden Triolen Takt 37 ff. hebt sich kaum vom Vorherigen ab – auch hier minimiert Brendel eher die Kontraste. Zum Schluss, wo sich das Liedthema mit dem Triolenmotiv vereinigt, erscheint der Ton kräftig und die Musik fließt in der Art eines Kehraus-Finales dem Ende entgegen, sich an Intensität steigernd, um dann sehr verhalten zu verklingen.


    Das Rondo nimmt Brendel in dieser ersten Aufnahme leicht, flüssig und klar mit wiederum deutlich herausgespielten Stütztönen im Bass. Das ist frisch und zugleich zart – der Ton wechselt vom Burschikosen zum Feinsinnigen hin und her mit schwerelos-leicht gespielten, dahinhuschenden Läufen. Brendel orientiert sich hier am Modell des erleichternden Kehraus-Finales. Die Fuge – flüssig und zugleich organisch – ist trefflich gestaltet. Das Rondo-Thema changiert immer wieder in der Phrasierung und Abtönung. Das ist wahrlich schön, sinnenfreudig abwechslungsreich weil ungemein kultiviert gespielt, aber insgesamt fehlt diesem kulinarischen Gericht die Würze dramatischer Kontraste. Der Satz klingt bei Brendel eher wie der Abschluss einer Sonate von Mozart als nach Beethoven. Zum Schluss zieht er das Tempo an – zeigt damit Temperament, aber wiederum ohne jede aufwühlende Dramatik.


    Wie auch bei Kempff oder Serkin zeigen sich die Unterschiede der späteren im Vergleich zur früheren Aufnahme bereits in der Grave-Einleitung. Den Einfall, den eröffnenden Akkord zu arpeggieren, der in der Vox-Aufnahme erst zu Beginn der Durchführung zu hören war, erscheint nun gleich zu Beginn. Damit verrät sich der nun gewandelte Stil: die Musik wird rhetorisiert und theatralisiert. Wie dreißig Jahre zuvor spielt Brendel die gewichtenden Portatos – nun aber kommen gestenreiche, bedeutungsschwangere Ritardandos und andere rhetorische Wirkungsmittel hinzu. Wie er gezielt z.B. das Tempo beschleunigt, um eine Schlusswirkung zu erzeugen, das erweckt den Eindruck, dass man einer Theaterinszenierung beiwohnt mit großen Gesten. (Ich erinnere mich hier an das Konzert, das ich von ihm in seinem letzten aktiven Jahr hörte, wo er sehr theatralisch bei Mozarts Fantasie c-moll die Hände in die Luft warf wie ein Schauspieler auf dem Klavier.) Ansonsten erzeugt auch diese Grave-Einleitung ein eher statisches, in sich ruhendes Stimmungsbild – die Bewegung wirkt aber insgesamt etwas flüssiger. Die Gestaltung des Hauptthemas ähnelt sehr der Vox-Aufnahme in ihrer zur Uniformität neigenden Kontrastarmut und das Seitenthema hat nun gegenüber der alten Aufnahme einen etwas vordergründigeren, lauteren Ton. Zu Beginn der Durchführung wird wieder arpeggiert. Einmal mehr betört Brendel mit seiner feinsinnigen Pianistik, die Phrase im absoluten ppp verlöschen zu lassen. Wie schon in der alten Aufnahme rhetorisiert er die Reprise der Grave-Einleitung zu Beginn der Coda durch überlange Fermaten, die von Beethoven gar nicht notiert sind. Der Satz endet, wie es begonnen hat – mit musikalisch-rhetorischem Theaterspiel.


    Das Adagio cantabile im etwas bedächtigerem Tempo zeigt wiederum dieselben Grundzüge wie dreißig Jahre zuvor. Gegenüber der alten Aufnahme wirkt das erste Auftreten des Melodiethemas etwas spröde – in der Wiederholung gewinnt es dann aber seine Sinnlichkeit zurück. Der Ton wird nun leicht unruhig und die Begleitfiguren tönen bisweilen etwas zu vorlaut für einen wirklich „organischen“ Gesang auf dem Klavier. Auch hier rhetorisiert Brendel die Musik. In der dritten Wiederholung des Liedthemas bewundert man wiederum Brendels Kunst der Abtönung im Piano – die Art der dynamischen Steigerung ähnelt sehr der Aufnahme von Anfang der 60iger. Der Mittelteil mit den Triolen Takt 37 ff. hebt nun geheimnisvoller an und kontrastiert durch seine auffrischende Dynamik deutlich besser als in der alten Aufnahme. Die aufsteigenden Bässe Takt 48 gefallen mit einem gewichtigen und zugleich behutsamen Portato. Die „Reprise“, welche das Liedthema mit den Triolenfiguren synthetisiert, wirkt etwas fahrig heruntergespielt mit „Wiener Schlampigkeit“ – steigert sich dann aber in der Intensität, wie man es schon von der alten Aufnahme her kennt. Die Tonrepititionen zum Schluss bekommen mit ihrem leichten Bohren Schubertsche Züge.


