Salut,
was erwartet man von einer Haydnschen c-moll-Sinfonie? Einen Vorläufer von Beethovens Fünfter? Sicher eher einen Gegenzug zu Kraus c-moll-Sinfonie, die Haydn seinerzeit überaus lobend erwähnte. Wer hier bei Nr. 95 ein heroisches Drama erwartet, wartet vergeblich:
Die Sinfonie beginnt gleich in medias res, ausnahmsweise ohne von einer bedeutungsschwangeren langsamen Einleitung geziert zu sein, dafür mit einem kurios-markanten Thema, das stets in der Luft schwebend bleibt und kaum – auch nicht in der Durchführung – wirklich famos verarbeitet wird, obwohl es doch so viele Möglichkeiten bietet. Dazu noch ein moderates Tempo… Was Haydn bezweckte, muß unbeantwortet bleiben. Die Sinfonie hinterließ auch kein sonderlich beeindrucktes Uraufführungspublikum, wird berichtet. Außer dem bereits erwähnten Eröffnungsthema in c-moll verbreitet sich im ersten Satz eher haydnsche Heiterkeit, die nicht im Entferntesten an ein düster bis heroisches Werk denken lässt. Vielleicht war es das, was das Publikum enttäuschte? Haydn hatte wohl keine Absicht, ein solch bissiges Monster abzuliefern, obschon er absolut bewiesen hat, dass er ein perfekter Dramatiker sein kann. Leider nur war es dem Publikum, für das es bestimmt war, nicht vergönnt, seine letzte Oper L’Anima del filosofo, ossia: Orfeo ed Euridice zu hören.
Der erste Satz jedenfalls endet nicht mal in der Grundtonart c-moll, sondern in C-Dur – das aber überaus pompös!
Ganz und gar reizend jedoch ist der zweite Satz, ein schlichtes Andante in Es-Dur: Wieder mal ein liebreizender Variationensatz mit obligatem Violoncello-Solo. Also keineswegs langweilig! Im Mittelteil, der in moll steht, findet sich die Unheimlichkeit wieder, die Haydn gerne mal einstreut, um dann aber ganz versöhnlich weiterzuvariieren.
Vom 3. Satz verspricht das Booklet: Gewitterwolken ziehen sich zu dem Menuett in c-moll zusammen. Das ist durchaus erahnbar, aber nicht in dieser Einspielung realisiert worden. Es ist aber durchaus ein Menuett, das in keiner anderen Tonart als c-moll stehen könnte: ein unheimlicher Teufels-Tanz, der dem Charakter nach ein „Sieh dich nicht um, denn…“ zum Thema hat [Haydn nimmt keinen musikalischen Bezug zu diesem Kinderlied]. Auch hier überrascht ein leises Violoncello-Solo im Trio, begleitet von zupfenden Streicherkollegen. Die Solovioline echot kurz dazwischen, ein gelungener Effekt!
Was folgt ist ein lebhaftes Finale, natürlich nicht in c-moll. Das würde eh trotz des grandiosen Menuetts niemand mehr glauben. Der Satz beginnt mit einem lieblich verspielten Violin-Thema in C-Dur, ganz piano, dann Flöten und Oboen. Dann an der erwarteten Knallstelle ein etwas verhalten einsetzendes Fugato, das überraschender Weise erst später explodiert! Wunderbar komponiert! Nach kaum 4 Minuten ist das Feuerwerk abgebrannt.
Was ist von c-moll übrig geblieben? Nichts. War es überhaupt da? Vielleicht…
Und letztlich war vielleicht auch gerade die vorgeschützte Tonart c-moll der überaus witzige Witz von Haydn...
Charles Rosen wagt es, mir diesbezüglich zu widersprechen:
Zitat
Die Symphonie Nr. 95 ist die einzige Ausnahme. Da sie als einzige* in Moll steht, ist ihre Ernsthaftigkeit auch ohne das zusätzliche Gewicht einer Einleitung gewährleistet.
Diese Eindrücke wurden gesammelt mit freundlicher Unterstützung von:
Joseph Haydn [1732-1809]
Sinfonien Nos. 94, 95 und 97
English Chamber Orchestra
Jeffrey Tate
Viele Grüße
Ulli
*bezogen auf die "Londoner" Sinfonien