    Das Rondo nimmt Brendel jetzt eine Spur langsamer – die Phrasierungen sind im Vergleich mit der ersten Aufnahme wiederum pointierter, rhetorisch- sprechender. Zweifellos ist das alles sehr kultiviert gespielt – doch insgesamt fehlt der Bewegung etwas die Frische, wenn ihr auch die intensivierenden Steigerungen als Belebungsmomente zu Hilfe kommen. Die Fuge ist einmal mehr sehr souverän gestaltet in einem bedächtigen aber völlig selbstverständlich wirkenden Tempo mit einer sich anschließend ergebenden Temposteigerung auf den dynamischen Kulminationspunkt hin. Es gibt bei Brendel allerdings kaum dynamische Differenzierungen im Forte-Bereich. Insgesamt hat dieser als Kehraus-Finale gestaltete Satz nicht die Leichtigkeit der Vox-Einspielung. Neu und gewinnend hinzu kommen aber die empfindsamen, sehnsuchtsvollen Töne in den lyrischen Passagen. Auch hier kann man nur wiederholen, was schon zur dreißig Jahre älteren Einspielung zu sagen war: Die Musiksprache ist eher die eines zärtlichen Mozart als kräftig auftrumpfendem Beethoven.


    Das Fazit: Zu hören ist eine Pathétique im Brendel-Stil mit all seinen Vorzügen – man fragt sich jedoch, ob dies nicht eine Lesart ist, welche über den eigentümlichen Charakter des aufrührerisch „Pathetischen“ eher vornehm hinwegspielt.


    Schöne Grüße
    Holger

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  • Dieser Kommentar erscheint mir nicht gerade als ein starker Moment: Erstens einmal ist allein die Tatsache, wie lange sich ein Interpret mit einem Werk beschäftigt, noch keine Garantie für absolute Qualität. Zum zweiten interessieren mich pauschalisierende Rezensionen reichlich wenig, wenn es um eine Einzelbeurteilung geht. Ich selbst habe habe ja eine durchweg sehr positive Rezension von Buchbinders op. 7 geschrieben.


    Eben weil Buchbinder op. 7 Deiner Meinung nach so gut eingespielt hat, wäre es doch einigermaßen vernünftig, davon auszugehen, dass er sich bei seinem Ansatz zur Pathetique etwas gedacht hat, oder? Einem Weltklassepianisten wie Buchbinder bei einem solchen Repertoirestück, dass er technisch im kleinen Finger hat, "Unvermögen" vorzuwerfen, halte ich für arg vermessen. Dasselbe gilt für Deine Einschätzung von Schiffs Spiel als "hölzern". Dieses Wort suggeriert technische Schwächen, die bei Schiff in dieser Form wohl kaum vorliegen dürften. Schiffs Einspielung kenne ich nicht, aber Buchbinders Ansatz finde ich ganz hervorragend. Er wählt einen sehr klassischen Ansatz, was aber zur Entstehungszeit des Werkes sehr gut passt. Dass Mozarts c-Moll Sonate Vorbild gewesen sein dürfte, liegt wohl auf der Hand, oder? Natürlich kann man Gilels vorziehen, inwiefern sein Tastendonner aber zum damaligen Instrument Beethovens passt (ein Streicherflügel), sei mal dahingestellt.
    Ich finde Deine Besprechungen manchmal ziemlich inkonsistent. Bei op. 13 beklagst Du, der Kopfsatz wäre von Buchbinder nicht leidenschaftlich und wild genug gespielt, weil die Tempovorschreibung "Allegro di molto e con brio" laute. Die selbe Tempovorschreibung hat aber auch der im Grundcharakter freundliche Kopfsatz von op. 7. Im Gegenzug hast Du bei der Mondscheinsonate von den Interpreten eingefordert, sie sollten daraus ein "Kehrausfinale" machen, obwohl die Tempovorschrift "Presto agitato" (!) lautet. Ein weiteres Beispiel für diese Inkonsistenz wäre Deine Einschätzung von Brendels später Einspielung der Pathetique, die Du hier vor einigen Jahren hineingestellt hast (Beitrag Nr. 40 in diesem Thread):


    Zitat

    Alfred Brendels Vortrag dieses Adagio cantabile ist für mich eine doch herbe Enttäuschung! Seine Melodie fließt nicht, läßt jede Art von souveräner Freiheit und schwelgerischer Großzügigkeit vermissen. Hat sich Brendel etwa von Beethovens Vortragsbezeichnung Adagio verleiten lassen, die er allzu wörtlich nimmt, also um keinen Preis in die flüssigere Gangart eines Andante verfallen möchte? Es entsteht so der Eindruck einer gewissen schulmeisterlichen Bravheit und Betuhlichkeit, der schönen Behaglichkeit einer biedermeierlichen Idylle. Aufzureizen vermag solch gediegenes Spiel lediglich durch altmodisch-maniriertes Nachschlagen der Tasten, dessen Sinn man nicht so recht einsieht.



    Man vergleiche das mit Deinem letzten Beitrag, Nr. 290!!


    Jeder kann sich mal irren oder seine Meinung ändern - aber ein bisschen Bescheidenheit gegenüber diesen Ausnahmekünstlern wäre schon ganz nett.

  • Eben weil Buchbinder op. 7 Deiner Meinung nach so gut eingespielt hat, wäre es doch einigermaßen vernünftig, davon auszugehen, dass er sich bei seinem Ansatz zur Pathetique etwas gedacht hat, oder? Einem Weltklassepianisten wie Buchbinder bei einem solchen Repertoirestück, dass er technisch im kleinen Finger hat, "Unvermögen" vorzuwerfen, halte ich für arg vermessen.

    Du siehst Gespenster. Ich habe Buchbinder höchste Kompetenz bescheinigt was den intellektuellen Umgang mit Beethovens Musik angeht und ebenso, dass er klaviertechnisch perfekt ist (im Gegensatz zu Schiff). Meine Kritik bezog sich lediglich auf die ausdrucksästhetische Dimension, die ich als eher eindimensional empfunden habe. Mir schrieb übrigens kürzlich jemand, der gerade ein Konzert von Buchbinder besiúchte, dass er das pianistisch fabelhaft fand, doch die "Emotion" vermißte.


    Dasselbe gilt für Deine Einschätzung von Schiffs Spiel als "hölzern". Dieses Wort suggeriert technische Schwächen, die bei Schiff in dieser Form wohl kaum vorliegen dürften.

    Schiff hat klaviertechnische Schwächen (wie Kempff übrigens auch), das ist evident. "Hölzern" bezieht sich aber wiederum nicht darauf, sondern den Ausdruckswert (im Sinne fehlender emotionaler Flexibilität).


    Schiffs Einspielung kenne ich nicht, aber Buchbinders Ansatz finde ich ganz hervorragend.

    Aha! Woher weißt Du dann, daß Schiff bei Beethoven angeblich keinerlei technische Schwächen zeigt?


    Er wählt einen sehr klassischen Ansatz, was aber zur Entstehungszeit des Werkes sehr gut passt. Dass Mozarts c-Moll Sonate Vorbild gewesen sein dürfte, liegt wohl auf der Hand, oder?

    Die Tonart C-moll steht weiniger für Klassizität, sondern einen ausdrucksintensiven, affektiven Vortrag. Der Bezug im 18. Jahrhundert wäre da etwa Carl Philipp Emanuel Bach und sein gerade nicht "moderater", expressiver Vortragsstil.


    Natürlich kann man Gilels vorziehen, inwiefern sein Tastendonner aber zum damaligen Instrument Beethovens passt (ein Streicherflügel), sei mal dahingestellt.

    Diese historische Problematik ist hier überhaupt nicht diskutiert worden. Es ist aber wohl kaum sinnvoll zu verlangen, dass Beethovens Musik auf dem Konzertflügel von heute so klingen müsse wie auf einem Streicherflügel von damals. Und mit Verlaub gesagt: Wer bei Gilels Beethoven nur Tastendonner hört, den halte ich nicht für kompetent.


    Ich finde Deine Besprechungen manchmal ziemlich inkonsistent. Bei op. 13 beklagst Du, der Kopfsatz wäre von Buchbinder nicht leidenschaftlich und wild genug gespielt, weil die Tempovorschreibung "Allegro di molto e con brio" laute. Die selbe Tempovorschreibung hat aber auch der im Grundcharakter freundliche Kopfsatz von op. 7.

    Wie man das "con brio" interpretiert, hängt ab von der Ästhetik der jeweiligen Sonate. Da gibt es eben deutliche Unterschiede zwischen op. 7, op. 13, op. 22 oder op. 53. Inkonsistent kann man das nur finden, wenn man die ästhetische Ebene gar nicht berücksichtigt. Für mich muß der Kopfsatz von op. 13 auch nicht unbedingt "wild" gespielt werden - das kann man in meinen diversen Rezensionen nachlesen. Nur irgend einen Ausdruckswert, der über Indifferenz oder naiven Vitalismus hinausgeht, sollte ein Vortrag schon haben, um dem Gehalt des Werks gerecht zu werden.


    Im Gegenzug hast Du bei der Mondscheinsonate von den Interpreten eingefordert, sie sollten daraus ein "Kehrausfinale" machen, obwohl die Tempovorschrift "Presto agitato" (!) lautet.

    Das ist schlicht falsch. Ich habe auf eine Interpretation (Brendel war es glaube ich) hingewiesen, welche auf die Ambivalenz einer Formanlage aufmerksam macht, die eben Züge eines herkömmlichen Kerhaus-Finales durchaus nicht ganz verloren hat, was bei anderen Interpreten "unterschlagen" wird - mit Recht oder Unrecht, sei dahingestellt.


    Ein weiteres Beispiel für diese Inkonsistenz wäre Deine Einschätzung von Brendels später Einspielung der Pathetique, die Du hier vor einigen Jahren hineingestellt hast (Beitrag Nr. 40 in diesem Thread):

    Das rührt mich ja nun fast zu Tränen! Der Beitrag 40 stammt aus dem Jahr 2008, heute haben wir 2014 - ist also immerhin 6 Jahre alt. Das war nicht nur mein Erstlingsbeitrag hier in Tamino, sondern auch mein erster Versuchsballon in Sachen Interpretationsvergleich, den ich dann erst einmal nicht weiter verfolgt habe. So wie ein Interpret nach so vielen Jahren die Sicht auf ein Werk ändern darf, gilt das auch für den Rezensenten und sein Bild von einer Interpretation. Das wäre inkonsistent nur, wenn man außer Acht läßt, dass der Mensch ein zeitlich existierendes, geschichtliches Wesen ist. Heute habe ich halt weitaus mehr Erfahrung mit solchen Interpretationsvergleichen (über 100 Aufnahmen im Falle von Chopins Sonate op. 35 mit dem Trauermarsch rezensiert) im Vergleich mit früher. Und bevor man da vorschnell und gedankenlos einen "Widerspruch" konstruiert, lohnt es sich erst einmal darüber nachzudenken, woher so ein Sinneswandel kommt, was dafür die wirklichen Ursachen sind. Darauf werde ich noch eingehen, wenn ich dieses Projekt zu einem Abschluß für mich gebracht habe.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Das rührt mich ja nun fast zu Tränen! Der Beitrag 40 stammt aus dem Jahr 2008, heute haben wir 2014 - ist also immerhin 6 Jahre alt. Das war nicht nur mein Erstlingsbeitrag hier in Tamino, sondern auch mein erster Versuchsballon in Sachen Interpretationsvergleich, den ich dann erst einmal nicht weiter verfolgt habe. So wie ein Interpret nach so vielen Jahren die Sicht auf ein Werk ändern darf, gilt das auch für den Rezensenten und sein Bild von einer Interpretation. Das wäre inkonsistent nur, wenn man außer Acht läßt, dass der Mensch ein zeitlich existierendes, geschichtliches Wesen ist.


    Dass ein ca. 50-jähriger (?), der sich sein ganzes Leben mit Klaviermusik auseinandergesetzt hat, hier Welpenschutz für einen nur 6 Jahre alten Beitrag einfordert, finde ich schon erstaunlich. Mich stört aber nicht einmal, dass Du Brendels Interpretation jetzt mehr schätzt, sondern der despektierliche Schreibstil, der einst Brendel traf, jetzo Schiff und Buchbinder. Ich bin ja eigentlich nicht der größte Liebhaber Brendels Beethoveninterpretationen, aber was Du da geschrieben hast, geht selbst mir Lichtjahre zu weit. Detto jetzt bei Schiff und Buchbinder. Schiff meistert übrigens ohne Probleme die Bartókschen Klavierkonzerte, und da soll er bei der Pathetique schlapp machen? Meiner Meinung nach eine unlogische Unterstellung.
    Ich habe auch nicht gesagt, Gilels liefere nur Tastendonner - viel eher tut er das auch aber nicht nur. Jedenfalls ist dieser Spielstil zu Zeiten Beethovens nicht realisierbar gewesen. Dadurch wird Gilels' Ansatz nicht illegitim, aber Exklusivität darf er wohl auch kaum für sich beanspruchen. Die Pathetique ist nun einmal früher Beethoven und mit anderthalb Beinen noch in der Klassik. C-Moll Sonaten haben auch Mozart und Haydn geschrieben - sind das etwa keine klassischen Sonaten? Die Vorschreibung "pathetique" hat auch Präzedenzen, etwa in Clementis fis-Moll Sonate op. 25. Da Beethoven sowohl Mozart als auch Clementi bewunderte, ist es nicht zu abwegig, die Pathetique in dieser Tradition zu sehen.
    Ich finde Buchbinders Interpretation durchaus angemessen, ohne jetzt emotionalere Interpretationen ablehnen zu wollen. Trotzdem: für historischer korrekt halte ich Buchbinder. Du bist jemand, der an Beethoven vonseiten der Romantik herantritt, das merkt man schon bei den von Dir bevorzugten Pianisten (Gilels, Berman, ABM). Nichts dagegen, aber bitte mehr Abstand und Fairness bei den Bewertungen.

  • Zitat

    Felix Meritis: Natürlich kann man Gilels vorziehen, inwiefern aber sein Tastendonner zum damaligen Instrrument Beethovens passt (ein Streciherflügel), sei mal dahingestellt.


    Ich bin davon überzeugt, leiber Felix, dass wir uns alle gewundert hätten, wenn Beethoven damals schon auf einem Steinway D hätte spielen können. Das hätte Vieles verändert. Aber er hatte keinen. Aber ich habe mal gelesen, dass ein (österreichischer?) Klavierbauer names Steinweg, (der sich nach seiner Auswanderung nach Amerika in Steinway umbenannte), Instrumente gebaut hat, die der Klaviermusik Beethovens angemssen waren. Ich glaube nicht, dass Beethoven, ausgerechnet Beethoven, auf einem Steinway und im Besitz seines Hörsinns, sich in der Interpetation seiner Pathétique mehr Zurückhaltung auferlegt hätte als Gilels oder Richter.

    Zitat

    Felix Meritis: Ich habe auch nicht gesagt, Gilels liefere nur Tastendonner, viel eher tut er das, aber nicht nur. Jedenfalls ist dieser Spielstil zu Zeiten Beethovens nicht realisierbar gewesen


    S. o.
    Ich würde ich freuen, lieber Felix, wenn du deine Einspielungen von Emil Gilels "Pathétique" mal hier vorstellen würdest. Vielleicht kämst du ja dann doch zu einer anderen Ansicht über Emil Gilels. Jedenfalls habe ich aus der ca. 20-jährigen Kenntnis der Gilels-Studio-Box, die ich mmer wieder gehört habe, die Erkenntnis gewonnen, dass Gilels einer derjenigen Pianisten aus dem ehemaligen Ostblock der Vergangenheit ist, der über eminente lyrische Fähigkeiten verfügt und diese auch in seine Interpretationen einfließen lässt. Von den gegenwärtigen russischen Pianisten folgen nach meiner bisherigen Kenntinis Vladimir Askenazy (der seine bisher von mir rezensierten Aufnahmen z. T. eher als Gilels aufgenommen hat) und Grigory Sokolov Emil Gilels' Spuren.
    Deiner hier in Posting 293 geäußerten Bitte:

    Zitat

    Felix Meritis: ...Nichts dagegen, aber bitte mehr Abstand und Fairness bei den Bewertungen.


    möchte ich mit einem münsterländischen Sprichwort antworten:
    "Nich küen, müen" (wörtlich: nicht reden, mauern; im übertragenden Sinne: nicht reden, tun)!!


    Was ich persönlich über Buchbinders "Pathétique" denke, kannst du in diesem Thread nachlesen.


    Liebe Grüße


    Willi ^^

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Dass ein ca. 50-jähriger (?), der sich sein ganzes Leben mit Klaviermusik auseinandergesetzt hat, hier Welpenschutz für einen nur 6 Jahre alten Beitrag einfordert, finde ich schon erstaunlich.

    Du nimmst den Mund reichlich voll für jemand, der schlichtweg keinerlei eigene Erfahrungen auf diesem Gebiet vorzuweisen hat. Wenn ich mir nach Jahren eine Interpretation noch einmal vornehme, kümmere ich mich einfach gar nicht darum, was ich vor Jahren geschrieben und gemeint habe. Ich will da nämlich unbefangen bleiben. Hinterher ist es dann eine für mich interessante Frage zu schauen, wie ich es damals sah und heute sehe und was für Schlüsse und Erkenntnisse ich daraus ziehe.

    Mich stört aber nicht einmal, dass Du Brendels Interpretation jetzt mehr schätzt, sondern der despektierliche Schreibstil, der einst Brendel traf, jetzo Schiff und Buchbinder.

    Das ist nur Deine von Animosität geprägte Sicht. So sehe ich das. Hier zwei Kostproben aus meinem Beitrag Nr. 40 - der Originaltext stammt übrigens vom Oktober 2007:


    Als Fazit schrieb ich:


    Jeder dieser Aufnahmen verkörpert eine ernstzunehmende, eigene Sicht: der untrügliche Beleg für die Unausschöpflichkeit eines klassischen Werks! Wilhelm Kempffs Individualität, Claudio Arraus Mischung aus Klassizität und Expressivität, Alfred Brendels Rhetorik...


    Zum Adagio:


    Das geheimnisvolle Anhauchen des Mittelteils Takt 37 ff. und die Wiederholung des Liedthemas im betörenden äußersten Pianissimo Takt 29 ff., die dann noch – wenn auch nur als kurze Lichtblicke – den großen Meister verraten.


    Wie jeder unvoreingenommene Leser erkennen kann, ist das Fazit, daß ich - trotz aller Einzelkritik - sämtliche Interpretationsansätze Ernst nehme, auch den "rhetorischen" von Brendel. Und Brendel wird von mir als "großer Meister" bezeichnet. Wenn ich meine Enttäuschung zum Ausdruck bringe, dass ich von ihm eigentlich mehr erwartet habe, dann kann man das wenn mal will auch als Ausdruck von besonderer Hochschätzung deuten. Wer einem von vornherein wenig Wert ist, der kann einen nämlich gar nicht erst enttäuschen. Ebenso habe ich bei Schiff und auch Buchbinder stets Stärken und Schwächen hervorgehoben.


    Schiff meistert übrigens ohne Probleme die Bartókschen Klavierkonzerte, und da soll er bei der Pathetique schlapp machen? Meiner Meinung nach eine unlogische Unterstellung.

    Eigentlich solltest Du gemerkt haben, dass Du schon einmal ins Fettnäpfchen getreten hast, als Du zugabst, die Beethoven-Aufnahme von Schiff überhaupt nicht zu kennen. Nun stellst Du Dich ein weiteres mal selber bloß mit einer absoluten Peinlichkeit. Erst einmal schwafelst Du allgemein über Bartok usw. ohne konkret bei Beethoven zur Sache zu kommen und bezeugst zudem, dass Du überhaupt nicht im Bilde bist bezüglich dessen, was hier geschrieben und diskutiert wurde. Die Pathetique gehört zu den Sonaten, die für Profi-Pianisten eigentlich keine unlösbaren Schwierigkeiten bereitet. Da ist die Mondscheinsonate etwa weit anspruchsvoller. Technische Unzulänglichkeiten habe ich bei Schiffs Pathetique überhaupt nicht bemängelt (die "unlogische Unterstellung" liegt hier ganz auf Deiner Seite), sondern bei seiner op. 7. Und da weiß ich sehr genau, wovon ich rede, denn ich habe darüber mit jemandem, der diese Sonate im Konzertexamen gespielt hat, ausführlich diskutiert. Um also von mir Ernst genommen zu werden, solltest Du Dich erst einmal selber was Deine Kenntnisse angeht ein bisschen besser rüsten.


    Ich habe auch nicht gesagt, Gilels liefere nur Tastendonner - viel eher tut er das auch aber nicht nur. Jedenfalls ist dieser Spielstil zu Zeiten Beethovens nicht realisierbar gewesen. Dadurch wird Gilels' Ansatz nicht illegitim, aber Exklusivität darf er wohl auch kaum für sich beanspruchen.

    Da muß ich nur laut lachen! Es zählt einzig und allein als "Wille" des Komponisten, was im Notentext geschrieben steht und nicht irgendwelche dubiosen Spekulationen, was auf den unzulänglichen Instrumenten der Beethoven-Zeit realisierbar oder nicht realisierbar war. Und da ist Gilels einer, der Beethovens Vorgaben so penibel genau wie kaum ein Anderer umsetzt. Wirklich niemand spielt die dynamischen Vorgaben des Kopfsatzes von op. 7 so buchstabengetreu wie Gilels. Ihm da Tastendonner zu unterstellen, ist schlicht unsachlich und ignorant.


    Die Pathetique ist nun einmal früher Beethoven und mit anderthalb Beinen noch in der Klassik. C-Moll Sonaten haben auch Mozart und Haydn geschrieben - sind das etwa keine klassischen Sonaten?

    Es geht hier um Expressivität und nicht um Klassizität. Hinweisen kann ich hier nur auf die Musikwissenschaft - die ausführlich diskutierte "expressivistische Wende" in der Musikliteratur nach 1750. In diesem Kontext ist der Titel "Pathetique" zu sehen. An einer Fachkonferenz mit diesem Thema habe ich mich übrigens beteiligt.


    Du bist jemand, der an Beethoven vonseiten der Romantik herantritt, das merkt man schon bei den von Dir bevorzugten Pianisten (Gilels, Berman, ABM). Nichts dagegen, aber bitte mehr Abstand und Fairness bei den Bewertungen.

    Dann bewerbe Dich mal als Musikkritiker bei Joachim Kaiser mit der Behauptung, Gilels und ABM seien "Romantiker". Der schickt Dich dann gleich nach Hause mit dem guten Rat, doch mal zu lesen, was er geschrieben hat. Joachim Kaiser höchstpersönlich lobte nämlich in seinem Nachruf Emil Gilels für dessen "wunderbar klassischen Beethoven"! Für Deine Behauptung hast Du zudem nicht den geringsten Beleg. Auch Schnabel und Gulda z.B. haben von mir eine positive Bewertung bekommen - waren das etwa auch Romantiker? Was die Fairness von Bewertungen angeht, mußt Du glaube ich erst einmal ein wenig an Dir selber arbeiten.


    Schöne Grüße
    Holger

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  • Ich bin davon überzeugt, leiber Felix, dass wir uns alle gewundert hätten, wenn Beethoven damals schon auf einem Steinway D hätte spielen können. Das hätte Vieles verändert. Aber er hatte keinen. Aber ich habe mal gelesen, dass ein (österreichischer?) Klavierbauer names Steinweg, (der sich nach seiner Auswanderung nach Amerika in Steinway umbenannte), Instrumente gebaut hat, die der Klaviermusik Beethovens angemssen waren. Ich glaube nicht, dass Beethoven, ausgerechnet Beethoven, auf einem Steinway und im Besitz seines Hörsinns, sich in der Interpetation seiner Pathétique mehr Zurückhaltung auferlegt hätte als Gilels oder Richter.


    Der Punkt, lieber Willi, ist doch, dass Beethoven die Pathetique in dieser Form gar nicht geschrieben hätte, hätte er einen Steinway zur Verfügung gehabt. Dir als eingefleischtem Beethovenliebhaber erzähle ich wohl nichts neues, wenn ich in Erinnerung rufe, dass Beethoven seine Sonaten meistens auf ein Instrument maßschneiderte (Waldstein, Hammerklavier, etc..). Beethoven, der von seinen früheren Kompositionen nie wieder etwas wissen wollte (egal wie gut sie waren), hätte Jahrzehnte später die Pathetique garantiert nicht auf einem klangstärkeren Instrument aufgeführt. Aber ist ja egal. Ich selbst habe nichts gegen den Steinway - soll erlaubt sein! - aber man sollte Interpretationen, die sich an den Umständen der Entstehungszeit von Werken orientieren, nicht verdammen. Dazu gehört auch ein "zeitgemäßer Ausdruck", der teilweise von den damaligen technischen Gegebenheiten abhängig gewesen ist (aber natürlich nicht nur). Darum ging es mir.


    Bezüglich Gilels: ich besitze keine Studioeinspielung sondern bezog mich auf diesen Mitschnitt aus Moskau, 1968:
    http://www.youtube.com/watch?v=j1yGKHVhs_E
    Natürlich sehr gut gespielt, aber mir persönlich zu donnernd.

  • Nur noch zwei kurze Nachträge:


    Gerade Buchbinder ist jemand, der im Konzert ungemein dynamisch und lautstark zur Sache geht - viel "härter" spielt als viele andere. Die Annahme, dass ausgerechnet er sich an den Vorgaben eines schmächtigen Hammerflügels von 1800 orientiert, erscheint mir von daher ziemlich abwegig.


    Zweitens ist es müßig darüber zu diskutieren, wie eine "Pathetique" auf dem Hammerklavier klingt, wenn man dafür kein Beispiel zur Auswertung hat. Von den Aufnahmen auf historischen Instrumenten, die ich besitze und für mein Chopin-Projekt ausgewertet habe, kann ich nur sagen, dass sie sich einmal gegenüber heutigen Instrumenten durch eine große Unausgewogenheit auszeichnen. Die Bässe z.B. wirken demaßen anspringend und gewaltig um nicht zu sagen erschlagend, so dass sie auf einem modernen Steinway dagegen eher schmächtig wirken. Wenn man das einmal gehört hat, versteht man, warum manche Intepreten wie Cortot oder Kempff auf modernen Instrumenten immer wieder zu Baßoktavierungen greifen, um die dramatische Wirkung zu erhöhen. Es ist von diesen Höreindrücken also eher so, dass ein solchens historisches Instrument viel pathetischer und affektiver und baßgewaltiger klingt als ein modernes. Im allgemeinen waren die Komponisten des späten 18. und 19. Jahrhunderts über die Qualität der Instrumente, die sie zur Verfügung hatten, eher notorisch unzufrieden. Warum die Möglichkeit der Interpretation ausgerechnet daran gemessen werden soll, ist also wenig plausibel.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Gerade Buchbinder ist jemand, der im Konzert ungemein dynamisch und lautstark zur Sache geht - viel "härter" spielt als viele andere. Die Annahme, dass ausgerechnet er sich an den Vorgaben eines schmächtigen Hammerflügels von 1800 orientiert, erscheint mir von daher ziemlich abwegig.


    Das stimmt. Das Interessante ist bei Buchbinder, dass er dieselben Werke immer wieder ganz unterschiedlich spielt. Auch die jetztige Einspielung sind nur Mitschnitte von Live-Konzerten und keine Studioaufnahmen, die "Ewigkeitswert" haben sollen.


    Auf Deine anderen Aussagen möchte ich nicht mehr eingehen hier. Mit so etwas zerschießt man nur den Thread. Nimm halt bitte zur Kenntnis, dass mich die Wortwahl bei der Buchbinderbesprechung sehr irritiert hat. Danke.

  • Es geht hier um Expressivität und nicht um Klassizität. Hinweisen kann ich hier nur auf die Musikwissenschaft - die ausführlich diskutierte "expressivistische Wende" in der Musikliteratur nach 1750. In diesem Kontext ist der Titel "Pathetique" zu sehen. An einer Fachkonferenz mit diesem Thema habe ich mich übrigens beteiligt.


    Doch noch ein Nachtrag: wie verstehst Du hier Klassizität? Offensichtlich nicht im Sinne von "klassischer Stil". Die Sturm und Drang Werke von Haydn sind doch auch Werke, die der inneren Logik des klassischen Stils folgen. Ebenso wie Mozarts und Clementis Moll Sonaten. Klassisch heißt wohl im allgemein verbreiteten Sinne nicht "ausdruckslos", denn dann wären ja ein Großteil der Meisterwerke der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht "klassisch".

  • Zitat

    Dr. Holger Kaletha: Zweitens ist es müßig darüber zu dieskutieren, we eine Pathétique auf dem Hammerklavier klingt, wenn man dafür kein Beispiel zur Auswertung hat.


    Das muss aber nicht so bleiben, lieber Holger. Dieser Tage habe ich das Programm für die nächste Saison meines Piano-Abos in Köln erhalten. Neben Pierre-Laurent Aimard (Bach WT I), Yuja Wang (Albeniz, Granados, Balakirev, Chopin und Liszt), Mikhail Pletnev (Werke des 17. -bis 19. Jhdts), einem Klavierduo (Hodges, Wendeberg mit Debussy und Boulez sowie Hélène Grimaud (Fauré, Liszt, Ravel, Debussy) treten aud zwei Pianisten mit dem Hammerklavier auf, und zwar
    Andreas Staier (Bach WT, Auswahl, Schumann op. 1 (Abegg, op. 12 und op. 111) und
    Ronald Brautigam mit einem reinen Beethovenprogramm:
    - Sonate nr 8 c-moll op. 13 "Pathétique",
    - Sonate Nr. 21 C-dur op. 53 "Waldstein",
    - 6 Bagatllen op. 126 und
    - Sonate Nr. 32 c-moll op. 111;

    Leider ist das Konzert erst am 14. Januar 2015 (Einzelpreis 25 €), so dass ich frühestens ab dem 15. Januar darüber berichten kann. Ich will mal hoffen, dass es sich auch zu berichten lohnt.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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